Israel als Urgeheimnis Gottes?

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187 Analogia entis I, 51.

188 Vorwort, in: IuG, 9f.

189 Der Ruf, 93.

190 Vgl. P. MOLTENI, Al di là degli estremi, 78f.

191 Z.B. Simone Weil, 73.

192 M. ZECHMEISTER, Gottes-Nacht, 93.

193 H.U. VON BALTHASAR, Erich Przywara, in: L. ZIMNY (Hrsg.), Erich Przywara, 12.

194 Vgl. L.B. PUNTEL, Analogie und Geschichtlichkeit, 549.

195 F. KAUFMANN, Erich Przywara, Humanitas, 243 und 249.

196 Ebd., 242.

197 K. RAHNER, Laudatio, 272.

198 K. BARTH – E. THURNEYSEN, Briefwechsel, II, 190.

199 Im Vorfeld schreibt Barth an Thurneysen über seine Vorbereitungen für die Seminarsitzung, in der Przywara „dann einmal alles, was er über analogia entis etc. zu sagen hat, von Angesicht zu Angesicht vertreten“ sollte: „Aber auch da werden wir einen schweren Stand haben. Er ist ein Klügling durch und durch. Neulich hat Lollo [Charlotte von Kirschbaum] einen zweistündigen Vortrag von ihm gehört, in dem er alle unsere schönsten Register auch gespielt haben und nur zuletzt eben mittelst Thomas alles wieder eingewickelt haben soll. Lollo schrieb mir geradezu, sie habe den Eindruck gehabt, das sei der einzige, aber ein wirklich ernsthafter Gegner, den ich zu fürchten habe“ (ebd., 638).

200 Ebd., 651.

201 Ebd., 651–653. Thurneysen hatte ein Jahr später Przywara zu Gast gehabt und ihn im persönlichen Gespräch folgendermaßen erlebt: „beweglich und gescheit und nicht ohne eine gewisse menschliche Güte und Ansprechbarkeit. Wie eine Tanzmaus rannte er hin und her zwischen allen Gestalten der gegenwärtigen Weltbühne, heißen sie nun Heidegger oder Gogarten oder Buber oder Grisebach oder Husserl, benagte sie alle und äugte dann plötzlich aus dem eigenen Loch noch schnell siegreich heraus, um ungreifbar darin zu verschwinden. Dieses eigene Loch hieß diesmal: gratia praeveniens, hieß oboedientia potentialis, hieß gratia inhabitans, aber dies alles so raffiniert interpretiert, daß aller Pelagianismus gänzlich ausgeschlossen schien und einem alle die plumpen Kategorien, mit denen man ihn doch noch in die Falle zu bringen hoffte, gänzlich nebenabfielen. Man mochte noch so oft zum theologischen Bierjungen mit ihm ansetzen, man hatte kaum angesetzt, so war man auch schon ‚zweiter‘ Sieger. Ich glaube, mit dem würde der Teufel selber es verlieren. […] Sogar Fritz Lieb, den ich miteingeladen hatte, verstummte ob der großen Einsichten des Wasserpolaken, der alles immer noch ein wenig besser wußte und genauer kannte. Aber alles in allem ein ganz und gar vornehmes, urbanes und gelehrtes Gespräch. Es wurde unaufhörlich lateinisch gesprochen, es wurde sachkundig von der Orthodoxie und den Ikonen geredet, es wurde durchaus an keiner Stelle irgendjemand beleidigt oder direkt angegriffen. Es schimmerte durch alles hindurch beim Herrn Pater selber die große Sicherheit dessen, der auf dem unwandelbaren Felsen der Kirche eine wirkliche Zuflucht hat. Und so staunte man und bekam es fast mit dem Heimweh nach dieser ganzen erstaunlichen katholischen Möglichkeit, wenn nicht. ja, wenn nicht irgendwo ein letztes Grauen vor soviel Kunst in einem zurückgeblieben wäre“ (ebd., 708f). Zur Kontroverse zwischen Barth und Przywara siehe B. Dahlke, Die katholische Rezeption, 80–92, 124–129.

202 Oberschlesien, 12.

203 Siehe vor allem A. FOA, Ebrei in Europa, 231f. Darüber hinaus siehe G. ALY, Warum die Deutschen?; T. VAN RAHDEN, Juden und andere Breslauer; T. WEGER, Niemcy, Żydzi i Polacy.

