Tasuta

Anna Karenina, 2. Band

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Märgi loetuks
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4

Lwoff, der mit Nataly, der Schwester Kitys verheiratet war, hatte sein ganzes Leben in den Residenzen und im Auslande zugebracht, wo er auch erzogen worden war und als Diplomat gedient hatte.

Im vergangenen Jahre hatte er die diplomatische Carriere aufgegeben, nicht infolge einer Unannehmlichkeit – er hatte niemals mit jemand Unannehmlichkeiten gehabt – und war in das Hofgericht nach Moskau übergetreten, um seinen beiden Söhnen eine bessere Erziehung angedeihen zu lassen.

Trotz des schärfsten Gegensatzes in den Gewohnheiten und Anschauungen, sowie darin, daß Lwoff auch älter als Lewin war, waren beide in diesem Winter in engen Verkehr miteinander getreten und hatten sich gegenseitig liebgewonnen.

Lwoff befand sich daheim, und Lewin trat ohne Anmeldung bei ihm ein. Lwoff war im Hausrock mit Gürtel, und saß in Halbschuhen von sämischem Leder in einem Lehnstuhl, durch das Pincenez mit blauen Gläsern ein Buch lesend, welches auf einem Lesepult lag, während er, auf der Hut vor der abfallenden Asche, mit der schönen Hand eine bis zur Hälfte aufgerauchte Cigarre hielt.

Sein schönes, feines und jugendliches Gesicht, welchem die lockigen, glänzenden silbernen Haare noch mehr den Ausdruck angestammten Adels verliehen, erglänzte von einem Lächeln, als er Lewin erblickte.

„Ausgezeichnet! Ich wollte schon zu Euch schicken! Nun, was macht Kity! Setzt Euch hierher, da ist es behaglicher,“ er stand auf und bewegte einen Rollstuhl herbei.

„Habt Ihr schon das letzte Cirkular im ‚Journal de St. Petersbourg‘ gelesen? Ich finde es vortrefflich,“ sagte er mit etwas französischem Accent.

Lewin teilte ihm mit, was er von Katawasoff vernommen hatte, und was man in Petersburg spräche, und berichtete, nachdem er über die Politik gesprochen hatte, von seiner Bekanntschaft mit Metroff und seiner Exkursion in die Sitzung. Lwoff interessierte dies sehr.

„Ich beneide Euch, daß Ihr Zutritt zu dieser interessanten Gelehrtenwelt habt,“ sagte er, und ging dann, wie gewöhnlich sogleich zu der ihm bequemeren französischen Sprache über. „Ich habe allerdings leider auch keine Zeit; denn mein Dienst sowohl, als die Beschäftigung mit meinen Kindern beraubt mich derselben; dann aber scheue ich mich nicht, zu bekennen, daß meine Bildung allzu mangelhaft ist.“

„Das glaube ich nicht,“ antwortete Lewin lächelnd, und, wie gewöhnlich, voll Erbarmen mit dieser niedrigen Meinung von sich selbst, die durchaus nicht dem Wunsche, bescheiden zu erscheinen oder zu sein, entsprang, sondern vollständig aufrichtig war.

„Ach, gewiß doch! Ich fühle es jetzt, wie wenig gebildet ich bin. Selbst zur Erziehung der Kinder muß ich viel wieder an meinem Gedächtnis auffrischen, ja geradezu lernen! Denn trotzdem, daß Lehrer da sind, muß auch ein Aufseher da sein, sowie in Eurer Ökonomie Arbeiter nötig sind nebst einem Inspektor. Da lese ich eben“ – er zeigte auf die Grammatik Buslajeffs, welche auf dem Lesepult lag, „das fordert man von Mischa, und es ist doch so schwierig – erklärt mir dies. Hier sagt er“ —

Lewin wollte ihm erklären, daß man dies nicht verstehen könne, sondern lernen müsse, doch Lwoff stimmte dem nicht bei.

„Ihr lacht darüber!“ sagte er.

