Damian - Falsche Hoffnung

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Sari: Damian #1
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„Tut mir leid, Rose. Ein andermal.“ rufe ich ihr über die Schulter zu. „Ich muss dringend nach unten.“

Ich atme tief ein und aus, als ich endlich alleine im kühlen, grauen Kasten stehe und nach unten fahre. Angespannt versuche ich mich von dem Dämpfer zu erholen, der mir Damian soeben verabreicht hat. Wie konnte ich auch nur annehmen, dass ich ihm mehr bedeuten könnte, als die anderen seiner Angestellten? Warum um alles in der Welt musste ich mich in ihn verlieben? Oh Gott. Diese Erkenntnis lässt mein Blut in den Adern gefrieren und halte eine Hand vor meinen Mund, um nicht laut herauszuschreien. Wie konnte mir das nur passieren? Ich hatte mir geschworen, mich nicht mehr auf einen Mann einzulassen. Sicher in nächster Zukunf nicht. Und dann muss ich ausgerechnet eine Schwäche für meinen Chef entwickeln. Genau für den Mann, dem alle Frauen zu Füssen liegen.

Warum muss das mir widerfahren? Ich würde mich gerne ohrfeigen und mir die Haare raufen, wenn ich damit bewirken könnte, mich von meinem jämmerlichen Kummer befreien zu können. Stattdessen schüttle ich schwermütig den Kopf.

Während ich Miras und meinem Büro nähere, weiss ich was ich tun werde. Zwar ist es feige, aber es erscheint mir im Moment als das einzig Richtige.

„Hey Mira. Kannst du mich bei Mr. Baker krank melden?“

Mira hebt verwundert den Kopf von ihren Papieren. „Na klar. Was hast du denn?“

„Nur eine kleine Magenverstimmung. Ich werde mich zu Hause etwas hinlegen. Morgen wird es mir bestimmt wieder besser gehen.“

6.

Es ist eigentlich nicht meine Art, von der Arbeit fern zu bleiben, wenn ich nicht wirklich krank bin. Aber gestern brauchte ich den Abstand zu Damian und seiner Firma. Ich musste über einiges nachdenken und das ging nur, nachdem ich aus dem Wolkenkratzer in Miras Wohnung geflüchtet bin. Leider musste ich mir eingestehen, dass mein Chef mir mehr bedeutet, als dass er sollte. Trotzdem habe ich einen Weg gefunden, wie ich meine Empfindungen für den dunkelblonden Mann mit seinen bezaubernden braunen Augen abtöten kann.

Meine letzte Beziehung war letzten Endes die reinste Hölle. Der Mann, den ich einst liebte, von dem ich glaubte, dass er ebenso für mich empfand und dem ich vertraute, hat mich auf übelste Art und Weise verletzt und daran werde ich festhalten.

Ich werde auf keinen Fall noch einmal mein Herz verlieren. Damian hat mir deutlich erklärt, dass wir kein Paar werden oder sein können. Wer weiss, vielleicht täusche ich mich in Damian genauso, wie ich es damals in Michael getan habe. Schliesslich meinte Damian, dass er nicht der Richtige für mich sei. Warum sollte ich also hinter ihm hertrauern? Ich kenne ihn ja kaum.

Gerade als mein Computer hochgefahren ist, klingelt das Telefon. Mit einem raschen Blick auf das Display, erkenne ich Rose Nummer und nehme gut gelaunt den Hörer ab. „Guten Morgen Rose.“

„Geht es dir wieder besser?“ Noch bevor ich sie fragen kann, woher sie weiss, dass ich gestern nach Hause gegangen bin, redet Rose schon weiter. „Da du kürzlich blitzartig dieses Stockwerk verlassen hast, wollte ich später nach dir sehen. Aber du warst nicht in deinem Büro auffindbar. Mira meinte, dass du dich nicht wohl fühlen würdest.“

Ich hebe den Kopf und blicke zu meiner Bürogefährtin, die mich unschuldig anlächelt. „Es war nur eine kleine Magenverstimmung. Alles ist wieder in Ordnung.“

„Gut. Kommst du um zehn nach oben, um mit mir einen Kaffee zu trinken?“

„Na klar.“

„Gut.“ und schon hat Rose aufgelegt.

Klang sie eben etwas besorgt oder interpretiere ich da nur etwas hinein? Hat sie bemerkt, wie aufgelöst ich gestern das Büro von unserem Chef verlassen habe? Abwesend lege ich den Hörer auf die Muschel zurück. Sicherlich ist ihr nichts entgangen und wahrscheinlich möchte sie genau darüber reden, was mich nervös machen lässt. Nicht nur das, sondern das Risiko ihm zu begegnen, lässt mich noch mehr erzittern.

