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Selbst die neue Software seines Analysegerätes, das Linus im Heck seines Wagens mit sich führte, brachte ihm keine neue Erkenntnis. Zwar konnte er sich nicht in jegliches System perfekt einloggen, wenn die Hersteller keinen entsprechenden Zugang freigegeben hatten, aber selbst wenn – wie heute – so musste er nicht zwingend fündig werden.

Auch weitere Untersuchungen und Fremdstarts mittels Überbrückungskabel lösten das Problem nicht. Der Motor des Kleinwagens erstarb jedes Mal nach wenigen Sekunden. Es wurmte Linus, dass er nicht erfolgreich war. Einer der Klassiker unter den Ursachen war eine gelöste Kabelverbindung. Heute aber hatte sich offenbar mehr als nur sein geplatztes Date gegen ihn verschworen. Wohl oder übel musste er einsehen, dass er nichts für die junge Dame tun konnte.

»Tja, tut mir leid, Frau Gehrke. Aber das Problem scheint tiefer zu sitzen. Ganz untypisch für Knutschkugeln«, versuchte er ihre betrübte Miene aufzuheitern und tatsächlich kicherte sie über seine Bemerkung. »Also, ich kann Ihnen einen Abschleppdienst rufen und der bringt Sie zusammen mit Ihrem Wagen zu der Werkstatt Ihrer Wahl, und von dort können Sie mit einem Leihwagen oder Taxi heimfahren. Die Kosten dafür übernimmt natürlich der Club für Sie als Mitglied.«

»Schade«, erwiderte sie. Die Enttäuschung war ihr ins Gesicht geschrieben. Inzwischen war es dunkel und um einiges kälter geworden, und es war nicht zu übersehen, dass sie fror. Ihre schöne modische Jacke war sicherlich für die Fahrt in einem beheizten Auto ausreichend warm, jedoch nicht, um längere Zeit draußen herumzustehen.

»Wissen Sie was, setzen Sie sich in meinen Wagen. Ich lass die Standheizung ein wenig laufen, während wir warten. Dann wird es schnell warm.«

Nachdem Linus angerufen, die Motorhaube geschlossen und auch in seinem eigenen Wagen alles wieder versorgt hatte, nahm er auf dem Fahrersitz Platz und knipste das Licht über dem Spiegel an.

»Was glauben Sie, wird das eine teure Reparatur?«

Schulterzuckend schaute er sie an. »Schwer zu sagen. Kann etwas Mechanisches sein oder ein Elektronikfehler. Fahren Sie jeden Tag diese Strecke?«

»Ja, ich arbeite in Manching, als Sachbearbeiterin.«

Linus nickte wissend. »Flugzeugbranche?«

Gehrke grinste. »Sie kennen sich aus.«

»Nervt das nicht, jeden Tag dieser Stress auf der Straße?«

»Wenn’s so läuft wie heute, dann schon. Ich habe auch schon mal überlegt, nach Ingolstadt zu ziehen.«

»Das wäre um einiges näher.«

Irgendwie wusste er nichts mit seinen Händen anzufangen und legte sie daher auf das Lenkrad. Die junge Frau war dezent geschminkt und ihr Gesicht war von einer angenehm natürlichen Schönheit, die selbst von ein paar Sommersprossen nicht getrübt wurde. Wenn sie ihn ansah, strahlten ihre grünen Augen im Licht der Innenbeleuchtung wie zwei Smaragde.

»Ja, aber – die Mieten in Ingolstadt sind inzwischen auch sehr hoch und eine schöne Wohnung habe ich dort nicht gefunden. Außerdem wohnen meine Eltern und meine Freunde auch alle in München und Umgebung. Die Entscheidung ist echt schwer.«

Das hörte sich ein bisschen an, als würde sie alleine leben, sonst hätte sie bestimmt einen Partner oder eine eigene Familie erwähnt.

»Ingolstadt ist also keine Option«, stellte Linus abschließend fest.

»Nein, zumindest nicht im Augenblick.«

Würde sie in Ingolstadt wohnen, könnte sie morgens ein wenig länger schlafen. Aber dann säße sie vermutlich jetzt nicht neben mir. Irritiert über seinen Gedanken, schaute er kurz auf das Lenkrad, dann wieder zu ihr hinüber. Sie war sympathisch, sehr sogar. Eine hübsche, natürlich wirkende junge Frau.

