Einen Popstar liebt man nicht, Teil 1

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Kapitel 3

„Gemütlich hast du es hier!“

James Berger setzte sich auf das teure Sofa und grinste Pete, der gegenübersaß, verschmitzt an. Die Hotelsuite befand sich im siebenten Stock und umfasste sechs große Räume, inklusive eines edel ausgestatteten Badezimmers, das jeden Hauch von Luxus offenbarte.

Pete hatte sich alte Jeans und ein löcheriges T-Shirt angezogen. Er würde heute – so wie bereits in den letzten Tagen – keinen Schritt mehr nach draußen setzen. Auf diesem Stockwerk fühlte er sich sicher, konnte sich ungeniert bewegen und machen, was er wollte, da die gesamte Etage nur für ihn gemietet worden war. Es gefiel ihm, zur Abwechslung mal nicht darauf achten zu müssen, wie er sich benahm oder was er von sich gab. Denn jetzt war er endlich für sich.

„Ich hoffe, du hast gute Nachrichten für mich“, sagte er entspannt.

James nickte, griff nach seinem Aktenkoffer, der neben ihm auf dem Sofa lag, und holte eine grüne Mappe heraus, in dem sich ein Vertrag befand.

„Ich habe mir erlaubt, dir gleich den Mietvertrag mitzubringen – du brauchst ihn nur noch zu unterzeichnen. Die Kleine hatte gar nichts dagegen einzuwenden.“

Pete verstand nicht. James bemerkte das sofort. „Ich meinte deine neue Vermieterin. Ein verdammt junges und unscheinbares Ding – ausgewaschener Pulli und herkömmliche No-Name-Jeans-Trägerin. Also, wenn du mich fragst, eine graue Landmaus durch und durch, und das in diesem Alter! Ich glaube, die braucht dringend Geld und ist froh, überhaupt jemanden für die Wohnung in ihrem Haus gefunden zu haben.“

Pete blickte ihn skeptisch an. „Was willst du damit sagen? Die Wohnung ist doch in einem Topzustand, oder etwa nicht? Es ist zwar nur eine Bleibe zum vorübergehenden Untertauchen, und ich stelle auch keine großen Ansprüche, aber einigermaßen intakt sollte sie schon sein.“

Beruhigend redete James auf ihn ein. „Mach dir keine unnötigen Sorgen. Die Wohnung ist sehr schön möbliert … Sicher, mit dem Luxus, an den du gewöhnt bist, kann sie natürlich nicht mithalten, aber sonst passt alles.“

James erzählte von der Besichtigung und wie viele Räume Pete zur Verfügung stehen würden. Doch dieser wollte lieber alles über seine zukünftige Vermieterin in Erfahrung bringen.

„James, hast du das Gefühl, dass sie Verdacht geschöpft hat?“

Pete suchte schon seit Monaten nach einer bescheidenen Unterkunft in Europa, denn Luxus hatte er jeden Tag um sich, da wollte er zur Abwechslung mal richtig abschalten und sein Leben genießen können. Umso mehr hoffte er, dass diese Immobilie in Deutschland das Richtige für ihn wäre. In der nächsten Zeit hatte er vor, etwas kürzer zu treten und bloß ein paar wichtige Termine wahrzunehmen.

James schüttelte selbstsicher den Kopf. „Nein, hat sie nicht. Woher sollte sie mich auch kennen? Wir leben in Down Under – in Europa kräht noch kein Hahn nach dir … Außerdem scheint die sowieso ein bisschen neben der Spur zu sein.“

Pete sah ihn überrascht an. „Neben der Spur?“, wiederholte er ungläubig und griff nach einem Glas Champagner, das er auf dem Glastisch neben sich stehen hatte. Er nahm einen großen Schluck daraus und lauschte gebannt James Worten.

„Na, du weißt schon – so ein richtiges Landei eben“, machte James sich über die junge Frau lustig. Er krächzte in sich hinein und reichte Pete den Mietvertrag hin, den dieser mit den Worten „Aha, also nichts Weltbewegendes“ sogleich sorgfältig musterte.

„Rauschende Partys darfst du dort keine feiern, und die Wohnung liegt sehr abgelegen. Sogar das Dorf liegt noch mal ein paar Kilometer vom Haus entfernt. Ob du ohne dein ausschweifendes Partyleben so lange leben kannst?“

Jetzt wurde Pete hellhörig. Er vertraute seinem Manager und Produzenten, wenn es darum ging, Verträge für ihn an Land zu ziehen und abzuwickeln. Doch ob James auch ein gutes Händchen für die richtige Immobilie besaß, würde sich erst zeigen.

