Radieschen von unten

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Sananda steckt in uns allen. Wir müssen ihn nur finden und ans Ruder lassen, durch Liebe die Angst verlieren«, referierte Marit.

Zwei Augenpaare starrten sie entgeistert an.

»Wow! An dir ist ja glatt ein Guru verlorengegangen. Diese Facette kannte ich noch gar nicht«, lästerte Fred augenzwinkernd.

Weichelt geriet ins Grübeln, rieb sich die Bartstoppeln.

»Aber die Sache ist von Grund auf unlogisch. Wenn die Schönhoff diese Sache mit Sananda, Licht und Liebe aus voller Überzeugung praktiziert hat, wieso war sie dann zu den Menschen in ihrer Umgebung so ekelhaft, wie man sie beschreibt?«

»Guter Einwand. Vielleicht war sie es leid, immer als die Böse angesehen zu werden und wollte sich mithilfe dieser … hm, dieser Philosophie oder Religion Schritt für Schritt ins Gegenteil verändern«, brachte Fred einen Lösungsvorschlag.

»Könnte gut möglich sein.«

»Dann ist sie womöglich in die Fänge einer Sekte geraten?«

»Sehr unwahrscheinlich. Die Sananda-Jünger lehnen Dogmen und Bevormundung strikt ab, suchen die Wahrheit allein in sich selbst. Denn alles andere würde schließlich von der reinen Lehre ablenken und fatalen Fehlinterpretationen Vorschub leisten, genauso, wie es bei sämtlichen Weltreligionen wohl tatsächlich passiert ist. Denkt nur an die Kreuzzüge oder Islamisten«, gab Marit stirnrunzelnd zu bedenken.

»Stimmt auch wieder.«

»Okay, dann lassen wir das mal so im Raum stehen«, sagte Weichelt, dem das Esoterik-Gesülze allmählich zu bunt wurde.

»Und was ist mit diesem Edelstein? Soll der auch dabei helfen, ein besserer Mensch zu werden?«, wollte er wissen.

»Könnte man so sagen, ja. Ich will jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, aber es handelt sich dabei um einen Amethyst. Und der wirkt angeblich auf das ›Kronen-Chakra‹ des Menschen, fördert Spiritualität, Zufriedenheit, Gelassenheit, Transformation, Reinigung, Heilung und Energie. Kurzum, dieser Stein verbindet das Individuum mit dem Universum und dem Göttlichen, wenn man hieran glauben will. Ob ihr es wahrhaben wollt oder nicht, im Internet tummeln sich sogar Eso-Freaks, die versprechen, dass sie die Energie dieses Sananda hineintransferieren können.«

»Ja, leckt mich doch mal am Allerwertesten! Wie kann es Leute geben, die so blöd sind, das zu glauben«, entfuhr es Fred. Er trug, wenn er seine geliebten Mittelalterfeste besuchte, zwar oft selbst Halbedelsteine am Lederband um den Hals, aber selbstverständlich nicht mit irgendwelchen kranken Engelsenergien drin.

»Oh, dafür gibt es eine unerschöpfliche Klientel, und das weltumspannend. Ich habe mich damit eine ganze Weile befasst. Du würdest staunen, wie viel Geld dafür ausgegeben wird, einen aufgeladenen Edelstein von einem selbsternannten Meister, welcher angeblich himmlische Energien anzapft, zu besitzen. Das ist ein riesiger, schier unüberschaubarer Markt.«

»Dies sind doch alles Betrüger, die die Gutgläubigkeit alter Weiber ausnutzen. Sowas sollte verboten werden«, schimpfte Fred.

»Alte Weiber? Falsch vermutet, beide Geschlechter und fast alle Altersgruppen sind hieran rege beteiligt. Scheinbar existiert keine feste Zielgruppe fürs Transzendente. Die Sehnsucht nach einem tieferen Sinn im Leben treibt den Menschen seit jeher an.

Aber du solltest das Ganze auch mal von folgender Seite sehen. Wenn es den Leuten guttut, warum nicht? Man bezahlt im Leben auch für erheblich sinnlosere Dinge als das eigene Wohlbefinden, ohne groß darüber nachzudenken. Außerdem wird das Angebot von der Nachfrage bestimmt. In Zeiten der Reizüberflutung kann ein wenig Besinnung auf innere Werte wohl kaum schaden. Keiner wird gezwungen, sowas zu kaufen oder zu meditieren.«

Fred zog immer noch ein skeptisches Gesicht.

