Verbrannte Erde

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Es war schließlich schon daheim schwierig genug, zweisame Freizeit zu ergattern. Aber musste man sich die paar Urlaubstage wirklich auch noch mit Fleißarbeit versauen? Ihr Gatte schnüffelte hier, aus purer Hilfsbereitschaft und Sympathie, auf einer Fährte, die ihn im Grunde überhaupt nichts anging.

Ade, Flitterwochen – hallo Alltag, dachte sie enttäuscht.

Die südliche Costa Blanca war mit Hotelanlagen und Ferienhäusern regelrecht zugepflastert, doch sie hatten sich ausgerechnet für dieses Objekt entscheiden müssen. Ein Fehler, wie sich soeben herausstellte.

*

Juli 2018, Torrevieja

Die Guardia Civil verlor keine Zeit. Die beiden Polizisten vom Vortag begannen, sämtliche Bewohner der Urbanisation Jardines del Mar zu vernehmen. Angeblich hatte keiner etwas gehört oder gesehen. Der Ehemann der Getöteten weilte seit vier Wochen geschäftlich in Wales. Sein Alibi war bereits überprüft. Er schied als Täter somit von vornherein aus.

Auf ihre Fragen hinsichtlich möglicher Mordmotive ernteten die Ermittler nur Schulterzucken. Mader fand das höchst merkwürdig, wenn nicht sogar verdächtig. Üblicherweise gab es in jeglicher Nachbarschaft Leute, die sich bei derartigen Befragungen durch Halbwissen hervortun wollten und nur zu gerne den gesammelten Siedlungsklatsch erzählten. Gerade Frauen waren für so etwas prädestiniert.

Aber hier? Eine Mauer des betretenen Schweigens. Er teilte seine Überlegungen Antonio mit.

»Ich habe ebenfalls den Eindruck gewonnen, dass die Leute uns irgendwas immens Wichtiges verheimlichen. Selbstverständlich, wir müssen die Ausländer allesamt ins Revier vorladen, um Dolmetscher hinzuzuziehen, aber ich glaube kaum, dass sie dort gesprächiger sind. Deshalb möchte ich dich um etwas bitten. Du bist vor Ort, könntest Augen und Ohren offenhalten und zuhören, was geredet wird. Schließlich weißt du, worauf du zu achten hast, bist vom Fach. Würdest du das für mich tun?«

»Darum brauchst du mich doch nicht zu bitten, es ist selbstverständlich. Mich interessiert ja selber, was hier abgeht«, grinste Mader augenzwinkernd. Sein Interesse war längst geweckt.

Antonio strahlte, klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und drückte ihm eine Visitenkarte mit den Kontaktdaten seiner Dienststelle in die Hand. Damit war der Urlaub für die Maders endgültig gelaufen.

*

Während Bernd Mader in Torrevieja mit dem rätselhaften Tod einer Britin befasst war, fand in seiner Wahlheimat Wernigerode eine außerordentliche Sitzung des Stadtrates statt. Man debattierte über die üblen Folgen des verheerenden Waldbrandes und erwog Maßnahmen, die wenigstens die wirtschaftlichen Schäden für die Unternehmer und sonstigen Einwohner der Harzregion in halbwegs erträglichen Grenzen halten sollten. Eine vorläufige Schadensbilanz sorgte gleich zu Beginn für lange Gesichter.

»Wie gesagt, meine Damen und Herren, die Zahlen sind derzeit noch ungenau und daher mit Vorsicht zu genießen. Gleichwohl sollten wir uns nichts vormachen. Ob da nun dreitausend oder womöglich gar dreitausendfünfhundert Hektar Wald abgebrannt sind, spielt kaum eine Rolle. Die wirtschaftlichen Schäden sind enorm, und das wird auf längere Sicht so bleiben.

