Tödliches Verlangen

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„Autsch!“ Verdammt, tut das weh.

„Entschuldigung.“ Dr. Stevens schiebt mein Oberteil wieder nach unten und sieht mich mit einem überaus bemitleidendem Blick an. „So wie es scheint, braucht die Heilung einiges länger, als ich erwartet habe.“

„Und was soll das jetzt bedeuten?“

„Sie müssen noch mindestens drei Tage hier bleiben.“

Oh nein. Nicht auch das noch. Ich möchte in meine eigenen vier Wände zurück.

„Aber ich kann doch zu Hause genauso gut in meinem Bett liegen, wie hier.“

„Wohnen Sie mit jemandem zusammen?“

„Nein.“ Meine Stimme fängt leicht an zu beben. Wieder muss ich gegen die Tränen ankämpfen. Ich hatte einen Freund, der mich misshandelt hat und von dem ich schwanger war. Jetzt, jetzt bin ich ganz alleine.

„Hier ist rund um die Uhr jemand für Sie da. Machen Sie einen kleinen Spaziergang in unserem Park. Oder gehen Sie ins Café und bestimmt kommt Ihre Verwandtschaft Sie besuchen. Sie werden sehen, die Zeit hier vergeht ganz schnell.“

„Bei diesem scheusslichen Regen und mit der Krücke habe ich keine Lust hinauszugehen.“

„Die Sonne wird sich morgen wieder von ihrer schönsten Seite zeigen. Wie sieht es mit ihren Erinnerungen aus? War Frau Christensen schon bei Ihnen?“

Mein Herz setzt einen kurzen Moment aus. Was soll ich ihm bloss erzählen? Ich starre auf meine Beine, die in eine lockere Trainerhose gekleidet sind. Die Wahrheit?

„Sie war gestern hier und kommt morgen wieder, um ein paar Gedächtnisübungen zu machen.“ Wenigstens musste ich ihn so nicht belügen. Aber kann ich Dr. Christensen etwas vorspielen?

„Ich wünsche Ihnen viel Erfolg morgen. Ich werde am Donnerstag wieder nach Ihnen sehen.“

Der Arzt verabschiedet sich von mir und verschwindet im Flur.

„Ich bringe Ihnen in wenigen Minuten das Mittagessen. Brauchen Sie noch irgendwas?“ Vor Schreck entflieht mir beinahe ein Schrei. Obwohl ich sie die ganze Zeit gesehen habe, habe ich ihre Anwesenheit vollständig verdrängt.

„Danke, nein.“

„Sie sehen bedrückt aus? Die paar Tage, die Sie hier verbringen müssen, gehen schnell vorüber. Sie werden schon sehen. Und Frau Christensen ist wahrhaftig eine Spezialistin auf ihrem Gebiet. Sie kann Ihnen bestimmt Erinnerungen von Ihrem Unfall hervorlocken.“

Wenn die Krankenschwester wüsste, was mich in Wirklichkeit belastet, würde Sie nicht mehr so unbeschwert reagieren. Warum erzähle ich eigentlich niemandem die Wahrheit darüber, was Noah mir angetan hat? Schäme ich mich dafür? Oder habe ich Angst davor, dass er nochmals auf mich losgehen könnte?

„Sie haben bestimmt recht.“ Ich möchte, dass sie mich alleine lässt und schaue sie eindringlich an. Ich sehe ihr nach, wie sie mit schnellen Schritten aus dem Zimmer schreitet, wobei ich ihre schwarzen Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden waren, hin und her wippen sehe. Gleich darauf kehrt sie mit meinem Essen zurück und verabschiedet sich mit wenigen Worten.

Ich sitze am Tisch und stochere lustlos in meinem Teller herum. Wenngleich mein Magen zu rebellieren versucht, bringe ich keinen Bissen herunter.

Die Faust, die sich um mein Herz gelegt hat, drückt immer mehr zu. Mich ergreift das Gefühl, als würde mir das Leben herausgerissen. Ich möchte nicht ständig an das Unglück denken, das mir widerfahren ist. Wann kann ich endlich wieder ein ungetrübtes Leben führen?