„Im Gegenteil, Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie ich, im Hinblick auf Euch, stets studiere, was mir auch bevorsteht, die Erziehung von Kindern!“

„Nun, aber das Lernen taugt doch nichts,“ sagte Lwoff.

„Ich kann nur sagen,“ antwortete Lewin, „daß ich nie besser erzogene Kinder gesehen habe, als die Euren, und keine besseren Kinder wünschte, als die Euren sind.“

Lwoff hielt augenscheinlich an sich, seine Freude zu zeigen, aber er erglänzte doch von einem Lächeln.

„Wenn sie nur besser werden als ich, das ist alles, was ich wünsche. Ihr kennt noch nicht die ganze Mühe,“ begann er, „mit den Knaben, welche, wie die meinen, in diesem Leben im Auslande verwildert waren.“

„Ihr holt alles ein. Es sind ja so befähigte Kinder, und was die Hauptsache ist – sie haben eine moralische Erziehung. Das ist es, was ich studiere, wenn ich Eure Kinder anblicke.“

„Ihr sagt, eine moralische Erziehung. Man kann sich nicht vorstellen, wie schwer diese ist! Kaum habt Ihr die eine Seite bekämpft, so wachsen andere hervor und es beginnt ein neuer Kampf. Hätte man nicht die Stützen in der Religion – wißt Ihr noch, wir haben zusammen darüber gesprochen – so würde kein Vater mit seinen Kräften allein, ohne diese Hilfe, erziehen können.“

Dieses Lewin stets interessierende Gespräch wurde durch den Eintritt der zur Ausfahrt angekleideten, schönen Nataly Aleksandrowna, unterbrochen.

„Ah, ich habe gar nicht gewußt, daß Ihr hier seid,“ sagte sie, augenscheinlich nicht mit Bedauern, sondern vielmehr erfreut, daß sie dieses, ihr schon längst bekannte, langweilige Gespräch unterbrochen hatte. „Was macht Kity? Ich esse heute bei Euch. Weißt du Arseny,“ wandte sie sich an ihren Gatten, „du nimmst den Wagen.“

Unter den beiden Gatten begann nun ein Gespräch, wie sie den Tag verleben wollten. Da der Gatte mit jemand im Amte zusammenkommen, die Gattin aber in das Konzert und in die öffentliche Sitzung des südöstlichen Komitees fahren mußte, so war viel zu beschließen und zu überlegen.

Lewin, als unabhängiger Mann, mußte Teil an diesen Plänen nehmen, und es ward beschlossen, daß er mit Nataly in das Konzert und in die öffentliche Sitzung fuhr, von da aus den Wagen nach dem Comptoir zu Arseniy sende und dieser Nataly abholen und mit zu Kity nehmen solle – oder, wenn er mit seinen Geschäften noch nicht fertig wäre, den Wagen zurückschicke und Lewin mit ihr fahre.

„Er beschämt mich ganz,“ sagte Lwoff zu seiner Frau, „er versichert mir, daß unsere Kinder vorzüglich sind, während ich doch weiß, daß sie soviel Fehler haben.“

„Arseniy geht bis ins Extrem, ich sage es immer,“ bemerkte seine Gattin. „Wenn man Vollkommenheiten suchen will, so wird man nie zufrieden werden, und Papa sagt die Wahrheit damit, daß es, als man uns noch erzog, nur ein einziges Mittel gab – man steckte uns ins Entresol; während die Eltern in der Bel-Etage wohnten; jetzt hingegen möchten die Eltern in die Rumpelkammer und die Kinder in die Bel-Etage! Die Eltern möchten jetzt schon gar nicht mehr selbst leben, sondern nur noch für ihre Kinder.“

„Aber wie, wenn dies das Angenehmere wäre?“ sagte Lwoff, mit seinem schönen Lächeln, ihren Arm berührend. „Wer dich nicht kennt, wird glauben, du seist keine Mutter, sondern eine Stiefmutter.“

„Nein; das Extrem ist nie gut,“ sagte Nataly ruhig, sein Papiermesser auf den Tisch an den dafür bestimmten Platz legend.