Pete kam es ganz gelegen, dass das nächste Dorf ein paar Kilometer vom Haus entfernt lag, so würde er sich wenigstens unbeobachtet fühlen. Schließlich stand er schon seit seinem vierten Lebensjahr auf der Bühne, wurde mit sechzehn entdeckt und führte seit acht Jahren ein Jetset-Leben. Nun war es an der Zeit für eine Veränderung, das spürte er deutlich. Er fühlte sich vollkommen ausgelaugt. Aus dem Koffer zu leben, machte ihm zwar nach wie vor Spaß, doch jetzt, mit vierundzwanzig, hatte er Bock auf ein kleines bisschen Normalität. Zumindest vorübergehend. Er hatte seiner Meinung nach einen Abstand vom Showgeschäft dringend verdient und auch bitter nötig, damit er in absehbarer Zeit wieder die Kraft zum Durchstarten aufbringen konnte.

„Wie viele Wohnungen befinden sich im Haus?“ Erneut nahm Pete einen großen Schluck aus dem Glas und stellte es danach wieder zurück.

„Soweit mir bekannt ist, nur zwei – das ist ja das Gute daran!“

Petes Gesicht hellte sich auf. „Das hört sich ja schon mal perfekt an! Weißt du zufällig auch noch, wer der zweite Mieter ist?“

James lachte laut. „Die graue Maus selbst! Sofern ich nichts Falsches verstanden habe, wohnt sie wohl direkt einen Stock über dir. Es ist ein einstöckiges Gebäude, und sie vermietet den gesamten unteren Bereich an dich. Ich denke also nicht, dass sich oben im Dachgeschoss noch eine dritte Wohnung befindet. Zumindest hat sie nichts davon erwähnt.“

„Okay, also wohne ich im Erdgeschoss?“

„Richtig!“ James nickte bejahend.

„Das ist gut.“ Dennoch blieb Pete skeptisch. „Ist dir denn im Vertrag etwas Besonderes aufgefallen, was ich noch wissen müsste?“

„Nein. Es ist ein herkömmlicher Mietvertrag. Du brauchst nur noch einen falschen Namen darunterzusetzen, und ich fliege dann zurück und bringe ihn ihr.“

Pete begutachtete die erste Seite des Vertrages noch immer fasziniert und blätterte dann um. Doch bevor er seine Signatur über die richtige Zeile setzte, sah er seinen Manager noch einmal eindringlich an. „Aber da wäre noch etwas ...“

James wurde hellhörig. „Was denn? Hast du deine Meinung etwa schon wieder geändert? – Glaub mir, ich habe das alles nur wegen dir gemacht. Ich könnte es wirklich verstehen, wenn dir doch eine Immobilie in der Stadt lieber wäre. Du bist doch kein Landmensch … Und – wie ich vorhin schon sagte – ohne Partys wird dir sicher bald so langweilig werden, dass du freiwillig wieder deine Koffer packst und nach Australien zurückkommst.“

Pete schüttelte belustigt den Kopf. „Nein, das ist es nicht. Ich habe mir nur gerade überlegt, was passiert, wenn die graue Maus – wie du sie nennst – herausfindet, wer in ihr Haus eingezogen ist … Du weißt, dass ich privat keine Lust auf Presse habe. Wenn diese Vermieterin aber Geld braucht, wird sie beim geringsten Verdacht reden und mich verpfeifen. Dann habe ich dasselbe Problem wie bisher. Das will ich aber nicht. Früher oder später werden die australischen Medienfuzzis sowieso herausfinden, wo ich bin. Daher wäre es schön, wenn das klappen würde. Ich brauche einen Ort, wo ich mich mal kurz erholen kann.“

James überlegte angestrengt, ehe er entgegnete: „Diese Tussi hat keinen Verdacht geschöpft. Ich bin schließlich Deutscher. Außerdem habe ich mich nicht unter meinem echten Nachnamen James Berger bei ihr vorgestellt, sondern lediglich mit James Walters … Und du unterschreibst doch sowieso unter einem Pseudonym. Wie soll sie das alles kontrollieren, wenn du aus Australien kommst? … Was regst du dich also auf? Dazu kommt dir zugute, dass dich bisher sowieso kein Schwein in Europa kennt … Und wenn du mich fragst, weiß die gar nicht, dass es so etwas wie berühmte Menschen überhaupt gibt!“ Er verkniff sich ein lautes Lachen.