»Meinetwegen. Dann hatte Zielinski doch recht. Wenn die alte Gartenschere neben dieser Edelstein-Druse liegen durfte, war sie ihr offenbar wirklich heilig. Und was sagt das alles jetzt über unsere Vermisste aus? Lasst mich mal nachdenken.

Wir suchen nach einer etwas einfältigen, sonst durchschnittlichen Frau mittleren Alters, die bislang durch ekelhaftes Verhalten auf sich aufmerksam gemacht hatte, nun aber ihr Leben grundlegend zu ändern gedachte. Vielleicht wollte sie mit diesem Esoterik-Kram in erster Linie auf sich aufmerksam machen, wie so eine moderne Hexe oder selbsternannte Heilerin.

Marit, vielleicht solltest du nochmal die einschlägigen Seiten im Internet nach ihrem Namen durchforsten. Womöglich ist diese Schönhoff einfach absichtlich untergetaucht, um ihr neues, lichterfülltes Leben, und zwar ohne die Bürde eines Gartencenters am Hals zu haben, mit Gleichgesinnten zu genießen.«

»Habe ich bereits gemacht. Fehlanzeige«, entgegnete sie.

»Mist. Wäre auch zu schön gewesen«, brummte Weichelt.

»Tja, dann müssen wir weitere Leute vernehmen und nach ihr suchen. Hoffen wir, dass dieser Sananda-Kerl – oder seine irdische Entsprechung – sie nicht direkt in den Himmel entrückt hat. Sonst wird‘s tatsächlich noch ein Fall für die Mordkommission«, ergänzte er ironisch und bedankte sich bei seinen Kollegen für die umfassende Recherche.

Fred und Marit erhoben sich, gingen Seite an Seite in ihre eigene Abteilung zurück, um sich dort weiter zu langweilen.

Auf dem Weg zu ihrem Zimmer hallten in Marits Kopf die eigenen Worte nach. Irgendwas hatte sie bei der Recherche über Jesus Sananda im Innersten berührt. Sie konnte sich auch denken, weshalb das so sein mochte.

Seit wenigen Wochen stellte sie verblüfft am eigenen Leib fest, wie total und grundlegend ein übervolles, liebendes Herz die Einstellung zu sich selbst und der Welt verändern konnte. Allerdings wohnte in dem ihren kein Sananda, sondern vielmehr ein Björn. Vielleicht ging es in Wahrheit auch nur darum. Im Herzen durfte kein Leerstand herrschen, dann war alles in bester Ordnung.

In ihrem Büro angelangt, griff sie in den Ausschnitt ihrer Bluse und umschloss den Rosenquarz, der neuerdings an einem goldenen Kettchen dort baumelte, mit der linken Hand. Dieser schöne Halbedelstein stand, wie sie neuerdings wusste, für die reine, die wahre Liebe. Der Stein musste laut Beipackzettel genau in Herzhöhe hängen.

Er fühlte sich warm an, genauso wie ihre Gefühle.

*

25. Mai 2019, Fußgängerzone Wernigerode

Momentan bekam es Bernd Mader gar nicht, dass es im Revier so wenig Arbeit gab. Solange kein Fall zu analysieren war, hatte sein Hirn leider Kapazitäten für etwas anderes frei, und dies sogar im Dienst. Das machte ihn kirre.

In seiner Freizeit war es noch ungleich schlimmer. Da verfiel er andauernd ins Grübeln, fragte sich selbstkritisch, was er verkehrt machte, sodass ihm sämtliche Beziehungen bereits nach verhältnismäßig kurzer Zeit zwischen den Fingern zerrannen.

In Marits Fall war es sogar schon passiert, bevor die Liebschaft richtig begonnen hatte. Was hatte sie auch diesen verfluchten Surfer treffen müssen! Bei einem braungebrannten Muskelmann in den Dreißigern, der auf kein Kind und auch ansonsten auf keine familiären Verpflichtungen Rücksicht nehmen musste, konnte er natürlich schlecht mithalten. Ein völlig unbeschwertes Leben war an der Seite eines Ehekrüppels wie ihm einfach nicht drin.

Er war gerade in Wernigerodes Innenstadt unterwegs, wollte in die Apotheke und anschließend noch eine neue Jogginghose besorgen. In die alte hatten die scharfen Krallen seiner beiden Katzen große Löcher gerissen. Besonders Neuzugang Emma wusste beim Spielen oft nicht, wo die Grenze zwischen einer harmlosen Rauferei und ernsten Hautverletzungen ihres geliebten Dosenöffners lag. Seine Schenkel waren von oben bis unten mit Kratzspuren übersät. Bedauerlicherweise hatte sich Kater Felix die Unarten seiner neuen Gefährtin inzwischen ebenfalls angewöhnt.