Ein Glücksimpuls durchfuhr ihn und entspannt legte er seine Hände auf die Oberschenkel. Warum beruhigte ihn die Annahme, dass sie Single war? In wenigen Minuten würde der Abschleppwagen kommen. Dann trennten sich ihre Wege und sie würden sich nie wieder sehen.

Ihre Lippen wirkten ein wenig trocken, und als hätte sie seinen Gedanken gehört, zückte sie einen Labello aus der Jackentasche. Er sah ihr dabei zu, wie sie mit dem Stift ihre Lippen nachfuhr. Verdammt, war das sexy. Zu gerne würde er mit seiner Zunge … Nun reiß dich mal zusammen!

Seine Augen wollten nicht von ihr weichen. Ihre von einem Haargummi kaum gebändigte feuerrote Lockenpracht entfaltete sich über ihren Schultern. Die Frau war eine Nixe! Soviel stand für Linus fest. Was für ein Anblick!

Der Schweiß brach ihm in den Handflächen aus und verstohlen wischte er sich über die Schenkel.

»Also, wenn Sie möchten, dann – können Sie mit mir mitfahren. Wir folgen dann einfach dem Abschleppwagen.«

Ihr Lächeln war umwerfend.

»Gerne. Aber haben Sie denn nichts anderes vor? Ihre Familie wartet doch bestimmt schon auf Sie?«

»Nein, ich lebe zur Zeit alleine.«

»Ach so, Strohwitwer.«

Du meine Güte, sie hatte ihn missverstanden. Allein ihr direkter Blick brachte ihn schon völlig durcheinander, und nun sollte er am besten gleich diesen Irrtum klar stellen. Verdammt, warum eigentlich? Das ging sie doch überhaupt nichts an, ebenso wenig wie ihn ihr Privatleben!

»Äh nein, ich meine, ich lebe überhaupt alleine.«

Nun senkte sie kurz die Lider, als wäre sie ein wenig verlegen. Hatte sie ohne Nachzudenken gefragt, aus purer Neugierde?

»Sie müssen also kein schlechtes Gewissen haben, aber wenn Sie lieber in den Abschleppwagen umsteigen?« Ein kurzer Blick in den Seitenspiegel zeigte ihm, dass dieser sich auf der Standspur näherte.

»Nein! Nein, ich würde sehr gerne bei Ihnen mitfahren.«

»Prima. Ich steig schon mal aus und helf dem Fahrer beim Aufladen. Sie können gerne sitzen bleiben.«

»Danke.«


6

Kopfschüttelnd betrachtete Maik das Konterfei seines Freundes in der Kontakteliste. Idiot, formulierten seine Lippen stumm. Das Handy beiseite legend versuchte er sich wieder auf seine Programmierung zu konzentrieren, was ihm nach Störungen jeglicher Art normalerweise mühelos gelang, als überlegte sein Gehirn in einem automatikgesteuerten Paralleluniversum weiter. Einsatzbereit lagen seine Finger auf den Tasten, bereit seine Anweisungen synchron zu übertragen. Aber – nichts. Sein Blick schweifte am Monitor vorbei durch den nüchtern gestalteten Raum, dessen einziger optischer Reiz in mehreren stachligen Kakteen bestand, die sein Kollege Tim auf dem Fensterbrett pflegte.

Der breite Bürostuhl mit dem abgewetzten Leder auf den Armlehnen klappte nach hinten. In der ansonsten funktional und modern eingerichteten Büroumgebung machte sich das Monstrum mit den deutlichen Abnutzungsspuren wie ein Fremdkörper aus. Trotzdem hatte der Chef schulterzuckend dem Einzug von Maiks persönlichem Baby zugestimmt, vielleicht weil er ahnte, dass sein Programmiergenie auf diesem Stuhl zu Höchstform auflief.

Schnaufend streckte dieser nun seine Beine von sich, legte den Kopf zurück und die Hände über dem Bauch zusammen, um nachzudenken.

»Was ist denn mit dir los? Funkloch?«, fragte Tim, einen kritischen Blick zu Maik hinüber werfend.