Kein Tourist möchte zwischen kahlen Hügeln wandern gehen, auf denen nur noch dürre Baumgerippe stehen. Wenn man bedenkt, dass wir hier über rund neun Millionen Besucher reden, die auch angrenzende Gemeinden und Städte wegen dieses Nationalparks besuchen, ist das nicht zu unterschätzen. Alleine am Brocken tummeln sich alljährlich ungefähr eine Million Touristen. Da sind Entschädigungszahlungen unabdingbar.

Zudem wird es sicherlich geraume Zeit dauern, bis sämtliche Anlagen der Brockenbahn repariert sind und das Plateau wieder mit den historischen Zügen angefahren werden kann. Auch das ist ein negativer Faktor. Ganz abgesehen von den logistischen und finanziellen Problemen, die damit für die Beschäftigten dort oben einhergehen«, referierte der Oberbürgermeister.

Als einstiger Leiter des Nationalparks ›Hochharz‹ kannte der gelernte Förster Peter Gaffert sich mit Waldbränden und deren Folgen selbstverständlich bestens aus, konnte die traurigen Fakten wortgewaltig auf den Punkt bringen.

Stadträtin Thomeier meldete sich zu Wort.

»Gerade weil die finanziellen Schäden sehr hoch ausfallen dürften, interessiert mich insbesondere, wer oder was diesen Brand verursacht hat. An eine natürliche Ursache glaubte ich übrigens keine Sekunde. Die Wälder können selbst in diesem Ausnahmejahr wohl kaum trocken genug gewesen sein, dass sie sich gleich an mehreren Stellen von selbst entzündet haben.

Wir werden ja in Kürze sehen, was der Brandermittler herausfindet. Falls ich Recht behalte, lege ich allergrößten Wert darauf, dass der Verursacher so schnell wie möglich ermittelt und zur Rechenschaft gezogen wird.«

Der Oberbürgermeister schüttelte innerlich den Kopf. Diese Thomeier! Jene Politikerin war berüchtigt dafür, dass für sie der Eigennutz an erster Stelle kam. Erstens war das, was sie da forderte, selbstverständlich und zweitens wusste jedermann, dass sie vom Brandschaden höchstpersönlich betroffen war. Sie war schließlich die stolze Eigentümerin der bis auf die Grundmauern heruntergebrannten Brockenstieg-Apartmentanlage. Man munkelte seit einiger Zeit, dass sie dort droben sämtliche Renovierungsarbeiten auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben habe, weil ihr die Gewinnmaximierung wichtiger gewesen sei.

Womöglich war das Gebäude unterversichert gewesen. Wahrscheinlich sogar, denn ansonsten hätte die Thomeier sich über die unverhofft eingetretene ›Feuersanierung‹ eher klammheimlich gefreut und die Kohle der Versicherung eingestrichen.

Trotz dieses Verdachts musste er ihr sachlich antworten.

»Seien Sie versichert, dass ich unser Revierkommissariat dementsprechend um zügige Bearbeitung und Zusammenarbeit mit der zuständigen Kriminalpolizei im Westen bitten werde«, versprach er diplomatisch. Auch dies stellte an sich eine Selbstverständlichkeit dar, die man nicht extra erwähnen hätte müssen. Aber die schwierige Frau Stadträtin gab sich damit wenigstens fürs Erste zufrieden.

Nach Auflösung dieser Sitzung beeilte sich Michaela Thomeier, möglichst schnell zum Ausgang des Saales zu gelangen. Sie hatte einen gewissen Jörg Langeneder im Blick behalten, seine Reaktionen auf die Aussagen des Stadtoberhaupts genau beobachtet. Sie trachtete danach, die heiligen Hallen an seiner Seite zu verlassen, selbst wenn sie sich dafür an etlichen Stadträten vorbeidrängeln musste.

Es gelang ihr, Langeneder noch vor der Tür abzufangen. Sie nahm ihn beiseite, zog ihn in eine stille Ecke.

»Ich muss dringend mit dir reden. Die Sachlage hat sich jetzt, wie du mitbekommen hast, durch das Feuer maßgeblich verändert. Die sogenannte ››Naturentwicklungszone‹ ist erstmal passé, dort wächst so schnell nichts mehr. Es könnte gut möglich sein, dass die Rechtsgüter deshalb völlig neu gegeneinander abgewogen werden.

