Einen Popstar liebt man nicht, Teil 1

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Einen Popstar liebt man nicht, Teil 1
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Walde

Einen Popstar liebt man nicht

Inhaltsverzeichnis

Einen Popstar liebt man nicht

Einen Popstar liebt man nicht

Impressum

Autor

Einen Popstar liebt man nicht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Maat Walde

Einen Popstar liebt man nicht

© 2016 Maat Walde, Einen Popstar liebt man nicht, Band 1

E-Mail: maat.walde@gmx.at

Maat Walde

c/o Autoren.Services

Zerrespfad 9

53332 Bornheim

Cover&Layout: Maat Walde

Lektorat/Korrektorat: Kerstin Arrer-Rachov

Coverfoto: Young Man © iko – Fotolia.com

multistrahler © hans12 – Fotolia.com

Jubelnde Konzertbesucher auf Rock-Konzert © DWP – Fotolia.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertung, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.

Das Model auf dem Cover steht in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches. Der Inhalt des Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Models aus.

Alle Handlungen, Charaktere, Orte und Namen in diesem Buch sind fiktiv und entspringen der künstlerischen Freiheit und Fantasie der Autorin. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist reiner Zufall.

Über die Autorin

Maat Walde schreibt Geschichten, seit sie denken kann. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie bereits während ihres Studiums. Seitdem ist sie der Schriftstellerei mit großer Leidenschaft verfallen und kann sich einen anderen Beruf kaum noch vorstellen.

Einen Popstar liebt man nicht

Kapitel 1
Sydney, Australien

Die schwarze Stretchlimousine hielt direkt vor dem Hoteleingang. Vier glatzköpfige Männer in dunklen Anzügen entstiegen dem Wagen und bewegten sich zu den Hintertüren. Sie trugen kleine, fast kaum sichtbare Ohrhörer, waren breitschultrig gebaut und sehr groß. Es war augenscheinlich, dass sie für den Sicherheitsdienst arbeiteten. Ein Hotelpage wollte ihnen höflich zu Hilfe eilen, doch einer der Leibwächter wies ihn schroff ab. „Sehen Sie nicht, was hier los ist? Sie erschweren uns bloß die Arbeit. Um das Gepäck können Sie sich auch nachher kümmern!“

Der Page nickte leicht eingeschüchtert, trat zurück und stellte sich wieder vor den Hoteleingang, von wo aus er das weitere Vorgehen stumm beobachtete.

Von der gegenüberliegenden Straßenseite drang blitzartig lautes Gekreische herüber. Mehrere Menschen, vorrangig Teenager und Frauen, Fotografen und Kameraleute diverser Fernsehstationen, befanden sich im Anmarsch. Einige von ihnen, mit schweren Objektiven und Mikrofonen ausgestattet, überquerten im Eiltempo die Straße. Für die wenigen Autos gab es kein Weiterkommen mehr. Zwei der Fahrer hupten wild durcheinander, da sie aufgrund hysterischer Fans, Journalisten und Paparazzi gezwungen waren, eine Vollbremsung hinzulegen. Doch die geldhungrige Medienmeute ließ sich nicht aufhalten und schlängelte sich frech zwischen den Autos hindurch zu ihrem Ziel. Zur selben Zeit machte sich von der linken Seite eine große Schar überwiegend weiblicher Fans dazu auf, den Leibwächtern auf den Pelz zu rücken. Einige der Mädchen hatten selbst gemalte Transparente mitgebracht, die sie nun stolz in die Höhe hielten. Auf den meisten Transparenten waren vorwiegend vergrößerte Bilder ihres Idols aufgedruckt. Aber auch mit Herzen ausgeschmückte Plakate samt Liebeserklärungen wurden hochgehalten. Dabei machten sie auch vor anzüglichen Angeboten keinen Halt. Das ohrenbetäubende und fast nicht auszuhaltende Gekreische machte den Bodyguards sichtlich zu schaffen; die Anspannung stand ihnen unschön ins Gesicht geschrieben.

Einer der Leibwächter murmelte genervt etwas Leises vor sich hin, während sein Blick auf die andere Straßenseite wanderte. Dort stand ein dunkelgrauer Van mit abgedunkelten Scheiben, in dem er noch ein paar weitere Kameraleute und Paparazzi vermutete.