204 G. Aly schreibt von einer generellen „deutsch-jüdische[n] antipolnische[n] Allianz, die bis in die Spätzeit der Weimarer Republik hielt“ (G. ALY, Warum die Deutschen?, 64). Im ähnlichen Spannungsfeld suchten auch die Prager Juden in ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis Schutz vor dem aufstrebenden tschechischen Nationalismus (Vgl. A. FOA, Diaspora, 85). Der wichtigste von ihnen mag Franz Kafka gewesen sein. Ohne seine Erfahrung, der jüdischen und zugleich der deutschsprachigen Minderheit in der überwiegend christlichen und slawischen Stadt der auseinanderfallenden Donaumonarchie anzugehören, sind seine Werke kaum zu denken. Als solcher symbolisiert auch er das Drama der jüdisch-deutschen Symbiose: „By the time Kafka died in 1924, only 5 per cent of the population of Prague were native German speakers. Most of them, like Kafka, were Jewish. And nearly twenty years later most of those, like his three sisters, were murdered in the Holocaust during the Nazi occupation of Czechoslovakia: it was, ironically, the Germans themselves who finally eliminated the German language and tradition in Prague” (N. MACGREGOR, Germany, 57f).

205 Zit. als Titel in: M. BOLL – R. GROSS (Hrsg.), „Ich staune, dass Sie in dieser Luft atmen können“.

206 Begegnungen jüdischen und christlichen Geistes, in: H.J. SCHULTZ (Hrsg.), Juden, Christen, Deutsche, 239-–48. Vgl Rätsel Israel.

207 Im Nachlass Przywaras befinden sich zwei Briefe Baecks an Przywara (ArchDPSJ 47–182–13) sowie zwei Abschriften von Przywaras Briefen an Baeck (ArchDPSJ 47–182–812) aus den Jahren 1954–55, die auf persönliche Kontakte vor dem II. Weltkrieg schließen lassen. „Oft einmal habe ich in den vergangenen Jahren an Sie gedacht und hatte gefragt wie es Ihnen wohl ergehe“, schreibt am 9. Februar 1954 Baeck, der sich für die vom Fritz Landsberger überbrachten Grüße und Wünsche bedankt. „Ihr Brief ist für mich eine der schönsten Überraschungen seit dem Beginn der bösen Jahre“, antwortet Przywara (beim angegeben Datum, dem 2. Februar 1954, handelt es sich offensichtlich um einen Fehler).

208 Begegnungen, 243.

209 Rätsel Israel, 101. „Nach der im Frühjahr 1933 verfügten Zwangsauflösung der Bündischen Jugend durch die Nationalsozialisten sammelte Schoeps deren jüdische Mitglieder in einer eigenen Organisation, dem Deutschen Vortrupp. Gefolgschaft deutscher Juden. Seine in diesem Rahmen entfalteten Unternehmungen zielten vorrangig darauf ab, die Zugehörigkeit der Juden zum Deutschtum bzw. zum Preußentum herauszustellen, und richteten sich vehement gegen alle Versuche, die deutsch-jüdische Symbiose zu entflechten, d.h. beide ‚Völker‘ zu ‚dissimilieren‘“ (F.-L. KROLL, Hans-Joachim Schoeps), 110). Wie J.H. Schoeps schreibt, wollte sein Vater die damalige liberale Führungsschicht im deutschen Judentum durch konservative, „bündisch-soldatische Kräfte“ ersetzen, was jedoch nicht besonders ernst genommen wurde. Dem Versuch soll eine Fehleinschätzung der Situation, aber keine Absicht, mit Nazis zu paktieren, zugrunde gelegen haben (vgl. J.H. SCHOEPS, „Hitler ist nicht Deutschland“, 232f. Vgl. Ders., Im Streit um Kafka).