Es würde sicher einige Jahrzehnte dauern, bis die Vegetation wieder auf dem vorherigen Stand wäre. Daher sollten fürs Erste wirtschaftliche Interessen doch überwiegen, nicht wahr? Gerade weil der Tourismus in den kommenden Jahren leiden wird, wie unser Herr Oberbürgermeister gerade so schön ausführte«, referierte sie mit gedämpfter Stimme.

»Das mag durchaus so sein. Aber du übersiehst da eine Kleinigkeit. Das Großfeuer hat auch an der fraglichen Stelle gewütet, dort sieht es jetzt bestimmt aus wie in Sodom und Gomorrha, aber nach der göttlichen Säuberungsaktion«, gab er stirnrunzelnd zurück.

»Ach, das würde ich so nicht behaupten wollen. Sagen wir, in der wohlbekannten Ecke hätte es bloß partiell gebrannt, gerade so stark wie unbedingt … äh … notwendig«, grinste die Thomeier überheblich.

Ihr Gesprächspartner schnappte hörbar nach Luft.

»Wie bitte?! Willst du etwa damit sagen, dass du, respektive ihr, irgendwas mit dem Waldbrand … «

Sie sah sich erschrocken um, legte den rechten Zeigefinger auf ihre dunkelrot geschminkten Lippen.

»Ja, bist du des Wahnsinns! Nicht hier und nicht jetzt! Ich rufe dich demnächst an«, beschied sie ihm nebulös und stöckelte von dannen.

*

Juli 2018, in den frühen Morgenstunden im Harzwald

Der Motor einer BMW F 800 GS Adventure Geländemaschine heulte auf. Die groben Stollen der Reifen rissen tiefe Narben in die halb vertrocknete Wiese am Wegesrand, ließen Grasstücke und Erdbröckchen davonfliegen. Der Motorradfahrer raste mit überhöhter Geschwindigkeit über einen Forstweg davon. Fast wäre er wegen eines tiefen Schlagloches gestürzt. Er hatte sich beim Fahren umgedreht, sich noch einmal vergewissern wollen, ob seine Aktion tatsächlich von Erfolg gekrönt war. Zum Glück war es ihm gelungen, die Maschine gekonnt abzufangen.

Selbstzufrieden bog er in die Hagenstraße ein, die einige Kilometer durch dieses Waldgebiet führte.

Nur noch zwei ähnliche Einsätze, dann wäre es geschafft. Er war stolz auf sich. Und das Beste daran: Niemand hatte bislang Notiz von seiner Anwesenheit genommen. Ein eitles Hochgefühl durchströmte seinen gesamten Körper.

Auf einem Parkplatz zwischen dem Hotel Grüne Tanne, gelegen an der B 27, und dem Hochwasser-Schutzbecken hielt er an, um kurz die markierte Landkarte zu checken. Jetzt ging es zunächst nach Darlingerode und von dort aus wieder in den Wald. Den Saneltalsbach konnte er ein Stück weit wie eine Orientierungshilfe nutzen. Der ungefähre Einsatzort, den seine Auftraggeber ihm angetragen hatten, war kinderleicht auszumachen. Er

 

war froh, so gut vorbereitet zu sein.

Auch dieser Einsatz klappte wie am Schnürchen. Wie leicht es doch war, diesen Auftrag zu erfüllen. Der junge Mann schnallte den halbvollen Benzinkanister wieder auf den Sozius, schob zur Tarnung seine Jeansjacke darüber und machte, dass er davonkam. Hier schien das Unterholz schneller Feuer zu fangen. Bereits jetzt stieg eine veritable Rauchwolke in den blauen Himmel auf, färbte ihn mausgrau.

