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»Soweit ich Sie verstehe, gehören Sie zu den Unglücklichen, die sich den Friedensverhältnissen nicht anpassen können.«

»Ganz im Gegenteil, ich gehöre zu denjenigen, die das, was Sie ›Friedensverhältnisse‹ nennen, durchschauen. Sie meinen, ich hätte wieder zurückgehen sollen nach Little Rapids, Heringe verkaufen?«

»Allerdings, man hätte Sie sicher zum Dank für Ihre Verdienste befördert.«

»Fabelhaft, man hätte mich vielleicht an die Kasse gesetzt, es wäre zu schön gewesen. Leider habe ich diese Gelegenheit verpasst. Aber ich begreife ganz gut, was Sie wollen. Unsereins soll Heringe verkaufen, in die Kirche gehen und darauf warten, dass Sie uns wieder rufen, um Ihre Geschäfte zu realisieren. Danke! Ich weiß heute, was ich zu tun habe. Ich will über den Kleinlichkeiten des Lebens stehen. Ich will auch über die Welt eine Übersicht haben und wenn es soweit ist, viel Geld verdienen und nicht im Dreck liegen.«

»Sie wollen? Nichts ist leichter als zu wollen, nichts schwerer als zu können. Bitte, führen Sie Ihre Projekte durch, aber wenn Sie dabei auf meine Hilfe bauen, so haben Sie sich schlimm verrechnet.«

»Nun gut, Sie wollen den Kampf, ich werde auch Marjorie nicht schonen können.«

»Ich verbiete Ihnen, meine Tochter beim Vornamen zu nennen.«

»Warum denn? Unsere Beziehungen waren die intimsten. Auch das wird aus den Briefen erhellt werden.«

»Wie gemein! Sie haben meine Tochter hypnotisiert. Das, was sie getan hat, ist mir rätselhaft.«

»Wie sollten Sie auch Marjorie verstehen? Marjorie ist nicht Ihre Tochter, – zucken Sie nicht zusammen, Herr Strong, ich meine es nicht wörtlich. Sie ist eine Tochter des Krieges. Eine vollkommene Repräsentantin jenes Typus, den Sie mit erhobenem Zeigefinger als ›flammende Jugend‹ bezeichnen. Aber im Grunde ist sie alles eher als ›flammende Jugend‹. Sie gehört zu jenen, die an nichts glauben und die doch alles besitzen wollen. In ihren Nerven lebt nur die Gewissheit der Ungewissheit. Sie will noch schnell alles an sich raffen, was sie kann. Und ihr Wahlspruch lautet, wie auch meiner: Nach uns die Sintflut, nach uns der Weltuntergang.«

»Ich habe Sie ausreden lassen, Herr, denn man soll nie die Mühe scheuen, auch seine kleinsten Feinde kennen zu lernen, das ist mein Wahlspruch. Die Zeit, die ich Ihnen gewidmet habe, genügt, ich wünsche aber nichts mehr von Ihnen zu hören.«

»O ja, das glaube ich gern. Ich habe meine letzte Karte noch nicht ausgespielt. Vergessen Sie nicht, Herr Strong, die Briefe könnten auch Ihre gegenwärtigen Verhandlungen ungünstig beeinflussen.«

»Spielen Sie nur ruhig Ihre Karten aus, junger Mann. Sie sind naiv, Sie ahnen ja nicht, wie wenig gefährlich Sie sind.« Herr Fish fühlt sich verletzt, er greift schnell nach seinem Briefpaket, als müsste er befürchten, dass es ihm durch ein Zauberkunststück entwendet worden sei. Doch noch ist es da. Und Herr Fish verzieht sich.

Wenn er allerdings Gelegenheit gehabt hätte, Herrn Strong zu beobachten, den er allein im Zimmer ließ, hätte er doch einige Genugtuung empfunden.

Denn Herr H.W. Strong verzog wütend sein Gesicht und zischte zwischen den Zähnen: »Man erlebt an seinen Kindern nur Ärger.«

Dem herbeigeklingelten Sekretär gibt er Anweisung, dass dieser gefährliche junge Mann keine Gelegenheit finden möge, sich Marjorie oder Frau Strong zu nähern.

Seine Leute bekommen ferner den Auftrag, Herrn Fishs Tun und Lassen zu verfolgen, vor allem herauszufinden, ob er hier im Hotel wohne und mit wem er in Verbindung stände.

Die Hoteldetektive sind stolz, Herrn Strong die Notwendigkeit ihrer Existenz beweisen zu können. Man wusste, dass Herr Fish hier im Hotel dieselbe Etage bewohne wie Herr Strong und dass er vergebliche Versuche gemacht habe, ein Zimmer neben dem Strongschen Appartement zu bekommen.

