Der Barbarossa-Effekt

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Schlimm genug, dass er sich diesmal kaum hatte vorbereiten können. Während er über den langen, verwinkelten Flur hastete, ging er die brandaktuellen Themen noch im Kopf durch. Apropos ›Brand‹ … na schön, dazu würde ihm nach dem Erlebnis der letzten Nacht mit Sicherheit genügend einfallen. Es hatte vorhin dicke gereicht, im Internet einen kurzen Blick auf die n-tv-Seite zu werfen, um seinen düsteren Verdacht bestätigt zu sehen.

Schon geriet das abgegriffene Pappschild mit der Aufschrift Geschlossene Gesellschaft in sein Blickfeld, das, wie an jedem beliebigen anderen Abend, an den wuchtigen Flügeltüren des einstigen Tanzsaales baumelte.

Seit den Siebzigern war hier immer nur das Notwendigste renoviert wurden, deshalb stand der Anbau für Versammlungen wie diese meist zur Verfügung. Außer einer Karnevalsveranstaltung am Rosenmontag und gelegentlichen Hochzeitsjubiläen von älteren Stammgästen herrschte im Schwarzen Ross tote Hose. Die betagten Inhaber waren nicht gerade mit Reichtümern gesegnet, Umbaumaßnahmen waren und blieben obsolet.

Einfache, bescheidene Leute, diese Hartmanns, vor genauso wie nach der Wende.

Ein lausiges Ambiente, den klugen Köpfen da drinnen eigentlich unangemessen, dachte Lünitz beim Anblick zersprungener Bodenfliesen, des stumpfen Lacks über der zerkratzten Wandvertäfelung aus Holz und der vom vielen Qualmen vergilbten Deckenfarbe. Den Toilettenanlagen sah man schon von außen an, was einen drinnen erwartete.

Momentan ist das Lokal trotzdem ideal, gerade wenn man wie wir unter dem Radar bleiben möchte. Es werden bessere Zeiten für Unseresgleichen anbrechen, aber noch ist es nicht so weit.

Bis vor kurzem hatte Eva fast jeden Freitag erbittert mit ihm gestritten, weil er, anstatt mit ihr auszugehen, hier stundenlang mit seinen Brüdern im Geiste herumhing. Ihr fehlte es an politischem Interesse. Aber wäre er eingefleischter Fußballfan gewesen, wie so viele andere Ehemänner, hätte sie ihn am Wochenende erst recht kaum zu Gesicht und später noch alkoholisiert zurückbekommen. Ein schlagendes Argument. Eva kannte solche Fälle aus dem Bekanntenkreis zur Genüge.

Inzwischen hatte sie sich notgedrungen damit abgefunden, ihr blieb auch keine Wahl. Meistens ging sie mit ihren Freundinnen in edle Restaurants, ins Theater oder ins Kino und machte sich selbst einen schönen Abend. Gut so, sie nörgelte dann wenigstens nicht an ihm herum.

Lünitz war es gewohnt, dass alles nach seinem Kopf ging. Er war ein Alpha-Tier, ein charismatischer Leitwolf. Nicht zuletzt aus diesem Grund machte ihm die Verweigerungshaltung seines einzigen Sohnes derart zu schaffen, sie brach ihm einen Zacken aus der funkelnden Krone des Familienund Firmenoberhaupts. Er holte tief Luft, drückte die Türklinke herunter, setzte ein selbstbewusstes Lächeln auf und trat mit gewohnt dynamischem Schritt in den Saalbau, steuerte auf das provisorische Rednerpult aus weiß lackierten Spanplatten zu, während er von seinen Mitstreitern freudig begrüßt wurde. Viele waren aufgestanden, einige klatschten schon, bevor er den ersten Satz gesagt hatte. Momente wie diese bestärkten ihn in seiner Überzeugung, dass er sich auf dem richtigen Dampfer befand. Vielleicht war Deutschland doch noch zu retten.

Er war hier voll und ganz in seinem Element. Schilderte seine Erlebnisse aus der vergangenen Nacht, analysierte, verglich sie mit den Aussagen aus der Berichterstattung. Abschließend warf er ein Statement in den Raum:

»Dieses Beispiel zeigt doch überdeutlich, wie es um die deutsche Bildungspolitik bestellt ist! Nicht einmal mehr Journalisten scheinen den eklatanten Unterschied zwischen besoffenem Grölen und dem Skandieren von Parolen zu erkennen. Es gab dort weder Sprechchöre noch einen Mob. Ein typisches Beispiel von gesteuerter Meinungsmache. Die überwiegende Masse der Konsumenten glaubt das ungefiltert, obwohl die Feuerwehr dazu ein eigenes Statement, eine Gegendarstellung abgegeben hat. Diese liest sich in etwa so wie mein Augenzeugenbericht, den ich hier wiedergebe. Man bestreitet sogar, massiv beim Löschen behindert worden zu sein.