Sehr schön, aber nix wie weg. Mich darf niemand aus dem Wald fahren sehen, wenn der Rauch schon wahrnehmbar ist, schoss es dem Brandstifter durch den Kopf. Er jagte sein Bike nach Westen, bis zum Waldgasthaus Plessenburg. Jenes hatte zwar zu dieser frühen Stunde noch lange nicht geöffnet, aber das war im Grunde egal. Hauptsache, niemand sah ihn an derselben Stelle aus dem Wald kommen, wo er vor kurzem hineingefahren war. Es wäre den Anwohnern sonst posthum verdächtig vorgekommen.

Er setzte sich an einen Tisch unter den Laubbäumen, dorthin, wo es an gewöhnlichen Tagen in wenigen Stunden vor durstigen Ausflüglern nur so wimmeln würde. Aber heute war eben kein gewöhnlicher Tag. Kein Mensch würde freiwillig in einen Wald gehen, der schon lichterloh brannte.

Er checkte noch kurz die Landkarte, welche er zusammengefaltet in seiner linken Gesäßtasche trug. Die Morgensonne blinzelte durchs grüne Blätterdach, ließ Lichtreflexe auf dem Papier tanzen. Wie gerne hätte er jetzt entspannt eine Cola getrunken.

Nach ungefähr zwölf Minuten verließ er den Biergarten, passierte am Eingangsbereich die wahrscheinlich größte Holzhexe der Welt und stieg wieder auf seine Maschine. Insgeheim hoffte er, dass das Feuer dieses lauschige Plätzchen verschonen möge.

Von der Wirtschaft aus ging es zwanzig Minuten später durch das Vogelschutzgebiet Hochharz nach Ilsenburg, von dort wiederum nach Bad Harzburg und über die B 4 bei Torfhaus erneut in Richtung des Nationalparks. Vom Goetheweg aus folgte er den Forstwegen bis zur Abbe.

Und genau dort, an einer Weggabelung, wurde er zum dritten und letzten Mal tätig.

Der schlaksige Jugendliche setzte den Helm ab und nahm den Kanister vom Motorrad, sah sich hektisch nach der geeignetsten Stelle um. Sehr schön, hier gab es jede Menge knochentrockenes Totholz, das sicherlich wie Zunder brannte. Vor lauter Übermut kippte er den gesamten Rest des Kanisters darüber, obwohl eine wesentlich kleinere Menge locker ausgereicht hätte. Voller Vorfreude rieb er das Streichholz an der Schachtelkante, entzündete es und warf es mit einer schnellen Bewegung auf den benzingetränkten Waldboden, innerlich bebend. Die ausgedruckte Landkarte segelte hinterher, sie hatte ihren Zweck erfüllt.

Elektrisierende Schauder rasten seine Wirbelsäule entlang; er genoss, was er tat. Dieses Machtgefühl war unbezahlbar. Schon als kleiner Junge hatte er einmal in der Scheune seiner Großmutter gezündelt und fasziniert zugesehen, wie sich die Flammen zuerst durchs Heu, dann rundum durch Bretterwände und an den Dachbalken entlang fraßen, bis von der einstigen Scheune nur noch ein rußiges Häuflein Nichts übriggeblieben war.

Zum Glück hatte ihn damals niemand verdächtigt. Es war ein Kinderspiel gewesen, die Sache einem dorfbekannten Unruhestifter anzuhängen. Bis heute ahnte kein Mensch, dass in Wahrheit er Omas alte Scheune angezündet hatte und dies mit voller Absicht. Was für ein berauschendes Gefühl. Bis heute war es in seinem Gedächtnis haften geblieben, hatte ihn nach einer Wiederholung gieren lassen.

Diesmal wurde der angenehme Kick durch eine Verpuffung vereitelt. Sie riss den jungen Mann brutal von den Füßen. Eine heiße Wolke schoss ihm entgegen, raubte ihm schier den Atem. Hätte er seinen Vollvisierhelm für diese finale Aktion nicht aufbehalten, wären mindestens seine Augenbrauen und Stirnhaare versengt worden. Er rappelte sich hoch, überriss ungläubig, was da gerade passiert war.

