Aus der Sicht der Fremden

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Kapitel 2
Nördlich von meiner Heimatstadt Bielitz liegt die kleine Industriestadt Mikolow, die in den Sechzigerjahren ungefähr 22.000 Einwohner hatte. Es ist eine sehr alte, aber schöne und ruhige Stadt, die damals mit vielen Blumenrabatten geschmückt war. Das Zentrum der Stadt bildete ein großer Platz vor dem Rathaus, der damals noch mit Katzenkopfpflaster ausgelegt war. Um diesen herum befanden sich Lebensmittelgeschäfte, eine Apotheke, ein Restaurant, ein Kräutergeschäft und in einer schmalen und kurzen Gasse, die zum Rathaus führte, das einzige private Geschäft der Stadt, in dem ich Getreide kaufen konnte. Auch eine Buchhandlung und die Stadtbibliothek waren im Zentrum zu finden. Außerhalb befanden sich das Krankenhaus, das Kreisgericht und das Gymnasium, das meine beiden Töchter in den Siebzigerjahren besucht haben. Das Flair der Stadt hatte damals noch etwas Mittelalterliches.
Fünfzehn Minuten Busfahrt von der Stadt Mikolow entfernt liegt das kleine Städtchen Laziska Gorne, in das ich im Jahre 1964 mit meinen beiden kleinen Kindern zog. Hier wohnten überwiegend Bergmänner, die in der Grube „Boleslaw Smialy“ beschäftigt waren, mit ihren Familien. Da meine Kinder ein Altersunterschied von vier Jahren trennt, musste ich acht Jahre lang um 06:30 Uhr in der Früh zum einzigen Kindergarten gehen, der zur Kohlengrube gehörte, und danach weiter zur Bushaltestelle am Rathaus eilen, um den Bus um 7:05 nach Mikolow zu erwischen. Auf dem großen Platz im Zentrum dieser Stadt befand sich eine Bushaltestelle, wo ich nach Tychy umsteigen musste. Ich habe dort im Gesundheitsamt gearbeitet, und wenn es mir gelang, um halb acht in Mikolow umzusteigen, bin ich trotzdem jeden Tag zwanzig Minuten zu spät im Amt angekommen. Unannehmlichkeiten habe ich deswegen aber nicht bekommen, weil der Chef wusste, dass es für mich keine andere Verbindung gab.
Die rot bemalten Busse hatten damals noch ganz einfache Türen, die man selber aufmachen und schließen musste. Die Busse waren nicht immer pünktlich und jeden Tag gab es dasselbe Theater auf der weiteren Fahrt nach Tychy. Der Bus war in den Morgenstunden dermaßen überfüllt, dass die Menschen wie Trauben an den Treppen hängenblieben, um weiterzukommen. Der nächste Bus ist erst nach zwanzig Minuten gekommen und die meisten Bewohner der Stadt waren auf den Bus angewiesen, wenn sie nach Tychy oder weiter nach Bierun oder Auschwitz fahren wollten. Nur wenige Menschen konnten sich in den Sechzigerjahren ein Auto leisten. Es war ein Kampf hineinzukommen und ich musste oft auf einem Bein zwischen den anderen Passagieren stehen. Der Busfahrer, der sich an den Fahrplan halten wollte, hat den überfüllten Bus bei offenstehenden Türen in Fahrt gebracht, und die an der Treppe dicht aneinandergedrängten Menschen haben sich an den Innengriffen der Türrahmen festgehalten, die jederzeit abbrechen konnten. In Tychy angekommen hatte ich noch zwanzig Minuten zu Fuß zum Amt. Obwohl ich mich sehr beeilen musste, habe ich den Weg genossen, weil ich durchatmen konnte.
Es waren extrem schwere Jahre für mich, die ich durchhalten musste. Ich war aber jung und gesund, und an jedem späten Abend war ich froh, wenn ich mit allen Pflichten und geplanten Arbeiten fertig geworden war. Das Haus, in dem ich die kleine Wohnung bekam, war ein Neubau, aber es hatte keine Zentralheizung. Jeden Abend, wenn die Kinder schon schliefen, holte ich die Kohle für den nächsten Tag in den zweiten Stock, und mit dieser Tätigkeit war der Tag für mich erst abgeschlossen. Das waren Jahre ohne freie Wochenenden und Urlaub.
Meine einzige Schwester Toni, die neun Jahre älter war als ich, wohnte damals mit ihrem Mann Kurt und den beiden kleinen Kindern Halinka und Kornelius in der Stadt Beuthen, die nahe der Stadt Katowice liegt. Seitdem meine Schwester das Elternhaus in Bielitz mit neunzehn Jahren verlassen hatte und mit ihrem Mann nach Beuthen gezogen war, pflegte sie einen engen Kontakt zu mir. Ich war erst zehn Jahre alt gewesen, als sie uns verlassen hatte. Sie besuchte mich aber in Bielitz regelmäßig mit Kurt, der damals den Militärdienst als Deutscher unter der Erde in einer Grube in Beuthen leisten musste. In den späteren Jahren lief der Kontakt per Telefon während der Arbeit im Büro oder wir tauschten Briefe aus. Das war in der Zeit, in der sehr wenige Menschen sich ein Telefon zu Hause leisten konnten. Wir haben uns trotzdem unser Leben lang nicht aus den Augen verloren.
