Radieschen von unten

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»Das ist doch nicht für uns Fußvolk gedacht! Da drin tummelt sich nur die Affenbande aus dem Büro – und halt die Schönhoff, die sich ihre Hände auch nicht mehr dreckig machen muss. Dafür hat sie schließlich jede Menge schlecht bezahlte Lakaien, so wie mich zum Beispiel.«

Er zeigte auf eine weiß lackierte Metalltür, die man in der ebenfalls weißen Wand leicht übersehen konnte.

»Dort draußen, das ist unser Kabuff. Hier residieren die Arbeiter und Landschaftsgärtner. Nackter Estrich, verbeulte Spinde und eine uralte Sitzbank, das ist alles. Unseren Kaffee dürfen wir teuer aus einem Verkaufsautomaten ziehen. Aber unser Chef lässt seine Besucher immer nur in den schöneren Raum schauen, zum Angeben, wie toll er mit seiner Belegschaft umgeht«, schimpfte der picklige Azubi.

»Okay, dann werfen wir mal einen schnellen Blick ins Fach der Frau Schönhoff. Du hältst dich bitte im Hintergrund«, sagte Marit augenzwinkernd.

Natürlich dachte Paul Zielinski nicht einmal im Traum daran, einen diskreten Abstand herzustellen oder gar wegzusehen. Vielmehr schaute er ihr neugierig über die Schulter. Frau Capos Zeug interessierte ihn brennend. Vielleicht gab es da drin etwas, womit er später ihre Autorität untergraben konnte. Er selbst lagerte ja in seinem Spind auch ein paar Kleinigkeiten, die sein Vater daheim besser nicht im Zimmer finden sollte, wie zum Beispiel eine Bong fürs Cannabisrauchen und ein ultrascharfes Militärmesser, das er sich erst vor ein paar Wochen auf einem illegalen Markt in Tschechien gekauft und außer Landes geschmuggelt hatte.

Der Schlüssel passte, und Pauls Hoffnung auf eine Sensation sollte sich erfüllen. Sowohl er als auch Marit starrten amüsiert auf ein in Pastellfarben gehaltenes Poster, das auf der Innenseite des Türchens klebte. Es zeigte einen blassen, langhaarigen Mann mit Bart, dessen Augen strahlten. Um seinen Kopf hatte der Künstler in Regenbogenfarben eine Art Heiligenschein oder Aura gestaltet. ›Jesus Sananda‹ stand in Schnörkelschrift darunter.

»Was, die Schönhoff ist Esoterikerin? So eine von diesen abgedrehten Spinnern? Ich wusste schon die ganze Zeit, dass sie einen Knall hat, aber gleich so einen großen … ha, ein Astro-TV-Opfer. Wer hätte sowas gedacht. Und ich wusste gar nicht, dass der alte Jesus mit Nachnamen Sananda hieß. Das hat uns die Bibel wohl verschwiegen«, feixte Zielinski. Man konnte ihm ansehen, wie begeistert er über die unerwartete Entdeckung war. Er reckte nun erst recht den Hals, um den Inhalt des Fachs genauer einsehen zu können. Neben einer lila Edelsteindruse lag ein Werkzeug.

»Das da kenne ich. Das ist ihre heilige Gartenschere«, kicherte Paul albern.

»Hä, ihre … was?«

»Die heilige Gartenschere der Larissa Schönhoff«, echote Paul. »Die Story dahinter musste sich schon jeder der Kollegen anhören, erst recht natürlich die Azubis. Diese Schere hatte sie damals zu Beginn ihrer eigenen Ausbildung vom Chef erhalten, vor einer kleinen Ewigkeit muss das gewesen sein. Offenbar war sie derart stolz darauf, dass dieser Typ ihr ihre eigene Blumenknipse in die Hand gedrückt hat, dass sie das uralte Ding seither in Ehren hält und niemanden hinlangen lässt.

Sie meint offenbar, diese Tradition fortsetzen zu müssen. Jeder Azubi kriegt deshalb hier auch so ein Gerät, und nicht gerade das billigste. Wehe dem, der es verlieren oder kaputtmachen würde. Ach, hier ist übrigens meines«, erzählte Zielinski. Er griff in die Brusttasche seiner Latzhose und förderte eine neuwertige Schere der Marke Felco zutage.

»Heilige Gartenschere … du bist vielleicht witzig«, lachte Marit. Sie lachte überhaupt viel öfters, seit sie von La Palma zurück war. Was in erster Linie daran lag, dass ein gewisser Björn sie täglich zweimal über Skype anrief.