Man hatte auch schnell herausgefunden, dass Herr Fish heute morgen in der Frühstücksbar eine längere Unterhaltung mit dem dort beschäftigten Kellner hatte, der den Spitznamen der ›schöne Alex‹ führt.

So hat die Unterredung zwischen Herrn Strong und Herrn Fish noch ein Nachspiel in der Frühstücksbar. Dieses Mal ist es ein Sekretär des Herrn Strong, der sich unbedingt angelegentlich mit dem ›schönen Alex‹ unterhalten will.

Er versucht, ihn vorsichtig über das Gespräch, das er mit Herrn Fish geführt hatte, auszuholen. Der ›schöne Alex‹ zieht es vor, sich zuerst schweigsam zu verhalten. War vielleicht jener Mann, der um jeden Preis zu der Hochzeit hineingeschmuggelt werden wollte, doch ein Juwelendieb oder sonst ein Krimineller? Und dieser Neugierige, der ihn so viel fragt, ist er ein Kriminalbeamter? Der ›schöne Alex‹ beschließt, schweigsam zu bleiben. Er trauert wehmütig dem in Aussicht gestellten Gewinn nach.

Ja, so war es nun in der Welt: einmal konnte er hoffen, ohne Arbeit einen Verdienst einzuheimsen, und nun sollte es sich sicher herausstellen, dass nichts zu machen sei. Jetzt musste er den Unwissenden spielen, denn er hat keine Lust, etwa seine Stellung zu verlieren.

Aber es sollte anders kommen, als der ›schöne Alex‹ befürchtete. Der Neugierige bleibt sitzen und wartet ab, bis sich die Gäste verzogen haben. Plötzlich aber, als sie allein sind, schaukelt vor des ›schönen Alex‹ Augen ein Dollarschein. Kein kleiner, gewöhnlicher, sondern einer, den er nicht so oft zu sehen gewohnt war. »Nehmen Sie ihn«, sagte ihm der Neugierige. Nein, das war kein Kriminalbeamter, die kommen anders. Der ›schöne Alex‹ lässt sich die Aufforderung nicht zweimal sagen. Er konnte den Schein nehmen, gegen das Licht halten und ihn dann ohne weitere Zeremonien in seine Tasche verschwinden lassen. Das war ein merkwürdiger Tag heute. Der ›schöne Alex‹ hat noch nie etwas Ähnliches erlebt. Er sieht sich veranlasst, dem Neugierigen reinen Wein einzuschenken. Er verschweigt nichts von seinem Gespräch mit Herrn Fish, wie er das einem Kriminalbeamten gegenüber getan hätte. Er konnte ja auch jetzt ohne Gewissensbisse diesen Herrn Fish sausen lassen. Aus dem Neugierigen sah mehr heraus.

Der ›schöne Alex‹ flicht auf alle Fälle seine Sehnsucht nach geschäftlicher Unabhängigkeit und Selbständigkeit ein. Er verhehlt nicht, dass er intelligent sei, ein Mensch, der über alles, was das Schicksal ihm zutrage, sich auch seine Gedanken mache, der sich nicht nur als reines Werkzeug betrachten lassen will. Er lässt ferner durchblicken, dass seine Verluste überaus bedeutend wären, wenn er Herrn Fish fahren lassen würde und den versprochenen Dienst nicht ausführen könnte.

Diese Beteuerung war allerdings, wie es sich später herausstellt, nicht so vollkommen glücklich, denn der Neugierige versichert ihm, er hätte bei Gott nicht die Absicht, seine, Verbindung mit Herrn Fish zu stören. Ganz im Gegenteil, gerade an dieser Verbindung läge ihm viel. Er solle nur ruhig Herrn Fish in eine Kellneruniform stecken und ihn zu der Hochzeit kommen lassen. Er könne diesen Dienst Herrn Fish noch billiger als vorausgesehen erweisen, damit der auch bestimmt nicht versäume zu erscheinen.

Herr Fish wollte also in seine Wohnung kommen und sich bei ihm umkleiden, vergewissert sich noch einmal der Neugierige. Das wäre ausgezeichnet. Der ›schöne Alex‹, der einen so fähigen Kopf zu haben scheine, hätte weiter nichts zu tun, als Herrn Fish genau zu beobachten. Alles andere würde man ihm noch mitteilen.

Der Neugierige scheint immerhin auch gegen den ›schönen Alex‹ einiges Misstrauen zu. empfinden. Er findet es überflüssig, ihn näher einzuweihen.

