Wenn die Nacht stirbt und dunkle Mächte sich erheben

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Loe katkendit
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Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde

Liebe Mel!

Beim Aufwachen waren meine Augen immer noch verquollen vom Weinen und ich trug die Kleidung von gestern, da ich nicht mehr die Kraft gehabt hatte mich auszuziehen, nachdem ich endlich zur Ruhe gekommen war. Leicht schwankend stand ich von meinem Bett auf und tapste ins Badezimmer, um mich unter die Dusche zu stellen. Kühles Wasser prasselte über meine Haare und meinen Rücken, während ich langsam richtig wach wurde. Der Schweiß rann von meiner Stirn und meine Muskeln lockerten sich, wodurch mein Körper sich entspannte. Ich war unendlich müde und mein Handgelenk pochte schmerzhaft. Blaue Flecken in der Größe von Hunters Hand verzierten die zarte Haut an meinem Arm und auf meinem rechten Oberschenkel. Traurig blickte ich an mir herunter, bevor ich das Wasser abstellte. Meine zitternden Glieder machten einen geschundenen Gesamteindruck und erinnerten mich an das schöne Date mit dem misslungenen Ende. Ich blieb noch einen kleinen Moment in der Dusche stehen und erfreute mich der Stille, die in dem kleinen Badezimmer herrschte, während ich deprimiert an gestern zurückdachte.

Ich nahm das nächstgelegene Handtuch und tupfte die Hämatome vorsichtig trocken, bevor ich den Rest meiner Haut von den Wassertropfen befreite. Jedes Mal, wenn ich einen der blauen Flecken berührte, zuckte ich vor Schmerz zusammen und versuchte nicht zu schreien.

Ich hörte, wie Taranee leise aufstand und sich im Nebenzimmer anzog, während ich in meine Unterwäsche schlüpfte, als meine Haut endlich trocken war. Eilig zog ich mich fertig an, als Tara bereits an die Tür klopfte, weil sie auch ins Bad wollte. Umgehend machte ich ihr Platz, achtete aber darauf, dass die Verletzungen unter meiner Kleidung unsichtbar wurden, sodass meine Mitbewohnerin sich keine Sorgen machen musste. Als meine Haare getrocknet waren und ich meine Schuhe angezogen hatte, setzte ich mich an den Schreibtisch und wartete geduldig, bis Tara ihre Morgenroutine beendet hatte. Die vier Bücher, die ich für den heutigen Schultag benötigte, packte ich in meinen schwarzen Rucksack und legte meinen Füller obendrauf.

Vampirella trug ein schwarzes Kleid, als sie das Badezimmer verließ. Ihre Mimik war ausdruckslos wie immer, als wir zum Frühstück aufbrachen. Eigentlich hatte ich erwartet, dass Hunter bereits vor meinem Zimmer warten würde, um sich zu entschuldigen, doch der Gang war wie leer gefegt. Es war noch zu früh, als dass viele Schülerinnen schon zum Essen gingen und normalerweise war ich froh über die Ruhe am Morgen. Doch heute war es nicht angenehm. Ganz im Gegenteil. Es war, als würde die unheimliche Stille Unheil voraussagen und mich vor der lauernden Gefahr warnen wollen. Geknickt machte ich mich mit Tara im Schlepptau auf den Weg in die große Halle, in der wir uns mit den anderen treffen würden. Auch hier war keine Spur des Schwarzhaarigen, obwohl er sonst einer der Ersten war, die sich den Magen vollschlugen. Dafür waren aber Jonathan und Jaimie anwesend, die in einer Ecke saßen und hitzig miteinander diskutierten.

»Gib mir recht, Read!«, verlangte Dein Bruder, als ich mich näherte und ein Lächeln erschien auf meinen Lippen. Die beiden schafften es stets, mich aufzuheitern, egal wie trüb meine Stimmung sein mochte.

»Hör nicht auf ihn! Dass du überhaupt daran denkst, ist lächerlich, Jaimie«, behauptete der ältere der beiden und sah sein Gegenüber mit verzweifeltem Blick an.

»Wo brennt es denn?«, wollte Taranee wissen und quetschte sich zwischen die beiden Burschen, obwohl weder Dein Bruder noch Jona besonders begeistert aussahen bei dieser Geste.

»Jaimie verliert langsam den Verstand«, meinte der Morgan-Bruder und rollte demonstrativ mit den Augen, bevor er sich einen Löffel Joghurt in den Mund schaufelte.

»Was? Ich hab doch nur gesagt, dass sie hübsch ist und ich genau sehe, wie du sie ansiehst. Gib doch einfach zu, dass du sie willst«, wütete der Blonde und drehte sich von seinem besten Freund weg, nachdem er seine Arme verschränkt hatte.