Funkloch war für sie ein Synonym gleichbedeutend damit, dass die Programmierung oder ein anderer Arbeitsvorgang gerade mangels Ideenansatz stoppte. Das konnte jedem Mal passieren. Schließlich waren sie immer noch Menschen, keine Roboter, auch wenn andere das gelegentlich abschätzig behaupteten, weil sie manchmal den ganzen Tag in ihre Tastatur hämmerten, ohne dass man den Eindruck hatte, sie würden atmen oder hätten andere menschliche Bedürfnisse.

Für gewöhnlich redeten Maik, Tim und die beiden Grafiker Melanie und Thorsten, die dasselbe Büro teilten, nicht viel miteinander. Zwar halfen sie sich bei Problemen, manchmal arbeiteten sie sogar am selben Projekt, aber zumindest Maik und Tim lagen nicht auf derselben Wellenlänge. Ihr Umgang war sachlich und reduziert, aufs Notwendigste beschränkt. In einer nicht ausgesprochenen stillen Vereinbarung waren sie übereingekommen, sich einfach in Ruhe zu lassen und zu respektieren, so dass private Informationen völlig außen vor blieben.

Deshalb empfand Maik die Frage seines Kollegen im Augenblick als lästig und erwiderte einsilbig: »Just a break.«

Er schloss die Augen, um nochmal den Wortlaut des Telefonats zu überdenken. Warum hatte Linus ihn nicht ins Vertrauen gezogen? Sie waren dicke Freunde seit der Grundschule, hatten jede Ferien miteinander verbracht, trafen sich mindestens einmal die Woche. Nicht ein einziges Wort hatte Linus über diese Partnervermittlung verloren. War es ihm einerseits so wichtig, die Frau fürs Leben zu finden, andererseits dieser Weg zu peinlich, um ihn seinem besten Freund anzuvertrauen? Und warum zum Teufel hatte er nicht sein eigenes Foto verwendet?

Eigentlich war dies doch nichts anderes als ein Blind Date. Vielleicht hatte die Frau ja ebenfalls ein falsches Foto gepostet, falsche Informationen eingegeben, angepasst an das, was Linus ihr unwissentlich als Köder geliefert hatte. Was, wenn Linus sich in seinem unbeirrbaren, unsäglichen Glauben an dieses dämliche Horoskop Hals über Kopf in ein Liebesabenteuer stürzte, das ihm das Herz brach?

Maik setzte sich wieder auf und betrachtete sein Spiegelbild in der glänzenden Scheibe des Monitors, der sich mittlerweile zu einem schwarzen Bildschirmschoner gedimmt hatte, der nichts als die aktuelle Uhrzeit anzeigte. Er selbst empfand sich nicht als schlecht aussehend und er hatte auch kein Problem damit, pummelig zu sein. Seine Eltern hatten stets hinter ihm gestanden und ihm geholfen, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Auch bei seiner Freundschaft mit Linus waren Äußerlichkeiten nie ein Thema gewesen. Sie verstanden sich einfach gut, heckten zusammen Streiche aus, vertrauten sich – bis jetzt.

 

Warum hat er mein Foto verwendet? Maik zog die Stirn in Falten. Bei allem Selbstbewusstsein war ihm durchaus klar, dass er es mit Linus’ Erscheinungsbild nicht aufnehmen konnte. Sein Freund war so attraktiv, dass die Frauen ihn anhimmelten, aber das genügte nicht. War es das? Hoffte Linus auf eine weniger oberflächliche Beziehung, indem er sich als äußerlich weniger optimiert ausgegeben hatte?

Eigentlich sollte er deswegen sauer auf ihn sein. Aber Maik hatte ein großes Herz, er konnte einfach nicht. Und wenn es so war, wie kam Linus darauf, dass dies eine gute Idee sei? Denn wenn – na, dann hätte doch Maik inzwischen längst selbst die Liebe seines Lebens gefunden. Dem war jedoch nicht so. Ihn nahmen die Frauen nicht ernst. Er war wohl nichts mehr als ein gemütlicher Teddybär, und wenn sie davon genug hatten, sehnten sie sich nach einem Mann, der vorzeigbarer war. Vermutlich spätestens dann, wenn ihre innere Uhr die Auswahl für den späteren Samenspender ihres Nachwuchses in Frage stellte. Wie auch immer. Solange Maik von Zeit zu Zeit ein erotisches Abenteuer erlebte, bei dem er auf seine Kosten kam, war ihm eine echte Beziehung nicht wichtig. Im Grunde genommen war er doch eher mit seiner Arbeit verbandelt. Bei richtiger Eingabe machte das Programm genau das, was er wollte. Von Frauen ließ sich das nicht behaupten.

