Pflanzenalchemie - Ein praktisches Handbuch - eBook

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Signaturenlehre – was ist das?

»Ihr wisset durch die Kunst der Signatur, dass jedes Ding nach dem, aus dem es ist und zu dem es gehört, gezeichnet wird, damit es immer gleich gefunden werde, wie es die Kunst der Signatur anzeigt, die der Arzt kennen soll.« (Paracelsus)

Die Signaturenlehre ist ein uralter Weg der Heilmittelerkenntnis. Paracelsus gilt als Pionier der Verknüpfung dieser Anschauung mit einer modernen analytischen Betrachtungsweise, nach dem Prinzip der Analogie. Demnach hat jede Substanz innere und äußere Merkmale, von denen man auf eine mögliche Heilwirkung schließen kann.

Um diese Methode sinnvoll anzuwenden, sollte man sie als Hinweise verstehen, die eine Bestätigung durch das Experiment erfordern. Als mögliche Signaturen dienen zunächst alle sinnlich wahrnehmbaren Phänomene wie Form, Gestalt, Farbe, Geschmack oder Geruch einer Pflanze, aber auch der Wachstumsort, die Vergesellschaftung mit anderen Pflanzen, der Bezug zu den Rhythmen der Tageszeit oder Jahreszeit spielen eine Rolle. Ferner berücksichtigte man ebenso die Bedeutung des Namens und natürlich auch die traditionellen Verwendungsformen oder die Verknüpfung mit Göttern und Mythen. (Text und Grafik v. Hrsg.)


Der Schachtelhalm erinnert in seinem Aufbau an die Wirbelsäule. (Handkolorierter Holzschnitt aus dem Kräuterbuch des Leonhard Fuchs, 1543)


Sporentrieb des Ackerschachtelhalms im Frühjahr (oben) – die Kieselsäure ist hier besonders gut löslich.


Schachtelhalm ist extrem genügsam und regeneriert als Bodenverbesserer die ausgelaugte Erde. Als Heilmittel wirkt er regenerierend auf das Gewebe und vermittelt Struktur, Festigkeit und die Fähigkeit zur Abgrenzung. (Fotos Olaf Rippe)

Ein anschauliches Beispiel für eine biologische Transmutation bietet der Schachtelhalm. Nach der klassischen Signaturenlehre (siehe Seite 26 und 124ff.) wird der Acker-Schachtelhalm (Equisetum arvense) als besonders vom Saturn beherrschte Pflanze betrachtet. Dieser Planet regiert unter anderen Organen besonders das Knochensystem und die mineralischen Prozesse im Organismus. Schachtelhalm hat eine korrigierende Wirkung im Falle einer Entmineralisierung der Knochen und wirkt allgemein strukturierend. Schachtelhalm korrigiert und erhält das organische Calciumgleichgewicht. Diese Fähigkeit beruht besonders auf der Transmutation von Silizium in Calcium.

Die wichtigsten im Ackerschachtelhalm enthaltenen Substanzen sind: Kieselsäure in großen Mengen, Schachtelhalmsäure (eine der Spezies eigene Säure mit diuretischer Wirkung), Equisetonin (ein Saponin), Schleimsäure, Apfelsäure, Oxalsäure, Eisen, Magnesium, Mangan, Kalium, Natrium, Aluminium, Calzium, Phosphor, Glucoside, Antivitamin (in den Sporen; das Antivitamin hat die Fähigkeit, das Vitamin B1 ›Thiamin‹ zu zersetzen), Dimethylsulphon, Vitamin C (in der frischen Pflanze), Phytostearin, Harz, eine Substanz, die das Koagulieren verhindert und auf dem Saft der Pflanze schwimmt, eine koagulierende Substanz im Satz des Saftes, eine noch nicht genau definierte Base und Equisetin, ein Alkaloid, durch einen Pilz (Ustilago equiseti) verursacht, welcher der Pflanze die typischen braunen Flecken verleiht. Falls der Gehalt von Equisetin vermieden werden soll, muss die Pflanze vor dem Befall geerntet werden. Junge Pflanzen enthalten weniger Kieselsäure als ausgewachsene, die jüngeren Pflanzen enthalten jedoch mehr lösliche Kieselsäure als die älteren, wobei zu berücksichtigen ist, dass die lösliche Kieselsäure den größeren Heilwert hat.