»Ich sehe sie nicht an«, verteidigte Jona sich, obwohl es dafür keinen Grund gab. Jonathan war seit Cassandras Tod Single. Er konnte tun und lassen, was er wollte. Doch das schien der Bruder meines Gemahls selbst anders zu sehen, denn er versuchte inbrünstig, Jaimie von seiner Abneigung dem Mädchen gegenüber zu überzeugen, während der Blonde demonstrativ die Augen zusammenkniff.

»Um wen geht es?«, fragte Lora, die sich zusammen mit Nathalia unserem Tisch näherte, bevor Jona sich nochmals herausreden konnte.

»Alexandria Athena, drei As für ein Halleluja, Andrews«, fauchte der Jüngste am Tisch und seine Wangen färbten sich leicht rot, aufgrund der Anstrengungen, die er unternahm, um Jonathans Blick auszuweichen. Den Schmollmund, den Jaimie dabei aufsetzte, ließ ihn nicht wütend, sondern niedlich aussehen, aber es schien bei Jona den gewünschten Effekt zu erzielen. Der Ältere zuckte zusammen und sah schuldbewusst drein. Nervös spielte Jona mit seinen Fingern und murmelte in seinen nicht vorhandenen Bart Ausreden, die er nicht einmal selbst glauben konnte.

»Heißt sie wirklich so?«, fragte ich und musste mir ein Kichern verkneifen.

»Ja und sie ist dir sicher schon aufgefallen, Read. Alexa ist die reiche Schlampe mit den blonden Haaren aus deinem Schauspielkurs. Du weißt schon, die die immer ihre Brüste zur Schau stellt, um die weibliche Hauptrolle zu bekommen. Verfluchte Bitch«, zischte Jaimie verärgert und biss sich auf die Lippen, während ich große Augen bekam. Dein Bruder fluchte nie. Zumindest nicht in meiner Gegenwart. Bis zu diesem Moment wusste ich nicht einmal, dass er es konnte. Doch die Situation schien ihn so sehr mitzunehmen, dass er seine guten Manieren über Bord warf. Aber ich hätte damit rechnen müssen, dass der Blonde ein genauso vorlautes Mundwerk hatte wie seine große Schwester. Er hatte es nur besser getarnt und musste es nie einsetzen, da Du seine Kämpfe ausgefochten hattest. Aber nun warst Du nicht mehr da und Jaimie zeigte jeden Tag aufs Neue, dass Ihr Euch ähnlicher gewesen wart, als er den Rest von uns ahnen ließ.

»Sie ist keine Schlampe«, verteidigte Jonathan die Schauspielerin, womit er Deinen Bruder nicht gerade beruhigte. Eher das Gegenteil war der Fall. Der Blonde schien noch wütender zu werden und die Zähne zu fletschen. Er reckte das Kinn und schenkte Jona einen vernichtenden Blick.

»Ach, wie nennst du Mädchen, die mit der halben Schule geschlafen haben denn sonst?«, schrie der Grünäugige und erhob sich prompt von der Bank.

»Stimmt, sie macht es mit jedem«, warf Tara wenig hilfreich ein und kassierte von mir einen leichten Schlag auf den Hinterkopf. Sie sollte Jaimie nicht auch noch in seinem unbegründeten Zorn bestärken, sondern helfen den Konflikt zu lösen, ohne dass es Verletzte gab. Jona hatte das Recht sein Leben weiterzuleben, auch wenn Dein Bruder, im Gegensatz zu seinem besten Freund, nicht über Cassandras Tod, der durch Dein Ableben präsenter war als je zuvor, hinwegkam. Außerdem konnte Alex keine schlechte Schauspielerin sein, immerhin war ihre Interpretation der Julia so glaubwürdig, dass Lady Twister, die Professorin für darstellendes Spiel, heute noch davon sprach.

»Warum lästern wir eigentlich über die Millionärstochter?«, verlangte Nathalia zu wissen und brach damit Jaimies Damm. Zuerst nur vereinzelt und dann immer schneller flossen ihm Tränen über die geröteten Wangen. Ein Schluchzen verließ seine Lippen und mein Herz verkrampfte sich mitleidig bei seinen Worten.

»Sie hat Jona gefragt, ob er mit ihr zum Sommeranfangsfest geht und er hat zugesagt, obwohl er mir versprochen hat, dass wir zu zweit gehen, weil Mel mich sonst immer mitgenommen hat, sodass ich nicht allein in einer Ecke stehen musste. Aber ich bin mir sicher, ihr werdet viel Spaß haben. Pass nur auf, dass sie dich mit keinen Krankheiten ansteckt«, giftete Jaimie und fuhr mit der Hand über sein tränennasses Gesicht.