»Sie können diesen Herrn Fish auch in das Hotel begleiten und ihm sagen, dass Sie ihn abrichten wollen, damit seine Kellnerlaufbahn kein allzu jähes Ende nähme. Verstanden?« Klar, der ›schöne Alex‹ verstand immer alles.

Besonders dann, wenn der Lohn nicht ausblieb.

Dieses Mal sollte er, wenn dem Neugierigen Glauben zu schenken war, beträchtlich sein.

Vor den Augen des ›schönen Alex‹ erscheint in greifbarer Nähe die Flüsterkneipe in der 81. Straße.

Der Neugierige hat Grund, beruhigt zu sein. Auf den ›schönen Alex‹ konnte man sich verlassen.

Siebtes Kapitel

Shirley musste den Köchen frische Schürzen und Mützen bringen. Sie ist ärgerlich; der Korb ist dieses Mal so schwer. Sie mag nicht die Küche und nicht die dummen Späße der Köche, jedenfalls heute nicht, wo sie vor so wichtiger Entscheidung steht. Die Zeit vergeht, und sie weiß noch immer nichts Bestimmtes.

Sie möchte jetzt lieber die Gästekorridore mit leichter seidener Wäsche im Korb durchwandern. Sie könnte dann auch hoffen, ihren Freund zu treffen und von ihm endlich Näheres erfahren.

»Kleide das Grünhorn ein, Puppengesicht«, rufen einige Köche, als Shirley mit der Wäsche in der Küche erscheint. Das Grünhorn ist Fritz, der endlich im Hotel Amerika Arbeit gefunden hat. Er ist erst seit einigen Stunden hier, aber es scheint ihm schon eine Ewigkeit. So vieles hat er gesehen und gehört und wurde schon so viel in dieser neuen Welt herumgestoßen, in die er plötzlich geraten war.

Erst stand er vor dem Obersteward der Küche und wartete auf die Arbeitseinteilung.

Fritz verstand nur wenig von den vielen Fragen, die an ihn gestellt wurden. Er sagte aber zu allen ein kräftiges Ja; das machte einen guten Eindruck. Er war zwar noch nicht lange in Amerika, aber immerhin lange genug, um zu wissen, dass man alle Fragen nur bejahend beantwortet wünschte. Ein Zeichen des viel gerühmten Optimismus der Amerikaner. Sie sind bereit, zu glauben, dass jeder alles kann, solange sie sich nicht von dem Gegenteil überzeugen müssen. Der Steward stand vor den Kühlräumen. Man konnte einen Blick in die Vorratskammer erhalten. Sie waren alle weiß gekachelt, von makelloser Reinheit und Kühle. Hier hingen in Glasschränken seltene Wildarten, erlesenes Geflügel; auf Moosbänken, die sich über das Eis breiteten, lagen Austern; unübersehbar türmten sich Fässer, Säcke, Kisten, Dosen. In einem besonderen Raum schwammen Fische in einem großen Becken, vor dem ein Negerjunge stand und die gewünschten Fische nach Anweisung eines Kochs aus dem Wasser fischte.

 

Es wäre mir ganz lieb, wenn man mich hier als Fischer anstellen würde, dachte Fritz, der gespannt war, welcher Beschäftigung man ihn für wert befinden würde. Aber das sollte sich noch nicht entscheiden. »Heute mach nur deine Augen gut auf«, sagte ihm der Steward, »man wird dir schon zeigen, was du zu machen hast; vorläufig kannst du überall helfen. Bist du ein Deutscher?« Fritz bejahte die Frage.

»Ein Landsmann wird dir zeigen, wie du mit einer Kartoffelschälmaschine umzugehen hast.«

Fritz empfand einige Enttäuschung. War das alles, sollte er hier nur Kartoffeln schälen?

Der Landsmann hieß August. Er begann, ihm gleich die Konstruktion der Maschine zu erklären. 'ne dreckige Arbeit, hab' schon die Nase voll davon. Du musst immer aufpassen, dass du die Maschine gut reinigst.«

»Kartoffel schälen, ich hätte mir auch eine andere Arbeit gewünscht.«

»Es ist ja noch nicht gesagt, dass du nicht was Besseres machen wirst. Das dauert immer eine Weile, bis sie herausfinden, bei welcher Arbeit sie dich lassen.« Fritz konnte seine Blicke nicht von der Küche wenden. »Was, da staunste, so 'ne verrückte Kiste hast du wohl noch nie gesehen?«

August hatte richtig geraten, Fritz hatte wirklich noch nie – etwas Ähnliches gesehen, ja nicht einmal im Traum. Diese Küche verwirrt ihn. Das ist überhaupt keine Küche, sondern ein ungeheurer Zirkus oder ein Laboratorium mit unzähligen Abteilungen; etwas recht Merkwürdiges und Staunenswertes ist es jedenfalls.