Die quantitative Analyse einer Schachtelhalm-Spezies stellt sich nach Auskunft der Firma Staufen Pharma wie folgt dar:15 Kieselsäure: 62,11, Chlor: 0,70, Schwefelsäure: 4,67, Phosphorsäure: 2,12, Schwefel: 4,03, Kohlensäure: 0,59, Kalium: 2,88, Natrium: 0,67, Magnesium: 1,53, Calcium: 15,40, Eisen: 2,19.

Beeindruckend ist der hohe Gehalt an Kieselsäure, der praktisch das Vierfache des Calciumgehalts darstellt. Wie ist nun die stark ausgleichende Wirkung des Calciumgehalts im Organismus zu erklären? Nach Kervran wird der Calciumgehalt des Organismus besonders durch die Transmutationsprozesse aufrechterhalten. Hier folgen die entsprechenden Formeln:


Die letzte dieser Formeln erklärt den Prozess. Interessant in diesem Zusammenhang ist eine Bemerkung des amerikanischen Ernährungswissenschaftlers Dr. Paavo Airola im Zusammenhang mit Osteoporosis16: Abnorme Porosität der Knochen älterer Menschen beruht gewöhnlich auf mangelhafter Ernährung, besonders Mangel an Vitaminen und Mineralen. Längere Behandlung mit Cortison kann auch zu Osteoporosis führen, da diese zu einer Reduzierung der Calcium- Aufnahme durch die Eingeweide führt und auch die Knochensubstanzbildung blockiert. Dr. Airola bemerkt, dass nach der Ansicht Dr. L. C. Kervrans die Verabreichung von calciumreicher Nahrung oder zusätzlichen Calciums in Fällen von Osteoporosis, Calciummangel oder Entcalzifizierung nicht empfehlenswert ist. Kervran schlägt stattdessen die Zuführung von organischer Kieselsäure, Magnesium und Kalium als einen wirkungsvolleren Weg vor, um den Mineralhaushalt zu verbessern und den Knochen und Geweben Calcium zuzuführen. Durch den Prozess der biologischen Transmutation wird das Silizium der Kieselsäure im Körper in leicht assimilierbares Calcium verwandelt. Kervran empfiehlt besonders Schachtelhalmtee17.

Kervran bemerkt in seiner bekannten Arbeit über biologische Transmutation, dass organische Kieselsäure für den Menschen empfehlenswert ist, da mineralische Kieselsäure die entgegengesetzte Wirkung hat: sie entcalcifiziert.18

Diese Hinweise sollen für den Augenblick genügen. Dem interessierten Leser seien die in der Bibliografie erwähnten Schriften Kervrans und Vitofranceschis empfohlen.

Im Zusammenhang mit einer Neubewertung der Transmutationsmöglichkeiten sei noch das viel besprochene Experiment der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt erwähnt. 1977 wurde dort eine Scheibe aus Uran mit Uranionen beschossen, die auf eine Energie von 1,8 Milliarden Elektronenvolt beschleunigt worden waren. Bei diesen Energien kommt es noch nicht zu einer völligen Verschmelzung zweier Urankerne, sondern es werden nur wenige Protonen und Neutronen zwischen den Kernen ausgetauscht. Mit wachsender Energie der Projektile nimmt dieser Austausch zu, und in der nachfolgenden (radiochemischen) Analyse wurde die Anwesenheit von Gold bestätigt. Wenn sich einer der beiden Urankerne in einen Goldkern umwandelt, so geht der Reaktionspartner in einen Kern des Elementes 105 über. (Uran hat die Ordnungszahl 92, Gold 79; der Unterschied beträgt 13; 92 + 13 = 105.) Derartige Elemente sind jedoch instabil und zerfallen rasch durch Kernspaltung.

Die klassischen Meister der Alchemie bedienten sich nicht dieser enorm hohen momentanen Energien, sondern äußerst subtiler Energien wie der des menschlichen Organismus, die sich wie viele alchemische Prozesse mit unendlicher Langsamkeit vollziehen. Arbeiten über viele Jahre und selbst Jahrzehnte sind keine Seltenheit. Viele Wissenschaftler bestehen darauf, dass Transmutationen nur mit riesigem Energieaufwand möglich sind, sich dann allerdings mit großer Schnelle vollziehen. Warum sollte es nicht möglich sein, Transmutationen mit niedrigeren Energien, aber mit größerem Zeitaufwand zu erzielen? Ist es vielleicht wie beim Flaschenzug: entweder viel Kraftaufwand und wenig Zeit oder wenig Kraftaufwand und viel Zeit? Außerdem, wie kann man die entsprechenden Energien messen? Besonders, wenn diese nicht einmal bekannt sind!