Mit dreissig habe ich mein Leben wahrlich anders vorgestellt. Ich dachte einst, bis dahin wäre ich verheiratet und hätte Kinder. Kein bisschen ist von all dem in Erfüllung gegangen. Wenigstens habe ich einen Beruf, den ich liebend gerne ausübe. Nun bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich meinem Job voll und ganz hinzugeben. Etwas anderes wird es für mich nicht mehr geben. Bei diesem Gedanken kullern mir schon wieder Tränen über meine Wangen. Ich bin über mich selbst enttäuscht, wie ich in so einer kurzen Zeit ein völliges Frack werden konnte. Ich war immer gut gelaunt und hatte ein enormes Selbstwertgefühl. Wo ist all das hin? Ich spüre von all dem nichts mehr in mir. Ich habe keinen Grund fröhlich oder glücklich zu sein. Wenn jemand etwas zu laut mit mir spricht, zucke ich gleich zusammen und bebe vor Angst. Kein Stolz, keine Würde scheint geblieben zu sein.

Einen Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass sich immerhin das Wetter aufgehellt.

Ich muss eingeschlafen sein, denn draussen scheint die Sonne und blendet mich mit ihren hellen Strahlen. Sofort beschliesse ich ein wenig in den Krankenhauspark zu gehen. Ich wackle ins Bad und putze mir kurz die Zähne. Gerade als ich mein Buch in meine Handtasche packen möchte, klopft es an die Tür, woraufhin sie vorsichtig geöffnet wird.

„Ich habe gehofft, Sie hier anzutreffen.“

Diesen Besuch hätte ich nie im Leben erwartet. Ich schnappe nach Luft und gaffe, etwas aus der Fassung gebracht, zu ihm hinüber. Alexander steht an den Türrahmen gelehnt da und sieht mich mit seinem anziehendem Lächeln, das seine makellosen Zähne freigibt, an. Ich bin zu keiner Erwiderung fähig und starre weiterhin wortlos in seine Augen.

„Ich möchte nicht aufdringlich sein, aber möchten Sie mit mir in den Park gehen?“

Eigentlich wollte ich alleine sein. Mich meinen wirren Gedanken und Gefühlen hingeben. Jedoch habe ich das mittlerweile genug getan, oder? Schon seit mehreren Tagen liege ich nun in diesem Krankenhaus und hatte reichlich Zeit, um all das was geschehen ist, zu verdauen. Ein wenig Ablenkung und dann noch mit so einem charmantem Typen, wie Alexander, zusammen zu sein, sollte ich mir vielleicht nicht entgehen lassen. Ich nehme meine Tasche und die Krücke zur Hand. „Da wollte ich sowieso hin.“ Ich kann in seinem Gesicht, für einen winzigen Augenblick, erkennen, dass er erstaunt über meine Antwort ist, sich aber gleich wieder fassen kann. Ein kleines Schmunzeln kann ich nicht verkneifen, sehe jedoch zu Boden, dass er es nicht sehen kann.

„Soll ich Sie stützen?“

„Nein, geht schon.“

Beim Aufenthaltsraum der Krankenschwester halte ich an und teile einer Pflegerin mit, dass ich mich draussen aufhalte. Schweigend gehen Alexander und ich nebeneinander weiter. Erst als wir uns unter freiem Himmel befinden, bricht er die Stille zwischen uns.

„Was ist Ihnen widerfahren, dass Sie in diesem Krankenhaus landeten?“ Offensichtlich ist ihm diese Frage nicht leichtgefallen, denn er spielt nervös mit seinen Fingern.

Nur was soll ich ihm dazu antworten? Etwa die grausame Realität? Ich bin noch nicht soweit, mich jemandem zu öffnen. Erst recht nicht jemandem, den ich kaum einen Tag lang kenne.

Er deutet mein Schweigen falsch und möchte sich sogleich für seine Frage entschuldigen. Ich komme ihm jedoch zuvor, indem ich meine Hand in die Höhe halte und ihn ansehe. Wir setzten uns auf eine Bank. Die Sonne tut mir gut. Es ist eine Wohltat, wie sie ihre Wärme auf meinen Körper strahlt.

„Ich bin die Treppe hinuntergestürzt.“ Während ich anfange zu erzählen, bin ich nicht fähig Alexander anzusehen. Ich richte meine Augen geradeaus und hafte meinen Blick an einer gelben Rose fest, die gegenüber von unserer Bank in voller Blüte steht. Mir ist unbehaglich dabei, dass ich ihn belüge. Aber es ist zu meiner eigenen Sicherheit? Verzweifelt versuche ich den Aufruhr in meinem Innern zu verdrängen. „Es scheint so, als hätte ich Schuhe mit zu hohen Absätzen getragen.“

„Warum sagen Sie scheint so? Wissen Sie das nicht mehr?“

Ich wende den Kopf zu ihm. „Ich leide an einem Gedächtnisverlust, was den Unfall betrifft. Erst letzten Montag habe ich mein Bewusstsein wieder erlangt.“ Ich kämpfe fest gegen meine Tränen an, die sich wieder in meine Augen stehlen. Ich senke meine Lider für einen kurzen Moment und blinzle die Tränen so gut es geht weg. Alexander darf nicht erfahren, dass mich etwas aus der Fassung zu werfen droht.