210 Siehe dazu S.M. BATZDORF, Edith Stein, 160–163; M. BÖCKEL, Edith Stein; R. SCHMIDBAUER, Edith Stein.

211 Siehe dazu z.B. S. WEIL, Il fardello dell’identità.

212 Nach K.-H. Wiesemann müsse „der innere, vielleicht nur äußerst mittelbar erkenn- oder erahnbare Nachhall, den diese geistig-geistliche Freundschaft auf höchsten Niveau in den Beteiligten und ihren Werken erzeugte“ beleuchtet werden: „Welchen Niederschlag findet etwa das eigentümlich schwebende und quirlig oszillierende Polaritätsund Analogiedenken des Jesuiten in dieser so gradlinig angelegten Konvertitin? Wo ist der innere Berührungspunkt zwischen beiden, ohne den es keine fruchtbare Beziehung geben kann?“ (K.-H. WIESEMANN, Edith Stein, 189). Im Zuge der Befragung für den Seligsprechungsprozess schreibt der betagte Przywara jedoch, ihre Beziehungen waren „rein philosophischer Natur“. „Natürlich haben Edith Stein und ich uns mehrfach in wissenschaftlichen Angelegenheiten gesprochen; nach ihrem Eintritt in den Orden sprach ich mit ihr ein einziges Mal im Karmel von Köln. Ein Briefwechsel nach ihrem Eintritt bestand nicht, weil unsere philosophischen Fragen erledigt waren“ (Brief an Prälat [J.] Queck (Erzbischöffliches Offizialat in Köln), vom 26. Mai 1968 [Abschrift], in: ArchDPSJ 47–182–923).

213 Vorwort in: RdG I., X.

214 Simmel – Husserl – Scheler, 34.

215 Begegnungen, 239.

216 Über die vielen Erscheinungen des Antijudaismus siehe D. NIRENBERG, AntiJudaismus, bes. 97–143, 389–459. Über den Antijudaismus und Antisemitismus im Kontext der deutschen Philosophie der Neuzeit siehe D. DI CESARE, Heidegger, bes. 36–81. Eine bestechend ausgewogene und konsequente Analyse des traditionellen christlichen Antijudaismus als Schuldpotential im Kontext der Schoah findet sich in: G. LOHFINK – ‚ Maria – nicht ohne Israel, 45–57. Eine kompakte Übersicht der schwierigen und komplexen Beziehungen zwischen Kirche und Judentum bis zum Vortag des Zweiten Vatikanischen Konzils in: R.A. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar, 618626.

217 Universeller Geist, in: Unser Oberschlesien 2 (1952) 5, zit. in: G. WILHELMY, Vita, 8.

218 Vgl. G. ALY, Warum die Deutschen?, 105; O. BLASCHKE, Katholizismus und Antisemitismus, 65f. Eine differenzierte und behutsame Verortung dieses Phänomens bietet Ch. Kösters, der mit O. Blaschkes These vom für das katholische Milieu konstituierenden Antisemitismus polemisiert. Laut Kösters deuten die Forschungsergebnisse auf ein eher ambivalentes Verhältnis zu den Juden, die bis in die ersten Jahre des NS-Regimes keineswegs eine herausragende Rolle in der Wahrnehmung der Katholiken spielten. Auch die Methodologie der Forschung, aus der Blaschke die These von einer „bruchlosen Kontinuität eines katholischen Antisemitismus zwischen 1871 und 1945“ herleitet, scheint ungenügend. Die von Blaschke „für die Historisch-Politischen Blätter von 1838 bis 1919 und die Stimmen aus Maria Laach von 1871 bis 1919 insgesamt nachgewiesenen 604 bzw. 197 Seiten antisemitischen Inhalts machen jeweils deutlich weniger als 1% der Gesamtseitenzahl dieser Zeitschriftenjahrgänge aus“ und werden nicht in Verhältnis mit den anti-antisemitischen Stimmen gebracht. Kösters will damit den „Zusammenhang von katholischen Milieu und Antisemitismus“ nicht relativieren, aber die Erklärungskraft woanders suchen: „in den vielen Grauschattierungen getrübter, teilweise gänzlich verstellter Wahrnehmung der jüdischen Lebensschicksale; von der Aufnahme familiärer Verbindungen zwischen Christen und Juden abgesehen, war und blieb man einander fremd“ (CH. KÖSTERS, Katholische Kirche, bes. 37f). Siehe auch: TH. BRECHENMACHER, Katholischer Antisemitismus?. Viele persönlich formulierten Einsichten in das jüdisch-katholische Miteinander zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland und Österreich finden sich in: A. KOSCHEL (Hrsg.), Katholische Kirche und Judentum.

