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»Von mir kannst du ausrichten, sie möchten angenehm krepieren«, fügt noch der Italiener hinzu.

»Siehst du, so wird man auch über dich sprechen, wenn du Gast bist«, sagt Fritz zu Shirley.

»Glaubst du, den Gästen tut das weh? Ich würde auch nicht viel davon merken. Aber wie ich jetzt lebe, das merke ich. Wenn ihr mit eurem Los zufrieden seid, traurig genug.«

»Ach, zufrieden, was du dir wohl denkst, Kleine«, ruft der Italiener. »Ich will nur noch tausend Dollar sparen, dann geht es zurück nach Italien. Ich habe genug von dieser Schwitzbude, von der Dreckluft, die ich in dieser Dreckstadt atmen muss. Italien, Kleine, da würdest du staunen, was das für ein Land ist.«

Aber der Österreicher ist skeptisch.

»Und wenn du dort bist, gefällt's dir nicht mehr. Pass auf, man gewöhnt sich dann nicht so leicht wieder an das Alte. Aber von hier heraus möchte man schon, da hast du recht, Mädel, es wird einem nur nicht so leicht gemacht. Du wirst auch noch dein blaues Wunder erleben. Ich habe es schon mal versucht mit der Selbständigkeit. Man hatte uns weisgemacht, dass die Angelegenheit, – es war so eine kleine Kneipe, wisst ihr – eine Goldgrube sei. Hat mich ein klotziges Geld gekostet, alles, was ich mir erspart hatte. Nun, eine Grube war sie, in die wir schön mitsamt unserm Gold hineingefallen sind. Nur die Großen können es zu etwas bringen.«

Der Italiener seufzt noch einmal: »Italien … !« Er ist aber heute guter Laune und sagt zu Shirley: »Lass deinen Korb noch stehen, Kleine, wenn der Spiegelunmensch unsichtbar wird, tue ich etwas Backwerk hinein, vielleicht machst du doch nicht so schnell dein Glück, wie du meinst. Dann hast du wenigstens etwas zum Trost und zum Knabbern.«

»Als ob ich deinen Trost brauchte.«

»Komm, sieh dir mal an, was für schöne Hochzeitskuchen wir machen. Für so eine feine Braut müssen wir uns gehörig den Kopf zerbrechen. Für die ist nichts groß und teuer genug. Das hier ist eine schwere Kunst, aus Croqembouche einen Hochzeitsschleier mit Spitzenmustern hinzulegen.«

Er zieht den Zuckersirup zu langen glitzernden Fäden. Der Österreicher ist unzufrieden.

»Viel zu süß das Zeug, das wir hier machen, es ist ja kaum zu genießen. Im Krieg, da war ich Koch im österreichischen Stab. Mein Lieber, da konnte man schön arbeiten. Das höchste Verdienstkreuz haben sie mir für meine Nachspeisen versprochen. Freilich haben sie vergessen, ihr Versprechen einzuhalten. Kinder, ich hatte eine ›Einnahme von Przemysl‹ gemacht …! So was Großartiges habt ihr noch nicht gesehen. Die Ruinen waren aus Creme und Biskuit, alles mit Rum übergossen, der beim Servieren angezündet wurde. Das war ein großartiger Anblick.«

»Ja, ohne Alkohol kann ein Konditor nicht anständig arbeiten«, seufzt der Italiener.

Shirley muss sich beeilen. Sie sammelt nur noch alle gebrauchten Schürzen.

»Nun, Kleine, wie gefallen dir unsere Hochzeitskuchen?«

»Na, du machst wohl leichter Hochzeit als diese feine Dame, ohne viel Zeremonien, wie?« Der Österreicher tätschelt Shirleys Kinn. Aber sie wirft den Kopf zurück. Da muss sie ja lachen! Sie weiß besser Bescheid über die Zeremonien der feinen Dame, sie weiß mehr, als diese Köche ahnen, auch über diese großartigen Hochzeitskuchen. Aber wozu reden, es genügt, zu lachen.

Der neue Küchenjunge möchte mit ihr noch mal sprechen. »Vielleicht sehen wir uns heute mittag, wenn wir essen gehen.«

»Du bist ein richtiges Grünhorn. Glaubst du, wir essen zusammen? Und ich muss dir schon sagen, übertrieben neugierig bin ich nicht darauf, was du mir zu sagen hättest.« Und fort ist sie mit ihrem Wäschekorb.

[Sie muß] eilen, denn er weiß, der Bleistift des Chefs berechnet genau die Zeit.