Da steht in der Mitte, ein wenig erhöht, der Glaskasten des stellvertretenden Küchenchefs. Er sitzt vor unzähligen Tasten und einer Rohrpostanlage wie ein moderner Alchimist. Seine Glaszelle ist mit Spiegeln versehen, mit deren Hilfe er den Raum mit allen seinen fächerförmig angelegten Unterabteilungen nach allen Seiten überblicken kann.

Von der Zentrale aus hat man auch einen Durchblick in die Ab Waschräume, wo das Geschirr von elektrischen Maschinen gespült wird. Hier stehen Neger und werfen das Geschirr in die Rillen, als wären sie Jongleure. Das abgespülte Geschirr wird gleich in den Nebenraum geschoben, wo es von Heißluft getrocknet wird.

Einen besonderen Raum nehmen die Schränke ein, in denen das Geschirr aufbewahrt wird. In den Schränken brennen ständig Gasflammen, damit die Teller und Schüsseln eine gleichmäßige warme Temperatur behalten. Man kann die Konditorei sehen, ferner die Küchenabteilung, in der nur Salate und Mayonnaisen bereitet werden. Eine andere ist für die Herrichtung des kalten Imbiss bestimmt, in einer anderen wieder bereitet man nur Fische zu. In einem besonderen Raum steht ein Koch vor offenem Holzfeuer für den Grill.

»Hier könnte man stundenlang stehen und zusehen«, meinte Fritz.

»Komm, schau dir lieber die Kartoffeln an, der Steward hat die Augen überall. Aber ich will dir schon erzählen, wie es hier zugeht. Von mir kannst du erfahren, was du nur willst.«

August warf Kartoffeln in die Maschine, sie surrte. Als sie zum Halten gebracht wurde, lagen die Kartoffeln säuberlich geschält in ihrem Bauch.

»Das Schlechte schneidet die dicke Negerfrau aus den Kartoffeln, darum brauchst du dich nicht zu kümmern.« Fritz versuchte, die Köche und Kochgehilfen, die sich in dem Raum befanden, zu zählen, aber es war unmöglich festzustellen, wie viele eigentlich da waren. Er wandte sich an August um Auskunft.

»Ja, ich kenne hier schon den ganzen Dreh und die meisten Leute. Man muss schon lange hier sein, wenn man sie alle kennen will. Eigentlich ist es fast unmöglich, alle so genau zu kennen, denn jeden Tag kannst du was Neues erfahren.«

»Macht der magere Hinkende nur die Suppen?« wollte Fritz wissen.

»Ja, hier macht jeder nur einen Gang. Er ist der Suppenkoch, immer noch der beste von allen, er war früher Cowboy.«

»Donnerwetter, ich dachte, so was gibt es nur noch in Wildwestfilmen.«

»Ach, weißt du, ein Cowboy ist ja nur ein Kuhhirt, das klingt nur so fremdartig, wenn man die Sprache nicht versteht. Ich habe mir unter Amerika auch etwas anderes vorgestellt, als ich in Deutschland war. Aber wenn man hier lebt, merkt man, dass es überall das gleiche ist.«

»Mensch, da hast du aber recht.«

Fritz wollte erfahren, ob der Chefkoch jener ist, der im Glaskasten sitzt.

Aber nein, das ist nur sein Stellvertreter. Der Chefkoch selbst macht nur einige Rundgänge in der Küche. Ein schmaler Herr, Franzose, mit einem kleinen Schnurrbart und glänzenden schwarzen Haaren. Er kostet mal eine Suppe, rührt die Mayonnaise einen Augenblick mit dem Eierschläger, nimmt ein Stück Kuchen zwischen zwei Finger und hält es gegen die Luft, riecht mal an einem Hammelkotelett – und fort ist er.

Der Stellvertreter, der immer in der Küche hockt und in den Spiegeln alles sieht, ist schlimmer. »Und der Chinese, was macht der?«

Dieser Chinese sah, obwohl er die gleiche Schürze und die gleiche Mütze trug wie die anderen, recht merkwürdig aus. So würde man sich einen Zauberer vorstellen. Wenn er seine Erzeugnisse kostet, scheint er auf eine innere Stimme zu lauschen, die ihm die richtige Mischung verraten soll. August aber weiß über ihn noch mehr. Er weiß, dass der Chinese ein großer Politiker ist und unter seiner weißen Kochschürze eine Medaille mit dem Bild von Sun Jatsen trägt. Der Koch für die Vorspeisen ist ein Russe. Er gehört zu den unzähligen einstigen Köchen des Zaren, die jetzt in jeder besseren Küche Europas und Amerikas zu finden sind. Ein großer, starker Mann betrat die Küche, er trug schwere Gemüsekörbe.

