Pechschwarzer Sand

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»Das klingt hochinteressant. Woher weißt du so etwas?«

»Es ist mein Job, so etwas zu wissen.«

Eric bedankte sich für die Auskünfte und verabschiedete sich. Dann grübelte er darüber nach, auf wen er da getroffen war. Musste eine Person, die sich so detailliert mit dieser Art von Technik auskannte, nicht bei ENTAL arbeiten?

»Gut, dass du noch einmal vorbeigekommen bist.«

»Was gibt es denn?«, erkundigte sich Marc.

Doch statt sich mit einer Antwort aufzuhalten, schob Eric seinen Freund direkt in sein Arbeitszimmer.

»Sieh dir das an«, sagte er und zeigte auf dem Bildschirm. Die Homepage der Firma Zeishold & Tölkes war geöffnet. »Das sind die Bauteile, die wir brauchen! Sie werden in Deutschland hergestellt. Anscheinend bezieht ENTAL sie nur von dieser Firma«, erklärte Eric begeistert.

»Wie hast du das so schnell herausgefunden? Ich habe vorher noch nie etwas von Hydrozyklonen gehört.«

»Ich habe einen Kontakt im Internet aufgetan. Es sind ein paar Umweltschützer, die vermutlich in Kanada sitzen. Die haben mich auf die Hydrozyklone aufmerksam gemacht. Allerdings müssen wir uns überlegen, was wir mit diesem Wissen anfangen. Wir können die Firma ja schlecht bitten, freundlicherweise damit aufzuhören, nach Kanada zu liefern.«

Marc überlegte einen Moment und plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. Eric sah seinem Freund an, dass ihm eine Idee gekommen war.

»Ich glaube, ich muss mich mal mit Hank unterhalten, sobald ich wieder in Brüssel bin.«

Eric hatte Hank kennen gelernt, nachdem Isabella in Brüssel verschwunden war. Hank hatte ihm bei der Suche nach Isabella geholfen. Wenn sie im Internet Spuren hinterlassen hätte, dann hätte Hank sie gefunden. Leider war er erfolglos geblieben. Eric dachte nur ungern an die Verzweiflung zurück, die ihn in jenen Tagen zu ersticken drohte. Er schüttelte seine trübsinnigen Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf das eigentliche Thema.

»Es gibt eine Sache, die mich stutzig macht. Wie kann es sein, dass jemand, der angeblich nicht bei ENTAL arbeitet, so genau über deren Technik Bescheid weiß?«

»Eine gute Frage. Vielleicht kann Hank uns sagen, ob diese Umweltschützer echt sind oder nicht. Vielleicht hat er auch eine Idee, wie wir die Lieferung dieses Bauteils nach Kanada stoppen können. Bevor wir etwas unternehmen können, muss aber jemand nach Kanada fahren und sich die Lage vor Ort ansehen.«

»Wer soll das übernehmen?«

»Du hast im Moment genug mit deinem Auftrag bei Retramo zu tun und ich habe in den nächsten Wochen auch keine Zeit für eine so weite Reise«, überlegte Marc. »Pierre könnte das erledigen. Er ist einer meiner engsten Mitarbeiter. Ihm kann ich diese Aufgabe anvertrauen.«

»Das stimmt. Der Retramo-Auftrag muss gut laufen, sonst kann ich meine Firma dichtmachen.«

»Ich muss jetzt zum Bahnhof, damit ich meinen Zug noch erwische. Ich halte dich auf dem Laufenden.« Marc und Eric gingen in den Flur. Sie verabschiedeten sich und Marc verließ die Wohnung.

Rena wiegte das Baby sanft, um es zu beruhigen. Erics aufgebrachte Worte waren dabei nicht hilfreich. Sie beobachtete, wie er in der Küche hin und her lief. Sein Gesicht war während des Telefonats mit Marc zunehmend finsterer geworden und seine Antworten immer einsilbiger. Er beendete das Telefonat.

»Was ist los?«, erkundigte sie sich.

»Pierre kann nicht nach Kanada fahren. Seine Freundin hatte einen Unfall mit dem Fahrrad. Sie hat einen komplizierten Armbruch und jetzt muss er bei ihr bleiben und sich um sie kümmern. Marc hat niemand anderen, den er nach Kanada schicken könnte. So ein Mist!«, fluchte Eric. »Wir haben ENTALs Schwachstelle gefunden und Hank hat tatsächlich einen Plan, wie wir das ausnutzen können. Jetzt müssen wir alles wieder abblasen.« Frustriert sah Eric in die Dunkelheit hinaus.