Egal. Was war das für eine Frau, die sich angeblich in dieses rundliche Gesicht mit der Stupsnase, der eher blassen Haut mit unzähligen Sommersprossen, und dem kleinen Mund verguckt hatte, hinter dem sich ein paar unkonventionell stehende Zähne offenbarten? Was für Absichten verfolgte sie wirklich?

Noch ehe Maik zu Ende gedacht hatte, wurden seine Finger wie von selbst auf dem Handydisplay aktiv. Es galt, seinen Freund vor dessen grenzenloser Naivität zu schützen und diese Frau in Augenschein zu nehmen, die ihn ins Unglück stürzen könnte.


»Also Alter, nochmal zu deinem Anliegen: du willst wirklich, dass ich dahin gehe und dich vertrete?«, fragte Maik, kaum dass das Wählsignal verstummt war.

»Ja, sicher, du würdest mir wirklich einen Riesengefallen tun. Erklär’ ihr die Situation. Irgendwie. Bitte. Sag ihr, wie leid es mir tut. Das ist zumindest persönlicher als zu schreiben.«

Anscheinend war sein Freund jetzt schon gespannt auf die Reaktion seines Dates.

»Na gut, du verrückter Idiot. Ich mach’s. Allerdings musst du mir noch erklären, warum du mein Foto verwendet hast.«

Er hörte, wie Linus einen Seufzer von sich gab. Tja Alter, du hast dir das eingebrockt, nun mal raus mit der Wahrheit.

»Es ist keine Zeit für Erklärungen. Du hast noch genau fünf Minuten.«

Maik gab ein gequältes Lachen von sich. »Also im Prinzip gar keine Zeit, Umziehen ist da nicht mehr drin.« Er sah an sich herab. Na ja, wenigstens war da kein Ketchup-Fleck vom Mittags-Hamburger auf dem Shirt. Zwar legte er auf seinen Kleidungstil nicht so viel Wert, aber durchaus auf Sauberkeit, vor allem wenn es darum ging, eine Frau zu treffen. »Aber dass dir eins klar ist, die Sache mit dem Foto hat noch ein Nachspiel. Von wegen Datenschutz und so. Da bist du mir was schuldig!«, knurrte er verärgert. »Also, sie erkennt mich, und was ist mit mir? Wie sieht SIE aus? Und wie heißt sie überhaupt?«

»Maureen«, stieß Linus atemlos hervor.

Mann, dem ging wohl ganz schön die Düse. Musste ja eine mächtig attraktive Braut sein, wegen der er so einen Aufstand machte. Allmählich wurde Maik neugierig auf dieses Treffen.

»Sie heißt Maureen. Ich schick dir gleich ihr Foto. Und Maik – danke!«

»Mmmmh.«

Maik legte auf und wischte sich über die Stirn. Wenige Sekunden später meldete sein Handy fiepend den Eingang einer neuen Nachricht.

»Wow!« Sein Puls beschleunigte sich in Sekundenschnelle. Eins zu Null für die Frau. Leuchtend blaue Augen strahlten mit einem sympathischen, selbstbewussten Zahnpastalächeln um die Wette. Das dezent geschminkte Gesicht wurde von ellenlangen schwarzen Haaren umrahmt.

»Maureen«, murmelte Maik, während er seinen Bildschirm sperrte, aufstand und in seine Jeansjacke schlüpfte. Plötzlich konnte er es kaum erwarten, bis der Aufzug ihn die sechs Stockwerke des Medienhauses hinabgebracht hatte. Wie lange hatte er kein Date mehr gehabt? Also ein eigenes. Egal.

So schnell es seine Beine zuließen und ohne dabei zu sehr außer Atem zu geraten, nahm er den Weg Richtung Restaurant. Weit in der Ferne wurden eine Handvoll Wolken von der Sonne, die schon hinter den Dächern verschwand, in intensivem Rot angestrahlt. Ein letztes Zucken vor der nächtlichen Dunkelheit. Verdammt, war das kalt. Hatte er nicht heute Morgen einen Schal dabei gehabt? Egal, der würde bestimmt irgendwo im Büro liegen.

Maik fuhr sich mit den Fingern durch seine Igelfrisur und über die Augen, prüfte den Sitz seines Gürtels und ob der Reißverschluss seiner Hose geschlossen war. Man konnte ja nie wissen.