„Wieso?“ Nun grinste auch Pete schelmisch. „Ist sie wirklich so verpeilt?“

James nickte feixend. „Mehr als das!“

„Echt jetzt? Wie sieht sie denn aus?“ Pete wurde neugierig.

„Die ist echt einzigartig, allein wie sie sich kleidet …“ James kriegte sich nun plötzlich vor lauter Lachen nicht mehr ein, was Pete zu einem Stirnrunzeln veranlasste. Das hatte James ja noch nie von einer jungen Frau behauptet!

Einzigartig – was meinte er damit? Aber egal, es sollte ihn nicht im Geringsten interessieren. Schließlich wollte er nur mal raus aus Australien, weg vom stressigen Bühnenalltag, und für eine gewisse Zeit in Deutschland leben.

„Und du bist dir absolut sicher, dass das gut geht?“ Pete ließ die angeblich verpeilte Vermieterin nicht los. Wie oft hatte er in Clubs erlebt, dass sich Mädchen und Frauen jeden Alters bewusst dumm gestellt und so getan hatten, als würden sie ihn nicht erkennen, nur, um an ihn ranzukommen? Darauf hatte er noch nie Bock gehabt! Aber vermutlich hatte James recht. In Europa krähte kein Hahn nach ihm. Also, warum machte er sich Sorgen?

James` Dauergrinsen legte sich langsam wieder. „Eigentlich bin ich mir absolut sicher, aber wenn du es unbedingt willst, dann kann ich sie ja vorsichtshalber schriftlich darauf berufen lassen, dass sie dich nicht kennt. Das sollten wir sowieso machen. Ich setze noch heute einen Vertrag auf, der sie – für den Fall der Fälle – zum Schweigen zwingt, ansonsten wird sie auf ein hohes Sümmchen Schadenersatz verklagt. Und glaub mir, diese Einschüchterungstaktik funktioniert immer. Schließlich habe ich nicht umsonst Jura studiert.“

Pete winkte mit den Händen ab. „Nein, das möchte ich nicht, das ist mir viel zu kompliziert. Ich hatte eigentlich etwas ganz anderes vor – warum unterzeichnest du nicht an meiner Stelle den Vertrag? Wir könnten zum Beispiel behaupten, dass die Wohnung dir gehört … Dann wäre der Presserummel – sollte sich jemand unerwartet an meine Fersen heften – wenigstens nicht so enorm …“

James blickte ihn unstimmig an. „Auf was du immer kommst … Das halte ich für keine gute Idee, außerdem habe ich das mit der Vermieterin nicht vereinbart. Also lassen wir das, okay?“

 

Pete seufzte. „Tja, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als dir zu vertrauen. Auch wenn ich misstrauisch bleibe ...“

„Ich halte von der ganzen Aktion sowieso nicht viel!“

Schnell wechselte Pete das Thema. „Wie alt ist sie denn, die graue Maus?“

„Noch relativ jung. Ich würde sie – wenn überhaupt – auf knapp über zwanzig schätzen.“

„Ach? So jung noch?“

James schmunzelte schelmisch, als hätte er eine leise Vorahnung. „Glaub mir, auf so etwas stehst du nicht. Sie ist das pure Gegenteil von Saskia.“ James fing erneut an zu lachen, nur dieses Mal ziemlich überheblich.

Saskia war Model und nicht nur Petes Bettgefährtin, sondern ab und zu auch dessen Begleitung auf Events.

„So habe ich das auch nicht gemeint!“ Pete grinste zwinkernd.

James lachte noch immer. „Ach komm! Du bist vierundzwanzig – tu doch nicht so unschuldig! Kein Mensch ändert sich von heute auf morgen – und du schon gar nicht!“

Doch Pete kratzte sich nur gedankenverloren am Kinn, schüttelte schmunzelnd den Kopf und fing voller Optimismus an, den Mietvertrag unter dem Pseudonym Pete Peterson zu unterzeichnen.

***

Ein paar verregnete Wochen später entschied sich Pete, in sein neues Domizil zu reisen. Schon die Abreise am Flughafen verlief stressig, dennoch tat es seiner guten Laune keinen Abbruch. Er freute sich tierisch auf die kommende Zeit, die vor ihm lag. Nur ein paar Termine, die er zwischendurch wahrnehmen musste, den Rest hatte er ganz für sich, ehe er wieder durchstarten würde. Er konnte es gar nicht fassen!

Im Terminal erkannten ihn trotz Tarnkleidung einige junge Menschen, denen er kurz für ein Selfie und ein paar Wortwechsel zur Verfügung stand. Er liebte die Nähe zu seinen Fans, auch wenn er an diesem Tag lieber seine Ruhe gehabt hätte. Aber das konnte er sich eben nicht aussuchen.

