Vergiftete Hoffnung

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Kapitel 5

Aber Mama, das ist unfair.“

Luca stampft so fest mit seinem Fuß auf, dass Obama erschrocken Reißaus nimmt. Jo versteht nicht, warum der Kater so schreckhaft auf das Geräusch reagiert. Schließlich poltert ihr Sohn seit Jahren beinahe täglich durch die Wohnung, aber außer Lärm ist da nichts, keine Gefahr also für den Kater. Wieso hat der das in all der Zeit nicht kapiert? Sie schaut ihm hinterher, wie er den Gang hinunterflitzt und dann in ihr Schlafzimmer abbiegt, und würde gerne mit ihm tauschen. Einfach zurück ins Bett.

„Ich verstehe dein Problem nicht, Luca.“

„Nie hast du Zeit für mich. Immer musst du arbeiten.“

„Luca, wir haben jetzt zwei Tage zusammen hier abgehangen. Ich muss auch mal wieder ins Büro. Außer dir hat niemand Ferien. Und wieso willst du denn nicht zu Nonna?“

„Ich will bei dir bleiben.“ Luca lässt sich auf den Hintern fallen.

„Cookie, hör auf mit dem Quatsch. Du bist doch kein Baby, echt. Ich habe um elf eine Konferenz, und wenn ich dich nicht gleich bei Nonna abgebe, komme ich zu spät. Auf jetzt.“ Sie bückt sich nach ihrem Sohn, der schlägt mit den Füßen nach ihr und trifft hart ihre Brust. Jo zieht ihn am Fußgelenk in die Luft, Luca strampelt.

„Luca Zinn, hör auf mit dem Quatsch.“

Aber Luca hört nicht auf. Er strampelt und tritt, er heult und schreit. Alle Versuche, ihn überhaupt nur in einen aufrechten Stand zu bringen, scheitern. Jo fühlt sich total überfordert. Sie kann auf keinen Fall daheim bleiben heute. Andererseits ist sie gerade sehr empfänglich für die Szene ihres Sohnes: Ihr schlechtes Gewissen quält sie fürchterlich seit der Rückkehr aus Barcelona und sie ist ehrlich gesagt selbst noch gar nicht bereit für eine vorübergehende Trennung von Luca. Sie lässt sich mit ihm auf den Boden fallen und sitzt ein wenig ratlos neben dem wimmernden Kind.

„Cookie?“

Schniefen.

„Cookie, schau mich mal an.“

Keine Reaktion.

„Was hältst du davon, wenn ich dich zu Nonna bringe, um in meine Konferenz zu gehen. Dann mache ich mittags schon Schluss und wir zwei fahren nach Ingelheim zu den Tierhelfern?“

Luca hebt seinen Arm, darunter kommt ein verheultes Gesicht zum Vorschein. „Wo du Obama gekauft hast, Mama?“

„Nicht gekauft. Ich habe ihn da adoptiert und eine Gebühr gezahlt, weil es das Tierheim ja Geld gekostet hat, sich in den ersten paar Monaten um ihn zu kümmern.“

Luca zieht geräuschvoll die Nase hoch und setzt sich langsam auf. „Kriegen wir noch ein Katzenbaby, Mama?“

„Ich kann es nicht versprechen, weil ich nicht weiß, ob es gerade überhaupt Babys gibt. Aber wenn du magst, können wir uns die Katzen dort mal anschauen und vielleicht …“

Weiter kommt Jo nicht, weil Luca ihr mit Wucht in die Arme springt und sie nach hinten umreißt. Er liegt ihr schon seit Monaten wegen einer zweiten Katze in den Ohren.

„Mama, du bist die Beste!“

„Erstmal nur gucken, okay.“

Luca bedeckt ihr Gesicht mit klebrigen Küssen.

„Boah, du solltest doch Zähne putzen.“

„Keine Zeit, wir müssen schnell zu Nonna!“ Er steigt flugs in seine Gummistiefel und Jo beugt sich über ihren Sohn und kitzelt ihn. „Du freches, kleines Biest.“ Sie lacht.

