Über den Missouri

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Als die ersten Stunden der Nacht vergangen waren, begann der Gefangene darauf aufmerksam zu werden, dass etwas anders verlief als in den anderen Nächten. Roach hatte sich sehr früh zu Bett gelegt; der Dakota hatte die Schritte und das Quietschen der Zwischentür gehört; das waren Geräusche, die er genau kannte. Der Capt’n schnarchte, und der Gefangene unterdrückte mühsam sein Husten, weil er etwas Ungewöhnliches vernommen hatte und lauschen wollte. Der Wachposten, der sich wie jede Nacht im Kommandantenzimmer eingerichtet hatte, verließ das Haus eben wieder. Der Dakota hörte ihn hinausgehen und zuschließen. Zeit verging, aber der Posten kam nicht wieder.

In dem Gefangenen sprang ein Argwohn auf, der ihn im Grunde Tag und Nacht beseelte. Er glaubte, dass Roach ihn ermorden lassen wollte. Er wartete im Stillen jeden Tag und jede Nacht auf einen Mörder. Warum war jetzt die Wache weggegangen? Sollte etwas geschehen, wovon der Kommandant dienstlich nichts gewusst haben wollte?

Es musste um Mitternacht sein. Roach schnarchte immer noch.

Die Tür zum Kommandantenzimmer wurde wieder aufgeschlossen. Es trat jemand ein und schloss wieder zu. Schritte ließen sich hören: Das waren nicht die Schritte des Wächters. Es war ein leichter, tastender Schritt. Ein Brett knarrte. Darauf war es wieder still, als ob jemand fürchtete, sich zu verraten.

Der Dakota bewegte den Kopf. Seine wochen- und monatelangen Kopfschmerzen beeinträchtigten sein scharfes Wahrnehmungsvermögen, aber sein Wille zwang seine Gehörnerven und sein Gehirn, in diesem Augenblick zu funktionieren. Er horchte angespannt und nahm den nächsten vorsichtigen Schritt wahr.

Die Vermutungen und die Stimmung des Gefangenen schlugen um. Eine derartige Vorsicht zu üben, hätte ein Mörder im Auftrag des Capt’n nicht nötig gehabt. Alle Hoffnungen, die der Gefangene lange und gewaltsam hinuntergewürgt hatte und auch jetzt niederhalten wollte, erhoben sich und überwältigten ihn.

Wer war da oben? Was wollte er? Würde er den Deckel heben?

An dem Deckel, der die Bodenöffnung zum Keller verschloss, wurde gearbeitet. Der Deckel bewegte sich ein wenig, fiel wieder zurück, als sei er schwachen Händen zu schwer gewesen, und bewegte sich von neuem. Er wurde ganz aufgehoben. Der Gefangene befand sich in einiger Entfernung von der Öffnung und konnte nicht hinaufsehen. Er hörte aber, wie die Leiter bewegt, und sah dann, wie sie langsam heruntergelassen wurde. Es erschienen zwei kleine Füße in hohen Reitstiefeln, die von Sprosse zu Sprosse abwärts stiegen.

Die Dunkelheit war von einem schwachen Schimmer des Mondlichts aufgehellt. Der Dakota erblickte ein Mädchen. Sie hatte den Kellerboden erreicht, sah sich um und ging auf den Gefangenen zu.

»Du kennst mich, Tokei-ihto«, sagte sie einfach. »Ich bin Cate, die Tochter des Samuel Smith. Mein Vater ist gestorben. Ich gehe jetzt auch fort. Tobias hat mir den Auftrag gegeben, dir vorher etwas zu sagen.«

»Ja?« Das Wort war mehr ein Bewegen der Lippen als ein Ton.