Seine ersten Worte richtete Jaimie an uns alle, aber es war klar, dass das Ende für Jonathan bestimmt war, der ruhig und mit bleichen Gesicht auf die Tischplatte starrte, während sein bester Freund sich weinend den Frust von der Seele schrie. Jona schien unfähig zu sein, irgendetwas zu sagen, und erstaunlicherweise konnte ich ihn verstehen. Auch für mich war der Ausbruch deines Bruders nichts Neues, da er seit Deinem Tod sehr nah am Wasser gebaut war, aber noch nie war er wegen einer Kleinigkeit derart an die Decke gegangen oder hatte jemanden seiner Freunde beleidigt. Die Tatsache, dass genau seinem besten Freund die Verfluchungen galten, war ein Schock. Aber für den Kleinen schien der Gedanke, allein in einer Menschenmenge stehen zu müssen, keine Kleinigkeit zu sein.

Seine Augen waren blutunterlaufen und er schniefte unentwegt, während er seine Stimme erhob. Mitleidig schloss ich meine Augenlider, um seine traurigen Gesichtszüge nicht sehen zu müssen. Wie konnte ich auch nur einen Moment glauben, dass es hierbei um Cassandra ging? Natürlich vermisste Dein Bruder Dich – mehr als wir alle anderen zusammen.

»Du kannst auch mit uns zum Fest gehen, Jaimie«, flüsterte meine Mitbewohnerin tröstend und streichelte über seinen Oberarm. Doch der Blonde starrte einfach nur Jona an, als er ihren Arm wegschlug und mit schnellen Schritten die Halle verließ. Sein Blick war wutverzerrt, während er Jonathan ein letztes Mal musterte, als wäre er eine Kakerlake. Entschlossen Jaimie aufzuheitern, wollte ich meinem jüngsten Freund folgen, doch ich wurde von Nathalia zurückgehalten.

»Er sollte sich erst einmal beruhigen«, murmelte sie und aß einen Löffel ihres Müslis, als wäre nichts passiert. Ungewollt blieb ich sitzen und stellte mir vor, wie Jaimie aufgelöst den Gang entlanglief und versuchte, die Tränen zurückzuhalten, während er sich ein Taschentuch auf die Nase drückte. Aber vielleicht hatte Nathalia recht und ich sollte mich erst einmischen, wenn sich die Gemüter beruhigt hatten. Das war damals mein Gedanke, als ich sitzen blieb, Mel. Heute weiß ich, dass ich ihm nachlaufen hätte sollen, um ihn zu trösten. Aber ich hatte ihn im Stich gelassen und auf Nathalias Rat vertraut.

 

»Also Andrews und du?«, hakte Tara nach, um die Atmosphäre aufzulockern. Jonathan schüttelte müde den Kopf und vergrub sein Gesicht in seinen Händen.

»Nein. Jaimie hat mitbekommen, wie sie mich eingeladen hat und gab mir keine Chance auch nur zu antworten, bevor er mich mit Vorwürfen überhäuft hat. Aber bevor du fragst, ich hätte wahrscheinlich Nein gesagt, Read«, beantwortete er die Frage und ich lächelte kurz, weil ich genau das als Nächstes von ihm hätte wissen wollen. Es war schön zu wissen, dass Jona mich so gut kannte, obwohl wir noch nicht allzu lange befreundet waren.

»Er wird sich wieder beruhigen«, sagte ich zuversichtlich, um Jonathan, der mich verzweifelt musterte, zu beruhigen. Noch wusste ich es nicht, Mel, aber Dein Bruder würde sich nicht wieder beruhigen. Es würde sogar noch schlimmer werden.

»Ich hoffe, du hast recht«, erwiderte er, wurde aber von Tara unterbrochen.

»Wann hat Read das nicht?«, sagte meine Zimmergenossin monoton und verdrehte belustigt die Augen. Daraufhin begannen wir alle zu lachen und scherzten über Alexandras gepolsterte Lippen, die wie aufgespritzt aussehen, und ihren Daddy, der ihr diverse Schönheitsoperationen bezahlte, damit seine Tochter mit der gesamten Fußballmannschaft schlafen konnte. Einerseits fühlte ich mich schuldig, weil ich über ein Mädchen lästerte, das ich kaum kannte. Andererseits war es genau das Richtige, um mich von der Traurigkeit, die wie ein Schatten an mir haftete, abzulenken. Wenn ich gewusst hätte, was uns noch alles bevorstand, hätte ich zu dieser Zeit viel öfter unbeschwert mit ihnen gelacht. Aber wie heißt es so schön: Im Nachhinein ist man immer schlauer.