„Nun kommt einmal her, ihr Musterkinder,“ sagte Lwoff zu seinen eintretenden hübschen Knaben, welche, Lewin begrüßend, zu ihrem Vater traten, offenbar in dem Wunsche, ihn nach etwas zu fragen.

Lewin wollte mit ihnen reden und hören, was sie dem Vater zu sagen hätten, aber Nataly begann mit ihm zu sprechen und soeben trat auch ein Kollege Lwoffs im Amte, Machotin, in Hofuniform ein, um mit Lwoff zusammen jemand zu treffen; es begann ein eifriges Gespräch über die Herzogowina, die Fürstin Korzynska, die Duma und den plötzlichen Tod der Apraksina.

Lewin hatte den ihm gegebenen Auftrag ganz vergessen. Er erinnerte sich desselben erst beim Verlassen des Vorzimmers.

„Ach, Kity hat mir ja anvertraut, ich möchte Etwas mit Euch betreffs Oblonskiys besprechen,“ sagte er, als Lwoff auf der Treppe stehen blieb, indem er sein Weib und ihn hinausbegleitete.

„Ja, ja, maman wünscht, daß wir, les beaux-frères, ihn vornehmen,“ sagte er errötend, „aber weshalb wohl ich dabei sein soll?“ —

„So werde ich ihn vornehmen,“ sagte die Lwowa lächelnd, das Ende des Gesprächs abwartend; „doch jetzt kommt!“

5

In der Matinee führte man zwei sehr interessante Novitäten vor. Die eine war eine Phantasie „König Lear in der Steppe“, die andere ein Quartett, dem Andenken Bachs gewidmet. Beide Stücke waren neu und von originellem Geiste und Lewin wünschte sich eine Meinung über sie zu bilden. Nachdem er seine Schwägerin nach deren Stuhl begleitet hatte, trat er an eine Säule und nahm sich vor, so aufmerksam und gewissenhaft als möglich zuzuhören. Er bemühte sich, nicht abzuschweifen und den Eindruck in sich zu beinträchtigen, indem er auf die Armbewegungen des Kapellmeisters in der weißen Halsbinde blickte, die stets die musikalische Aufmerksamkeit so unangenehm ablenkten, oder auf die Damen in ihren Hüten, welche sich geflissentlich für das Konzert die Ohren mit Bändern zugebunden hatten, oder auf alle jene Personen, die entweder mit nichts beschäftigt, oder von den verschiedensten Interessen, nur nicht dem für Musik, eingenommen waren.

Er bemühte sich, den Begegnungen mit Musikkennern und Schwätzern aus dem Wege zu gehen, und stand nur vor sich niederblickend und lauschte. Doch je mehr er von der Phantasie König Lear hörte, um so ferner fühlte er sich der Möglichkeit gerückt, sich selbst eine bestimmte Meinung zu bilden.

Unaufhörlich begann es, als bereite sich der Ausdruck einer musikalischen Empfindung vor, sogleich aber fiel derselbe in Trümmer von neuen Ansätzen zu musikalischen Phrasen auseinander, bisweilen sogar einfach in durch nichts als die Laune des Komponisten verbundene, aber außerordentlich komplizierte Klänge.

Aber gerade die Unterbrechungen dieser musikalischen Phrasen, die bisweilen gut waren, zeigten sich als unangenehm, weil sie vollständig unerwartet und durch nichts vorbereitet erschienen. Frohsinn und Trauer, Verzweiflung und Zartheit oder Triumph erschienen ohne jede innere Berechtigung, gleichsam wie die Gefühle eines Wahnsinnigen; und ebenso wie bei einem Wahnsinnigen, vergingen sie auch wieder unerwartet.

Lewin hatte während der ganzen Zeit der Aufführung das Gefühl eines Tauben, welcher auf Tanzende schaut. Er war in vollständiger Ungewißheit, nachdem das Stück geendet hatte, und fühlte große Ermüdung von der gespannten, durch nichts gelohnten Aufmerksamkeit. Von allen Seiten wurde lautes Händeklatschen vernehmbar. Alles erhob sich und begann herumzulaufen um sich zu unterhalten.