Er wich ein paar jungen Leuten aus, die ihm entgegen kamen, ausgelassen, fast hüpfend, ohne auf andere Passanten zu achten. Ein Mädchen streifte seinen Arm. »Entschuldigung«, murmelte es erschrocken, ehe es weiterging.

Maik lächelte ihr hinterher. »Schöne Frauen sollte man eigentlich nicht warten lassen«, flüsterte er und kicherte in sich hinein. Ein aufgeregtes Kribbeln bemächtigte sich seines Körpers und versetzte ihn in eine erwartungsvolle Stimmung. Er würde Maureen nicht einfach nur Linus’ Bedauern aussprechen und die Situation erklären. Wenn er sich schon für einen solch’ ungewöhnlichen Freundschaftsdienst opferte, dann würde er diesen Abend auf jeden Fall genießen!

Rund zehn Minuten nach dem vereinbarten Zeitpunkt traf Maik am Assado ein. Das war fast noch besser als seine normale ›Pünktlichkeit‹, mit der er es nie besonders genau nahm. Er blieb stehen, zupfte an seiner Jacke. Zweimal tief durchatmen und die Luft bis zum Letzten ausstoßen. Dann zog er die gläserne Eingangstür auf und ging hinein.

Es war schon eine Weile her, dass Maik hier gewesen war. Um alleine auszugehen war das Assado zu stilvoll. Hier ging man nicht nur hinein, um zu speisen, sondern um einen schönen Abend in geselligem Miteinander zu verbringen.

Beige Halbsäulen durchbrachen die in Ockertönen marmorierten Wände. Vorgezogene Stuckleisten versteckten die Röhren der indirekten, sanften Deckenbeleuchtung. Schwarze Stehlampen und dazu passende Wandlampen mit tulpenartigen Schirmen aus Milchglas setzten stilvolle Akzente. Ein paar echte Aquarelle mit Städtemotiven vervollständigten das Ambiente. Große Blattpflanzen anstelle von Vorhängen verwehrten zu viel Einblick von draußen durch die bodennahen hohen Fenster.

Die Aufteilung des Restaurants durch viele Raumteiler und weitere große Pflanzen in kleine Sitzgruppen erschwerte Maik die Suche. Die Plätze waren bereits gut besetzt, ohne Vorbestellung war es selbst unter der Woche beinahe aussichtslos, abends einen Tisch zu ergattern.

Runde um Runde suchte Maik und wurde allmählich ein wenig nervös. Hatte er Linus nicht richtig zugehört oder war dies das verkehrte Restaurant? Dann, nur wenige Meter vor ihm, stand eine Frau auf, zog den knapp knielangen Rock ihres Kostüms straff und griff nach ihrer Handtasche.

Maiks Sensoren vibrierten auf Hochtouren. Oha, die fackelte nicht lange, wenn die Verabredung zu spät kam. Die schimmernden schwarzen Haare lockten sich sanft den Rücken herab, fast bis zum Po. Das musste sie sein!

»Maureen?«

Langsam, wie in Zeitlupe, drehte sie sich auf ihren Stilettos um. Ein atemberaubender Anblick. Ein damenhaftes, aber nicht überstylt wirkendes Kostüm, darunter eine elegante Bluse. Ausdrucksvolle Augen und ein sinnlich geschwungener Mund. Und Mann, was für tolle lange Beine diese Frau hatte!

Der Blick aus den strahlend blauen Augen allerdings erschütterte ihn bis ins Mark. Es war kaum zu ertragen, ihrer intensiven Musterung standzuhalten. Dabei verzog sie keine Miene. Ihr Ausdruck war weder freundlich noch spöttisch oder herablassend. Er hätte es nicht benennen können, denn auf diese Weise war er noch nie angeschaut worden. Auf jeden Fall aber war Maik davon in eine Art ehrfürchtiges Erstaunen versetzt, sodass sein Gehirn sich von einer Sekunde auf die andere wie leergefegt anfühlte und er sich entsetzlich willenlos vorkam.

»Linus?«

Ihre Stimme war fest und bestimmend, dabei von einer angenehmen Tonlage, nicht schrill oder durchdringend. Und gleichzeitig lag in diesem einen Wort so viel Strenge, dass Maik mit einem Male bewusst wurde, in was für einem Schlamassel er sich befand.