Der bedeckte Himmel passte perfekt zu Maders Stimmung. Die schwarzen Wolken hingen schon den ganzen Tag dermaßen tief, dass man im Revier ohne künstliches Licht kaum hätte arbeiten können. Und das um diese Jahreszeit, es nervte einfach.

Plötzlich ging ein heftiger Landregen über der Stadt nieder. Er stellte den Kragen seiner Lederjacke hoch und hastete weiter, den Blick nach unten aufs Pflaster gerichtet. Er hasste momentan so ziemlich alles. Den Harz, sein beschissenes Leben – und vor allem sich selbst. Für verpasste Chancen, dumme Fehleinschätzungen, seinen verdammten Stolz und alles Sonstige, was er in der Vergangenheit verkehrt gemacht hatte.

Mader stieß die Eingangstür der kleinen Apotheke auf, schüttelte sich wie ein nasser Hund und eilte zu einem freien Counter, ohne sich im Ladengeschäft groß umzusehen.

»Ich bräuchte eine Heilsalbe für Kratzwunden und Wundpflaster, aber bitte die elastischen und wasserfesten.«

Die junge Apothekenhelferin nickte und wieselte geschäftig davon. Erst jetzt hob er den Kopf und bekam zwangsläufig mit, was um ihn herum vorging.

Hätte er das mal lieber nicht getan. In der Ecke mit den Kondomen und Gleitgels turtelte ein Pärchen, suchte sich schäkernd mehrere Produkte aus. Als die Frau sich umdrehte, durchzuckte ihn ein glühend heißer Blitz. Marit! Dieser braune Pferdeschwanz war ihm doch gleich sehr bekannt vorgekommen.

Und schon hatte sie ihn gesehen, packte ihren Begleiter an der Hand und zog ihn in seine Richtung. Bernd musste seinen Fluchtreflex unterdrücken, gute Miene zum bösen Spiel machen. Weggehen war nicht drin. Gerade kam auch die Dame im weißen Kittel zurück, beide Hände voller Schachteln und Tuben. Sie breitete alles in Reih und Glied auf dem Tresen aus.

Er widmete sich deshalb zunächst ihr.

»Es gibt da verschiedene Produkte mit abweichenden Inhaltsstoffen. Woher stammen die Kratzwunden denn?«

 

»Ungezogene Katze«, brummte er kurz angebunden.

Sie strahlte, so als wären Katzenkratzer das Erstrebenswerteste auf der Welt. Vermutlich hatte die gute Frau selber einen Stubentiger daheim, den sie abgöttisch liebte.

»Ah, dann würde ich diese Salbe nehmen. Die stoppt nebenbei den Juckreiz. Und ein atmungsaktives Pflaster dazu, sonst schließen sich die Wunden schlecht und man sieht ewig die Narben.«

»Okay, was auch immer Sie mir empfehlen.«

Während er die Ware bezahlte und sich bei der Apothekenhelferin Tipps für einen stadtbekannten Katzenflüsterin anhörte, die kratzwütige Tiere angeblich in kürzester Zeit zur Räson brachte, wartete Marit mit ihrem Liebsten an der Tür auf ihn. Leider hatten sie ihre Gummis zwischenzeitlich schon an der zweiten Kasse bezahlt. Er hatte keine andere Wahl. Wenn er die Apotheke verlassen wollte, musste er zwangsläufig an ihnen vorbei.

Schachmatt, du Riesenrindvieh, dachte er voller Fatalismus. In seinem Magen brodelte die Säure. Vielleicht hätte ich mir vorsichtshalber auch dagegen gleich ein Mittel mitnehmen sollen.

»Hi, Bernd. Darf ich dir meinen Freund Björn vorstellen? Er ist für zwei Wochen im nasskalten Deutschland«, lächelte sie. Auch Marit schien die Situation reichlich unangenehm zu finden, zumal sie damit rechnen musste, dass er ihre Einkäufe gesehen hatte. Wie schön, dass ihr Gewissen wenigstens ein klein wenig schlecht war, wenn sie ihm begegnete. Er hatte die unvorhergesehene Abfuhr noch keineswegs verkraftet oder verziehen.

Er streckte dem Surfer dennoch die Rechte hin. Es kostete ihn einige Überwindung, die nötigen Muskeln in Gang zu bringen.

