Vom Salz in der Suppe

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Das alles war kein wirkliches Problem. Das Problem begann erst abends oder wenn ich irgendwo zwecks Nachschub an Lebensmitteln oder Benzin für den Kocher in irgendein Dorf musste.

Dann musste ich alles allein lassen, hastete ins Dorf oder in das jeweilige Städtchen und hatte keine Ruhe bis ich wieder auf dem Elbedamm war und von fern erkannte, dass alles noch da war. Am Anfang war das wirklicher Stress, der sich glücklicherweise nach ein paar Tagen etwas legte. Doch als Risiko nahm ich es immer wahr, wenn ich einkaufen musste. Und falls es sich um Benzin für den Kocher handelte, reichte auch kein kleiner Dorfladen (die es heute gar nicht mehr gibt), sondern musste es dann eine kleine Stadt mit Tankstelle sein, auch wenn es sich bloß um einen 2-Liter-Kanister handelte. (Das erste Mal passierte das gleich am Nachmittag des ersten Tages in Pirna, denn ich hatte natürlich kein Benzin aus Leipzig mitgenommen.)

War das ausgestanden, kam die Nacht. Allein. Da wurde das Boot aus dem Wasser gezogen und ein Stück den Hang hochgebuckelt, man wusste ja als Anfänger nicht, wie schnell sich an einem Fluss die Wasserstände ändern könnten. Nach dem Zeltbau und nach dem Essen wurde dann – sicher ist sicher – zumindest während der ersten Tage, noch die Bootsleine durch den Zelteingang geführt und am … Fußknöchel festgebunden. Und ein Hirschfänger lag beim Schlafen immer in Griffweite. Nach ein paar Tagen ließ der nächtliche Stress allerdings nach und ich wurde gelassener. Und allgemein war das Alleinsein des Nachts beim »wilden« Zelten (damals) im Inland kein ernstes Problem. (Heute muss man das wohl anders sehen.) Zugegeben, anfangs war mir ein paar Mal mulmig zumute, als ich gegen den Nachthimmel ein paar Gestalten auf dem Elbedamm auf mich zukommen sah. Obwohl es sich wahrscheinlich dabei auch nur um Spaziergänger gehandelt hatte, für die mein Zelt wohl gar nicht interessant war, wenn sie es überhaupt bemerkt hatten.

Im Ostseeraum freilich galten ganz andere Regeln, über die noch zu sprechen sein wird.

Dass ich oft ungewollt und unwissentlich auf Kuhkoppeln oder gar auf Truppenübungsplätzen gelandet war, das war später eher die Regel als die Ausnahme. Im Gegenteil, mit Kühen wurde ich immer vertrauter und wusste bald, wie ich mit den teilweise neugierigen Tieren umzugehen hatte.

Nur einmal, viel später und bereits an der Ostsee, als wir bereits zu zweit waren, da wurde es ernster, obwohl wir noch mit einem blauen Auge davonkamen und wovon noch die Rede sein wird. Auch mit Truppenübungsplätzen hatte ich im Prinzip nur gute Erfahrungen. Einmal, ich war gerade an Land gegangen, um die Lage wegen eines Platzes für die Nacht zu peilen, da bemerkte ich hinter dem Deich erst in der Ferne eine Sturmbahn und dann unmittelbar vor mir einen sowjetischen Soldaten faul in der Sonne liegend. Es ist fraglich, wer von uns beiden mehr überrascht war? Wir rauchten eine Papirossa zusammen und ich konnte mein bescheidenes Russisch ausprobieren. Trotz beidseitiger Sympathie, dort gleich zu zelten, das hatte ich mir in Unkenntnis möglicher Reaktionen seiner Vorgesetzten dann doch verkniffen.

Dass es bei solchen, größtenteils positiv oder wenigstens glimpflich abgelaufenen Ereignissen auch Ausnahmen gab, wird sich zeigen. Ausnahmen, die das Potenzial eines worst case bargen und die wohl nur durch ein bisschen Glück zum dennoch guten Ausgang geführt hatten.

Soviel zum Thema Alleinsein auf der Elbe. Ein Thema, das zwar immer mehr an Bedeutung verlor, später sich sogar mitunter ein gewisser Leichtsinn einschlich.

Zur Streckenführung: Für jene, die entweder die durchfahrenen Gebiete kennen oder sich aus Interesse die Mühe machen wollen, alles anhand einer Karte zu verfolgen, seien nun ein paar Bemerkungen zur gesamten Streckenführung gemacht. Insbesondere, weil die beigefügte Übersichtsskizze (S. 20) hierfür kaum ausreichen dürfte. Und die anderen, denen diese Details nicht so liegen? Die müssen da eben durch, wofür sie jedoch mit besonderen Einlagen auf der Strecke entschädigt werden.

