Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

dem Munde Karols einen Zahn, diesen aufzubewahren

als heilige Reliquie, dann ließ er das Grab wieder

schließen und fest vermauern. In der Nacht darauf

aber erschien Karolus dem Kaiser Otto III. im Traume,

hehr und schrecklich anzusehen, und sprach zu

ihm: Mußtest du kommen und meine Ruhe stören?

Bald wirst du ruhen, wo ich ruhe, nicht weit von mir,

und erlöschen wird mit dir dein Stamm. – Otto, der

Kaiser, nahm sich dies Gesicht sehr zu Herzen; er

gründete eine Kirche und ein Klosterstift und weihte

es in die Ehre Sankt Adalberts, und im zweiten Jahre,

nachdem er Karoli Leichnam gesehen, da war schon

das Wort der Erscheinung erfüllt, und Otto III. ruhete

in der Kaisergruft im Aachner Dome. Hernachmals

hat nach aber zweihundert Jahren Kaiser Friedrich II.

von Hohenstaufen Kaiser Karls Gebeine erheben und

in einen prächtigen goldnen und silbernen Kasten

legen lassen, die Krone aber und andere Kleinodien

dem Domschatz überwiesen.

127. Templerkirche zu Aachen

Weit verbreitet war der Orden der Templer; auch zu

Aachen erbauten sie ein Tempelhaus, dessen Stätte

heißt noch heute der Tempelgraben. Als sich die Feinde

des Ordens gegen den Templerbund erhoben, als

der schreckliche Tag im Märzmond des Jahres 1314

den heldenherzigen Großmeister Jakob Molay nebst

seinen Todesgenossen in Flammen zu Märtyrern verklärete,

da versank zu Aachen plötzlich die Templerkapelle,

an ihrer Stelle schoß ein Wasserstrahl aus

dem Boden herauf, und ein Weiher bedeckte den Ort.

Das war fast wieder volle hundert Jahre, seit Kaiser

Friedrich Karl den Großen zum andern Male bestattet

hatte. Immer noch quillt jene Quelle über der versunkenen

Templerkirche, und im Märzen hört man wohl

bei stiller Luft ihre tiefversunknen Glocken läuten,

das klingt wie aus weiter Ferne und geisterhaft. Auch

geht die Sage, daß in der Mitternachtstunde jenes Unheiltages

drei Ritter in Templertracht, auf ihren Mänteln

das rote Kreuz, von Blut gezeichnet, über den

Tempelgraben wandeln.

128. Die Hinzlein zu Aachen

Allenden in Deutschland und den Nachbarländern

gehen Sagen von Zwergen und Neckebolden, heißen

da so und dort anders, Hinzelmännlein, Bergmanndli,

Hütchen, Heinzchen, Wichtlein, Querchlein, Quarkse,

stilles Volk, Unterirdische, sind ein wunderlich spukhaft

Geistervolk, den Menschen gut und feindlich, je

nachdem es kommt, hülfreich und zuwider, nütze und

schädlich, doch am meisten den Guten mild und den

Bösen feindlich gesinnt.

Solcher Kobolde hatte es auch zu Aachen, hießen

dort Hinze, wie man auch hie und da in Deutschland

die Katzen nennt, die Hexenlieblinge, wohnten im

Felsgeklüft unter der Emmaburg, da waren viele

Gänge und unterirdische Keller, daraus zog in gewissen

Nächten der Hinzenschwarm hervor mit spukhaftem

Gelärm und Gepolter, klapperten an die Haustüren

und trieben viel Tückerei und bösen Mutwillen.

Kein Geisterbannspruch, kein Kreidekreuz an Türen

und Läden half gegen den Nachtspuk der Hinzemännlein;