 

219 O. BLASCHKE, Das Pianische Jahrhundert, 118f.

220 R. SCHNEIDER, Verhüllter Tag, 155.

221 Vgl. J. TAUBES, Brief an E. Przywara, vom 3. Januar 1953.

222 Brief an J. Taubes, vom 23. März 1953.

223 Vgl. J. TAUBES, Brief an E. Przywara, vom 19. Oktober 1960.

224 J. TAUBES, Die politische Theologie, 140f.

225 Ebd.

226 R. FABER, „Theokratie von oben …“, 63. „Taubes pflegte tatsächlich und mit Vorzug das Gespräch mit Antipoden, von Hans Urs von Balthasar über Eric Vogelin, Hans-Dietrich Sander und Armin Mohler bis Carl Schmitt“ (ebd., 89).

2. Religionsphilosophische und offenbarungstheologische Verortung des christlich-jüdischen Verhältnisses

Die für die Ausformung von Przywaras Sicht auf Israel und das christlichjüdische Verhältnis entscheidenden Begegnungen und Auseinandersetzungen fanden Mitte der 20er Jahre statt, als Przywara auf die zeitgenössische Religionsphilosophie des Judentums aufmerksam wurde. Ihren schriftlichen Ausdruck fanden sie in dem ursprünglich 1925 publizierten Artikel Judentum und Christentum. Zwischen Orient und Okzident1. Die darin enthaltene Verortung des Judentums nimmt Przywara im Wesentlichen in sein späteres Denken auf und thematisiert sie in verschiedenen Zusammenhängen. Die frühe Debatte um seine Thesen bleibt aber in ihrer direkten Form ein einmaliger Moment eines lebendigen katholisch-jüdischen Austausches. Um die Dynamik von Przywaras Beschäftigung mit dem ‚Rätsel Israel‘ und ihre Bedeutung für sein ganzes Werk erfassen zu können, widmen wir uns zuerst dieser punktuellen Begegnung mit dem jüdischen Denken und dessen Vertretern, um die daraus gewonnenen Thesen in den offenbarungstheologischen Zusammenhang zu stellen.

2.1 Hinführung: Religiöser Wettstreit angesichts der Herausforderung der Weimarer Zeit

2.1.1 „Katholische Wende“ und Przywaras Auseinandersetzung mit dem Protestantismus

Bei der Lektüre von Przywaras zahlreichen Texten aus den ersten Jahren seines intensiven Wirkens und Dialogisierens mit den Fragen der Zeit fällt zuerst auf, dass das Judentum dort nicht erwähnt wird. Wie Przywara selbst erzählt, waren es 1924 zwei Rabbiner in Essen, die es ihm nach einem seiner Vorträge über das Phänomen der „Wende“ im deutschen Geistesleben nahelegten, unter dieser Hinsicht die neuere jüdische Religionsphilosophie zu untersuchen2. Dass die Kontaktinitiative von jüdischer Seite ausging, kann als bezeichnend für die religiöse Situation der Weimarer Zeit betrachtet werden, an der hauptsächlich drei Parteien beteiligt waren: Protestanten, Katholiken und Juden. Aus katholischer Perspektive mag das jüdische Interesse an Przywaras Thesen als Zeichen der Anerkennung und Aufwertung im Verhältnis zum Protestantismus gesehen werden, der ja als der intellektuellere und für das deutsche kulturelle und gesellschaftliche Leben prägende Repräsentant des Christentums galt. Aber auch für den Katholiken Przywara war der Protestantismus die wahre Herausforderung, der er seine Aufmerksamkeit schenkte. In Przywaras Bestandaufnahme der geistigreligiösen Situation nach dem I. Weltkrieg blieb das Judentum zuerst außer Acht.

In diesem Kontext ereignet sich die schon erwähnte „katholische Wende“, zu deren prominentem Sprecher Przywara gehört. Es handelt sich dabei keineswegs um ein auf die institutionelle Kirche beschränktes Phänomen, sondern um einen Ruck, der durch alle Bereiche der Kultur und Religiosität geht und sich auf verschiedene Weisen manifestiert, aber immer zu den Idealen hinstrebt, die man im weiten Sinn als katholisch bezeichnen kann. Das Objektive, die Gemeinschaft, die Natur treten an die Stelle des Subjektivismus, Individualismus und Intellektualismus. Darin erspähen viele eine „Bewegung zum Katholizismus hin, d.h. zum mindesten in der Form einer positiven Wertung des ‚Katholischen‘ als eines schöpferischen Faktors des allgemeinen Geisteslebens“3. Es scheint, dass das Katholische zum „Losungswort einer neuen Epoche deutscher, ja europäischer Entwicklung“ wird, und sogar akonfessionelle Kreise sprechen vom „geistigen Katholizismus“, „katholischen Menschen“ und „katholischen Ethos“, die die neue Epoche prägen sollen4.