 

Im Wunsche, nach dem Eindruck anderer seinen Zweifel aufzuklären, begann auch Lewin zu gehen, um Kenner zu suchen, und war erfreut, als er einen namhaften Musikkenner im Gespräch mit dem ihm bekannten Peszoff erblickte.

„Wunderbar!“ sagte der tiefe Baß Peszoffs.

„Guten Tag, Konstantin Dmitritsch. Ganz besonders formgerecht und monumental, sozusagen; und wie reich an Farben ist jene Stelle, in welcher man die Annäherung Cordelias fühlt, wo die Frau, ‚das ewig Weibliche‘ wie der Deutsche sagt, in den Kampf mit dem Schicksal tritt. Nicht wahr?“

„Nun, inwiefern war denn da gerade Cordelia?“ frug Lewin schüchtern; er hatte vollständig vergessen, daß die Phantasie König Lear in der Steppe ausdrücken solle.

„Es zeigt sich Cordelia – hier!“ sagte Peszoff, mit den Fingern auf den atlasglänzenden Zettel schlagend, den er in der Hand hielt und Lewin nun hinreichte.

Jetzt erst erinnerte sich Lewin des Titels der Phantasie und beeilte sich nun, die Verse Shakespeares in der russischen Übersetzung zu lesen, welche auf der Rückseite des Programms gedruckt standen.

„Ohne dies kann man freilich nicht folgen,“ sagte Peszoff, sich zu Lewin wendend, da der Herr mit welchem er sich unterhalten hatte, gegangen war, und er mit niemand mehr zu sprechen hatte.

Im Zwischenakt entspann sich zwischen Lewin und Peszoff ein Streit über die Vorzüge und Mängel der Wagnerschen Musikrichtung. Lewin wies nach, daß der Irrtum Wagners und aller seiner Nachfolger darin bestehe, daß hier die Musik in das Gebiet einer fremdartigen Kunst übergehen wolle, daß auch die Poesie irre, wenn sie die Züge eines Gesichts beschreibe, was die Malerei zu thun hätte, und führte als Beispiel eines solchen Irrtums jenen Bildhauer an, welcher die Schatten der poetischen Gestalten, die rings um die Figur des Dichters auf dem Piedestal aufragten, in Marmor zu bilden gedachte.

„Diese Schatten werden ebensowenig Schatten für den Bildhauer sein, daß sie sich sogar an der Leiter anhalten können,“ sagte Lewin. Der Satz gefiel ihm, doch er konnte sich nicht entsinnen, ob er ihn nicht schon früher einmal ausgesprochen hatte, gerade gegen Peszoff, und geriet daher, nachdem er ihn geäußert, in Verlegenheit.

Peszoff hingegen wies nach, daß die Kunst einheitlich sei und ihre höchsten Offenbarungen nur in der Vereinigung aller ihrer Arten erreichen könne.

Die zweite Nummer des Konzerts konnte Lewin nicht mehr hören. Peszoff, der neben ihm stehen geblieben war, hatte fast die ganze Zeit mit ihm gesprochen, indem er dieses Stück wegen seiner übermäßigen geschmackswidrigen, unvermittelten Einfachheit den Praeraphaeliten in der Malerei verglich.

Beim Hinausgehen begegnete Lewin noch vielen Bekannten, mit welchen er über Politik, über Musik und gemeinsame Bekannte sprach, unter anderen traf er auch den Grafen Bolj, dessen Besuch er gänzlich vergessen hatte.

„Nun, so fahrt nur gleich hin,“ sagte die Lwowa zu ihm, der er dies mitgeteilt hatte, „vielleicht empfängt man Euch nicht und Ihr kommt dann zu mir in die Sitzung. Ihr werdet mich da schon noch treffen.“

6

„Man empfängt wohl nicht?“ sagte Lewin, in den Flur des Hauses der Gräfin Bolj tretend.