Achtes Kapitel

In einem besonderen Raum harren die Pagen der ihnen zukommenden Befehle. Eine ganze Schar sitzt auf den rings den Wänden entlang laufenden Bänken. Doch dieses Sitzen ist kaum ein Ruhen. Den Oberkörper vorgebeugt, die Rechte auf dem Knie, die Füße sprungbereit, so warten sie auf den Aufruf ihrer Nummer.

In der Mitte des Raumes, auf erhöhtem Posten, thront der Chef der Pagen, der »headbellboy«, das Haupt der Klingeljungen. Vor ihm steht eine Liste und eine Telefonanlage. Er drückt die Muscheln abwechselnd an seine Ohren, macht Zeichen auf der Liste und ruft Nummern. »28, Empfang.«

»Jawohl, Herr.« 28 springt.

Er weiß, ein neuer Gast ist angekommen, er wird einen kleinen Koffer tragen, er wird zehn Cents bekommen, vielleicht, wenn er Glück hat, einen Vierteldollar, wenn er Pech hat, nichts. Dann wird er zurückrennen in die Zentrale und wird wieder auf seine Nummer warten. Er wird sich beeilen, denn er weiß, der Bleistift des Chefs berechnet genau die Zeit.

»35, 1228.«

35 springt. »Jawohl, Herr.«

Die Pagen unterhalten sich auch sehr leise miteinander. Sie haben ihre besondere Technik, fast unhörbar zu sprechen, die Lippen kaum bewegend.

Die ›Jungens‹ sind nun beileibe nicht alle jung, aber sie sind alle schmal, schlank und behend. Einer fällt auf: mit silberweißen Haaren und unwahrscheinlich blauen Augen. Es ist unmöglich, sein Alter zu erraten. Er sitzt in genau derselben Haltung, sprungbereit wie die anderen, nur flüstert er nicht mit ihnen.

Die Jungens aber erzählen und necken sich unhörbar. »Gestern ruft mich einer, – ich glaube es war im 15. Stockwerk, – er liegt angezogen auf dem Bett, das Gesicht blaurot, blinzelt mich an, fragt, ›der wievielte ist heute?‹ Ich sag's ihm. ›Und welcher Tag?‹ Dienstag. ›Weck mich am Donnerstag‹ – und beginnt gleich zu schnarchen. Vergisst natürlich mein Trinkgeld.«

»12, Empfang.«

»Jawohl, Herr.«

Ein Hellblonder, mit zarter, mädchenhafter Haut, fast noch ein Kind, flüstert:

»Wenn einer das Trinkgeld vergisst, ist es noch nicht so schlimm, aber jetzt lässt mich immer einer rufen. Nummer 1625, ich hab' Angst vor ihm. Er macht so komische Augen, und seine Hand, hu, ganz mit Haaren bewachsen, tastet immer nach mir. Jedes Mal gibt er mir einen Dollar.«

»8, 925.«

»Jawohl, Herr.« Der Hellblonde flüstert weiter.

»Ich bin so müde, ich schlafe zu Hause auf einem Sofa, das zu klein ist; ich kann mich nicht richtig ausstrecken.«

»40, Empfang.«

»Jawohl, Herr.«

»Mich ruft einer, der ist schon ganz blau am Vormittag, fragt mich: ›Junge, wo kann man hier Frauen bekommen?‹ Ein Provinzonkel.«

»Du hättest ihn fragen sollen: Wo kann man keine bekommen?«

»Ja, wenn du Geld hast. Ohne Pinke lassen sie dich sitzen. Warten nur auf einen, der ihnen mehr bietet.« Salvatore ist heute in übler Stimmung. Wenn er an Shirley denkt, hat er einen bitteren Geschmack im Mund. Außerdem aber hat er diesen Vormittag schon sechzehn Gänge hinter sich und hat noch keinen Dollar verdient. Was sich die Leute nur denken, die Frauen mit den vielen Täschchen, die Männer mit ihren ausgefallenen Besorgungen, dass sie ihn einfach übersehen, wenn es ans Bezahlen geht. Seine Arme schmerzen schon, die »porter«, die das schwere Gepäck tragen, beklagen sich auch, dass man sie vergisst. Sein Kopf ist schwer, er mag nicht an Shirley denken, er könnte ja alles stehen lassen hier, aber – »16, 825.«

Das ›Jawohl, Herr‹ kommt nicht sofort zurück. 16 ist jener mit den schneeweißen Haaren und den unwahrscheinlich blauen Augen.