Hank hatte eine Idee, wie sie die Firma Zeishold & Tölkes unter ihre Kontrolle bringen konnten. Marc hatte Eric berichtet, dass Hank irgendwas von Optionsscheinen gemurmelt und sich bei Marc erkundigt hatte, wie viel Geld er auftreiben könne. Das mit dem Geld war ein Problem, aber Eric sollte sich nach geeigneten Sponsoren umsehen, während Pierre in Kanada war. Nun schien diese Idee bereits im Keim erstickt, weil Pierre die Reise nach Kanada nicht antreten konnte.

»Warum fährst du nicht nach Kanada?«, fragte Rena.

»Erstens muss ich mich um den Auftrag von Retramo kümmern und außerdem legt das Schiff bereits morgen in Rotterdam ab.«

»Um das Projekt können wir uns kümmern«, schlug Rena vor.

»Meinst du das ernst?« Eric sah sie überrascht an.

»Sicher, du hast Chris schon in die praktischen Sachen eingewiesen und am Computer kenne ich mich sowieso besser aus als er. Du kannst mir jetzt die notwendigen Dokumente zeigen. So wie ich Melissa kenne, wird sie in der nächsten Stunde ohnehin nicht in ihrem Bett liegen wollen. Während du unterwegs bist, können wir per E-Mail in Kontakt bleiben«, schlug Rena vor. »Die Frage ist nur, ob du es schaffst, bis morgen in Rotterdam zu sein. Ich weiß nicht genau, wo Rotterdam liegt.«

»Ich rufe Marc an.«

Eric erfuhr, dass das Schiff erst morgen Abend ablegen würde. Allerdings musste er einen Zwischenhalt in Brüssel einlegen und sich mit Marc treffen. Marc würde ihm die Informationen weitergeben, die er in Kanada benötigte. Diese Informationen waren streng vertraulich und konnten nicht via Internet verschickt werden.

Den Nachtzug nach Brüssel würde Eric nicht mehr erreichen. Er fand eine Zugverbindung, die es ihm ermöglichte, rechtzeitig am Hafen zu sein. Er buchte sich ein Ticket für den ersten Zug am nächsten Morgen. Am frühen Nachmittag wäre er in Brüssel und hatte zwei Stunden Zeit, um sich mit Marc zu treffen.

»Hier ist dein Ticket für das Schiff. Es legt um 20:00 Uhr ab, also sieh zu, dass du pünktlich bist. Es ist ein Frachtschiff und wird nicht auf dich warten«, sagte Marc.

»Wirklich nicht?«, antwortete Eric ironisch.

Marc lachte, doch er wurde schnell wieder ernst.

»Hier ist die Adresse, wo sich Pierre mit den Umweltschützern treffen sollte. Hank hat nichts über sie herausgefunden. Sie sind sehr vorsichtig. Wir haben beschlossen, ihnen zu vertrauen.« Marc reichte Eric einen Zettel mit der Adresse. Dieses Detail wollte er nicht per Mail verschicken. »Wenn du in Kanada bist, musst du nach weiteren Schwachstellen bei der Ölfirma suchen. Ich glaube, die Hydrozyklone allein werden nicht genügen, um ENTAL aufzuhalten.«

Marc und Eric saßen in der Ecke eines Cafés und besprachen die Strategien für Kanada. Sie unterhielten sich sehr leise, damit keiner der anderen Gäste ihr Gespräch mithören konnte. Eric trank währenddessen einen Kaffee und aß etwas, denn seit seinem hastigen Frühstück kurz vor fünf Uhr am Morgen hatte er nichts mehr zu sich genommen.

»Ich habe mir über das Problem Gedanken gemacht, wie wir Geld auftreiben können. Hier ist die Internetadresse eines Biokunststoffherstellers. Vielleicht kann er uns helfen.«

»Alles klar. Ich werde mich darum kümmern. Du musst jetzt los!«, sagte Marc.

Eric trank hastig den Rest seines Kaffees aus. Dann eilte er zum Bahnhof. Ihm blieben dreieinhalb Stunden, um mit dem Zug nach Rotterdam zu fahren und in Europas größtem Hafen den Anlegeplatz seines Schiffes zu finden.