August weiß über ihn ebenfalls genau Bescheid. Er war früher Metallarbeiter, kam aber, weil er versucht hatte, in der Fabrik Unions zu organisieren, auf die schwarze Liste. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als ungelernte Arbeit anzunehmen.

»So ähnlich ist es auch mir ergangen«, sagte Fritz und beschloss, sobald sich ihm Gelegenheit bieten würde, die Bekanntschaft des Gemüseträgers zu machen.

»Ja, man muss hier vorsichtig sein, wenn man es zu etwas bringen will.« Und August erzählt immer weiter. Fritz wundert sich immer mehr über August, denn obgleich er redet und redet und über jeden, der vorbeigeht, eine Geschichte weiß, bleibt sein Mund geschlossen. »Mensch, wie machst du das eigentlich? Man merkt nur, dass du sprichst, wenn man neben dir steht.« Es stellte sich heraus, dass August einst in Deutschland Bauchredner war. Er verdiente aber an den kleinen Varietes so wenig, dass er schnell Zugriff, als ihm die Möglichkeit geboten wurde, nach Amerika auszuwandern. Leider konnte er mit seiner Bauchrednerei hier kein Geld verdienen, vor allem, weil er zu schlecht Englisch sprach. »Und dann verstehen die Leute hier auch zu wenig von Kunst«, erklärt August.

»Mensch, das muss ja großartig sein, bauchreden zu können.«

»Ja, du solltest auch nicht so viel sprechen, du sollst nur zuhören, sonst merkt es der Steward, dass wir immerfort miteinander reden.«

»Mensch, dich könnte man gut in Versammlungen brauchen, du könntest dazwischenquatschen und niemand wüsste, wen man eigentlich hinauswerfen soll.«

Plötzlich schwieg er betreten, denn der große Schatten des Stewards warf sich über die Kartoffelschälmaschine. Hatte er zu viel gesprochen?

Aber der Steward schickte ihn nur hinüber zu dem Koch für das Seegetier.

»Papadokulos« (dieser Koch ist ein Grieche) »hat eilige Arbeit«, sagte der Steward zu Fritz, »sieh zu, dass du dich anstellig zeigst.« Fritz machte sich auf den Weg.

Er passierte den Gang, der die Küche mit den Aufzügen, die zu den verschiedenen Speisesälen führen, verbindet. Hier stehen Kontrolluhren. Jeder Kellner, der die Küche betritt und verlässt, muss seinen Bestellschein stempeln lassen.

Atemlos galoppieren die Kellner. Die Direktion will die Sicherheit haben, dass die Bestellungen der Gäste in Windeseile ausgeführt werden. Die Kellner sollen nicht plaudern oder gar die Möglichkeit haben, sich an erfreulichen Dingen gütlich zu tun, die nicht für sie, sondern für Menschen, die ihre Wunsche auch bezahlen können, bestimmt sind. Ungeduldig durchfegen die Kellner die Küche, keuchend rennen sie wieder mit vollen Schüsseln zu den Aufzügen. Die Köche dagegen lassen sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Man darf ihnen das Tempo nicht vorschreiben, ohne befürchten zu müssen, der Qualität des Essens zu schaden. Zu ihrem Beruf gehört, wie zu allen edlen Künsten, eine gewisse Beschaulichkeit.

Unweit der Konditorei konnte Fritz einen Blick in den Raum der Griddle-Spezialitäten tun. Hier backen Neger auf Eisenplatten Biskuits und die verschiedensten Arten von Gebäck. Dieser Raum erinnert aber nicht an eine ernsthafte Backstube, sondern mehr an eine Varietebühne, denn die Neger haben den Ehrgeiz, jeden Pfannkuchen erst einmal kunstvoll in der Luft herumwirbeln zu lassen, bevor sie mit der prosaischen Beschäftigung des Backens beginnen.

»Hör mal, Grünhorn, mach ein bisschen schneller«, rief der ungeduldige Papadokulos Fritz zu.

Fritz wusste schon, dank August, einiges über den griechischen Koch.