„Es tut mir Leid, dass Sie so etwas durchmachen müssen.“

Er sieht mich mit seinem warmen Blick an und wartet geduldig ab, bis ich weiter rede. Diese Augen machen es noch schwieriger für mich, ihm etwas vorzuspielen.

„Ich war zu Hause und habe mich für das Treffen mit meiner besten Freundin fertig gemacht. Sie war es auch, die mich gefunden hat und den Notarzt gerufen hat.“ Meine Stimme droht mir zu versagen.

„Was belastet Sie, dass Sie so sehr mit sich ringen müssen?“ Behutsam legt er eine Hand auf die Meine, die auf meinem Bein liegt. Ich zucke zusammen, als ich seine Berührung spüre und möchte sie schon zurückziehen. Doch er hält sie mit einem zärtlichen Druck fest. Meine Brust hebt und senkt sich heftig, als ich mich zu beruhigen versuche und mit einem Mal finde ich seine Berührung nicht mehr als eine Bedrohung, sondern als etwas Beschützendes. Aber ich bin nicht imstande ihn anzusehen. Aus meinem Augenwinkel bemerke ich eine langsame Bewegung. Seine andere Hand nähert sich meinem Gesicht. Vorsichtig streicht er meine Haare, die sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst haben, hinter mein Ohr und nimmt mein Kinn sanft zwischen Daumen und Zeigefinger. Er dreht mein Gesicht zartfühlend in seine Richtung. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn anzusehen. Diese olivgrünen Augen, die mich intensiv mustern, öffnen mein Herz und ich kann die heraufkommenden Tränen nicht mehr stoppen. Noch bevor ich weiss wie mir geschieht, liege ich in seinen Armen und weine hemmungslos an seiner Schulter. Mein Körper wird immer wieder durch meine Schluchzer geschüttelt, während ich mich an seinen muskulösen Oberarmen festkralle.

Ich möchte es mir nicht eingestehen, aber seine Umarmung spendet mir wahren Trost. Ein feiner Duft eines Eau de Toilette umhüllt ihn und riecht ganz schwach nach.... Ja nach was denn? Verbranntem Benzin? Nachdem die Tränen endlich versiegt sind, hole ich nochmals tief Luft und ziehe seinen Duft mit mir, als ich mich von ihm löse. Verlegen sehe ich ihn an und setze mich aufrecht hin.

 

„Geht es wieder?“

Ich zucke nur mit den Schultern und schaue zu Boden. „Im Moment schon, danke.“

Er fragt mich nicht mehr weiter aus, was mich beeindruckt und zugleich verwirrt und spüre seinen Blick auf mir.

„Irgendwann wirst du es mir erzählen.“ und streicht über meine Wange.

Überrascht über seine knappe Bemerkung, wie über seine Berührung sehe ich ihn befangen an. Hat er meine Notlüge etwa schon durchschaut?

Seine Hand liegt immer noch an meiner Wange und ich mache keine Anstalten, irgendwas daran zu ändern. Es fühlt sich so an, als würden wir uns schon lange kennen und seine Berührung ganz normal ist. Alexander reicht mir ein Taschentuch, um die letzten Tränenspuren von meinem Gesicht zu wischen.

„Zum Glück habe ich mich nicht so geschminkt, wie ich es normalerweise tue. Sonst wären meine Augen vom Mascara total verschmiert.“

„Du brauchst gar keine Schminke. Du bist wunderschön und besitzt eine warmherzige Natürlichkeit, die einen unverschämt anstrahlt.“

Mir bleibt der Mund offen stehen. Hat er das jetzt wirklich gesagt oder habe ich mir das nur eingebildet?

Ich möchte nicht, dass er das sagt. Ich bin nicht bereit, so was zu hören. Unwohl von diesem Kompliment, versuche ich mich von der Bank zu erheben, doch er hält mich sogleich zurück.

„Tut mir Leid. Es ist mir einfach so herausgerutscht. Es sollte ein Kompliment sein. Ich wollte dich auf keinen Fall bedrängen oder in Verlegenheit bringen. Ich habe nur das gesagt, was ich schon seit dem ersten Moment an denke.“ Seine Hand umschliesst immer noch meinen Arm, als ich mich wieder neben ihn setzte.