Aber diese Meldung geht in der Flut der Falschdarstellungen unter. Bautzen musste sich einfach nahtlos hinter Claußnitz und Freital auf der langen Liste verrufener, sächsischer Orte einreihen, wie das neulich ein Schreiberling vom Magazin Spiegel formuliert hat. Dabei gab es auch in Claußnitz jede Menge Gegendarstellungen, aber die Verfasser wurden trotzdem gleich pauschal als verkappte Rechtsextreme eingestuft, einschließlich des Heimleiters der betroffenen Asylunterkunft.

In diesem Zusammenhang ist folgendes frappierend: Solange es in den Medien um die Montagsdemonstrationen der friedlichen Revolution des Jahres 1989 geht, wird die einstige DDRBevölkerung wegen ihres Rufes: ›Wir sind das Volk!‹ respektiert, er wird als untrügliches Zeichen für Demokratiewilligkeit interpretiert. Wenn dieselbe ostdeutsche Bevölkerung jedoch denselben Geist heutzutage beschwört, ist sie plötzlich mit unbelehrbaren Neonazis gleichzusetzen. Das darf doch nicht wahr sein!«

Lünitz zog vor seinem Auditorium von etwa hundert Personen anschließend über angeblich bestens ausgebildete Vorzeigeflüchtlinge her, die Deutschland und seine Kultur so sehr bereicherten und in Wirklichkeit Hartz IV bezogen, und bezeichnete die derzeit allgegenwärtige Mega-Werbekampagne der Initiative Wir zusammen als sozialromantische Fehleinschätzung der tatsächlichen Möglichkeiten zur Migrantenintegration. Die deutsche Wirtschaft sei dabei sowieso weniger am Wohlergehen von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten interessiert, eher schon an billigen Arbeitskräften für die Industrie.

»Ich frage Sie ernsthaft: Was soll ein achtundfünfzigjähriger Deutscher denken, der in seinem Alter keinen Job mehr findet, als Langzeitarbeitsloser geführt wird und künftig von einer Mini-Rente leben muss? Gibt es für ihn solche Kampagnen? Nein! Im Gegenteil. Er wird keinen bezahlbaren Wohnraum finden, weil jetzt jede verfügbare Sozialwohnung mit Flüchtlingen belegt wird. Falls er großes Glück hat und doch irgendeine Bruchbude zugeteilt bekommt, darf er zukünftig im Dreck zwischen Menschen aus einem fremden Kulturkreis hausen, die oft sogar ihre Abfälle vom Balkon schmeißen. Man weiß ja zur Genüge, wie diese rechtsfreien Räume in vielen Großstädten aussehen. Nicht einmal mehr die Polizei traut sich ohne weiteres dorthin.

So sieht es inzwischen leider aus, meine Damen und Herren: Die eigene Bevölkerung ist unseren Politikern keinen Pfifferling mehr wert! Sie setzen lieber weiterhin auf die Integrationslüge und dulden beispielsweise, dass arabische Familienclans ungestört ihr Unwesen treiben, das Sozialund Rechtssystem ausnutzen können.

Und warum tun sie das, was glauben Sie? Es liegt doch auf der Hand! Angela Merkel ist keine Volksvertreterin. Sie ist eine Marionette der Wirtschaft und holt ihr viele neue Konsumenten ins Land, für die anschließend der deutsche Steuerzahler berappen darf. Was mit der deutschen Leitkultur passiert, wenn sie dauerhaft verwässert wird, schert diese selbstgerechte Pfarrerstochter aus der Uckermark einen feuchten Dreck. Wir Deutschen haben das Land mit viel Fleiß nach dem Krieg wieder aufgebaut und wahrlich schon genug am Erbe aus dem Dritten Reich zu knabbern, das uns zu einem kollektiven Schuldgefühl gegenüber der halben Welt verpflichtet.