Auch sein Schicksal ist merkwürdig. Sein einstiger Herr, ein griechischer Minister, der den letzten Krieg zwischen Griechenland und der Türkei mitverschuldet hatte, wurde von dem Volksgericht zum Tode verurteilt und öffentlich aufgeknüpft. Papadokulos, unser griechischer Koch, ist nun überzeugt, dass seinen einstigen Herrn dieses Schicksal nur ereilt hatte, weil er ihn, eben Papadokulos, mit seinen zahlreichen Launen quälte. Deshalb hatte der Koch ihm diesen unangenehmen Tod gewünscht, und der Himmel nahm natürlich auf Papadokulos' Wünsche besondere Rücksicht. Jedenfalls ist er auch jetzt davon überzeugt, dass es nur in seinem Willen liege, wann sein jeweiliger Brotherr vom Volkssturm gerichtet würde. Wenn man ihm Glauben schenken kann, wird es bald mit dem Stellvertreter des Küchenchefs zu Ende gehen, der es verhindert hat, dass Papadokulos einen Hummer essen konnte.

Jetzt jammerte er, denn er hatte übermäßig viel zu tun. »Heute ist alles rein um verrückt zu werden. Die Hochzeitsgesellschaft gibt mir Arbeit, dass ich nicht weiß, wo mein Kopf steht. Es sieht fast so aus, als wollten sie sich an Hummern sattfressen. Komm, mach schnell, verbinde die Hummern.«

Fritz stand vor einer Unmasse von zappelndem Getier und wusste nicht, was man eigentlich von ihm wollte. Papadokulos war in wenig gnädiger Laune. »Hölle und Teufel, stell dich nicht so dumm an! Wenn man soviel zu tun hat, könnte man geschicktere Hilfe brauchen als dich Grünhorn. Du machst ja Augen, als ob du heute zum ersten Mal einen Hummer siehst.«

»Vielleicht erklärst du mal, was ich machen soll. Was soll ich denn verbinden?«

»Na ja, die Füße! – verstehst du nicht mal das? Hier hast du einen Bindfaden. Binde die Füße recht vorsichtig zusammen. Die Hummern würden ja wie toll herumzappeln, wenn sie in das siedende Wasser geworfen werden, oder wenn man sie unter das Feuer legt. Das würde ja nett aussehen, wenn man sie so mit verrenkten Gliedern servieren wollte, so dass man den Tierchen den Todeskampf anmerken kann.«

»Du wirfst sie lebend ins siedende Wasser?«

»Freilich.«

»Du röstest sie lebend?«

»Du bist ja ein feiner Koch, wenn du nicht einmal das weißt. Aber jetzt beeile dich gefälligst.«

Fritz beginnt mit zitternden Händen die Hummern zu verschnüren, er zeigt bei dieser Arbeit nicht besonders viel Geschick. Papadokulos muss über ihn lachen.

»Du bist ein schwaches Bürschlein. Ich habe meinen einstigen Herrn hängen gesehen und habe nicht so gebibbert wie du jetzt wegen der paar Hummern.«

»Wenn ich alle meine einstigen Herren hängen sehen würde, wäre es mir nur ein Vergnügen«, sagte Fritz mit zusammengebissenen Lippen, aber bei sich dachte er: ihr macht euch ja alle nur groß, glaubt, es genügt schon, wenn ihr was Schlechtes wünscht, alles andere kommt von alleine. All das dachte er, wie gesagt, nur für sich. Er hatte wahrhaftig genug Last mit den Hummern, die sich verzweifelt wehrten und nach seinen Fingern schnappten. Der griechische Koch war zu nervös, er verlangte erfahrenere Hilfe oder keine, und so kam Fritz in die Konditorei, wo man gerade einen Mann zum Mandelschälen brauchte. Ein Riesentopf voll gebrühter Mandeln wurde ihm hingeschoben.

»Die schäle, aber mach deine Sache ein bisschen fix.« Fritz begann schon in allen Gliedern den heutigen Tag zu spüren, Herrgott, war das eine Hetze. »Dös nicht vor dich hin!« schrie ihn wieder der eine Chefkonditor an, »wir brauchen schnelle Arbeit.« Fritz beeilte sich mit dem Schälen, er musste aber auch darauf achten, dass ihm die Mandeln nicht wegsprangen. Einmal flog eine gegen die Nase eines seiner Chefs, der ihn seitdem öfters misstrauisch betrachtete.