„Es ist schmeichelhaft, so etwas zu hören. Aber ich bin nicht bereit dazu, solche Komplimente zu hören. Noch nicht.“

„Ich werde es versuchen.“ und sieht mich mit seinem verführerischen Lächeln an.

Wir sassen noch lange auf der Bank und unterhielten uns über Gott und die Welt. Es war ein angenehmer Nachmittag, wie ich es seit längerer Zeit nicht mehr erlebt habe. Wir verstanden uns einfach wunderbar. Er brachte mich, mit seinen heiteren Spässen und seiner aufgeweckten Art sogar zum Lachen.

Ich erzählte ihm fast alles, was er wissen wollte, sogar dass ich mich erst kürzlich von meinem langjährigen Freund getrennt habe. Aber die Wahrheit über meinen “Unfall“ verschwieg ich ihm.

Jetzt, wo ich die letzten Stunden Revue passieren lasse, stelle ich fest, dass ich fast gar nichts von ihm erfahren habe. Er hat eine jüngere Schwester, die wie seine Eltern in der Ostschweiz wohnen. Offenbar sieht er seine Familie viel zu selten, da ihn sein Beruf ziemlich in Beschlag nimmt, was auch immer seine Arbeit sein mag. Er verriet mir nur so viel, dass er irgendwas mit Autos macht.

Wir schreiten Richtung Krankenhaus zurück. In dem Augenblick, in dem wir uns erheben, stehen die Leute auf der Nachbarbank gleichfalls auf. Nach einem genauen Blick erkenne ich die Männer, die Alexander schon an den vorigen Male begleiteten, an denen ich auf ihn traf. Mir wird es ein wenig unwohl in meiner Haut und spreche Alexander auf seine Begleiter an.

„Das sind meine Bodyguards.“

„Deine Bodyguards? Warum...?“ Ich verstehe nicht, warum er Leibwächter braucht und offenbar will er mich auch nicht aufklären.

„Das verrate ich dir zu einem späteren Zeitpunkt.“ Ein verschmitztes Grinsen erscheint auf seinem Gesicht.

„Das ist nicht fair. Ich habe dir alles erzählt, was du wissen willst. Aber du.. Was verheimlichst du mir?“

„Auch du verheimlichst mir irgendwas. Und was es ist, werde ich irgendwann erfahren. So wie du irgendwann mein Geheimnis erfährst.“

„Du bist einfach unglaublich.“

„Nein du.“

Plötzlich stehen wir vor meiner Zimmertür. Ich möchte mich noch nicht von ihm verabschieden, aber ich bin vom langen sitzen ziemlich erschöpft und mir tun die Seiten weh, an denen meine gebrochene Rippen pochen. Noch bevor ich mich der Tür zuwenden kann, umschliesst er mit dem Daumen und Zeigefinger mein Kinn.

Er sieht mir tief in die Augen, bevor er sich meinem Gesicht nähert. „Ich wollte mich beherrschen, aber ich schaffe es einfach nicht.“ flüstert er dicht vor mir und seine Lippen streichen sanft über meinen Mund. Der Kuss ist viel zu kurz, aber intensiver als jeder vorherige Kuss, den ich bis jetzt erlebt habe.

Als er sich langsam von mir löst, kann ich die eine Frage, die sich in mir aufdrängt einfach nicht mehr ignorieren, vor deren Antwort ich mich schon eine ganze Weile fürchte. „Was ist mit der Frau, die du jeden Tag in diesem Spital besuchst?“

„Sie ist meine Managerin.“

„Wofür?“

Einer der Bodyguards kommt auf uns zu und bleibt dicht vor Alexander stehen. Beide haben eine beachtliche Grösse und sehen äusserst kräftig aus. Ihre Oberteile drohen an ihren Bizeps zu bersten. Ich frage mich, wie sie in ihre Kleider kommen, ohne dass diese zerreissen.

„Herr Drenk, entschuldigen Sie bitte die Störung, aber wir müssen gehen.“

Ich kann den kahlgeschorenen Mann, mit einem Headset an seinem linken Ohr, kaum verstehen. Warum hat er seine Stimme gesenkt. Was sollte ich oder sonst wer nicht hören?