In der Zwischenzeit hatten sich die Fotografen, Reporter und Fans dicht an die Limousine herangedrängt.

„Macht Platz!“, dröhnte ein weiterer Bodyguard und öffnete mit einem kräftigen Ruck die hintere Tür der Limousine. Unterdessen bildeten seine Kollegen eine Art Schutzmauer, um die prominente Person abzuschirmen.

Ein von einem Geschreie und Gezerre begleitendes Blitzlichtgewitter wurde auf den jungen Mann eröffnet, der in dunklen Jeans und einem hellblauen Shirt lässig dem Wagen entstieg; große Sonnengläser verhüllten seine Augen. Das Gedränge und Gekreische wurde so entsetzlich laut, dass die Leibwächter jede Menge zu tun hatten, um zu gewährleisten, dass er in ihrer Mitte gesichert war. Vor allem die Paparazzi versuchten nun – im Glauben daran, die besten Bilder zu erhaschen –, sich so nah es ging, an ihn heranzudrängen. Der junge Mann verschwand beinahe inmitten seiner Bodyguards, obwohl er selbst hochgewachsen war.

Nun begann für die Security der schwierigste Teil des Unterfangens. Einer der Männer, von dem ohrenbetäubenden Gekreische genervt, schritt voran in die Menge hinein, seine Hand schützend vor den Star haltend. „Geht aus dem Weg!“, brüllte er und versuchte mit seinen Kollegen die hysterischen Mädchen mit bloßen Händen nach hinten zu schieben, was jedoch nicht einfach war. Rabiat fuhr er einen Paparazzo an, der sich mit einem großen Objektiv nun direkt vor seiner Nase platzierte: „Verschwinde! Siehst du nicht, dass wir hier Platz brauchen?“

Doch dieser ließ sich nicht einschüchtern. Stattdessen blitzte er ungeniert weiter und verteidigte sich lautstark: „Ich mache nur meinen Job, so wie du deinen auch – also stell dich nicht so an!“ Dann konzentrierte er sich wieder auf seine Kamera.

Das Stelldichein vor dem Hotel hatte in der Zwischenzeit unzählige Schaulustige angezogen, die fasziniert auf das jagdhungrige Treiben starrten. Sie erkannten den Popstar auf Anhieb: Pete Blummers!

Ein etwa sechzehnjähriges Mädchen hatte es mit letzter Kraft gerade noch geschafft, sich in die erste Reihe vor Pete zu kämpfen. Ihr blondes Haar klebte verschwitzt an der Stirn und ihre Wangen glühten hellrot, während ihre apathisch wirkenden Augen verrieten, wie es tatsächlich in ihr aussah. Dann brach es endgültig aus ihr heraus. Tränen kullerten über ihre überhitzten Wangen. Aufgeregt hielt sie ihm eine Autogrammkarte mit seinem Abbild darauf vor die Nase und zückte einen schwarzen Stift.

Pete wurde vom Blitzlichtgewitter dermaßen geblendet, dass er das Mädchen zunächst gar nicht wahrnahm.

„Kleine, geh zur Seite!“, ermahnte sie der Bodyguard. Um die junge Frau nicht zu verletzen, versuchte er sie mit leichtem Druck nach hinten zu bugsieren, was ihm aber nicht gelang. Die Menge hinter und neben ihr schien sich keinen Zentimeter zu bewegen. „Mädchen, er hat jetzt keine Zeit für Autogramme!“, machte er ihr erneut unmissverständlich klar. Ohne jede emotionale Regung im Gesicht verrichtete er seinen Job. Auch dem Rest der Security war der Stress nun deutlich anzusehen. Ihre zerknirschte Miene ließ vermuten, dass sie es gar nicht erwarten konnten, Pete so schnell wie möglich ins sichere Hotel zu schaffen.

„Pete, nur EIN Autogramm, … bitte!“, bettelte das Mädchen.

Der Leibwächter von vorhin seufzte laut, kleine Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. „Jetzt sei vernünftig und mach endlich Platz!“, fuhr er den weiblichen Fan abermals an.