4. Geschichten aus einer anderen Welt

Die Überfahrt mit dem Frachtschiff verlief unspektakulär. Das Wetter war gut und Eric arbeitete die meiste Zeit. Im Fitnessstudio des Schiffes glich er den Bewegungsmangel aus. Seine Mahlzeiten nahm er gemeinsam mit den Offizieren des Schiffs ein. Nach zwölf Tagen erreichte er Halifax in Kanada. Dort hatte er einen Tag Pause. Diese Zeit nutzte er, um sich bei Chris und Rena über den Stand des Retramo-Projekts zu erkundigen und ihnen die Arbeit der letzten zwölf Tage zu schicken, denn auf dem Schiff hatte es keine Internetverbindung gegeben. Am nächsten Tag setzte er seine Reise in der kanadischen Eisenbahn fort. Vier Tage brauchte der Zug von Halifax nach Edmonton. Morgens um halb sieben hatte er die Stadt erreicht. Eric machte sich müde auf die Suche nach dem Bus, der ihn nach Fort McMurray bringen sollte. Im Bus holte er etwas Schlaf nach.

Als sie Fort McMurray erreichten, war er wach. Ihn beflügelte der Gedanke, dass er endlich am Ziel war. Er schaute aus dem Fenster und sah sich die Stadt an. Ein anderer Bus fuhr langsam an seinem vorbei und versperrte ihm die Sicht auf die Gebäude. Der Verkehr stockte und die beiden Busse blieben nebeneinander stehen.

Da sah er sie.

Keinen Meter von ihm entfernt saß Isabella. Schon häufiger hatte Eric geglaubt, sie zu erkennen, doch es war immer ein Irrtum gewesen. Diesmal war es anders. Sie sah ihn an und er konnte ihre Gefühle förmlich von ihrem Gesicht ablesen. Erst war es Erstaunen, dann wandelte sich ihr Ausdruck in Erschrecken.

Eric streckte die Hand aus, als könnte er sie durch die Scheibe berühren, als wollte er sich vergewissern, dass er sie wirklich vor sich hatte. In diesem Moment fuhren die beiden Busse an und sie verschwand aus seinem Blickfeld.

Isabella betrat das Burger-Restaurant durch die Hintertür. Sie war immer noch geschockt. Zunächst hatte sie geglaubt, ihre Fantasie würde ihr einen Streich spielen. Doch dann hatte sie erkannt, dass es sich bei dem Mann, den sie gesehen hatte, nicht um ein Trugbild handelte. Eric hatte sie in diesem entlegenen Zipfel von Kanada gefunden. Pures Glücksgefühl hatte sie bei seinem unerwarteten Anblick durchströmt. Doch dann wurden ihr die Konsequenzen dieser Begegnung klar. Wenn Eric es geschafft hatte, sie aufzuspüren, dann würde das auch anderen gelingen. Waren ihre Verfolger aus Brüssel ihr wieder auf den Fersen? Isabella konnte es nicht fassen. Sie war sich sicher gewesen, dass sie diesmal keine Spuren hinterlassen hatte.

 

Langsam ging sie den schmalen Gang entlang, der an den Toiletten vorbeiführte und spähte um die Ecke. Sie wollte sehen, ob Tom schon im Restaurant war. Sie arbeitete schon seit einiger Zeit mit Tom zusammen. In regelmäßigen Abständen trafen sie andere engagierte Umweltschützer oder Reporter, die sich für ihre Sicht über den Ölsandabbau interessierten. Dabei waren sie immer sehr vorsichtig. Niemand sollte wissen, wo sie wohnten. Sie trafen den Umweltschützer, der aus Europa gekommen war, in Fort McMurray und wollten ihm gründlich auf den Zahn fühlen.

Isabella entdeckte Tom an einem Tisch in der Ecke. Bei ihm saß ein Mann. Es war Eric. Isabella lehnte sich an die Wand und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Natürlich war es Eric. Er war der Umweltschützer, mit dem sie verabredet waren!

»Geht es Ihnen gut?«

Isabella riss die Augen auf. Vor ihr stand ein Mann, der sie musterte.

»Ja, es ist alles in Ordnung«, antwortete Isabella hastig.

Der Mann nickte und ging weiter.

Isabella atmete tief durch. Sie straffte die Schultern und ging entschlossen auf den Tisch zu. Ihr stand ein heikles Gespräch bevor. Tom wusste nichts von ihrer Vergangenheit. Er wusste nicht einmal, dass sie vor einigen Jahren aus Deutschland nach Kanada gekommen war und wenn es nach ihr ging, sollte das auch so bleiben.

»Hallo.« Sie zwang sich zu lächeln.

Sie warf einen Blick auf Eric. Es war deutlich zu erkennen, wie fassungslos er über diese Begegnung war.