erst als man eine Kapelle dicht an die Felsen der

Emmaburg baute und deren Glocken zum ersten Male

erklangen, da war alles vorbei – denn Glockengeläute

können die Unterirdischen nicht hören und vertragen,

aber die guten Aachener ahneten nicht, daß sie sich

mit dem Kapellenbau erst recht eine Rute auf den

Hals gebunden hatten. Denn die Hinzlein zogen zwar

aus den Felsen fort, aber wo zogen sie hin? – In die

Stadt Aachen zogen sie, in einen alten Mauerturm, zu

dem ein unterirdischer Gang nach dem Felsen unter

der Emmaburg führte, und nun ging der Spuk erst

recht an. Der alte Turm lag ohnweit der Kölner

Straße, da klopfte es zur Nacht an die Häuser, da knisterte

es auf dem Herd, da rasselte und klapperte es in

den Küchengeschirren, und das ging stundenlang so

fort, daß kein Mensch ein Auge zutun konnte. Wußten

sich keines Rates zu erholen gegen die schlimmen

Poltergeister. Da kam von auswärts her ein weit umgewanderter

Gesell gen Aachen, der vernahm von

dem Spuk und erzählte, solcher Zwergvölker gebe es

in Thüringen und Sachsen vollauf, bei Jena, bei Königsee,

bei Plauen, in der Grafschaft Hohnstein am

Harzwald, bei Zittau in Sachsen, im Zobten in Schlesien,

im Kuttenberg in Böheim und an vielen andern

Orten, auch im ganzen Vogtland, in der Schweiz am

Pilatus, im Erzgebirge, im Untersberg bei Salzburg,

sowie am Rhein usw. Da sei nichts besser, als man

stelle vor jedes Haus ein Geschirr, ehern oder irden,

dessen wären die Hinzlein sehr froh, benutzten es zur

Nacht und stellten es ungeschädigt wieder an seinen

Ort, ließen dagegen die Leute in Ruhe. Der Rat des

guten Gesellen ward probiert und war probat, man

folgte ihm und hatte Ruhe. Kamen nachmals zwei

fremde Kriegsgesellen nach Aachen, die hörten in

ihrem Quartier von der Sache und der Sage, hatten

Spottens kein Ende, daß die Aachner Töpfe und Kessel

für die Zwergmännlein hinstellten, deren es doch

auf der Welt keine gebe, und vermaßen sich, nachts

Wache zu stehen, da sollten die Hinzen statt der blanken

Kessel blanke Degen finden. Darauf bezechten

sich die Kriegsgurgeln, setzten sich vor die Tür, sangen

und hatten sich sehr lustiglich, schrien immer

einer den andern an: He da! Hinz! Jetzt kommt der

Hinz!, trieben einander zur Kurzweil auf der Straße

um, jagten sich, traten sich, rannten durchs Hinzengäßlein

hinter bis zu dem alten Mauerturm, da hörte

man sie beide noch einmal brüllen, dann war alles

still.

Am andern Morgen lagen die Prahlhänse tot vorm

Hinzenturm, hatte einer den andern durch und durch

gestochen. – Und noch lange nachher hat der Hinzenspuk

gedauert, bis ein reguliertes Chorherrenstift erbaut

ward in der Nähe der Spukgassen, da hat der

abermalige mächtige Glockenschall die Hinzlein auf

immer vertrieben.

129. Die buckligen Musikanten auf dem

Pervisch

Zu Aachen, in der alten Reichsstadt, haben einmal

zwei Musikanten gelebt, von denen hatte jeder einen

nicht kleinen Buckel; das war aber auch alles, was sie

miteinander gemein hatten, denn der eine war gut und

wohlgesinnt, der andere war neidisch und tückisch,

scheelsüchtig und habsüchtig. Nun trug sich's einstmals

zu, daß der erstere auf ein Dorf erfordert war,

dort zu einer Hochzeit mit aufzuspielen, und erst am

späten Abend heimwanderte. Er mochte dort manch

gutes Trünklein getan haben, denn er war ganz fröhlich,

und als er auf seinem Wege am hohen Dome

vorbeikam, pfiff er wohlgemut ein lustiges Schelmenstücklein.

Indem schlug die Glocke Mitternacht, und

alsbald war um ihn her ein Schwirren und Schweben,

geisterhaft und grauenhaft, und die Gespensterfurcht

ergriff den Spielmann und trieb ihn eilend vorwärts

durch die Schmiedegasse vor auf den Pervisch, das ist

der Fischmarkt. Siehe, da traf es der Spielmann ganz

hell an, alle Fischbänke waren illuminiert, Wein und

Speisen die Hülle und Fülle standen auf reich gedeckten

Tafeln in köstlichen Gefäßen, und vornehme Frauen

saßen da und schmausten und zechten. Da trat eine

solche Dame auf den Spielmann zu und sprach:

Holla, Fiedler! Du kommst gerade recht, jetzt geig

uns eins auf, wir wollen tanzen! Doch zuvor trink erst

einmal! – Und reichte ihm würzigen Wein in einem

Goldpokal, und er trank und erglühte vor Lust, nahm

sein Saitenspiel und geigte fröhlich darauf los. Und

die Frauen begannen miteinander zu tanzen im wilden

Reigen, und des Geigers Tanzweisen gellten wie toll

durch die Nacht. Da schlug es drei Viertel auf Eins,

und jetzt ließen allgemach die wirbelnden Paare vom

Tanzen ab, wie ermüdet – und die Frau, die den Geiger

angesprochen, trat jetzt wieder zu diesem und

sprach: Habe Dank und auch Lohn – und dabei strich

sie ihn mit ihrer Hand sanft über den Rücken, daß er

vermeinte, sie wolle ihn an sich ziehen – aber indem

war sie verschwunden, und alle andern Frauen desgleichen,

und die Lichter, die Speisen, die Geräte –

alles – und die Münsteruhr schlug eins. Der Spielmann

ging nach Hause, so leicht, so wohlig – er

wußte gar nicht, wie ihm geschehen. Und siehe, als er

sich auskleidete, weg war sein Buckel, den hatte zum

Lohn die nächtliche Tanzfrau ihm abgestreift. Bald

lief durch ganz Aachen die Wundermär, die hörte

nicht sobald der andere Buckelmusikant, als der Neid

über ihn kam, und dachte, mir soll das doch wohl

auch gelingen, was jenem Lump gelang. Konnte kaum

die Nacht erharren, stand lange vor Mitternacht schon

auf dem Pervisch, seine Geige mit dem Fiedelbogen

in der Hand. Endlich schlug's, und da glänzten auch

die Fischbänke voll Lichter, da standen die kostbaren

Geräte, da reichte ihm eine Dame würzigen Wein,

alles wie vor geschehen, und forderte auch ihn auf,

seine Tanzweisen aufzuspielen. Solches tat er, aber

seine Tänze wurden, ohne daß er wollte, Grabmelodien,

der Tanz wurde ein Totentanz, die holden Frauenbilder

wurden zu Gerippen, und als es drei Viertel

schlug, huschte ein molkiges Schattengebild an den

Spielmann heran, das hatte zuvor aus einem Silbergefäß

 

etwa ein Kleinod gehoben, und sprach: Habe

Dank und auch Lohn – und hing ihm und drückte ihm

das Kleinod an die Brust, schier wie einen Orden.

Dann schwand alles hinweg, und der Spielmann

wankte und schwankte nach Hause, und war ihm weh

auf der Brust, und hatte kurzen Odem. Und als er sich

auszog da hatte er den Buckel seines Spielgesellen

vorn auf der Brust, und seinen eigenen dahinten, den

hatte er auch noch, und mußte beide Buckel tragen bis

an sein Ende. –

130. Der fliegende Holländer

Im Lande Limburg liegt ein altes Schloß, das ist Falkenberg

genannt, darin es spukt und umgeht. Eine

Stimme ruft gegen die vier Wände den Klageruf:

Mörder! Mörder! – Zwei kleine Flämmchen flackern

vor der Stimme her, aber den Rufer sieht keiner. Und

das ist also seit sechshundert Jahren. Damals, vor so

langer Zeit, stand das Schloß noch in seinem Glanze,

zwei Brüder von Falkenberg wohnten darin, die

hießen Waleram und Reginald und liebten beide die

schöne Tochter eines Grafen von Cleve, Alix. Waleram

war der Glückliche, den die Jungfrau erkor, und

feierte mit ihr glänzende Hochzeit. Dem verschmähten

Reginald aber wandte der Rachegeist das Herz im

Busen, und er ging und ermordete die Liebenden in

ihrem Brautbette. Im Todeskampfe griff Waleram in

des Bruders Mordwaffe, schlug ihm die blutende

Hand ins Gesicht und sank dann tot zurück. Der Mörder

schnitt vom Haupt der von ihm erdolchten Braut

eine Locke und entwich, war auch nimmer zu finden,

als man die Toten fand und bejammerte und den Mörder

ahnete. Es lebte dazumal nicht allzuweit vom

Schlosse Falkenberg ein frommer Einsiedel, dessen

Klause neben einer kleinen Kapelle stand. Bei dem

klopfte es an um Mitternacht und begehrte Einlaß im

Namen des Himmels. Reginald war's, den die Reue

marterte, und auf dessen Gesicht die Spur einer blutigen

Hand unaustilgbar sichtbar war, ein Wahrzeichen,

was kein Wasser abwusch. Reginald beichtete

dem Einsiedel seine schwere Schuld, und der hieß ihn

mit ihm gehen, und führte ihn in die Kapelle, und

kniete mit ihm am Altare, und betete mit ihm die

ganze Nacht. Am andern Morgen gebot der Einsiedel

dem Grafen Reginald von Falkenberg: Wandelt als

büßender Pilger gen Norden und immer gen Norden,

bis Ihr keine Erde mehr unter den Füßen habt, dann

wird Gott Euch durch ein Zeichen offenbaren, was Ihr

weiter beginnen sollt. Da sprach Reginald kein anderes

Wort als Amen und verbrannte an der ewigen

Ampel des Altars Alixens Locke und ging von dannen,

gen Norden und immer gen Norden, und büßte

und betete. Und da sind zwei Gestalten mit ihm gegangen,

eine weiße zu seiner Rechten und eine

schwarze zu seiner Linken; die zur Rechten bestärkte

ihn im Büßen und Beten, die zur Linken aber flüsterte

ihm zu, davon abzulassen und den Freuden der Welt

zu leben, und so kämpften sie um seine Seele, und

dieser Kampf, den er im Herzen fühlte und mitkämpfte,

war seine Buße. So ging er Tage lang, und Wochen

lang, und Monden lang, bis er am Meere stand

und kein Erdreich mehr vor sich sah, darauf er seinen

Fuß hätte setzen können. Aber da fuhr ein Nachen

heran, da saß einer drin, der winkte Reginald und

sprach: Exspectamus te! Und das war das Zeichen,

und Reginald stieg in den Kahn, und die zwei Gestalten

mit ihm. Und der Mann im Nachen stieß ab und

fuhr nach einem großen Schiffe hin, das im Meere lag

und alle Segel aufgespannt hatte und alle Flaggen aufgezogen.

Da stiegen die drei an Bord, und der Mann

samt dem Nachen verschwand, und das Schiff segelte

durch das Meer. Reginald aber ging unter das Verdeck

des Schiffes, das ganz menschenleer war und

ohne alle Bemannung; da stand eine Tafel und Stühle,

und die drei setzten sich, und die schwarze Gestalt

legte drei beinerne Würfel auf den Tisch und sprach:

Jetzt wollen wir um deine Seele würfeln bis zum

Jüngsten Tag.

Und das tun sie noch heute, ohne Ruder und ohne

Steuer fährt das Schiff durch den Ozean im Norden,

zur Nacht webern Flammen auf seinen Masten und

tanzen auf den Rahen. Seine Segel sind grau wie

Erde, und seine Flaggen sind fahl wie abgebleichte

Bänder an Totenkränzen. Sein Bord ist leer, und am

Steuer steht kein Steuermann. Sein Gang ist Flug, und

sein Begegnen ist Fluch, Unheil verheißend dem

Fahrzeug, dem es begegnet. Mancher Schiffer hat es

schon gesehen, und es hat ihm Grausen erregt. Selbst

bei Windstille fliegt es wie ein Pfeil über die Meeresglätte.

Und sie nennen es den fliegenden Holländer.

131. Sankt Remaclus Fuß zu Spa

In dem quellenreichen Spa, darinnen mehr denn hundert

Gesundbrunnen ihre Heilwasser ausströmen, ist

eine Quelle, die heißt Groesbeeck, die ist ein Jungbrunnen

und Frauenbad, absonderlich heilsam und

kräftigend. Nahe dabei ist das Zeichen eines Fußes

tief in den Boden eingetreten. Einstens kam der heilige

Remaclus, welcher im Lütticher Lande wohnte, zu

dieser Quelle und verrichtete allda seine Andacht. Der

heilige Mann mochte aber ermüdet sein oder sich

allzu tief in sein Gebet versenken, er schlief ein über

dem Gebet. Solches hat den lieben Gott in etwas verdrossen,

und er schuf, daß einer der Füße des heiligen

Mannes tief in die Erde sank und das Wahrzeichen

also blieb, daß es nimmermehr wieder ausgefüllt werden

konnte. Der heilige Remaclus aber fühlte tiefe

Reue über sein Vergehen und legte sich die strengste

Buße auf, dies sahe Gott mit Wohlgefallen an und

schuf der Fußtapfe eine wunderwirkende Kraft. Frauen,

welche Nachkommenschaft entbehren und Nachkommenschaft

wünschen, halten in der Kirche des

heiligen Remaclus zu Spa eine neuntägige Andacht

und trinken an jedem dieser Tage aus dem Brunnen

Groesbeeck ein Glas Wasser, indem sie den einen

Fuß in die Fußtapfe des heiligen Remaclus setzen.

Vielen hat dort ihr Glaube geholfen.

132. Die schlafenden Kinder

Im Lütticher Lande, zu Stockum, lebte ein armes

Weiblein, eine Wittib mit drei Kindern, kümmerlich,

denn es war teure Zeit, und sie mußte betteln gehen

und konnte doch nichts erbitten und erbeten. Da kam

sie voll Jammer zu ihren drei Kindlein daheim und

sagte: Weh uns Armen! Die Herzen der Menschen

sind hart, und Gott hat ihr Ohr verschlossen. Lasset

uns mitsammen sterben, das ist das Beste für uns

viere, da hungern wir nicht mehr! – Da die Kinder

diese Worte vernahmen, begannen sie zu weinen, und

eines derselben sprach: Ach, liebe Mutter, du wirst

doch dich und uns nicht schlachten wollen – denn die

Alte hielt schon das scharfe Messer in der Hand – laß

uns doch lieber schlafen bis zum Herbst, da gibt es

wieder Korn und Obst, da lesen wir wieder Ähren mit

dir und können leben. Da fiel der Mutter das Messer

aus der Hand, und den Kindern allen dreien fielen die

Augen zu, und entschliefen, und schliefen und

schlummerten in einem fort, durch den Winter und

Frühling und Sommer, und wachten nie nicht auf.