Diese Zuwendung zum Katholizismus und den neuen Werten ist aber gleichzeitig eine Abwendung von den bisherigen Werten, für die sich der Protestantismus in seiner liberalen preußischen Variante stark machte. Diese interkonfessionelle Polemik ist auch für Przywara entscheidend. Der neue, katholische Ansatz will ein Gegenentwurf zum bisherigen anthropozentrischen Idealismus des Kulturprotestantismus sein. Darin begegnet er aber dem Anliegen der innerhalb des Protestantismus von Karl Barth initiierten dialektischen Theologie. Przywara versucht diese interkonfessionelle Auseinandersetzung tiefer anzusetzen und den Katholizismus nicht im engen konfessionellen, sondern im weiten ursprünglichen Sinn zu verstehen und als solchen zu präsentieren. Die allumfassende Spannungseinheit der Katholizität sei die Überwindung aller Einseitigkeiten, die sich in den beiden miteinander streitenden Flügeln des Protestantismus zeigen.

Aus diesem Grund müssen die protestantischen Strömungen auf den gemeinsamen Nenner gebracht werden. Przywara bezeichnet ihn als eine typische Mentalität, die sogar als ein „Krankheitskeim“ und „eine geheime Infizierung mit lutherischem Geist“5 in den deutschen Katholizismus eingedrungen ist. Nicht um einzelne Lehren und dogmatische Abweichungen handelt es sich, sondern um die Haltung des Protestes gegen die reale Kirche im Namen eines idealen Kirchenbildes, in dem sich aber ein „geheimer Protest gegen die Welt, wie Gott sie geschaffen und erlöst hat“, verbirgt. Der „katholischen Wende“ muss es also „um die Liquidation der Reformation, aber hier entscheidend der Reformation in uns selbst, ihres ‚Protestes‘ in uns“6, gehen. Sonst verfangen sich die katholischen Neuaufbrüche in der psychologisch erklärbaren Dynamik einer protestierenden Ausblendung „der Zerklüftung und Zerflatterung der Welt“7 im Namen einer idealen Weltgestalt und neigen zu einer „ästhetische Flucht vor der ‚gemeinen Wirklichkeit‘“8, die „nicht mehr eine innere Beziehung zu Gott“9 findet. Nachdenklich stimmt Przywara auch die nicht reflektierte Abhängigkeit der katholischen Bewegungen von der Phänomenologie, vor allem der Werteethik Max Schelers. Die idealen Werte, die „praktisch als das ‚nicht von der Welt‘“10 erscheinen, müssen in eine Gegensatzspannung zur Wirklichkeit gebracht werden, sonst zerschellt das reale Leben an den verklärten, abgehobenen Idealen.

Przywara weiß, dass das Phänomen der „katholischen Wende“ aufs Engste mit der dialektischen Theologie selbst verbunden ist. Angesichts dieser theozentrischen Neuausrichtung nach dem I. Weltkrieg fragt er aber, ob es nicht bloß ein neuer Umschlag der ausweglosen Dialektik ist, der nur deswegen aufgetreten ist, weil das Vertrauen auf die Diesseitskräfte gesunken ist. „Ist die ganze religionsphilosophische Wende nicht so etwas wie ein Nervenversagen der Wissenschaft?“11. Wenn die Gottesbejahung nur eine verzweifelte Weltflucht ist, dann wird sie wieder umschlagen, sobald sich die allgemeine Lage verbessert und der Mensch wieder den Eindruck bekommt, er könne ohne Gott auskommen, wie es im 19. Jahrhundert das Grundempfinden war. „Ist es nicht merkwürdig, daß zum mindesten ein halbes Jahrhundert sozusagen ohne Gott auskam und nun auf einmal Gott als notwendig empfunden wird?“12. In Anbetracht dieser 1922 formulierten Fragen muss man dem Realismussinn des gerade 33-jährigen Przywara Respekt zollen. Fast 40 Jahre später wird er seine Befürchtungen erfüllt sehen: „War in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg ein sogenanntes ‚Theozentrisches Christentum‘ das gemeinsame evangelisch-katholische Anliegen, z.B. in der Theologie Karl Barths wie in der katholischen Liturgischen Bewegung, so wird nun immer mehr ein psychologisch personales ‚Anthropozentrisches Christentum‘ die gemeinsame Parole evangelischer und katholischer Kreise“13.