Luca dreht sich zu ihr um und drückt sich an sie. „Ich hab dich lieb, Mama.“ Er seufzt. „Bitte lass mich nie wieder so lang allein.“

Die Uhr zeigt drei Minuten vor elf, als Jo auf dem Lerchenberg ankommt. Nun hier im Haupthaus zu arbeiten, statt unten in der Stadt, wo die Lokalredaktion ihren Sitz hat, ist etwas, woran sie sich noch immer nicht gewöhnt hat. Im Vorbeifahren scannt sie den Mitarbeiter*innenparkplatz – sieht schlecht aus. Mit dem Lupo steuert sie den Gästeparkplatz an. Als sie in der Lobby durch eines der beiden metallenen Drehkreuze hastet, nimmt sie neben sich Chefredakteur Schneider wahr. Der knufft sie in die Schulter.

„Na, Frau Zinn, starten Sie mit einer hübschen Extrawurst in die kurze Arbeitswoche?“ Er lacht wiehernd.

„Sorry, Herr Schneider. Ich blockier den Gästeparkplatz aber nur während der Konferenz, versprochen.“

„Lassen Sie mich raten: Danach gehen Sie ins Home-Office?“

„Das. Äh. War die Idee. Ist das ein Problem?“

„Sagen wir es so, Ihren Kollegen fällt schon auf, wie oft Sie daheim arbeiten. Das kennen die so nicht. Und viele Ihrer Regelungen im Lokalen liefen ja mehr so auf der persönlichen Ebene.“

Jo spürt die Hitze in ihre Wangen schießen, während sie mit ihrem Vorgesetzten in den Aufzug steigt, um in den zweiten Stock zu fahren. Schneider betrachtet sie von der Seite. Fast scheint es, als ob ihm seine kleine Rede bereits leidtäte.

„Ich will Sie gar nicht unnötig stressen, Frau Zinn. Sie dürfen gern Home-Office-Tage nehmen. Wir legen Familien da keine Steine in den Weg. Aber schauen Sie einfach, dass Sie eben auch hier sind – und ansprechbar für die Kollegen. Die sollen ja nicht denken, Sie hätten bei uns Sonderrechte, d’accord?“

Er blinzelt wohlwollend, dann betreten sie Schulter an Schulter den Konferenzraum. Unter den Blicken der 18 Kolleg*innen, die, von ihrem gemeinsamen Auftritt überrascht, neugierig tuscheln, sucht Jo mit gesenktem Kopf nach einem Platz in der Runde. Der einzige freie Stuhl ist neben Steffen. Der Polizeireporter grinst breit, als sie so geräuschlos wie möglich neben ihn gleitet.

„Zinnchen, Zinnchen. Den Schneider? Das hätte ich nicht von dir erwartet. Hat der nicht auch schon längst Rost angesetzt an seinen tieferliegenden Leitungen?“ Jo macht sich nicht mal die Mühe, ihm einen vernichtenden Blick zuzuwerfen. Als die sich ewig ziehende Konferenz endlich ein Ende nimmt, stürmt sie ohne ein Wort an Freund und Feind vorbei in die Sportredaktion.

„Dave?“

„Hi, Jo, schön, dass du wieder da bist. Wie waren die Tage daheim mit Mann und Kind?“

Jo beißt sich auf die Unterlippe. Langsam müsste sie mal einen Plan aufzeichnen, wem sie über die zurückliegende Woche welche Lüge aufgetischt hat. „Gut, danke.“

„Freut mich. Was kann ich für dich tun?“

„Wofür hast du mich denn vorgesehen diese Woche?“

„Schon mal Richtung kommendes Heimspiel. Um die Nationalelf kümmern sich Fred und Jakob, Thorsten ist wie immer mit dem NLZ beschäftigt und Gabi hat diese Woche frei.“

„Hat der Verein einen Spieler vorgeschlagen fürs Interview?“

„Ja, Adler. Wenig überraschend. Heute um zwei. Schaffst du das?“

„Klar. Und passt es für dich, wenn ich versuche, auch noch Latza zu kriegen?“ Jo weiß sehr wohl, dass Dave neben dem Spieler, dessen Aussagen vor einer Partie in sämtlichen Medien zu lesen sind, gerne noch eine Story exklusiv hat. Sie will ihm zeigen, dass sie mitdenkt.