Er war nicht der, den sie erwartete.

Er hieß nicht Linus.

Er war nicht pünktlich.

Er hatte nicht einmal Blumen zur Begrüßung mitgebracht.

Er war nicht passend gekleidet.

Und warum zum Kuckuck war ihm dies auf einmal wichtig?

Endlich fand er Worte. Er streckte ihr die Hand entgegen, wobei er ein klein wenig zu ihr aufschauen musste und war überrascht über den sicheren Händedruck, mit dem sie seinen erwiderte. Als er sich vorbeugte, um sie zusätzlich auf die Wange zu küssen, wich sie ihm aus.

Wer so vorsichtig war, seine Mobilnummer nicht rauszugeben, ließ sich halt auch nicht beim ersten Kontakt gleich abschmusen. Eigentlich hatte sie recht, so zu reagieren.

»Hallo Maureen, ich freue mich ja so, dich endlich persönlich kennenzulernen und …«

Eine Handbewegung genügte und ihre gebieterische Geste ließ ihn innehalten.

»Kommst du immer zu spät?«, schnaubte sie.


7

Bodennebel waberte über die an die Autobahn grenzenden Grünflächen und zeugte von Feuchtigkeit und fallenden Temperaturen. Der tagsüber zart keimende Frühling versank des Nachts unter einer herb frostigen Decke.

Morgen muss ich zum Glück nicht fahren, dachte Lola erleichtert. Vor einigen Monaten war ihr das Arbeiten im Homeoffice genehmigt worden und seither durfte sie Dienstags und Freitags zuhause bleiben. Eine, wie sie fand, sehr viel effizientere Art zu arbeiten. Niemand kam herein, um sie abgesehen von einer einzigen wichtigen Frage darüber hinaus in einen längeren privaten Plausch zu verwickeln. Ab und zu war das ja ganz nett und natürlich wollte auch sie ein bisschen mehr von ihren Kollegen erfahren, aber manchmal nervte es sie auch, wenn sie gerade an einer kniffligen Sache saß. Irgendwelche Fragen ließen sich erfahrungsgemäß schneller per Email oder Telefon abklären.

Seither kochte Lola sich an diesen Tagen gegen sechs oder halb sieben Uhr morgens eine Tasse Tee und setzte sich noch im Pyjama an den Rechner. So arbeitete sie am liebsten, im Hintergrund leise Musik aus dem Radio oder von einer ihrer Lieblings-CDs. Ein stressfreier Morgenbeginn, ohne den Krieg auf der Straße. Meistens schaffte sie bis zehn Uhr mehr als an den anderen Tagen und gönnte sich dann ein verspätetes, ausgiebiges Frühstück. Inzwischen freute sie sich schon auf der abendlichen Heimfahrt darauf.

Die beiden Männer schwatzten erstmal eine Runde, ehe sie sich um ihr Auto kümmerten. Vielleicht kannten sie einander von anderen Fällen? Atemwölkchen stiegen vor ihren Gesichtern auf und verloren sich im Dunkeln. Dann endlich nahm der Abschleppwagen seinen kleineren Artgenossen Huckepack.

Wehmut machte sich in Lola breit. Hoffentlich fehlte ihrem Schätzchen nichts Ernstes. Wie süß sich das angehört hatte, als der Pannenhelfer ihren Wagen als »Knutschkugel« bezeichnet hatte. Ja, diesem Auto haftete schon etwas »Nettes« an, so klein und kompakt wie es war. Wobei der Mini sich sportlicher gab, als sie selbst vermutet hatte und ihren Ansprüchen völlig genügte. Und geknutscht hatte sie darin noch nie. Mangels Gelegenheit.

 

Der Mann vom Abschleppdienst klopfte an die Scheibe und öffnete die Beifahrertür für die Unterschrift unter ein Formular. Er fragte Lola nach ihrem Ziel und ihrer Wunschwerkstatt und sie nannte ihm die Adresse.

Linus startete den Wagen und gähnte kurz hinter vorgehaltener Hand. Mühelos reihten sie sich hinter dem vorausfahrenden Abschleppwagen ein. Vom Stau war inzwischen nichts mehr zu sehen und auch alle Hinweise auf den verursachenden Unfall waren verschwunden.

»Müde?«, fragte Lola und fühlte selbst eine gewisse Schwere in den Gliedern.