Viele Menschen kamen herbei aus Lüttich und aus

Brabant und sahen mit Verwunderung die immer

schlafenden Kinder, und alle schenkten der armen

Frau etwas, und davon wurde die arme Frau sehr

reich. Und als der Monat August kam, da die Sicheln

der Ährenschnitter im Felde klangen, da wachten die

Kinder allzumal auf und hatten einmal recht ausgeschlafen,

lobten Gott und den frommen Heiland mit

ihrer Mutter und litten nie wieder Mangel.

133. Roß Bayard und Schloß Bayard

Die vier Haimonskinder ritten zumal auf einem großen

überstarken Rosse, des Name war Bayard. Viele

Wahrzeichen gibt es noch von ihm im Lütticher

Lande und der Gegend dort herum. Nahe bei Lüttich

ist ein Felsen, der zeigt eine kahle glatte Stelle, darauf

ist ein Rosseshuf eingetreten, der rührt vom Bayard

her. Als das Roß auf Kaiser Karls Befehl von den vier

Haimonskindern zur Sühne dargebracht wurde, ließ es

der harte Kaiser von der Brücke zu Paris in die Seine

werfen, nachdem es mit Stricken gebunden war, aber

mit seiner Kraft zersprengte es die Stricke und kam

wieder hervor aus dem Wasser und lief zu seinem

Herrn und leckte ihm die Hand. Da ließ der Kaiser

das Roß mit Steinen belasten und abermals in den

Strom stürzen, und wiederum kam es hervor und hatte

die Steine von sich geschüttelt und lief zu seinem

Herrn und stand – und zitterte. Aber der Kaiser fand

seines Zornes gegen das Roß kein Ende und gebot, es

solle am Hals und an den Füßen mit Mühlsteinen belastet

und zum dritten Male in die Flut geworfen werden.

Als das kluge Roß Bayard dieses grausame Wort

vernahm, erschrak es und entfloh ins Weite – aber der

Kaiser gebot Reinhold von Dordone, dem jüngsten,

aber stärksten Sohne Haimons, des Rosses Herrn,

dem es willig wie ein Kind diente und gehorchte, daß

er gehe und den Bayard fange. Da ging Reinhold –

schwerer am Kummer auf seinem Herzen tragend, als

das Roß an Steinen getragen hatte – und fing den Bayard

und brachte ihn geführt, und so wurde das treue

Roß zum dritten Male in die Flut gestoßen, so schwer

belastet, daß es sich nicht wieder ihr entringen konnte.

Es hob nur noch ein einziges Mal den Kopf in die

Höhe und blickte auf Reinhold, seinen Herrn, hin,

dann versank es. Da tät sich Reinhold aller ritterlichen

Gewaffen ab, wanderte als Büßer von hinnen,

kam nach Köln, der heiligen Stadt, und arbeitete allda

unter den Maurern um kargen Lohn am Dombau, bis

neidische Mitgesellen ihn durch einen Steinwurf töteten,

den sie von einer Höhe niederwarfen.