Fertig! Hör endlich auf! Schreit mich mein Unterbewusstsein an. Ich schiebe all meine unangenehmen Gedanken fort und konzentriere mich auf die Arbeit. Das ist die beste Medizin, vor dem Kummer zu flüchten und über den Schmerz hinwegzukommen.

Mira sitzt mir gegenüber. Gelegentlich unterhalten wir uns über belanglose Dinge und lachen über Kleinigkeiten, während wir unsere Aufgaben erledigen. Es wirkt so normal und wunderbar, wie immer.

Sie weiss, dass ich nicht unter Magenbeschwerden gelitten habe, aber sie fragt mich mit keinem Wort nach dem wahren Grund für meine gestrige Verstimmung. Dafür bin ich ihr dankbar und dafür was für eine gute Freundin sie für mich geworden ist.

„Hast du schon deine Weihnachtseinkäufe erledigt?“

„Weihnachtseinkäufe?“

Sie hebt eine ihrer rötlichen Augenbraue in die Höhe. „Heiligabend? Geschenke? Sag mir nicht, du hast noch nichts geplant.“

„Nicht wirklich.“

„Gehst du nicht in die Schweiz zu deinem Vater?“

„Ich habe es mir noch nicht so genau überlegt.“

„Du kannst mich und Alan gerne begleiten.“

„Bei euren Familienbesuchen? Lieber nicht.“ Abwehrend halte ich die Arme in die Höhe. „Ich möchte nicht das dritte Rad am Wagen sein. Trotzdem, herzlichen Dank. “

„Das bist du nun wirklich nicht.“

„Ist schon gut, Mira. Ich denke ich werde die freien Tage einfach ausspannen und nichts tun. Vielleicht bringe ich ja meinen inneren Schweinehund endlich dazu ins Fitnessstudio zu gehen. Mach also um mich keine Sorgen.“

„Wenn du meinst. Aber mein Angebot gilt.“

Ich stehe auf, trete an das hohe Fenster und lockere meine steif gewordenen Glieder. Immer noch fängt mein Puls schneller an zu rasen und ein schwacher Schwindel überkommt mich, wenn ich an die Glaswand trete, um über die Dächer von Londons Häuser zu blicken. Um mich an diesen Anblick und diese unvorstellbare Höhe zu gewöhnen, brauche ich wohl noch etwas länger Zeit.

In wenigen Minuten erwartet mich Rose. Gerade, als ich mich wieder auf den Stuhl setzen möchte, kommt mein Vorgesetzter in das Büro gestürzt.

Roland Baker sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an und noch bevor ich ihm einen guten Morgen wünschen kann, pfeift er mich in sein Büro.

„Miss Weber. Kommen Sie mit!“

Wie ein Hund folge ich ihm den Flur entlang in sein Arbeitsraum. Dabei entgeht mir nicht der schadenfrohe Blick seiner Sekretärin, als wir an ihrem Schreibtisch vorbeigehen.

Gleich nachdem die Tür hinter uns ins Schloss fällt, dreht er sich zu mir um und sieht mich feindseligen an. „Was haben Sie sich dabei gedacht?“ Er klingt aufgeregt und wütend.

„Ich verstehe Sie nicht. Was habe ich mir gedacht?“

„Ich spreche von dem hier.“ Baker geht zu seinem Schreibtisch, nimmt ein paar Unterlagen in die Hand und schleudert sie mir zu.“ Müssen Sie gleich bei jeder Gelegenheit zum Boss springen? Mr. Meyer hat keine Zeit für solche belanglose Sachen. Das nächste Mal werden Sie gefälligst zu mir kommen. Ich bin ihre nächste Ansprechperson und nicht Mr. Meyer. Haben Sie das verstanden?“

„Sie waren nicht erreichbar. Daher ging ich zu...“

Er unterbricht mich schroff. „Das nächste Mal warten Sie, bis ich erreichbar bin. Habe ich mich verständlich genug ausgedrückt?“

„Natürlich.“ Sein aufgeblasener Ton gefällt mir gar nicht. Aber was soll ich anderes tun, als verständnisvoll zu nicken und ihm in den Arsch zu kriechen? Schliesslich ist er mein Vorgesetzter. Wenn ich keine Probleme mit ihm haben möchte, tanze ich nach seiner Pfeife.