Der Adept folgt der Natur. Der Stich aus Michael Maiers berühmtem Werk »Atalanta Fugiens« deutet an, dass der Alchemist den Schritten der Natur folgen muss und ihre Wege beleuchten soll. »Für denjenigen, der sich mit Alchimie befasst, können die Natur, der Verstand, die Erfahrung und das Lesen Wegweiser, Stab, Brille und Laterne sein. Die Natur muss des Künstlers Anführerin sein; die Vernunft ist der Stab, auf den er sich stützt, um nicht dummen Irrtümern zu verfallen; die Erfahrung ist die Brille, die dem Künstler ermöglicht, Wahres von Unwahrem zu unterscheiden, wie sie dem Kurzsichtigen erlaubt, in die Ferne zu sehen. Das Lesen muss dem Intellekt wie ein helles Licht sein, wenn nicht, so werden düstere Wolken der Unklarheit obsiegen.« (Nach Stanislas Klossowski De Rola, The Golden Game, 1988)

Die alten Meister empfehlen, stets der Natur nachzufolgen und diese die Arbeit von selbst tun zu lassen, wie der Bauer. Die Nähe der Alchemie zum Ackerbau ist oft betont worden, und es gab Alchemisten, die sich den lateinischen Beinamen Agricola (= Bauer) zulegten.

Es ist wichtig für uns festzuhalten, dass die Möglichkeit der Transmutation eine wissenschaftlich bewiesene Tatsache ist und keineswegs ein Fantasieprodukt; der Streit geht um die Mittel, nicht um die Tatsache als solche. Transmutationen ermöglichten überhaupt erst die Erscheinung der ganzen Materie. Aus dem ursprünglich aus dem Urknall hervorgegangenen Wasserstoff entwickelten sich nach Ansicht der Wissenschaft in etwa sieben Milliarden Jahren mit der Geburt und dem Tod von Generationen von Sternen immer schwerere Elemente. Wenn wir von der Materie als aus dem Urknall gefrorenes Licht sprechen, können wir auch sagen: »In principio erat hydrogenium« (im Anfang war der Wasserstoff), der nach Ansicht der Parachemie die am meisten wärmeverwandte Substanz ist.

 

Kehren wir nun zur Spagyrik zurück. Wesentlich für eine gelungene Transmutation sind die Qualität der Ausgangssubstanzen, das geeignete Auszugsmedium und der geeignete Zeitpunkt, denn alles hat »seine Zeit«; die Griechen nannten die Gunst der Stunde kairos (griechisch Καιρός).

Zur Aufbereitung spagyrischer Heilmittel verwendet man am besten nur gesunde Heilpflanzen, die ohne künstliche Düngung gewachsen sind. Ebenso verwendet man am besten möglichst reines Quellwasser. Außerdem beachtet der Spagyriker häufig die Planetenstellungen und die Planeten als sogenannte Stundenregenten (hierzu später mehr).

Noch einmal sei in diesem Zusammenhang Paracelsus zitiert: »So muss deine Medizin ihre Früchte tragen wie der Sommer die seinen. Ihr müsst wissen, dass der Sommer dieses mit Hilfe der Gestirne tut, nicht ohne diese. Wenn die Gestirne fähig sind, dieses zu tun, müsst ihr wissen, wie die Medizin auf solche Weise bereitet wird und dass sie von den Gestirnen regiert wird. Denn es sind diese, welche die Arbeit des Arztes vervollständigen. Und da diese handeln, muss die Arzney nach ihren Einflüssen verstanden, klassifiziert und justiert werden (…). Daher muss man verstehen, dass die Medizin in den Gestirnen bereitet werden muss und dass die Gestirne die Medizin werden.» (Buch »Paragranum«)

Mit dem allmählichen Vormarsch des Materialismus und der sich durchsetzenden Vorstellung des statischen Elementebegriffs in der offiziellen Chemie verlor die Alchemie immer mehr an Boden, obgleich sie im 17. Jahrhundert noch weithin blühte. Wirklich erloschen ist die alchemistische Glut jedoch zu keinem Zeitpunkt.