Aber dass wir unseren sauer erarbeiteten Wohlstand an Fremde verschleudern sollen, und das auf Kosten des eigenen Volkes, seiner Bildung und Infrastruktur … tut mir leid, dafür bringe ich kein Verständnis auf. Hilfeleistung ja, aber doch bitte in festen Zentren an den Grenzen und ausschließlich für tatsächlich Verfolgte, nicht jedoch für Wirtschaftsflüchtlinge, Kriminelle, Menschen mit ungeklärter Identität oder sonstige Illegale.

Wozu überhaupt Integration? Die Leute sollen gefälligst nach Hause zurückkehren und den Wiederaufbau in Angriff nehmen, spätestens wenn die gröbsten Konflikte in ihren Heimatländern beendet sind. Diese unkontrollierte Masseneinwanderung muss unverzüglich aufhören! Was glauben Sie, weshalb so viele Migranten unbegleitete Minderjährige vorschicken, die strafrechtlich noch eine weiße Weste haben? Damit diese anschließend ihre gesamte Verwandtschaft ins deutsche Sozialsystem einschleusen können, und oft sind das vielköpfige Großfamilien! Die meisten davon finden – oder wollen – keinen Job. Egal, bei uns lebt es sich ja auch ohne Bemühungen sehr gut.

Es reicht, dass das Trojanische Pferd des Islam bereits mitten in Deutschland steht und auf seine Stunde wartet. Ich ziehe ehrfürchtig den Hut vor den Tschechen, Polen und Ungarn, die sich diesem Wahnsinn weitgehend verweigern. Die Außengrenzen dienen seit jeher dem Schutz eines Landes und seiner Bevölkerung, und das aus gutem Grund, wie die Geschichte zeigt. Sie einfach zu öffnen, ist unglaublich leichtsinnig.

Wer, so frage ich Sie jetzt, würde in der arabischen Welt uns Deutsche aufnehmen und integrieren, uns obendrein auch noch christliche Kirchen bauen und obskure Kulturvereine gründen lassen, wenn Sie oder ich eines Tages hier für unsere Gesinnung verfolgt würden, in Not gerieten? Welches von diesen Ländern würde es langmütig dulden, dass wir Ausländer uns in Gruppen zusammenrotten und stetig versuchen, überall den Ton anzugeben?

Und welches Volk dieser Erde würde nach mehreren terroristischen Anschlägen noch eine Lanze für uns brechen und amtsbekannte Gefährder ungehindert frei herumlaufen lassen, diesen unberechenbaren Zeitbomben langmütig finanzielle Unterstützung in Form von Sozialhilfe gewähren?

Kein Wunder, dass wir in Afrika und dem Nahen Osten als Lemminge betrachtet werden, die man einfach nur zu überrennen und nach Strich und Faden auszunehmen braucht. Dabei ist es mit dem Wohlstand in Deutschland längst nicht so weit her wie es nach außen hin dargestellt wird. Es gibt jede Menge Missstände, von maroden Schulen über kaputte Autobahnen bis hin zur Kluft zwischen Armen und Reichen, die täglich breiter wird. Wirklich reich sind nur die Konzerne und die oberen Zehntausend, selbst der unverzichtbare Mittelstand verarmt zusehends. Manch einer lebt inzwischen auf Pump, um sich den bisherigen Lebensstandard überhaupt erhalten zu können.

 

Für Einwanderer hingegen muss Deutschland wie ein Eldorado wirken. Kriegt einer mal ausnahmsweise kein Asyl – na, dann klagt er eben und darf dableiben, bekommt weiterhin Leistungen vom Staat und obendrauf noch jede Menge Zeit zum Untertauchen. Abgeschoben werden sowieso die allerwenigsten und das spricht sich blitzartig herum.

Man kann und darf diese Mentalitäten einfach nicht mit der unseren vergleichen. Integration und ein friedliches Zusammenleben derart gegensätzlicher Kulturen und ihrer Religionen wird niemals mehr als ein hanebüchener Wunschtraum sein.

Wir sind für viele dieser Leute Ungläubige, deren Frauen und Töchter man ungestraft anfassen darf, meine Damen und Herren. Ich sage Ihnen: Der Islam gehört eben nicht zu Deutschland und wir sollten kein offener Selbstbedienungsladen bleiben, den man skrupellos mithilfe gefakter Mehrfachidentitäten bestehlen kann!