„Sie können diese Unterlagen vernichten.“ und zeigt auf die Papiere, die zerknüllt in meinen Händen liegen. „Bloss weil Sie irgendwas nicht richtig zuordnen konnten, habe ich gestern Abend ein paar Stunden mehr im Büro verbringen müssen.“

„Das tut mir leid. Ich dachte wirklich...“

Sofort fällt er mir schneidend ins Wort. „Da haben Sie anscheinend falsch gedacht. Und jetzt gehen Sie zurück an Ihren Platz und erledigen Ihre Arbeit. Und zwar jene, die in Ihrem Zuständigkeitsbereich liegt.“

„Selbstverständlich.“ Ich muss mich wirklich zusammenreissen, ihm nicht an die Gurgel zu gehen. Stattdessen gehe ich wie ein zusammengestauchtes Häufchen Elend zurück in mein Büro. Sogar Bakers aufgedonnerten Sekretärin bleibt mein erbärmlicher Anblick nicht verborgen, als ich an ihr vorbeigehe. Was mich beinahe am meisten beschäftigt.

Leider befindet sich Mira nicht an ihrem Platz. Ich könnte jetzt jemandem zum reden gebrauchen. Und obwohl ich eine Person im sechsundvierzigsten Stock hätte, besitze ich nach dem herablassenden Gespräch mit Baker keinen Mut, um nach oben zu gehen. Ich sollte mich jetzt hinsetzen und den anderen beweisen, dass ich meine Arbeit schätze und auch gerne erledige. Dass ich meine Aufgaben korrekt und zuverlässig ausführe. Also werde ich das auch machen.

Bedrückt nehme ich an meinem Computer Platz und haue auf die Tastatur ein, als wäre sie plötzlich zu meinem Feind geworden. Ich konzentriere mich völlig auf die Zahlen vor meinen Augen und für einen Moment gelingt es mir sogar, mich von Bakers Zusammenschiess zu erholen.

„Wo bleibst du denn?“

Erschrocken fahre ich hoch. „Oh, Rose. Du bist es.“

„Ich warte auf dich.“

„Sorry, ich wollte kommen. Aber ich hatte eine üble Unterhaltung mit Mr. Baker.“

„Das ist doch...“

„Bitte Rose.“ unterbreche ich sie. „Halte mir nicht auch noch eine Moralpredigt. Das kann ich jetzt echt nicht ertragen.“

„Komm.“

„Wohin?“

„Nach oben. Obwohl dich dein grossspuriger Chef soeben in die Mangel genommen hat, hast auch du eine Pause verdient. Also los.“ Sie nimmt meine Hand und zieht mich aus dem Sessel.

 

„Du magst ihn nicht?“ frage ich sie etwas überrascht und mit leiser Stimme, damit uns niemand hören kann, als wir über den Flur auf den Fahrstuhl zugehen.

„Sagen wir es mal so. Er ist nicht gerade mein bester Freund, aber Damians und aus diesem Grund versuche ich ihn zu respektieren. Aber es gelingt mir nicht immer. So wie in diesem Moment.“ Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, was mich sofort etwas aufmuntert. „Also, was hat er getan?“ möchte sie von mir wissen, als sich die Aufzugtüren geschlossen haben und wir nach oben fahren.

Während der starke Kaffee, der mir Rose offeriert hat, wohltuend meine Kehle hinunter rinnt, erkläre ich ihr alles. Von meinen Entdeckungen über die Buchungen, die ich nirgends zuordnen kann, bis hin zu meiner Unterredung mit Mr. Baker. Dabei steigt meine Wut wieder in mir hoch. Nicht nur auf den Mann, der mir vor wenigen Minuten klargemacht hat, wer hier das sagen hat, sondern auch auf jene Person, von der ich geglaubt habe, er wäre mein Freund.

Als ich schliesslich mit meiner Erzählung ende, nickt sie nachdenklich und mitfühlend mit dem Kopf und tätschelt liebevoll meine Hand. „Er ist nun mal dein direkter Vorgesetzter.“

Rose schenkt mir eine weitere Tasse Kaffee ein. Und während ich an meinem heissen Getränk nippe, wandern meine Augen verstohlen auf die verschlossene Tür, hinter der sich Damians Büro befindet.

„Und jetzt möchte ich wissen, was dich sonst noch bedrückt.“

„Das habe ich dir doch soeben erzählt?“ Obwohl ich ganz genau weiss, von was sie redet, spiele ich die Unwissende.