Bislang waren es vorwiegend Mädchen und junge Frauen, die ihn erkannten und ansprachen und die er in der Vergangenheit ab und zu auch schon mal mit ins Hotel geschleppt hatte. In diesem Moment fragte er sich, wie es sich wohl anfühlte, jemanden kennenzulernen, der ihn nicht aus dem Fernsehen kannte …

Bevor Pete zu seinem Gate aufbrach, stöberte er noch eine Weile an einem Zeitungsstand und kaufte sich ein paar Klatschblätter. Dann stellte er sich in die Schlange, die nur mäßig vorankam. Als er vor dem Flugbegleiter sein Ticket aushändigte, sah dieser ihn mit großen Augen musternd an. Der Mann durchlöcherte ihn förmlich, was Pete zwar gewohnt, dennoch unangenehm war. Der Angestellte der Fluglinie hatte ihn eindeutig erkannt und wunderte sich jetzt sicher, weshalb er nicht in der Business-Class reiste. Vermutlich wäre das auch geschickter gewesen, doch er hatte sich nach Langem etwas Normalität gewünscht.

Als er sich endlich im Flieger befand, suchte er nach seinem Sitzplatz. Er saß fast ganz hinten und hatte sich extra einen Fensterplatz reservieren lassen. In Ruhe verstaute er seine kleine Tasche oben in der Ablage und legte seinen Gurt an, ehe er es sich bequem machte und den Rest der Passagiere beobachtete. Bis jetzt schien er keinem weiteren Fluggast sonderlich aufgefallen zu sein, was mitunter auch an seiner Tarnung in Form von fetten Designersonnengläsern und einer dunklen Wollmütze lag. Geschickt verbarg diese sein schwarzes strubbeliges Haar. Sein dunkelrotes T-Shirt mit schräger weißer Aufschrift wirkte maskulin, aber leicht ausgewaschen, dafür saß die Jeans in Dark Blue perfekt. Nur seine Hardcorefans würden ihn wohl immer an der Nasenspitze erkennen, egal, wie er sich kleidete, wie er vorhin im Terminal wieder einmal hatte feststellen müssen.

Pete atmete erschöpft durch. Er fühlte sich müde und konnte es kaum erwarten, dass sich der Flieger endlich in Bewegung setzte. Gelangweilt rieb er sich mit der linken Hand über die Stirn und warf einen flüchtigen Blick über die Sitzreihen. Der Flug schien nicht restlos ausgebucht zu sein, was ihm allerdings ziemlich egal war. Er hatte nur noch seine neue Bleibe im Kopf. Gedankenverloren schaute er zur Seite. Ein junger Mann ging den Mittelgang entlang und sah ihn geradezu auffallend an.

Bitte nicht!, flehte Pete innerlich. Er hatte im Augenblick einfach keine Lust, Autogramme zu schreiben, denn er wusste, es wäre sicherlich nicht bei einem geblieben! Scheinheilig drehte er seinen Kopf wieder weg und starrte zum Fenster hinaus, wo ein paar weitere Flugzeuge unterschiedlicher Airlines zu sehen waren.

Cool bleiben!, ging es ihm durch den Kopf. Aber Pete hatte große Mühe, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen, da er an ein Leben ohne Bodyguards an seiner Seite einfach nicht mehr gewöhnt war. Es machte ihm geradezu Angst, alleine unterwegs zu sein.

Es war schon seltsam. Da hatte er alles, was sich andere sehnlichst wünschten – viel Geld, einen Riesenerfolg und ein gutes Image –, aber ein normales Leben hatte er noch nie gehabt. Wie sah das überhaupt aus?

Für Sekunden war er über sich selbst schockiert – dennoch, es entsprach der bitteren Wahrheit.

Vielleicht, so hoffte er, würde ja in seiner neuen Unterkunft alles ein wenig anders werden, und er versuchte sich zu entspannen. Behaglich lehnte er sich in seinem Sitz zurück und richtete seinen Kopf wieder nach vorne, wo eine der Flugbegleiterinnen aufgebracht mit einem scheinbar nervenden Passagier diskutierte.

„Ist alles in Ordnung?“, riss ihn ohne Vorwarnung eine weibliche Stimme neben ihm aus den Gedanken. Es war die zweite Stewardess, die ihn dermaßen zuckersüß anlächelte, dass es ihm schon fast peinlich war.