Im Jahre 1968 wollte ich mit meinen beiden Kindern, die fünf und neun Jahre jung waren, in meinen ersten Urlaub fahren. Ich habe von der Firma meiner Schwägerin kostenlos ein Campinghäuschen, das sich in den Bergen befand, zur Verfügung gestellt bekommen. Ein solches Angebot wollte ich mir nicht entgehen lassen. Als ich meiner Schwester von dem Urlaub erzählte, fragte sie mich plötzlich, ob ich ihre Tochter Halinka mitnehmen würde. Ich habe mir bei der Frage nichts gedacht, wunderte mich aber, dass sie keinen Urlaub für diesen Sommer planten. Ich war natürlich einverstanden, und so bin ich dann mit meinen Kindern und der damals zwölfjährigen Halinka in die Berge in die kleine Touristenstadt Weishell gefahren, die an der südlichen Grenze Polens lag. Aus dem Zentrum der kleinen Stadt führte uns ein steiler Weg zu unserem Urlaubsziel. Es hat genieselt und fast eine Stunde lang gedauert, bis wir mit unseren Rucksäcken auf dem Berg angekommen waren. Auf dem kleinen Campingplatz auf der Alm befanden sich circa zwölf kleine Campinghäuser. Rundherum stand ein dichter Wald und neben den Häusern sprudelte ein Bach. Einfach herrlich! Es war kein Mensch zu sehen. Das Campinghaus war klein und die Ausstattung bescheiden. Wir hatten vier einfache Klappbetten zur Verfügung, weiters standen ein kleiner Tisch und vier Stühle darin. Zum Kochen gab es einen kleinen Kocher mit einer Platte. Das alles hat mich aber nicht erschreckt. Wichtig war, dass die Kinder aus der Stadt weg waren und die frische, kristallreine Luft atmen konnten. Die Kinder haben sich schnell eingelebt, der dichte Wald, der sprudelnde Bach, das waren natürlich Attraktionen für die Kinder und sie haben trotz des Nieselns Stunden am Ufer spielend verbracht, und die kleinen, zahlreichen Salamander haben zusätzlich Spaß gemacht. Jeden Tag nach dem Frühstück haben wir uns alle gleich auf einen Wanderweg begeben und die Bauern in der Gegend aufgesucht, um Eier, Butter und Quark einzukaufen. Den bescheidenen Rest wie Obst und Brot haben wir aus dem Städtchen holen müssen. Da hatten wir schon nach unserer Rückkehr den halben Tag hinter uns. Während ich mich schnell um das Mittagessen kümmerte, haben die Kinder am Bach gespielt und ich freute mich, dass sie dort so viel Spaß hatten. Nachdem das Mittagsessen auf dem Tisch stand, ging ich zum Bach, um die Kinder zu holen und zu sehen, was sie sich da aus den Steinen alles gebaut und einfallen lassen hatten. Ich staunte, die Kinder hatten Fantasie! Die Beschäftigung mit den Steinen hat die Kinder doch am Bach gehalten und machte sichtbar Freude. Die Sonne wollte sich in diesen Tagen nicht richtig zeigen, es hat überwiegend genieselt und war kühl. Die Kinder haben ständig die Pelerine tragen müssen, aber das hat sie nicht gestört. An all den Tagen hatte ich keine Urlauber auf der Alm und auf den Wegen durch die Berge getroffen. Zum Nachdenken hatte mich die Tatsache nicht gebracht, ich dachte, dass die Leute sich einfach im Campinghaus die Zeit vertrieben oder unterwegs waren.
Ich hatte mit den Kindern kaum eine Woche in den Bergen verbracht, da weckte mich eines Tages – um 03:00 Uhr in der Früh – eine heftige Detonation! Sie war ganz nah und die Angst raubte mir sofort den Atem. Da ich wie ein Hase schlief, bin ich gleich erschrocken aus dem Bett hochgesprungen und ging wie ich war vor das Häuschen. Plötzlich hörte ich die nächste Detonation und Schüsse! Was war da los? Die Geräusche kamen von ganz nah. Dann schaute ich endlich genauer hin und merkte, dass an allen Campinghäusern eine Kette mit einem Vorhängeschloss hing! Das hat mich noch zusätzlich erschreckt, weil mir in diesem Moment klar wurde, dass ich mit den Kindern alleine auf der Alm war! Die Kinder haben tief geschlafen und nichts mitbekommen. Ich fing schnell an, unsere Sachen zu packen und das Frühstück vorzubereiten. Das schlechte Wetter war Ausrede genug, um den Urlaub abzubrechen. Erst bin ich mit den Kindern zu meinen Eltern nach Tychy gefahren, und als ich erzählte, was ich in der Früh erlebt hatte, sagte der Vater zu mir: „Bei uns haben die Fensterscheiben gezittert, wir haben es auch mitgekriegt.“ Mehr wollte er vor den Kindern nicht sagen, nur, dass ich zu Hause Radio einschalten sollte. Die Eltern haben jeden Tag die Nachrichten im Radio verfolgt und wussten, was los war. Dann zeigte mir die Mutter einen Brief von Toni, der grade angekommen war. Er war an mich adressiert. Ich machte schnell den Umschlag auf und las folgende Worte: „Liebe Maria, bitte kümmere Dich um unsere Halinka! Wir sind in den Urlaub nach Österreich gefahren und kommen nicht mehr zurück.“ Diese Nachricht hat das Kind nicht erschreckt, es schien, dass es sie noch nicht so richtig verstand.
Ich bin mit den Kindern zurück nach Hause gefahren. Ab diesem Zeitpunkt habe ich regelmäßig Radio angehört. Es wurde über den Aufstand in der Tschechei berichtet. Das Land befand sich im Krieg. Kurz danach habe ich an einem Nachmittag Besuch vom staatlichen Geheimdienst bekommen. Der Mann fragte mich genau aus, stellte gezielte Fragen, wollte alles über meine Schwester und meinen Schwager wissen, aber ich konnte auf seine Fragen keine Antwort geben, weil mich Toni nicht in ihre Fluchtpläne eingeweiht hatte. Und das war richtig so, denn ich konnte wirklich keine Auskunft geben. Der Mann hat sich in meiner bescheidenen Wohnung umgeschaut und ist nicht wiedergekommen. In dem zweiten Brief, der schon nach Laziska Gorne adressiert war, bat mich meine Schwester um die Liquidation ihrer Wohnung in Beuthen.