»Der Krieg ist zu Ende. Der Befehl, dich zu entlassen, ist schon da. In spätestens vierzehn Tagen hat Roach auf seine Rückfrage die Bestätigung, dass er ihn unbedingt ausführen muss. Tobias ist der Bote. Du wirst frei.«

Das Wort »frei« traf den Gefangenen wie ein Kriegsruf, der den Mann aus dem Schlaf weckt; die Willenskraft des Häuptlings sprang sofort auf, und ohne Gefühlen Raum zu geben, konzentrierte er sein Denken. Er musste fragen, er konnte fragen; das war seine erste Waffe, nach der er zu greifen vermochte. »Wie hat der Krieg geendet?«

»Mit eurer Niederlage, Häuptling. Es ist wahr, dass ihr erst große Siege errungen habt. Eure Häuptlinge Sitting Bull und Crazy Horse haben die Truppe des Generals Custer vernichtet, und Custer selbst ist gefallen. Nur ein einziger Scout und ein Maultier entkamen. Auch die Generale Crook, Benteen und Reno habt ihr geschlagen, und sie mussten sich zurückziehen. Aber dann ist euren Männern die Munition ausgegangen. Sie mussten weichen.«

»Wo ist Red Fox?«

»Zur Agentur geritten. Er wird dort Dolmetscher.«

»Was macht Adams?«

»Er ist entflohen, als sie seine Eisenfeile bei dir fanden. Er geht nach Kanada. In den Staaten, wo sein Vater ermordet wurde, will er nicht bleiben.«

»Sein Vater ermordet? Wie geschah das?«

»Sie haben dem alten Mann die Farm weggenommen, weil er das Land, das er von den Dakota gekauft und das er urbar gemacht hatte, nicht noch einmal bezahlen konnte und auch nicht noch einmal bezahlen wollte. Er sagte, es sei Betrug. Als die Dakota vertrieben waren und die Langmesser kamen, hat er sich mit der Flinte zur Wehr gesetzt. Dann floh er: Sie haben ihn aufgegriffen und haben ihn nach ihrer Sitte mit heißem Teer beschmiert und mit Federn beklebt und gehetzt, bis er tot war. Auch die weißen Männer verstehen zu martern.«

»Das weiß ich. – Wie wird Adams in Kanada leben?«

»Er will sich Fallen leihen bei der Pelzkompanie und will mit Thomas und Theo zusammen als Biberjäger arbeiten. Wenn er wieder Land bekommt, will er Vieh züchten und ackern. Sein Schicksal ist wie das eines roten Mannes – vertrieben ist er und wenig geachtet.«

»Aber dennoch will er kein Indianer sein. So sagte er mir einmal.«

Cate dachte nach.

»Die Haut des Adams ist weiß, und seine Augen sind blau, aber heute wäre er euer Bruder, wenn er bei euch leben dürfte. Er darf es aber nicht. Die Grenzen der Reservation sind für Weiße verschlossen.«

»Hält er sich noch in der Nähe auf?«

»Ja. Er wartet mit Thomas und Theo auf mich.«

»Adams, der solche Worte gesprochen hat, wie du sie mir berichtest, wollte uns dennoch verachten, weil wir nicht den Pflug führen und Vieh züchten.«

»Aber das würdet ihr lernen«, erwiderte Cate. »Wie gern würde Adams euch das heute lehren, wenn es ihm erlaubt wäre.«

Im Hof ließen sich Schritte vernehmen. Das Mädchen zog sich zu der Leiter zurück. Die Schritte entfernten sich.

»Gehe jetzt!«, forderte der Gefangene Cate auf. »Du darfst nicht entdeckt werden. Dein Mut war groß genug.«

»Ich gehe. Du bist unser Bruder. Wenn du frei wirst, komme nach Kanada. Dort verfolgt dich niemand. Wir werden an der Grenze in der Nähe der Waldberge sein.«

»Sage dem Tobias: Ich will um mein Leben kämpfen. Hau. – Aber nun gehe.«

»Lebe wohl!« Cate stieg schnell die Leiter hinauf und zog sie hoch. Sie ließ den Deckel wieder herunter. Der Gefangene vernahm noch ihre leichten, vorsichtigen Schritte. Schließlich hörte er, wie sie die Außentür öffnete und schloss. Dann war alles still.

Der Dakota gedachte der Nachrichten, die ihm Cate Smith gebracht hatte. Er war erst vierundzwanzig Jahre alt, und er sah noch einmal eine Aufgabe vor sich.

Von Stund an begann er um vierzehn Tage Leben zu ringen, um die Tage und Nächte bis zu jenem Moment, in dem Roach ihn freilassen musste.