»Ein wenig. Jetzt wäre ein doppelter Espresso recht, oder wenigstens ein Kaffee. Aber meine Thermoskanne ist leider auch schon leer.«

»Seit wann sind Sie denn unterwegs?«

»Heute seit acht Uhr.«

»Variiert das?«

»Oh ja, das kommt auf den Einsatzplan an. Manchmal muss ich eine Woche lang morgens um vier raus, dafür die andere Woche erst um zwei Uhr nachmittags, und dazwischen sind wir natürlich auch wechselweise für Wochenend- und Nachtdienst eingeteilt.«

»Ist es nicht recht anstrengend, zu so unregelmäßigen Zeiten zu arbeiten?«

»Eigentlich nicht, daran gewöhnt man sich im Laufe der Jahre. Und wir vertreten ja den Anspruch, zu jeder Tages- und Nachtzeit den Autofahrern zu helfen«, sagte Linus, mit heraushörbarem Stolz. »Und Sie?«

»Ach, ich stehe um fünf Uhr auf, aber ich glaube, daran werde ich mich nie gewöhnen. Das ist einfach nicht meine Zeit.« Lola lächelte. »Wenigstens muss ich an zwei Tagen die Woche nicht ganz so früh raus, weil ich da Homeoffice mache, so wie morgen.«

»Und? Ist das gut oder sind Sie da oft in Versuchung, mal eben zwischendurch die Waschmaschine anzuwerfen oder den Geschirrspüler auszuräumen?«

Lola lachte. »Die Versuchung, sich ablenken zu lassen, ist schon da. Aber das hab ich im Griff. Dafür stehlen mir keine Kollegen die Zeit, die bei mir im Büro herumstehen und reden und reden und vergessen haben, wo die Tür ist.«

»Tja, das kann mir natürlich nicht passieren«, erwiderte Linus und schaute lachend wieder kurz zu ihr herüber.

War es einfach so, dass sie einem Orangen Engel automatisch ein gewisses Vertrauen entgegen brachte, oder strahlte er ganz persönlich etwas aus, das ihr Inneres ansprach? In seiner Gegenwart fühlte sie sich wohl und geborgen, als ob sie sich schon eine Ewigkeit kennen würden.

»Ist Ihnen warm genug?«

»Oh ja, vielen Dank. Finde ich übrigens toll, dass Sie mich mitnehmen. Machen Sie so etwas öfter?«

Himmel, was fragte sie denn so blöd? Hitze stieg ihr ins Gesicht.

Eine Sekunde verging, dann schaute er kurz zu ihr herüber, wandte den Blick aber gleich wieder zurück auf die Straße. Konnte es sein, dass sie ihn verlegen gemacht hatte?

»Nein, das ist das erste Mal«, erwiderte er ein wenig rau.

Am liebsten hätte sie ihn gefragt warum, und sie wünschte sich, dass es etwas zu bedeuten hätte. Gegen die Dunkelheit zeichnete sich sein Profil jetzt nur noch schwach ab, aber was sie von ihm gesehen hatte, genügte ihr. Ein markant männliches Gesicht mit einer gewissen Ähnlichkeit zu Paul Walker, und braunen, kurz geschnittenen Haaren. Straßenretter hatte sie sich immer ein wenig grobschlächtiger vorgestellt, eher mit der Statur eines Bodybuilders. Aber natürlich war das Blödsinn.

»Und – was arbeiten Sie da so, in Manching? Ich meine, sofern Sie darüber sprechen können.«

Was das betraf, hatte er ins Schwarze getroffen. Der größte Teil ihrer Arbeit unterlag der Geheimhaltung. Zu groß war die Gefahr von Werksspionage oder anderen kriminellen Interessen.

»Also, im weitesten Sinne bereite ich Informationsmaterial und technische Unterlagen auf.«

»Sie fertigen Handbücher über die Funktionsweise eines bestimmten Flugzeugtyps?«

»Nja, so etwas Ähnliches«, gab Lola zu. Seine Vermutung war nicht allzu weit von der Wirklichkeit entfernt.

»Und vermutlich streng geheim«, raunte er kaum hörbar zurück, mit einem Schmunzeln.

»Genau das«, hauchte Lola zurück, als müssten sie beide heimliche Zuhörer befürchten.

Eine Weile sagte keiner von ihnen mehr etwas, bis die Lichter der Stadt in der Dunkelheit vor ihnen auftauchten.