»Eric, das ist meine Partnerin Amy Brown. Amy, das ist Eric Bergmann. Er kommt aus Deutschland«, ergriff Tom das Wort, da keiner der beiden etwas sagte.

»Es freut mich, dich kennen zu lernen«, sagte Isabella auf Englisch und reichte ihm die Hand. Sie zitterte leicht. Eric ergriff sie. Ein warmes Gefühl durchströmte Isabella.

»Ja, mich auch«, antwortete Eric mechanisch in derselben Sprache. Sein intensiver Blick ruhte auf ihr. Isabella verlor sich in den Tiefen seiner braunen Augen. Sie musterte sein vertrautes Gesicht und wurde von Erinnerungen geradezu überflutet. Erinnerungen an sein zärtliches Lächeln, sein freches Grinsen, wenn er sie neckte, wie sich seine Wange an ihrer anfühlte, seine Lippen, die über ihren Hals strichen, an ihrem Ohr knabberten und sie mal zärtlich, mal leidenschaftlich küssten.

Ein lautes Klirren riss sie aus ihrer Versunkenheit. Irgendwo war ein Glas zu Bruch gegangen. Sie registrierte, dass sie immer noch seine Hand in ihrer hielt und ließ sie los.

Sie erinnerte sich, dass Tom anwesend war. Sie wandte ihren Blick von Eric ab, damit sie sich konzentrieren konnte.

Tom schien nichts von dem mitbekommen zu haben, was sich gerade zwischen Isabella und Eric abspielte. Er begann Eric über seine Motive und Absichten zu befragen. Sie führten das Gespräch auf Englisch. Eric hatte in der Vergangenheit häufig internationale Kunden betreut und die Sprache bereitete ihm keine Mühe. Nach ein paar Minuten hatte sich Isabella so weit gefangen, dass sie ihren Teil beisteuern konnte. Isabella spürte Erics Blick auf sich ruhen. Doch sie vermied es ihn zu erwidern, um nicht aus dem Konzept zu geraten. Ihr war klar, dass Eric die Situation nicht verstand, doch er spielte mit. Schließlich nickte sie zufrieden. Sie hoffte, dass es für Tom so aussah, als ob auch sie Eric gründlich ausgehorcht hatte.

»Ich denke, es ist am besten, wenn Eric mit zu uns kommt«, wandte sie sich an Tom.

Dieser sah sie erstaunt an. Sie hatten noch nie einem Außenstehenden ihr Haus gezeigt. Bisher war es immer Isabella gewesen, die vehement dagegen war, Fremde in ihren Schlupfwinkel zu lassen.

»Warum?«, fragte Tom.

Isabella wusste genau, was er dachte.

»Wir werden viel mit Eric besprechen müssen. Wenn wir das jedes Mal in der Öffentlichkeit tun, könnten die falschen Leute auf uns aufmerksam werden«, antwortete sie.

»Bist du dir sicher?« Tom sah sie eindringlich an. Isabella erwiderte seinen Blick.

»Ja.«

»Also gut.« Tom stand auf.

Sie verließen das Restaurant und nahmen einen Bus, der Fort McMurray durchquerte. In einem der westlichen Außenbezirke stiegen sie aus.

»Ich gehe Sunny abholen«, sagte Isabella und ging zu einem Haus in der Nähe. Es war ein Waisenhaus.

Sie unterhielt sich kurz mit einer Frau und kam dann mit einem Mädchen an der Hand zu Tom und Eric zurück. Eric schätzte, dass das Mädchen fünf oder sechs Jahre alt war. Es hatte braune lockige Haare.

»Das ist Sunny«, stellte Isabella ihm das Mädchen vor. »Sunny, das ist Eric. Er wird ein paar Tage bei uns wohnen.«

Eric lächelte das Mädchen an, während Sunny ihn skeptisch musterte.

»Lasst uns gehen. Wir haben noch eine halbe Stunde Fußmarsch vor uns und ich habe Hunger«, forderte Tom die anderen auf.

Sie erreichten ein Holzhaus, das einsam im Wald stand.

»Hier wohnen wir«, bemerkte Isabella, während sie die Tür öffnete und eintrat. »Das ist unser Büro«, sie deutete auf einen Raum, der gleich rechts vom Flur abging.

Eric folgte ihr und sah sich in dem kleinen Raum um. Es passten nur zwei Schreibtische und ein paar Regale hinein.

Isabellas Blick fiel auf die Tasche, die Eric in seiner Hand trug.