Der Gefangene straffte seine Muskeln gegen den Druck der Kette. Selbst wenn er sich erbrechen musste, aß er, um keinen Anlass zu geben, dass der Wächter ihm wieder den Becher mit Wasser verweigerte. Mit eiserner Anstrengung hielt er einen regelmäßigen Wechsel von Wachen und Schlafen ein.

Vierzehn Tage später, an einem trüben Nachmittag, kam der vierschrötige Wächter früher als sonst zu dem Gefangenen. Es war noch nicht die Stunde der Abendmahlzeit, und er hatte auch nichts bei sich. Als er vor dem Dakota stand, holte er umständlich Schlüssel aus der Tasche und zeigte sie dem Gefangenen. »Du sollst zum Kommandanten kommen«, sagte er, »zu Capt’n Roach. Benimm dich anständig. Davon hängt dein Leben ab.«

Er schloss die Handschellen und die Kette auf und nahm dem Gefangenen die Fußfesseln ab. Der Dakota ließ sich nicht anmerken, dass er die Erleichterung empfand.

»So«, befahl der Vierschrötige, der die Pistole gezogen hatte, »nun vorwärts, die Leiter hinauf. Und mache mir keine Schwierigkeiten. Droben stehen schon ein paar und nehmen dich in Empfang.«

Der Dakota folgte stumm der Anweisung. Er fürchtete, dass ihm seine Feinde einen Fluchtversuch unterschieben und ihn erschießen würden. Aber er konnte ihren Befehlen auch keinen Widerstand leisten, sonst würde er aus diesem Grunde erschossen.

Als er das Arbeitszimmer des Kommandanten betrat, erkannte er am Schreibtisch Roach. Vier Dragoner mit gezogenen Pistolen schützten den Capt’n vor einem befürchteten Hass- und Verzweiflungsausbruch des zu entlassenen Gefangenen. Der Capt’n hatte sich nach seiner Gewohnheit zurückgelehnt und hielt die Zigarette zwischen den gelben Fingern. In seiner Miene lag alles, was ein karrierelüsterner und bösartiger Mensch im Augenblick eines Triumphes empfindet. Er rümpfte die Nase, als der Indianer in den blut- und staubbedeckten Kleidern vor ihm stand, deren kostbare Stickerei kaum mehr zu erkennen war.

»Was bringst du mir den Kerl dreckig und stinkend hier herein!«, schnarrte er den vierschrötigen Rauhreiter an. »Du hättest ihm erst ein paar Kübel Wasser übergießen können. Lass jetzt«, fügte er hinzu, »wir werden die Angelegenheit möglichst kurz machen.« Er betrachtete den Dakota wie ein Tier, das auf dem Markt taxiert wird. »Du scheinst ziemlich krank zu sein, Schwindsucht oder etwas Ähnliches.« Roach gab sich keine Mühe, seine Befriedigung darüber zu verbergen. »Der Feldscher meinte jedenfalls Schwindsucht. – Es bestehen in Washington keine Bedenken mehr, dich zu entlassen, wenn du zur Vernunft gekommen bist und unterschreibst, dass du dich widerstandslos auf die Reservation begeben wirst.« Roach spielte mit einem Schriftstück. »Nun, wie steht’s? Hast du dir die Sache überlegt?«

»Dass ich mich selbst auf die Reservation begeben werde?«

»Ja, natürlich. Für deinen Stamm brauchst du nicht mehr zu unterschreiben. Der ist längst dort.«

 

»Ich begebe mich ohne Widerstand auf die Reservation.«

»Famos. Was doch so ein paar Monate Keller ausmachen können! Ein ganz anderer Mensch geworden!« Roach schob dem Dakota das Schriftstück hin. »Hier! Unterzeichne!«

Der Indianer hatte in der Zeit, in der er viel mit Weißen umgegangen war, lesen gelernt. Er studierte sorgfältig die Sätze, die er unterschreiben sollte. Sie enthielten tatsächlich nichts anderes, als was Roach gesagt hatte. Der Dakota unterschrieb im Stehen.

»Deine Waffen bekommst du nicht mehr. Du wirst jetzt aus einem Wilden zu einem zivilisierten Menschen werden. Morgen früh geht die Reise los. Tobias hat einen Brief nach Fort Robinson zu bringen, er kann dich mitnehmen. Dein Gaul ist dir wiedergeschenkt, die Bestie ist doch nicht zu gebrauchen. Und sieh zu, dass du uns auch das andere Raubtier fortschaffst, den schwarzen Wolf, der die Gegend unsicher macht. Das soll dein Hund sein?!«

Der Dakota zuckte die Achseln.