„Man empfängt, bitte,“ antwortete der Portier, ihm resolut den Pelz abnehmend.

„Ist das unangenehm,“ dachte Lewin, mit einem Seufzer den einen Handschuh abstreifend und seinen Hut glättend. „Weshalb komme ich denn eigentlich? Was soll ich denn mit ihnen reden?“

Durch den ersten Salon schreitend, traf Lewin in der Thür die Gräfin Bolj, welche mit geschäftigem und ernstem Ausdruck dem Diener einen Befehl erteilte.

Als sie Lewin erblickte, lächelte sie und nötigte ihn in den folgenden, kleinen Salon, aus welchem Stimmen vernehmbar waren. In diesem Salon saßen auf Lehnstühlen die beiden Töchter der Gräfin und ein, Lewin bekannter, Moskauer Oberst. Lewin näherte sich ihnen, grüßte, und ließ sich neben dem Diwan nieder, den Hut auf dem Knie haltend.

„Wie ist das Befinden Eurer Frau? Waret Ihr im Konzert? Wir konnten nicht! Mama mußte bei einer Totenmesse gegenwärtig sein.“

„Ja, ich habe gehört – welch ein plötzlicher Todesfall,“ sagte Lewin.

Die Gräfin kam, setzte sich auf den Diwan und frug gleichfalls nach seiner Frau und dem Konzert.

Lewin antwortete und wiederholte die Frage nach dem plötzlichen Tode der Apraksina.

„Sie war überhaupt stets von schwacher Gesundheit.“

„Waret Ihr gestern in der Oper?“

„Ja, ich war da.“

„Die Lucca war sehr gut.“

„Ja, sehr gut,“ sagte er und begann, da es ihm ganz gleichgültig war, was man von ihm denken mochte, zu wiederholen, was er hundertmal schon über die Eigentümlichkeit des Talentes der Sängerin gehört hatte. Die Gräfin Bolj stellte sich, als höre sie zu. Als er dann genug geredet hatte, und nun schwieg, begann der Oberst, welcher bis jetzt geschwiegen hatte.

Der Oberst fing gleichfalls an, über die Oper und die Beleuchtung zu sprechen und als er endlich noch von einem vorgeschlagenen folle journée bei Tjurin berichtet hatte, brach er in Gelächter aus, verursachte ein Geräusch, erhob sich und ging. Auch Lewin war aufgestanden, bemerkte aber an dem Gesicht der Gräfin, daß für ihn die Zeit des Gehens noch nicht da sei; noch zwei Minuten fehlten, und so setzte er sich denn wieder. Da er indessen noch immer darüber nachdachte, wie thöricht das alles sei, so fand er auch keinen Stoff zu einem Gespräch und blieb stumm.

„Fahrt Ihr nicht in die öffentliche Sitzung? Man sagt, sie sei sehr interessant,“ begann die Gräfin.

„Nein, ich habe nur meiner belle soeur versprochen, sie dort abzuholen,“ sagte Lewin.

Ein Schweigen trat ein. Die Mutter wechselte nochmals einen Blick mit der Tochter.

„Jetzt scheint es Zeit zu sein,“ dachte Lewin und stand auf. Die Damen drückten ihm die Hand und baten, seiner Gattin mille choses ausrichten zu wollen.

Der Portier frug ihn, als er ihm den Pelz reichte, „wo beliebt Ihr zu stehen?“ und trug ihn sogleich in ein großes, hübsch gebundenes Buch ein.

„Mir ist das natürlich doch ganz gleichgültig, aber dennoch bleibt das lästig und entsetzlich thöricht,“ dachte Lewin, sich damit tröstend, daß alle es ja so machten, und fuhr nach der öffentlichen Sitzung des Komitees, wo er seine Schwägerin treffen sollte, um mit derselben zusammen nach Haus zu fahren.