Hier ein treffender Vergleich: Stellen Sie sich vor, ihr liebster Freund steckt in einer Notlage und bittet darum, dass er für eine Weile in Ihrem Gästezimmer wohnen darf. Sie sagen spontan zu, wollen ja helfen und ahnen nichts Böses. Natürlich gibt es in Ihrem Haus gewisse Gewohnheiten, wie zum Beispiel, um welche Uhrzeit gegessen wird oder wann Nachtruhe herrscht. Hält sich der Gast nie daran, bleibt länger als nötig, frisst Ihnen den Kühlschrank leer, wirft seinen Abfall auf Ihren Rasen und befummelt zum Dank für den Stress auch noch Ihre Tochter … würden Sie den Schmarotzer nicht am liebsten nur noch von hinten sehen und schließlich hochkant hinauswerfen? Eine gesunde, nachvollziehbare Reaktion, wenn Sie mich fragen. Eines würden Sie jedoch garantiert nicht tun: zulassen, dass er auch noch seine Verwandtschaft mit in Ihr Haus bringt!«

Lünitz straffte seinen muskulösen Rücken und legte eine kleine Kunstpause ein, während Applaus aufbrandete. Unmissverständliche Handgesten des Redners sorgten dafür, dass er sich ebenso schnell wieder legte.

»Auf Dauer nutzt es niemandem, wenn wir hier Stammtischparolen ausgeben, die widerlichen Zustände nur aufdecken und anprangern. Wir müssen an die Öffentlichkeit, die Bürger aufrütteln und versuchen, ein Umdenken der Bevölkerung einzuleiten, damit sie das aufgezwungene Joch abschüttelt, bevor es zu spät ist. Wie ich in dieser illustren Runde vor ein paar Wochen schon ausführte, funktioniert dies leider nicht über die Gründung einer politischen Partei.

Wir haben alle mitbekommen, wie es der AfD ergeht. Anstatt eine echte Alternative für Deutschland sein zu dürfen, werden helle Köpfe wie Petry, Gauland, Höcke oder Poggenburg medial an den braunen Pranger gestellt, damit sie möglichst niemand mehr für voll nimmt. Man spielt bewusst mit den Ängsten der Wähler, suggeriert unterschwellig, dass sich selbst unter solchen gemäßigten Nationalisten erneut ein Adolf Hitler emporschwingen und eines furchtbaren Tages die Bundesrepublik übernehmen könnte.

Unter anderem deshalb werden zurzeit wahrscheinlich wieder vermehrt angestaubte Dokumentationen über die Nachrichtensender ausgestrahlt, die ihn und die Verbrechen seines Regimes zum Thema haben. Das Grauen von damals soll über die düsteren Schwarzweißfilme in lebendiger Erinnerung behalten werden und unbewusst Furcht vor einer Wiederholung implementieren. Spätestens am Wahltag überlegt es sich dann jeder zweimal, ob er resigniert und mangels echter demokratischer Alternativen wieder die Etablierten wählt oder endlich Flagge zeigt, politisch neue Wege gehen möchte.

Indessen entzweit sich die Partei aufgrund ständiger Anfeindungen und medial aufgebauschter Wortklauberei, teilt sich in mehrere Lager auf, was durchaus so beabsichtigt ist.

Der Medienrummel hat System, ist kalt kalkulierte Propaganda, um dieser Partei den Garaus zu machen. Traut sich niemand mehr, die AfD zu wählen, bleibt am Ende ein größeres Stück Kuchen für die Regierenden übrig. So einfach ist das. Ergo erscheint es mir vollkommen sinnlos, es mit einer neuen Partei zu versuchen. Ihr würde es genauso ergehen.

Dasselbe gilt für Organisationen wie Pegida, auch diese Bewegung ist trotz einiger recht vernünftiger Ansätze schnell in Verruf geraten. Und weshalb? Weil sich zu viele ›Glatzen‹ in ihren Reihen tummelten. Eine Masse kann sich nur auf den kleinsten Nenner einigen und der liegt nach den Regeln der Schwarmintelligenz gemeinhin am untersten Rand des Niveaus.

Wenigstens an diesem Problem leiden wir zum Glück nicht, meine geschätzten Freunde. Der Durchschnitts-IQ hier im Saal liegt deutlich über der Zimmertemperatur.«

Wohlwollendes Brummen durchzog den Raum, einige lachten über den seichten Witz.