Im 19. Jahrhundert begann der deutsche Arzt Dr. med. et phil. Carl Friedrich Zimpel (1800–1878) eine neue Produktion spagyrischer Heilmittel. Dieser weitgereiste und gelehrte Mann war ursprünglich Ingenieur. Er widmete sich spät dem Studium der Heilkunst und erwarb den Doktorgrad der Philosophie und der Medizin. Er wurde mit der Preußischen Goldmedaille für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet und war Ehrenmitglied der Mineralogischen Gesellschaft der Universität Jena. 1849 ließ er sich in London als homöopathischer Arzt nieder. Zimpel widmete sich intensiv dem Studium der Werke des Paracelsus und jenem des Apothekers und Alchemisten Johann Rudolph Glauber. Allmählich entwickelte er eine bedeutende Produktion, bekannt unter dem Namen Müller Göppingen mit der Spezialabteilung Staufen Pharma, eine hochstehende, international bekannte Produktionsfirma, deren Erzeugnisse heute in vielen Ländern der Welt zu haben sind.19

Inzwischen führten auch die Forschungen Carl Gustav Jungs zu einer Neubewertung alchemistischer Texte und Anschauungen aus der Sicht des Psychologen. Jung erkannte in der alchemistischen Überlieferung ein philosophisches System von großer Kohärenz und Überzeugungskraft. Inzwischen wurden viele klassische Texte neu gedruckt, wobei die Einstellung der Herausgeber stark schwankt. Zu haben sind zum Beispiel die Werke von Paracelsus, Basilius Valentinus, Glauber, Van Helmont, Andreas Libavius u. a.

1921 gründete Alexander von Bernus das Soluna Laboratorium, ehemals Stift Neuburg in Heidelberg. Nach einem kurzen Aufenthalt in Stuttgart siedelte das Institut in das Schloss Donaumünster in Donauwörth über. Alexander von Bernus’ Buch »Alchymie und Heilkunst« sei jedem Leser wärmstens empfohlen. Das Soluna Laboratorium produziert nach wie vor eine große Anzahl spagyrischer Heilmittel.

Das Phönix Laboratorium in Bondorf, das nach paracelsischer Methode eine Reihe zuverlässiger Heilmittel produziert, und die Firma Naturwaren GmbH Dr. rer. nat. Peter Theiss in Homburg müssen ebenfalls in diesem Zusammenhang erwähnt werden.

In Salt Lake City, Utah, gründete Frater Albertus (Dr. Albert Riedel) das jetzige Paracelsus College, das aus der Paracelsus Research Society hervorging. Frater Albertus gehört zu den bekanntesten Vertretern der Alchemie in unserer Zeit. Seine Kurse in vielen Ländern ermöglichten einer großen Zahl von Teilnehmern einen ersten Zugang zur Alchemie, auch wenn einige von diesen später vorzogen, allein weiterzuarbeiten.20

»Alchemie und Heilkunst« von Alexander von Bernus gehört zu den Schlüsseltexten der modernen Alchemie. Ausgabe von 1936.


Der Dichter und Alchemist Alexander von Bernus (1880–1965), Begründer des Laboratoriums Soluna.

In der Schweiz wirkt mein Freund und Lehrer, Augusto Pancaldi. Seine Schüler arbeiten in der Stille in mehreren Ländern weiter.

In Australien sind mehrere Alchemisten emsig am Werk. Hier, wo die Natur mit ihrem großen Reichtum an Gold und Mineralien den Weg so deutlich vorgezeichnet hat, wird sich noch vieles entwickeln, nicht zuletzt durch das Zusammenströmen der Überlieferung vieler Kulturen aus Ost und West. Die Firma Windmill in Victoria produziert spagyrische Erzeugnisse, ebenfalls Australerba in Adelaide mit ihren hochwertigen integralen Kräuterelixieren, die als praktische Kräutertees angeboten werden.21 Dazu kommt eine Serie beliebter Kräuterweine sowie eine Reihe herzhafter Kräuterhonige, die den altitalienischen Melliti entsprechen. Die auch bei Kindern sehr beliebten Honige sind hochwertige Honigarten aus der weiten, sonnenbeschienenen Landschaft Australiens, angereichert durch spagyrische Kräuterzubereitungen. Australerba wirkte bahnbrechend mit ihren Produkten, die heute auf dem ganzen Kontinent zu haben sind.