In der öffentlichen Sitzung des Komitees war viel Volk und fast die gesamte Gesellschaft zugegen. Lewin trat gerade ein, als das Protokoll verlesen wurde, welches wie jedermann sagte, sehr interessant war. Als die Lektüre des Protokolls beendet war, mischte sich die Gesellschaft untereinander und Lewin traf auch Swijashskiy, der ihn für den Abend dringend in die Gesellschaft für Landwirtschaft einlud, wo ein berühmter Vortrag gelesen werden würde, ferner Stefan Arkadjewitsch, der soeben von den Rennen gekommen war, und noch viele andere Bekannte, und Lewin äußerte und vernahm verschiedene Urteile über die Sitzung, über das neue Musikstück und einen Prozeß. Doch mochte er, wohl infolge der Ermüdung seiner geistigen Spannkraft, die er zu empfinden begann, irren, indem er von dem Prozeß sprach, und dieser Irrtum kam ihm in der Folge mehrmals noch zu seinem Verdruß wieder in die Erinnerung. Indem er von der bevorstehenden Bestrafung eines Ausländers sprach, der in Rußland abgeurteilt wurde, sowie davon, daß es ungesetzmäßig wäre, ihn mit Verbannung ins Ausland zu bestrafen, wiederholte Lewin, was er gestern in einem Gespräch von einem Bekannten vernommen hatte. „Ich denke, daß seine Ausweisung ebensoviel wert wäre, als wenn man einen Hecht damit bestrafen wollte, daß man ihn ins Wasser setzt,“ meinte Lewin. Erst später dachte er wieder daran, daß dieser scheinbar von ihm geäußerte Gedanke, den er von einem Bekannten gehört hatte, aus einer Fabel Kryloffs stammte, der Bekannte aber diesen Gedanken aus dem Feuilleton eines Journals wiederholt hatte.

Nachdem Lewin mit seiner Schwägerin nach Haus gefahren war und Kity heiter und wohl gefunden hatte, fuhr er nach dem Klub.

7

Er kam erst zu vorgerückter Zeit in den Klub. Gleichzeitig mit ihm kamen Gäste und Mitglieder vorgefahren. Er war sehr lange nicht hier gewesen; seit der Zeit nicht, als er noch nach dem Verlassen der Universität in Moskau gewohnt und die Gesellschaft besucht hatte. Er entsann sich wohl noch des Klubs, und der äußeren Einzelheiten seiner Einrichtung, hatte aber den Eindruck gänzlich vergessen, den er in früherer Zeit davon erhalten hatte.

Kaum jedoch hatte er, nachdem er auf den geräumigen halbrunden Hof gefahren und aus dem Mietgeschirr gestiegen war, die Treppe betreten, während ihm der Portier in seinem Brustgurt geräuschlos die Thür öffnete und sich verbeugte; kaum hatte er in der Portierloge die Kaloschen und Pelze von Mitgliedern wieder erblickt, welche erwogen hatten, daß es weniger Mühe verursachte, die Kaloschen gleich unten abzulegen, als sie mit nach oben zu nehmen; kaum hatte er den geheimnisvollen, ihm vorauseilenden Glockenton vernommen, und die schräge, mit Teppichen belegte Treppe betretend, auf dem Treppenabsatz die Statue erblickt, und in den oberen Thüren den dritten, altgewordenen, ihm wohlbekannten Portier in der Klublivree, der weder zu schnell noch zu langsam die Thür öffnete und den Gast anblickte – da überkam Lewin wieder das alte Klubgefühl, ein Gefühl von Erholung, Vergnügen und Noblesse.

„Bitte, den Hut,“ sagte der Portier zu Lewin, welcher die Klubregel, den Hut in der Portierloge zu lassen, vergessen hatte. „Ihr seid lange nicht hier gewesen. Der Fürst hat Euch noch gestern eingeschrieben. Fürst Stefan Arkadjewitsch ist noch nicht anwesend.“

Der Portier kannte nicht nur Lewin, sondern auch dessen sämtliche Verbindungen und Verwandtschaft und that sofort der ihm nahestehenden Männer Erwähnung.