„Danke, alles okay“, entgegnete er kurz angebunden und musterte die junge Frau genauer. Sie hatte mindestens fünf Schichten Make-up aufgetragen, was ihre Haut übertrieben braun in Erscheinung treten ließ. Pete mochte dieses Gekünstelte nicht. Ein dezentes Make-up gefiel ihm da schon besser – was zu viel war, war eindeutig zu viel, wie er fand.

„Gut! Wenn Sie etwas brauchen, dann einfach nur melden, ja? Ich bin sofort zur Stelle!“, fügte sie aufgesetzt an, bevor sie mit wackelndem Hintern nach vorne marschierte und sich um die anderen Passagiere kümmerte. Dabei fiel ihm ein paar Sitzreihen vor ihm eine vierköpfige Familie auf, die gerade Platz genommen hatte. Das Mädchen – er schätzte sie auf ungefähr fünfzehn – saß ganz außen und lugte nun mit leicht geöffnetem Mund zu ihm zurück. Pete versuchte, ihren Blick rasch abzuwenden, und sah abermals gezwungen zum Fenster hinaus. Trotzdem spürte er, dass er weiterhin beobachtet wurde. Flüchtig schaute er wieder zu dem Mädchen und bemerkte, dass es seiner Mutter nun etwas ins Ohr flüsterte.

Pete ahnte, dass sie ihn erkannt hatte. Die Crew der Airline würde sicher die reinste Freude mit ihm als Passagier haben, dachte er ironisch, und er musste plötzlich grinsen, weil er sich die nächsten Szenen schon bildlich ausmalte.

Kurze Zeit später stand das Mädchen tatsächlich auf einmal neben ihm und lächelte ihn nervös an. „Darf ich ein Foto von dir machen? Biiitteee!“, bettelte sie. Ohne seine Antwort abzuwarten, zückte sie ihr Smartphone aus der Hosentasche und blickte ihn erwartungsvoll an.

„Klar, gerne!“ Pete schenkte ihr ebenfalls ein breites Grinsen und gab ihr mit der Hand zu verstehen, näher zu kommen, was sie sichtlich freute. Pete legte seinen Arm um ihre Schultern, und sie hielt zaghaft ihren Kopf schräg an seine Schläfe. Dann machte sie ein paar Selfies, ehe sie sich wieder gerade hinstellte. Pete sah ihr jedoch deutlich an, dass sie nicht zufrieden war.

„Darf ich ein Herz auf meinem Bauch von dir haben?“ Sie räusperte sich verlegen. „Ähm, ich meine, ob du mir eines raufmalen könntest?“ Schmunzelnd sah sie ihn an.

„Sicher – hast du einen Stift?“

Sie bejahte nur und kramte dann einen knallroten Stift aus ihrer Hosentasche. Pete bemerkte, wie eine der Stewardessen zu ihnen blickte.

„Wie heißt du?“, fragte er, ohne weiter auf die Flugbegleiterin zu achten.

„Sandy“, erwiderte das Mädchen freudestrahlend, während sie ihren Pulli hochzog und ihren nackten Bauch entblößte. Ein paar Passagiere schauten nun zu ihm und beobachteten das Spektakel. Für ihn war das nichts Neues, für die Menschen hier im Flugzeug war es jedoch etwas Besonderes, das sah er an ihren Blicken. Vermutlich wunderten sie sich, wer er war, denn es waren zu seinem Glück eher ältere Leute an Bord des Airbus, die ihn höchstwahrscheinlich nicht kannten.

„Danke!“, sagte Sandy, drehte sich hastig um und lief, als hätte sie etwas gestohlen, zu ihrem Sitzplatz zurück, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Pete lehnte sich wieder zurück. Wenn er dem Mädchen eine Freude hatte machen können, dann machte es auch ihn glücklich. Dennoch wünschte er sich, den ohnehin langen Flug, ohne weitere Zwischenfälle genießen zu können. Auch wenn es im Moment nicht danach aussah, denn die übertrieben geschminkte Stewardess kam mit wackelnden Hüften auf ihn zu und lächelte ihn mit ihrem weißen Gebiss an. Als sie neben ihm stand, drückte sie ihm blitzschnell einen kleinen Schmierzettel in die Hand und lief einfach weiter, als wäre nichts geschehen.