Der lustige Moment wehrte jedoch nur kurz, als Hunter die Halle betrat und mir das Lachen augenblicklich im Hals stecken blieb. Seine dunklen Augen suchten die Schülerschaft nach uns ab, aber seine Miene verriet nicht, was er dachte. Ausdruckslos setzte er einen Fuß vor den anderen. Mit schweren Schritten kam er direkt auf unseren Tisch zu und meine Hände begannen zu schwitzen. Jetzt schlug die Stunde der Wahrheit. Ob er den gestrigen Abend bereute?

Hunter trug eine schwarze Hose und dazu das weinrote Hemd, das ich so sehr an ihm liebte, weil es seine Tätowierung auf seiner Brust erahnen ließ. Eng schmiegte sich die Kleidung an seine Haut, sodass sich die Muskeln unter dem Stoff abzeichneten. Lässig hatte er seinen Rucksack über seine Schulter geworfen, während er mir immer näherkam. Er sah umwerfend aus. Fast noch besser als gestern Abend. Mein Herz begann schneller zu klopfen und mir wurde heiß und kalt zugleich.

»Guten Morgen«, sagte er gefühlskalt in die Runde, obwohl er mich ansah. Seine Pupillen waren stark geweitet, sodass ich kaum noch seine Iriden erkennen konnte.

»Morgen«, erwiderte ich und kaute auf meiner Unterlippe, die bestimmt schon geschwollen war von der ständigen Knabberei.

»Hast du gut geschlafen?«, fragte ich vorsichtig, als die Stille zwischen uns unangenehm wurde, weil er lieber mein Gesicht studierte, anstatt den Mund aufzumachen. Ich hielt gespannt die Luft an, bis sich ein Brennen durch meine Lungen zog.

»Nein«, antwortete er und ich atmete froh aus. Ich setzte ein Lächeln auf und wollte ihn gerade bitten, mit mir über gestern Abend zu reden, als Hunter weitersprach und meine Gesichtszüge entgleisen ließ: »Ich konnte die ganze Nacht nur daran denken, dir den Hals umzudrehen.«

Obwohl er laut genug sprach, damit die ganze Halle ihn verstehen konnte, beugte er sich zu meinem Ohr herunter. Seine Stimme klang kalt wie Eis und seine Augen hatten die Farbe von einem verwesenden Fisch, der seit Tagen am Strand in der Sonne lag und langsam anfing zu stinken. Es war etwas zwischen milchig grau und schleimig grün. Undefinierbar. Da waren mir die geweiteten Pupillen, die ihn wie einen Drogensüchtigen aussehen ließen, lieber gewesen.

Hunter hatte die Arme zur Abwehr vor der Brust verschränkt und streifte mit Absicht meine Haut, um mich zu verunsichern. Seine Lippen waren spöttisch verzogen und sein Blick zeigte nichts als Verachtung. Schlussendlich küsste er meine Wange, griff auf meinen Teller, um sich mein Brötchen zu schnappen, und richtete sich danach wieder auf. Als hätte er sich an mir verbrannt, trat er mehrere Schritte von meinem bebenden Körper zurück und ich hasste mich selbst, weil mein Zittern verriet, wie sehr Hunter es schaffte, mich aus der Fassung zu bringen. Als würde er meine Gedanken lesen, lachte der Schwarzhaarige gehässig und verließ die Halle wieder, während ich, unfähig mich zu bewegen, in die entsetzten Grimassen meiner verstörten Freunde sah und mir wie vor den Kopf gestoßen der Mund aufklappte.

»Beim Namen der Göttin, was war das?«, fragte Jona, der sichtlich verwirrt vom Verhalten seines Bruders war, und wischte seinen Löffel, der durch den Schock in seiner Schüssel gelandet war, mit einer Serviette ab. Milch tropfte auf die Tischplatte, aber niemand wischte sie weg.

»Read?«, bohrte Tara nach und wartete gespannt darauf, dass ich wieder zu mir kam. Aber ich konnte mich nicht aus meiner Trance lösen. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr.

»Read ...?«, wiederholte Tara und legte mir eine Hand auf die Schulter, um meine Starre zu beenden. Und es funktionierte. Ich fühlte mich zwar immer noch wie paralysiert, aber ich konnte mich wieder hinsetzen und traurig meinen Kopf auf die Tischplatte sinken lassen.