»Ich habe in der Zwischenzeit die Möglichkeiten erwägt, einen Verein zu gründen. Aber diese Idee musste ich nach ausgiebigen Recherchen ebenfalls verwerfen. Eine juristische Person ist eine greifbare Institution – und somit kann man ihr Schaden zufügen und sie diskreditieren, sobald sie unbequem wird. Es gibt Vereine, die in unserem vorgeblich demokratischen Staat sogar vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Sowas ist also keine gangbare Option für uns. Überwachung erzeugt Druck und dieser wiederum sorgt für Zwist.«

Zustimmendes Gemurmel brachte Unruhe in den Saal, an den hinteren Tischen entspannen sich Diskussionen im Flüsterton.

»Es muss andere, bessere Möglichkeiten geben, den Bürgern die Machenschaften dieser vorgeblich demokratischen Republik ungeschönt vor Augen zu führen, sie endlich zur Gegenwehr zu bewegen. Wir dürfen dabei nur nicht den Fehler begehen, uns von irgendeiner Seite angreifbar zu machen. Daher sollten wir, ein jeder für sich, wie Phantome agieren. Einzelne Bürger, die jeweils in Eigenregie handeln – das ist der harmlose Eindruck, den wir in der Öffentlichkeit hinterlassen müssen.

Keine überprüfbare Organisation, keine verantwortliche Führung, keine markigen Parolen, nichts dergleichen darf es geben. Getrennt marschieren, Sachverhalte im Vorfeld so gründlich wie möglich recherchieren, wohldurchdachte, gewaltfreie Einzelaktionen fahren, die Bevölkerung aufklären und gelegentlich vereint Teilerfolge feiern, heißt die Devise, die zum Erfolgsrezept werden könnte. Nicht mehr und nicht weniger.

Mir sind dazu bereits ein paar vage Gedanken gekommen, die ich ausarbeiten und Ihnen als Ideenpool gerne nächsten Samstag vorstellen möchte. Gerne dürfen und sollen Sie dazu eigene Einfälle beisteuern, denn wie gesagt, ich bin ja nicht Ihr Führer«, grinste Lünitz augenzwinkernd. Er hielt sich Zeigeund Mittelfinger vertikal unter die Nase.

Ein paar laute Lacher zollten der humoristischen Darstellung von Hitlers albernem Bärtchen Beifall. In dieser Runde, die sich überwiegend aus Lehrern, Polizisten, Anwälten und Firmenbossen zusammensetzte, war sowas wenigstens ungestraft möglich. Aber auch nur, solange keine der Bedienungen herumschwirrte.

»Wir würden mit ein wenig Engagement erheblich mehr Zulauf von Gleichgesinnten bekommen, könnten die allzu duldsamen Menschen dieses im Niedergang begriffenen Landes wachrütteln, jedoch ohne dabei selbst zur populistischen Zielscheibe zu werden.

Wir, die wachsame Bildungselite, sind eben keineswegs braun, auch nicht knallrot, nicht grün, gelb, blau oder schwarz, sondern vertreten schlicht und einfach die Stimme der Vernunft, somit die ureigenen Interessen unserer wirklichen Mitbürger!

Wer wüsste es zu sagen … vielleicht macht unser innovatives Beispiel des subtilen Widerstands und der ehrlichen Aufklärung sogar bald in all jenen europäischen Ländern Schule, welchen dieselbe Überfremdung aufgezwungen wird. Schnelle Ergebnisse werden wir wohl kaum erzielen, dafür aber hoffentlich nachhaltige. Wer könnte für das überfällige Umdenken sorgen, wenn nicht das geknechtete und betrogene Volk selbst?«

Nun brandete frenetischer Beifall auf, der kein Ende nehmen wollte. Der rotblonde Franke mit den leuchtend grünen Augen hatte den Nerv seiner Mitstreiter wieder mal meisterlich getroffen, die gesamte Zeit über völlig frei gesprochen. Das fand Anerkennung, zeigte, dass er mit Kopf und Herz bei der Sache war. Der Grundstein für eine sinnvolle Neuausrichtung der anwesenden Gesellschaft war jetzt gelegt. Blieb für Lünitz zu hoffen, dass die handverlesenen Mitglieder tatsächlich bereit waren, ihre glühende Gesinnung umsichtig in Taten münden zu lassen.