Pete faltete das Papier auf und las eine Handynummer. Wie oft er solche Angebote schon bekommen hatte, wusste er nicht mehr. Er hatte sie nicht gezählt, aber es waren in den letzten Jahren sehr viele gewesen. Zu viele. Glücklich gemacht hatten sie ihn jedoch nie, eher leerer, auch wenn er gegen gelegentliche One-Night-Stands kaum etwas einzuwenden hatte. Doch oft kotzte ihn die Aufdringlichkeit – wie in diesem Fall – an. Obwohl ihn die wohlproportionierten Formen dieser Flugbegleiterin durchaus reizten. Ob sie darunter Reizwäsche trug?

Pete schloss seufzend seine Augen und lächelte in sich hinein. Der Hintern dieser jungen Frau musste sich für eine genauere Inspektion erst einmal hinten anstellen, schließlich wartete ein neues Zuhause auf ihn!

Kapitel 4

Der kleine Ort, in dem Daphne lebte, hatte nicht viel zu bieten. Es gab unter anderem einen einstöckigen Imbiss, der in zwei Bereiche eingeteilt war. Im unteren konnte man auf herkömmliche Weise bei einem Kellner bestellen, während im oberen an einem mittelgroßen Buffet Selbstbedienung herrschte. Es war der Treffpunkt schlechthin, an dem Daphne sich gerne mit Lydia traf. Des Weiteren hatte das Dorf einen kleinen Lebensmittelladen, ein Postamt, eine Bank und eine Bäckerei sowie eine Apotheke, in der sie neben ihrem Studium arbeitete.

Heute war der Imbiss nur mäßig besucht, was sie aber nicht im Geringsten störte. So hatte sie zumindest ihre Ruhe vor den lästigen Einwohnern, die seit dem tragischen Unfall Daniels und dem Tod ihrer Eltern ohnehin nur bemitleidenswerte Blicke für sie übrig hatten. Sie mochte es nicht, im Mittelpunkt zu stehen und hasste dieses Getratsche deshalb umso mehr.

Vor allem die voreiligen Schlüsse, unwahren Gerüchte und Behauptungen hinter ihrem Rücken konnte sie partout nicht ausstehen. Da wurde zum Beispiel gemunkelt, Daniel hätte einen Selbstmordversuch unternommen und wäre deswegen mit Absicht gegen einen Baum geprallt. Es war so ziemlich das Gemeinste, was sie sich hatte anhören müssen, denn Dany hätte so etwas nie gemacht. Sie empfand es als schlimm, bitter, wenn nicht sogar als demütigend, dass einige der Leute im Dorf solch unwahren Stoff zum Reden benötigten, um scheinbar ihren eigenen langweiligen Lebensinhalt auszufüllen.

Daphne fühlte sich unwohl mit den Blicken der – wenn auch wenigen – Leute im Nacken. Seit fast einer halben Stunde saß sie nun hier und wartete auf ihre beste Freundin Lydia, die sie allem Anschein nach versetzt hatte. Wo die sich wohl wieder herumtrieb?

Daphne wollte nicht länger warten und war bereits im Begriff zu gehen, als Lydia plötzlich auftauchte, aufgeregt zu ihr stürmte und sich dann ihr gegenüber auf den weichen Ledersitz fallen ließ. Eine Kellnerin kam näher und beäugte zunächst Lydia, dann Daphne, äußerst kritisch. „Darf ich dir noch etwas bringen?“, fragte sie Daphne in einem heuchlerischen Ton.

Daphne war die Bedienung bekannt. Die junge Frau gehörte zu denjenigen im Ort, die gerne über andere Leute lästerten. Daphne spürte sofort die giftigen Blicke der Kellnerin, ließ es sich jedoch nicht anmerken. „Ich nehme eine Cola light und eine Pizza Funghi, bitte!“, entgegnete sie, ohne die Frau anzusehen.

„Light führen wir aber nicht!“, sagte die Kellnerin sarkastisch und mit hochgezogenen Brauen.

 

„Dann eben Mineralwasser und die Pizza!“, stichelte Lydia zurück. „Oder habt ihr das etwa auch nicht?“

Es gab Tage, an denen schämte Daphne sich für das arglose Mundwerk ihrer besten Freundin. Doch heute kam es ihr sehr gelegen.

„Für mich dasselbe“, antwortete Daphne und beobachtete jede Regung der Kellnerin, die abwechselnd zwischen ihnen hin- und hersah. Dabei verzog sie ihren Mund zu einer Grimasse und erwiderte trotzig: „Warum bestellt ihr immer dasselbe? Ist doch langweilig, oder kennt ihr nichts anderes? Ein Toast zum Beispiel wäre schneller gemacht und würde weniger Arbeit für den Koch in der Küche bedeuten.“

Wie bitte? Daphne traute ihren Ohren kaum. Hatte die Bedienung das tatsächlich eben gesagt? So etwas Freches konnte man sich wohl nur in diesem Kaff erlauben, da war sie sich sicher. In der Stadt hätte die junge Frau höchstwahrscheinlich eine Rüge von ihrem Chef erteilt bekommen oder wäre sogar gefeuert worden.