Alexander reisst mich aus meinen Überlegungen. „Sorry Zoe. Aber ich muss gehen. Sehen wir uns morgen wieder?“

„Vielleicht treffen wir uns ja im Café wieder.“

Alexander nimmt meine freie Hand und hält sie fest. Dabei schaut er mich lange an. „Das hoffe ich sehr. Gute Genesung Zoe und gute Nacht.“ Er kehrt sich zu seinen Leibwächtern um und geht mit Ihnen davon. Bevor er um die Ecke verschwindet, schenkt er mir nochmals eines seiner bezaubernden Lächeln. Wie versteinert bleibe ich vor meiner Zimmertür stehen und lausche ihren schnellen Schritten, die auf dem Linoleumboden quietschen, bis sie verklingen.

Etwas gekränkt darüber, dass er sich so schnell von mir verabschiedet hat, gehe ich in mein verlassenes Zimmer und lege mich aufs Bett. Bei den Erinnerungen an an den kurzen Kuss, wird mir ganz warm ums Herz. Dabei streiche ich über meine Lippen, die, wie ich glaube, immer noch nach ihm schmecken. Sofort wünsche ich mir, dass ich ihn bald wieder sehen werde.

5.

Wenn mich nicht alles täuscht, ist heute Donnerstag. Ich strecke mich in meinem Bett alle Glieder von mir und fühle mich erstaunlich erholt und entspannt. Obwohl ich mich nicht in meinen eigenen vier Wänden befinde, habe ich letzte Nacht ziemlich gut geschlafen. Das kann ich von den vorherigen Nächten nicht gerade behaupten. Liegt es vielleicht an dem dunkelblonden Alexander? Schon nur bei den Gedanken an ihn, macht mein Herz einige Hüpfer. Ungeachtet der Tatsache, dass ich mir geschworen habe, keinen Mann mehr nahe an mich ran zu lassen und mich keinem mehr zu öffnen, kann ich nichts gegen meine Zuneigung für Alexander unternehmen.

Aber was sollte ich wiederum gegen einen Flirt haben? In Alexanders Anwesenheit kann ich vor meinen tiefen Verletzungen flüchten. Also gibt es doch nichts besseres, als die paar gemeinsamen Stunden zu geniessen. Wenn ich aus dem Krankenhaus entlassen bin, trennen sich sowieso unsere Wege.

Hoffentlich ist Dr. Stevens immer noch der Ansicht, dass ich morgen nach Hause kann. Ich kann es kaum erwarten, von diesem Ort wegzukommen.

„Guten Morgen Frau Berner. Wie ich sehe, geht es Ihnen schon etwas besser.“ Frau Dr. Christensen reisst mich völlig unerwartet aus meinen Gedanken an gestern Nachmittag. Verdutzt sehe ich sie an.

„Es ist schön, Sie lächeln zu sehen.“ erwidert sie, sobald sie an meinem Bett steht.

„Guten Morgen Frau Dr. Christensen.“

„Haben Sie gut geschlafen?“

„Ja. Zum ersten Mal seit ich hier bin.“

„Und wie fühlen Sie sich?“

„Ziemlich gut.“ für den Moment jedenfalls, füge ich stumm dazu.

„Das freut mich. Wollen wir gleich beginnen?“ Sie nimmt ihren Laptop zur Hand. „Setzen wir uns doch an den Tisch.“ Mühsam stehe ich auf, um mich gleich darauf auf einen Stuhl zu setzten. Ich sehe die vielen Blumensträusse an, die immer noch unverrückt an ihrem alten Platz stehen. Die einen lassen schon die Köpfe hängen. Was mir nur recht ist, denn die von Noah hätte ich schon längst in den Eimer werfen sollen. Ich setzte mich links von der Ärztin hin. Sie öffnet ihren Laptop und startet ihn.

„Sind vielleicht schon irgendwelche Erinnerungen zurückgekommen?“

„Ich... ich...“ Was soll ich sagen? Es war ja klar, dass sie mich so etwas fragen würde. Warum habe ich mir keine plausible Antwort zurechtgelegt.

„Ja?“

„Ich habe einige Erinnerungsfetzen, aber ich kann sie noch nicht richtig miteinander verbinden.“ Ich fühle mich äusserst schlecht, meine Ärztin so anlügen zu müssen. Und das alles nur, wegen Noah. Warum mache ich das nur? Wäre es nicht viel einfacher, wenn ich ihn verraten würde? So reite ich mich nur selbst weiter in die Scheisse.

„Es muss Ihnen auf keinen Fall unangenehm sein. Wir machen jetzt ein paar Übungen. Danach gebe ich Ihnen Aufgaben, die Sie alleine bewältigen und lernen können. Sind Sie bereit?“

Ich kann nur hoffen, dass sie mir meine innere Unsicherheit und meine Lügen nicht anmerkt. Sie bemüht sich so, mir zu helfen und ich habe nichts besseres zu tun, als ihr etwas vorzuspielen.