»Wir hatten Streit«, murmelte ich verbittert in den Tisch und beruhigte meinen Herzschlag, der durch die Decke ging. Eilig erzählte ich vom gestrigen Desaster, wobei ich nicht zuließ, dass mich die Erinnerungen überwältigten und ich erneut zusammenbrach. Ein öffentlicher Weinkrampf wäre ein gefundenes Fressen für meine Mitschüler, und am Ende würde noch mehr über uns getratscht werden als sowieso schon.

Ich versuchte, mich so kurz wie möglich zu fassen, ohne etwas auszulassen, und redete besonders leise, damit niemand vom Nebentisch, der bereits wieder das Interesse an uns verloren hatte, mithören konnte. Hin und wieder fragte Jonathan etwas, wenn ich mich selbst in Erklärungen für Hunters Verhalten verstrickte, und auch meine Mitbewohnerin schaffte es nicht, still zuzuhören, sondern rief zwischendurch verschiedene Verfluchungen, wenn ich die Worte meines Gemahls wiedergab. Taranee zeigte kaum ihre innere Gefühlswelt, doch auch ihr war diesmal anzusehen, dass sie entsetzt und wütend war. Eine Falte hatte sich zwischen ihren Augenbrauen gebildet, ihre Hände waren zu Fäusten geballt, sie hatte die Zähne zusammengebissen und ihre Nasenflügel bebten. Ihre Augen waren zu Schlitzen zusammengekniffen und ihr verzogenes Gesicht war rot angelaufen. Ich wusste gar nicht, dass Tara so viele Gesichtsmuskeln gleichzeitig anspannen konnte.

Am Ende meines Berichts war ich ein kleines Häufchen Elend und Lora legte ihren Arm um meine Schultern, um mich zu trösten, weil in meinen Augen gegen meinen Willen Tränen schwammen. An diesem Morgen war bereits zu viel geheult worden, wenn Du mich fragen würdest, aber der Tag war noch jung, und wenn Hunter sich weiter wie ein Scheusal aufführte, würden es nicht die letzten Tränen bleiben, die ich heute vergoss. Von allen Seiten bekam ich Zuspruch, dass ich richtig gehandelt hatte, und meine Mitbewohnerin versuchte sogar, mich aufzuheitern, indem sie Hunter mit lustigen Tiernamen beleidigte. Bei einer ihrer Formulierungen, die den Schwarzhaarigen mit einem Pavianarsch mit Krötenwarzen verglich, huschte tatsächlich ein Lächeln über mein Gesicht. Die einzige Reaktion, die überhaupt nicht ins Bild passte, kam von Nathalia, die kurz nach der Beendung meiner Geschichte auf meine Wunden Salz streute, indem sie dem jüngeren Morgan-Bruder recht gab.

»Es wäre nur Sex gewesen, und wenn wir ehrlich sind, wird es sowieso passieren, wenn er dein Gemahl ist. Worauf willst du warten? Bis ihr alt und grau seid?«, fragte die Brünette und schaufelte sich ihren Joghurt in den Rachen.

Das war das erste Mal, dass ich Nathalia wünschte, sie würde an ihrem Essen ersticken, obwohl sie meine Freundin war. Ich fühlte mich schlecht, weil ich wusste, dass es falsch war, ihr vorzuwerfen, sie hätte den Tod verdient. Doch meine Emotionen spielten verrückt und ich hatte es langsam satt, immer eine gute Miene aufzusetzen. Ich brauchte Trost und Verständnis, keine moralischen Belehrungen.

»Darum geht es nicht, Nat«, meinte Lora schnell, um Nathalia auf ihre unpassende Aussage aufmerksam zu machen, während sie mir beruhigend über meinen Oberschenkel streichelte. Lora hätte einen Orden verdient gehabt, Mel. Sie blieb freundlich, obwohl ihr Nathalias Aussage laut ihrem Gesichtsausdruck genauso wenig schmeckte wie mir.

»Genau darum geht es«, beharrte die Brünette auf ihrer Meinung und schnalzte mit der Zunge. »Hunter tut viel für Read, weil er sie liebt, aber von ihr kommt nichts zurück. Mich würde das auch aufregen«, behauptete Nathalia und stand auf, um ihr Tablett wegzubringen. Die Härte in ihrer Stimme verursachte bei mir einen schmerzhaften Stich, der sich durch meine Eingeweide zog. Mir war klar, dass in ihren Worten viel Wahrheit steckte, auch wenn sie es unschön formuliert hatte. Der Umstand, dass sie mir das Gleiche vorwarf, wie Hunter gestern Nacht, verschlimmerte meine Schuldgefühle. Ich hätte sie gerne angeschrien. Nathalia hatte keine Ahnung, wie es mir ging. Warum mischte sie sich überhaupt ein?