»Was denn. Die muss heilig sein. Wenn sie neben Jesus Sananda liegen darf … haben Sie nie den legendären Film von Monty Python gesehen? In ›Life of Brian‹ war es erst eine heilige Sandale und dann eine Korbflasche, der die Gläubigen hinterhergehechelt sind. Der anzubetende Gegenstand ist, wenn man einfältig genug ist, beliebig austauschbar«, gab er schlagfertig zurück.

»Klar kenne ich den Film. Der ist klasse«, gestand Marit.

Paul schien den Plausch mit der unkonventionellen Beamtin zu genießen. Er verhielt sich bereits viel weniger abweisend als zu Beginn. Oder taktierte er aus irgendwelchen Gründen? Je redseliger die Leute wurden, desto mehr Skepsis war angebracht. Man würde es bald sehen, denn die eigentliche Befragung dieses Lehrlings stand noch aus.

Marit schloss das Fach sorgfältig wieder ab.

»Paul, kommen wir mal zur Sache. Du hattest wegen der Ausbildung naturgemäß ständigen Kontakt zu Frau Schönhoff. Ich müsste dir also ein paar Fragen stellen, damit wir sie und ihre Abwesenheit wenigstens ein bisschen besser einschätzen können. Mir ist klar, dass das hier auf der Arbeit schlecht geht, du musst sicher noch etwas tun für deinen Lohn. Könntest du bitte heute, gleich nach der Arbeit, bei uns im Revier vorbeischauen?«

»Nö, ich würde Ihre Fragen lieber gleich an Ort und Stelle beantworten. Zu tun gäbe es eh nichts Wichtiges. Keiner weiß was mit mir anzufangen, wenn die Frau Capo nicht da ist. Die lassen mich die ganze Zeit welke Blättchen abschneiden oder Anzuchttöpfe mit Erde befüllen, und zwar tausende davon. Dabei werden die erst fürs nächste Frühjahr gebraucht. Ich habe längst keinen Bock mehr auf diese langweilige Dreckwühlerei«, grummelte der adipöse Junge, während er mit beiden Daumen die Tastatur auf seinem Smartphone malträtierte. Soweit sie es erkennen konnte, erteilte er gerade Zockern über ein Forum Insider-Tipps, wie man sich bestimmte Items für ein Online-Game freischaltete.

Marit konnte sich schlecht vorstellen, dass er die Blumentöpfchen mit derselben Geschwindigkeit befüllte. Paul schien Prioritäten zu setzen. Wie ein passionierter Gärtner wirkte er jedenfalls keineswegs. Eher wie Einer, der sich wider Willen hier aufhielt. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, dass es zwischen ihm und seiner Ausbildungsleiterin öfters Stress gegeben hatte. Mochte möglich sein, aber hatte er deshalb mit ihrem Verschwinden zu tun? Wohl eher nicht.

Paul musste für seine Aussage dann doch ins Revierkommissariat kommen. Jablonski und Weichelt waren mit ihren Befragungen nämlich schon fertig, gesellten sich zu ihnen. Das lag daran, dass scheinbar keiner der Beschäftigten viele Angaben zur Vermissten hatte machen können – oder wollen. Was Marit ziemlich seltsam fand, denn bei ihr im Revier war es schließlich auch üblich, dass man sich näher kannte und gelegentlich über Privates sprach.

Im Falle von Larissa Schönhoff hatte es hingegen fast den Anschein, als wäre nur ein Geist durch den Betrieb geschwebt. Ein unscheinbarer, selbstgerechter, unnahbarer Mensch, für den sich niemand erwärmen konnte.

Kapitel 2

Xanthippen unter sich

Sommer 2018, Wernigerode, Bei den Schlehen

Lara wusste genau, dass es keine sehr gute Idee war, hierherzukommen. Sie konnte es dennoch nicht bleiben lassen. Immer wieder führten sie ihre Wege zu jenem Einfamilienhaus, welches sie bis vor wenigen Monaten zusammen mit Gerald bewohnt hatte. Die Trennung tat immer noch höllisch weh, auch wenn die Beziehung bereits Jahre zuvor alles andere als ideal gelaufen war.

Meistens fuhr sie auf dem Heimweg von der Arbeit dort vorbei, parkte ihr Auto ums Eck in einer ruhigen Nebenstraße und linste eifersüchtig in den Garten, prüfte nach, ob ›seine Neue‹ etwas an Haus oder Grundstück, in ihrem angestammten Revier, verändert hatte. Bis dato war dies zum Glück noch nicht der Fall gewesen.