»Freut mich. Ich bin Bernd Mader, Marits Chef und Kollege im Revier. Aber das wissen Sie sicherlich bereits«, erwiderte er kühl.

»Allerdings. Marit hat im Urlaub ständig über Sie gesprochen.«

Ach ja? Höre ich da Eifersucht heraus? Na fein, wenn das SO ist … da kann ich die Gelegenheit nutzen und dich ein wenig abklopfen.

»Da Sie anscheinend schon genauso viel über mich gehört haben wie ich über Sie, könnten wir uns auch gleich duzen und gemeinsam einen Kaffee trinken gehen. Bei diesem Sauwetter muss man sich den Einkaufsbummel so angenehm wie möglich gestalten. Was haltet ihr davon?«

Marit und ihr Lover wirkten verunsichert. Man konnte beiden ansehen, dass sie lieber ihres Wegs gegangen wären. Er beschloss, ihnen eine Absage so schwer wie möglich zu machen – und lächelte verbindlich.

»Okay, ein halbes Stündchen wäre schon drin«, entschied Marit schließlich. Die Antwort schien dem Surfer nicht recht zu passen, er guckte konsterniert drein. Vermutlich hätte er die neuen Noppen-Gummis lieber gleich in ihrer Wohnung ausprobiert.

Pech gehabt, mein Freund. Wirst deinen Lurch noch ein Weilchen in der Hose schmoren lassen müssen, dachte Mader schadenfroh.

Zehn Minuten später saßen sie sich in einer Creperie an der Burgstraße gegenüber. Mader wusste, wie gerne Marit Crepes aß und hatte das Bistro mit Bedacht gewählt. Sein Rivale sollte ruhig mitbekommen, dass auch er sie außerordentlich gut kannte, dass er sogar eine besondere Beziehung zu ihr pflegte. Oder gepflegt hatte – bis Björn ins Spiel gekommen war, sich hineingedrängt hatte.

Zuerst gab es nur Kaffee und Smalltalk. Marit war anscheinend total der Appetit vergangen. Normalerweise hätte sie, angesichts der hier angebotenen Leckereien, echte Entscheidungsschwierigkeiten gehabt, sich die Speisekarte rauf und runter bestellt.

Bernd beschloss, vom Gespräch über das Wetter auf den Kanaren auf ein wichtigeres Thema zu wechseln. Auch wenn er mit Marit nicht zusammen sein durfte, lag ihm ihr Wohl sehr am Herzen. Er konnte sie nicht, blind vor Liebe, in ihr Unglück rennen lassen. Das hatte sie trotz alledem nicht verdient.

»Wie ich hörte, wollt ihr beiden Hübschen dort unten eine Surfschule aufziehen. Habt ihr hierfür schon einen Businessplan gemacht und die notwendigen behördlichen Genehmigungen eingeholt? Ich könnte mir vorstellen, dass man dafür einiges an Papieren und Versicherungen benötigt«, plauderte Bernd, scheinbar entspannt. Er nahm Björn mit seinem Adlerblick ins Visier, was Marit sofort verriet, dass er in Wahrheit psychisch mächtig unter Dampf stand.

Der braungebrannte Sunnyboy lächelte mitleidig.

»Wir reden von einem Business in Spanien, nicht in Deutschland. Man sieht dort alles viel lockerer, reagiert aus dem Augenblick heraus. Deshalb kriegen dort auch die wenigsten Menschen einen stressbedingten Herzinfarkt oder leiden an Depressionen. Man verfolgt erst einmal seinen Traum – und was man genau dafür braucht, stellt sich nach und nach heraus. Man kann sein Leben nie in allen Details vorplanen. Es kommt sowieso immer anders als man dachte«, sagte er großspurig.

»Trotzdem. Ihr müsst währenddessen von irgendwas leben und Geld hineinstecken, um die Schule aufzubauen. Die Kohle wird wohl kaum einfach vom Himmel fallen«, beharrte Mader besserwisserisch.

Björn reagierte verschnupft.

»Bist du mein Vater – oder was? Apropos Vater … er wird mir das nötige Geld vorschießen. Du brauchst dir somit keine Sorgen machen, dass deine Noch-Arbeitskollegin bei mir verhungert.«

Der hat keinerlei Plan! Das ist ein unreifer Bub, der auf Kosten anderer Menschen blauäugig in den Tag hineinlebt. Genau das hatte ich befürchtet. Oh Gott, Marit. Mach doch bitte endlich die Augen auf. Dich wird er genauso ausnutzen wie seine Eltern, dachte Bernd alarmiert.