»Ich zeige dir, wo du deine Sachen abstellen kannst«, sagte sie und verließ das Büro.

Sie durchquerten den Flur und Isabella öffnete eine Tür.

»Hier ist dein Zimmer. Ich hoffe, es ist in Ordnung für dich.« Isabella sprach immer noch Englisch.

»Sicher«, antwortete Eric und ging hinein.

Das Zimmer war sehr klein. Die Möblierung bestand aus einem Doppelstockbett, an das sich ein schmales Regal anschloss. Ein paar Haken an der Wand vervollständigten die Einrichtung. Eric ließ seine Tasche auf den Boden fallen. Dann sah er Isabella an. Sie war es wirklich. Er konnte es kaum glauben.

»Wie hast du mich gefunden?«, fragte sie leise. Nun wechselte sie ins Deutsche.

Die verschiedensten Gefühle waren in ihrem Gesicht zu lesen. Verwirrung, Freude und Angst. Angst? Er verstand nicht, warum sie Angst vor ihm haben sollte.

»Ich habe dich nicht gefunden«, beantwortete er ihre Frage. »Ich bin zufällig hier. Ich wusste nicht, dass du dich in Alberta aufhältst.«

Mit einem Schritt war er bei ihr. Er umschlang sie und zog sie an sich. Die andere Hand legte er an ihre Wange. Er lehnte seine Stirn an ihre und sah in die Tiefen ihrer grünen Augen.

»Oh Isa, ich bin so froh, dass es dir gut geht. Ich habe dich so lange gesucht, aber es gab keine Spur von dir. Es tut mir so leid«, murmelte er. Er senkte seinen Mund zu ihren Lippen. Isabella befreite sich hastig aus seiner Umarmung. Eric hörte Schritte und einen Moment später erschien Tom.

»Alles in Ordnung hier?«, erkundigte er sich.

»Ja, alles in Ordnung«, antwortete Isabella.

»Eric, hast du Hunger?«, fragte Tom.

»Ja«, antwortete Eric mit einem zwanglosen Lächeln.

»Dann werde ich mal was vorbereiten. Amy, hilfst du mir?«

»Ja, natürlich.«

Eric sah Isabella nach und fragte sich, in welcher Beziehung die drei Menschen, die hier lebten, zueinander standen.

Eine Stunde später saßen sie gemeinsam am Tisch und ließen sich einen kräftigen Eintopf schmecken.

»Warum wohnt ihr alleine im Wald?«, erkundigte sich Eric.

»ENTAL macht uns das Leben sehr schwer. Wir sind vielen Anfeindungen ausgesetzt und müssen uns vor Übergriffen schützen. Deshalb leben wir sehr zurückgezogen«, beantwortete Isabella seine Frage.

»Ich habe schon gehört, dass es hier gefährlich werden kann«, bemerkte er und widmete sich wieder seiner Suppe.

Tom sah ihn misstrauisch an. »Von wem hast du das gehört?«

»Freunde von mir haben bis vor kurzem in Alberta gelebt. Sie mussten das Land verlassen, weil der Druck, den ENTAL auf sie ausgeübt hat, zu groß geworden ist.«

»Wie heißen deine Freunde?«, kam es sofort von Tom.

Eric musterte Tom einen Moment und überlegte, ob er die Namen preisgeben sollte. Er warf Isabella einen kurzen Blick zu. Auch sie schien sehr interessiert an seiner Antwort zu sein. »Es sind Chris und Rena Siebach.«

Toms Gesicht hellte sich bei dieser Antwort auf. »So klein ist die Welt«, stellte er lachend fest.

»Chris und Rena haben während ihrer Flucht bei uns Station gemacht«, erklärte Isabella. »Wie geht es ihnen?«

»Gut. Sie wohnen bei mir in Berlin.«

Bei dieser Antwort überkam Isabella plötzlich heftiges Heimweh. Sie spürte Erics warmen Blick auf sich und ihr war schmerzlich bewusst, wie viel sie durch ihr Engagement gegen den Abbau von Methanhydrat verloren hatte.

Eric riss seinen Blick von Isabella los. »Ich muss Renas Vater besuchen. Wie ihr sicher wisst, wohnt er in Fort Chipewyan. Ich will ihm mitteilen, dass Chris und Rena wohlbehalten in Berlin angekommen sind. Außerdem habe ich ein Foto von seiner Enkeltochter.«

»Es wird nicht einfach sein, dort hinzukommen«, bemerkte Tom. »Fort Chipewyan ist 280 km von hier entfernt und im Sommer gibt es keine befestigte Straße. Im Winter, wenn hier alles gefroren ist, kommt man leichter dorthin.«

»Und was machen die Leute, die im Sommer nach Fort Chipewyan wollen? Es muss doch auch zu dieser Jahreszeit Möglichkeiten geben?«, hakte Eric nach.