Inzwischen ist die Firma Soluna aus dem Schloss in Tapfheim, Donaumünster, in das neue Firmengebäude in Donauwörth gezogen. Blick in den Destillationsraum. Die Destillation erfolgt unter Luftkühlung; der Raum ist oktogonal angelegt, was einen vergeistigten Prozess unterstützt.


Ansatz einer Safrantinktur, eine Zutat zum Solunat Nr. 17 (früher Sanguisol). Das Mittel soll bei Melancholie das Blut mit der Energie der Sonne anreichern.

Es bestehen viele verschiedene Aufbereitungsmethoden spagyrischer Heilmittel. Mit einer großen Zahl davon werden wir uns in dem vorliegenden Werk beschäftigen. Einige sind relativ einfach, andere äußerst kompliziert. Darüber hinaus soll der Leser zum eigenen Forschen und Experimentieren und zum Studium der klassischen Texte angeregt werden.

Es geht heute darum, den Schatz der Spagyrik auf seine Wirkungsweise zu überprüfen und ihn von falschen Ansprüchen zu befreien. Nicht alles in den Tausenden von Traktaten der Alchemie ist echt. Auch liegen oft echten Prozessen falsche Vorstellungen zugrunde, aber vielfach sind die falschen Vorstellungen auch auf Seiten der Schulwissenschaft. Die Überlieferung und die Heilmittel zu prüfen, mit neuen Denkansätzen an die weitere Forschung zu gehen, das Echte der Überlieferung zu respektieren und das Falsche davon zu scheiden, das sind die Gebote der Stunde. Auch in diesem Sinne sollte die spagyrische Arbeit, wie Paracelsus sagt, eine Kunst sein, die das Falsche vom Gerechten scheidet.

Die Ratschläge des Basilius Valentinus

In einem der Schlüsseltexte der Alchemie von Basilius Valentinus heißt es: »In solcher meiner Betrachtung aber habe ich eigentlich befunden fünff Stücke, so am vornehmsten sind, und so da allen Suchenden der Weißheit und Kunstliebenden zu erforschen obliegt. Als da ist erstlich, die Anruffung zu Gott: Zum andern, die Betrachtung des Wesens: Zum dritten, die wahre unverfälschte Bereitung: Zum vierten, den Gebrauch: Und zum fünften, die Nutzbarkeit. Solche fünff Stücke nun muss ein jeder Chymicus und wahrer Alchymist wissen zu consideriren und zu erkennen. Dann sonsten ohne das kann er nicht vollkommen seyn, noch vollkommen für einen wahren Spagirum erkannt werden« (aus dem »Triumphwagen des Antimonii«).

Das Studium und die Praxis der Alchemie gründen sich auf Bescheidenheit, Geduld, Ernsthaftigkeit und Entschlusskraft. Die höhere alchemische Praxis kann nur durch persönliche Anweisungen eines qualifizierten Lehrers vermittelt werden. Wer die klassischen Texte ohne eine entsprechende Vorbereitung und Ergänzung liest, wird wenig oder nichts verstehen. Wie die Musik kann die alchemische Kunst nicht allein aus Büchern erlernt werden. Im Grunde wird die Alchemie stets eine Kunst bleiben, die auf persönlicher Einweihung aufbaut.

Über die Person des Basilius Valentinus wissen wir wenig. Nach seinen eigenen Angaben war er ein Benediktinermönch. Unter seinen chymischen Schriften befinden sich die besonders wichtigen Werke »Die zwölf Schlüssel der hermetischen Philosophie« und der »Triumphwagen des Antimonii«. Ob Basilius ein Alchemist des 16. Jahrhunderts war, ob er früher gelebt hat oder ob es nur ein Pseudonym war, soll uns an dieser Stelle nicht beschäftigen. Wichtig ist zu wissen, dass es sich um eine unbestrittene Autorität der Alchemie handelt.


»Triumphwagen des Antimon« von Basilius Valentinus. Titelkupfer, Ausgabe von 1727.


Basilius Valentinus. Frontispiz aus »Chymische Schriften. Zweiter Teil«, 1577.