Vom beschriebenen Start in Schmilka/​Sächsiche Schweiz ging es zunächst rund 440 Kilometer bis zur Havelmündung auf meiner »Jugendliebe«, der Elbe, entlang. Dresden, Meißen, Torgau, Wittenberg, Dessau, Schönebeck, Magdeburg, Tangermünde, Arneburg hießen die Städte die dabei eine gewisse Rolle spielten. Bei den Nebenflüssen, an deren Mündungen teilweise gezeltet wurde, waren es die Schwarze Elster beim Dorf Elster, die Mulde bei Dessau und die Saale bei Barby. Kleine und kleinste Flüsschen oder Bäche, die weiter keine Rolle spielten, bleiben außen vor.

Eine Besonderheit dieses Abschnittes scheint mir erwähnenswert:

Die Landschaft an der Elbe wird nach dem malerischen Weinanbaugebiet zwischen Dresden und Meißen etwas eintönig. Die Elbe fließt dort, an Riesa vorbei, mehr oder weniger zwischen zwei Dämmen, die man, im kleinen Boot sitzend, nicht überblicken kann. Jedoch etwa ab Wittenberg/​Dessau wird die Landschaft richtig schön. Da fließt sie durch einen wunderschönen Auwald, bildet etwas weiter nördlich mit ein paar Altarmen ein bedeutsames Naturschutzgebiet. (Steckby-Lödderitzer Forst) Dort genehmigte ich mir sogar an einem wunderschönen Sandstrand an einem der Altarme eine Nacht und konnte da sogar das Wirken der letzten Elbebiber (damals fast ausgestorben) in Augenschein nehmen. Die »Hausherren« selbst allerdings nicht. Doch vorher hatte ich das erwähnte, weniger attraktive Stück hinter mich zu bringen. Wenn dazu noch »Kilometerfressen« angesagt ist, weil man bestimmte Ziele in bestimmter Zeit erreichen musste, (Stichpunkt: Treffpunkt mit Klaus in Genthin) da kam mir in der Höhe von Torgau, als der Tag zur Neige ging und ich mich hätte langsam nach einem Platz zum Zelten umsehen sollen, der Gedanke einer Nachtfahrt. Insbesondere hier die Ufer weitflächig mit großen Bruchsteinen stabilisiert worden waren und somit alles andere als zum Zelten einluden:

Also wurde noch mal richtig gegessen, die Spritzdecken festgezurrt und ab ging die Post. Eine helle Sternen- und Mondnacht verhieß einigermaßen gute Sicht und als einziges Risiko dachte ich an die Möglichkeit der Kollision mit Ketten von Gierfähren, die sich aber des Nachts ohnehin nicht in Flussmitte befinden würden. Dass es nach ein paar Stunden Fahrt plötzlich stockdunkel wurde und sich ein heftiges Gewitter entlud, das hatte ich nicht auf der Rechnung gehabt. Da das Gewitter urplötzlich losbrach und dazu von heftigem Sturm begleitet wurde, hatte ich nun die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder zu versuchen an Land zu kommen, mit dem Risiko, bei Dunkelheit, Sturm und Wellengang das Boot auf den spitzen Ufersteinen ernsthaft zu beschädigen – oder zu versuchen, das Gewitter im Boot so gut es ging »auszusitzen«, mit dem Risiko, zu kentern. Und das mulmige Gefühl der Blitze wegen, das versuchte ich (erfolgreich) zu verdrängen. Trotzdem, obwohl ein nächtliches Kentern im großen Fluss auch nicht einladend wirkte, es außerdem inzwischen bereits in Strömen goss, entschied ich mich für Letzteres, der Weiterfahrt.

Und – es ging einigermaßen gut. Das »einigermaßen« bezieht sich dabei nur darauf, dass ich zwar nicht kenterte und mich auch kein Blitz erschlug. Alles andere war jedoch kein Spaß. Denn trotz festgezurrter Spritzdecken saß ich nun bis zum Morgengrauen etliche Zentimeter hoch im Wasser, fror wie ein junger Hund, alle Sachen, einschließlich Ausweis, Geld etc. waren völlig nass. Frierend und hungrig baute ich an der Mündung der Schwarzen Elster nach insgesamt etwa 90 Tageskilometern (sonst auf der Elbe allein im Zweier etwa 30 Kilometer) das nasse Zelt auf, spannte Leinen zum Trocknen meiner Utensilien (für die Geldscheine hatte ich Klammern dabei) – und legte einen Ruhetag ein. Wobei das Wort »Ruhe« auch relativ zu sehen ist, denn ich war, wie später noch so viele Male, auf einer Kuhkoppel gestrandet. Dabei konnte ich feststellen, dass diese eher gemütlich wirkenden Milch- und Fleischlieferanten auch recht neugierig sein können. Doch, nachdem man sich gegenseitig soweit »kennengelernt« hat, dass man vom jeweils anderen nichts Böses zu erwarten hat, kann man sich arrangieren.