Doch das ließ die Blondine mit dem hübschen Gesicht nicht von ihrem Vorhaben abhalten. Trotz zittriger Knie blieb sie hartnäckig, was sich schließlich bezahlt machte. Denn erst jetzt registrierte Pete das süße Mädchen. Für einen Augenblick musterte er sie schmunzelnd. Sie hatte ihre Haare mittlerweile aus dem aufgeheizten Gesicht gewischt und trug – im Gegensatz zu dem aufgetakelten Rest, der sich um ihn scharrte – nur dezentes Make-up.

„Wartet mal!“, meldete Pete sich zu Wort und gab den Bodyguards mit Handzeichen zu verstehen, dass er dem Wunsch des Mädchens nachkommen würde.

Mit einem unübersehbaren Unmut gaben diese sich geschlagen. Es war der Albtraum jedes Sicherheitsmannes, wenn sich der VIP in einer Menschenmenge dazu entschied, Autogramme zu geben oder Selfies zu machen. Vor allem dann, wenn es vorher nicht abgesprochen worden war; sie hatten alle Hände voll zu tun, denn das, was sie zuerst mit großer Sorgfalt hatten verhindern wollen, trat langsam ein. Die hinteren Reihen begannen stärker nach vorne zu drücken, sodass die muskulösen Bodyguards nur noch schwer der drängenden Menge standhielten. Sie waren für Petes Sicherheit zuständig und trugen die Verantwortung, dass ihn die hysterische Meute nicht erdrückte. Gleichzeitig mussten sie jedoch dafür sorgen, dass den Fans nichts passierte.

 

Es war Pete gerade noch möglich, in dem ganzen Getümmel seine Hände anzuheben und nach dem Stift zu greifen, den ihm das Mädchen mitsamt einer Autogrammkarte von ihm freudestrahlend entgegenstreckte. Ihr blondes Haar schimmerte im Blitzlichtgewitter und ihre niedlichen Sommersprossen waren im grellen Licht verstärkt zu sehen.

Hastig kritzelte Pete seine Unterschrift und ein Herz auf das Bild und schenkte ihr ein ehrliches Lächeln. Vor lauter Freude über das handsignierte Autogramm, begann das Mädchen zu springen und hielt sich dabei hysterisch eine Hand vor den Mund. Von ihren Mitstreiterinnen erntete sie dafür bloß neidische Blicke, die nun ebenfalls versuchten, so nah wie möglich an ihr Idol heranzukommen und ein Foto mit ihren Handykameras zu machen. Genau das hatten die Leibwächter zuvor verhindern wollen. Mit diesem Autogramm hatte Pete eine Lawine losgetreten, die sich nur schwer wieder stoppen ließ. Die anderen Mädchen und jungen Frauen fühlten sich nun automatisch dazu aufgefordert, ebenfalls ihr Recht einzufordern. Geduldig ließ Pete sich noch dazu hinreißen, ein paar Selfies mit seinen Fans zu schießen, und auf das eine oder andere Autogramm seine begehrte Signatur zu setzen. Als er jedoch merkte, dass es in der Menschentraube kein Weiterkommen mehr gab, entschied er sich, seinen Leibwächtern Folge zu leisten. Nach ein paar letzten Autogrammen ließ er sich von den vier Männern langsam, aber sicher, nach vorne zum Hoteleingang geleiten.

Pete liebte den direkten Kontakt zu den Fans und suchte ihn für gewöhnlich auch. Neben der Musik waren es seine natürliche Art, sein Humor und sein Charme, was ihn so beliebt machte. Sein bodenständiges Naturell hatte ihm auch bei zahlreichen Journalisten, denen er in regelmäßigen Abständen Interviews gab, einen guten Ruf eingebracht. Er war ein leicht umgänglicher Mensch mit Anstand, gab sich stets gut gelaunt, was ihn bei all den existierenden Rüppel-Stars beinahe schon zu etwas Besonderem machte. Seine unangefochtene Beliebtheit bescherte ihm allerdings auch Neid seitens einiger Kollegen. Damit konnte er allerdings leben.

Kurze Zeit später befanden sie sich endlich in der Hotellobby. Einige Fans und Paparazzi wollten sich durch den Hoteleingang hindurchdrängeln, was ihnen allerdings nicht gelang, da der Sicherheitsdienst des Luxushauses schneller war und ihnen geschickt den Zutritt verwehrte. Den Fotografen und Kameraleuten gelang es gerade noch, ein paar letzte Bilder von Pete und seinen Gefolgsleuten, die im Hotel bereits auf ihn gewartet hatten, einzufangen. Eilig schossen sie ein Foto nach dem anderen, wie Pete – von seinem Team umgeben – zum Fahrstuhl lief.