Wenden wir uns nun seinen fünf Ratschlägen zu:

Die Anrufung Gottes

Sie ist für jeden Spagyriker der Anfang und das Ende, das Alpha und das Omega jeder Absicht und jeder Handlung, und nichts wird jemals ohne sie begonnen. In den klassischen Texten sind uns einige dieser Gebete überliefert, die uns die jeweilige religiöse Haltung ihrer Verfasser erkennen lassen. Hier als Beispiel eine Invokation des Nicolas Flamel, der ein bedeutender französischer Alchemist des 14. und 15. Jahrhunderts war:

»Allmächtiger ewiger Gott, Vater des Lichts, von dem alle guten Dinge und alle vollendeten Gaben zu uns kommen. Ich bitte Dich um Deines unendlichen Erbarmens willen, lass mich Deine ewige Weisheit erkennen, jene, die Deinen Thron umgibt, die alles erschaffen und gemacht hat, die alles leitet und erhält. Schicke sie mir vom Himmel, Deinem Heiligtum, und vom Thron, Deinem Ruhm, dass sie in mich eingehe und in mir arbeite. [Denn] diese ist die Meisterin aller himmlischen und verborgenen Künste, welche das Wissen und die Einsicht in alle Dinge erschließt. Gib, dass sie mich in allen meinen Arbeiten begleitet, damit ich, durch ihren Geist gestärkt, die wahre Einsicht erhalte und ohne Irrtum in der edlen Kunst, der ich mein Leben geweiht habe, voranschreite in der Erforschung des wunderbaren Steins der Weisen, den Du vor der Welt verborgen hast, dessen Entdeckung Du aber Deinen Auserwählten gewährst. Dass ich dieses große Werk, welches ich auf dieser Erde zu vollenden berufen bin, glücklich beginne, fortsetze und vollende (und) dass ich mich immer daran erfreue. Darum bitte ich Dich durch Jesus Christus, den himmlischen Stein, Pfeiler des Wunderbaren, auf ewig begründet, welcher mit Dir bestimmt und herrscht. Amen.«

Nicolas Flamel bittet um die rechte Erleuchtung, um die rechte Erhöhung und Strukturierung seines Bewusstseins, um die ewige Weisheit, die den Grund des Seins bildet.

Und hier ein schlichtes Gebet des Paracelsus:

»O Heiliger Geist, weise mir, was ich nicht weiß, und lehre mich, was ich nicht kann, und gib mir, was ich nicht habe. Gib mir die meinigen fünf Sinne, dass Du, Heiliger Geist, wohnest drinnen; mit den sieben Gaben sollst Du mich begaben und soll Deinen göttlichen Frieden haben. O heiliger Geist! Lehre und weise mich, dass ich recht leben kann mit Gott und meinem Nächsten!«

Die Betrachtung des Wesens

»Dieser wahren Anruffung zu dem lieben Gott folget nun nach der Ordnung die Betrachtung eines jeden Dinges; das ist so viel gesagt, dass alles anfänglich wohl muss betrachtet werden, nemlich die Umstände eines jeden Dinges, was seine Materia und Form, woraus dasselbe seine Würckung überkommen, wodurch sie eingegossen und einverleibet, auch wie sie aus dem Siderischen empfangen, durch die Elementa gewürcket, und durch die drey anfahenden Dinge gebohren und förmlich gemacht werden.22 lm gleichen wie eines jeden Dinges sein Leib wiederum kann rücklich gemacht, das ist, resolviret werden in seine Primam Materiam, oder erstes Wesen, wie ich dann in den andern meinen Schriften dessen allbereit unterschiedlich gedacht habe, damit aus der ultima Materia die Prima Materia und aus der Prima Materia wiederum die ultima Materia werden kann.23 (…)

 

Das ist nun Theoria, nemlich, was sichtbar und greifilich, auch ein zeitliches förmliches Wesen hat, auszugründen, wie ihm fortzuhelffen ist durch seine Zerlegung, dass ein jedes Corpus seinen Nutzen von sich geben kan, was in ihm ist, gut oder böse, Gifft oder Artzney, wie das Ungesunde von dem Gesunden zu scheiden ist, auch wie seine Anatomia anzustellen, und seine Zerstörung und Zerbrechung vorzunehmen, damit justo titulo ohne falsch und Sophisterey Purum ab Impuro [damit ist die richtige Art und Weise gemeint] kan geschieden und separiret werden, welche Scheidung nun geschehen kan durch vielerley Hand-Arbeit, vielerley Wege und Mittel, dero etliche in der Erfahrenheit gemein, etliche aber nicht gemein seynd: als da geschiehet durch Calciniren, Sublimiren, Reverberiren, Circuliren, Putreficiren, Digeriren, Destilliren, Cohobiren, Figiren, und dergleichen, welche Gradus allzumal nacheinander in der Arbeit erfunden, gelemet, ergründet, und offenbar gemacht werden, daraus beweißlich wird, was fix und unfüx, was weiß, schwartz, roth, blau oder grün ist, und so fortan: da anders der Künstler recht damit umgehet, und die Betrachtung wohl anlegen wird …«

Basilius fordert uns auf, die Materie und die Prozesse durchzumeditieren, bevor wir zur Handlung schreiten.