Heute aber schon. Diese blöde, geschmacklose Kuh hatte ihre witterungsbeständig glasierten Blumenkübel, deren Kornblumenblau weithin geleuchtet hatte, gegen grässliche dunkelgraue Billigdinger aus geflochtenen Plastikstreifen ausgetauscht. So was war zwar momentan modern, dabei aber nicht unbedingt schön oder zweckmäßig. Es grenzte für sie an ein kleines Wunder, dass dieses Produkt im Gartencenter derzeit hundertfach verkauft wurde.

Die Behälter verunstalteten nach ihrer Ansicht die Terrasse. Ihre Terrasse, das mediterrane Flair, das sie an sonnigen Wochenenden so sehr genossen hatte. Dass ausgerechnet Gerald sie in seinem Garten duldete … er war vom Fach, wusste daher zweifellos, dass die Pflanzen dort drinnen keinesfalls heil durch den Winter kommen konnten, auch nicht in Vlies eingepackt.

Anschließend entdeckte sie einen Wäscheständer, an dem rote und schwarze Spitzentangas nebst den passenden BH-Oberteilen hingen. Diese dürre Schickse musste es ja bitter nötig haben, sich Gerald derart lasziv anzubiedern. Dabei gab es an ihr vorne und hinten nichts, das man hätte knackig verpacken müssen.

Vor lauter Frust übersah sie glatt, dass die Besitzerin jener aufreizenden Unterwäsche faul auf der kreisrunden Polsterinsel unter einem riesigen mintgrünen Brauerei-Sonnenschirm fläzte, den sie nach dem Einzug einem Kunden abgeschwatzt hatte, und lustlos in einer Frauenzeitschrift blätterte.

Besagte Kathrin Hohlwanger bemerkte ihre neiderfüllte Rivalin zufällig beim Aufschauen. Sie erhob sich gemächlich, schlenderte auf diese zu und lehnte sich, mit verschränkten Armen und einem überheblichen Grinsen im Gesicht, an den Stamm einer jungen Rotbuche nahe der Grundstücksgrenze.

Hier bot sich gerade eine günstige Gelegenheit, eine der weiblichen Kriegswaffen, über die sie so gerne in ihren Magazinen las, selbst auszuprobieren. Geralds höchst impulsive Exfrau bot perfekte Voraussetzungen, so etwas live und in Farbe zu erleben. Die liebe Frau Schönhoff würde nun eben mit den Folgen umgehen lernen müssen, wenn sie sich aus purer Missgunst in dieser Straße herumdrückte. Eine bodenlose Unverschämtheit war das. Okay, wenn sie es unbedingt so haben wollte, konnte sie sich gern ein paar verbale Maulschellen abholen.

 

Lara hätte sich am liebsten noch schnell verdrückt. Aber dafür war es jetzt eindeutig zu spät.

So eine Kacke! Ich wollte nicht, dass diese Schreckschraube mich bemerkt und ihre Genugtuung bekommt, haderte sie mit dieser unangenehmen Situation. Was soll’s, jetzt ist es passiert … Angriff ist die beste Verteidigung. Also auf in den Kampf, Augen zu und durch.

»Du hast hier überhaupt nichts verloren, Kathrin! Verschwinde endlich vom Grundstück und lass meinen Ehemann in Frieden«, giftete sie zum Auftakt über den Jägerzaun.

»Deinen Ehemann, bist du total bescheuert? Du hast dich scheiden lassen und dir stattdessen meinen geangelt. Was für ein Wunder, dass eine Schlampe wie du auch von ihm nach kürzester Zeit schon die Schnauze voll hatte – oder eher er von dir, was ich für erheblich wahrscheinlicher halte.

Na, wer von uns ist denn jetzt Diejenige, die übriggeblieben ist und inzwischen mutterseelenalleine lebt? Das hier ist nicht mehr dein Revier, sondern meines«, ätzte Kathrin hochnäsig zurück.

»Ja, bis jetzt noch. Warte nur, Gerald wird dich auch bald ausrangieren. Der ist ein Fremdgeher vor dem Herrn. Eine gute Gelegenheit, vielleicht noch ein bisschen Alkohol dazu – und schon besteigt er eine Andere, ehe du piep sagen kannst. Es gibt immer eine Schönere oder eine Jüngere, die ihm über den Weg läuft. Ich würde mich an deiner Stelle niemals und nirgends zu sicher fühlen«, behauptete Lara süffisant.