Jene Fans, denen es gelungen war, sich bis zur gläsernen Drehschwingtür zu drängen, hauchten ihrem Star noch herzliche Handluftküsschen zu. Ein letztes Mal drehte Pete sich in ihre Richtung, winkte ihnen mit einem müden Lächeln zurück und stieg dann in den Aufzug, um nach oben in seine Suite zu fahren.

Kapitel 2
Ein kleines Dorf in Deutschland

Der herrliche Duft von frisch gemähtem Gras verteilte sich im Wohnzimmer. Für gewöhnlich liebte Daphne den Geruch des Frühlings, doch seit zwei Jahren ließen sie diese Impressionen kalt. Ein Teil, tief in ihrem Inneren, war gestorben.

Nachdenklich klappte sie das Tagebuch zu und ließ ihre Gedanken mit glasigen Augen Revue passieren. Die Erinnerungen an den grausamen Autounfall und dessen Folgen hatten sich in all ihren unschönen Fassetten in ihr Gehirn gepflanzt, als wäre es erst gestern geschehen.

Unweigerlich dachte Daphne an jene Nacht zurück, in der sich auf einen Schlag alles verändert hatte. Noch heute konnte sie jedes kleine Detail von damals genau wiedergeben und fühlen – den schrecklichen Anruf, ihren psychischen Zusammenbruch, den anschließenden Besuch auf der intensivmedizinischen Station im Krankenhaus, verbunden mit einem gewöhnungsbedürftigen Geruch, und das Gespräch mit den Ärzten, die ihr schonungslos beibrachten, nun stark sein zu müssen ...

Es hatte nur eine knappe Minute gedauert, eine Minute, in der sie ihr erklärten, dass ihre Eltern tot waren. Umgekommen bei einem tragischen Verkehrsunfall, den Daphnes Freund Daniel als Lenker verursacht hatte. Seit diesem Zeitpunkt lag er im Koma.

Die Intensivmediziner hatten ihr schon damals nicht sagen können, ob Dany jemals wieder erwachen und ins Leben zurückkehren würde. Zu etwaigen Folgeschäden wollten sie sich erst recht nicht äußern. Dennoch gab es für Daphne in dieser einen Nacht keinen Grund, nicht an seine vollständige Genesung zu glauben ...

Daphne seufzte leise. Nur zögernd verließ sie den Schreibtisch und ging langsam zum offenen Fenster hinüber. Für den Augenblick schloss sie die Augen und legte den Kopf in den Nacken, um die ersten Frühlingssonnenstrahlen zu genießen. Das warme Licht kitzelte angenehm auf ihrer Nasenspitze. Müde öffnete sie die Lider und starrte stumm auf die Baumkrone vor dem Fenster, ehe sie ihren Blick in den Garten hinabschweifen ließ. Die ersten Boten dieser schönen Jahreszeit zeigten sich in Form von wunderbaren Schlüsselblumen. Zum ersten Mal seit Langem spürte sie wieder so etwas wie ein leichtes Glücksgefühl in ihrer Brust, ein Gefühl, das jedoch nur kurz andauerte; sie erlaubte es sich einfach nicht, glücklich zu sein, solange Daniel, mit dem sie einst ihr Leben verbringen wollte, im Koma lag. Auch wenn sie wusste, dass sie dieses Verhalten irgendwann vermutlich krank machte.

Daphne fragte sich, ob sie jemals wieder in der Lage sein würde, ein normales Leben zu führen. Doch sie gab die Hoffnung nicht auf. Irgendwann, so sagte sie sich jeden Tag, würde Dany wieder aufwachen, und dann würde sie da sein und ihm helfen, ins Leben zurückzufinden.

Seit dem tragischen Unfall lebte Daphne ganz allein in dem großen Haus ihrer Eltern, in dem sie mit Daniel gewohnt hatte. Zu Beginn war ihr das alles andere als leicht gefallen, da sie mit der Einsamkeit nicht gut zurechtkam, was sich bis heute nicht geändert hatte. Durch den Unfall und Daniels Zustand war sie in ein tiefes Loch gefallen.