„Wieso ausgerechnet Latza?“

„Der hat im letzten Heimspiel gegen den HSV im Dezember doch die drei Tore geschossen, erinnerst du dich?“

„Richtig, da war was. Unangenehm.“

„Aber nur, wenn man’s mit Hamburg hält.“

„Was soll ich machen? Hättest du 1983 als Siebenjährige gesehen, wie Felix Magath im Pokalfinale der Landesmeister das Siegtor gegen Juve schießt, würde es dir genauso gehen.“

„Nur, dass ich da erst ein Jahr alt war und mein einziges Interesse an Bällen darin bestand, sie abzulecken.“

„Den Ball, mit dem Magath das Tor geschossen hat, hätte ich auch sofort abgeleckt.“

„Ist ja widerlich.“ Jo grinst.

„Mach mal. Mit Latza. Schöne Idee.“

„Danke. Und Dave?“

„Hm?“

„Okay, wenn ich nach dem Interview mit Adler heute Nachmittag von zuhause schreibe?“

Der Sportchef dreht sich zu ihr um, schiebt seine Brille zurück in die langen Locken und betrachtet Jo nachdenklich. „Wenn du erst die Termine für die Interviews ausmachst, von mir aus. Aber dann schau bitte, dass du Donnerstag und Freitag hier sichtbar bist. Ich führe jetzt keine Stechuhren ein, aber ich will auch keine Meuterei auf der Bounty, weil die Kollegen denken, du liegst den ganzen Tag mit Kokosnüssen unter Palmen.“

Die Runde mit René Adler im Mediencontainer der 05er hinter dem alten Bruchwegstadion verläuft absolut angenehm. Insgesamt 13 Journalist*innen quetschen sich in den Raum. Meistens sitzen sie hier in kleinerer Runde zusammen, aber Gegner wie der HSV locken ein paar mehr Interessierte an. Zwischendurch steckt Sandro Schwarz kurz den Kopf durch die Tür und grüßt in die Runde, dann verschwindet er im Büro von Pressesprecherin Silke Bannick. Die wöchentliche Medienrunde, die meist am Dienstag stattfindet, ist aufgrund des Feiertages gestern ausgefallen. Auch die übliche Pressekonferenz wird es am Donnerstag wegen der Länderspiele nicht geben. Jo hat ihre Arbeitswochen gut zwischen den regelmäßigen Terminen eingerichtet und schätzt die Routine, die sich daraus ergibt. Ihre Tage in der Lokalredaktion waren viel weniger planbar. Aber sie vermisst Anda, ihre Plaudereien und die gemeinsamen Mittagspausen. Gerade sieht sie extrem wenig von ihrer Freundin, das muss sie dringend ändern.

Jo steht, ins Gespräch mit Alexander Bonengel von sky vertieft, vor dem Mediencontainer, als der Coach hinter ihnen das langfristige bauliche Provisorium verlässt. Sie entschuldigt sich beim Kollegen und nimmt die wenigen Schritte zu Bannicks Büro.

„Silke?“

Die Pressesprecherin schaut vom Handy auf. „Hi, Jo. Zurück aus dem Urlaub? Hattest du eine schöne Auszeit?“

„Ja, danke! Du, sag mal, gibt’s eine Chance, vor dem Heimspiel ein Interview mit Danny Latza zu bekommen?“

„Das sollte gehen. Ich checke das und melde mich später, ja?“

„Tausend Dank. Am liebsten ohne die anderen Kolleg*innen.“

„Das habe ich schon verstanden.“

Die Frauen grinsen sich an, dann klingelt Bannicks Telefon und Jo verlässt mit einem stummen Winken den Container.

 

Halb vier. Höchste Zeit, ihr Versprechen bei Luca einzulösen.

Kapitel 6

Auf dem Weg zum Auto klingelt Jos Handy. Hans. Kurz überlegt sie, einfach nicht dranzugehen. So sehr sie sich nach der Rückkehr aus Barcelona gefreut hat, ihn wiederzusehen, so schnell ist er ihr in den Tagen danach auch auf den Wecker gegangen. Es ist nicht so, dass er sich blöd verhält oder etwas falsch macht. Sie kann nur seine permanente Anwesenheit in ihrer Wohnung nicht ertragen. Thematisiert sie das aber, fängt er wieder davon an, dass sie doch zusammenziehen könnten – aus diesem Kreislauf scheint es kein Entkommen zu geben. Jo atmet tief durch und geht ran.