16 ist in Gedanken versunken. Er denkt daran, dass man hier nicht denken darf. Sie müssen alle immer in Bewegung sein, wie Flugzeuge, die nie in der Luft halten können, für die Stillstehen Absturz und Tod bedeutet. »16, 825.«

Jetzt kommt erst zögernd die Antwort. »Jawohl, Herr.«

»Schläfst du? Meinst du, du wirst bezahlt, um hier zu träumen?«

Der Chef der Pagen kann nicht lange schimpfen, die Telefone klingeln, immer ruft er neue Zahlen in den Raum; 16 ist schon längst fort.

Aber wieder geschieht etwas, um ihn aus der Ruhe zu bringen. 8 antwortet nicht. »8, 1625.«

Kein »Jawohl«, nur das Kichern der Jungen. 8 ist der Hellblonde; er schläft. Seine rechte Hand ruht auf dem Knie, der Körper ist vorgebeugt und vorschriftsmäßig sprungbereit, aber der Kopf ist auf die Brust gefallen. Er lässt sich nicht leicht wecken. Seine Nachbarn rütteln an ihm, aber er schläft. Alles kichert. Da schreckt er auf. Das Lachen wird stärker. Er weiß im ersten Augenblick nicht, wo er ist. »He, Junge, wenn dir noch einmal was Ähnliches passiert, wirst du gefeuert. 8, 1625.«

»Verzeihung, wie war die Nummer?«

»Hör, mein Junge, jetzt ist's höchste Zeit, dass du wach wirst, – eintausendsechshundertfünfundzwanzig.«

»Jawohl, Herr.«

»44, 1025.«

44 ist Salvatore und 1025 ist Herr Fish.

Herr Fish wandert in seinem Zimmer auf und ab. Er ist etwas nervös, er kann es nicht leugnen, dieser Mangel an Kaltblütigkeit ärgert ihn. Er sagt sich, dass die Hauptbedingung eines Sieges Nerven sind. Und sonst hat er sie doch; er will sie auch heute behalten, er will siegen, seinen Plan genau ausarbeiten. Salvatore steht vor ihm und wartet.

Herrn Fishs Hand steckt in der Hosentasche und klimpert mit Münzen.

Salvatore sieht ihn an und denkt ganz scharf, denkt an nichts anderes: Keine Münze, verstehst du, keine Münze, Papier. Bald ist der Vormittag um und noch kein Dollar verdient. Keine Münze, – Papier!

Herr Fish scheint Salvatores dringenden Wünschen nachzugeben, – so meint wenigstens Salvatore, denn 1025 zieht ein Bündel Banknoten aus der Tasche. Na also, denkt Salvatore befriedigt.

Aber die Banknote, die Herr Fish herauszieht, ist nicht für Salvatore, und seine Wünsche sind komplizierter Art.

»Höre, mein Junge, du gehst hier in den Blumenladen des Hotels, kaufst Blumen, – verstanden? – und bringst sie einer Dame, die hier in demselben Stockwerk wohnt. Der Name ist Marjorie Strong, und hier hast du auch ihre Zimmernummer. Du sagst nicht, von wem die Blumen sind. Verstanden? Du weißt nichts. Man hat sie dir in der Halle übergeben. Aber es kommt nicht auf die Blumen an; deine Aufgabe ist, pass mal gut auf, herauszubekommen, wohin diese Dame heute mittag geht. Wie du das anstellst, ist deine Sache. Du siehst schlau aus, Junge, du wirst es schon schaffen. Dann kommst du sofort zurück und berichtest mir, verstanden?«

 

Salvatore denkt nur: du Schuft, und keine Banknote für mich.

Herr Fish scheint diesen Gedanken Salvatores zu erraten, denn er sagt: »Wenn du deine Sache gut machst, vergesse ich dich nicht. Los, Junge, spring.«

Unweit Herrn Fishs Tür trifft Salvatore Shirley. Sie blickt in die Luft und tut so, als sähe sie ihn nicht. Salvatore hat keine Zeit, sich zu ärgern; er hat auch keine Zeit, lange Celestina anzuhören, die jetzt auch aufgetaucht ist, gleich nach Shirley. Sie hält einen Eimer, Bürsten und Scheuertücher in der Hand und muss aufpassen, ob nicht irgendwo Frau Magpag erscheint, und außerdem will sie auch Shirley nicht aus den Augen lassen, soweit es ihr möglich ist. Keine leichte Aufgabe.

Nun versucht sie, in Salvatore einen Verbündeten zu bekommen. Sie muss endlich wissen, was Shirley vorhat. Sie schmeichelt Salvatore, er sei ein so kluger Junge, er könne alles herausfinden, was er nur wolle.