»Klar gibt es die«, antwortete Tom. »Man kann sich ein kleines Flugzeug chartern, aber das kostet natürlich. Außerdem kontrolliert ENTAL, wer über die Abbaugebiete fliegt. Sie wollen nicht, dass Fotos von dieser verpesteten Mondlandschaft gemacht und veröffentlicht werden«, bemerkte er verächtlich. »Ich werde mich nach einer anderen Mitfahrgelegenheit für dich umhören.«

»Vielen Dank.«

»Eric, hat Amy dir schon von unserem Treffen morgen erzählt?«

Eric schüttelte den Kopf.

»Morgen wollen sich alle Umweltschützer aus der Gegend treffen. Wir wollen versuchen unser Vorgehen besser zu koordinieren. Du bist also genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen.«

Tom berichtete Eric von den Aktionen, die in der Gegend liefen. Isabella beteiligte sich kaum an dem Gespräch und Sunny begnügte sich damit, Eric hin und wieder misstrauische Blicke zuzuwerfen.

»Zeit fürs Bett«, erinnerte Isabella Sunny schließlich.

Diese stand ohne Widerrede auf und verließ die Küche. Isabella folgte ihr. Aus dem Bad hörten sie Wasserrauschen. Isabella ging ins Schlafzimmer und schlug die Bettdecke zurück. Dann erschien Sunny, zog sich ihren Schlafanzug an und schlüpfte ins Bett.

»Erzählst du mir eine Geschichte?« Erwartungsvoll sah sie Isabella an. »Oder hast du keine Zeit?«, fragte sie unsicher.

»Auf jeden Fall habe ich Zeit für eine Gutenachtgeschichte«, erwiderte Isabella. »Welche möchtest du hören?«

»Eine von Lilly und Ole.«

Natürlich, dachte Isabella lächelnd. Sie kuschelte sich mit Sunny ins Bett und begann zu erzählen.

Sie erzählte von einem weit entfernten Land, ein Land, in dem es riesige Wälder gab, hohe Berge, unzählige Seen und sprudelnde Gebirgsbäche. Diese Geschichte handelte von einem Mädchen namens Lilly und ihrem besten Freund Ole. Ole war ein Trolljunge. Sie erzählte Sunny, wie die beiden durch den Wald streiften, Blaubeeren aßen und spannende Abenteuer erlebten. In jedem ihrer Worte lag eine tiefe Sehnsucht nach diesem Land, das unerreichbar schien.

»So, und nun schlaf schön, mein Schatz.« Isabella umarmte Sunny liebevoll. Dann erhob sie sich vom Bett und ging hinaus. Die kleine Nachttischlampe ließ sie brennen, wie sie es immer tat.

Richard Sullivan nippte an seinem Champagner. Seine Frau Leanne sah im weichen Kerzenlicht beinahe aus wie vor 26 Jahren, als er sie kennen gelernt hatte. Das dunkelblaue Abendkleid umschmeichelte ihre schlanke Figur. Ihre platinblonden Haare waren zu einer eleganten Hochsteckfrisur arrangiert und das Saphircollier, das er ihr zum letzten Geburtstag geschenkt hatte, stand ihr ausgezeichnet.

Leanne musterte seine Erscheinung. Er hatte eine sportliche Figur, die in dem Smoking gut zu Geltung kam. Seine von silbernen Strähnen durchzogenen braunen Haare waren akkurat frisiert und verbargen die allmählich entstehenden Geheimratsecken. Zufrieden mit dieser Bestandsaufnahme sah sich Leanne im Saal um. Die Organisation dieser Benefizveranstaltung hatte sie in den letzten Wochen sehr in Anspruch genommen. Der Erlös der Veranstaltung sollte dem Kampf gegen Krebs zugutekommen.

 

Leanne machte ihren Mann auf die gemeinsame Tochter aufmerksam. Richard beobachtete, wie ihre Tochter charmant mit einer älteren Dame plauderte.

»Lindsay weiß, wie man sich auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegt und auch den knauserigsten Zeitgenossen eine Spende entlockt«, bemerkte Leanne stolz.

»Sie macht sich wirklich gut«, stimmte Richard seiner Frau zu.