„Okay. Dann legen wir mal los.“ Dr. Christensen dreht ihren Laptop zu mir. Es öffnet sich ein Programm, in dem ich verschiedene Gedankenübungen machen muss. Zwar habe ich meine Erinnerungen zurück, aber diese Übungen lenken mich, sehr zu meinem positiven Erstaunen, von meinen Sorgen und Problemen ab. Nach etwa dreissig Minuten brummt mir der Schädel und wir beenden die Sitzung. Bevor sie sich von mir verabschiedet, hinterlässt sie mir einige Bogen Papier, die ich für das tägliche Training benutzen kann. In einer Woche habe ich wieder einen Termin bei ihr. Dann möchte sie sehen, wie es um mein Erinnerungsvermögen steht.

Gerade als ich dabei bin die Blumensträusse, die von Noah stammen, in den Eimer zu werfen, erscheint mein Vater in der Tür.

„Hallo meine Kleine.“

Wie sehr ich seine warme Stimme vermisst habe. Ich bin so froh, dass er endlich Zeit gefunden hat, um mich zu besuchen. Unfähig irgendwas zu erwidern, schmiege ich mich in seine Umarmung.

„Wie fühlst du dich? Du siehst jedenfalls viel besser aus, als noch vor drei Tagen. Bin ich froh, dass du wieder bei Bewusstsein bist.“

„Danke. Es geht mir schon viel. Ich freue mich, dass du hier bist. Wo bist du gewesen?“

„Ich musste geschäftlich nach London. Ich habe alles versucht, den Termin zu verschieben, um so schnell wie möglich bei dir vorbeizukommen. Aber es war viel zu kurzfristig. Da gerade Ferienzeit ist, fehlen viele Mitarbeiter und so blieb mir nichts anderes übrig, als selbst zu gehen.“

„Paps. Natürlich habe ich dich vermisst und gehofft, dass du dich blicken lässt. Aber ich wusste auch, dass du so schnell wie möglich hierher kommst, sobald es dir geht. Mach dir deshalb keine Sorgen. Schliesslich bin ich kein kleines Kind mehr. Ich hatte jeden Tag genug Besuch und jetzt bist du ja hier.“

„Du wirst immer mein kleines Mädchen bleiben.“ Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn und sieht mich dann eindringlich an. Mir scheint, als würde er jeden Zentimeter von mir abchecken.

„Und wie geht es dir wirklich?“

„Gut. Warum?“

„Warum wirfst du all die Blumen weg?“ Er deutet auf die Sträusse, deren Blüten noch in voller Pracht leuchten.

„Ach die. Ich will sie nicht mehr ansehen müssen.“

„Und warum? Die sind doch von Noah? Habt ihr euch gestritten?“

„Nicht wirklich. Aber ich habe mich von ihm getrennt und das will er offenbar nicht wahr haben.“

„Ach Kleine. Irgendwann findest du auch deinen Märchenprinzen.“

„Da wäre ich nicht so sicher.“ Ich kämpfe gegen die plötzlich aufkeimenden Tränen an. Ich dachte, ich hätte das Schlimmste überwunden, aber sobald ich mir eine Zukunft neben einem Mann vorstelle, bleibe ich ständig alleine stehen, da ich keine Kinder mehr bekommen kann.

„Jetzt mach dich nicht verrückt. Du bist noch ziemlich jung und bist wunderschön. Du machst eine schlimme Zeit durch, aber auch die vergeht irgendwann. Wir sind immer für dich da.“

„Ich weiss. Danke.“ Ich schmiege mich wieder an ihn und trauere still um mein ungeborenes Baby.

Mein Vater drückt mich an den Schultern von sich weg und sieht mich ernsthaft an. „Was verschweigst du mir?“ In seiner Stimme klingt eine gewisse Härte mit.

 

„N...Nichts.“ Ich wende meinen Blick von ihm weg und schaue aus dem Fenster. Ich kann ihm nicht in die Augen sehen und ihn dabei belügen.

„Was hat er dir angetan?“ Nun klingt er gar nicht mehr so heiter, wie vor wenigen Minuten und zwingt mich ihn anzusehen. Ich habe ihn noch nie so ausser sich gesehen. Hat ihm Valerie erzählt, dass ich schwanger war? Oder war Pam bei meinen Eltern und hat sie über alles informiert, was mir zugestossen ist? Ich vertraue meiner Schwester, wie auch meiner besten Freundin. Ich würde ihnen nie unterstellen, dass sie mir in den Rücken fallen würden, aber warum ist mein Dad plötzlich so aufgewühlt?