Er trat winkend ab, überließ dem nächsten Redner das Pult. Ein pensionierter Oberstudienrat referierte über den Verfall des völkischen Brauchtums, der mit einer Vermischung der Kulturen zwangsläufig einhergehen würde. Er wusste genau wovon er sprach, gehörte er doch selbst der sorbischen Minderheit an, die noch heute in diesem Landstrich lebte und verzweifelt versuchte, ihre Identität halbwegs zu bewahren. Aber – wohlgemerkt – auf sozialverträgliche, integre Weise.

Wie Recht er doch hat … wir Franken sind einst ja auch von den Bayern assimiliert worden. Doch selbst heutzutage zeigen sich noch hier und da Unterschiede in der Mentalität und mit unserer Akzeptanz ist es in Süddeutschland auch nicht allzu weit her. Man spricht dort nicht umsonst vom Weißwurstäquator, der angeblich irgendwo bei Ingolstadt verläuft. Was nördlich dieser Linie liegt, wird argwöhnisch beäugt. Man soll Gott für alles danken, sogar für Unter-/Mittel-/Oberfranken, heißt es in München.

Wenn die Angleichung bereits bei dermaßen ähnlichen Völkern nicht vollständig gelingt, wie sollte sie dann mit einer völlig fremden Kultur funktionieren? Menschen von gleicher Herkunft werden sich immer und überall zusammenrotten, weitgehend unter sich bleiben. Man kann das sogar an Urlaubsorten beobachten. Wahrscheinlich ein evolutionär erklärbares Phänomen, ein Überbleibsel aus dem Rudelund Clanverhalten, sinnierte Lünitz bedrückt.

Der wohlbeleibte Lehrkörper regte sich gerade wortreich darüber auf, dass es für Politiker inzwischen sogar als verpönt gelte, das harmlose Wort völkisch noch in den Mund zu nehmen, ohne sofort als Rechter eingestuft zu werden. Das käme einer Zensur des deutschen Wortschatzes gleich.

Ein Horst Seehofer könne sich ohnehin glücklich schätzten, dass seine CSU derzeit zum Mitregieren benötigt werde, ansonsten wäre er mit seinen recht vernünftigen Ansätzen zur Änderung der Einwanderungspolitik schon längst in der Luft zerrissen worden, spätestens nach seinem Besuch bei Orbán. Dabei besitze der wenigstens ein Rückgrat und versuche im Alleingang, die Außengrenzen der EU zu schützen.

An solchen Beispielen zeige sich übrigens, dass die sogenannte Europäische Union in Wahrheit immer noch dasselbe wie früher sei – mehr oder weniger bloß eine Wirtschaftsunion, in der jedes Mitglied eigene Interessen in den Vordergrund stelle. Abgesehen von Deutschland natürlich, denn dieser Regierung eines günstig, weil zentral gelegenen, Landes scheine die selbstinszenierte Außenwirkung wichtiger zu sein.

Deswegen reiße Mama Merkel mit Hurra die ärmeren Nachbarstaaten an den südlichen und südöstlichen Außengrenzen der EU, wie zum Beispiel Griechenland und Kroatien, dank ihrer Willkommenspolitik selbstherrlich in den Abgrund der Masseneinwanderung, lasse sie mit dem kaum mehr zu bewältigenden Flüchtlingsansturm und den zahllosen damit verbundenen Problemen kaltherzig im Stich. Auch Durchreiseländer wie Österreich hätten darunter schwer zu leiden und mittlerweile die Nase gestrichen voll.

»Und selbst wenn das Dublin-Abkommen, welches eigentlich besagt, dass jeder Flüchtling dort seinen Asylantrag stellen muss wo er zuerst europäischen Boden betritt, nicht einfach widerrechtlich ausgesetzt worden wäre, wie hätten diese Länder mit der brisanten Situation umgehen sollen? Es sind dort innerhalb kürzester Zeit ganze Menschenhorden eingefallen und die kamen bekanntlich nicht nur aus Bürgerkriegsgebieten.

Die EU hätte somit die Pflicht gehabt, alle ihre Außengrenzen mit vereinten Kräften und gebündelten finanziellen Mitteln zu schützen. Es ist ein äußerst bedenklicher Rechtsbruch unserer Bundeskanzlerin, die Leute gar noch hierher nach Deutschland einzuladen. Aber einmal abgesehen davon … insbesondere wir Ostdeutschen hätten jedes Recht, nach all diesen vielen Jahren der Einschränkung, Mangelwirtschaft und Gängelung, endlich an uns zu denken, die Früchte unserer Arbeit zu genießen, anstatt die Ungerechtigkeit der Welt auf unsere Schultern zu nehmen und uns überdies gewaltbereite Muslime ins gemachte Nest setzen zu lassen«, schloss er seinen Vortrag.