»Das war nicht hilfreich«, fauchte Taranee der Braunhaarigen hinterher und schob mir ein neues Brötchen auf den Teller, um mich zum Essen zu bewegen. Paradox, nicht wahr? Das Mädchen, das mit Abstand am meisten zunehmen sollte, wollte mir mit ihrer Geste zeigen, dass ich, auch wenn das Leben hart war, weitermachen musste und essen sollte. Aber mir war der Appetit vergangen.

»Keinen Hunger«, murmelte ich erschöpft und wünschte, ich müsste nicht zum Unterricht nach diesem grauenhaften Morgen. Aber weder Nörgeln noch Flehen half. Erbarmungslos zog meine Zimmergenossin mich hinter sich her.

Wenig später fand ich mich in Brodowicks Geschichtsstunde wieder und versuchte angestrengt, dem Professor zuzuhören. Während er von der Entstehung der Hexenfeste erzählte, hing mein Blick auf der großen Uhr über der Tür. Ich beobachtete die Zeiger, die sich für meinen Geschmack heute zu langsam bewegten und betete zur Göttin, dass ich bald wieder in mein Bett zurückdürfte. Aber Diana schien meine Gebete heute einfach nicht zu erhören.

Mir war sterbenslangweilig und es ging augenscheinlich nicht nur mir so. Im ganzen Klassenzimmer lagen Schüler mit dem Kopf auf ihrer Tischplatte und hatten die Augen geschlossen, doch Brodowick schien sich daran nicht zu stören und redete einfach weiter, als würden alle aufmerksam zuhören. Tara, die neben mir saß, spielte mit Deinem Armband und seufzte hier und da. Auch sie war bereits weggetreten und schien mit ihren Gedanken weit weg zu sein. Woran sie wohl dachte?

Das Ticken der Uhr hallte laut in meinem Kopf wider und es fiel mir schwer, nicht andauern die Uhrzeit zu kontrollieren. Ich konnte es nicht leugnen. Mich zerfraßen meine Sorgen innerlich und deshalb kam mir der Alltag, der sich wie eine Ewigkeit zog, sinnlos vor. Wenn der Unterricht anspruchsvoll oder interessant gewesen wäre, hätte ich wenigstens nicht meinen Gedanken zuhören müssen, die mir mein Gehirn entgegenschrie. Aber so war ich verdammt dazu, mir den Kopf zu zerbrechen. Die Vorstellung Rabiana nicht die Stirn bieten zu können, war schon schlimm gewesen, doch gepaart mit der Angst, meinen Gemahl zu verlieren, wurde meine Panik übermächtig. Hunters Stuhl war leer. Er war nicht zum Unterricht erschienen und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Einerseits war es gut, da ich somit erneuten Konfrontationen aus dem Weg gehen konnte, aber andererseits würden wir nichts an der Situation ändern können, wenn wir nicht darüber sprachen. Oder war genau das der Plan dahinter?

Auch Nathalias Sitzplatz war unbesetzt, wodurch ein merkwürdiges Gefühl sich einen Weg durch meine Innereien bahnte. Ob sie recht gehabt und ich überreagiert hatte? Vielleicht war ich diejenige, die sich entschuldigen sollte.

In meiner Magengrube begann es seltsam zu pochen und mir wurde eiskalt, obwohl ich schwitzte. Ein schmerzhafter Stich zog sich durch meine Nervenbahnen und es rumorte unangenehm in meinem Bauch. Ein eigenartiger Geschmack entstand in meinem Mund, als ich aufstoßen musste, und ich hatte die Befürchtung mein Frühstück gleich wiederzusehen. Was war auf einmal los?

 