Die Sache mit dem Umzug war schnell erledigt. Mein Bruder Fritz hat mir mit seiner Frau und seinem Freund geholfen und wir haben uns sehr beeilt, die Wohnung zu leeren. Wir waren uns nicht sicher, ob uns doch jemand dabei hindern würde. Der Transporter, mit dem wir aus Tychy nach Beuthen gekommen waren, stand im Hof des Hauses, das zu der Firma gehörte, in der mein Schwager tätig war. Als wir die Möbel aus der Dreizimmerwohnung trugen, schauten uns die Nachbarn durch die Fenster schweigend zu, aber niemand stellte eine Frage, niemand sprach uns an, wahrscheinlich deswegen, weil sie mich als Schwester erkannt haben. Trotzdem haben wir in Eile gearbeitet, die Wohnung abgeschlossen und sind schnell weggefahren. Nachdem die Wohnung ausgeräumt war, wollte ich nach ein paar Tagen nochmal nach Beuthen fahren, um den Rest zu beseitigen und aufzuräumen. Meine zwölfjährige Nichte Halinka wollte mitfahren, also nahm ich das Kind mit. Als sie die leere Wohnung erblickte, fing sie bitterlich zu weinen an. Sie hatte begriffen, dass sie verlassen worden war. Sie tat mir in diesem Moment unheimlich leid und ich bereute es, dass ich sie mitgenommen hatte.
Ich habe meine Nichte in der Schule in Laziska Gorne angemeldet und Halinka ging mit meiner ältere Tochter Renate um 7:45 Uhr allein zur Schule, während ich das Haus mit meiner jüngeren Tochter Neli schon um 6:25 Uhr verlassen musste.
Ich habe nicht daran geglaubt, dass das Kind irgendwann aus Polen herauskommen würde, da die Grenzen zu waren, deswegen habe ich mich noch im selben Jahr um eine größere Wohnung gekümmert. Ich bin noch im November 1968 nach Tychy gefahren und suchte die Wohnungsgesellschaft Oskard auf. Das war die einzige Möglichkeit, eine Wohnung zu bekommen, weil die Stadt Tychy immer noch ausgebaut wurde. Mit jedem Jahr entstanden neue Siedlungen. Diese wurden mit Buchstaben bezeichnet und in Bau war erst die Siedlung E. Die nette Dame, mit der ich dort sprach, wollte wissen, wo ich arbeite und ob ich einen gut verdienenden Mann habe. Die neuen Wohnungen waren ja sehr teuer und ich habe damals im Gesundheitsamt nur 931 Zloty verdient. Das war sehr wenig! Ich war aber die jüngste Angestellte des Amtes. Als sie hörte, dass ich alleine bin und im Gesundheitsamt arbeite, sagte sie gleich mit Bedauern in der Stimme, dass ich auf eine Wohnung keine Chance habe. Das Gesundheitsamt galt eben als eine arme „Firma“, die über kein Geld für Wohnungszuschüsse verfügte. Ich war erstmal sprachlos. Ich dachte kurz nach und dann wagte ich ganz langsam und leise eine Frage auszusprechen: „Weil ich eine alleinstehende Mutter bin und mein Arbeitgeber kein Geld für einen Wohnungszuschuss hat, haben meine drei Kinder kein Recht auf normale Wohnverhältnisse?“ Jetzt war die nette Dame sprachlos. Da ich immer noch dastand, sagte sie nach einer Weile auch ganz leise und langsam zu mir: „Kommen Sie in einem Monat wieder zu mir.“ Das war unser ganzes Gespräch. Als ich nach einem Monat, vor Weihnachten 1968, die Wohnungsgesellschaft wieder aufsuchte, empfing mich die nette Dame mit Freude in der Stimme und sagte: „Sie haben Glück! Die Kommission unserer Wohnungsgesellschaft hat Ihren Fall untersucht und hat einen Zuschuss für Ihre künftige Wohnung bewilligt! Sie bekommen 19.600 Zloty Zuschuss von uns, aber sie müssen noch alleine 9.600 Zloty aufbringen. Sie haben wirklich Glück, weil es weitere Zuschüsse überhaupt nicht mehr geben wird. Das war die letzte Sitzung in diesem Jahr – zu diesem Zweck.“ Das war eine richtige Überraschung. Das war ein riesiges Geschenk, wie ein Lottogewinn! Die Wohngemeinschaft hatte mir 19.600 Zloty geschenkt! Okay, aber woher sollte ich die fehlenden 9.600 Zloty noch bekommen? Ich hatte keine Ersparnisse, ich war ja erst 28 Jahre alt. Mein Vater hat die Situation natürlich gerettet, er hat mir die fehlende Summe gegeben und ich wurde in die Warteliste für eine Wohnung aufgenommen.
***
Meine Nichte Halinka hat sich schnell an die neue Lebenssituation gewöhnt. Sie war ein kluges Kind mit einem hellem Kopf und eine sehr gute Schülerin. Auch in der Klasse hat sie schnell Anschluss gefunden und Kameradschaften geknüpft.