„Hi there, Sheriff.“

„Du willst nicht ernsthaft noch eine zweite Katze in diese kleine Wohnung holen.“

Sie spürt, wie etwas in ihrer Kehle heftig rumort. Es bringt sie auf die Palme, dass Hans, wenn er verärgert ist, keine Fragen stellt, sondern versucht, mit Ansagen Fakten zu schaffen.

„Dir auch einen schönen guten Tag.“

„Jo, was soll der Blödsinn?“

„Sag du’s mir. Ich habe nicht angerufen.“

„Was erzählt Luca mir da von einer neuen Katze?“

„Wann hast du mit Luca gesprochen?“

„Eben.“

„Und warum?“

„Ich wollte hören, was ihr heute noch vorhabt. Weil ich dich weder auf dem Handy noch im Büro erreichen konnte, habe ich bei Nonna angerufen und Luca gefragt.“

Das, was da in Jos Kehle rumort, wächst bei Hans’ Worten in alle Richtungen. Es umschließt ihr Herz, verstopft ihre Kehle und beschwert ihre Zunge.

„Jo?“

„Das geht so nicht, Hans.“

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Diese Hinterhertelefoniererei. Ich rufe doch auch nicht auf dem Präsidium an, wenn ich dich übers Handy nicht kriege. Oder bei deiner Familie.“

„Ich bezweifle, dass du da irgendeine Nummer hast.“

„Was zur Hölle soll das wieder heißen?“

„Als ob dich meine Familie interessieren würde. Wie oft waren wir bislang zusammen bei meinen Eltern?“

„Worüber willst du jetzt genau mit mir reden, hm? Meinen Sohn? Deine Eltern? Die Frage, wie viele Katzen ich in meiner Wohnung halten darf? Oder vielleicht doch was Grundsätzliches?“

Schweigen. Jo ist inzwischen am Auto angekommen und lässt sich auf den Fahrersitz des Lupos gleiten.

„Wenn du’s nicht weißt, Hans. Ich weiß es sicher nicht.“

„Vielleicht sollten wir mal grundsätzlich reden.“

„Be my guest. Aber nicht heute.“

„Weil du erstmal eine neue Katze anschaffen musst? Als wäre das nicht etwas, worüber wir vorher sprechen sollten?“

„Muss ich dich denn auch um Erlaubnis bitten, wenn ich mir neue Bettwäsche kaufe?“

„Jo, das ist was komplett anderes. Hier geht es um Verantwortung für ein Lebewesen. Und wenn wir irgendwann zusammenwohnen, möchte ich vielleicht mitreden dürfen, wenn es darum geht, wie viele Menschen und Tiere da beteiligt sind.“

„Wenn wir irgendwann mal zusammenwohnen sollten, kannst du dich da gerne auch einbringen. Aber vorher geht es dich echt einen feuchten Scheißdreck an.“

Noch bevor Jo auflegen kann, tönt ihr aus dem Hörer ein Tuten entgegen. Wütend knallt sie das Handy auf den Beifahrersitz und startet den Motor. Im Autoradio singt Gisbert zu Knyphausen

„Es gelingt nicht mehr

so zu tun als wär’ alles okay

für diese Scheinheiligkeit ist es zu spät

du hast einen Wurm im Ohr der dich verweht

wir sind immer unterwegs

aber überall zu spät.“

Jo unterdrückt das Bedürfnis zu heulen und brettert in Richtung Nonnas Wohnung durch den Nachmittag. Die Anrufe, die auf dem Weg dorthin mit unterdrückter Nummer bei ihr eingehen, nimmt sie erst wahr, als sie den Wagen am Ostergraben parkt, um Luca bei ihrer Großmutter einzusammeln. Sieben neue Nachrichten auf der Mobilbox. Was zur Hölle?