„Er war nur etwas zerknirscht, als ich Schluss gemacht habe. Das ist alles. Ich habe gehofft, dass wir uns in aller Freundschaft trennen können.“ Es tut mir in der Seele weh, dass ich auch meinen Vater so anschwindeln muss, aber ich schweige eisern. Ich möchte und kann ihm einfach nicht die Wahrheit erzählen.

„Wir haben euch dazu erzogen, ehrlich zu sein. Aber ich kann dich nicht dazu zwingen mir deine Sorgen mitzuteilen, wenn du nicht bereit dazu bist. Also werde ich dich auch nicht länger bedrängen. Wenn du es dir anders überlegst und dich mir anvertrauen willst, weisst du hoffentlich, dass ich für dich da sein werde. Immer.“

Froh darüber, dass er nicht mehr länger nachzubohren versucht, drücke ich ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich hab dich lieb, Dad.“

„Ich dich auch, mein Schatz.“

Wir verfallen beide in ein unangenehmes Schweigen. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Ich versuche verzweifelt ein anderes Thema anzuschneiden. Mir fällt aber nichts Passendes ein, um ein Gespräch zu beginnen und bin noch so froh, dass er die Stille durchbricht.

„Kannst du morgen nach Hause?“

„Ich denke schon. Mein Arzt wird heute noch vorbeikommen. Dann weiss ich mehr.“

„Holt dich jemand ab?

„Janosch hat versprochen, dass er mich fährt.“

„Gut.“

Ich sehe meinem Vater nach, wie er mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern das Zimmer verlässt. Ihn so zu sehen, gibt mir noch mehr Schuldgefühle, als dass ich sowieso schon habe.

Mein iPhone, das neben mir auf dem Beistelltisch liegt, piepst vor sich hin. Es ist eine Nachricht von Janosch darauf eingegangen.

Liebes Schwesterherz, Sorry, aber ich schaffe es heute nicht mehr. Glaub mir, ich wäre jetzt viel lieber bei dir, als hier, wo ich mich in diesem Augenblick befinde. Ich stecke vor Bern im Stau und wie es aussieht, werde ich das noch in der nächsten Stunde sein. Gib mir Bescheid, wann ich dich Morgen abholen kann. Ich drück dich ganz fest. Janosch.

Als ich ihm eine kurze Antwort schreibe, bemerke ich erst, wie spät es schon ist.

Schockiert stelle ich fest, dass ich fast den ganzen Nachmittag im Internet gesirft habe, nachdem ich meinem Chef eine Nachricht geschickt habe. Ich war heute noch keinen Moment draussen. Das werde ich jetzt gleich ändern. Nach einer kurzen Dusche föhne ich mir noch schnell die Haare.

Ich bleibe, wie von einer Tarantel gestochen, stehen, als ich ins Zimmer trete. Mir weicht alle Farbe aus dem Gesicht. So fühlt es sich jedenfalls an.

„Was machst du hier!“ schreie ich Noah an, der seelenruhig auf der Bettkante sitzt und mich mit einem ausdruckslosen Gesicht mustert.

„Für wen machst du dich schön?“

„Für mich. Und ausserdem geht dich das nichts an. Schon vergessen?“

„Ich habe doch gesagt, dass wir noch nicht fertig miteinander sind.“

„Und ich habe dir gesagt, dass ich zur Polizei gehe, wenn du mich nicht in Ruhe lässt!“ Allmählich bekomme ich Angst vor ihm. Mir ist übel und mein Körper bebt vor einer gewissen Wut.

„Du brauchst nicht so laut zu werden.“

Ich habe gar nicht registriert, dass ich angefangen habe ihn anzuschreien. Humpelnd gehe ich ums Bett und lasse mich auf einem Stuhl am Fenster nieder. Ich versuche so viel Abstand wie nur möglich zwischen uns zu erhalten. Doch kaum bin ich auf der anderen Seite des Raums, steht er auf und kommt auf mich zu.

„Wie ich sehe, hast du schon etwas weggeräumt.“

Ich schaue ihn fragend an, denn mir will nicht in den Sinn kommen, was er damit meint. Aber als er auf die noch blühenden Sträusse deutet, fällt mir sogleich der Groschen.