Nach dem erwähnten schönen Auwald ab Wittenberg, irgendwo nach Dessau, ereignete sich eine weitere, der weiter oben erwähnten Ausnahmen. Und war die Nachtfahrt noch auf eigene Entscheidung zurückzuführen, kam die folgende Ausnahme völlig unverhofft:

Da war ich zwischen zwei Buhnen an einem aus meiner Sicht schönem Strand an Land gegangen, ohne dem aufgewühlten Sand neben mir besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Das wäre fast ins Auge gegangen. War ich doch (wieder mal) auf einem Truppenübungsplatz gelandet und gerade in dieser Nacht war wohl eine Elbüberquerung mit Schwimmpanzern angesagt gewesen. Wie groß war mein Schreck als ich des Nachts durch mächtiges Gebrumm geweckt wurde, schlaftrunken aus dem Zelt schaute und nur ein paar Meter neben mir die dunklen Ungetüme, aus der Elbe kommend, die Böschuung hinauf brummten. Die Soldaten in den Panzern, egal ob NVA oder Sowjetarmee – das hab ich in der Dunkelheit nicht erkennen können – die hätten in der Nacht niemals mein kleines olivgrünes Zelt bemerken können. Das wärs dann gewesen und es hätte nicht mal für eine Schlagzeile in der Zeitung gereicht, weil derartige Unfälle geflissentlich unter der Decke gehalten wurden. Die Nacht war somit natürlich gelaufen. Nachdem der Pulsschlag sich wieder normalisiert hatte, blieb ich nicht nur solange neben dem Zelt sitzen, bis sich das Panzergedröhn verzogen hatte, sondern bis es begann hell zu werden. Auch dann war nichts mehr mit Schlafen, sondern es wurde gepackt, noch mal die Panzerspuren im Hellen »begutachtet« und dann ging es, nachdenklicher als die Tage zuvor, weiter.

 

Noch vor Barby und Schönebeck mündet links die Saale in die Elbe. Ich fuhr die Saale gleich »bergauf« ein paar hundert Meter, um dort auf einer Apfelplantage zu zelten. (Das nächste Frischobst gab’s dann erst wieder in Mecklenburg). Nach Magdeburg mit seinem gewaltigen Dom und dem recht hübschen Tangermünde2 kommt bald jene Stelle, wo es damals als DDR-Paddler absolut nicht mehr weiterging: Die innerdeutsche Grenze, die wohl damals am schärfsten bewachte Grenze in der Welt. Natürlich wäre ich die Elbe gerne weiter gefahren, doch das lag außerhalb jeglichen Vorstellungsvermögens.

Also würde es nun bald von der Elbe in die Havel gehen.

Welche »Abschiedszeremonien« da die Elbe mit meinem Boot zelebrierte, das zählte zweifellos zum Thema Ausnahmen, obgleich es dabei nicht ums Leben, jedoch um das jähe Ende der Fahrt gegangen war. Etwa in Höhe der Havelmündung, wo ich ja bald in diesen Fluss abbiegen würde, wollte mir die Elbe offenbar zeigen, dass auch ihr der Abschied von mir schwerfiel:

Beim morgendlichen Packen am letzten Platz an der Elbe in einer idyllischen Buhnennische (etwa gegenüber des Dorfes Werben) und ohne spürbare Strömung und Wind, hatte ich die Bootsleine des bereits im Wasser liegenden und schon weitgehend beladenen Bootes nicht extra festgebunden. Vor dem Start wollte ich hinter dem Damm noch etwas erledigen, was sich später im engen Boot weniger gut machen würde. Warum eigentlich hinter dem Damm? Niemand weit und breit. Seit dem letzten Großeinkauf vor Tagen hatte ich keinen Menschen gesehen. Na gut, so ist der einigermaßen zivilisierte Mensch eben. Jedenfalls, als ich wieder über den Damm kam, … war kein Boot mehr da. Das trieb in der Ferne auf dem Fluss und war gerade im Begriff hinter einer Kurve zu verschwinden. Da gab es nicht viele Möglichkeiten, außer alles stehen und liegen zu lassen und am Ufer elbeabwärts zu sprinten, was das Zeug hielt. Bis plötzlich … ein toter Wasserarm den weiteren Weg versperrte. Ohne groß zu überlegen, ob das vielleicht auch gefährlich sein könnte oder sinnvoll war, sprang ich somit ins Wasser und schwamm nun meinem Boot hinterher. Dass ich mit der Strömung schwamm, nützte mir dabei gar nichts, denn mein Abstand zum Boot wurde nur um soviel geringer als ich schneller schwamm als das Boot mit der Strömung trieb. Erst später kamen mir Zweifel. Denn klüger wäre gewesen, erstmal nur den toten Arm zu durchschwimmen und an dessen anderem Ufer dann an der Elbe weiterzurennen und so viel schneller wieder in Bootsnähe zu gelangen. So aber, längst war mein Startplatz hinter der Kurve verschwunden, hatte ich den Ausreißer nach geschätzten zwei, drei Kilometer angestrengten Schwimmens endlich ein, ging erst einmal an Land (was zudem noch das gegenüberliegende Ufer war) um mich von meinem »Langstreckenschwimmen« etwas zu erholen. Zum Glück war nicht nur das Gepäck schon im Boot gewesen, sondern auch das Paddel. (Was ich hätte machen können, wenn das Paddel noch nicht im Boot gewesen wäre – dazu fällt mir auch bis heute nichts Gescheites ein). Mühsam, weil nun gegen die Strömung, ging es dann zurück. Schließlich an meinem Startplatz angekommen, um dort die restlichen Utensilien einzusammeln, war der Vormittag gelaufen, mein Tagesplan nicht mehr zu schaffen. Noch ein paar Kilometer stromaufwärts in die Havel, bis wieder eine Kuhkoppel zum Zelten einlud. Na egal, noch mal gut gegangen!

Und das mit der nicht festgezurrten Bootsleine? Das passierte mir wirklich nicht wieder.

Und jener überraschende Wasserarm, der das weitere Rennen am Elbufer verhindert hatte?

Das war die frühere Havelmündung, nun nur ein toter Arm. Denn die Mündung hatte man aus Hochwasserschutzgründen in den fünfziger Jahren künstlich um etwa neun Kilometer elbabwärts (Gnevsdorf) verlegt, so dass Elbe und Havel nun dieses Stück, nur durch einen Damm getrennt, fast parallel nebeneinander flossen. Auch dieser zusätzlichen neun Kilometer wegen (für mich natürlich 18), konnte ich, zusammen mit der verlorenen Zeit meines »Schwimmwettkampfes« in der Elbe, mein ursprüngliches Ziel, das etwa in der Gegend von Rathenow hätte sein sollen, an diesem Tag nicht mehr erreichen. Und anstatt dann am Tag darauf schon in Genthin landen zu können, machte ich notgedrungen bereits am Rand von Havelberg Station. Die Stadt an der Havel wählte ich nur deshalb, weil ich dort einen Bahnhof vermutete, von dem aus ich sicher würde Genthin erreichen können.

Die Havel, eigentlich ein idealer Wanderfluss, wegen geringer Strömung auch flussaufwärts, hatte (damals) für mich nur den einen Haken, dass sie auch durch (das damalige) Westberlin führte. Womit wir wieder beim Thema Westgrenze wären.

Es gab da zwar einen Umgehungskanal um Westberlin und ich hatte mir sogar vorher von der Behörde eine schriftliche Genehmigung geholt, um diesen Kanal befahren zu dürfen. (Havel-Kanal, etwa Ketzin bis Hennigsdorf) Ursprünglich – deswegen die Genehmigung – war diese Route ja sogar geplant gewesen. Obwohl, ein paar Tage lang auf schnurgeraden Kanälen zwischen zwei Dämmen zu paddeln, das war gewiss nicht die erste Wahl. Doch gab es eben noch einen anderen, viel wichtigeren Grund, diese Möglichkeit nun zu ignorieren und nach einer anderen zu suchen.

Dieser andere Grund war, nach bisher fast drei Wochen Alleinseins, meinen Studienfreund Klaus auf dem Bahnhof Genthin abzuholen. So wie wir es Wochen zuvor, über Landkarten und Zugfahrpläne gebeugt, abgestimmt hatten: Samstag, den 15. 08. 1964, gegen 16 Uhr! Und Handys gab es damals noch lange nicht, da war schon ein normales Telefon nur etwas für Privilegierte. Da musste man noch klug und vorausschauend planen.

Und eine Gewalttour mit Nachtfahrt, wie schon mal bei Torgau, die wäre theoretisch noch möglich gewesen, um Genthin zu erreichen. Doch hier auf der Havel mit ihren vielen Nebenarmen, Ausbuchtungen und Seen – bei Nacht für einen einsamen Paddler ein aussichtsloses Unterfangen.