Das schrille Surren der Hausglocke riss Daphne schlagartig aus den Gedanken. Misstrauisch überlegte sie, wer ihr einen Besuch abstatten könnte.

„Daphne?“, ertönte es kurze Zeit später hinter ihr. Erschrocken drehte sie sich um und starrte in Florians Gesicht. Flo war ein enger Freund von Daphne, der mit ihr bis zum Abitur die Schulbank gedrückt hatte.

„Wie bist du hereingekommen?“, fragte Daphne erschrocken. Anscheinend hatte sie in ihrer geistigen Abwesenheit vergessen, die Haustür abzuschließen.

„Na, durch die Tür ...“, lachte Florian übermütig. Er war wie immer gut gelaunt.

Daphne machte ein paar Schritte in seine Richtung, ehe sie mit ernster Miene direkt vor ihm stehen blieb und abwartete, was ihn zu ihr trieb.

„Daphne, du musst unbedingt einmal hier raus, um auf andere Gedanken zu kommen“, begann er. Dabei sah er ihr tief in die Augen, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Doch Daphne verzog nur grimmig das Gesicht. Denn es war genau dieser Satz, den sie nicht mehr hören konnte. Viel zu oft hatte sie ihn bereits aus dem Mund ihrer besten Freundin Lydia gehört.

„Kommst du morgen mit?“, wollte Flo weiter wissen. Er ließ nicht locker. „Lydia und ich, wir wollen mit dir ins Kino gehen ...“ Mit seinen stahlblauen Augen sah er sie erwartungsvoll an.

Doch Daphne schüttelte nur gedankenverloren den Kopf. Sie wusste, es würde heute schwer werden, ihn mit einem Nein abzuspeisen.

„Morgen geht es leider nicht. Da besuche ich schon Dany“, sagte sie zögerlich.

Florian seufzte laut, ehe er weitersprach. „Du besuchst Daniel doch schon oft genug ... Der Unfall ist jetzt zwei Jahre her – glaubst du, deine Eltern und auch Dany würden wollen, dass du dich so gehen lässt?“

Verbittert verschränkte Daphne demonstrativ die Hände vor der Brust. „Du benimmst dich so, als würde es Daniel gar nicht mehr geben ...“ Ihre Stimme klang traurig, beinahe niederschmetternd, das fiel ihr selbst auf. Dabei hatte Flo ja recht – sie musste wieder mal etwas für sich tun. Außer zum Arbeiten als Hilfskraft in der hiesigen Apotheke bei einem Freund ihres verstorbenen Vaters und ihren unregelmäßigen Besuchen auf der Uni, verließ sie schließlich kaum noch das Haus.

„Du weißt genau, wie ich es meinte!“, erwiderte Florian trocken.

Daphne wich seinem durchdringenden Blick gekonnt aus, wie sie das bereits seit zwei Jahren erfolgreich praktizierte, wenn sie sich vor irgendetwas drückte.

„Was ist jetzt – kommst du morgen mit?“, versuchte Florian es ein weiteres Mal.

„Nein, Dany ist mir wichtiger als irgend so ein bescheuerter Kinofilm.“ Sie spürte, dass ihre Stimme ein wenig zu hart geklungen hatte. Schließlich meinte er es nur gut mit ihr.

„Gut, wie du meinst. Aber beschwer dich nachher nicht, wenn du irgendwann alleine und ohne Freunde dastehst“, schmollte er, drehte sich um und verschwand so schnell, wie er gekommen war.

Na toll! Jetzt hatte sie ihn vergrault! Dabei war das alles andere als das, was sie gewollt hatte!

Daphne verdrehte genervt ihre Augen, aber nicht etwa wegen Florian, sondern weil sie genervt von sich selbst war!

Gerade, als sie sich über ihr eigenes Verhalten ärgerte, fiel ihr ein, dass sie beinahe einen wichtigen Termin vergessen hätte. Schuld daran war Florians überraschender Besuch, der so nicht eingeplant gewesen war.

„Verdammter Mist!“, fluchte sie laut und blickte auf die große Uhr, die neben dem Schreibtisch an der grün tapezierten Wand hing. Ihr blieben gerade mal knappe fünf Minuten Zeit, bis ihr potenziell zukünftiger Untermieter vorbeikommen würde.