Anfangs gab es keine Hoffnung, dass das Kind legal aus Polen ausreisen konnte, aber nach zwei Jahren hat sich die Situation doch geändert und sie durfte das Land verlassen. Es hieß, im Rahmen der Familienzusammenführung. Ich habe sie am Tag der Abreise mit meinem Bekannten nach Warschau begleitet. Dieser kannte die Stadt wie seine eigene Hosentasche, weil er dort geboren worden war. Er liebte die Stadt und besuchte sie mehrmals pro Jahr, weil er sehen wollte, wie sie sich entwickelt und was sich verändert hatte. Er half mir, wo er konnte – ohne seine Hilfe wäre ich total ratlos gewesen und die Sache war ja ernst. Halinka und ich waren um 04:00 Uhr morgens aufgestanden, die Verbindung sollte doch klappen, um den Flieger aus Warschau nach Wien nicht zu verpassen. Meine Nichte hatte vor dem Fliegen keine Angst und das war für mich schon sehr beruhigend.
Um dieselbe Zeit warteten die Eltern auf dem Flugplatz in Wien auf ihre Tochter. Als wir so auf die Ansage des Fluges nach Wien warteten, schlug das Wetter um und der Flug nach Wien wurde abgesagt. Man hat umdisponiert und das Kind ist erst nach Paris geflogen, wo es umsteigen mußte, um weiter nach Wien zu fliegen. Halinka ist mit einer sehr großen Verspätung in Wien angekommen. Man hat die Wartenden in Wien nicht darüber informiert, dass der Flug aus Warschau nach Wien nicht hatte stattfinden können! Die Eltern haben schreckliche Stunden der Ungewissheit und Angst erlebt, aber sie haben konsequent so lange gewartet, bis sie schließlich ihre Tochter in die Arme schließen konnten.
Das Kind war in der neuen Heimat aber nicht glücklich. Ich habe Briefe von ihr bekommen mit der Nachricht, dass sie zurückkommen möchte. Zu Hause bei den Eltern durfte sie nicht bleiben, sie wurde – so verlangte es das Gesetz – mit anderen gleichaltrigen Kindern, die aus verschiedenen Ländern stammten und auch wie sie erst Deutsch lernen mussten, in einem Internat untergebracht. Das Leben unter einem Dach mit den fremden Kindern hat sich nicht gerade erfreulich gestaltet, deswegen wollte sie unbedingt zurück.
***
Nach fünf Jahren Wartezeit hat sich im Jahre 1973 die Wohnungsgemeinschaft in Tychy bei mir gemeldet. Man hatte mich schriftlich informiert, dass ich eine Wohnung zugeteilt bekommen sollte und gratulierte mir sogar zu diesem Ereignis. Nachdem ich die gute Nachricht erhalten hatte, bin ich eines Tages nach Tychy gefahren und habe mich bei der Wohnungsgemeinschaft gemeldet. Diesmal hat mich eine andere Dame empfangen. Sie gab mir den Schlüssel und die Adresse der zugeteilten Wohnung und erklärte mir den Weg zu der Siedlung D, in der sie sich befand. Das Hochhaus habe ich gleich gefunden. Die Wohnung befand sich im achten Stock. Ich öffnete sie mit klopfendem Herzen und bin ganz erschrocken im ersten Zimmer stehengeblieben. Die Wohnung hatte denselben Grundriss und dieselbe Größe von 35 Quadratmetern wie die in Laziska Gorne. Außerdem habe ich festgestellt, dass an der längsten Wand im ersten Zimmer der Heizkörper in der Mitte der Wand befestigt worden war. Noch dazu war die Miete viermal höher als meine bisherige. Sehr enttäuscht bin ich in die Wohnungsgemeinschaft Oskard zurückgekommen, habe den Schlüssel abgegeben und gesagt, dass ich dazu bereit bin, weitere Jahre abzuwarten, bis man vernünftige Wohnungen in der Stadt bauen wird. Die Dame sagte daraufhin nichts – sie wusste genau, was für eine Wohnung man mir angeboten hatte. Die Sache war für mich vorläufig erledigt.
Die folgenden Jahre, die mit Pflicht und ständiger Arbeit erfüllt waren, gingen schnell vorbei, aber ich hatte auch viel Zeit zum Nachdenken. Ich habe mir einen Plan zurechtgelegt, um unsere Wohnsituation zu verbessern. Es ging darum, wie ich meine zukünftige Wohnung in Tychy annehmen und dabei gleichzeitig die in Laziska Gorne behalten konnte. In meiner Stadt hat nur die Grube „Boleslaw Smialy“ ein paar Häuser bauen können, weil sie den Bau für die Bergmänner auch finanzieren konnte. Die Stadt selbst war arm und konnte keine Häuser bauen. Meine ältere Tochter war erst vierzehn Jahre alt und ich war dazu bereit, die nächsten vier Jahre, bis sie volljährig wurde, abzuwarten. Diese beiden Tatsachen habe ich in meinen Plan eingebaut. Ich war überzeugt davon, dass dies mir bei der Durchführung meines Planes behilflich sein würde. Als es dann so weit war und meine Tochter volljährig war, bin ich eines Tages in das Rathaus im Ort gegangen. Ich habe aber nicht die Wohnungsabteilung aufgesucht, sondern im Sekretariat um ein persönliches Gespräch mit dem Bürgermeister gebeten. Dieser hat mich freundlich empfangen und auch mein Anliegen geduldig angehört. Sein freundliches Verhalten mir gegenüber hat mir mein Vorgehen sehr erleichtert und am Schluss rückte ich mit meiner gut überlegten Frage heraus: „Ich möchte Sie fragen, ob Sie mir eine größere Wohnung geben können. Wie gesagt, meine beiden Töchter sind fast erwachsen und wir treten uns schon auf die Fersen, so klein ist meine Wohnung für uns drei.“ Seine Antwort überraschte mich nicht, ich hatte sie erwartet! Ich wusste, was er sagen würde, weil die Stadt doch keine Wohnungen zur Verfügung hatte. Ich habe diese Antwort in meinem Plan eingebaut. Er sagte mir also, dass er mir leider keine größere Wohnung geben könne, weil er keine hatte. Mir ging es nur darum, dass der Bürgermeister sich an mich und unser Gespräch erinnern würde, wenn ich später nochmal wegen meines Anliegens zu ihm kommen würde. Ich habe dann bewusst zwei Monate abgewartet, dann wieder das Sekretariat des Bürgermeisters aufgesucht und erneut um ein persönliches Gespräch mit ihm gebeten. Er hat mich wieder sehr freundlich empfangen. In seinem Gesicht konnte ich aber eine Frage ablesen. Deswegen fragte ich ihn auch gleich, ob er sich an mich und mein Anliegen erinnerte. Natürlich hat er das. Alles ist nach meinem Plan weitergelaufen und ich richtete meine nächste Frage an ihn: „Wenn ich eine Lösung für mein Problem finden würde, würden Sie mir dabei helfen?“ „Aber natürlich“, sagte er sofort und überraschend für mich. Ich war gerettet! Mein Plan hatte funktioniert! Und ich fragte ihn weiter: „Wenn ich zum Beispiel mit der jüngeren Tochter in eine andere Stadt umziehen würde, wären Sie dann dazu bereit, die kleine Wohnung meiner volljährigen Tochter zuzuteilen? Damit wäre uns sehr geholfen.“ Der Bürgermeister sagte nach ein paar Sekunden höflich: „Legen Sie Ihre Wohnungssituation schriftlich dar und geben Sie das Schreiben bei unserem Juristen in der Rechtsabteilung ab. Er ist schon über Ihren Fall informiert.“ „Das ist ja ein Ding“, dachte ich überrascht. Ich bedankte mich sehr für seine Freundlichkeit und das Entgegenkommen und ging zufrieden nach Hause zurück. Trotzdem war ich überrascht, dass mein Plan geklappt hatte.