Den ersten Vorsaal mit den Ofenschirmen, und dann ein rechts abgetrenntes Zimmer, in welchem der Obstverkäufer saß, durchschreitend, überholte Lewin einen langsam gehenden Herrn und trat in das vom Lärm versammelter Menschen erfüllte Speisezimmer.

Er schritt längs der fast schon besetzten Tische hin, die Gäste musternd. Hier und da fielen ihm die verschiedensten Personen, alte und junge, aber kaum bekannte oder nahestehende ins Auge. Hier gab es kein einziges gereiztes oder sorgenvolles Gesicht. Alle, wie es schien, hatten in der Portierloge mit ihren Hüten auch ihre Bedrängnisse und Sorgen zurückgelassen und sich vorgenommen, mit Muße die materiellen Annehmlichkeiten des Lebens hier zu genießen. Hier war auch Swijashskiy, Schtscherbazkiy, Njewjedowskiy, der alte Fürst, sowie Wronskiy und Sergey Iwanowitsch.

„Ah, hast du dich verspätet?“ sagte der Fürst lächelnd, ihm mit der Hand auf die Schulter schlagend. „Was macht Kity?“ fügte er hinzu, die Serviette ordnend, die er sich zwischen einem Knopf der Weste eingeklemmt hatte.

„Befindet sich ganz wohl; die Damen speisen zu Dreien zu Haus.“

„Aha, Alina – Nadina; nun, bei uns hier ist freilich kein Platz mehr. Aber geh zu jenem Tisch und nimm möglichst schnell einen Platz ein,“ sagte der Fürst und ergriff, sich umwendend, behutsam einen Teller mit Quappensuppe.

„Lewin, hierher!“ rief etwas weiterhin eine freundliche Stimme. Es war Turowzyn. Er saß bei einem jungen Offizier und zwischen ihnen standen zwei umgewendete Stühle. Lewin schritt erfreut auf sie zu. Er hatte den gutmütigen Zecher Turowzyn stets lieb gehabt; mit ihm vereinigte sich seine Erinnerung an die Liebeserklärung gegen Kity; heute aber, nach all den angestrengten geistigen Unterhaltungen war ihm die gutmütige Erscheinung Turowzyns besonders willkommen.

„Diese Stühle sind für Euch und Oblonskiy. Er wird auch sogleich da sein!“

Der Offizier, welcher sich sehr gerade hielt, mit heiteren, ewig lachenden Augen war ein Petersburger, namens Gagin. Turowzyn machte beide miteinander bekannt.

„Oblonskiy kommt doch ewig zu spät.“

„Da ist er ja!“

„Bist du soeben gekommen?“ sagte Oblonskiy, schnell zu ihnen herkommend. „Geht es gut? Hast du schon einen Liqueur genommen? Komm!“

Lewin erhob sich und ging mit ihm nach dem großen Tisch, der mit Liqueuren und den mannigfaltigsten Leckerbissen besetzt war. Man konnte wohl aus zwanzig verschiedenen Dingen auswählen, was nach dem Geschmack war, aber Stefan Arkadjewitsch forderte einen ganz besonderen Liqueur, und einer der dastehenden Diener in Livree brachte sofort das Gewünschte. Sie tranken jeder ein Glas und kehrten dann zum Tische zurück.

 

Sogleich, noch bei der Suppe, brachte man Gagin Champagner und dieser ließ vier Gläser füllen. Lewin wies den angebotenen Wein nicht zurück und bestellte eine zweite Flasche. Er war hungrig, speiste und trank mit großem Appetit und nahm mit noch größerem Vergnügen an den heiteren und leichten Gesprächen seiner Gesellschafter teil. Gagin, der die Stimme hatte sinken lassen, erzählte eine neue Petersburger Anekdote, die, obwohl indecent und ungereimt, doch lustig genug war, sodaß Lewin so laut lachte, daß die Nachbarn ihn anblickten.

„Das ist etwas von der Art, wie ‚dies gerade kann ich gar nicht vertragen!‘ – Weißt du?“ – frug Stefan Arkadjewitsch. „Ach, das ist reizend! Noch eine Flasche,“ sagte er zu dem Diener, und begann zu erzählen.