»Entschuldige mich bitte kurz. Ich muss Gwen begrüßen.«

Richard blieb alleine zurück und nippte an seinem Champagner.

»Guten Abend, Mr. Sullivan«, vernahm er hinter sich eine vertraute Stimme.

»Guten Abend, Mr. Baxter. Schön, dass Sie es einrichten konnten.«

Die beiden Männer plauderten einige Minuten über die Abendveranstaltung, doch schnell wendete sich das Gespräch der gemeinsamen Arbeit zu.

»Unserer Geologen haben ergiebige Vorkommen im Herzen des Wood Buffalo Nationalparks entdeckt. Wenn wir die ausbeuten, können wir Milliarden Gewinne machen«, sagte Richard Sullivan.

»Der Nationalpark ist per Gesetz vor unserem Zugriff geschützt«, gab Charles Baxter zu bedenken.

»Dann müssen die Gesetze geändert werden. Sie sind der Anwalt. Wenn jemand das kann, dann Sie.«

Charles überlegte, wie er das ermöglichen könnte.

»Wir können eine Ausnahmegenehmigung erwirken. Doch dafür müssen Sie die Politiker auf unserer Gehaltsliste erinnern, wem ihre Loyalität gilt.«

»Ich werde mich darum kümmern«, erwiderte Richard Sullivan, der Vorstandsvorsitzende von ENTAL.

»Dann gehen wir den üblichen Weg. Wir konsultieren die First Nations. Dieses Mal muss ich die Unterlagen allerdings noch umfangreicher und komplizierter gestalten lassen. Im letzten Jahr haben sie häufiger die kritischen Punkte gefunden.«

»Das darf nicht geschehen.«

»Keine Sorge, das wird es nicht. Selbst wenn sie Klage einreichen, werden wir das Verfahren in die Länge ziehen. Währenddessen fördern wir weiter. Das neue Gesetz, das auf unsere Initiative hin verabschiedet wurde, macht es möglich.«

Richard nickte zufrieden.

»Letztendlich werden wir den Prozess gewinnen, so wie immer«, bemerkte Charles Baxter.

»Redet ihr schon wieder über die Arbeit?«, wurden sie von Leanne unterbrochen. Sie sprach leise, damit die Umstehenden sie nicht hörten. »Ich habe dich mehr als einmal darum gebeten, auf unseren Benefizveranstaltungen nicht darüber zu sprechen.« Der scharfe Unterton in ihrer Stimme strafte das Lächeln Lügen, das sie aufgesetzt hatte.

Richard wusste, dass seiner Frau die Art, wie er sein Vermögen gemacht hatte, nicht gefiel. Doch ihre moralischen Bedenken hielten sie nicht davon ab, den Lebensstil einer wohlhabenden Frau zu genießen.

»Guten Morgen«, begrüßte Eric Isabella.

Sie bereitete das Frühstück vor. Er beobachtete ihre schnellen routinierten Bewegungen, immer noch ungläubig und staunend, dass sie leibhaftig vor ihm stand. Er wollte nichts lieber als ungestört mit ihr reden, sie in seine Arme schließen, sein Gesicht in ihrem Hals vergraben, sie küssen und nie wieder loslassen. Doch die Gelegenheit für ein ungestörtes Gespräch hatte sich noch nicht ergeben. Ständig war Tom in der Nähe.

»Guten Morgen«, hörte Eric Toms Stimme hinter sich. Er begrüßte ihn ebenfalls und wandte sich dann an Isabella.

»Kann ich dir helfen?«

»Ja, du kannst den Tisch decken.«

Sie zeigte ihm, wo sich das Geschirr befand.

»Tom, kannst du bitte nach Sunny sehen?«

Kaum hatte Tom die Küche verlassen, fasste Eric Isabella eindringlich am Arm: »Wir müssen reden!«

»Ja, ich weiß, aber nicht jetzt«, wich Isabella ihm aus.

Eric nickte und half ihr weiter bei den Frühstücksvorbereitungen. Immer noch kämpften unterschiedliche Gefühle in ihm. Er war froh und erleichtert, dass es ihr gut ging. Doch er empfand auch Enttäuschung und Eifersucht, weil Isabella mit einem anderen Mann zusammenlebte.

Nach dem Frühstück begaben sie sich auf den Weg zum Treffen der Umweltschützer. Es war ein Fußmarsch von einer Stunde. Sie bewegten sich nur auf schmalen Waldpfaden. Als Umweltschützer musste man in dieser Gegend sehr vorsichtig sein. ENTAL verfolgte jeden, der ein vermeintlicher Gegner war und das konnte sehr gefährlich werden.