„Wir nehmen die Pizza, nicht wahr, Daphne?“, erkundigte Lydia sich zynisch und bedachte ihre Freundin dabei mit einem aufgesetzten, aber siegessicheren Lächeln.

„Ja, klar!“, gab diese kurz zurück.

Die junge Frau gab sich geschlagen. Während sie ihre Augen verdrehte, kritzelte sie etwas auf ihren Notizblock. Doch bevor sie ging, blickte sie noch einmal zu Daphne und fragte barsch: „Und – wie geht‘s Dany?“

Daphne schluckte. Weshalb wollte sie das wissen?

„Ähm … den Umständen entsprechend …“ Daphne schaute der Kellnerin flüchtig in die Augen und dachte ein triumphierendes Flackern darin erkannt zu haben. „Warum?“

Die Bedienung mit den schulterlangen, blonden Haaren grinste mit einem Mal wieder. Es war ein hämisches Grinsen, und Daphne fühlte sich mit ihrem ohnehin kaum vorhandenen Selbstwertgefühl sofort um eine Stufe herabgesetzt.

„Nur so!“, schmunzelte sie und verließ ohne weitere Worte den Tisch.

Daphne schüttelte den Kopf. Was sollte das eben?

„Ja ja, so ein Unschuldslamm scheint dein Dany ja nicht gerade gewesen zu sein“, fing Lydia an. „Hab ich dir ja immer gesagt! Ich wette, der hat diese Schlampe geknallt.“ Ihr langes, braun gewelltes Haar hing offen über ihre Schultern, und sie trug ein enges T-Shirt sowie eine auf den Hüften perfekt sitzende Jeans. Daphne wusste, dass der hübsche Anblick ihrer Freundin ausreichte, um die neidischen Blicke der weiblichen Dorfbewohner auf sich zu ziehen. Warum konnte sie nicht auch so toll aussehen?

Daphne seufzte. Sie war zwar auch schlank, aber dennoch nie mit sich selber zufrieden.

„Hallo? Wer zuhause?“, bohrte Lydia laut nach.

„Ah .. sorry, ich war bloß …“

„In Gedanken weit weg – das habe ich bemerkt.“

Daphne fing sich rasch wieder. „Du, mir ist es egal, was die doofe Kuh sagt. Aber hör auf, so abfällig über Dany zu reden. Jeder tut so, als wäre er bereits gestorben … Du redest ja auch die ganze Zeit in der Vergangenheit über ihn.“

„So hab ich das nicht gemeint … Du willst nur die Wahrheit nicht hören!“

„Ist gut jetzt!“ Daphne schnaubte verächtlich aus. Sie hatte Dany – ihren ersten Freund – mit sechzehn kennengelernt und sich sofort in ihn verliebt. Dass er sie während ihrer Beziehung die ganzen Jahre über vielleicht betrogen haben könnte, daran wollte sie keinen Gedanken verschwenden, auch wenn sie zugeben musste, bereits darüber nachgedacht zu haben. Gerüchte darüber gab es genug im Dorf. Doch in einem Kaff wie diesem wurde ja immer Unsinn geredet, von daher glaubte sie eher nicht daran.

Lydia atmete tief durch. „Okay – ich halte ja schon meine Klappe! Aber weißt du, was ich mich frage? – Warum wir beide immer noch in diesem beschissenen Kaff leben“, wechselte sie das Thema.

„Das frage ich mich auch ab und zu, aber ich möchte das Haus nicht verkaufen. Schließlich bin ich darin aufgewachsen. Ich hänge einfach zu viel daran … Die vielen schönen Erinnerungen und so …“ Daphne stockte.