Das Roß Bayard aber blieb unvergessen, vielfach

blieb sein Name in Ehren, ja es geht auch die Sage,

daß es sich an ferner Stelle dennoch wieder aus dem

Strom gerettet und in den Ardennerwald sich geborgen

habe, wo es noch immer bisweilen sich sichtbar

zeige. Bei Dinant ist ein vielfach zerklüfteter Fels, der

heißt der Bayardsfelsen, und ohnweit Charleroi, oberhalb

dem Dorfe Couillet, wird auch ein Bayardstritt

im Stein gezeigt. Dem Rosse zu Ehren hatten die vier

Haimonskinder ein Schloß Bayard genannt, das steht

zu Dhuy in der Grafschaft Namur, dort haben sie öfter

gewohnt, sowie auch auf dem Schlosse Reinoldstein

in der Provinz Lüttich, wo nahe dabei Schloß Poulseur

gelegen war, darauf Malagys, der Vetter der vier

Haimonskinder, ein mächtiger und listiger Zauberer,

wohnte, wie auch im Schloß Amblème, das noch nach

ihnen heißt, und in Eggernwalde. Auch liegt ein Dorf,

Berthem, im belgischen Lande, das hat das Roß Bayard

zum Wappen. Auch zeigte man allda des Rosses

große Krippe und nahe bei Berthem, im Walde

Meerdael, auch einen Bayardhuftritt. Als Reinhold

von Dordone von seinen Brüdern geschieden war, entsagte

auch sein ältester Bruder Adelard der Welt, begabte

die Abtei Corvey mit der Oberherrlichkeit von

Berthem und trat als Mönch in jenes Stift, verstarb

auch alldort eines seligen Todes. Über dem Hochaltare

der Kirche zu Berthem fand sich vordem ein Gemälde

aufgestellt, darauf sahe man Adelard und seine

Brüder samt dem Rosse Bayard vor einem Kreuze

knieen.

Kapitel 7

134. Die Toten in Löwen

Zu Löwen war ein Totengräber, der sollte ein Grab

bereiten, fühlte sich aber krank, zumal war es am

Abend Allerheiligen (Vorabend Aller Seelen) und

schon recht kalt, und da bot sich, wie er klagte, sein

Gevatter an, das Grab für ihn zu machen, was aber zu

Nacht noch geschehen mußte. Vor Mitternacht war

der Mann mit seiner Arbeit fertig und wollte vom

Kirchhof hinweggehen, da sah er eine Prozession auf

diesen gezogen kommen, die schritt über alle Gräber;

es schienen weiße Mönche zu sein, und jeder trug eine

Kerze, und wie sie an den Gevatter kamen, der ein

Spielmann war, ließen alle ihre Kerzen vor ihm hinfallen,

 

der letzte Mönch aber warf eine große Kugel

vor ihm hin, mit zwei Dochten. – Ei, dachte der unerschrockene

Spielmann, das ist schön weiß gebleichtes

Wachs und ein guter Lohn für meine Mühe; sammelte

daher alles sorglich auf, band es in sein Tuch und

barg es daheim unters Bette, schlief auch ganz ruhig

in dieser Nacht.

Andern Tages aber, als der Spielmann sich früher

niedergelegt hatte, konnte er nicht einschlafen, sondern

wachte die Mitternachtstunde heran; siehe, da tat

seine Kammertüre sich auf, und es kamen alle die

weißen Mönche herein und stellten sich um die Betten

her, in denen der Spielmann und seine Frau lagen,

und bückten sich und schauten unter des Spielmanns

Bette und zogen das Tuch mit den vermeinten Kerzen

hervor, und über dem Bücken entfielen den Mönchen

ihre weißen Kapuzen und Mäntel, und waren eitel

scheußliche Gerippe, und schrieen: Mein Arm! Mein

Bein! Mein Kreuz! Meine Rippe! Und meine Rippe!

Und mein Kopf! schrie das letzte Gerippe, das hatte

in der Tat keinen Kopf, und alle den andern Gerippen

fehlte das, wonach sie riefen, und das alles hatte der

Spielmann in seinem Tuche zusammengebunden und

in der Meinung, es seien Wachskerzen und eine

Wachskugel, nach Hause getragen. Nun langten alle

mit ihren klapperdürren Armen nach ihren Gliedmaßen,

und das Gerippe ohne Kopf bückte sich, und der

Spielmann mußte ihm den Kopf selbst auf- und zurechtsetzen,

dann langte es nach des Spielmanns

Geige, drückte sie ihm in die Hände und machte das

Zeichen, daß er aufspielen sollte, und nun faßten sich

alle die Gerippe mit den dürren Fingern an und tanzten

nach dem Spiel und klapperten, und der Spielmann

klapperte auch nebst seiner Frau, und jene kreisten

wild in der Kammer herum, war gar ein schauriger

Totentanz und dauerte eine ewig lange Zeit, und

wenn der Spielmann müde wurde, so langte ihm ein

Gerippe eine Maulschelle in das Gesicht, die sehr weh

tat. Endlich beim ersten Hahnschrei hüllten die Gerip-

pe sich wieder in ihre Mäntel und huschten von hinnen.

Der Spielmann und seine Frau haben von Stund an,

als sie dies Schreckliche erlebt, nicht mehr geredet,

nur daß sie in der Beichte erzählten, was sie gesehen,

und dann sind sie bald darauf mitsammen gestorben.