Oho, er hätte gar nicht die Absicht, etwas über Shirley herauszufinden. Er wisse nur, sie wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben, das genüge. Er laufe keinem Mädchen nach, das ihn von oben herab behandele, und das scheinbar jetzt eine bessere Gesellschaft ihm vorziehe.

Aber das ist es ja, was auch Celestina erfahren möchte: wer eigentlich diese bessere Gesellschaft sei. Weil Salvatore es eilig hat und weil Celestina ihn so bittend ansieht, verspricht er seine Beihilfe. Heute nachmittag ist er frei, er hat Abenddienst, vielleicht gelingt es ihm, einiges zu erfahren.

Aber auch Shirley hat ihre Pläne. Sie ahnt, was die Mutter mit Salvatore bespricht. Sie sucht sich gleichfalls eine Verbündete: Ingrid.

Diese ist eifrig bei der Arbeit, hat aber nichts gegen ein kleines Gespräch mit Shirley.

»Ingrid, weißt du, mir scheint, du gefällst Salvatore.«

»Nein, das ist nicht wahr, du willst mich nur ärgern.«

»Höre, Ingrid, du hast heute Abenddienst und bist nachmittags frei, genau wie Salvatore. Du kannst es ja so einrichten, dass ihr euch begegnet, und du wirst selbst herausfinden, ob ich recht habe.«

Neuntes Kapitel

Es ist Mittagessenszeit für das Personal. Nicht alle essen gleichzeitig und freilich auch nicht alle im gleichen Raum. Nein, es gibt sehr viele und verschiedenartig eingerichtete Räume. Rein äußerlich wird so schon die besondere Stellung des Personals stufenweise zum Ausdruck gebracht. Die Trennung erfolgt aber nicht nur nach der Stellung, sondern auch nach den Geschlechtern und der Rasse: Männer und Frauen essen in getrennten Räumen, die Neger werden nicht mit den Weißen vermischt.

Die erste Stufe der verschiedenen Kategorien nimmt die Direktion ein. Sie kann man allerdings kaum zum eigentlichen Personal zählen; sie isst auch nicht, sie speist. Hier geht es zu, als handele es sich um Gäste: weiche Teppiche, die jedes Geräusch ersticken, vornehme und lautlose Kellner, feinstes, blendendweißes Linnen, bestes Porzellan, Kristallgläser und vollständigste Auswahl nach der Speisekarte. Die zweite Kategorie bilden die höheren Angestellten, die ›Offiziere‹. Sie werden von weißgekleideten Kellnerinnen bedient, – weiße Uniformen, weiße Strümpfe, weiße Schuhe. Die Kellnerinnen bedienen höflich, sie wahren einen gewissen Abstand zwischen sich und den ›Offizieren‹. Aber doch nicht in dem Maße, als wären es erstklassige Gäste. Überhaupt ist hier wohl alles sauber und appetitlich, doch nichts erstklassig. Die Linnen sind schon etwas verwaschen, das Silber weist stellenweise winzige Kratzer auf, das Porzellan ist billigeres Fabrikat.

Die mittleren Angestellten bedienen sich schon selbst. Auf glänzend polierten Tabletts suchen sie sich Speisen aus, die allerdings nicht mehr in so großer Auswahl zur Verfügung stehen. Das gebrauchte Geschirr, das schon kleine Defekte aufweist, wird von jungen Mädchen abgeräumt, die sich hier für den Kellnerinnenberuf einüben. Das Linnen weist kleinere Flecken auf, die von dem gestrigen Mahl der höheren Angestellten stammen.

Die niedrigeren Angestellten, die Haushälterinnen, Telefonistinnen, Stenotypistinnen, die Kellnerinnen der Teeräume und Sodaquellen haben ihren Raum für sich. Auch sie bedienen sich selbst, natürlich schon ohne Auswahl, sie nehmen das, was man ihnen zuweist. Die Tischtücher sind schon gehörig beklext; sie zeigen auch schon die Spuren der Mahlzeiten der mittleren Angestellten. Das Geschirr und das Silber, das kein Silber mehr ist, zeigen allerlei Defekte. Trotzdem atmet auch dieser Saal noch eine gewisse Vornehmheit im Vergleich zu dem folgenden, der Speiseanstalt für die Angestellten der niedrigsten Stufe. Hier essen die Scheuerfrauen, die Stubenmädchen, die Wäscherinnen, die Waschereimädchen, natürlich nur die weißen. Die Negerinnen essen in einem kleineren Nebenraum. Man hört bis hierher ihr lautes Lachen und Kreischen. Dieser Riesenraum für das niedrigste weiße weibliche Personal ist durch ein Holzgitter in zwei ungleiche Hälften geteilt.