Drei Leute hatten sich aufgrund des Inserats, das sie ins Internet gestellt hatte, gemeldet. Zweien davon hatte Daphne bereits abgesagt, da sie einfach nicht zu ihr gepasst hatten. Der letzte Interessent wollte sich die in ihrem Haus leer stehende Wohnung im Erdgeschoss heute ansehen, und sie hoffte inständig, dass es dieses Mal klappte.

Eigentlich war die untere Wohnung im Haus ursprünglich von Daphnes Eltern gewesen. Da sich die Dinge aber auf so tragische Weise verändert hatten, war das Haus für Daphne allein finanziell untragbar geworden. Deshalb war sie gezwungen, den unteren Teil auf unbestimmte Zeit zu vermieten. Sie brauchte das Geld dringend und konnte nicht mehr länger warten.

Daphne kam mit dem Geld, das sie verdiente, gerade so über die Runden. Der Job in der dörflichen Apotheke reichte nur knapp zum Leben aus. Dennoch war sie dankbar, neben dem Studium überhaupt Arbeit bekommen zu haben, auch wenn sie sich ihr Leben anders vorgestellt hatte. Ursprünglich wollte Daphne nämlich Juristin werden. Doch da das Studium nicht gerade billig war und sie sich die teuren Lernunterlagen und Bücher dafür nicht leisten konnte, war sie nur dazu in der Lage, einige wenige Prüfungen pro Jahr zu absolvieren. Das Haus verschlang einfach viel zu viel, sodass sie die meiste Zeit am Arbeiten war.

Daphne streifte sich ihr Haar zurück und dachte an den Interessenten, der gleich vorbeikommen würde. Schnell verließ sie ihre Wohnung im Obergeschoss, hastete hinaus auf den Flur und eilte zur Treppe, um dann zwei Stufen auf einmal nach unten zu nehmen. Sie war gerade auf der letzten Stufe angekommen, als es an der Haustür klingelte. Der Typ war überpünktlich, was auf jeden Fall für ihn sprach.

Sie ging rasch durch den unteren Flur und zur Tür, öffnete diese einen Spalt und spähte vorsichtig hinaus. Tatsächlich!

Vor ihr stand ein männliches Wesen, frisch gestriegelt und gestylt, einen dunkel gestreiften Anzug tragend. Sein Haar war kurz zurechtgeschnitten und dunkelbraun, in seiner linken Hand hielt er einen schwarzen Aktenkoffer. Hatte der Mann sich an der Haustür geirrt?

Er sah nämlich aus wie ein typischer Manager, und Daphne hätte schwören können, dass es sich bei ihm auch um einen handelte. Sofort stellte sie sich die Frage, was einen mutmaßlich gut betuchten Manager dazu veranlassen könnte, aufs Land – in dieses kleine Kuhkaff – zu ziehen, wenn er sich doch – bei einem Managergehalt – genauso gut eine Villa leisten könnte!

 

„Ja?“, fragte sie vorsichtshalber nach, nur, um sicher zu gehen, dass der piekfeine Herr sich tatsächlich an der Haustür geirrt hatte.

„Ähm, ... bin ich hier richtig bei … Frau … Daphne Moller?“, hakte er ebenfalls sichtlich verunsichert nach.

Ein Blick in seine Augen genügte und Daphne glaubte zu erkennen, dass er sie – aus welchen Gründen auch immer – für eine Irre hielt.

„Ja, die bin ich“, brachte sie zögernd hervor und beäugte ihn kritisch.

„Ich bin James Walters, wir haben einen Termin zur Wohnungsbesichtigung, richtig?“ Er reichte ihr außerordentlich freundlich seine rechte Hand hin. Daphne nickte bejahend, schüttelte ihm die Hand und bat ihn in den Hausflur.

„Beinahe wäre ich zu spät gekommen, aber ich hatte heute sehr viel um die Ohren und hätte unseren Termin fast vergessen“, begann der Mann erneut, dieses Mal in einem entschuldigenden Tonfall.