„Jo, bitte leg nicht gleich auf, hör dir erst …“

Es ist Finns Stimme, die sich da unerwartet in ihr Ohr schleicht. Jo hat seine Nummer seit dem letzten Anruf gesperrt, aber indem er sie unterdrückt, dringt er offenbar doch zu ihr durch. Sie schnaubt. Was für eine beschissene Dreckstechnik. Sicher auch super für die Opfer von Stalking, dass irgendwelche Arschlöcher nur absolute Basics bei der Bedienung eines Telefons draufhaben müssen, um einfach ungestört weiter zu nerven. Im Telefonbuch ihres Handys sucht Jo fahrig nach Finns Nummer, wählt daneben die kleine Sprechblase für eine SMS aus und tippt:

„Lass mich in Ruhe, du Penner. Sonst gehe ich zur Polizei.“

Beim Wort Polizei muss Jo an Hans denken, und dass er auf der Liste von Menschen, die sie gerade am liebsten nicht sehen will, den Platz direkt hinter Finn hat. Mit einem zynischen Lachen knallt sie die Tür ihres Lupos ins Schloss. Was für ein Scheißtag.

„Engelchen.“

„Nonna.“

Jo fällt ihrer Großmutter so heftig in die Arme, dass die alte Frau ins Wanken gerät. Mit beiden Armen fest um Nonna geschlossen, bringt Jo die Bewegung, die sie selbst ausgelöst hat, wieder unter Kontrolle. Sie küsst die Großmutter sanft auf den Kopf, tritt einen Schritt zurück und lächelt sie schief an.

„Alles gut bei dir?“

„Besser als bei euch, Kleines.“

„Wieso? Stimmt was nicht mit Luca?“

„Die Frage ist eher, was mit dir nicht stimmt. Eine zweite Katze?“

„Fang du nicht auch noch an.“

„Wieso auch?“

„Weil Hans mich schon nervt, in der Wohnung sei nicht genug Platz für noch ein Tier. Als ob es ihn was angeht.“

„Engelchen.“ Nonna greift nach ihrer Hand. „Mich geht es nichts an, wie viele Katzen in eure Wohnung passen. Aber du sagst seit Monaten, noch ein Tier kommt nicht in Frage. Jetzt versprichst du es deinem Sohn aus dem Nichts zwischen Tür und Angel. Mit solchen großen Gesten willst du meistens ein schlechtes Gewissen beruhigen. Ich muss es wissen, denn das hast du von mir.“

„Autsch.“

„Hm?“

„Treffer, versenkt.“

„Das weiß ich doch, Jo. Was ist los?“

„Kann ich dir das ein andermal erzählen, Nonna? Ich will wirklich mit dir drüber reden. Ich weiß nämlich nicht mehr weiter. Aber nicht jetzt. Ist das okay? Heute will ich einfach mit meinem Kind Katzenbabys flauschen. Das brauche ich gerade.“

Nonna führt Jos Hand, die sie immer noch in ihrer hält, zum Mund und haucht ihr einen sanften Kuss auf die Finger. „Wie du magst, Kleines. Aber denk dran, du kannst Luca nicht jedes Mal eine neue Katze schenken, wenn du dich ihm gegenüber schlecht fühlst. Und ich bin eine alte Frau und werde wohl nicht mehr ewig hier sein.“ Sie lächelt verschmitzt, trotz der Schwere ihrer Worte.

„Du wirst hundert, Nonna. Das hat der liebe Gott versprochen.“

„An den glaubst du doch gar nicht.“

„Aber Luca. Und der hat es mit ihm ausgemacht.“

„Mama?“

„Was denn, Cookie?“

„Möchtest du ein Mädchen oder einen Jungen?“

„Ich bin mit dir ganz zufrieden.“

„Orrr. Mama. Ich meine die Katze.“

„Da bin ich mit Obama ganz zufrieden.“

„Mama. Du bist unmöglich.“

Jo betrachtet den zappelnden Luca im Rückspiegel und muss über seine offensichtliche Ungeduld lachen.

„Hör mal, Cookie. Ich habe dir das mit der Katze noch nicht fest versprochen, okay? Es ist also nicht gesagt, dass wir da gleich mit einem neuen Mitbewohner aus dem Tierheim rausgehen.“

„Es ist aber auch nicht gesagt, dass wir es nicht machen.“

Jo grinst.