Also musste ich wieder Zelt, Boot und Ausrüstung, diesmal jedoch ganztags, alleine lassen und versuchen, irgendwie nach Genthin zu kommen. Wie sich herausstellte gab es von Havelberg aus diese vermutete Bahnverbindung gar nicht, die gab es erst vom etwa fünf Kilometer südlich gelegenen Sandau aus.

In Kürze: Irgendwie und etwas abenteuerlich (teilweise per Anhalter mit drei Nonnen im Auto) gelangte ich gerade noch so zur Zeit nach Genthin, traf Klaus, wir kamen auch am gleichen Tag gegen Abend wieder zurück nach Havelberg und – freudiger Schreck lass nach! – alles war unversehrt. Nicht mal die Kühe auf dem (natürlich wieder) wilden Zeltplatz hatten Interesse gezeigt.

Nun ging es zu zweit weiter, was manches einfacher und unkomplizierter machte sowie – besonders auf künftig stehendem oder nur schwach fließendem Wasser – größere Fortschritte beim »Kilometerfressen« versprach.

Aus genannten Gründen – das Boot lag ja nun nicht wie früher geplant in Genthin, sondern in Havelberg – musste eine notwendigerweise veränderte Streckenführung ausbaldowert werden. Das hieß, nun nicht ab Genthin über Elbe-Havel-Kanal und dem erwähnten Umgehungskanal um Westberlin wieder in die Havel, sondern weiter nördlich »irgendwie« auf Schleichwegen in Richtung märkische Seen.

Da bot sich, zumindest auf der Karte, als Möglichkeit der Abzweig von der Havel zum Gülper See und der Rhin-Kanal nach Wustrau am Neuruppiner See an.

Im Nachhinein keine empfehlenswerte Idee, doch das wussten wir zum Glück vorher nicht. Nicht der eintönigen Landschaft durch das Rhiner Luch (Rhinow, Fehrbellin) wegen, sondern dort warteten sage und schreibe auf nur etwa 30 Kilometer 11 Wehre (in Worten: Elf!) darauf, umtragen zu werden. Eine schweißtreibendes, nicht problemfreies, vor allem ein zeitraubendes Unterfangen. Und die Stimmung killte es obendrein. Statt des geplanten einen Tages brauchten wir bis Wustrau zwei volle Tage.

Irgendwie war es dann doch geschafft und wir befanden uns am Beginn eines wahren Wassersportparadieses.

Waren es die Anstrengungen, das heiße Wetter oder was auch immer, jedenfalls fühlte ich mich am Abend schlapp wie ein nasser Sack, hatte schwere Glieder, dröhnenden Kopf und sogar Fieber. OK, das kann schon mal passieren, normalerweise kein Grund extra darüber zu schreiben. Das Attribut »normalerweise« traf jedoch für mich mit meiner einjährigen Krankenhausvorgeschichte nicht zu. So hatte damals auch alles angefangen und ich war ja gerade noch so von der Schippe gesprungen. (S. »Sternstunde«). Das war wirklich keine gute Nacht, die ich nun erlebte und in der ich mir ausmalte, wie nun weiter, falls es doch wieder … Am nächsten Tag überredete ich Klaus, der von meiner Krankenhaus-Vergangenheit kaum wusste, zu einem Ruhetag. Die wunderschöne Gegend und die Anstrengungen der letzten beiden Tage erforderten keine weiteren Erklärungen. Und am übernächsten Morgen schien zum Glück alles wieder in Ordnung. (Und blieb es bis zum Ende der Reise und es blieb für mich auch unerfindlich, was mich da so kurzzeitig umgehauen hatte und was mir glücklicherweise nicht auf den tagelang einsamen Elbeetappen widerfahren war.)

Und so ging es also weiter.

Jeden der vielen durchfahrenen Seen, Kanäle und Fließe, vom Ruppiner See über die Rheinsberger und Zechliner Gewässer bis zum gewaltigen Müritzsee nun einzeln zu beschreiben, ginge in dieser Kurzversion zu weit.

Wobei für Paddler die kleineren Gewässer und ihre Verbindungskanäle ohnehin sehr viel interessanter sind als die großen, schiffbaren Seen, besonders bei Wind. Die Landschaften sind traumhaft, für Naturfreunde gibt es immer mal wieder ein »Leckerli«, ob nun Seeadler, Reiher(damals noch selten) oder gar Eisvögel. Gelegentlich kommt ein Wehr, das jedoch hier im Wasserwanderparadies nur in seltenen Fällen umtragen werden muss. Oft gibt es dafür Bootsschleppen, kleine Selbstbedienungsschleusen oder auf schiffbaren Gewässern auch die offiziellen Schleusen bei denen man sich entweder an die offiziellen Schleusenzeiten halten … oder den Schleusenwärter mit einer Kleinigkeit »bestechen« musste.