 

Dieses Mal hatte er zwei Chefs: einen Italiener und einen Österreicher. Die beiden erteilten mit lauter Stimme nach allen Ecken Befehle. Da standen Frauen, die mit Holzstäbchen auf Marmorplatten Butterteig auswalkten, Negerjungen bedienten Maschinen, die Teig und Sahne rührten. Ein javanisches Mädchen, das so zart schien, als wäre es aus durchsichtigem Elfenbein, zerschnitt Spezereien, ohne auch nur für einen Augenblick aufzusehen.

Und nun steht Shirley vor Fritz und hilft ihm in einen Kittel.

»Setz ihm auch die Mütze auf. Das Grünhorn sieht aus wie ein perfekter Koch.«

Hör auf mit deinem Grünhorn«, sagt Shirley, »du tust ja so, als ob du nie eins gewesen wärst …«

»Ei, Mädchen, er scheint dir ja mächtig zu gefallen, der neue Küchenjunge, dass du ihn so in Schutz nimmst.« Darüber aber muss sich Shirley ärgern. »Auf einen solchen wie den habe ich gerade gewartet.« Shirley misst Fritz mit einem geringschätzigen Blick. Die Kochmütze sitzt ihm noch etwas fremd auf seinem Kopf, und auch der Kittel umhüllt ihn steif. Er sieht in der hellen Arbeitskleidung schmächtig und noch bleicher aus, ausgehungert und erschöpft. Er weiß, er kann vor den Mädchen keinen großen Staat machen. Diesmal bedauert er das besonders.

Das trotzige Mädchen, das an seiner Mütze herumrückt und ihn dann prüfend betrachtet, ist entschieden hübsch. In der rosa Uniform mit dem weißen Kragen, mit den Locken, die weich auf die Schultern fallen, den dunklen Augen und dem rosig angehauchten Gesicht sieht die Kleine aus, als wollte sie Theater spielen und hätte nicht schwer zu arbeiten. Doch Fritz weiß bereits, dass man hier von den Mädchen erwartet, dass sie ihre Müdigkeit überschminken; erst wenn man näher hinblickt, erkennt man, dass auch sie kein leichteres Leben führen als die Männer.

»Schöner kannst du ihn nicht mehr machen«, sagt der italienische Konditor zu Shirley, und in viel weniger freundlichem Ton schreit er Fritz an.

»Geh zurück zu deinen Mandeln, glaubst du, die schälen sich von selbst!?«

Fritz ist unzufrieden. Ist das eine Beschäftigung für einen Mann? Hat er zu diesem Zweck Facharbeit gelernt? Er war da in eine dreckige Welt hineingeraten. Seine Laune wird nicht besser, als er nun das Gespräch zwischen dem Konditor und dem Mädchen aus der Wäscherei hörte.

Der Italiener kniff nämlich die Augen zusammen und machte ein recht verschmitztes Gesicht.

»Na, Puppe, ich weiß schon, du machst dir nichts aus einem Grünhorn, wo du jetzt einen ganz feinen Kavalier hast.«

»Deine Frau sollte lieber den Mund halten, ich rede auch nicht darüber, was andere Leute tun.« Shirley ist recht schnippisch, sie ahnt schon, woher der Wind weht. Die Frau des Italieners ist Garderobiere in einem Nachtklub am Broadway; und gerade dahin musste sie gestern nacht mit ihrem Freund geraten. Sie merkte gleich, was die für dumme Augen machte und mit welch übertriebener Höflichkeit sie ihr aus dem Mantel half. Na ja, wenn schon. Sie hatte das Recht, zu tun und zu lassen, was sie wollte. Die anderen waren auf sie neidisch. Sie sollten nur reden soviel sie wollten; das tat nun auch der Italiener.

»Du willst wohl eine feine Dame werden, etwas ganz Besonderes?«

»Kümmere dich gefälligst um deine Kuchen.«

»Schon gut, Kleine, du bist heute wahrscheinlich mit dem linken Fuß aufgestanden, dass du gar keinen Spaß verstehst?«

»Spaß? Ihr ärgert euch nur, wenn ihr merkt, es könnte jemandem, mit dem ihr zusammen gearbeitet habt, eines Tages besser gehen.«

»Ach, ich merke schon, die Gnädigste will ganz hoch hinaus.«

»Ja, ich will hinaus, raus aus diesem Dreck, ich will nicht ewig so leben wie jetzt. Seid ihr zufrieden mit eurem Leben, gut, das ist eure Sache. Aber warum braucht ihr mich auszulachen, weil ich es besser, weil ich es anders haben will?« Der Italiener lacht tatsächlich, er amüsiert sich köstlich. Er winkt seinen Kollegen heran, den Österreicher, und stellt ihm mit allerlei Zeremonien und großen Gebärden Shirley als zukünftige große Dame vor.