Die unverfälschte Bereitung

Auf die theoretische Betrachtung der Dinge folgt die praktische Aufbereitung, welche die rechte Einstellung, Hingabe und entsprechendes Können verlangt. Zur rechten Erkenntnis kommt nun die Handarbeit, auf diese Weise wird das geplante Werk zur Wirklichkeit.

»Wann nun die Betrachtung eines jeden Dinges recht ergründet worden, welches, wie zuvor ermeldet, anders nichts ist denn Theoria, so folget diesem nach die rechte wahre Bereitung, welche rechte wahre Bereitung durch die Hand-Arbeit muss vollzogen, und zu Werck gerichtet werden, damit etwas Thätliches und Würckliches hernach folgen möge. Aus der Bereitschaft kömmt her die Wissenschaft, nemlich eine solche Wissenschafft, daraus man allen Grund und Gelegenheiten der Artzneyen haben kan. Die Hand-Arbeit geschiehet durch eine fleißige Anwendung; Die Wissenschafft aber bringet sein Lob durch Erfahrung zum Unterscheid dieser beyder; dass eines vor dem andern in gewisser Tugend kann erkannt werden, ist Anatomia ihr aller Richter. Die Hand-Arbeit gibt zu Tage, wie alle Dinge können notoria, beweißlich und sichtbarlich gemacht und vorgestellt werden, die Wissenschafft aber gibt zu Tage Praxin, und den rechten wahren unverfälschten Grund, daraus ein rechter und wahrer Practicus werden kan, und ist anders nichts, denn eine Confirmation und Bestättigung, dass die Hand-Arbeit etwas Gutes offenbahret, und die verborgene geheime Natur herausser bekannt und beweißlich gemacht hat zum Guten.«

Der rechte Gebrauch

»Wann nun deine Bereitung geschehen, nemlich die Absonderung des Guten vom Bösen, welches durch die Aufschließung geschehen muss, so musst du demnach den Gebrauch in acht nehmen des Gewichts, dass du der Sachen nicht zu viel noch zu wenig thust, welches du in der Würckung kanst mercken und observiren, ob die Artzney zu stark oder zu gelinde, auch ob sie nützlich oder schädlich seyn wolte: welches dann ein Artzt zwar vorhin wissen soll, und dessen einen Grund haben, will er ihm nicht einen neuen Kirch-Hof zubereiten, mit Verlust und Verderb seiner Seelen, und mit Untergang seines guten Namens.«

Der Nutzen

Hier steht vor allem die Gretchenfrage nach der richtigen Dosis im Mittelpunkt.

»Nachdem die Würckung eingegangen ist, sich auszubreiten und auszutheilen in alle Glieder des Leibes, zu suchen den Gebrechen, darzu sie angeordnet und gebraucht wird, so folgt hernach endlich die Nutzbarkeit, als das letzte, das dadurch erkannt wird, was die Würckung Guts zur Nutzbarkeit bracht. Dann es kan wohl eine Sache oder Artzney würcken zum Schaden, und nicht zum Guten, welches der Krankheit eine Widerwärtigkeit, und mehr ein Gifft denn eine Artzney zur Gesundheit seyn würde. Darum so muss ein jeder mit Fleiß darauf wohl Achtung geben, wegen der Nutzbarkeit, dass solches gemercket und aufgeschrieben werde, damit dieselbe Nutzbarkeit nicht vergessen, sondern an andern auch könne gebrauchet werden.«

Vor jeder praktischen Arbeit muss die Theorie verstanden sein. Wir sind aufgefordert, die entsprechenden Texte wiederholt aufmerksam durchzulesen und über sie zu meditieren. »Ora, lege, lege, lege, relege, labora et invenies« (bete, lies, lies, lies, lies noch einmal, arbeite und du wirst finden). Dieser Satz steht auf der vierzehnten Tafel des »Stummen Buches«; dieses ist ganz in Form von Bildern verfasst und erschien 1677 in La Rochelle.