Mitunter sind einige der Fließe so klein und flach, dass man, falls man dazu überhaupt jemanden (Müller oder Schleusenwärter) findet, zum Befahren Zuschusswasser erbitten muss. (Rheinsberger Rhin), um überhaupt fahren zu können. Andernfalls man im Wasser »wandern« und das Boot hinterherziehen muss. (Eine völlig andere Auslegung des Wortes »Wasserwandern«) Mitunter, besonders im nächsten Jahr im Gebiet nördlich der Müritz, kam es auch vor, dass quer über einen mickerigen Fließ oder Bach die Latten eines Weidezauns die Weiterfahrt erschwerten, hinter denen … Kühe im Wasser standen, um zu trinken. Andernorts fuhr man auf einem schmalen Rinnsal durch ewige Schilfwände, bei denen man sich rechts und links mit dem Paddel nicht im Wasser, dafür war es zu schmal, sondern nur noch am Schilf abstoßen musste.

Daneben warten jedoch auch noch andere zeitraubende »Einlagen«:

Sind zwei Seen durch einen schiffbaren Kanal verbunden, dann kann man in den meist unvermeidlichen Schilfrändern die Ein- und Ausfahrten weithin sichtbar durch gewisse Baken erkennen. Kein Problem also die jeweilige Ausfahrt zu finden. Ganz anders, wenn Verbindungen nicht schiffbar sind. Dann wird die Suche nach der Ausfahrt zum Roulette. Wenn man glaubt, eine Lücke im Schilf oder Baumbestand entdeckt zu haben, welche die Ausfahrt sein könnte und volle Kraft voraus in den Schilfgürtel reinfährt, wird man oft (um nicht zu sagen, meist) enttäuscht. Man bleibt stecken, muss aussteigen, bis zum Knie oder auch schon mal bis zum Gürtel im Schilf waten und es erneut an anderer Stelle versuchen. Irgendwann wird man doch mal fündig. Hat man somit den nächsten, der meist kleineren Seen erreicht, hat man diesen in zwar nur kurzer Zeit überquert, um dann wiederum ewig nach dessen Ausfluss zu suchen. Ein paar Mal haben wir für dieses unangenehme, zeitraubende Spielchen Stunden gebraucht. Wenn dazu noch Gemeinschaftsarbeit von Sonne und Mücken angesagt ist, also beide stechen oder es dabei regnet, dann kann man sich gewiss Angenehmeres vorstellen.

Wer jedoch so verbissen an einem »Expeditionsziel« arbeitet, der muss da eben durch. Wenn man sich durchgebissen hat, anfangs ungewohnte Dinge und Situationen zur Tagesroutine geworden sind, dann erreicht man eben auch sein Ziel. Das jedoch hieß im ersten Jahr Waren am Müritzsee. Genau an dieser Stelle sollte es im nächsten Jahr zur zweiten Etappe bis zur Ostsee auch wieder losgehen.

Auch die Müritz hätte wirklich etwas mehr als nur ein paar dürre Sätze verdient. Mit knapp 20 Kilometer Länge und etwa 14 Kilometer Breite fast schon ein kleines Meer. Als wir, von Mirow aus kommend, im Süden einfuhren, hatten wir den See in voller Länge vor uns. Durch den hochsommerlichen Dunst an diesem Tag verschwammen die Nordufer im Nichts und wir kamen uns zeitweise wirklich wie auf dem Meer vor. Zwei Tage blieben uns noch. Am Westufer ging’s in zwei Etappen nach Norden (1.Zielow/​Kuhkoppel, 2.Klink/​Kuh-koppel). Am zweiten Tag mit unserem kleinen Treiber (Segel) sogar ohne einen Paddelschlag! Den Treiber hatte ja Klaus zusammen mit seinem Paddel mit der Bahn mit nach Genthin gebracht. Diese Segeltour war noch mal ein krönender Abschluss dieses ersten Jahres.

 

Insbesondere es für uns beide der erste Segelversuch überhaupt war.

***

Genau hier in Waren ging’s also im nächsten Jahr wieder los. Nun jedoch nach Westen und diesmal mit einem anderen Studienfreund (Uwe). Bereits am Nordufer des ersten der großen Seen, des Kölpinsees, bogen wir nach dem Wisentschutzgebiet Damerower Werder nach Norden zum Jabelschen See ab. Schließlich hieß das Ziel ja Boddengewässer der Ostsee. Da konnte man sich nicht nach Schönheit und Bequemlichkeit richten. Da würde man wieder durch so manches Nadelöhr müssen.