„Du hast mir erklärt, warum du wütend bist.“ Sie senkt ihre Stimme zu einem fürsorglichen Flüstern. „Aber nicht warum du dich betrogen und verletzt fühlst.“ Sie nimmt meine Hand in ihre und hält sie umschlossen, wie es eine liebevolle Mutter tun würde.

Ihre aufmerksamen Blicke und ihr stummes Verständnis treiben mir fast die Tränen in die Augen. Nur mit grosser Willenskraft kann ich sie zurücktreiben.

„Ich habe dich gesehen, als du aus Damians Büro gestürmt bist. Zwar konnte ich nicht direkt in dein Gesicht schauen, weil du kein einziges Mal zu mir blicken wolltest, als du auf den Aufzug gewartet hast, aber mir war sofort klar, dass etwas nicht stimmte.“ Wieder tätschelt sie aufmunternd meine Hand. „Ich bin eine gute Zuhöherin, weisst du? Was ist da drin passiert?“ Mit einem Kopfnicken deutet sie auf Damians Tür.

Verloren senke ich meinen Kopf und bewege ihn langsam hin und her. Dabei atme ich tief ein und aus. „Es ist nichts passiert.“

„Und warum siehst du mich dann nicht an?“

„Weil du mir dann nicht glauben würdest.“

„Weisst du,“ beginnt sie einfühlsam. „Damian ist auch nur ein Mensch. Du musst ihm nur etwas Zeit geben.“

„Zeit wofür?“ Ich hebe meinen Kopf und sehe in die grauen Augen der älteren Frau, die mir zärtlich zulächelt.

„Damit er mit seinem ganzen Herzen für dich frei sein kann.“

„Warum sagst du das?“

„Ich kenne ihn gut genug, um zu sehen, dass er genauso durcheinander ist wie du.“

Tränen rollen über meine Wangen. Tränen die ich nicht mehr aufhalten konnte und noch bevor ich sie abwischen kann, ertönt ein Gong, der die Ankunft des Fahrstuhls anmeldet.

Eine äusserst attraktive, junge Frau mit blonden Haaren, die zu einem kurzen Bob geschnitten sind, tritt in den Empfangsbereich und begrüsst Rose, dann mich mit einem Akzent, der mich an meinen eigenen erinnert.

„Hallo Susanne.“ begrüsst Rose sie. „Damian wird gleich bei dir sein. Ich werde ihn sofort über dein Erscheinen informieren.“

„Gut. Ich werde einfach so lange warten.“ Sie setzt sich auf einen der grossen, weichen Sessel auf denen ich erst vor wenigen Wochen auf Damian gewartet habe und nimmt sich ein Magazin zur Hand.

Ich nehme nur am äussersten Rand wahr, wie Rose die Besucherin bei Damian anmeldet. Viel zu sehr werde ich durch das Aussehen dieser Frau in den Bann gezogen. Etliche Fragen huschen durch meinen Kopf, während ich ihre manikürten Fingernägel, ihr dezent geschminktes Gesicht und ihre wohlgeformte Figur betrachte.

Ein heftiger Schmerz durchzuckt mein Herz, als ich seine kraftvolle Stimme höre. Wie gefühlvoll er sie anspricht und zärtlich anlächelt. Sie, nicht mich. Mich hat er nicht einmal zur Kenntnis genommen.

„Hallo Susanne.“ Er geht auf die Frau zu, die im Vorraum wartet und die er auf Schweizerdeutsch anspricht. Dicht vor ihr bleibt er stehen, bevor er sie fest in die Arme nimmt und einen Moment, der sich mir anfühlt wie eine Ewigkeit, umschlungen hält.

„Überrascht?“

„Nein. Ich habe dich nur nicht so früh erwartet. Schön dich zu sehen. Wie war dein Flug?“

„Hätte nicht besser sein können. Danke, dass du mir deinen Jet zur Verfügung gestellt hast.“ Dabei streicht sie sanft über seine Arme.

Ich kann den Blick einfach nicht von ihnen lösen. Von jenen beiden, die so vertraut und selbstverständlich miteinander umgehen, dass es keinen Zweifel gibt, dass sie sich schon seit langer Zeit kennen.

Die Tränen die ich eben noch angestrengt zurückgedrängt habe, stehen schon wieder in meinen Augen. Ich drehe mich niedergeschlagen um, um den Anblick, den sie mir bieten nicht mehr mitansehen zu müssen.