Die kleinere umfasst die Küche, den Abwasch und die Speiseausgabe.

In riesigen Blechkesseln werden hier die Mahlzeiten gekocht und dann in heißes Wasser gestellt, wo sie der Verteilung harren.

Der Abwasch befindet sich in der Nähe der Speiseausgabe. Er weist keinerlei neuere Errungenschaften auf. Vor ihm stehen vollkommen stumpf-müde Einwanderer, die noch kaum ein englisches Wort kennen. Hier fangen viele an, beim Abwasch. Die Gesichter wechseln oft, aber nicht die trostlosen Mienen. Die Füße stehen im Wasser, es sind keine Vorkehrungen getroffen, sie gegen Nässe zu schützen. Beim Abwasch stellt man immer Fremde nebeneinander, keine Landsleute. Hier braucht ja auch einer den anderen nichts zu lehren.

Immer die gleichen Bewegungen. Die Speisereste werden mit der Hand vom Teller in den Mülleimer abgewischt, der in der Nähe steht und von Stunde zu Stunde einen scheußlicheren Gestank verbreitet. Es gibt viele Speisereste. Die hier Essenden bringen selbst ihre Teller zum Abwasch, oft geben sie dem vollkommen unschuldigen Geschirrwäscher von ihrer Unzufriedenheit mit dem Essen Kenntnis: »Das sollte man Schweinen vorsetzen, nicht uns. Puh, was für ein Fraß.«

Die Geschirrwäscher verziehen dann aber nicht ihr Gesicht, um so weniger, weil sie ja kaum ein Wort verstehen. Dann werfen sie die Teller in das heiße Wasser, ziehen sie wieder heraus und stellen sie hin – zu neuem Gebrauch. Die größere Hälfte des Raumes dient als Speisesaal. Hier stehen in kaum übersehbarer Reihe lange, schmale Holztische und lehnenlose Bänke.

Auf diesen Tischen bilden sich gleich nach den ersten Essenden Suppenlachen und Speiserestehügel, die dann im Laufe der Mahlzeit den ganzen Tisch überschwemmen. Der große Raum ist erfüllt von einem undefinierbaren Geruch von Schweiß und Müll, Spülwasser und schlechten Lebensmitteln.

Auch hier bedient man sich selbst, nimmt ein Tablett aus Blech, das meist an irgendeiner Stelle verbogen ist, und ein Besteck, gleichfalls aus Blech, mit allerlei individuellen Zügen. Jede Gabel, jeder Löffel, sogar die Messer haben im Laufe der Zeit eine besondere Gestalt angenommen, als wären sie genau so vom Leben gezeichnet, wie jene Personen, die gezwungen sind, sie zu benutzen. Die Teller lassen unter der abgeschabten Glasur ihre ursprünglich graue Farbe durchschimmern. Die Speiseausgabe wird von einigen völlig erschöpften Kreolen besorgt, die immer wieder monoton und doch verzweifelt die Herandrängenden zur Geduld oder Schnelligkeit mahnen. »Weiter!«

Ja gleich, wir haben nur zwei Hände.«

»Weiter!«

Obgleich das Personal der niedersten Stufe immer erklärt, keine Suppe hier mehr anzurühren, so drängen doch alle jeden Tag aufs neue mit ihren Tellern zu den Suppenverteilern, immer in der Hoffnung, der Fraß könnte einmal unerwartet einen angenehmen und kräftigen Geschmack haben.

Im Speiseraum stehen mächtige Kübel, angehäuft mit Pellkartoffeln. Diese bilden das wichtigste Nahrungsmittel vieler, besonders aller irischen Scheuerfrauen. Jeden Tag bekommt man sie zweimal, und es sind diese Kübel, die am schnellsten leer werden.

Die Frauen nehmen die Pellkartoffeln in ihre Schürzen oder in ihre Röcke, die sie ein bisschen hochschürzen, wie es Bäuerinnen tun. Manche nehmen von den Pellkartoffeln bis zu einem Dutzend, es ist alles, was sie essen. Es gibt auch einige ganz verhutzelte alte Weiber, die in einem Blechgefäß, wie man sie bei Bettlern sieht, manche noch aufheben und mit viel Vorsichtsmaßregeln hinausschmuggeln, vielleicht als Geschenk für Verwandte.

Man isst auf wenig zeremonielle Art. Die Kartoffelschalen häufen sich auf den Holztischen, oder man wirft sie einfach auf die Erde.