„Also, willst du ein Mädchen oder einen Jungen, Mama?“

„Ich bin mit meinem Jungshaushalt eigentlich ganz zufrieden. Du, Obama und ich – das klappt ganz gut, was meinst du?“

„Und Hans.“

„…“

„Mama?“

„Hm?“

„Warum hast du ein eigenes Zimmer und ich habe ein eigenes Zimmer und Hans hat kein eigenes Zimmer? Er weiß gar nicht, wo er seine Sachen hintun soll, wenn er bei uns ist.“

„Hat er das gesagt?“

Luca grübelt angestrengt.

„Cookie?“

„Du darfst nicht mit ihm schimpfen.“

„Wieso sollte ich mit Hans schimpfen?“

„Er sagt, du bist sauer, wenn er ein eigenes Zimmer will.“

„Sagt er das, hm.“

Nicken.

„Schau mal, Luca, als wir in die Wohnung gezogen sind, da gab es Hans doch noch gar nicht. Erinnerst du dich?“

„Ja. Da gab es Jonas.“

Jo beißt sich heftig auf die Unterlippe. „Stimmt, da gab es Jonas.“ Die plötzliche Erwähnung ihres besten Freundes versetzt ihr einen Stich. Sie macht eine mentale Notiz, in den kommenden Tagen zu seinem Baum im Friedwald zu fahren.

„Jonas hatte auch kein eigenes Zimmer, Mama.“

„Nein. Er hatte eine eigene Wohnung. Genau wie Hans.“

„Hast du ein Zimmer in Hans’ Wohnung?“

„Nein. Die ist dafür auch viel zu klein.“

„Und unsere ist zu klein für ein Hans-Zimmer.“

„Stimmt.“

Luca zwirbelt mit den Haaren in seinen Locken. „Mama.“

„Was denn, Cookie?“

„Hättest du gerne eine andere Wohnung?“

„Wie meinst du das?“

„Eine für uns alle. Mit Hans?“

„Hättest du das denn gerne?“

Jo fährt auf den Stellplatz neben dem Tierheim und dreht sich zu ihrem Sohn um. Luca betrachtet angestrengt seine Nägel, von denen die dunkelgrüne Farbe schon fast vollständig abgeblättert ist. Sie macht eine weitere gedankliche Notiz, schwarzen Lack zu besorgen. Den hat er sich als nächstes gewünscht und sie weiß, der Zwerg wird sie an die alte Farbe nicht ranlassen, ohne, dass sie neue besorgt hat, die sie ihm anschließend aufträgt.

„Ich mag Hans echt gerne, Mama.“

Sie drückt ihrem Sohn die feuchte Hand. „Ich auch.“

„Aber ist es okay, wenn ich keine andere Wohnung will? Auch, wenn Hans dann traurig ist?“

Jo quetscht sich so gut es geht zwischen den Sitzlehnen hindurch, um Luca zu umarmen. „Natürlich ist das okay, Cookie.“

Er schnieft.

„Und Hans ist auch gar nicht traurig.“

„Doch.“

„Nein. Mach dir keine Sorgen.“

„Aber er hat es mir gesagt.“

Jos Herz setzt einen Schlag aus. Sie nimmt das Gesicht ihres Sohnes in beide Hände. „Was hat er gesagt?“

„Dass er traurig ist, weil er nicht bei uns wohnen darf.“

Zähneknirschen.

„Als du weg warst.“

„Cookie. Das war nicht in Ordnung von Hans.“

„Du darfst nicht mit ihm schimpfen.“

Etwas in Jos Brust explodiert.

„Werde ich nicht, versprochen. Aber du darfst nicht mehr traurig sein, okay? Das ist ein Erwachsenenthema. Und Hans hätte nicht mit dir darüber sprechen dürfen. Ich rede mit ihm.“

„Mama, bist du sauer?“

„Auf keinen Fall.“

So viele Lügen. Und so viel Wut. Als Jo mit Luca an der Hand auf das Tor der Tierhelfer zustapft, ist ihr ein bisschen schwindelig. Sie könnte Hans umbringen für das, was er getan hat. Wie kann er es wagen, ihren Sohn in diese Diskussion hineinzuziehen? Das ist astreine Erpressung. Sie muss unbedingt mit ihm reden.

Als Jo die gusseiserne Klingel drückt, brummt ihr Handy. Sie zieht es ein Stück aus der Jackentasche, um aufs Display zu schauen. Es ist eine Nachricht von Adam. „Du fehlst.“

Mist.

Mist.

Mist.

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