 

Zwei weitere Redner hatten sich auf die Liste für die heutige Zusammenkunft setzen lassen. Es gab zwar kein offizielles Veranstaltungsprogramm, das im Vorfeld erstellt worden wäre, aber man konnte sich auf einer Schiefertafel ad hoc als Redner registrieren. Falls doch einmal mehr als fünf Anwesende hieran Interesse zeigten, wurden sie automatisch für das nächste Freitagstreffen vorgemerkt. Aber das kam höchst selten vor; die meisten lauschten lieber, anstatt selber aktiv zu werden.

Jens Böhler, ein gerade mal neunundzwanzigjähriger Neuzugang und Gründer einer Werbeagentur aus Berlin, kam jetzt an die Reihe. Er gedachte über die berechtigte Frage zu referieren, ob es tatsächlich notwendig sei, gekenterte Bootsflüchtlinge aus Nordafrika nach ihrer Rettung aus selbst verschuldeter Seenot an die italienische Küste zu befördern. Er zeigte sich erstaunt, dass man illegale Einwanderer nicht postwendend dorthin zurückbrachte, wo sie aufgebrochen waren.

Seines Wissens gebe es im internationalen Völkerrecht keine Regelung, die es Staaten erlaube, die Rücknahme eigener Staatsbürger zu verweigern oder dafür gar noch Gegenleistungen zu verlangen. Europa lasse sich ständig von jeder dahergelaufenen Bananenrepublik erpressen und leiste hierbei auch noch verbrecherischen Schlepperbanden Vorschub, deren Geschäftsmodell dadurch weiterhin floriere, warf er erregt in den Raum.

Der engagierte Jungspund liegt mit seiner Meinung im Grunde vollkommen richtig … aber es gibt nun mal Staatsoberhäupter, die sich einen feuchten Dreck um Anstand oder das geltende Völkerrecht scheren. Und mit haargenau solchen Despoten wird man hier leider konfrontiert, wusste Marcel Lünitz.

In diesem Fall blieb europäischen Politikern eigentlich keine andere Wahl. Sie mussten teure Zugeständnisse machen, wenn sie etwas erreichen wollten. Sonst durften die Schiffe nicht einmal die libyschen Hoheitsgewässer befahren, geschweige denn, an der Küste anzulegen und die Leute abzuladen. Traurig, aber wahr. Man konnte die Aufgegriffenen schließlich nicht einfach mit dem Fallschirm über dem jeweiligen Staatsgebiet abwerfen.

Abschiebungen … auch so ein Reizthema, über das es noch viel mehr zu sagen gäbe. Lünitz nahm sich vor, es in Kürze aufzugreifen.

Jens Böhler raffte fahrig seine Notizen zusammen und verließ mit grimmiger Miene das Pult. Ihn hatte wohl sein eigener Vortrag in Rage versetzt. Man würde das im Auge behalten müssen. Es war nicht ganz ungefährlich, junge Leute aufzunehmen, die sich die Hörner noch nicht abgestoßen hatten und zu spontanen Dummheiten neigten. Dieser Böhler kam zwar auf Empfehlung von Franz Kosziol, einem treuen Mitstreiter der ersten Stunde – aber ob der seinen entfernten Verwandten aus Berlin wirklich so genau kannte, dass man dem jungen Mann vorbehaltlos vertrauen konnte? Er würde Franz danach fragen müssen.

Den Abschluss sollte eine attraktive Dame im Kostüm bilden, der Burkas und Nikabs in deutschen Fußgängerzonen ein Dorn im Auge waren. Die langbeinige Blondine namens Pauline Stölzel würde, zumindest in optischer Hinsicht, für ein finales Highlight sorgen und die überwiegend männliche Gesellschaft schon deswegen bestens bei Laune halten. So viel er wusste, arbeitete die etwa vierzigjährige Schönheit in einer Sparkassenfiliale.

»Wir Frauen haben uns damals nicht mühevoll die Emanzipation erkämpft und ringen bis heute noch um berufliche Gleichstellung, damit uns ungebildete Vogelscheuchen alles Erreichte wieder zunichtemachen«, wetterte sie mit ihrer hellen Stimme.

Nach diesen Reden war geselliges Beisammensein angesagt. An den Tischen bildeten sich kleine Grüppchen, die angeregt über das Gehörte sowie Privates diskutierten.