So wird deutlich, wie Przywaras Ringen um die Verhältnisbestimmung zwischen Gott und Welt unzertrennbar mit der Identitätssuche des Katholizismus nach dem I. Weltkrieg verbunden ist. Przywara ist bemüht zu zeigen, dass die doktrinären Konfessionsunterschiede zuletzt auf die zentrale Vorstellung über Gott und Welt fokussieren und somit Auswirkungen auf die Gestalt des ganzen gesellschaftlichen Lebens haben14. Die Unterscheidungen sind oft grob und scharf formuliert, da es um eine erste Orientierung in der aufgewühlten Atmosphäre der Nachkriegszeit geht. Während Przywara aber gegen die protestantischen Verirrungen polemisiert, nimmt er den Katholizismus in die Pflicht, eine echte katholische Haltung an den Tag zu legen. Die Wahrheit des Katholizismus und des Protestantismus soll sich als weltgestaltende Kraft im praktischen Leben beweisen.

2.1.2 Die jüdische Religionsphilosophie zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Die Versuche, dem Judentum eine Stimme in der geistig-religiösen Debatte einer mehrheitlich christlichen Gesellschaft zu verschaffen, charakterisieren die Ära der jüdischen Emanzipation im deutschsprachigen Raum seit ihrem Beginn Anfang des 19. Jahrhunderts. Waren jedoch Moses Mendelssohn und die Vertreter der „Wissenschaft des Judentums“ der ersten Stunde um Integration in die Gesellschaft bemüht und unterstrichen deswegen die Affinität zwischen der jüdischen Religiosität und den das bürgerliche Milieu beherrschenden Strömungen der Aufklärung und der liberalen protestantischen Theologie, so zeichnete sich um die Jahrhundertwende eine gewisse Akzentverschiebung ab. Die Gefahr einer totalen Assimilation und Auflösung des Judentums auf der einen und die anhaltende Ambivalenz der christlichen Gesellschaft gegenüber den Juden auf der anderen Seite führten zu einer „erhöhte[n] Sensibilität für alle zur Ausformung einer spezifisch jüdischen Identität notwendigen Aspekte“15.

Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts stehen also unter dem Zeichen, das Spezifische der jüdischen Religiosität und des jüdischen Denkens auch polemisch artikulieren zu wollen. Geradezu symbolisch stehen sich hier zwei Werke gegenüber, die das Christliche und das Jüdische in nuce zum Ausdruck bringen wollen. Dem famosen Wesen des Christentums (1900) des Berliner Theologieprofessors Adolf von Harnack, in dem das Judentum als eine Vorstufe und Negativfolie des Christentums erscheint, entgegnet Das Wesen des Judentums (1905, zweite und erweiterte Ausgabe 1921) eines noch unbekannten, aber selbstbewussten Oppelner Rabbiners Leo Baeck, in dem das Judentum und die jüdische Existenz als Eigenwert dargestellt werden. Nicht nur wurde das Judentum durch das Christentum und die Aufklärung nicht überwunden, sondern es ist die religiöse Kraft, die die Menschheit in ihrem Streben nach der Verwirklichung anführen will und kann.

Das Christentum, das Baeck und andere jüdische Denker dieser Zeit vor Augen haben, ist hauptsächlich der Protestantismus. Mit ihm wird diskutiert, in Bezug auf ihn wird Stellung genommen16. Dabei spielen auch hier Argumente der gesellschaftlichen Brauchbarkeit eine eminente Rolle. Die jüdischen Denker versuchen dem Protestantismus den Anspruch abzustreiten, die beste Quelle der Ethik für die moderne Gesellschaft zu sein. Vor allem Hermann Cohens Werk steht repräsentativ für die Überzeugung, das jüdische und das deutsche Volk begegneten und ergänzten sich auf dem Boden der ethischen Ideale der Aufklärung und des Humanismus. Die Katastrophe des I. Weltkrieges fordert aber auch den jüdischen Fortschritts- und Emanzipationsoptimismus heraus17, und es ist bezeichnend, dass Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung, was an der Front im Balkan geschrieben wird, die existenzielle Erfahrung des Judentums viel deutlicher betont. Die jüdische Religionsphilosophie dieser Zeit ist in die gesamtdeutsche Aufarbeitung des geistigen Erbes des 19. Jahrhunderts zutiefst involviert. Gleichzeitig ist ihre Beschäftigung mit der philosophischen Tradition der Neuzeit mit der Frage nach der jüdisch-deutschen Symbiose unzertrennbar verknüpft.