„Das macht nichts, hat ja trotzdem noch geklappt. Also …, dann folgen Sie mir bitte.“ Daphne ging vor ihm her in die Wohnung, die zur Vermietung stand, und führte ihn durch das ganze Untergeschoss, wo sie ihm jeden Raum zeigte und ihm dabei genügend Zeit ließ, sich ein Bild zu machen. Sie beobachtete ihn argwöhnisch. Der Typ sah aus, als hätte er richtig viel Kohle, was wiederum bedeutete, dass sie jeden Monat ihre Miete pünktlich bekommen würde. Zudem schien der Krawattenmann eher ein ruhiger Mensch zu sein, was ihr bei ihrem derzeitigen Gefühlswirrwarr, in dem sie sich befand, bei Weitem lieber war als ein hysterischer, den sie mit Sicherheit nicht in ihrem Haus gebrauchen konnte. Er wäre dem Aussehen nach also der perfekte Untermieter.

„Und, wie ist Ihr erster Eindruck? Gefällt Ihnen die Wohnung?“, erkundigte sie sich.

„Ja ..., dürfte ihm gefallen“, entgegnete er nachdenklich, während er sich weiter umblickte.

Daphne konnte seinen Gedankengängen nicht folgen. Ihr Gegenüber bemerkte das und reagierte prompt: „Wissen Sie, die Wohnung ist eigentlich nicht für mich, sondern für einen Freund. Es fehlte ihm jedoch die Zeit, persönlich zu kommen. Ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus – ich denke nämlich, dass ihm die Wohnung in diesem Haus mit Sicherheit zusagen würde.“

Daphne überlegte. Dass der Interessent die Wohnung unbedingt haben wollte, hörte sich auf jeden Fall schon mal vielversprechend an. Aber – der zukünftige Mieter war ein ihr völlig Unbekannter! Deshalb fragte sie sich, ob sie einen Wildfremden, ohne ihn vorher gesehen zu haben, einfach in die Wohnung unter sich einziehen lassen konnte. Massive Bedenken überkamen sie. Vermutlich war es ja nur eine Fassade oder eine Taktik, als Anzugträger hier aufzutauchen, um zu imponieren, und der Freund dieses Walters würde sich dann womöglich als das pure Gegenteil – im schlimmsten Fall sogar als Rüpel – entpuppen. Ein Gedanke, dem sie mehr als abstoßend gegenüberstand. Dennoch hatte sie nicht unbedingt ein schlechtes Gefühl, was den Fremden betraf. Sollte sie sich also einfach darauf einlassen?

Vielleicht, so dachte sie, wäre es ratsam, nicht so viel nachzudenken – leider ein klares Manko ihres nicht gerade stetig vorhandenen Selbstwertgefühls, für das sie sich selbst oft nicht mochte. Andererseits war da dieses kleine Teufelchen in ihrem Kopf, das ihr sagte, nichts zu überstürzen. Deshalb antwortete sie: „Na ja, um ehrlich zu sein – ich würde ihn schon lieber persönlich kennenlernen ... Wann hätte Ihr Freund denn Zeit, sich die Wohnung anzusehen?“

Der Mann überlegte eine Weile. Für einen Augenblick glaubte Daphne, einen leichten Anflug von Panik in seinem Gesicht erkannt zu haben. Hatte er etwa vor, sie zu belügen?

Er räusperte sich kurz, ehe er etwas darauf sagte. „Natürlich verstehe ich Ihre Bedenken, aber mein Freund hat zurzeit wirklich sehr viel um die Ohren. Wissen Sie, er ist durch seinen Job ständig unterwegs. Aber ich kann Ihnen versichern, dass er Ihnen bei einem Einzug in Ihre Wohnung keine Unannehmlichkeiten bereiten würde ... Er nimmt auch keine Drogen oder so etwas – Ehrenwort!“, schmunzelte er belustigt und sah Daphne augenzwinkernd an.

Super! ‚Er nimmt auch keine Drogen oder so etwas‘ … Was war das für eine Aussage? Verarschte der Typ sie gerade? Keine Drogen zu konsumieren war ja wohl das Mindeste, was sie von dem Untermieter erwarten konnte!

Daphnes Misstrauen wuchs. Irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck, der nun leicht schelmisch wirkte, vermittelte ihr, dass er sie tatsächlich veralbert hatte. Daher dauerte es ein wenig, bis sie etwas entgegnen konnte.