Lola sah auf die Uhr. »Oh, schon so spät? Hoffentlich treffen wir überhaupt noch jemanden in der Werkstatt an!«

»Falls nicht, laden wir Ihren Wagen dort ab und Sie rufen morgen früh an.«

»Hmm.« Das kostete alles Zeit. Von ihrer Vertragswerkstatt bis nach Hause brauchte sie normalerweise fast zwanzig Minuten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln noch länger. Aber vielleicht konnte sie einen Leihwagen bekommen.

»Da vorne ist es.«

Linus nickte. Er parkte auf der Straße, während der Abschleppwagen auf das Gelände einbog.

Glücklicherweise war noch jemand in der Werkstatt und nahm die Schlüssel entgegen. Lola schilderte mit Linus’ Unterstützung das Problem. Enttäuscht vernahm sie, dass der Mitarbeiter nicht befugt war, ihr einen Leihwagen zu geben. Sie musste einfach damit zufrieden sein, dass überhaupt noch jemand vor Ort gewesen war.

»Wenn Sie möchten, bringe ich Sie nach Hause«, bot Linus ihr an.

Beklemmung erfasste Lola. Ein ähnlich formuliertes Angebot hatte sie einmal angenommen und die schlechte Erfahrung machen müssen, dass damit eine bestimmte Erwartung verbunden worden war. Man sah Menschen nicht immer an, was sie dachten und in Wahrheit wollten. Gehörte dieser Mann auch dazu? Andererseits, er würde sicherlich nicht riskieren, dass sie sich über ihn beschwerte, weil er sie sexuell belästigt hatte.

Lola dachte noch immer über die Optionen nach, als Linus sie anlächelte und damit ihren Argwohn zerstreute. Als er die Beifahrertür öffnete, stieg sie ein. »Und es macht Ihnen auch bestimmt keine Umstände?«

Linus schüttelte den Kopf. »Nein, machen Sie sich darüber keine Sorgen.«

»Okay, dann sage ich Danke.«

Während der Fahrt sprachen sie kein Wort.

»Da vorne ist es.« Lola deutete geradeaus, auf ein Mietshaus, dessen gelber Anstrich im Licht der wenigen Straßenlaternen kaum zu erkennen war. »Der zweite Eingang.«

Linus hielt mangels freiem Parkplatz in zweiter Reihe, schaltete die Warnblinkanlage ein und den Motor aus.

»So, da sind wir.«

»Ja. Angekommen.«

Herrgott, fiel ihnen denn nichts Intelligenteres zu reden ein? Sollte sie ihn noch hereinbitten? Eigentlich war er ja ganz nett und sah auch gut aus. Aber nein, er war lediglich ein Mann, der ihr geholfen hatte und das war sein Beruf.

»Ich drück’ Ihnen die Daumen, dass der Fehler schnell gefunden wird. Bestimmt ist es nur eine Kleinigkeit, die dem Auto fehlt.«

»Der Knutschkugel«, ergänzte Lola.

»Genau«, grinste Linus und streckte ihr die Hand entgegen. »Auf Wiedersehen, Frau Gehrke. Und noch einen schönen Abend.«

Lola schluckte. Sie wusste nicht so recht, was sie sagen sollte. Nicht einmal ein Trinkgeld konnte sie ihm geben. Ihre Geldbörse war fast leer, wie sie wusste, da sie am Morgen getankt hatte.

»Ihnen auch. Und noch einmal vielen Dank fürs Heimfahren und überhaupt.«

Sein Händedruck war angenehm fest, ohne jedoch ihre Finger zu quetschen, und sie erwiderte den Druck entsprechend. Vorsichtig öffnete sie die Tür, darauf bedacht nicht an dem neben ihnen parkenden Auto anzustoßen, und stieg aus. Er wartete noch und sah ihr hinterher, bis sie die Haustür erreicht hatte. Dann erst startete er den Motor, winkte ihr einen letzten Gruß zu und fuhr weiter.

Ein Gefühl der Leere überkam sie, als sie die Wohnung betrat und das Licht anmachte. Es war so still, so verdammt still. Nicht einmal, als keiner von ihnen gesprochen hatte, war es derart still gewesen.

Verwirrt setzte Lola sich auf das Sofa im Wohnzimmer und starrte vor sich hin.

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