Das Gesagte entsprach gleichwohl nur teilweise der Wahrheit.

»Ach ja, meinst du? Also bei mir bekommt er im Bett alles, was er braucht. Wenn man hingegen mit einer farblosen Öko-Braut wie dir zusammen ist, bleibt einem ja praktisch gar nichts anderes übrig, als alles zu pimpern, was bei Drei nicht auf einem Baum sitzt«, konterte Geralds Neue bissig.

Ihr kam es gerade recht, dass sich das Streitgespräch in Windes-eile zu wahrem Zicken-Terror aufschaukelte. Alles das, was mit ihrer Vorgängerin zusammenhing, kotzte sie mächtig an. Sie hatte mittlerweile einen regelrechten Hass auf Larissa Schönhoff entwickelt, welche bedauerlicherweise immer noch den Familiennamen ihres Geschiedenen trug – ganz im Gegensatz zu ihr.

Die Dinge liefen in diesem schönen Haus, welches sie, zusammen mit Bewohner Gerald, quasi per feindlicher Übernahme in Besitz genommen hatte, anders als erträumt. Weder war Laras Ex der tolle Traumprinz, den er ihr anfangs vorgespiegelt hatte, noch wollte er sie, seine einstige Nachbarin und Geliebte, heiraten.

Zudem intervenierte er sofort, sobald sie in Haus und Grundstück optische Veränderungen vorzunehmen gedachte, auch um Laras allgegenwärtige Spuren zu tilgen und stattdessen den eigenen Geschmack einziehen zu lassen. Alles musste so bleiben, wie es war. Das galt sogar fürs Schlafzimmer, ein Unding.

Warum er so an der Vergangenheit klebte, war ihr unerfindlich.

Inzwischen bereute sie insgeheim, sich mit Gerald eingelassen zu haben. Allerdings hätte sie das niemandem gegenüber zugegeben. Daher hielt sie eisern am unbefriedigenden Ist-Zustand fest, und wenn es nur war, um den Kritikern in Familie und Freundeskreis keine neue Angriffsfläche zu bieten. Man war damals wegen des Ehebruchs ganz schön heftig mit ihr ins Gericht gegangen.

Oh ja, sie brauchte jemanden, auf dem sie ihren geballten Frust abladen konnte, einen menschlichen Blitzableiter sozusagen. Dafür kam Verursacherin Lara jetzt goldrichtig daher.

Die wiederum bildete sich ein, dass Gerald seiner Kathrin ein Leben bot, wie er es ihr teils aus Geiz, teils aus Desinteresse versagt hatte. Dass er bei der Neuen großzügiger und liebevoller war, sie respektierte. Der Gedanke, dass die beiden heuer in Thailand im Urlaub gewesen waren, brachte sie fast um den Verstand. Mit ihr war Gerald nie weiter als bis zur Ostsee gereist, immer mit Hinweis auf hohe Kosten, die sie sich angeblich nicht leisten konnten.

Gut, an Kathrin hatte sie sich bereits gerächt, indem sie mit deren Mann angebandelt, ihn für die Scheidungsverhandlung aufgehetzt und danach schnöde fallen lassen hatte. Aber neidisch auf Kathrins vermeintlich schönes Leben war sie nach wie vor, daher stieg sie voll in den Streit ein, warf ihrerseits jede Menge Gemeinheiten in den Ring – bis eine ältere Frau aus der Nachbarschaft die Schnauze voll hatte und damit drohte, wegen Ruhestörung die Polizei zu holen.

*

22. Mai 2019, Reddeber

Bevor er an den wohlverdienten Feierabend denken durfte, galt es noch kurz bei Kundschaft vorbeizuschauen. Eine etwas einfältig wirkende Dame hatte ihm schon dreimal Nachrichten auf die Mailbox gesprochen und dringend um Rückruf gebeten. Vorhin hatte er endlich einen Termin mit ihr vereinbart.

Eigentlich konnte er es nicht ausstehen, wenn die Leute keinerlei Geduld bewiesen. Was dachten die sich bloß? Er ging nun mal keiner Büroarbeit nach, wo man den lieben langen Tag direkt neben dem Telefon hockte und sich sofort um jeden Anruf kümmern konnte. Sein Smartphone lag oft im Führerhaus des Kleinlasters, damit es keinen Schaden nahm.