„Haben Sie nichts zu tun?“ Damian reisst mich aus meiner Starre und ich zucke augenblicklich unter seinem herrischen Tonfall zusammen. Ich blinzle schnell die Tränen weg, die noch immer verräterisch in meinen Augen stehen und drehe mich zu ihm um. Sein schonungsloser Blick ist geradewegs auf mich gerichtet. Sein Mund ist zu einem schmalen Strich gezogen, während sein Gast triumphierend lächelt.

Verlegen stottere ich herum: „Äh, i...ich habe nur eine kurze Pause gemacht.“ Meine Augen huschen von Damian zu seiner Blondine, weiter zu Rose, die mich mitfühlend betrachtet.

Er wirft einen Blick auf seine Rolex. „Die ist bestimmt schon längstens vorbei.“

„Ja.“ antworte ich kurz.

„Rose bringst du uns bitte einen Kaffee?“ Er legt seine Hand auf den Rücken seiner Besucherin, führt sie sanft in sein Büro und schliesst die Tür hinter ihnen.

„Ich werde dann mal wieder an die Arbeit gehen.“

„Es tut mir leid.“

„Dir braucht gar nichts leid zu tun. So ist es nun mal, oder? Schliesslich ist er ein sympathischer, verführerischer junger Mann, der weiss, wie er mit seinem Charme die Frauenwelt erobern kann. Er hat Geld, Macht und kann alles bekommen, was er will.“

„So ist er nicht.“

„Nein?“ frage ich sie mit hochgezogenen Brauen und steige in den Aufzug ohne mir ihren Einwand anzuhören.

7.

In meiner Mittagspause war ich solange durch die belebten Londoner Strassen marschiert, wie mich meine Füsse auf meinen hochhackigen Stiefeln tragen konnten. Die kalte Luft brannte schmerzhaft in meiner Lunge. Aber diese Folter hiess ich herzlich willkommen, sowie die stechenden Füsse nach meinem langen Marsch. Es lenkte mich von meinen niederschmetternden Gedanken und Gefühlen ab, die in meinem Herzen wüteten, seit ich die oberste Etage von Meyer Enterprises verlassen habe.

Als ich dann wieder an meinem Arbeitsplatz sass, war ich selbst überrascht, wie gut sich meine Psyche von den Erniedrigungen, die ich heute Morgen über mich ergehen lassen musste, erholt hatte. Ich konzentrierte mich völlig auf meine Aufgaben und kam erstaunlich gut voran. Erst als das Tageslicht schon längst der Dunkelheit gewichen ist, fuhr ich meinen Computer hinunter, schnappte mir meine Sachen und ging nach unten ins Erdgeschoss. Ich wollte mich gerade auf den Weg zur nächste U-Bahn Station machen, da hörte ich hinter mir, wie jemand meinen Namen rief. Es war Mira mit einer Gruppe Mitarbeiter von Meyer Enterprises, die auf mich zukamen und mich dazu ermunterten, mit ihnen durch die Clubs zu ziehen. Zuerst hatte ich Einwände, doch schliesslich gewannen ihre Überredungskünste. Und ich war froh, dass sie es geschafft haben, mich zu überreden. Es war schon sehr lange her, seit ich mich das letzte Mal amüsiert habe. Also liess ich mich einfach wieder einmal gehen und genoss das Leben.

Jetzt liege ich in meinem Bett und drehe mich um mich selbst. Der Alkohol, den ich in mich gekippt habe, war vielleicht etwas zu viel, was ich morgen auch sicherlich bedauern werde, aber heute war es genau das, was ich brauchte. Für einen ganzen Abend hat mich meine jämmerliche Vergangenheit in Ruhe gelassen. Auch Gedanken an Damian, der bestimmt in den letzten Stunden seinen Gast aus der Schweiz durchgevögelt hat, verbannte ich aus meinem Gehirn. Nur gerade jetzt, wo ich meine Augen schliesse und sich alles um mich herum bewegt, sehe ich ihn ganz genau vor mir, wie er mich heute Morgen vor seinem Büro mit einem kalten Blick ansah und sich sein Gesicht zu einer eisernen Maske verhärtete, während seine Hand auf dem Rücken dieser Susanne lag.

Endlich lasse ich den Tränen freien Lauf, die schon so lange in mir waren. Sie rinnen über meine Wangen und benetzen mein Kissen, das ich eng umschlungen halte, wie eine Ertrinkende auf hoher See. Ich weine leise in das weiche Polster, bis ich schliesslich in einen unruhigen Schlaf falle.