„Peter Iljitsch Winowskiy lassen bitten,“ unterbrach ein alter Diener Stefan Arkadjewitsch, zwei feine Gläser perlenden Champagners bringend und sich an Stefan Arkadjewitsch und Lewin wendend.

Stefan Arkadjewitsch ergriff das Glas und nickte lächelnd nach der anderen Seite des Tisches, mit einem kahlköpfigen, rothaarigen und bärtigen Herrn einen Blick tauschend, mit dem Kopfe.

„Wer ist dies?“ frug Lewin.

„Du bist ihm schon einmal bei mir begegnet, besinnst du dich? Er ist ein vortrefflicher Mensch.“

Lewin that, was Stefan Arkadjewitsch that und nahm das Glas.

Die Anekdote Stefan Arkadjewitschs war gleichfalls sehr ergötzlich. Lewin erzählte nun seine Anekdote, welche auch gefiel, dann kam das Gespräch auf Pferde, auf die Rennen des heutigen Tages und darauf, wie schlau der Atlasny Wronskiys den ersten Preis gewonnen habe. Lewin bemerkte gar nicht, wie die Zeit beim Essen verging.

„Ah, da ist er ja selbst!“ sagte gegen das Ende des Essens Stefan Arkadjewitsch, sich über die Lehne des Stuhles beugend und dem in Begleitung eines hohen Gardeobersten auf ihn zukommenden Wronskiy, die Hand entgegenstreckend. In dem Gesicht Wronskiys leuchtete gleichfalls die allgemeine heitere Klubgemütlichkeit. Frohgelaunt stützte er sich auf die Schulter Stefan Arkadjewitschs, indem er demselben etwas zuflüsterte, und streckte Lewin mit dem nämlichen heiteren Lächeln die Hand entgegen.

„Sehr erfreut, Euch hier zu treffen,“ sagte er. „Ich hatte Euch damals nach den Wahlen gesucht, man sagte mir aber, Ihr wäret schon weggefahren.“

„Ja; ich bin noch denselben Tag fortgefahren; wir hatten übrigens soeben von Eurem Pferde gesprochen. Ich gratuliere Euch,“ sagte Lewin, „das war ein sehr schneller Ritt!“

„Ihr habt doch wohl auch Pferde?“

„Nein; mein Vater hatte welche; doch ich besinne mich noch und kenne das.“

„Wo hast du gespeist?“ frug Stefan Arkadjewitsch.

„Wir sitzen am zweiten Tisch; hinter den Säulen.“

„Man hat ihm gratuliert,“ sagte der hochgewachsene Oberst.

„Es war der zweite Kaiserpreis; wenn ich doch solches Glück in den Karten hätte, wie er mit den Pferden.“

„Aber, wozu die goldene Zeit verlieren! Ich gehe in das Infernalische,“ sagte der Oberst und verließ den Tisch.

„Das war Jaschwin,“ sagte Wronskiy zu Turowzyn und setzte sich auf den neben ihnen freigewordenen Platz. Nachdem er den ihm vorgesetzten Pokal geleert hatte, bestellte er eine Bouteille. Mochte nun der Einfluß der Klublaune oder der des genossenen Weines schuld sein, genug, Lewin unterhielt sich mit Wronskiy über die beste Viehrasse, und es war ihm sehr lieb, daß er keine Feindseligkeit mehr gegen diesen Mann empfand. Er sagte demselben sogar unter anderem, er habe von seiner Frau gehört, sie sei ihm bei der Fürstin Marja Borisowna begegnet.

„Ach, die Fürstin Marja Borisowna; die ist reizend!“ sagte Stefan Arkadjewitsch, und erzählte nun eine Anekdote von ihr, welche alle zu lachen machte. Besonders Wronskiy lachte so herzlich, daß Lewin sich vollständig mit ihm ausgesöhnt fühlte.

„Nun, seid Ihr fertig?“ frug Stefan Arkadjewitsch aufstehend, und lächelte. „Gehen wir!“