Nachdem meine ältere Tochter problemlos unsere kleine Wohnung zugeteilt bekommen hatte, bin ich nach den weiteren vier Jahren nach Tychy gefahren und habe die Wohngesellschaft wieder aufgesucht. Meine Akte war nach so vielen Jahren nicht leicht zu finden. Man hatte sie in drei Büros gesucht und vorläufig nicht gefunden. Dann hatte sich eine Angestellte gefunden, die sich an meinen Fall erinnerte und schließlich hat diese meine Akte in einem Schreibtisch in der untersten Schublade gefunden. Die nette Dame hat sich meine Akte genau angeschaut und vor allem geprüft, wie lange ich schon auf die Wohnung gewartet habe. Dann fragte sie mich freundlich, warum ich die vor vier Jahren angebotene Wohnung nicht angenommen habe und ich konnte ihr jetzt den Grund erklären. Daraufhin habe ich erfahren, dass schon seit Jahren schönere und größere Wohnungen in der Stadt gebaut wurden und dass sie mir jetzt wegen der langen Wartezeit von neun Jahren zwei Wohnungen zur Auswahl geben würde. Ich war überrascht und freute mich, dass sie mir so freundlich entgegenkam. Ihre Haltung mir gegenüber machte mich einfach glücklich.
Die zwei Wohnungen befanden sich in der Siedlung mit dem Buchstaben W, die weit vom Zentrum der Stadt und auch von der Wohngesellschaft entfernt lag. Ich musste den Bus nehmen. Beide waren überraschend groß, sehr schön und trotz Erdgeschoßlage sehr hell. Nachdem ich mich für eine Wohnung entschieden hatte, fuhr ich zur Wohngesellschaft zurück.
Da ich diese nun endlich annehmen musste und auch wollte, bekam ich noch an diesem Tag die Zuteilung in die Hand. Da sagte ich mit Bedauern, dass ich doch lieber in der Stadt Mikolow als in Tychy gewohnt hätte. Kaum hatte ich das ausgesprochen, kam die nächste frohe Überraschung. Die Dame sagte nämlich gleich, dass in der Stadt Mikolow auch gebaut wurde. Es wurden gerade eben noch zwei Häuser fertig gebaut und verteilt. „Dort könnten Sie nachfragen, ob jemand die Wohnung mit Ihnen tauschen möchte.“ Das war die perfekte Lösung für mich! Das war tatsächlich ein Glücksfall für mich, weil die Wohnungen zwar zugeteilt worden, aber die künftigen Bewohner noch nicht eingezogen waren. Die nette Dame gab mir die Adresse der Wohngesellschaft in Mikolow und ich habe auf meinem Rückweg nach Hause auch gleich diese aufgesucht. Hier ging es problemlos weiter. Ich bekam die Adresse von einem jungen Ehepaar, das in einem der neu gebauten Häuser in Mikolow eine Zweizimmerwohnung zugeteilt bekommen hatte und lieber in Tychy gewohnt hätte. Ich habe mich sofort mit den jungen Menschen in Verbindung gesetzt und als sie meinen Vorschlag über den eventuellen Umtausch der Wohnungen hörten, waren sie sofort dazu bereit, sich meine Wohnung in Tychy anzuschauen. Ich hatte also wieder Glück. Sie gefiel ihnen sofort und sie haben sich gleich dazu entschieden, sie anzunehmen. Sogar die Lage der Wohnung in der Siedlung W hat den jungen Menschen entsprochen. Nach so vielen Jahren und Strapazen konnte ich mein Wohnungsdilemma endlich lösen. Auch meine ältere Tochter war zufrieden, dass sie jetzt unsere kleine Wohnung in Laziska Gorne für sich alleine nutzen durfte. Nach dem Abitur hat meine Tochter eine Stelle in der Universitätsbibliothek in Katowice angenommen und somit konnte sie schon auf eigenen Beinen stehen. Alle waren zufrieden!