Nanny, die älteste Scheuerfrau, die einer Holzstatue gleicht, gehört zu denen, die meist als erste den Speiseraum betreten. Sie holt sich jedes Mal einen Teller Suppe und einige Pellkartoffeln. Nachdem sie zwei Löffel voll von der Suppe gegessen hat, schiebt sie den Teller weit von sich und widmet sich den Kartoffeln. Sie arbeitet im Hotel Amerika seitdem es erbaut wurde und kann sich noch an die allerersten Anfänge des Hotels erinnern. Sie hat mit eigenen Augen die ganze ungeheuere Entwicklung des ›dear old little New York‹, des ›lieben alten kleinen New Yorks‹ mit angesehen.

Alles hat sich geändert, nur nicht die Suppe. Immer versucht sie ihr Glück, aber nie gelingt es ihr, mehr als zwei Löffel voll hinunterzuwürgen.

Seitdem sie keine Zähne mehr hat, isst sie im Speiseraum hauptsächlich nur noch die Kartoffeln. Sie kratzt die Pelle, dann bricht sie ein Stück von der Kartoffel, zerdrückt es zwischen zwei Fingern und schiebt es in den zahnlosen Mund.

Heute aber, nachdem sie den ersten Bissen verschluckt hat, lässt sie die Kartoffel auf den Tisch fallen und wendet sich gleich einer anderen zu. Aber die ist innen bläulich, es lohnt sich nicht, sie erst zu versuchen. An der dritten riecht sie aufmerksam, auch die ist schlecht.

Sie ist die erste, die es feststellt: die Kartoffeln sind faul. Inzwischen wird der Raum immer voller, die Frauen kommen mit ihren Kartoffeln. Man schält sie, während die immer gleichen Witze, die bei dieser Gelegenheit üblich sind, die Runde machen.

»Das ist doch das einzige Gericht, das unsere Köche zuzubereiten verstehen.«

»Wisst ihr, warum man die Haut der Kartoffel abziehen kann?«

Die Fragenden warten meist auf keine Antwort und sagen gleich lachend:

»Damit auch die Armen jemandem die Haut abziehen können, das ist doch klar.«

Aber die Witze hören auf, sobald sie in die Kartoffeln beißen. »Heute schmeckt ja nicht mal dieses Zeug.«

»Das sind keine Kartoffeln, das sind Stinkbomben.«

»Man verwechselt uns mit Schweinen.«

»Wieso? Die haben wahrscheinlich uns diese Kartoffeln übriggelassen.«

Der Lärm wird immer größer. Es ist ein anderer als sonst, nicht das allgemeine Gesumme, das gewöhnlich menschenvolle Räume erfüllt. Heute ist er schärfer, schriller und lockt auch die Leute aus anderen Sälen herbei. Es kommen die Negerinnen und halten gleichfalls Kartoffeln in den Händen. Auch sie haben keine besseren bekommen.

Es kommen einige Haushälterinnen, die wie aufgescheuchte Hühner von einer Gruppe zur anderen hüpfen und zu beschwichtigen versuchen. Sie wissen selbst nicht, ob es besser sei, den aufgeregten Frauen rechtzugeben oder die Tatsache, die Kartoffeln seien faul, zu leugnen. So sagen sie unverbindliche Worte mit freundlicher Miene, wie:

»Freilich, freilich.«

»Immer nur die Ruhe.«

»Das beste ist, sich nicht aufzuregen.« Sogar Männer erscheinen jetzt im Speiseraum der weiblichen Angestellten.

Diese Männer gehören gleichfalls zu den Angestellten der untersten Stufe, und auch sie haben Pellkartoffeln erhalten, die ihnen wenig schmackhaft erschienen. Nur hatten sie anfangs diese Tatsache gleichgültiger als die Frauen aufgenommen. Erst als sie von der Aufregung bei den Frauen erfuhren, wurden auch sie widerspenstig, begannen Krach zu schlagen und machten sich, reich mit den schlechten Kartoffeln ausgestattet, auf den Weg zu dem Speiseraum des weiblichen Personals.

Der des männlichen Personals unterster Stufe ist noch weniger angenehm als der der Frauen, denn in Amerika genießt ja die Frau eine Vorzugsstellung. Sie wird im Hotel Amerika auf diese Weise dokumentiert.

Der Speiseraum des niedersten männlichen Personals befindet sich drei Stock tief unter der Erde. Es stinkt hier wie in einem Schiffsraum, in den nie Luft, Licht und Sonne dringt.