»Wenn du es sagst. Das hätte ich dir andernfalls auch sehr übelgenommen. Marit gibt schließlich ihren Beruf für dich auf. Es ist eine ziemlich große Verantwortung, die du dir da aufbürdest.«

Björn schnaubte verärgert, wollte zu einer wenig netten Erwiderung ansetzen. Aber Marit kam ihm zuvor, schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Sie hatte die Nase gestrichen voll.

»Jetzt lasst es aber gut sein, ihr beiden Streithammel! Ich sitze erstens auch mit am Tisch und zweitens bin ich längst kein kleines Mädchen mehr, auf das irgendjemand aufpassen müsste. Ich habe meine Entscheidung getroffen, selbst wenn sie dir nicht in den Kram passt, Bernd«, stellte sie beleidigt klar.

Björn gab derweil der Bedienung ein Zeichen, dass er bezahlen wollte. Ihm gefiel überhaupt nicht, dass sich seine neue Liebe immer noch mit Bernd befasste. Dieser Kerl war ihm um Welten zu forsch, außerdem zu vertraut mit ihr.

»Wir beide sprechen uns noch im Revier. Du täuschst dich gewaltig in Björn«, raunte ihm Marit beim Aufstehen zu.

Kurz darauf waren sie gegangen und Bernd blieb, bedrückt, wütend und nachdenklich zugleich, allein in der Creperie zurück. Er beschloss, seine Einkaufstour fortzusetzen und neben der neuen Jogginghose eine gute Flasche Whisky zu besorgen. Den würde er heute Abend dringend brauchen, um sein aufgewühltes, unablässig drauflos analysierendes Gehirn ruhigzustellen.

Und draußen pisste es immer noch wie aus Eimern. Immerhin minimierte das die Waldbrandgefahr. Auf ein Inferno wie im vergangenen Sommer konnte der Harz getrost verzichten.

*

27. Mai 2019, Reddeber

Gerald Schönhoff hatte den versprochenen Kostenvoranschlag nebst Gestaltungsplan natürlich nicht zum vereinbarten Zeitpunkt bei Dalia Schrempp abgeliefert. Wenn man Termine verschleppte und es hierbei nicht übertrieb, waren die Kunden umso dankbarer, sobald man doch noch vorbeikam und kompetenten Kauderwelsch von sich gab. Alte Gärtnerweisheit, die sich in seiner Berufspraxis schon oft bewahrheitet hatte.

Das tat sie auch in diesem Fall. Nach einer kurzen Standpauke war die Kundin heiß auf seine Skizzen und wollte dazu gleich den Kostenvoranschlag einsehen. Sie setzte ihre Lesebrille auf.

»Puh, nicht gerade ein Schnäppchen. Ich hätte mit weniger gerechnet«, stöhnte sie angesichts der stolzen Endsumme von rund zwölftausend Euro. Und das war nur der Betrag ohne die Extras, die er am Rand als nice-to-haves aufgelistet hatte. Dazu gehörten ein Springbrunnen, alternative Terrassenfliesen und in den Boden eingelassene Lichtpunkte, die auf abendlichen Grillpartys ein tolles Ambiente schaffen sollten.

»Bei der Gartengestaltung darf man nie sparen. Die Außenanlage ist die Visitenkarte des Hauses, das, was ein Besucher als erstes sieht. Einen schlechten ersten Eindruck können Sie auch mit Designermöbeln im Innenbereich nicht mehr wettmachen. Außerdem wollen Sie doch bestimmt vermeiden, schon nach einigen Jahren an den ersten Stellen nachbessern müssen, weil zum Beispiel Pflanzen eingegangen sind oder billige Bodenfliesen wegen des Frosts springen. Die Winter hier können kalt werden. Bei mir bekommen Sie Qualitätsarbeit, keinen Pfusch«, leierte Schönhoff seinen Standardspruch herunter.

Es war jedes Mal dasselbe mit den Kunden. Qualität haben wollen, diese aber wie Ramsch bezahlen dürfen. Nicht mit ihm.

»Das will ich doch hoffen. Gut, dann gehen wir den Plan mal durch. Die Terrasse hätte ich gerne größer, bis hierhin etwa. Und sie sollte einen halbrunden Abschluss haben, keinen eckigen.«

Gerald zeichnete die Änderung mit wenigen Strichen ein.