In meinem Kopf pocht es immer noch, auch nachdem ich bereits zwei Tabletten gegen Kopfschmerzen eingenommen habe. Allmählich bereue ich es, gestern so tief ins Glas geschaut zu haben. Ich massiere mit sanften Kreisbewegungen meine Stirn, um den stechenden Schmerz dahinter zu vertreiben, obwohl es nichts nützen wird.

„Hier. Das wird dich auf Touren bringen und deinen Kater im Nu verschwinden lassen.“ Mira streckt mir ein Glas mit einer undurchsichtigen, übelriechenden Flüssigkeit hin.

Angewidert verziehe ich meinen Mund, als ich daran schnuppere. „Was soll ich damit?“

„Nach was sieht es denn aus? Trinken, natürlich.“

„Und du?“

„Mir geht es blendend. Du hattest wohl etwas nachzuholen?“ Wissend lächelt sie mich an. „Du hast ganz schön viel in dich reingekippt. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“

„War ich so schlimm?“

„Schlimm? Nein. Wir waren nur etwas überrascht.“

„Wir.“ murmle ich vor mich hin. Wie peinlich habe ich mich wohl benommen? Ich kann mich nur noch vage an den vergangenen Abend erinnern.

„Keine Bange, du hast dich nicht blamiert, wenn du dich das soeben gefragt hast. Und jetzt trink das da.“ Sie zeigt auf das Glas in meiner Hand, während sie an ihren Schreibtisch geht und mich nochmals prüfend ansieht. „Aber gegen deine verschwollenen Augen wirkt das Wundermittel leider nicht.“

Ich war selbst erschrocken über meinen Anblick, als ich heute Morgen in den Spiegel blickte und mein Ebenbild kaum wiedererkannte. Mein Gesicht war ganz rot vom vielen weinen und um die Augen hatte ich schwarze Ringe. Ich verbrachte etliche Minuten im Bad, um mich frisch zu machen und trug dabei so viel Make-up und Schminke auf, dass sich nun mein Gesicht wie eine Maske anfühlt. Doch wenigstens erfüllt das ganze aufpeppen seinen Zweck.

Ich betrachte abermals die trübe Flüssigkeit, das im Becher, den ich in meiner Hand halte, schwimmt. Dabei denke ich mir, dass es kaum schlimmer werden kann und schlucke das eigenartige Getränk schnell hinunter.

Tatsächlich geht es mir schon nach wenige Minuten besser, nachdem ich das scheussliche Gebräu runtergewürgt habe. Konzentriert erledige ich meine Arbeiten, die ich erst am Mittag durch eine Pause unterbreche, nach jener ich nun wieder voller Elan ans Werk gehe.

Noch bevor ich in meinem Büro bin, kann ich ihn riechen. Sein Duft schwebt unverkennbar in der Luft und verstärkt sich noch mehr, als ich an meinen Schreibtisch trete. Mein Herz fängt schneller an zu schlagen, während mir nur ein Gedanke durch den Kopf rast. Damian war hier. Hier an meinem Platz.

Seit dem gestrigen Vorfall habe ich ihn weder gesehen noch gehört. Und das war gut so. Doch jetzt, wo ich sein Aftershave schmecke, sehne ich mich mehr denn je nach ihm. Ich wünsche mich in seine Arme. Ich möchte seine weichen Lippen auf meinem Mund spüren. Ein jämmerlicher Laut dringt aus meiner Kehle, als ich meine müden Auge reibe und meine Wünsche schnell versuche zu verdrängen.

Was wollte er hier? Möchte er mich vielleicht auch noch auf meine Unfähigkeit ansprechen, wie es Baker getan hat? Wenn das der Grund ist, warum er sich hier aufhielt, dann kann ich nur froh sein, dass ich ihm nicht begegnet bin.

Als Erstes prüfe ich meine E-Mails, nachdem ich den Computer entsperrt habe, was ich immer tue, wenn ich meinen Arbeitsplatz verlasse. Bei der Vierten erstarren meine Finger auf der Maus, nachdem ich den Namen des Absenders gelesen habe. Ich lese ihn ein zweites und ein drittes Mal, bis ich die Nachricht schliesslich mit zittrigen Händen öffne.

 

Keine Anrede, kein Gruss. Nur ein einzelner Satz, der wie ein Eindringling mitten auf meinem Bildschirm steht.

Ich erwarte dich in meinem Büro. Sofort!