„Sie glauben also, Ihr Freund würde die Wohnung nehmen, obwohl er sie selbst gar nicht besichtigt hat?“, fragte sie stirnrunzelnd.

„Ja, klar! Ich bin mir sogar ziemlich sicher, was das betrifft. Ich würde Ihnen den unterzeichneten Mietvertrag in einer Woche wieder zurückbringen. Eher geht es leider nicht, da ich ihm den Vertrag nach Australien bringen muss.“

Diese Antwort verblüffte Daphne nun endgültig, da sie mit so etwas nicht gerechnet hatte. „Wie jetzt? Nach Australien? Sie meinen, Ihr Freund ist Australier?“

„Ja, stört Sie das?“

„Nein, nein ...“ Daphnes Kopf fühlte sich plötzlich so wirr an, weil sie sich mit Verträgen und den dazugehörigen Rechten ohnehin nicht auskannte, und dann war ihr neuer Mieter auch noch Australier! Sollte sie ihm den Mietvertrag trotzdem mitgeben?

Wäre jetzt bloß ihre beste Freundin Lydia an ihrer Seite gewesen. Die verhielt sich in solchen Angelegenheiten viel schlauer als sie und besaß auch die bessere Durchsetzungsgabe.

„Da gibt es aber noch ein paar Dinge, die von Anfang an geklärt sein sollten“, fügte Daphne an, um ihre Unsicherheit vor ihm zu verbergen.

„Und die wären?“ Der Anzugträger zog seine Brauen kritisch, aber scheinbar immer noch belustigt nach oben.

„Feiert Ihr Freund gerne laut und macht oft Party?“

Walters überlegte kurz, schüttelte dann aber rasch seinen Kurzhaarschnittkopf. „Nein, da kann ich Sie beruhigen … Er hatte bereits genügend Gelegenheiten, sich auszutoben“, grinste er.

Daphne kam ins Grübeln. Sie wusste selbst, dass sie, seit Dany im Koma lag, zu einer langweiligen, abnormalen Dreiundzwanzigjährigen mutiert war, die kaum noch wegging und sich in ihrem Haus verschanzte. Seit dem Unfall hatte sich eben vieles verändert ... Trotzdem wurde sie neugierig. Am liebsten hätte sie diesen Walters jetzt nach dem Alter und Beruf seines Freundes gefragt, aber dann verkniff sie es sich tunlichst. Im Grunde genommen war es ihr auch egal, denn es ging sie nichts an, ob der Mieter alt oder jung war. Immerhin musste sie froh sein, in dieser einsamen Gegend überhaupt jemanden für die Wohnung zu finden. Wäre der neue Mieter diesem James Walters in seinem Auftreten auch nur annähernd ähnlich, wäre alles perfekt!

„Und Ihr Freund verlässt sich so sehr auf Sie, dass er die Wohnung wirklich nicht mehr selbst besichtigen will? Und was ist mit dem Vertrag, ich meine, kann er ihn denn lesen? Immerhin ist er kein Deutscher ...“

Walters musterte sie noch immer skeptisch, dieses Mal jedoch etwas ernster. „Er vertraut mir. Wir arbeiten seit Jahren zusammen, das verbindet. Und was sein Deutsch betrifft – ja, er spricht es beinahe fließend!“

Daphne prangte die Neugierde mittlerweile auf der Stirn. Dennoch nahm sie sich zusammen und unterließ es, weitere Fragen zu stellen. „Gut, dann wäre meiner Ansicht nach alles geklärt, und ich würde es toll finden, wenn Sie mir den Vertrag so schnell wie möglich unterschrieben wieder zurückbringen könnten“, sprach sie höflich und holte rasch eine grüne Mappe aus dem Nebenraum, um ihm den Vertrag unter die Nase zu halten.

„Sie können sich auf mich verlassen! Und vielen Dank noch mal.“ Er nahm die Unterlagen prompt an sich, lächelte formgewandt und verabschiedete sich.

Als James Walters gegangen war, fiel Daphne dessen mangelndes Interesse an den Mietkosten auf. Im Internet hatte sie diesbezüglich nämlich nichts erwähnt.

Energisch schüttelte sie den Kopf. Entweder spielte Geld für den Freund des vermeintlichen Managers keine Rolle oder Walters würde den Vertrag ohne Signatur zurückbringen.