Im Jahre 1979 bin ich dann von Laziska in die schöne und ruhige Stadt Mikolow umgezogen. Meine jüngere Tochter war damals 16 Jahre alt. Unsere neue Wohnung befand sich im zweiten Stock eines vierstöckigen Hauses, das sich an der Hauptstraße befand, die nach Tychy führte, und aus Betonplatten gebaut worden war. Zum Zentrum hatten wir nur 15 Minuten zu Fuß. Wir alle hätten Grund gehabt, zufrieden zu sein, wenn sich die politische und vor allem die wirtschaftliche Lage im Lande nicht so rapide verschlechtert hätte.
***
Ein paar Monate später reichte das Geld plötzlich nicht mehr zum Leben. Die Lebensmittelpreise stiegen in kürzester Zeit und meine Rente, die ich aus gesundheitlichen Gründen seit Jahren bezogen hatte, reichte plötzlich nur noch für die ersten beiden Wochen im Monat. Die teuerste Ware in den Achtzigerjahren waren eben die Lebensmittel geworden. Nicht nur mir hat die Rente nicht gereicht, sondern auch den Arbeitern und Kleinangestellten der Lohn. Die Menschen in der Stadt haben sogar laut über das Problem zu sprechen angefangen. Die Unzufriedenheit hatte Monat für Monat zugenommen, und als die Regierung Polens im Herbst 1981 wieder die Preise für die Lebensmittel erhöhen wollte, gingen die Menschen im Land auf die Barrikaden. Die ersten Unruhen gab es in der Helling in Danzig unter Lech Walesa, der eine freie und unabhängige Gewerkschaft, die „Solidarnosc“, gründete.
Damit hat er in Polen eine gewaltige Volksbewegung ausgelöst. Das war der erste Aufstand gegen das sozialistische Regime, nicht nur in Polen, sondern überhaupt in ganz Europa!
Am 13. Dezember 1981, einem Sonntag, ging ich wie immer in der Früh ins Bad und schaltete um 06:00 Uhr das Radio an. Was ich da hörte, ließ meinen Atem stocken. Wir hatten Krieg! Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich realisieren konnte, dass die polnische Regierung einen Bruderkrieg in Kauf nahm. Wie ich später erfahren habe, war der Krieg schon in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember per Radio proklamiert worden.
Ich konnte die Stunden bis Montag nicht abwarten. Ich machte mich gleich am Montagmorgen auf den Weg ins Zentrum, um zu sehen, was sich in der Stadt tat. Ich eilte voller Angst und mit pochendem Herzen die Hauptstraße entlang zum Rathaus. Und tatsächlich, das, was ich da sah, war überwältigend! Der riesige Platz vor dem Rathaus wurde belagert. Die Menschenmenge war in Bewegung und redete laut. Ich blieb in der engen, kurzen Straße, die zum Platz führte, stehen – in das Gedränge wollte ich nicht hinein. Plötzlich merkte ich, dass die Straße hinter mir auch schon voller Menschen war und um mich herum wurde es eng. Ich wollte mich schnell zurückziehen, aber es gab keine Möglichkeit mehr. Ich wurde zusammengedrückt und in diesem Moment habe ich das Bewusstsein verloren. Ich wachte im Krankenhaus auf, wo mir ein junger Arzt sagte, dass an diesem Vormittag noch sehr viele weitere Menschen in das Krankenhaus eingeliefert worden waren und dass alle Geschäfte heute geschlossen blieben. Die Stimme des netten Arztes war von tiefem Mitgefühl erfüllt. Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause. Die Angst saß mir weiterhin im Nacken und ich wählte die kleinen Nebenwege, die mich parallel zur Hauptstraße nach Hause führten.
An diesem Tag konnte ich nichts einkaufen, ich bin nach diesem beängstigenden Erlebnis mit leeren Händen nach Hause zurückgekommen.
Am nächsten Tag ging ich wieder frühmorgens in die Stadt, um einzukaufen. Das Bild, das sich mir nun bot, war ungewöhnlich. Die Mitte des Platzes war zwar frei, aber vor jedem Geschäft war eine unglaublich lange, doppelte Schlange und vor der Tür des Metzgers, der Molkerei und des Lebensmittelgeschäfts stand jeweils ein Soldat mit einem Gewehr auf der Brust! Die Menschen standen still und ich stellte mich am Ende der Schlange dazu. An diesem Tag konnte ich auch nichts kaufen, weil die Lieferung so knapp gewesen war, dass nur wenige Personen von dem kleinen Angebot Gebrauch machen konnten. Außerdem waren die Regale in allen Geschäften leer! Um etwas Essbares zu bekommen, bin ich dann jeden Tag früher aus dem Haus gegangen. Vor der Molkerei stand ich einmal eineinhalb Stunden in der Schlange und habe nur noch 250 Gramm Quark bekommen, der auch rationiert wurde. Die Milch und der gelbe Käse waren schon ausverkauft. Es gab nichts anderes mehr. Meine 16-jährige Tochter, die glaubte, nicht ohne Fleisch auskommen zu können, hat dann die Initiative ergriffen. Sie hat sich den Wecker am Abend auf 03:00 Uhr
gestellt, ist schlafen gegangen und tatsächlich um 03:00 Uhr aufgestanden, um sich beim Metzger in die Schlange zu stellen. Hier gab es aber auch keine Auswahl; die Lappen, die auf den Haken hingen, waren nur für die Suppe geeignet und die Schlange vor dem Metzger war lang! Ich habe meine Tochter still bewundert, sie fürchtete den Weg zu der frühen Stunde nicht.