Ein Blick auf die Uhr bedeutet mir, dass er die Mail vor nicht einmal fünf Minuten gesendet hatte und in der Zeit in der ich mir den Kopf darüber zermartere, warum er mich zu sich bestellt, kommt Mira an ihren Platz zurück.

„Da bist du ja. Unser Boss von oben hat dich gesucht.“

„Was wollte er?“ frage ich sie, wobei ich besonders darauf achte, dass sie das Zittern in meiner Stimme nicht hört.

„Das hat er mir nicht gesagt. Aber er wollte wissen, wo du bist.“

„Was hast du ihm geantwortet?“

„Du wärst in der Pause.“

„Okay. Ich bin dann mal oben.“

Als ich mich aus meinem Stuhl erhebe, um mich auf den Weg in die sechsundvierzigste Etage zu machen, entgeht mir ihr besorgter Blick nicht, wodurch ich noch unruhiger werde.

Kaum habe ich auf den Knopf gedrückt, um den Fahrstuhl zu rufen, öffnen sich schon die Türen. Ich steige in den rechteckigen, engen Raum und klammere mich an dem kühlen Handgriff fest, während mich der Aufzug viel zu schnell nach oben bringt.

Rose lächelt mir wie immer aufmunternd zu. Dafür bin ich ihr überaus dankbar. Denn genau diese kleine Ablenkung kann ich jetzt gut gebrauchen, weil sie die Fähigkeit besitzt etwas von meiner inneren Anspannung aufzulösen. „Du kannst gleich weitergehen. Damian erwartet dich schon.“

Ich nähere mich der verschlossenen Tür und bevor ich zaghaft anklopfe, hole ich mehrmals tief Atem.

„Ja, bitte.“ ertönt seine tiefe Stimme.

„Du wolltest mich sprechen?“ frage ich ihn, nachdem ich eingetreten bin.

„Schliess die Tür.“ Er klingt wütend und ich überlege mir, was ich verbrochen haben könnte.

Ich verriegle den Eingang und wende mich wieder Damian zu, der noch immer aus dem Fenster sieht. Ich betrachte seinen wohlproportionierten Körper, der sich unter seinem massgeschneiderten Anzug abzeichnet. Das Verlangen ihn zu berühren, mit meinen Händen über seine Muskeln zu streifen, überkommt mich derart unvorbereitet, dass ich laut hörbar die Luft einziehe.

Wie auf ein Zeichen dreht er sich zu mir um, die Hände in den Hosentaschen vergraben, sieht er mich mit seinen wunderschönen braunen Augen an, was meinen Wunsch von ihm besessen zu werden nur noch mehr anstachelt. Der Zwang zu ihm zu gehen und mir einfach das zu nehmen, was ich mir wünsche, ist beinahe so gross, wie die Angst von ihm zurückgestossen zu werden. Was er mit Sicherheit auch tun würde. Ich habe gesehen, welcher Typ Frau seinem Geschmack entspricht. Und in diese Sorte passe ich leider nicht. Das hat er mir nur zu deutlich klargemacht. Ich bin seine Mitarbeiterin. Weiter nichts.

Abwartend bleibe ich stehen. Mein Brustkorb hebt und senkt sich in schnellen Bewegungen, während ich darauf warte, bis er mir endlich den Grund verrät, warum er mich in sein Büro gerufen hat.

Es macht mich nervös, wie er mich fixiert. Wie er seinen Blick in meinem versenkt. Sein Gesicht hat einen harten Zug angenommen und seine Augen blitzen mich gefährlich an, als er ein paar Schritte auf mich zumacht.

„Hast du dich gut amüsiert?“ Er spuckt die Worte regelrecht heraus.

„Amüsiert?“ Ich verstehe nicht, was er damit meint.

„Ist wohl spät geworden. Dabei ist anscheinend auch genügend Alkohol geflossen. War der Abend nach dem letzten Pubbesuch fertig oder ging die Feier bei dir zu Hause weiter? Vermutlich hattest du noch eine Privatparty in deinem Bett, nicht wahr?“

Ich öffne meinen Mund, um ihm zu antworten. Aber meine Erwiderung auf seine Anschuldigung bleibt mir im Mund stecken. Angewidert, über das was er mir vorwirft, entferne ich mich einen Schritt von ihm weg. Doch zu meinem Entsetzen folgt er mir und kommt mir sogar noch näher. Ich sehe in seine Augen, die beinahe schwarz sind und die mich von Kopf bis Fuss mustern.