Dreimal hatte er schon das Display austauschen lassen müssen, jedes Mal eine Stange Geld dafür hingelegt. Diese Dinger waren zu empfindlich, um Regengüsse, Stürze, Stöße und erdige Hände auszuhalten. Man konnte sie in diesem Beruf nicht am Mann tragen, ohne gleich einen Totalverlust zu riskieren. Deshalb hatte er das Gerät inzwischen dauerhaft aus den Hosentaschen verbannt – mit dem Ergebnis, dass er gelegentlich Anrufer verärgerte, weil sie ihn nicht erreichten. So auch die penetrante Tussi mit der zischenden Fistelstimme, zu der er gleich hinfahren musste.

Das Grundstück dieser Nervensäge befand sich im angrenzenden Dorf Reddeber, am hintersten Ende einer Sackgasse namens ›Auf der Breite‹. Schon aus einiger Entfernung erkannte sein geschulter Blick, wie verwahrlost das rechteckige Gelände wirkte.

Das verhältnismäßig mickrige, bescheidene Wohnhaus duckte sich an den straßenabgewandten Rand des Areals, so als würde es nicht gesehen werden wollen. In seinen Augen war es völlig idiotisch, ein Grundstück derart planlos zu konzipieren und nachher nicht einmal die Außenanlagen und eine ordentliche Zufahrt fertigzustellen. ›Ganz oder gar nicht‹ lautete sein Motto.

Das riecht nach wochen-, wenn nicht monatelanger Plackerei, wenn man das alles anständig herrichten will. Hoffentlich verfügt das Weibsstück über mehr Geld als Geduld. Sonst sehe ich da kohlschwarz, sinnierte Gerald abschätzig. Er parkte seinen Kleinlaster direkt vor der Gartentür und bemerkte beim Aussteigen, dass man ihn, vom Carport des gegenüberliegenden Gebäudes aus, misstrauisch beäugte.

Auch das noch, hyperneugierige Nachbarn, die einen womöglich mitten im Schuften anquatschten und ein Loch übers richtige Gießen in den Bauch fragen wollten. Oder alle fünf Minuten daherkamen und forderten, dass man den Laster wegfuhr, damit sie ihr Auto bequem aus der Einfahrt bugsieren konnten. Diese Sorte Mensch hatte er sowas von gefressen. Am liebsten wäre er gleich wieder abgehauen. Manche Aufträge waren die Nervenkraft nicht wert, die man beim Geldverdienen verschwendete.

Den passenden Zeitpunkt für seinen Abgang hatte er leider versäumt. Die Haustür des hässlichen Häuschens wurde aufgerissen – und ins Freie trat erstaunlicherweise keine Hexe, sondern eine hübsche Frau in den Dreißigern. Nun wurde die Sache doch ein wenig interessanter. Geralds Verhältnis zum schönen Geschlecht war von jeher ambivalent. Einerseits faszinierten ihn Frauen derart, dass er kaum die Finger von ihnen lassen konnte, andererseits gingen sie ihm aber auch schnell auf den Geist.

»Da sind Sie ja endlich«, sagte sie zur Begrüßung.

Nicht gerade sehr freundlich, diese Ansprache. Und die Art und Weise, wie sie ihr apartes Gesicht zu einer säuerlichen Grimasse verzog, erinnerte ihn stark an seine Alte. Ein dicker Minuspunkt mehr auf ihrem Sympathiekonto. Hätte Gerald momentan nicht jeglichen Auftrag gebraucht, um seinen neu angeschafften Kleinbagger abbezahlen zu können, wäre er spätestens jetzt unverrichteter Dinge abgehauen.

»Ja, ich habe Sie eingeschoben, obwohl ich eigentlich voll ausgebucht bin. Ich muss auch gleich weiter. Sie wollten irgendwas wegen Ihrem Garten besprechen?«, machte er Druck. Diese Masche hatte System. Wer sich rar machte, war umso gefragter.

»Keine Sorge, ich werde Sie jetzt nicht allzu lange aufhalten. Ich möchte nur, dass Sie einen kurzen Blick hinters Haus werfen und mir aus Sicht des Landschaftsgärtners einen Vorschlag unterbreiten, was man aus diesem Grundstück machen könnte, damit es sich hinterher gut verkaufen lässt. Wissen Sie, dies war das Haus meiner Eltern. Ich habe es erst neulich geerbt. Leider haben Papa und Mama zeitlebens nicht so viel verdient, dass sie es ordentlich hätten herrichten können. Schon das Abbezahlen des Kredits war schwierig genug gewesen. Und dann die schmale Rente … inzwischen ist es ein wahrer Schandfleck.