Hier essen alle Schwerarbeiter des Hotels, die Hausmänner, die die Korridore reinigen und die schweren Staubsauger handhaben, die Männer, die die Wände in den Zimmern abwaschen, die Fensterputzer, die Kammerjäger, die »nützlichen Männer«, wie man jene nennt, die die Marmorböden und Steinfliesen aufzuwaschen haben, die Heizer, auch die Träger, die Pagen und die Küchenjungen. Fritz soll hier heute zum ersten Mal essen. Es flimmert vor seinen Augen, seine Hände zittern, die Füße brennen wie Feuer; die Krankheit und die lange Arbeitslosigkeit haben ihn schlapp gemacht, er ist den körperlichen Anstrengungen nicht genügend gewachsen.

 

Doch er hat Hunger. Der Aufenthalt in der Küche, zwischen all den Leckerbissen, hat seine Magennerven angeregt. Er hatte sich ordentlich gefreut, als er in einem Nebenraum der Küche einen nett gedeckten Tisch erblickt hatte. Wenn man in der Küche arbeitet, dachte er, bekommt man wenigstens etwas Anständiges in den Magen.

Aber er sollte eine schlimme Enttäuschung erleben. Der nett gedeckte Tisch war ausschließlich für die Köche bestimmt, und er, der Küchenjunge, musste sich trollen. Im Speiseraum ist es schon voll, die Leute sitzen dicht gedrängt nebeneinander. Die Männer schlürfen die Suppe, ohne viel darüber nachzudenken, was sie essen; sie sind, wenn sie Hunger haben, weniger wählerisch als die Frauen. Fritz aber wird es ganz übel in der ungewohnten Luft, er wird hin und her geschoben und findet keinen Platz. Er hält Umschau nach dem Gemüseträger, von dem August gesprochen hat. In dem Gewoge von Menschenkörpern und Köpfen ist es aber schwer, einen einzelnen zu entdecken. Man weiß nicht, wie die Kunde von den Ereignissen im Speiseraum des weiblichen Personals nach unten gedrungen war. Wahrscheinlich erzählte davon einer der Speisenträger. Kaum ist die Nachricht bekannt geworden, lassen viele ihre Speisen stehen und ziehen nach oben. Und hier, vor dem Eingang, trifft Fritz mit dem Gemüseträger, den er vorhin vergeblich gesucht hatte, zusammen. Er erkennt ihn sofort und spricht ihn an. Fritz möchte einen Kameraden haben, der ihm in diesem Chaos einen Weg weisen könnte. Es ist nicht leicht, sich hier zurechtzufinden. Der Gemüseträger gibt ihm gern Auskunft. »Es ist bisher noch nicht viel geschehen, um die Leute einander näher zu bringen. Die meisten würden noch nicht einmal zugeben, dass man sich zusammenschließen muss, um etwas zu erreichen.«

»Aber heute geht es ja ganz toll zu.«

»Toll geht es schon manchmal zu, aber es ist immer nur Strohfeuer. Wenn es darauf ankommt, ihnen begreiflich zu machen, dass nur durch Ausdauer und Organisation etwas zu erreichen ist, rücken sie einfach aus. Das kommt davon, weil wir hier alle so provisorisch leben und wenn wir auch fünfzig Jahre ein und dasselbe tun. Alle glauben, morgen beginnen sie was anderes, fahren womöglich zurück in die Heimat oder eröffnen ein Geschäft und werden reich. Keiner will es wahr haben, dass er doch gezwungen wird, denselben Dreh sein ganzes Leben lang zu machen.« Der Speiseraum ist jetzt gedrängt voll. Man sieht fuchtelnde Arme, aufgerissene Münder, diskutierende Gruppen. Fast niemand sitzt an den Tischen. Zu den wenigen gehört Patrizia. Ihr Dutt ist verrutscht; sie hat die Brille aufgesetzt und versucht nun mit großer Geduld, genießbare Kartoffeln herauszufinden. Sie prüft jede einzelne sehr aufmerksam, beriecht sie, bevor sie dann sehr vorsichtig eine kostet. Die Stimmung wird immer lebhafter; es ist etwas Neues, dass hier im Speiseraum Frauen und Männer, Schwarze und Weiße zusammentreffen.

Besonders die Jugend findet es unterhaltend, so zusammenzustehen und zu schimpfen.

Fritz entdeckt auch Shirley, die zu jenen gehört, die am lautesten ihre Klagen vorbringen. Sie zählt, trotz ihrer Jugend, zu den »Alten«; so werden alle genannt, die schon seit einer Reihe von Jahren im Hotel arbeiten. Sie war noch ein Kind, als sie hier zu arbeiten begann. Shirley gefällt Fritz jetzt besser, als vorhin in der Küche. Sie vergisst ganz, die Hochmütige zu spielen.