„Ja, bei dir kann ich das ja noch nachvollziehen. Aber bei mir nicht. Ich bin so dumm, dass ich noch nicht von hier weg und in die Großstadt gezogen bin … Obwohl – du hast es ja noch ein bisschen besser erwischt als ich. Immerhin lebst du leicht abgeschieden, während ich hier mitten im Dorf in der Nähe meiner sich-ach-so-aus-allem-raushaltenden-Eltern in einer kleinen Wohnung hause und langsam darin versauere. Aber lassen wir das. Diese Suppe haben wir uns ja selbst eingebrockt. Außerdem kommt Wegziehen für mich im Moment auch nicht infrage … Der Zeitpunkt passt gerade nicht so gut …“, grinste Lydia. Sie machte eine kurze Pause und sah zur breiten Glaswand auf die Straße hinaus. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein kleiner Bahnhof, der ziemlich ruhig, beinahe gespenstisch wirkte. Das änderte sich auch nicht, wenn ungefähr alle fünf Stunden ein Zug kam und anhielt. „Bevor ich es ganz vergesse: Ich habe endlich einen gutbezahlten Job neben meinem Studium. Und wenn alles glatt läuft, kann ich genug Geld sparen, um mir vielleicht irgendwann eine kleine Eigentumswohnung in der Stadt leisten zu können“, fuhr Lydia beinahe hysterisch fort, wandte ihr Gesicht wieder ihrer Freundin zu und fuchtelte dann ganz aufgebracht mit ihren Händen in der Luft herum.

Erst jetzt dämmerte es Daphne. Klar! Sie hatte es aufgrund ihrer eigenen Sorgen ganz vergessen. Deshalb wirkte Lydia total aufgekratzt! Schon seit Monaten hatte ihre Freundin, die mit ihr bereits Abitur gemacht und danach neben dem Geschichtestudium immer nur Aushilfsjobs ergattert hatte, nach einem richtigen Job gesucht. Beschämt klatschte sie sich mit der Handinnenfläche auf die Stirn. „Tut mir leid, dass ich nicht eher daran gedacht habe … Ich freue mich riesig für dich!“

„Macht nichts“, schmunzelte Lydia und schaute sie abwartend an.

Daphne zog fragend ihre Brauen nach oben. Was hatte Lydia? Diesen Blick hatte sie nur drauf, wenn sie etwas ausheckte oder ihr etwas entlocken wollte.

„Wie ist denn der neue Untermieter so?“, bohrte Lydia auch gleich weiter. „Ist er heiß?“

Daphne nippte an ihrem Glas Mineralwasser, das sie sich bestellt hatte, noch bevor Lydia das Restaurant betreten hatte. Langsam stellte sie es wieder hin, sagte jedoch nichts. Was sollte sie auch Großartiges erzählen?

„Darf ich auch mal?“, fragte Lydia und deutete mit ihrem rechten Zeigefinger auf Daphnes halb volles Glas. „Die Bedienung braucht so lange – da verdurste ich vorher noch!“

„Klar – mach ruhig!“

Gierig nahm Lydia einen Schluck daraus, ehe sie das Glas wieder an seinen ursprünglichen Platz stellte. „Und jetzt erzähl, wie sieht er aus? Ich hoffe, du hast dir ein echtes Schnuckelchen ins Haus geholt!“ Neugierig schmachtete sie Daphne an.

Doch die zuckte bloß mit den Schultern. „Ich muss dich leider enttäuschen – ich habe nicht die leiseste Ahnung. Alles, was ich weiß, ist, dass der Typ ein bisschen neben der Spur zu sein scheint.“ Sie tippte sich mit dem Finger auf die Stirn. „Er geht nur nachts aus dem Haus – soweit ich das von meinem Fenster im ersten Stock aus beurteilen kann –, um dann mit einer Kippe im Mund in den angrenzenden Wald zu verschwinden. Bescheuert, nicht wahr?“

Lydia lachte laut auf. Ein paar der Leute, die am Nebentisch saßen, sahen zu ihnen herüber. Daphne, für gewöhnlich eher schüchtern und zurückhaltend, war das unangenehm, Lydia lachte jedoch ungeniert weiter. „Daphnelein, vielleicht hast du dir da ja einen Psychopathen ins Haus geholt?! Eigentlich wäre das ja traurig, aber ich muss trotzdem darüber lachen. Das wäre so typisch für dich!“ Sie kicherte weiter und machte sich mit Grimassen über den Untermieter lustig, sodass auch Daphne ins Schmunzeln kam. Doch eine richtig ausgelassene Stimmung wollte auch in Anwesenheit der lebensfrohen Lydia nicht auf Daphne überschwappen. Dany war plötzlich wieder in ihrem Unterbewusstsein präsent. Lydia bemerkte das, denn sie sprach ihre beste Freundin sofort darauf an. „Jetzt lach doch mal mit, verdammt! Stell dir vor, dein Untermieter wäre wirklich ein richtiger Psycho – oder ein Dealer, dann gäbe es endlich mal wieder Action hier im Ort, und die Leute hätten ein neues Thema zum Quatschen, weil sie ja sonst nichts zu tun haben. Stell dir das mal vor!“

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