»Kostet aber«, warnte er sie vorsorglich.

»Das spielt auch keine Rolle mehr. Wenn schon, dann machen wir es gleich richtig, genauso, wie Sie es vorschlagen. Die zusätzlichen Kosten werden hoffentlich durch einen höheren Verkaufserlös wieder reinkommen«, seufzte sie.

»Und was für eine Fläche soll das da hinten eigentlich werden?«

»Ein Gemüsebeet für frische Kräuter, Salat und so weiter.«

»Das brauche ich doch überhaupt nicht. Ich gehöre zur Generation Supermarkt«, meinte die Schrempp kopfschüttelnd.

»Und ob Sie das brauchen. Sie wollen das Haus schließlich verkaufen, richtig? Wer aufs Land zieht, tut das meist, um etwas naturnaher und ruhiger zu leben. Selbstanbau ist voll im Trend, gerade jetzt, wo die Umweltbewegung solch ein Theater um Plastik macht. Mit dem Beet könnten Sie bei den Käufern als umweltbewusste Frau punkten«, suggerierte Gerald nachdrücklich.

Und vor allem brauche ICH dieses Beet, und zwar genau an dieser Stelle. Es wird weder vom Haus noch von der Straße aus einsehbar sein und liegt in der Nähe des geplanten Gartentürchens, für das ich mir selbstverständlich einen Schlüssel zurückbehalten werde, fügte er in Gedanken hinzu.

»Na schön, wenn Sie meinen … ist hiermit genehmigt. Nächster Punkt. Was gedenken Sie auf dieser Fläche hier zu pflanzen, dort, wo sie die Terrasse einsäumt? Ich hätte an eine winterfeste Palmenart gedacht, Fächerpalmen vielleicht. Dank Klimawandels sind in den deutschen Gärten jetzt hier und da schon welche zu sehen, auch in München«, schwärmte die dämliche Dame.

Es war allzu offensichtlich, dass sie keinen blassen Schimmer von Pflanzen haben konnte. Kaum einer seiner Kunden hatte auf dem Schirm, dass es in Deutschland unterschiedliche Klimazonen gab, die man bei der Auswahl berücksichtigen musste.

»Sowas ginge hier nur im rollbaren Kübel, und Sie müssten die Dinger sofort reinholen, sobald die Nachttemperaturen auf den Nullpunkt zusteuern. Das hier ist der Harz und nicht München. Ich hätte da eher an einen Steingarten mit pflegeleichten Pflanzen gedacht. Wenn man große, runde Steine in Weiß nimmt und Gräser, Farne und Lilien dazwischen pflanzt, sieht das klasse aus. Da hätte auch das Unkraut kaum eine Chance.

Wie möchten Sie die große freie Fläche in der Mitte gestaltet haben? Perfekt gemähter Rasen oder lieber eine naturnahe Wiese, auf der sich Bienen und Igel wohlfühlen?«

Sie schaute ihn entgeistert an.

»Letzteres bloß nicht! Ich leide an einer Bienenallergie. Schon ein einziger Stich könnte mich umbringen. Zudem hasse ich wilde Wiesen in Gärten, die sehen ungepflegt aus.«

Gerald unterdrückte ein Grinsen, machte sich eine Notiz.

»Also darf es ein Rollrasen sein, okay. Dort, wo es wegen dem Sichtschutz notwendig ist, pflanze ich eine Hecke an die Grundstücksgrenze. Was für Stauden wir einsetzen wollen, können wir immer noch entscheiden. Ich bringe dann einen Katalog mit.«

»Einverstanden. Und ich möchte auch diesen übrigen Kram mit der Beleuchtung und dem Springbrunnen haben. Die Nachbarn sollen vor Neid platzen«, entschied die Kundin spontan.

Die Miene des Gärtners hellte sich schlagartig auf.

»Ehrlich, mit Ihnen macht es Spaß, ein Projekt durchzuziehen. Wenn Sie es so möchten, fange ich übermorgen bereits mit den Erdarbeiten an. Sie werden eine ganze Weile mit Lärm leben müssen. Allerdings bräuchte ich gleich die vereinbarte Anzahlung.«

 

Sie nickte, zog ein Kuvert aus der Innentasche ihres Blazers.