Isabella ging mit Sunny voran, Tom und Eric folgten ihnen.

»Hallo Amy, hallo Tom«, wurden sie begrüßt, als sie in das Haus eintraten, in dem die Versammlung stattfand. Sie betraten das große Wohnzimmer. Es hatten sich bereits einige Personen eingefunden.

»Wer ist das?«, fragte ein junger Mann mit schwarzen Haaren misstrauisch und deutete auf Eric.

»Das ist Eric. Er ist aus Europa gekommen, um uns zu unterstützen«, antwortete Isabella.

»Woher sollen wir wissen, dass er kein Spitzel ist?« Der junge Mann funkelte Eric unfreundlich an.

»Er ist kein Spitzel. Ich verbürge mich für ihn.« Isabella trat einen Schritt näher an den Mann, der sich vor ihr aufgebaut hatte und sah ihm mit festem Blick in die Augen.

Der junge Mann wollte etwas entgegnen, aber ein älterer kam ihm zuvor. Er hatte graue Haare, die zu einem langen Pferdeschwanz zusammengebunden waren.

»Eric, es freut mich, dich kennen zu lernen. Ich bin James. Setzt euch und lasst uns anfangen.«

Zu Beginn der Versammlung gab es eine kurze Diskussion darüber, wie die Lebensverhältnisse in der Gegend verbessert werden konnten. Dann gingen sie zu der Frage über, wie der Abbau von Ölsand gestoppt werden könnte, wobei letzteres mehrere Nummern zu groß für die hier Anwesenden war. Isabella und James vertraten eine gemäßigte praktische Position, die die ohnehin schon prekäre Situation der Umweltschützer nicht unnötig verschlimmerte. Die radikaleren, allen voran der junge Tyrell, waren der Meinung, man solle am besten die Anlagen von ENTAL in Brand setzen. Daraufhin erklärte Isabella, welche furchtbaren Folgen so eine Aktion haben würde. Eric bewunderte sie für ihre Geduld mit diesem Wichtigtuer.

»Dann müssen wir die Zufahrten blockieren«, rief Tyrell.

»Und was soll das bringen?«, fragte Isabella.

»Was willst du eigentlich hier, wenn du alle Vorschläge nur schlecht machst?«, fragte eine junge Frau, die begeistert von Tyrells Vorschlägen war.

»Nun mal sachte. Es ist völlig legitim, wenn Amy ihre Meinung sagt. Ihre Einwände sind schließlich nicht unbegründet«, schaltete James sich ein, in dem Versuch die Wogen zu glätten. »Wir haben schon häufiger versucht, die Zufahrten zu blockieren. Spätestens nach einer halben Stunde taucht der Sicherheitsdienst auf und die Aktion ist beendet. Dann findest du dich im Gefängnis wieder.«

»Wir könnten ein Video von der Blockade ins Internet stellen«, überging Tyrell die Einwände.

Tyrell fand mehrere Unterstützer für seine Idee und schließlich fragte er jeden Einzelnen, ob er bei der Aktion mitmachte. Als er bei Isabella ankam, verneinte diese und erklärte noch einmal, warum sie die Idee für schlecht hielt. Tyrell wollte davon jedoch nichts hören.

»Du kannst dich nicht immer nur in deiner Hütte verstecken und darauf warten, dass sich die Probleme von alleine lösen. Manchmal muss man auch ein Wagnis eingehen. Aber dazu bist du wohl zu feige!«

Eric ballte wütend die Fäuste. Wie konnte dieser Spinner Isabella vorwerfen, dass sie feige war. Schließlich hatte sie sich vor drei Jahren einem mächtigen Energiekonzern entgegengestellt und war mehr als einmal bedroht worden. Sie wusste genau, wovon sie sprach. Es folgte betretenes Schweigen auf Tyrells Vorwurf.

»Es kann eben nicht jeder so mutig sein wie du, Tyrell«, antwortete Isabella ruhig. Sie stand auf und verließ den Raum. Alle sahen ihr hinterher. Nach einem kurzen Moment des Schweigens ging die Diskussion weiter. Eric hatte keine Lust mehr, sich das weiter anzuhören und folgte Isabella.

Vor dem Haus angekommen, atmete Isabella tief durch. Sie ging vom Eingang weg in Richtung Wald. Eric hatte sie schnell eingeholt.

»Wie kannst du dich von diesem Grünschnabel so beleidigen lassen?«, fragte er erbost.

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