Roach sah sich um. »Wo ist denn Tobias?«, fragte er die Anwesenden. »Es war ihm befohlen, zu kommen.«

Die Tür tat sich auf, und der Gesuchte trat ein.

»Aha, Tobias! Hier ist dein Schützling. Er geht auf die Reservation. Du nimmst ihn morgen mit. Heute Nacht kann er mit dir im Mannschaftshaus schlafen.«

»Hau.«

Ohne ein weiteres Wort verließen die beiden Indianer den Raum. Draußen im Hof war es dämmrig, der Abend brach schon herein. Ein paar umstehende Soldaten und Rauhreiter schauten mit unverhohlener Neugier nach dem entlassenen Gefangenen, und dieser hörte ihre Reden.

»Kein Kunststück, den jetzt freizulassen. Dem sieht jeder an, dass er’s nicht mehr lange macht.«

»Verdient hat er nicht, dass er überhaupt frei wird. Ich hab noch nicht vergessen, wie er den Leutnant Warner im Finstern niedergestochen hat.«

Der Dakota unterdrückte seinen Husten.

Tobias führte ihn in das Mannschaftshaus. Zwei Petroleumlampen erleuchteten matt den düsteren Raum. Der Delaware kramte an seinem Schlafplatz in der Ecke. Er gab dem Dakota von seinem Pemmikan, und ein flüchtiges Lächeln glitt über Tokei-ihtos Züge, als er seine alte Pfeife zurückerhielt.

Die Mannschaften fanden sich am Abend schwatzend, rauchend und spielend in dem Blockhaus zusammen. Die meisten beachteten die beiden Indianer gar nicht, aber aus einer Gruppe alter Mannschaften, die die erbitterten Kämpfe um die Station noch mitgemacht hatten, flogen böse Blicke und feindselige Bemerkungen herüber. »Was soll das stinkende Schwein hier bei uns?« – »Vielleicht erzählt er uns mal, wie er George und Mike und die anderen ermordet hat!« – »Nehmt ihm doch das Feuerzeug weg, sonst fliegen wir heute Nacht noch einmal in die Luft!«

Der Dakota ließ sich nicht anmerken, ob er verstanden habe. Der Delaware wollte einen Zusammenstoß, bei dem der entlassene Gefangene gelyncht werden konnte, vermeiden. »Gehen wir zu den Pferden!«, schlug er vor.

Der Dakota erhob sich rasch, und die beiden Indianer verließen das Haus. Die Wache am Tor ließ Tobias mit seinem Begleiter durch. Vor dem Tor war eine Koppel, in der einige Tiere das braune Wintergras weideten. Nur ein falber Hengst stand mit gesenktem Kopf, ohne zu fressen. Der Dakota lockte leise. Der magere Falbe, dessen Fell die Spuren vieler Misshandlungen zeigte, hob den Kopf, spitzte die Ohren und war dann mit wenigen Galoppsprüngen an der Umzäunung. Er legte die weichen Nüstern an die Wange des einzigen Reiters, den er je auf seinem Rücken geduldet hatte, und der Dakota streichelte ihm den Hals.

Die Indianer verständigten sich mit einem Blick. Tobias nahm die Stangen am Koppelausgang heraus, und die beiden holten sich ihre Tiere.

Sie ritten in die Prärie hinaus. Weit über das Land zu blicken, das war ein erster Wunsch des Befreiten.

Als die Reiter die Station so weit hinter sich gelassen hatten, dass sie von dort nicht mehr gehört und gesehen werden konnten, machten sie halt. Der Dakota musste den Falben scharf zügeln, denn das Tier wollte stürmisch weiter in die Freiheit und zu den ihm bekannten Prärien im Südwesten ausbrechen. Feine Schneekristalle huschten mit ihrem schnell aufblitzenden und wieder versinkenden Schimmer durch die Lüfte. Zwischen den Wolken flimmerten Sterne, fern wie seit Tausenden und Abertausenden von Jahren. Der Vollmond, Herr der Nacht, zog kreisrund am Himmelsgewölbe empor. Feierlich wanderte er durch die Finsternis und erhellte sie mit einem drohenden roten Schein. Rings lag das leere Land. Seine Söhne, die Dakota, waren vertrieben, und noch hatte keiner der neuen Herren Lust gezeigt, sich in der unfruchtbaren Wildnis niederzulassen. Endlich schweifte der Blick über kahle Sandhügel, über von kurzem Gras bewachsene Höhenkämme und Täler. Am Flussufer neigten sich spärliche Weiden im Atem der Nacht.