***
Zur Zeit des Bruderkrieges haben meine Schwester und ich uns weiterhin regelmäßig Briefe geschrieben. Sie wollte genau wissen, wie es uns geht, und ich war auch auf ihre neue Heimat neugierig, in der sie seit 1968 lebte. Ihr Mann als Ingenieur hatte damals sofort eine gute Stelle in München bekommen, sie waren beide mit ihren Zukunftsaussichten zufrieden. Toni hat mich in dieser Zeit finanziell unterstützt, vier Mal im Jahr überwies sie mir 150 DM. Ohne ihre finanzielle Hilfe wäre es für uns drei kritisch geworden und mein Herz hätte geblutet, hätte ich meine Töchter in die Fabrik statt auf ein Gymnasium schicken müssen.
Eines Tages, das war schon im Sommer 1982, habe ich von meiner Schwester, die mit ihrem Mann in Urlaub in Italien weilte, eine Postkarte bekommen. Sie haben schon damals einen Wohnwagen gehabt und sind jedes Jahr nach Italien gefahren. Auch dieses Mal waren sie schon dort und warteten auf den Besuch von ihrem Sohn. Dieser hatte Polen mit fünf Jahren verlassen, war inzwischen zwanzig Jahre alt und in München bei der Bundeswehr bei der Radarüberwachung tätig. Er bekam einen Kurzurlaub und wollte ihn mit den Eltern am Meer verbringen. Die Freude darüber wie auch über das schöne Wetter und den sonnigen, sauberen Strand war groß.
Ich freute mich sehr über die guten Nachrichten.
***
Nachdem ich die Postkarte erhalten hatte, habe ich monatelang nichts mehr von meiner Schwester gehört. Dann, eines Tages, habe ich einen langen Brief erhalten. Dieser brachte aber keine guten, erfreulichen Nachrichten. Er war ausführlich und voller Kummer um den einzigen Sohn. Dieser hat wie geplant seinen Kurzurlaub mit den Eltern am Meer verbracht. Nach dem ersten Bad im Meer zeigte er seiner Mutter seine Achseln, die ihm Sorgen machten. Meine Schwester tastete sie ab und stellte auch fest, dass die Lymphdrüsen verdächtig hart und geschwollen waren. Nach dem zweiten Bad klagte er schon über Schmerzen in den Lymphdrüsen. Als er dann zurück nach München zu seiner Einheit musste, hat er den Eltern versprochen, sich von einem Arzt untersuchen zu lassen. Die Eltern waren aber dermaßen beunruhigt, dass sie sich dazu entschließen, den Urlaub zu unterbrechen. Sie packten ihre Sachen zusammen und fuhren mit dem Wohnwagen auch gleich nach München zurück. Die weitere Nachricht im Brief war erschreckend, sie haben ihren Sohn nämlich auf einer Krebsstation im Krankenhaus im Münchener Stadtteil Schwabing vorgefunden. Die Blutuntersuchungen waren noch nicht abgeschlossen und weder er noch die Eltern ahnten, was da auf sie zukommen würde. Dann kam die schreckliche Diagnose: Leukämie! Ich konnte zwischen den Zeilen dieses Briefes spüren, wie verzweifelt meine Schwester und mein Schwager waren. Dem Sohn ist es nicht anders ergangen. Man verordnete ihm eine Therapie, die nach dem neusten Stand der Wissenschaft zusammengestellt worden war. Sie bestand aus zwei Therapiestufen, den Verlauf steuerte ein Computerprogramm. Nach der ersten Stufe durfte er zur Erholung nach Hause gehen. Toni hat ihren Sohn zu sich genommen, obwohl er damals schon verheiratet war. Als er dann zurück ins Krankenhaus kam, stellte er fest, dass viele Betten nicht mehr belegt waren. Er fragte nach und erfuhr, dass die Zimmergenossen verstorben waren.
In der zweiten Behandlungsphase ist es ihm von einem Tag auf den anderen immer schlechter ergangen. Als er dann so schwach wurde, dass er nicht mal mehr die Treppe hinaufsteigen konnte, leistete er Widerstand und verweigerte die beiden letzten Spritzen. Die Ärzte standen um sein Bett herum und wollten ihm klar machen, dass eine weitere Therapie nötig sei. Aber Tonis Sohn blieb bei seiner Entscheidung, die ihm letztendlich das Leben gerettet hat. Bei seiner Entlassung aus dem Krankenhaus konnte er nichts mehr essen, selbst Kamillentee hat er ausgespuckt. Seine Organe versagten und als Nebenwirkung der „Therapie“ bekam er eine schwere Hepatitis. Er war physisch und psychisch am Ende seiner Kräfte. Bei seiner Entlassung war sein Zustand mehr als Besorgnis erregend und er wurde als schwieriger Patient abgestempelt. Nach ärztlicher Diagnose war die Überlebenszeit nur noch sechs bis sieben Monate. Diese Prognose hatte man im Beisein der Eltern und seiner Frau ausgesprochen. Letztere, hat ihn anschließend verlassen und die Scheidung eingereicht mit der Begründung, dass sie nicht mit einer lebenden Leiche leben will.
Der Inhalt dieses Briefes war für mich erschreckend. Mein Neffe tat mir wahnsinnig leid. In meiner Erinnerung als Fünfjähriger war er immer gut gelaunt und zufrieden und ohne jede kleinste Forderung an das Leben.