Sie zittert vor Wut und sieht sich hilfesuchend nach dem Grünhorn, nach Fritz, um.

Weil sie jedoch fühlt, dass sie den Konditoren gegenüber den Kürzeren zieht, herrscht sie Fritz an.

»Warum ladist du so dumm? Ist es so lächerlich, wenn man den Willen hat, etwas Besseres zu werden, als man ist?« Das hübsche Mädchen ist ein Dummchen, findet Fritz, aber weil die Kleine so hübsch ist, trotz ihres Ärgers, möchte er sie gern bekehren. Schade, dass die Mandeln, die es gar so eilig haben, geschält zu werden, ihn daran hindern, ihr ausführlich alles zu erklären.

»Meinst du wirklich, dass du etwas Besseres wirst, wenn du schönere Kleider tragen kannst? Und genügt es dir, dass es dir allein besser geht, während die anderen genau so leben wie früher?« fragt Fritz.

»Ja, – jeder kann nur sich selbst weiterhelfen.«

»Meinst du das wirklich? Glaubst du, du wirst so weit kommen? Darüber hast du wohl noch nie nachgedacht, wie allen und auch dir selbst geholfen werden könnte?«

Nein, daran hätte sie noch nie gedacht. Sie geht mit ihren Schürzen und Mützen weiter, aber kommt bald in die Konditorei zurück. Ihr Korb ist ja auch noch da.

»Wie meinst du das, was du vorhin gesagt hast? Wie wäre es möglich, allen zu helfen?«

Fritz muss unentwegt Mandeln schälen.

»Das kann man nicht so schnell erklären, aber vielleicht hast du einmal Zeit, und man könnte darüber miteinander sprechen.« Nein, Shirley hat keine Zeit, sie hat auch nicht die Absicht, länger als bis heute abend hier zu arbeiten, sie meint es ernst mit ihren Absichten, ›etwas Besseres‹ zu werden. Sie wird morgen als Gast wiederkommen in das Hotel – das wird sie, das will sie. Sie wird dann freilich nicht die Möglichkeit haben, sich mit Fritz zu unterhalten, und sie wird so nicht erfahren, was Fritz vorhin meinte. Aber er brauche sich ohnehin nicht einzubilden, sie wäre so leicht zu überzeugen; sie kenne das Leben vielleicht besser als er, besonders hier im Hotel. Sie arbeitet seit sechs Jahren hier und er seit einem halben Tag, und doch will er sie aufklären, das Grünhorn. Fritz verhehlt es sich nicht: sie ist ein Dummchen. Aber sie spricht weiter.

»Wie könnten sich alle helfen, wenn sie es selbst nicht wollen? Die meisten sind ja zufrieden mit dem Leben, das sie führen, sie wollen es gar nicht anders haben. Sie sind feige und faul, liegen auf den Knien und murmeln Gebete, sie essen den Fraß, den man ihnen vorsetzt und sagen keine Silbe. Da geh und hilf ihnen! Ich kann dir nur eins sagen, mein Junge, ich hab genug von dem Leben, das ich bis jetzt führen musste.«

Vielleicht ist sie doch nicht so dumm, denkt Fritz, man müsste mit ihr sprechen, ihr alles erklären, aber jetzt muss er sich leider mit seinen Mandeln beschäftigen. Der Österreicher ist übler Laune; Kellner kommen mit Extrabestellungen, das ist etwas, was er ganz und gar nicht mag.

»Ich möchte am liebsten nie diese glattgeleckten Kerle sehen, die sich feiner dünken als sonst jemand auf der Welt. Einen chaud froid willst du haben, gerade jetzt, wo ich am meisten zu tun habe?«

Der Italiener ist weiter zum Spaß aufgelegt. Er zeigt auf Shirley und sagt dem Kellner:

»Sieh dir diese Dame gut an, morgen wirst du sie im Dachgarten bedienen: ›Madame, ich bin Ihr Diener‹.« Er wendet sich mit einer komischen Verbeugung gegen Shirley. Aber der Kellner ist ungeduldig. »Ist die Bestellung noch nicht fertig?«

»Dummkopf du, meinst du, wir können hexen? Du solltest zur Hölle fahren mit deinen blöden Bestellungen.« Der chaud froid ist unbeliebt bei dem Konditor. Das Vanilleeis, das mit einem Meringue überzogen ist, muss einen Augenblick im Ofen gebacken werden, ohne das Eis zerfließen zu lassen. Ein Kunststück. »Fertig?«

»Hier hast du deine verfluchte Bestellung und sage deinen Gästen, dass sie daran ersticken sollen.«