Nun muss ich das Ganze fertigmachen, habe aber keinerlei Ahnung von Gärten. Ich wohne in einer Münchner Eigentumswohnung, wo es bloß einen Balkon mit ein paar Blumenkübeln gibt. Keine zehn Pferde würden mich dazu kriegen, hierher ans Ende der Welt zu ziehen. Deswegen kommt für mich nur ein baldiger Verkauf infrage«, stellte sie achselzuckend fest.

»Verstehe ich. Wenn man es sich leisten kann, in der Stadt zu wohnen, sollte man das auch machen. Dort sind wenigstens die Nachbarn meistens nicht dermaßen neugierig wie die Proleten da drüben«, brummte Gerald in seinen Bart.

»Ja, mit deren Schnüffelei war ich ebenfalls schon konfrontiert. Als ich ankam, sind die doch tatsächlich zu viert auf dem Grundstück herumgeschlichen und haben angestrengt versucht, in die Fenster zu schauen. Einer stand sogar auf dem Garagendach. Sowie sie mich bemerkten, wollten sie wie eine Horde Kakerlaken verschwinden. Dabei wäre der Depp noch fast vom Dach gefallen«, lachte die potentielle Auftraggeberin.

Geiler schwarzer Humor. Wenn sie auftaut, ist sie ja glatt erträglich. Und das Weib hat Beine bis zum Hals, stellte Gerald in Gedanken fest.

Er fiel in ihr Lachen ein, wurde aber gleich wieder ernst. Er war schließlich nicht zur spaßigen Unterhaltung hier. So toll, dass er für sie seinen Feierabend geopfert hätte, fand er Dalia Schrempp auch wieder nicht.

»Okay … also zur Sache. Ich fotografiere das Areal und fertige daheim eine grobe Zeichnung an, wie ich mir die Gestaltung vorstellen könnte. Das Endergebnis ist natürlich vom Budget abhängig – und davon, dass Sie mir eine feste Zusage und eine Vorauszahlung geben. Billig wird das Ganze allerdings nicht, das sage ich Ihnen gleich. Sie müssten da mindestens ein Vierteljahr einplanen und damit leben können, dass ich an einigen Tagen gar nicht auf dieser Baustelle erscheine. Schließlich bin ich ein Ein-Mann-Betrieb und habe weitere Verpflichtungen«, leierte Schönhoff seine üblichen Erläuterungen herunter.

Sie seufzte tief.

»Damit hatte ich durchaus gerechnet. Na schön, ich versuche meinen Aufenthalt als eine Art Urlaub zu betrachten. Ich arbeite im Homeoffice. Das geht auch von hier aus, wenngleich das Internet natürlich langsamer ist. Wären Sie mit einer Anzahlung von fünftausend Euro einverstanden? Die bekämen Sie beim nächsten Mal in bar, wenn es Ihnen recht ist. Aber ich bräuchte selbstverständlich Rechnung und Kostenvoranschlag.«

Scheiße. In bar und ohne Rechnung wäre mir lieber gewesen, dachte Gerald und nickte. Jetzt freute er sich auf die Herausforderung, diese öde Wüste voller Unkraut in eine blühende Landschaft verwandeln zu dürfen. Sein Beruf erfüllte ihn an sich, einzig der Umgang mit Menschen kotzte ihn viel zu häufig an. Nun ja. Diese Kundin war wenigstens eine Augenweide und bereit, sich die Marschrichtung und den Preis diktieren zu lassen. Sowas schätzte er.

»Dann ist es ausgemacht. Übermorgen haben Sie die Zeichnung und den Kostenvoranschlag. Änderungen wären dann noch drin. Könnte ich jetzt mal schnell in den Garten, die Fotos schießen?«

Sie trat zur Seite, ließ ihn endlich in den Hausflur.

»Klar, wo bleiben meine Manieren … bitte kommen Sie herein. Ich bin wegen dem ganzen Beerdigungsstress so durch den Wind, dass ich nicht mehr klar denken kann. Das Reden fällt mir ebenfalls schwer. Ich hatte vor zwei Jahren eine Schilddrüsen-Operation, bei der sie versehentlich die Stimmbänder in Mitleidenschaft gezogen haben. Ich prozessiere immer noch wegen dieses Kunstfehlers gegen das Krankenhaus«, krächzte sie.