»Nun, siehst du, ich habe doch vorhin richtig geahnt, wir würden uns noch heute mittag treffen und wieder sprechen.« Shirley erinnert sich sofort ihrer hochfliegenden Pläne und wendet sich von Fritz ab.

»Ich kann es nicht ändern, dass wir uns treffen, aber ob wir miteinander sprechen, ist meine Sache.«

Ingrid ist freundlicher. Salvatore ist neben ihr aufgetaucht, sie freut sich, dass sie mit jemandem über alles, was um sie herum geschieht, sprechen kann. Seitdem sie hier ist, hört sie nichts weiter als Klagen, aber sie wurden immer nur im Flüsterton und dann vorgebracht, wenn niemand von dem Aufsichtspersonal es hören konnte.

Und nun sprechen sie alle ohne Scheu. Ingrid findet das wunderbar.

»Ich mag hier eigentlich nur Eis essen; wenn es sehr heiß ist, bekommen wir es.«

»Die Männer bekommen gar kein Eis, siehst du, ihr Frauen habt es doch immer besser.«

»Das sagt ihr nur so. Du glaubst es doch nicht wirklich? Oder möchtest du mit mir tauschen?«

»Nein, nein, ich möchte kein Mädchen sein; außerdem kann ich zu Hause Eis essen soviel ich will. Mein Vater hat eine kleine Konditorei.«

»So gut hast du es?«

Im Saal wächst die Aufregung, als auch der Aufzugsführer, der heute früh dem Lift durch zwanzig Stockwerke nachlief, von zwei Männern gestützt eintritt. Er ist noch sehr blass und kann nur mit Schwierigkeit sprechen. Er selbst wollte nicht kommen, man hat ihn aber mitgeschleppt.

Seine einzige Sorge ist, dass niemand vom Aufsichtspersonal ein Wort über die Angelegenheit erfährt; aber sie lassen ihn nicht, die anderen, sie wollen, dass es bekannt wird. Sie schreien, dass man ihr Leben durch schlecht funktionierende Aufzüge gefährde. Der Führer weiß, dass man ihn keines Versäumnisses beschuldigen kann, und doch zweifelt er keinen Augenblick daran, dass, sollte man die Sache zur Sprache bringen, die Direktion nur ihn entlassen und erklären würde, die Aufzüge funktionierten vorschriftsmäßig. Deshalb flüstert er in einem fort den Herumstehenden, die seinen Fall erzählen und auf ihn zeigen, zu: »Schweigt, schweigt doch.«

Im Raum taucht immer zahlreicher Aufsichtspersonal auf. Die schwarzen Seidenkleider der Haushälterinnen sind vollzählig hereingerauscht. Aus den Sälen der höheren Stufen kommen immer mehr, um sich den Sturm in der Unterwelt anzusehen. Manche sind peinlich berührt, andere finden das Gehabe wegen ein paar schlechter Kartoffeln nur komisch. Sie versuchen aber zu beschwichtigen, da ihnen rechtzeitig einfällt, wie oft schon auch höhere Angestellte niedrigste Arbeit verrichten mussten, wenn die hier unten ihren Pflichten nicht nachkommen wollten.

Aber die Beruhigungsversuche bleiben völlig erfolglos. Im Saal summt es immer lauter und drohender. Da betritt eine Persönlichkeit aus der höchsten Stufe des Hotelpersonals den Raum: der Personaldirektor, der nur bei seltenen Gelegenheiten sich zu zeigen pflegt.

Vorläufig wird er übersehen. Erst als er auf einen hohen Stuhl steigt und so über den Köpfen der Menge auftaucht und von einigen Leuten erkannt wird, die ihre Kenntnis den anderen weitergeben, beginnt es etwas ruhiger zu werden. Der Direktor ist von unübertrefflich jovialem Wesen. Seine Freundlichkeit ist im Hotel geradezu sprichwörtlich. Er hat genau berechnet, dass neu eingestellte Leute erst nach vier Wochen die Arbeitsleistung der ›Alten‹ erreichen. Er hat auch genau berechnet, welche Verluste dem Hotel durch häufiges Wechseln des Personals entstehen. Er hat das alles genau in Ziffern, statistisch und prozentual, schwarz auf weiß, auf dem Papier. Haushälterinnen, deren Obhut Stubenmädchen und Scheuerfrauen in größerer Anzahl entfliehen, kommen bei ihm bald auf die schwarze Liste. Man muss aus den Leuten auf liebenswürdige Weise so viel herausholen, wie überhaupt möglich. Sie dürfen es selbst gar nicht merken, denn das Personal, das nicht wissenschaftlich und statistisch rechnet, wirft einfach alles hin und geht spazieren, wenn man ihm unfreundlich begegnet.