Der Häuptling sah zum letzten Mal seine große Heimat. Am nächsten Morgen sollte der Ritt zur Reservation beginnen.

Er öffnete die Lippen, und leise und dumpf begann sein Klagelied über die weite Steppe zu tönen. Der Klang mischte sich mit dem rauhen Singen des Windes.

Lange und einsam sang der Häuptling, immer wieder von Husten unterbrochen, und der heimatlose Delaware hörte in dem Lied des Dakota die eigene Klage.

Da war es, als habe das Lied des Indianers den schlafenden Boden geweckt. Von einem der mondbeschienenen Hügel hob sich ein fremder Schatten. Es war ein Wolf, anders als andere Wölfe, größer und dunkel. Das magere Tier mit seinem geöffneten Rachen und den gleißenden Augen erschien wie ein Spuk, der sich erheben und durch die Lüfte davonfahren kann. Aber er blieb am Boden haften, und langsam, Schritt für Schritt, kam er heran, immer näher zu dem dumpfen Klageton, der dem Wind und den Wölfen von den Taten der Dakota und ihrem Schicksal erzählte.

Der Häuptling hatte den Wolf erkannt. Aber er rührte sich nicht. Leise sang er weiter, und seine Stimme zog das Tier heran wie ein mächtiger Zauber. Knurrend noch, mit gefletschten Zähnen schlich der Schwarze herbei. Endlich traten seine Pfoten am Platz das Gras. Sein Knurren ging in Winseln über, und er legte sich.

Als der Häuptling schwieg, stieß das Tier einen bellenden Laut aus. Unaufhörlich zog seine feine Nase die Witterung ein.

»Ohitika!«

Der Hund sprang den Dakota an, so dass dieser sich einstemmen musste, um nicht umgeworfen zu werden. Laut jaulte das Tier auf. Der Falbe hatte den schwarzen Wolfshund auch erkannt. Er schnaubte und begann, an dem dürren Gras zu rupfen.

»Nun frisst er wieder«, sagte der Delaware.

Spät ritten die Indianer zu der Station zurück. Sie blieben außerhalb der Palisaden in der Koppel bei den Pferden. Die Wache kümmerte sich nicht um sie.

Der Delaware gab dem Dakota den zweischneidig geschliffenen Dolch mit dem geschnitzten Griff zurück. »Hier«, sagte er, »das ist die einzige erlaubte Waffe für dich. Ich habe sie aus Oberst Jackmans Gepäck herausgenommen, als er die Station verließ. Er wird es erst in der Garnison bemerkt haben und konnte nicht mehr nachforschen.«

Der Dakota steckte die vertraute Waffe in die Scheide.

Noch ehe die Angehörigen der Garnison am nächsten Morgen erwachten, standen die beiden Indianer am Flussufer und legten die Kleider ab, um sich zu baden. Einer der Posten bei den Pferden kam zu ihnen her. Es war ein älterer Mann mit einem dichten Vollbart.

»Lass das sein«, sagte er zu dem entlassenen Gefangenen. »Der Fluss ist eisig, und du bist krank. Willst du gleich krepieren, nachdem sie dich freigelassen haben? Komm rüber in das Blockhaus! Ich gebe dir warmes Wasser. Das geht keinen anderen dort was an!«

Der Häuptling beantwortete und beachtete die Warnung nicht, sondern sprang in den Fluss und schwamm.

»Hat man schon eine solche Unvernunft gesehen!« Der Vollbärtige schüttelte bedauernd den Kopf. »Die Wilden haben doch keinen Funken Verstand.«

»Die Dakota kennen das nicht anders«, erklärte Tobias dem Mann. »Sie nehmen zwar Dampfbäder; aber das Ende ist immer das Schwimmen im Fluss.«

»Das Ende, ja, richtig gesagt!« Der gutmütige Mann ging zu den Pferden zurück.