Man vertraute sich untereinander, viele waren bereits befreundet. Andere lernten sich erst hier kennen und schätzen.

Ja, es sollte zweifellos wieder ein langer Abend werden. Lünitz bestellte sich bei Bedienung Marga vorsorglich die dritte große Cola, um nicht gähnend am Tisch zu sitzen. Es hätte womöglich einen falschen Eindruck hinterlassen. Mit dem bisherigen Verlauf dieses Abends konnte er mehr als zufrieden sein. Sein Beitrag hatte vorhin mit Abstand den lautesten Beifall generiert und man würde sicher mit Spannung auf den folgenden warten.

Im Gehen trug er sich gleich für nächsten Freitag auf der mobilen Schiefertafel ein. Der Dresdner Gymnasiallehrer Ludwig Ströhlein, ein eingefleischter Junggeselle, würde das Relikt aus Kindertagen nachher wieder mit in sein Zuhause nehmen, es dort im Arbeitszimmer verwahren.

Erst draußen auf dem Flur streckte sich Lünitz, gähnte herzhaft und rieb sich die schmerzenden Schläfen. Ihm war ein wenig schwindlig. Jetzt durfte er seinen Ermüdungserscheinungen endlich freien Lauf lassen. Das selbstlose Engagement für die Erhaltung der Heimat kostete ihn zunehmend Kraft, Geld und Nerven. Aber sie war den ganzen Aufwand wert.

*

Eva Lünitz und ihre Freundin Annika saßen beim Dessert. Beide hatten sich je ein Tiramisu bestellt.

»Puh … eigentlich kann ich nicht mehr, bin pappsatt. Alfonso hat es mit seinen Portionen wieder heillos übertrieben. Ich hätte vor der göttlichen Penne arrabiata nicht auch noch den Krabbencocktail bestellen sollen. Spätestens morgen bereue ich die Völlerei wieder, wenn ich auf die Waage steige und mich frage, ob das verdammte Ding womöglich kaputt sein könnte«, stöhnte Annika augenrollend.

Die hübsche Fünfundvierzigjährige mit dem schwarz gefärbten Bobschnitt neigte ein wenig zum Übergewicht, aber die paar überzähligen Kilos standen ihr sehr gut. Eva beneidete sie sogar um ihre frauliche Figur und das sehenswerte Dekolleté, welches sie meistens mit auffälligem Silberschmuck in Szene setzte. Ein Hingucker, der die Blicke der meisten Männer anzog.

»Stimmt. Das waren viel zu viele Kalorien, die möchte ich gar nicht zusammenrechnen. Oder wie heißen diese elenden Dinger, die einem nachts immer heimlich alle Klamotten enger nähen?«, entgegnete sie scherzhaft.

Eva Lünitz war zwar groß und schlank, aber ausgerechnet auf Oberschenkeln und Hüften lagerte sich eben doch immer etwas Speck ab. Diäten halfen nur wenig und das ärgerte sie gewaltig. Wenn diese Pfunde wenigstens weiter oben angesiedelt gewesen wären, aber so … sie schüttelte den Gedanken seufzend ab.

Beide lachten herzhaft, genossen die Köstlichkeit in kleinsten Häppchen, ließen sich jeden Bissen genüsslich auf der Zunge zergehen. Alfonso hatte sich wieder selbst übertroffen. Er verwendete einen besonders milden Kaffeelikör aus seiner umbrischen Heimat und fügte Vanille hinzu – echte Bourbon natürlich, frisch aus der Schote geschabt. Mit Rispen roter Johannisbeeren garniert, schmeckte seine Version von einem Tiramisu nicht nur ausgezeichnet, sondern war überdies eine Augenweide.

»Wen interessiert schon, was morgen ist! Komm, wir bestellen uns noch einen Cappuccino zum krönenden Abschluss. Es ist gerade so gemütlich, ich möchte noch nicht heimfahren«, suggerierte Annika genießerisch und lehnte sich zurück. Ihr Bäuchlein wölbte sich unter der engen nachtblauen Spitzenbluse.

»Einverstanden. Mein Göttergatte kommt sowieso erst wieder weit nach Mitternacht. Ich habe keine Lust, mich von ihm aus dem Tiefschlaf reißen zu lassen, ergo kann ich genauso gut noch eine Weile mit dir ausgehen«, meinte Eva achselzuckend.