 

Hinter dem Haus stellte Gerald fest, dass die kleine Terrasse neu gepflastert werden musste. Die Steine waren halb verrottet, Moos wucherte wegen Feuchtigkeit aus sämtlichen Fugen. Man musste eine anständige Drainage, Wege und eine Zufahrt anlegen, einen Zaun bauen, das gesamte Grundstück roden und unzählige Pflanzen einsetzen, außerdem brauchte es eine Rasenfläche. Hoffentlich hatte die Schrempp tatsächlich so viel Kohle zur Verfügung, wie hierfür vonnöten war. Er wusste bereits jetzt, dass ein Vierteljahr für dieses Projekt nie im Leben ausreichen würde, aber das behielt er vorläufig für sich.

Dieser Auftrag war ein Geschenk des Himmels. Nicht bloß, weil er bei weitem nicht so ausgebucht war, wie er vorgab. Er brauchte ein Grundstück, wo er etwas ganz Bestimmtes, das niemand finden oder gar mit seiner Person in Zusammenhang bringen durfte, vergraben konnte.

Dieses hier schien ihm dafür ideal zu sein.

*

23. Mai 2019, Revierkommissariat Wernigerode

Die Mordkommission Wernigerode war sich zwar immer noch nicht sicher, ob der Vermisstenfall Lara Schönhoff tatsächlich in ihr Ressort gehörte, aber Marit Schmidbauer und Fred Jablonski befassten sich dennoch damit. Es gab momentan einfach kein aktuelles Tötungsdelikt, das man hätte aufklären müssen.

Da machte sich schnell Langeweile breit.

Ronny Weichelt war Hauptkommissar Mader mehr als dankbar, dass Kollegen aus seinem Team ihm unter die Arme greifen, die eine oder andere Vernehmung an seiner Statt durchführen durften. Er hatte eine Vielzahl an Aufgaben zu bewältigen, welche ihn anderweitig forderten.

Revierleiter Wolters hatten sie die Maßnahme mit der Tatsache begründet, dass sein Team im Falle des Falles, dass die Frau doch irgendwann als Leiche wiederauftauchte, bereits vollumfänglich informiert und tief genug in der Sache drin wäre, um den Mordfall gegebenenfalls nahtlos übernehmen zu können.

Auch an diesem Vormittag tigerten der dünne, hochaufgeschossene Spargel und die hübsche Mittdreißigerin zu Weichelts Büro, das in einem anderen Gebäudetrakt lag. Es gab nach der Vernehmung des Gärtner-Azubis so einiges zu besprechen.

Marit hatte das Interviewprotokoll bei sich. Sie wusste immer noch nicht recht, was sie von Paul Zielinski halten sollte und war gespannt, wie die anderen den Grad seiner möglichen Gefährlichkeit einschätzten.

»Kommt rein. Ihr könnt euch hier nach Belieben breitmachen, mein Kollege ist diese Woche noch in Urlaub«, empfing sie Weichelt mit einer einladenden Handbewegung. Er spekulierte schon lange darauf, das Ressort zu wechseln und eines schönen Tages bei der Mordkommission arbeiten zu dürfen. Wenn er sich jetzt nicht allzu ungeschickt anstellte, würden Fred und Marit vielleicht ein gutes Wort beim Big Boss für ihn einlegen, sodass er bei der nächsten Neubesetzung zum Zuge käme.

Das jedenfalls erhoffte er sich – die Chance auf einen Aufstieg zu bekommen und in einer höheren Liga spielen zu dürfen.

»Na gut, dann schießt mal los. Wie ist die Vernehmung mit Paul Zielinski gelaufen?«

Marit überreichte ihm das Gesprächsprotokoll für die Akte.

»Ehrlich gesagt, weiß ich immer noch nicht, was ich von diesem Kerl halten soll. Eines ist aber klargeworden. Er hasst seine Chefin Schönhoff, wollte wegen ihr schon die Ausbildungsstelle hinschmeißen. Angeblich ist er jeden Morgen mit Magenschmerzen zur Arbeit gegangen, derart unwohl hat er sich gefühlt.

Der Typ ist für mich sowieso ziemlich undurchsichtig. Einerseits wirkt er keineswegs zart besaitet, zockt offenbar die übelsten Ballerspiele, andererseits aber wirft ihn die leiseste Kritik um. Da ist unser Paulchen eine Mimose vor dem Herrn. Wie passt sowas zusammen, frage ich euch?