»Read, alles klar?«, wollte Tara wissen, die mein bleiches Gesicht, trotz ihrer psychischen Abwesenheit, bemerkt hatte. Ich nickte kurz und stand im nächsten Moment auf. Schnell verließ ich den Raum, um mich auf der Mädchentoilette zu verbarrikadieren. Frische Luft und ein paar Minuten allein sein, um neue Kraft zu tanken, würden mir sicherlich guttun. Als Taranee sich ebenfalls erheben wollte, winkte ich ab. Ich war alt genug, um über den Gang zu gehen, ohne mich am Arm meiner Freundin festzuhalten. Vielleicht wäre es im Nachhinein betrachtet doch besser gewesen, wenn sie mich begleitet hätte, dachte ich, als ich erneut das Verlangen bekam, mich zu übergeben. Schnell lief ich den Korridor entlang und schlug die Tür zu den Toiletten auf. Es stank wie in jedem öffentlichen WC und der Geruch reichte aus, um mir den Rest zu geben. Ich spuckte mein Frühstück ins Waschbecken und hielt mir unbeholfen die Haare aus dem Gesicht, damit die Strähnen nichts von der schleimigen Magensäure abbekamen. Noch während ich meinen Magen entleerte, ließ ich das Wasser aus dem Hahn laufen, um mir gleich den Mund ausspülen zu können. Nach dem dritten Mal verschwand der widerwärtige Geschmack aus meiner Mundhöhle und ich setzte mich auf den klebenden Boden, um meinen Kreislauf zu entlasten. Ich lehnte den Kopf gegen das Porzellan des Waschbeckens und atmete tief durch. Wobei ich penibel darauf achtete mit dem Mund einzuatmen, da ich mir nicht sicher war, ob mein Magen dem Geruch nach Erbrochenem standhalten würde. Im Spiegel mir gegenüber konnte ich mein fahles, fast kränklich aussehendes Gesicht betrachten. Schweiß rann von meiner Stirn und meine Haare standen zerzaust in alle Richtungen ab. Ich sah müde und erschöpft aus. Genauso fühlte ich mich auch.

Lange saß ich einfach mit geschlossenen Augen da und wartete, bis der Schauer des Ekels und das mulmige Gefühl in meinem Bauch verschwanden. Aber statt besser wurde der Schmerz in meiner Magengrube immer schlimmer und ich keuchte verwirrt, als auch mein Kopf zu pochen begann. Ob ich krank wurde? Hoffentlich nichts Ernstes, sonst würde die Prüfungsphase ein Horrortrip werden.

Meine Sicht verschwamm vor meinen Augen und mein Herz raste. Einen Moment hatte ich das Gefühl den Verstand zu verlieren, als sich mein Spiegelbild veränderte und meine dunklen Haare heller wurden. Mein Gesicht wurde schmaler und meine Nase schien zu schrumpfen. Panisch tastete ich mit meinen Händen meine Wangen ab, aber alles war normal. Meine Fingerspitzen waren leicht kalt, als ich den riesigen Zinken in der Mitte meines Gesichts streifte und meine Haut fühlte sich immer noch leicht fettig an, wegen der Creme, die ich heute Morgen aufgetragen hatte. Verlor ich den Verstand? Oder hatte ich seit neuestem Halluzinationen? Frustriert schloss ich wieder die Augen in der Hoffnung, der Schmerz in meiner Stirn würde abflauen. Überraschenderweise klappte es und das Pochen verschwand schlagartig. Vorsichtig öffnete ich die Augenlider und testete, ob der Schmerz zurückkehrte. Doch nichts geschah und auch das Spiegelbild war wieder glasklar zu erkennen. Hatte ich mir die falschen Gesichtszüge eingebildet? Vermutlich. Zumindest redete ich mir das ein und entspannte mich. Zweimal gähnte ich, während ich meine Haare glatt strich. Die aufkommende Panik hatte mich ausgelaugt und ich hätte auf der Stelle einschlafen können.

Als ich mir sicher war, dass die Übelkeit nicht wiederkommen würde, erhob ich mich von den schmierigen Fliesen und wusch meine Stirn kalt ab. Außerdem ließ ich das Wasser über meine Handgelenke fließen und war froh, dass daraufhin auch der Schwindel nachließ. Auch die flackernden schwarzen Flecken vor meinen Augen lösten sich in Luft auf. Das taube Gefühl in meinem Kopf blieb jedoch. Es war nicht unangenehm oder schmerzhaft. Es war wie ein Männchen, das sich in meinem Gehirn eingenistet und die Steuerung übernommen hatte. Meine Glieder bewegten sich, ohne dass ich es verhindern konnte, und wenn ich die Hand heben wollte, blieb sie einfach an Ort und Stelle, ohne sich zu rühren. Wie ferngesteuert ging ich mit nassen Händen auf die Tür zu und verschwand schleunigst aus der stinkenden Mädchentoilette. Früher dachte ich, dass die jungentoiletten dreckiger seien, weil Mädchen reinlicher waren als Männer, doch heutzutage konnte ich mir das nur noch schwer vorstellen. Wenn junge Frauen das Blut ihrer Menstruation an den Wandfliesen verteilten und es nicht schafften die Klobrille abzuwischen, wodurch eine beißende Geruchsbildung zustande kam, war das unvorstellbar widerlich. Schlimmer konnte es bei den Männern auch nicht zugehen.