Gerald griff gierig nach dem Umschlag mit den Geldscheinen und steckte ihn in die Reißverschlusstasche seiner Latzhose. Zum Abschied fragte er seine Kundin, unverschämt grinsend:

»Eins würde mich interessieren. Tragen Sie nur mir zu Ehren daheim schicke Klamotten, oder sind Sie grundsätzlich etepetete? Ich meine, wir rennen hier schließlich auf einer Baustelle rum und Sie tragen Kostüm und Stöckelschuhe. Sowas habe ich echt noch nirgends erlebt, auch in den piekfeinsten Haushalten nicht.«

Sie stemmte die Hände in die Hüften. Diese Körperhaltung betonte ihre Wespentaille, das bemerkte er gleich.

»Auch wenn es Sie beim besten Willen nichts angeht: Nein, ich bin ein Mensch wie jeder andere und besitze jede Menge bequeme Klamotten. Ich würde auch lieber in Oversizeshirt und Yogahose am Computer sitzen, anstatt mich für meinen dreckverkrusteten Landschaftsgärtner aufzubrezeln. Aber leider legt mein Arbeitgeber großen Wert auf den Dresscode, und ich muss fast täglich an Videokonferenzen teilnehmen. Deshalb muss ich, zumindest von der Hüfte aufwärts, ordentlich angezogen sein.«

»Was arbeiten Sie denn?«

»Sie sind ja ganz schön neugierig, mein Lieber. Meinetwegen, es ist kein Geheimnis. Ich bin für ein namhaftes Investmentunternehmen tätig, das sanierungsbedürftige Wohnungen in München billig aufkauft, sie modern ausstattet und anschließend an ein finanziell potentes Käuferklientel veräußert. Teuer selbstverständlich. Gerade Innenstadtlagen sind extrem gesucht.

Ich weiß, wie die Allgemeinheit über solche Geschäftspraktiken denkt. Und nein, ich schäme mich in keiner Weise dafür, hieran mitzuwirken. Klar wird auf diese Weise bezahlbarer Wohnraum vernichtet. Aber wenn ich diesen Job nicht machen würde, fände sich sofort jemand anderes.«

Er nickte verständnisvoll, zuckte mit den Schultern.

»Man verdient gut in diesem Job, das zählt für mich. Ich lebe alleine und muss zusehen, wie ich meine Brötchen verdiene. Das Leben in einer bayerischen Großstadt ist alles andere als günstig zu bestreiten«, legte sie nach.

»Verstehe, Sie arbeiten für eine Horde mieser Spekulanten mit Seidenschlips und goldenem Geld-Clip. Es ist mir, ehrlich gesagt, ziemlich schnuppe. Ich bin bestimmt kein Moralapostel. Im Gegenteil, ich finde es klasse, wenn jemand eine Chance zum Geldmachen erkennt und sie ausnutzt. Das wäre bei mir kaum anders«, bremste er ihren Rechtfertigungsdrang aus.

Er musste sie nicht einmal anlügen. Solange ihre hart erarbeitete Kohle hinterher auf seinem Konto landete, hätte sie seinetwegen gerne auch in Indien per Kinderarbeit Teppiche knüpfen lassen können. Die Welt war nun mal scheiße, worunter die einen litten, während die anderen daraus Kapital schlugen. Daran würden die unverbesserlichen Gutmenschen, die auf jeglichen Missstand anklagend mit den Fingern zeigten, nie etwas ändern. Seines Erachtens wollten die eh nur das eigene Selbstwertgefühl mithilfe ihrer Mitleidstour bauchpinseln, wenn auch vielleicht nur unbewusst.

Das war Geralds feste Überzeugung, und die beeindruckte Dalia Schrempp. Dies war von jeher die Denkweise der Alphamännchen und -weibchen. Wer ein gutes Leben haben wollte, musste es aktiv in die Hand nehmen und zuallererst an sich selber denken – selbst wenn das bedeutete, dass irgendwelche Mitmenschen benachteiligt wurden.

*

31. Mai 2019, Wernigerode

Ronny Weichelts Kollege war mittlerweile aus seinem Urlaub zurück. So konnte er diesmal auf die Unterstützung der Mordkommission verzichten und Polizeiobermeister Mirko Sievers zu einer Befragung mitnehmen.

Heute gedachte er sich Lara Schönhoffs Nachbarn vorzunehmen. Deren kleines Apartment befand sich in der obersten Etage eines modernen Wohn- und Geschäftshauses an der Halberstädter Straße. Dorthin war sie nach der Trennung von ihrem Gatten gezogen.