 

Die Begegnung mit der neuzeitlichen Philosophie, der Versuch, das genuin Jüdische in ihrer Sprache und Terminologie zu artikulieren, sowie Stellung zur christlich-dominierten Umwelt zu beziehen, blieb jedoch nicht ohne Einfluss auf das deutsche Judentum selbst. So ist es selbstverständlich, dass das gemeinsame Anliegen, die jüdische Religiosität ad extra zu präsentieren und sich gesellschaftlich zu etablieren, gleichzeitig zu einer innerjüdischen Debatte um die Anpassung und Bewahrung führte, in der sich die Strömungen der Orthodoxie und der Reform gegenüberstanden. Für hitzige Gespräche um die jüdische Identität sorgte aber auch die schon erwähnte Begegnung mit dem traditionellen Ostjudentum, das die Auseinandersetzung mit den Idealen der Aufklärung nicht kannte. Die von der Unumkehrbarkeit der Assimilationsdynamik überzeugten deutschen Juden müssen zur Bewegung des Zionismus, der eine jüdische Nation und einen jüdischen Staat zu etablieren sucht, Stellung beziehen. Martin Buber erinnert das westliche Judentum an die mystische Tradition der Chassidim und versucht, eine Brücke zu den zionistischen Ideen zu schlagen. Sein Kulturzionismus will eine Renaissance des jüdischen Lebens aus dem alle Strömungen einigenden Geist des Urjudentums fördern18.

Ob die Rabbiner aus Essen, die Przywaras Vorlesung beiwohnten, sich von dem katholischen Intellektuellen eine hilfreiche Stimme zur innerjüdischen Unterscheidung der vielen Strömungen erhofften, kann lediglich gemutmaßt werden. Man beachte jedoch, dass in Przywaras Versuchen der Verhältnisbestimmung zwischen Judentum und Christentum nicht so sehr zwei geschlossene Gestalten, sondern eher zwei Prozesse der Identitätssuche aufeinander bezogen werden. Dass ihm als Ausgangspunkt seines Artikels, der nun besprochen werden soll, die Diskussionen auf den Tagungen der „Gesellschaft für freie Philosophie“, auf denen sich auf die Initiative von Graf Keyserling die Vertreter der verschiedenen religiösen, philosophischen und kulturellen Strömungen zusammenfanden, um in freiem Austausch über die großen Geistesfragen zu debattieren19, dient, unterstreicht noch einmal den besonderen zeitgeschichtlichen Augenblick, in dem der kosmopolitische Drang in die Weite und die Sorge um Bewahrung des Proprium aufeinandertrafen. Es darf aber auch nie aus den Augen verloren werden, wie stark dieses christlich-jüdische Ringen für beide Seiten in Fragen verwoben ist, die speziell die deutsche Gesellschaft betreffen.

2.2 Religionsphilosophische Auseinandersetzung in Przywaras Artikel „Judentum und Christentum“ (1925) und in der anschließenden Debatte

2.2.1 Die Hauptthesen Przywaras

Przywaras Studium der jüdischen Philosophie der Gegenwart, das er auf Anregung der Essener Rabbiner unternahm, mündete in seinen Artikel Judentum und Christentum. Zwischen Orient und Okzident, der im September 1925 in Stimmen der Zeit erschien20. Schon der Untertitel verweist auf den Raum der Auseinandersetzung. Es ist die Suche nach der Möglichkeit einer neuen Form des Mitlebens für die Völker nach der Katastrophe des I. Weltkriegs, die als Grundlage eine Einheit östlichen und westlichen Denkens fordert. Im Hintergrund steht hier die Frage der breit verstandenen Katholizität, die sowohl das Judentum wie der Katholizismus für sich beanspruchen. Diese Nähe des gemeinsamen Anliegens bedingt die Notwendigkeit der Unterscheidung und Stellungnahme, da durch die verschiedenen Ansätze des jüdischen Denkens der eine Anspruch durchtönt, so Przywara, das Judentum als die Religion der Versöhnung der Gegensätze zu beanspruchen.