Die Luft auf den leeren Gängen fühlte sich kühl an meinen feuchten Fingern an, aber ich genoss die Brise, bevor ich wieder ins stickige Klassenzimmer zurückmusste. Ich wusste nicht, ob es Dir zu Deinen Lebzeiten aufgefallen war, Mel, aber in den Unterrichtsräumen wurde nie gelüftet, auch wenn sich durch das ganze Gebäude Lüftungsschächte zogen, die als Ersatz für die fehlenden Fenster dienten. Die gleiche Luft stand praktisch Tag für Tag im Klassenzimmer und wurde durch zu viel Parfüm oder schwitzende Schüler geschwängert. Kein Wunder, dass mein Magen rebellierte.

Als ich mich gerade auf den Weg in den Unterricht machen wollte, ließ mich ein dumpfes Geräusch innehalten. Der Krach zog meine Aufmerksamkeit auf sich und ich blieb wie angewurzelt stehen. Leise, für mich kaum hörbar, wimmerte eine Person, die sich maximal hinter der nächsten Ecke befinden konnte. Immer noch war ich wie gelähmt. Meine Beine gehorchten mir nicht mehr und in meinem Kopf spielten sich hunderte Vorstellungen ab, wie der Bursche gefoltert werden könnte. Vor meinem inneren Auge sah ich bereits Blut spritzen und kalte tote Augen, die mir entgegensahen, weil ich wieder einmal zu spät war, um einem Mitschüler das Leben zu retten. Einen Moment dachte ich ernsthaft darüber nach laut zu schreien oder wenigstens eins der Klassenzimmer aufzureißen und einen Lehrer um Hilfe zu bitten. Doch ich tat nichts davon. Ich stand einfach nur auf dem Marmorboden und hörte dem Mann beim Keuchen zu. Als der Schüler atemlos aufschrie und jemanden bat, es schnell zu beenden, kam wieder Leben in mich und ich lief den Gang entlang. Meine Schritte wurden immer schneller, während der junge Mann mehrere Male keuchte. Ich musste ihm helfen, koste es, was es wolle. Selbst wenn Rabiana persönlich vor mir stünde, würde ich nicht mehr zulassen, dass Unschuldige zu Schaden kamen, weil meine leibliche Familie es nicht fertiggebracht hatte, am Leben zu bleiben und dem verrückten Ratsmitglied den Garaus zu machen.

Bevor ich um die Ecke bog, blieb ich noch mal stehen, um meinen Puls zu beruhigen und mich für das Kommende zu wappnen. Aber ich will ehrlich sein, Mel. Ich hätte mich nicht auf den Anblick, der sich mir bot, vorbereiten können. Nicht einmal in meinen schlimmsten Träumen hätte ich mir ausmalen können, so verraten zu werden. In Erwartung einen Kampf mit schweren Verletzungen oder einen sterbenden Schüler zu sehen, war ich zur Hilfe geeilt und nun wurde mir das Herz aus der Brust gerissen.

Hunter saß mit dem Rücken an der Wand auf dem Boden und hatte den Kopf in den Nacken gelegt, während er versuchte, seinen Atem zu kontrollieren. Seine Finger gruben sich in seine Handflächen und sein Rucksack lag neben seinem rechten Arm, genauso wie die Tasche von Nathalia. Die Brünette war über meinen Gemahl gebeugt und hatte ebenfalls entspannt die Augen geschlossen. Hunters Hemd stand bis zum letzten Knopf offen, sodass ich den schwarzen Raben in voller Größe bewundern konnte. Das Tier zeichnete sich stark von der gebräunten Haut ab und ich suchte panisch nach Verletzungen, in der Hoffnung meine Augen würden mir einen Streich spielen. Aber der Schwarzhaarige war unversehrt, wenn man die Spuren von Nathalias Fingernägeln auf seinem Bauch außer Acht ließ. Die Brünette trug kein Shirt, aber dafür hatte sie im Gegensatz zu Hunter noch eine geschlossene Hose an. Auch wenn diese Tatsache nur wenig für ihre Unschuld sprach, bedachte man, dass sie ihre Brüste meinem Seelenverwandten ins Gesicht drückte. Die zierlichen Finger des Mädchens bearbeiteten die Körpermitte des jüngeren Morgan-Bruders, der den Namen der braunhaarigen Schönheit stöhnte, während er konstant auf seinen Orgasmus zusteuerte und Nathalias Kopf in seinen Schoß drückte. Fest riss er ihr an den Haaren, doch es schien die Grünäugige nicht zu stören, da sie weder meckerte, noch ihn bat aufzuhören. Schlimmer war es in einem Pornokino bestimmt nicht, obwohl dort das Aneinanderklatschen von Haut und billiges Gestöhne an der Tagesordnung stand.

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