„Was geht dich das an, was ich gemacht habe?“ Ich spüre wie sich ein heftiger Zorn und gleichzeitig eine heillose Verzweiflung in mir ausbreiten. „Was ich in meiner Freizeit mache und mit wem ich meine freien Stunden verbringe, hat dich nicht zu interessieren. Schliesslich frage ich dich auch nicht, wie du deinen Tag mit der Blondine beendet hast. Wie hiess sie nochmals? Ach ja, Susanne.“ Dabei tippe ich mir mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Susanne, die extra aus der Schweiz angereist ist.“

„Halt deinen Mund. Sie ist nur eine Bekannte.“ Seine Stimme ist beängstigend leise. Er hält seine Hände nicht mehr in den Taschen, sondern sind nun an der Seite zu Fäusten geballt.

„Du brauchst es mir nicht zu erklären. Es geht mich nämlich nichts an!“ schreie ich.

„Wen hast du gestern mit nach Hause genommen?“ presst er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und macht dabei einen Schritt auf mich zu.

„Woher weisst du, was ich letzten Abend gemacht habe?“

„Das ist unwichtig.“ Er bewegt sich weiter auf mich zu. Soweit, bis uns nur noch wenige Zentimeter voneinander trennen. „Was wichtig ist, wer hat letzte Nacht dein Bett mit dir geteilt?“

„Bist du mir gefolgt?“ Ich lache selbst über meine Frage. „Ach, wie kann ich nur annehmen, ich könnte dir so wichtig sein. Du hattest ja einen überaus attraktiven Gast.“ Ich sehe ihm direkt in die Augen und plötzlich beschleicht mich eine alte Angst. Mein Körper fängt an zu zittern. Panik macht mir das Atmen schwer. „Hast du mir nachspioniert? Oder mein Smartphone geortet?“ Meine Stimme ist kaum hörbar, dennoch kann er jedes Wort genauestens verstehen.

„Ich habe einen Bodyguard damit beauftragt, dich zu beschützen.“ beschämt sieht er weg.

„Beschützen? Vor wem?“

„Das wüsste ich auch gern. Ich erkenne die Panikattacken, die dich immer wieder überfallen. Dann bist du nur noch ein Schatten deiner Selbst.“

„Warum fragst du mich, ob ich letzte Nacht mit jemandem geschlafen habe, da du die Antwort schon längstens weisst?“ Meine Stimme bricht und sehe zu Boden. Mühsam dränge ich die aufkommenden Tränen zurück.

Er legt einen Finger unter mein Kinn und hebt meinen Kopf, damit ich seinem Blick nicht ausweichen kann. „Weil ich von dir hören möchte, warum du mit keinem Mann gevögelt hast, obwohl du mindestens ein Dutzend notgeiler Typen hättest haben können, die nur darauf gewartet haben, dich zu besitzen.“ Er greift nach meinen Händen, die schlapp an meiner Seite hängen und hält sie mit grober Heftigkeit fest.

„Soll das ein Witz sein?“ Ich versuche mich aus seinem Griff zu lösen, doch vergebens.

„Nein. Also warum?“

„Weil ich mich von niemandem besitzen lasse. Darum!“

„Ich merke, dass du dich in der Gegenwart von Männer unwohl fühlst. Warum also hast du diese alkoholische Getränke in dich hineingeschüttet? Dadurch warst du ein willkommenes Ziel für diese sabbernde Kerle. Warum hast du das getan?“ Er schüttelt mich leicht, als möchte er mich zur Besinnung bringen.

Unsere Blicke treffen sich. Ich sehe tief in seine Augen und was ich darin lese, überwältigt mich. Zweifel. Verlangen. Unsicherheit?

Ich atme zitternd ein und winde mich aus seinem Handgriff. Dieses Mal lässt er mich ohne Widerstand los.

Ich entferne mich einen Schritt von ihm und entziehe mich seiner vertrauten Nähe. „Seit Monaten habe ich mich endlich wieder einmal amüsiert. Ich brauchte zwar ein paar Bier und ein paar Shots, aber es hat mich vergessen lassen. Wenigstens für ein paar Stunden. Ich wollte für einmal nicht an meine verkorkste Vergangenheit denken und ich...“ Ich kann seinem durchdringenden Blick nicht mehr standhalten und drehe mich weg. Selbst ich höre mich kaum, als ich weiterrede. „Ich wollte nicht über dich nachdenken. Es hat mich zu sehr aufgewühlt, wie du diese Frau angesehen und sie gehalten hast, während du mich mit einem kalten Blick gewürdigt hast.“