Besser als diesem Spielmann ist es einem frommen

Bötticher zu Löwen ergangen. Der ging allabends, da

er nahe an Sankt Quintini Kirchhof wohnte, auf diesen

Kirchhof und betete für die Ruhe der Toten einen

Rosenkranz oder zwei. Da geschah es, daß er eine

Summe Geldes für abgelieferte Arbeit einnahm, das er

zu sich steckte, da er gerade auf den Kirchhof gehen

wollte, seiner Gewohnheit noch für die Ruhe der

Toten zu beten. Es waren aber einige Spitzbuben in

der Nähe, die wußten, daß der Bötticher Geld einnehmen

sollte, und dachten gleich, er werde es zu sich

stecken, die lauerten auf ihn, und da er auf den Kirchhof

kam, fielen sie über ihn her und wollten ihn niederwerfen.

Aber da rauschte und brauste, rasselte und

prasselte es ringsumher, und es erhoben sich alle

Toten, für deren Ruhe der Büttner so oft gebetet hatte,

und schlugen mit Arm- und Beinknochen härtiglich

auf die Räuber los, daß denen ein Grauen ankam und

sie teils niederstürzten, teils eilends entflohen. So war

der fromme Meister befreit und gerettet und hat nachher

um so eifriger für die Ruhe der Toten gebetet. Der

Magistrat aber ließ die Geschichte auf eine Tafel

malen und diese an der äußern Kirchenmauer aufhängen,

allwo sie noch zu sehen ist.

Diese Sage geht auch mit weniger Veränderung in

Deutschland von einem Ritter, Torringer geheißen,

der, wenn er nachts am Kirchhof vorüberritt, nie unterließ,

ein Gebet für die Toten zu sprechen. Eines

Abends jagte er aber, von einer ganzen Schar wütender

Feinde verfolgt, welche dicht hinter ihm waren,

vorüber nach seiner Feste zu. Siehe, da erhoben sich

die Toten rasch aus ihren Gräbern und traten zwischen

den Fliehenden und seine Verfolger, die voll

Entsetzen zurückprallten, wie sie die Schädel und Gerippe

im Mondenscheine dastehen sahen und ihnen

den Weg sperrten, und unbeschadet konnte der Ritter

seine sichere Feste erreichen.

135. Der Schwanritter

Da Herzog Gottfried von Brabant zum Sterben kam

und hatte keinen Sohn, so wollte er sein Land und

Erbe seiner Gemahlin und seiner Tochter überlassen.

Aber Gottfrieds Bruder, der Sachsenherzog, wollte

darein nicht willigen und sagte, das Land sei kein

Weiberlehen und Erbe, und nahm Brabant für sich.

Da ward die Herzogin klagend bei König Karl, und

der lud sie und auch ihren Schwager gen Neumagen

(Nimwegen, Nijmegen) am linken Arm des Rheinstroms,

die Wal geheißen, und da kam sie mit ihrer

Tochter hin, und auch ihr Gegner. Und da geschah es,

daß Karolus durch ein Fenster hinausschaute und

hinab auf den Strom, da sah er einen Schwan schwimmen,

der hatte ein silbern Halsband um und zog mit

diesem an silberner Kette einen Nachen nach sich,

und in dem Nachen lag ein Ritter im gleißenden Harnisch,

auf seinem Schilde ruhte sein Haupt, seinen

Helm und Halsberge hatte er abgetan und neben sich

gelegt, und der Schwan ruderte an das Ufer heran.

Alle Hofleute, die das samt dem Kaiser sahen, verwunderten

sich hoch, vergaßen den Rechtshandel und

eilten nach dem Ufer hinunter. Der ritterliche Jüngling

im Nachen aber erwachte, tat sein Gewaffen wieder

an, erhob den Schild, darauf acht Szepterlein um

einen weißen Karfunkel gestellt waren, und stieg aus

der Barke, zu dem Schwane sprechend: Fliege deinen

Weg wohl hin, lieber Schwan, so ich deiner bedarf,

will ich dir rufen! Da wandte sich der Schwan und ruderte

im Wasser und entschwand samt dem Nachen

den Augen der ihm Nachblickenden. Alles blickte

ganz verwunderungsvoll nach dem Gast, dem Karol

selbst die Hand bot und ihn nach der Burg geleitete,

dann setzte er sich auf den Richterstuhl und hieß den

Fremdling bei den Fürsten und Herren eine Stelle einnehmen.