Sechs Seen gibt es von diesem Abzweig aus nach Norden, deren Verbindungen immer kleiner werden, zum Schluss nur noch den Charakter eines Straßengrabens haben und meist auch total verschilft sind. Waten und Boot ziehen sind somit etliche Male angesagt. Bis es dann wirklich nicht weitergeht (Dorf Klocksin) und man ein paar Kilometer über Land bis in den Malchiner See muss. Kurz zuvor ging es unter einer Straße sogar nur durch eine große Betonröhre. Da waren wir schon froh, das Boot im knöcheltiefem Wasser gerade noch ziehen zu können und damit der Schlepperei zu entgehen. Doch das Ziel aufgeben und stattdessen lieber in hübscher Umgebung einen gemütlichen Wasserwanderurlaub absolvieren, das kam keinem von uns beiden in den Sinn.

Über ein Pferdefuhrwerk ließ sich der zwar kurze, jedoch unumgängliche Landtransport von etwa reichlich fünf Kilometer reibungslos organisieren. Mit dem recht großen Malchiner See waren wir nun ins Einzugsgebiet der Peene, damit jenseits der Wasserscheide Nord-/​Ostsee gelangt. Die Peene brachte uns bald zum noch größeren Kummerower See, der einem bei Wind schon gehörig Respekt einflößen kann. (Knapp 10 Kilometer lang, etwa 4 Kilometer breit) Doch schon in Demmin verließen wir die Peene wieder – der wir am Ende der Fahrt bei Anklam noch mal begegnen würden – und bogen nordwärts in die Trebel ein. Wie schon die Peene, mäandert auch die Trebel als typischer Flachlandfluss gemächlich durch die Landschaft. Einsamkeit pur. Man paddelt angestrengt, kommt aber auf der Karte durch die vielen Flussbögen nur langsam voran. Dann noch einmal ein ähnlich kurzer Landtransport (Bad Sülze) von der Trebel in die Recknitz, diesmal mit einen LPG-Fahrzeug. Da sag einer, die Mecklenburger wären zugeknöpft und stur. Wir hatten jedenfalls davon nichts bemerkt.

Auch die Recknitz ist ein ähnlicher Flachlandfluss wie zuvor die Trebel. Allerdings wartete sie mit einer neuen, unvorhergesehenen Einlage auf, deren Überwindung einen gewissen Einfallsreichtum erforderte:

Die Ufer sind hier meist so flach, aufgeweicht und wabernd, dass die Bauern das Schilf (Stichwort: Reetdächer) nicht vom Ufer aus ernten können. So erfolgt es eben per Boot vom Wasser aus. Das geschnittene Schilf treibt dann langsam den Fluss entlang, bis es sich an einer Drahtsperre hunderte Meter lang staut und von dort irgendwie und irgendwann mal geborgen wird.

Für den normalerweise nicht schiffbaren Fluß ist das für niemanden ein Problem. Wir dagegen mussten durch dieses, von Ufer zu Ufer reichende Schilfbett »irgendwie« durch. Und bei Länge der Staustrecke und der Beschaffenheit der Ufer war ein Umtragen keine praktikable Alternative. Und so kämpften wir uns mühsam durch den „Schilfbrei“ hindurch, verloren dabei soviel Zeit, dass wir zudem hier auch noch nach einem einigermaßen akzeptablen Zeltplatz suchen mussten. Allzu zimperlich durften wir dabei freilich nicht sein, wir waren schon zufrieden als am folgenden Morgen neben der Luftmatratze nicht Wasser gluckerte.

Doch ein Blick auf die Karte zeigt es und wischte alle Bedenken für die Auswahl dieser beschwerlichen Route weg – denn die Recknitz fließt schließlich bei Ribnitz-Damgarten in den Saaler Bodden, damit quasi in die Ostsee. Womit wohl auch der Sinn der beschwerlichen Übung klar sein sollte.

Noch ein Wort zum ständigem »wilden« Zelten. Im Binnenland war das für Wasserwanderer, die ja in der Regel am nächsten Tag wieder weg sind, im Prinzip kein Problem. Natürlich nur, wenn man keine ausgewachsene Abneigung gegen Kühe hatte. Und außerdem gab es nicht allzu viel »Verrückte« die an den unmöglichsten Stellen zelten wollten oder mussten.