„Alle soziale, politische, wirtschaftliche Seite dieser Frage ist nur Peripherie, äußerste Spiegelung des eigentlichen religiös-metaphysischen Zentrums: das Judentum erhebt als Anspruch seines innersten Wesens denselben Anspruch, den das Christentum kraft seines innersten Wesens erhebt […]. Damit ist die Frage nach jüdischer Religiosität Gegenwartsfrage des Christentums“21.

Durch dieses knappe Zitat, mit dem Przywara die Untersuchung der einzelnen Denker des Judentums einleitet, schimmert die Grundstruktur seines Denkens durch, die den weiteren Duktus der Abhandlung bedingt. Er lässt sich auf das Viele und scheinbar Gegensätzliche ein, um darin das Eine, das besagte „metaphysisch-religiöse Zentrum“ des Judentums, das sich in dem geschichtlich Mannigfaltigen manifestiert, zu finden. Gleichzeitig geht es um die Herausstellung des entscheidenden Gegensatzes zwischen den beiden Religionen. Um sich selbst zu verstehen, wird das Christentum angesichts des Anderen gestellt.

Przywara befasst sich hauptsächlich mit fünf jüdischen Denkern und ihren spezifischen Ansätzen. Der wichtigste Gegensatz wird zwischen dem Neu-Kantianer Herman Cohen („Judentum als die Vernunftreligion der Menschheit“) und dem Lebensphilosophen Martin Buber („Judentum als die Religion der Einheit von Orient und Okzident“) aufgebaut. Franz Rosenzweig („Judentum als das metaphysische Volk“) wird in die Nähe zu Cohen und Max Brod („Judentum als die Religion der individuellen Gnade“) in die Nähe zu Buber eingeordnet. Der innerjüdische Gegensatz schließt sich für Przywara bei Leo Baeck („Judentum als die Polaritätsreligion“)22.

In Bubers Schriften sichtet Przywara den Versuch der Vermittlung zwischen dem orientalischen und okzidentalischen Geistestypus in Bezug auf das Miteinander zwischen Mensch und Welt. Im Orient liegt der „Aktivitätsakzent“ auf der Welt, sie „vollzieht sich im Menschen, während für den Okzidentalen derselbe Akzent auf dem ‚Ich‘ liegt, der Mensch vollzieht die Welt“23. Das Judentum verbindet die beiden Geisteshaltungen durch die Lehre von „Umkehr“, „Entscheidung“ und „Verwirklichung“, in der der westliche Vorgang am Individuum gleichzeitig der östliche Vorgang an der Welt ist, da die Welt durch das Handeln des Menschen zu sich kommt. Die eigentliche Lösung des Judentums liegt jedoch darin, das Verhältnis zwischen Mensch und Gott als dynamische Identität zu erfassen. Przywara zitiert Bubers Worte von der „Wirkung der Menschentat auf Gottes Schicksal“24, um zu behaupten, dass im Judentum die östliche Passivität des Leidens, in der sich Gott im Menschen verwirklicht, durch den westlichen Aktivismus überboten wird in die „Verwirklichung Gottes durch den Menschen“25.

In dieser These sind sich alle jüdischen Denker laut Przywara implizit einig. Für Cohen ist Gott die Idee „der unendlichen Aufgabe des Menschen“26. Auch bei ihm erreichen sowohl die östliche Idee eines sich in menschlicher Aktivität selbstverwirklichenden Gottes, als auch die westliche Idee eines dem Menschen aufgegebenen, durch ihn zu verwirklichenden Absoluten, ihre schwindelnden Höhen. Bei Brod heißt das jüdische Grundgesetz zwischen Ost und West „‚Gnade‘ als Antrieb zur freien Umgestaltung des ‚unedlen Unglücks‘ der Welt zur messianischen Endzeit“27. Rosenzweig hingegen erfasst Erlösung „letztlich als Erlösung Gottes durch den Menschen“ und „folgerichtig das Judentum als das ‚metaphysische Volk‘, d.h. das Volk, das Gott im Blute trägt“28. In Baecks Religion der Polarität trägt das Judentum „als innerstes Wesen die Polarität zwischen Geschaffensein und Schöpfertum, Geheimnis und Gebot in sich“. Przywara entdeckt darin die Spannung zwischen „Gott über uns“ und „Gott in uns“, die aber „letztlich nur Ausdruck der immanenten Spannung der Menschennatur zwischen Transzendenz ihres Zieles und Immanenz des Weges ist, Menschennatur also in sich selbst das Eins“29.

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