Tobias sprang dem Dakota nach in die seichten Fluten. Dann rieben sich beide am Ufer mit Sand ab. Der Körper des Dakota schauerte im Fieber, und sein Herz kämpfte, aber als er allen Schmutz, wo es nicht anders ging, samt der Haut abgeschürft hatte, fühlte er sich wie ein Mensch, der aus der Folter entlassen ist. Der Delaware gab dem Dakota neue indianische Leggings und Mokassins und ein Gürteltuch. Der junge Häuptling nahm das alles. Aber seinen Wampumgürtel und den blutbesudelten Festrock gab er nicht her, sondern legte beides wieder an.

Da die beiden Indianer unter sich waren, fragte der Dakota in seiner Muttersprache: »Wie konnte mein Name bis Washington dringen?«

»Der Maler Morris, den ihr Dakota Weitfliegender Vogel Geheimnisstab nennt, hat für dich gesprochen. Er war immer ein Freund der Dakota und wollte wenigstens dich retten, wenn er auch sonst nichts für euch zu tun vermag.«

»Was macht Cate Smith?«

»Sie hat vor zehn Tagen eine Gelegenheit gefunden, mit einer Händlerfamilie wegzureiten. Roach gab die Erlaubnis dazu; er war froh, das Mädchen nicht mehr zu sehen. Unterwegs wird Adams, der Rauhreiter, sie treffen und ihr weiterhelfen. Ich, denke, er nimmt sie zu seiner Frau.«

Als der Morgen hell und die Station lebendig wurde, hatten die Indianer ihren Ritt zur Reservation schon begonnen. Der schwarze Wolfshund lief mit ihnen. Tobias hatte die Richtung angegeben, aber der Dakota führte, um dem Falben den gewohnten ersten Platz in der Reihe zu gönnen. Wie gut kannten Reiter und Pferd das Gelände! Das waren die Wiesen und Sandstrecken, die Hügel und Bodenwellen, durch die der Kriegshäuptling der Bärenbande seine Männer mehr als zwei Jahre hindurch zu ihren erfolgreichen Angriffen auf die Truppe am Niobrara geführt hatte.

Der Delaware, dessen Schecke von selbst in der Spur des Vorreiters lief, schaute während des Rittes auf diesen Reiter und seinen falben Mustang. Er konnte nur den schwarzen Schopf des Dakota sehen, der im Wind trocknete, den blut- und schmutzgefärbten Rock, die magere muskulöse Hand, die hin und wieder den Falben zügelte, damit der Schecke nicht zurückbleiben musste. Was sollte aus diesem Mann werden? Was dachte er? Wie lange würde er es ertragen, auf der Reservation im Zelt zu sitzen und auf Rationen zu warten?

»Das allmächtige Geheimnis hat mich zu einem Indianer geschaffen, aber nicht zu einem Agentur-Indianer«, hatte Tatanka-yotanka in den Verhandlungen mit den Langmessern ihren Generalen geantwortet. Das war ein Wort, das auch für Tokei-ihto galt.

Als die Reiter ihre Pferde mittags kurz rasten ließen und der Dakota sich neben Tobias auf die Felldecke warf, sagte der Kundschafter, und er glaubte, dass er dies sagen müsse: »Wenn du fliehen willst, Tokei-ihto, ehe wir auf die Reservation gelangen, ich hindere dich nicht.«

»Glaubst du, dass ich aus der Reservation nicht mehr entfliehen könnte?«

Der Delaware versuchte, in den Augen des Dakota zu lesen. Es war irgendeine Kraft und eine Bestimmtheit darin, die er nicht deuten konnte. Daher sagte er nur: »Fliehen könnten viele. Aber sie wissen nicht wohin.«

»Wo stehen die Zelte meiner Brüder? Weißt du es?«

»Oben im Nordwesten der Reservation in den Bad Lands.«

»Also nahe der Reservationsgrenze nach den Black Hills zu?«

»Ja.«

Der Dakota schloss einen Moment die Augen. Nach dem, was er eben gehört hatte, wollte er nicht weiter fragen und auch nichts mehr gefragt werden.