Gewiss hätte man in Mecklenburg auch damals gelegentlich einen offiziellen Platz finden können, wenn der zum Strecken- und Zeitplan gepasst hätte. Das aber wäre unter den Prämissen dieser Tour wenig wahrscheinlich gewesen. Zum anderen war man ja schließlich Student und hatte – das war auch damals schon so – natürlich kein Geld. Da konnte man die Zeltplatzgebühren lieber in ein Brot, ein Stück Speck oder Dosenwurst, eine kochfertige Suppe und eine Flasche Bier investieren, um mal kurz das lukullische Durchschnittsangebot auf der Fahrt anzureißen. Von selbst »geerntetem« Obst und Gemüse mal abgesehen. Wozu jedoch, zumindest zwischen den Deichen der Elbe, relativ wenig Gelegenheiten waren. Das wurde erst in Mecklenburg besser und damit der Speiseplan reichhaltiger.

Ganz anders war’s mit dem Zelten an der Ostsee und deren unmittelbarem Hinterland.

Das war nach DDR-Sprachregelung Grenzgebiet, dort galten die bekannten, strengen und allerstrengsten Regelungen. Dagegen zu verstoßen, brachte einen nicht nur in den Verdacht zur Republikflucht, sondern das konnte auch ganz schnell die Bekanntschaft mit Gitterstäben zur Folge haben. Je wahrscheinlicher, je näher man sich »unbefugt« an der Westgrenze herumtrieb.

Andererseits waren offizielle Zeltplätze an der Ostsee so begehrt, dass man sich schon im Januar darum bemühen musste, um eine ohnehin nur geringe Chance zu haben. Bei dem Gesamtkonzept dieser »Expeditionen« also keine praktikable Option.

Also blieb hier erst recht nur das »wilde« Zelten. Nur dass die Plätze hierfür so sorgfältig ausgewählt werden mussten, um auf keinem Fall »erwischt« werden zu können. Denn das hätte leicht das Ende der Fahrt (und mehr) bedeuten können. Am sichersten fühlten wir uns deshalb … unter Kühen. Je mehr, je besser, denn dann kam in der Regel kein Mensch hin.

Gleich am ersten Abend nach der Mündung der Recknitz in den Saaler Bodden wär's fast schief gegangen. Des Risikos zwar bewusst, aber nach langem schwerem Tag todmüde, gingen wir dennoch nördlich von Dierhagen/​Wustrow (bereits auf dem Darß, also in „gefährlichem“ Gelände) an Land und wollten gleich am Morgen aus der Gefahrenzone raus über den Saaler Bodden in Richtung Born.

Kaum stand das Zelt auf verwildertem, einsam scheinendem Gelände, da lautete eine unfreundliche Message: »Wenn ihr in einer Stunde nicht weg seid, komm ich mit der Polizei wieder.« Da half kein Bitten und Erklären, dass man doch nur … schon spät, … zu starker Wind … etc.

Also alles wieder gepackt und bei gefährlich starkem Wind erstmal direkt rüber Richtung Festland. In der Abenddämmerung merkten wir, dass wir wahrscheinlich unvermutet (und auch unentdeckt?) auf einem NVA-Flugplatz oder in dessen unmittelbarer Nähe gelandet waren. Zumindest ließen die laufend startenden und landenden Düsenjäger derartige Schlussfolgerung zu. Am nächsten Morgen ging’s deshalb sofort weiter nach Nordost, Richtung Born/​Darß. Beim Näherkommen winkte auf der Festlandseite eine »vertrauensbildend« ausschauende … Kuhkoppel, diesmal nicht mit dutzenden, sondern mit hunderten von Kühen. Dass jenes »vertrauensbildend« etwas voreilig war, merkten wir am zweiten Tag, als wir vom Großeinkauf drüben in Born zurückkamen. Am Platz, wo unser Zelt stand, konnten wir aus der Ferne zunächst nur Kühe ausmachen. Beim Näherkommen sahen wir, dass einige diese fremde Etwas als durchaus zum Spielen geeignet erkoren hatten und unser Zelt nur noch einem Häufchen Unglück ähnelte. Doch ließ sich glücklicherweise alles wieder akzeptabel zurechtbiegen und -flicken. Und die Tiere waren ja keinesfalls bösartig, nur neugierig und unternehmungslustig. Und selbst in diesem traurigen Moment gab es Tröstliches, fast schon Spaßiges. Denn bald mussten wir laut lachen, nachdem wir gelernt hatten, die Kühe mit lautem Hundegebell in die Flucht zu schlagen. Nur dass wir uns nun nicht mehr getrauten, länger vom Zelt wegzubleiben. Denn solange wir in der Nähe waren, konnten wir mit unserer »Hundegebell-Nummer« alles recht zuverlässig im Griff halten. Gegen Abend hatten die Tiere mit dem Wiederkäuen ohnehin Wichtigeres zu tun, wozu sie sich in Massen um uns herum ins Gras legten und erst gegen Morgen wieder mobil wurden.