„Ich konnte sie nicht mehr ertragen. So wie ich dich nicht mehr ertrage. Bitte verlass endlich dieses Zimmer und komm nie mehr zurück!“ Ich drehe mich von ihm weg und hoffe, dass er ohne weiteres geht. Zwar fühle ich mich überhaupt nicht wohl, ihn in meinem Rücken zu wissen, trotzdem bleibe ich beharrlich so stehen und schaue den Rotkehlchen zu, wie sie von einem Baum zum anderen fliegen.

Ich zucke so fest zusammen, als ich eine Hand auf meiner Schulter spüre, dass ich fast zu Boden falle. Er dreht mich mit einem eisernen Griff um und die Bilder vom vergangenem Freitag steigen in mir hoch. Ich habe grosse Mühe auf den Füssen stehen zu bleiben.

„Wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen erzählst, bist du dran.“

„Verschwinde!“ Mein Körper zittert heftig und die Angst steigert sich ins Unermessliche.

„Zoe, ist alles in Ordnung?“

Völlig erschrocken sehe ich hinter Noah hervor. Ich habe seine Stimme sofort erkannt, aber bin dennoch erstaunt, Alexander in der Öffnung der Tür zu sehen. Noch nie war ich so froh ihn hier zu sehen. Unsere Blicke senken sich ineinander und lassen uns nicht mehr los. Er kommt mit schnellen Schritten auf uns zu und stellt sich zwischen mich und Noah. Ich kann endlich wieder aufatmen und die Angst die ich vorhin noch verspürt habe, verfliegt in einem Flug.

„Es ist alles okay.“

„Wenn du meinst.“ Er dreht sich zu Noah um, der ihn mit einem finsteren Blick mustert. „Darf ich fragen, wer Sie sind?“

„Das geht Sie rein gar nichts an. Und tun Sie nicht so, als ob ich nicht wüsste, wer Sie sind.“ gibt Noah sarkastisch zurück. „Nur frage ich mich, was Sie hier wollen.“

Noahs Augen wandern meinen Körper auf und ab. „Das ist er also, nicht wahr?“

„Was soll er sein?“

„Der Grund dass du mit mir Schluss gemacht hast. Gibs zu! Hat er dich schon ran genommen und dich so richtig durchgefickt?“

„Hör auf! Du bist ein verdammter Mistkerl. Geh!“

„Damit du dich mit ihm vergnügen kannst?“ Noah sieht mich mit einem herablassendem Grinsen an. Mir wird es ganz elend davon. Wie kann er nur plötzlich so grausam sein? Wie konnte ich ihn nur jemals lieben? Verzweifelt versuche ich gegen die Tränen anzukämpfen, die in meinen Augen brennen.

„Verschwinden Sie auf der Stelle aus diesem Zimmer.“

„Sie haben mir überhaupt nichts zu sagen.“

„Kuhn.“ Alexander winkt seinen Leibwächtern. „Dieser Herr hier möchte uns verlassen. Führen Sie ihn hinaus und sehen Sie zu, dass er auch wirklich in sein Auto steigt und sich von diesem Areal entfernt.

Einer der Bodyguards kommt auf uns zu und packt Noah an seinem Arm. „Kommen Sie doch bitte mit uns.“

Noah schüttelt den Leibwächter wie ein lästiges Insekt ab. „Ich kann alleine gehen.“ und sieht mich mit einem eisigen Blick an, der mich zu Tode erschrecken würde, wenn Alexander nicht neben mir stehen würde. Mit ausgestrecktem Finger zeigt Noah auf mich. „Versteck dich nur hinter diesem Angeber, du elende Heuchlerin. Aber ich schwöre dir, er wird dich nicht immer beschützen können und dann erwische ich dich.“

Bevor er mich mit seinen Beleidigungen noch mehr erniedrigen und verletzen kann, greift der Leibwächter nach ihm und führt ihn weg.

Ich kann sein Fluchen und sein kaltblütiges Lachen, das im Flur widerhallt, noch weit hören, aber sobald Noah aus meiner Bildfläche verschwunden ist, kann ich mich nicht mehr länger beherrschen und lasse mich gegen Alexanders Brust fallen, der mich sofort in eine starke Umarmung schliesst. Hilflos klammere ich mich an ihm fest. Die Tränen, die ich vorhin noch mühsam verdrängt habe, laufen mir bereits über die Wange und ich weine unkontrolliert an seiner Brust. Es bricht einfach alles aus mir heraus. Alles, was ich in den letzten Tagen versucht habe zu unterdrücken, die Angst, die Wut, die Hilflosigkeit, selbst das Verlorene, steigt in mir auf.