Es erhub nun die Herzogin ihre Klagen, und

ihr Schwager brachte seine Gegenrede vor und sprach,

daß er bereit sei, für sein Recht zu kämpfen, sie solle

ihm nur einen Kämpen stellen, der mit ihm für ihr und

ihrer Tochter vermeintes Recht stritte. Der Sachsenherzog

war aber gar ein mannlicher Held und dem Besten

im Kampfe überlegen, darum erbebte die Herzogin,

denn sie wußte keinen Kämpen in ihrer Sippschaft,

den sie wagen konnte aufzufordern, sich jenem

gegenüberzustellen. Da weinte sie im bittern

Schmerz, und ihre Tochter weinte mit ihr, und es war

ihr weh im Herzen. Siehe, da erhob sich der junge

Ritter, so mit dem Schwan gekommen war, von seinem

Stuhl, neigte sich gegen den Kaiser und sprach:

So du es mir vergönnest, großer Kaiser, so will ich

wohl dieser Frauen Kämpe sein. Das wurde ihm gewährt,

und er stritt darauf einen schweren Streit mit

dem Sachsenherzog, doch obsiegte er ihm endlich und

machte so der Herzogin und ihrer Tochter Erbe frei

und ledig. Die danketen ihm in Züchten, und die Herzogin

bot ihm jeden Kampfeslohn, den sie gewähren

könne, und wär' es selbst ihrer Tochter Hand und einstiges

Erbe. Da sagte der Jüngling, Werteres könne

ihm nimmer geboten werden; sein Name sei Helias,

das und mehr könne er von sich nicht sagen, und

müsse er unerläßlich bedingen, daß seine Braut und

Vermählte nie und nimmermehr ihn frage, wo er hergekommen,

welches sein Geschlecht sei, wer ihm

Vater und Mutter wäre, und solcher Fragen mehr,

denn sowie sie solche Frage auch nur die leiseste und

nur ein einziges Mal an ihn richte, müsse sie auf

immer ihn verlieren.

Diese Bedingnis deuchte der Prinzessin von Brabant

gar leicht zu halten; sie gelobte ihm das und vermählte

sich dem Schwanenritter Helias. Sie zogen

nach Cleve, der uralten Stadt, wo schon Julius Cäsar

eine Burg erbaut, erneueten das Schloß und nannten

es die Schwanenburg und freuten sich des Lebens und

der Landschaft, die schon manche mit den elyseischen

Feldern der alten Mythe ob ihrer Anmut verglichen.

Beide gewannen auch zwei blühende Kinder und

waren sehr glücklich, wären es auch geblieben, wenn

nicht der Weiber Erbsünde, die schlimme Neugier,

die junge Herzogin gequält und immer mehr gequält

hätte. Die mochte gar zu gerne wissen, wer denn eigentlich

ihrer Kinder Vater sei, und so drückte es ihr

fast das Herz ab, bis sie endlich die Frage tat, die ihr

doch so ernst verboten war. Da sprach Helias: Nun

hast du dein Glück zerbrochen und mein Glück und

hast mich am längsten gesehen. – Und waffnete sich

und winkte zum Fenster hinaus – da kam schon der

Schwan geschwommen mit seinem Schifflein. Und

der Herzog küßte seine Kinder und drückte seiner Gemahlin

stumm und schmerzlich die Hand – die weinte

überlaut und stürzte ihm voll Reue zu Füßen und

wollte ihn zurückhalten, und auch alles Volk flehte

ihn an, daß er bleiben sollte. Aber Helias konnte nicht

bleiben – er segnete alle, bestieg seinen Kahn und

fuhr von dannen. Tief drang der Kummer ins Gemüt

der Herzogin, doch erzog sie die Kinder zu tüchtigen

Rittern, und ihnen entstammten alle spätern Grafen

und Herzoge von Cleve und Geldern und Reineck, die

führten meist den Schwan im Wappen. Des Landes

Heerschild aber blieb der weiße Stein im roten Felde,

um den die acht goldnen Szepterstäbe gestellt sind,

bis auf diesen Tag. Auf dem Schwanenturme der

Schwanenburg aber zeugt noch ein weißer Schwan,

der sich im Winde dreht, von dieser Geschichte.

136. Gelre, Gelre!

Im weiten offnen Lande zwischen dem Rheinstrom

und der Maas hauste zu Kaiser Karl des Kahlen Zeiten

ein untümlicher Drache, der zehrte Menschen und

Tiere auf, und wenn er Hunger hatte, so schrie er mit

lauter gellender Stimme immerfort: Gelre, Gelre! Die

Menschen wichen aus der Gegend hinweg, die doch

schön und fruchtbar war, denn das Untier war unüberwindlich.

Nun saß in der Nähe ein Edler, Otto, Herr

von Pont, der hatte drei Söhne, deren Ältester hieß

Leupold, und dieser Leupold war ein tapferer junger

Degen und hatte Mut, dem Ungetüm zu Leibe zu

gehen. Er wappnete sich auf das beste und erkundete

den Ort, wo der Drache hause. Da ward ihm ein alter

Birnbaum gewiesen, der voller Mistelpflanzen stand,