Er scheint sich nur in der virtuellen Welt richtig wohlzufühlen. Also dort, wo er die Regeln diktieren oder zumindest offensiv ins Geschehen eingreifen kann, ohne auf irgendjemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Im Game sind Menschen ersetzbare Charaktere, die sogar wiederauferstehen, sobald man es neu startet.«

»So, wie du das gerade beschreibst, klingt das nach einem echten Psychopathen. Dann wäre ihm alles zuzutrauen, auch ein eiskalter Mord an seiner Chefin.«

Fred verkniff sich ein breites Grinsen. Da hatte sich wohl einer aus dem Internet Pseudo-Profilerwissen angeeignet oder zu viele US-Polizeiserien angeschaut.

»Es wäre ein bisschen früh, so krass über ihn zu urteilen. Sagen wir vorläufig, es handele sich um einen Eigenbrötler, dem seine Mutter in Kindertagen rechtzeitig den Zugang zum Internet hätte kappen sollen, anstatt ihn stundenlang zocken und ihn innerlich vereinsamen und verrohen zu lassen«, korrigierte Jablonski.

»Und schon sind wir wieder bei der alten und immer noch weitgehend ungeklärten Frage, ob einer, der im Ego-Shooter reihenweise Leute abknallt, auch in der Realität hierzu in der Lage wäre. Da sind sich nicht einmal die Psychiater einig.

Nach meiner persönlichen Einschätzung wäre unser Paul Zielinski zwar fähig, Lara Schönhoff derbe Streiche zu spielen oder scharfzüngig Unwahrheiten über sie zu verbreiten, aber ein sorgfältig geplanter Mord inklusive Leichenbeseitigung? An das denke ich eher nicht«, meinte Marit achselzuckend.

»Stimmt, sehe ich ähnlich. Wenn er sie gekillt hätte, dann eher aus dem Augenblick heraus, im Affekt. In diesem Fall hätten wir sie aber mit einer Hacke im Rücken im Gewächshaus finden müssen – oder so. Wieso sollte er einen Riesenaufwand betreiben, um sie verschwinden zu lassen? Er hätte einfach im Betrieb Findeisen kündigen und seine Gärtnerausbildung woanders fortsetzen können«, gab Fred zu bedenken.

Seine Gesprächspartner nickten einhellig.

»Ich habe in der Zwischenzeit übrigens nicht nur Paulchen befragt, sondern auch ein wenig recherchiert, was es mit dem Zeug in Schönhoffs Schrankfach auf sich haben könnte. Die Story hinter der Gartenschere hatte Zielinski uns ja eingängig erklärt. Aber da drin waren ja noch das Poster und die lila Edelstein-Druse gewesen«, merkte Marit nebulös an.

»Und?«, fragten Weichelt und Jablonski wie aus einem Mund.

Sie musste unwillkürlich lachen.

»Und schon sitzt ihr da wie zwei wissbegierige Esoterik-Jünger, die ihrer Vorbeterin bereitwillig an den Lippen hängen. Das passt voll zum Thema«, amüsierte sie sich. Dann legte sie los.

»Also, Sananda ist ein himmlischer Meister oder Engel, der, unter anderem, als Jesus auf der Erde inkarniert sein soll. Er ist für den Menschen in allen seinen Manifestationen die aktiv wirkende Kraft des Guten, wenn ich das richtig verstanden habe. Er steht eigentlich für die reine christliche Lehre des Lichts, die nicht von menschlichen Interpretationen verunreinigt ist.

Hierbei geht es auch um die Endzeit. Wenn der Mensch seinen Lehren folgt, wird er nach der großen Reinigung der Erde göttlich werden, im Licht aufgehen und sich frei durch die Dimensionen bewegen können. Ansonsten bleibt er in seinen selbstangelegten Fesseln stecken, hat seine Befreiung verwirkt.

Die Lehre dreht sich darum, im irdischen Leben für sich selbst Verantwortung zu übernehmen und den anderen Menschen zwar Liebe zu senden, die eigene Seele gleichzeitig aber vor Einflüssen zu schützen und abzugrenzen. Wer sich selbst nicht lieben kann, schafft das auch nicht bei anderen.

Mitleid ist kontraproduktiv, nachdem es sich da um eine negative Regung handelt, Mitgefühl dagegen notwendig. Angeblich ist diese Welt nur voller Leid, weil wir unser eigenes Wesen geringschätzen und deshalb unsere volle geistige Kraft nicht ausschöpfen können. Weil wir nicht sehen, wer wir wirklich sind.