Danach hofften die Eltern, dass ihr Sohn in der Natur neue Lebenskraft erfahren möge. Erst haben sie sich alleine auf die Suche gemacht, um einen Stellplatz für ihren Wohnwagen zu finden. An vielen Orten haben sie nachgefragt, aber keinen gefunden. Als sie dann bei dem letzten Campingplatzbesitzer auch keinen Platz gefunden haben, wollten sie schon aufgeben und zurückfahren. Der Wirt war aber ein empathischer Mensch und merkte, dass die beiden traurig waren, was nicht typisch für Urlauber war. Er fragte nach, was der Grund dafür sei. Meine Schwester war schon am Gehen, da drehte sie sich nochmal um und sagte, dass sie ihren todkranken Sohn nur noch an die frische Luft bringen wollten. Der Wirt hakte nach und wollte wissen, um welche Krankheit es sich handelte. Daraufhin antwortete Toni, dass ihr Sohn Leukämie hat. Der Wirt lachte plötzlich und sagte: „Ja wenn es weiter nichts ist. Das hat meine Frau auch gehabt.“ Meine Schwester reagierte ganz verwirrt! Wie getrieben fragte sie nach und erkundigte sich, wie es der Frau des Wirtes ging und ob sie noch am Leben sei. Der Wirt lachte wieder und antwortete: „Ja, freilich, sie lebt!“ Somit kam meine Schwester mit dem Wirt ins Gespräch und erfuhr, dass seine Frau vor fünfzehn Jahren auch an Leukämie erkrankt war. Im weiteren Verlauf des Gesprächs hat meine Schwester die ganze Krankengeschichte erfahren, den erfolglosen Weg von Arzt zu Arzt, bis sie dann endlich unerwartet von einem Heilpraktiker geheilt worden war. Meine Schwester war wie elektrisiert und bat den Wirt um die Adresse des Heilers. Er holte einen Zettel und einen Kugelschreiber und schrieb die Adresse und die Telefonnummer des Heilers auf. Der Name war Pater Ober. Die Eltern sind mit ihrem kranken Sohn sofort und ohne Termin zu Pater Ober nach Aschau gefahren. Er brauchte nicht zu warten, Pater Ober hat sich wegen seines elenden Zustands sofort seiner angenommen.
Kornelius war so geschwächt, niedergeschlagen und verzweifelt, dass er anfangs nicht bei der Therapie mitmachen wollte. Pater Ober wandte eine Blutwäsche mit Ozon an und verordnete lange Spaziergänge tagsüber. Dabei sollte er fünf Liter Tee trinken. Er sagte ihm auch klipp und klar, dass er mitmachen müsse, sonst könne er ihm nicht helfen. Meine Schwester war diszipliniert und konsequent, er musste mitgehen. Sie sprach ihm unterwegs ständig Mut und Zuversicht zu. Es war schließlich ein Kampf um sein Leben! Toni gab nicht auf und der Kampf um sein Leben ging jeden Tag weiter. Meine Schwester war viel kleiner als ihr Sohn, sie war zart gebaut, dabei hat sie aber die fünf Liter Tee für die fünf Stunden Bewegung im Rucksack mit sich getragen. Das war eine sehr schwere Zeit für die beiden. Die Blutwäsche mit Ozon hat nur vier Wochen gedauert! Danach durfte er nach Hause fahren. Die weitere Behandlung des Paters hat noch volle zwei Jahre gedauert. Diese sowie die Überwachung erfolgten durch Ferndiagnose und Fernbehandlung. Die nötigen Medikamente, die Naturheilmittel, die der Pater ihm verordnet hatte, schickte ihm die Schloß-Apotheke Aschau nach München.
Die Geschichte der Heilung, die ich durch die Briefe meiner Schwester erfahren durfte, faszinierte mich. Die unglaubliche Heilung meines Neffen hat mich innerlich lange Zeit beschäftigt. Ich wollte alles darüber wissen und fragte mich, warum diese Art der Heilung den Ärzten nicht bekannt war. Warum müssen so viele an Leukämie sterben, wenn schon eine gezielte Methode erfolgversprechend ist? Warum fehlt an den Universitäten das Fach Naturheilkunde im Lehrplan? Die volle Genesung meines Neffen war für mich wie ein Wunder. Ich empfand dabei eine große Hochachtung und Respekt diesem fremden Heiler aus Bayern gegenüber.
In den nächsten Briefen meiner Schwester habe ich ihre weiteren Bemühungen erfahren. Da die Behandlung von Pater Ober teuer war, haben die Eltern versucht, von der Techniker-Krankenkasse eine Rückerstattung zu bekommen – vergeblich. Auch das Gerichtsverfahren hat nichts genutzt, weil die Heilerfolge der Heilpraktiker damals – wie auch heute noch – in Deutschland nicht anerkannt waren!
Nachdem Tonis Sohn aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hat man seine Unterlagen aus dem Krankenhaus an seinen Hausarzt geschickt. Nach zwei Jahren, völlig geheilt, besuchte er wegen eines Attests seinen Hausarzt Dr. med. Tietz. Als dieser ihn erblickte, sagte er staunend: „Sie leben? Wer hat Sie geheilt?“ Er kannte Pater Ober und sagte:
„Ah ja! Den kenne ich, der kann was! Ich habe schon viel über seine Heilerfolge gehört.“ Dr. Tietz untersuchte Tonis Sohn gründlich und konnte seine volle Genesung nur bestätigen. Auch nach fünf Jahren und einer weiteren Untersuchung zeigten sich keinerlei Spuren der früheren Krankheit. Eine Ärztin aus dem Krankenhaus in Schwabing, aus dem er damals entlassen worden war, hat sich bei meiner Schwester noch ein Jahr lang telefonisch gemeldet und den Heilungsverlauf verfolgt. Weil die Eltern für das Gerichtsverfahren und die damit verbundene Kostenerstattung einen Nachweis brauchten, der den Krankheitsverlauf wiedergab, hat Dr. Tietz dieses Dokument für sie geschrieben. Auf den folgenden Seiten ist dieses abgedruckt und beweist den Heilerfolg.
Nach der Gerichtsverhandlung betonte der Richter, dass er nach geltendem Recht keinen positiven Bescheid geben kann, er bat sie aber, den Fall zu publizieren oder an den Bund zu schicken, damit das Gesetz geändert würde. Auch der Krankenkassenvertreter war dieser Meinung und bedauerte, dass die Kosten nicht übernommen werden konnten.
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