Der Zufall wollte es, dass die Beamten im Erdgeschoss auf die Ehefrau des Hausmeisters, eine Doris Knoll, trafen. Sie wischte soeben das Treppenhaus und zeigte sich ganz und gar nicht begeistert, als Weichelt und Sievers die nassen Stellen betreten wollten. Die blieben artig stehen, nutzten diese günstige Gelegenheit sogleich beim Schopfe und fragten nach Mieterin Schönhoff.

Die Kittelbeschürzte stöhnte, stütze sich auf ihren Wischmopp.

»Dann ist sie also wirklich verschwunden. Wir hatten uns schon gewundert. Normalerweise kann man nach ihr die Uhr stellen. Sie kommt und geht jeden Tag um dieselbe Zeit. Ich hatte mich sogar gestern auf die Lauer gelegt, aber sie kam auch da nicht herunter. Dabei müsste man doch zumindest mal einkaufen gehen, selbst wenn man länger krankgeschrieben wäre. Ich habe es mehrmals mit Klingeln und Rufen versucht, aber es machte niemand auf.

Gut, dass Sie gekommen sind. Dann muss mein Mann wenigstens nicht alleine in ihrer Wohnung nachsehen gehen, ob mit ihr alles in Ordnung ist. Man liest sowas doch immer wieder in der Zeitung. Manchmal liegen Leute wochenlang unentdeckt in ihrer Wohnung, und dann hat man Madenbefall, sogar ein Desinfektor vom Amt muss bestellt werden … «

Sie schüttelte sich vor Ekel.

»Noch gibt es keinen Grund zur Annahme, dass sie tot ist. Seit wann genau haben Sie ihre Nachbarin nicht mehr zu Gesicht bekommen?«, fragte Weichelt.

»Auf den Tag genau weiß ich das natürlich nicht, wir spionieren den Mietern schließlich nicht hinterher … aber so zwei, drei Wochen wird es wohl her sein. Da hatte ich auch gerade die Treppe gewischt, aber im Gegensatz zu Ihnen kennt die keinerlei Manieren und ist einfach durchgetrampelt.

Wissen Sie, diese Schönhoff mag eine sehr unfreundliche Frau sein, sie grüßt höchst selten, aber ist wenigstens eine ruhige Nachbarin. Keine Partys, kein lauter Fernseher – nichts von alledem. Die Miete wird auch jeden Monat pünktlich per Dauerauftrag bezahlt. Der Vermieter ist ein guter Freund von uns, daher wissen wir es. Man unterhält sich ja manchmal über dies und das, nicht wahr«, plapperte sie mit geröteten Wangen.

»Natürlich, ist schon klar«, grinste Sievers süffisant.

Mitbürger, die unbedingt den Eindruck erwecken wollten, nicht neugierig zu sein, waren meist die Schlimmsten. Auch wenn DDR und Stasi nun schon seit dreißig Jahren Geschichte waren, hatten viele der früheren Spitzel ihre alten Gewohnheiten bis heute nicht ablegen können. Sie steckten zu tief drin.

Der Polizei kam diese gewohnheitsmäßige, analog-antiquierte Form der Datensammelwut oft sehr zupass, jedenfalls solange sie sich halbwegs noch im Rahmen von Recht und Gesetz bewegte. Wer früher fleißig für seinen Arbeiter- und Bauernstaat spioniert hatte, verfügte über eine geschärfte Beobachtungsgabe.

Dies war ein unbestrittener Fakt.

Sievers, der erst nach der Wende geboren worden war, mutete das Ganze manchmal skurril an. Besonders, wenn jene ewig Gestrigen ihre trivialen Beobachtungen über ihre Nachbarn sogar akribisch in Notizbüchern festhielten. Vom Alter her hätte die Frau des Hausmeisters durchaus ein ehemaliger Stasi-Spitzel gewesen sein können. Deswegen musste er ein Grinsen unterdrücken. Insgeheim hatte er sie bereits ›Frau Blockwart‹ getauft.

»Sie haben also einen Schlüssel für Frau Schönhoffs Wohnung in Verwahrung, wenn ich das richtig verstanden habe«, schaltete sich Ronny Weichelt ein.

»So ist es. Sie hatte ihn bei mir hinterlegt, für den Fall, dass sie sich mal aussperren sollte. Aber man traut sich ja nicht, ihn einfach zu benutzen. Vielleicht wäre es ihr nicht recht gewesen und sie hätte mich wegen Hausfriedensbruch angezeigt. Insofern bin ich heilfroh, dass Sie hierhergekommen sind. Entscheidung und Verantwortung liegen jetzt allein bei Ihnen. Sie werden doch reingehen und nachschauen?«

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?