In der Schmiede des Gottes Vulcan. (Musaeum Hermeticum, Frankfurt 1678, Nachdruck Graz 1970)


»Ora Lege Lege Lege Relege Labora et Invenies« – »Bete, lies, lies, lies, lies noch einmal, arbeite und du wirst finden« – heißt es im »Mutus liber«, dem »Stummen Buch« der Alchemie von 1677.

Betrachten wir nun zwei Stiche, um das bisher Gesagte besser zu verstehen.

Der Stich auf Seite 37 links soll zeigen, dass die Theorie (die Bibliothek) und die Praxis (das Laboratorium) miteinander Hand in Hand gehen müssen, um in der Alchemie Erfolg zu haben. Wir sehen drei Meister der hermetischen Kunst: den Benediktinermönch Basilius Valentinus, den Abt Cremerus von Westminster und den Engländer Thomas Norton, Autor des »Ordinall of Alchemy«. Der Letztgenannte deutet auf den Ofen, auf dem sich ein alchemischer Prozess vollzieht. In den Glaskolben erkennen wir eine geflügelte Schlange, Symbol einer flüchtigen korrosiven Substanz. Das Laboratorium ist symbolisch dargestellt als die Schmiede des Gottes Vulcan. Der Gott selbst dient den drei Meistern, indem er den Ofen mit Feuerholz versorgt.

Der zweite Stich (rechts) stammt aus der Sammlung »Amphitheatrum Sapientiae Aeternae« (»Schauplatz der ewigen allein wahren Weisheit«) des Arztes und Alchemisten Heinrich Khunrath (1560–1605). Der Zeichner dieses besonders schönen Stiches ist Hans Fredemann Vries, der Stecher ist Paulus van der Doost. Das Bild stellt das Motto Khunraths dar: Durchhaltend – Betend – Arbeitend. Links sehen wir ein Oratorium, eine Art Gebetszelt. Der Text auf der Tafel im Zelt bedeutet: »Sprecht nicht von Gott ohne das Licht«. Auf dem Tisch liegen Bücher, symbolische Zeichnungen und Schreibinstrumente. Rechts ist das Laboratorium. Die zwei Säulen tragen die Inschriften »Ratio« und »Experientia«, Vernunft und Erfahrung. Es findet gerade eine Destillation statt, die »Seele« und »Geist« voneinander trennt. Auf dem Ofen erkennen wir die Worte: »Festina lente« (Eile mit Weile). Die Tür in der Mitte des Bildes deutet das Ziel an; sie ist weit entfernt, und draußen ist es hell. Der Text auf dem Torbogen sagt: »Dormiens vigila« (wache im Schlaf). In der Mitte des Bildes sehen wir Musikinstrumente, Symbole der harmonischen Ordnung der Welt und der Kunst. Die Inschrift sagt: »Die heilige Musik verjagt die Sorgen und die bösen Geister, denn der Geist Gottes singt mit Freude im Herzen, wo die heilige Freude wohnt«.24


Heinrich Khunrath, »Amphitheatrum Sapientiae Aeternae« (»Schauplatz der ewigen allein wahren Weisheit«), 1595 (aus »Geheimnisse der Alchemie« von Manuel Bachmann und Thomas Hofmeier).

Das himmlische Sulphur als Phönix (auf ihm steht Chronos als göttlicher Baumeister mit Sense und Zirkel zwischen Wasser und Feuer als den Urpolaritäten), der Merkur als goldene Mitte zwischen Sonne (König, Vater) und Mond (Königin, Mutter) und das Salz als Würfel inmitten von sieben Blumen (sieben kosmische Prinzipien in der Natur). (»Recueil de manuscrits chymiques«, Handschrift um 1760, aus »Geheimnisse der Alchemie« von Manuel Bachmann und Thomas Hofmeier)

2Siehe O. S. Johnson: A Study in Chinese Alchemy, Shanghai 1928, und Ko Hung: The Nei P’ien of Ko Hung. Alchemy, Medicine and Religion in the China of A. D. 320, Übersetzung Prof. J. R. Ware.

3Die ägyptische Alchemie wurde in westlichen Ländern zur bekanntesten Überlieferung, sodass die Alchemie nach dem Gott Thot, besser bekannt als Hermes Trismegistos, der Dreifach Große Hermes, auch schlechthin als hermetische Kunst bezeichnet wurde.