Mit einem Mal waren die lodernden Flammen überall, breiteten sich rasend schnell aus. Die Feuerwand schob sich zwischen ihn und sein Motorrad. Er geriet in Panik. Knackend und prasselnd schloss ihn das Flammenmeer ein, die Gefahr kam immer näher. Schon drang Rauch in den Helm, er musste husten und öffnete das Visier. Vergeblich, der graubraune Qualm war überall. Er roch scheußlich, nach Tod und Verderben. Todesangst lähmte ihn, er konnte nicht mehr klar denken.

Schließlich griffen die Instinkte, hießen ihn mit dem Mut der Verzweiflung das einzig Richtige zu tun. Mit einem Sprung ins Ungewisse hechtete er dahin, wo er das Motorrad vermutete. Er hatte großes Glück. Noch stand es unversehrt am Wegesrand. Seine schweißnasse Kleidung hatte außerdem verhindert, dass er beim Durchqueren der Flammenlohe Feuer fing.

Er sprang auf, bestieg die Maschine und fuhr wie von Teufeln gehetzt davon, unter seinem Helm hustend und keuchend. Nach wenigen Metern musste er widerwillig anhalten und das Helmvisier öffnen. Schweiß lief in seine Augen, machte ihn weitgehend blind. Er wischte kurz drüber und floh vollends vom Tatort.

Er erreichte die Ortschaft, die ersten Häuser kamen in Sicht. Rechts von der Goethestraße sah er einige Touristen mit Rucksäcken vor dem Wanderheim stehen. Unmittelbar daneben befand sich das Schullandheim Torfhaus. Auch dort war so einiges los. Die Frühaufsteher reckten beunruhigt die Hälse, zeigten in die Richtung, aus der er gerade kam.

Er hielt an, unschlüssig, wie er sich jetzt verhalten sollte. Es kam nicht infrage, durch den Ort zu heizen und sich verdächtig zu machen. Schlimm genug, dass jetzt Zeugen mitbekamen, wie er aus Richtung des brennenden Waldes herannahte.

So eine Scheiße! Mit einer Cross-Maschine kannste dich nirgends vorbeischleichen, die fällt viel zu sehr auf. Bei einer Befragung würden die sich alle an mich erinnern. Besser, ich gebe keinerlei Anlass, mich zu verdächtigen, schlussfolgerte der junge Mann bestürzt.

Er beschloss, lieber in die Offensive zu gehen, fuhr direkt auf die Ansammlung von Passanten zu; ein wenig zu forsch, einige sprangen erschrocken zur Seite. Er nahm den Helm ab.

»Schnell, Sie müssen die Feuerwehr rufen! Der Wald brennt, ich bin gerade noch entkommen. Ich weiß ja, dass es verboten ist, aber ich fahre dort hinten manchmal mit meiner Maschine im Gelände. Auf einmal waren da nur noch Flammen um mich herum«, rief der Biker und drehte die Augen heraus, hustete und japste nach Luft. Dafür musste er nicht einmal Theater spielen. Er befand sich tatsächlich in heller Panik, wenn auch aus anderen Gründen. Noch immer musste er seinen Fluchtreflex unterdrücken, was ihn zusätzlich verstörte.

Dieselben Angaben, welche er den Wanderern zugerufen hatte, gab er wenig später bei der anrückenden Polizei zu Protokoll. Man schien ihn, jedenfalls bislang, keineswegs zu verdächtigen. Dennoch, ein mulmiges Gefühl in der Magengrube wollte nicht weichen. Es machte ihn richtig kirre. Solchen Stress war er nicht gewohnt.

Mit der Empfehlung, wegen einer möglichen leichten Rauchvergiftung besser mal im Krankenhaus vorbeizuschauen, wurde er nach der Aufnahme seiner Personalien und einer kurzen Befragung entlassen. Er nickte, schwang sich aufs Motorrad und bog mit moderater Geschwindigkeit auf die Bundesstraße 4 ein.

Ja, ich bin zum Glück noch mit heiler Haut davongekommen, habe alles erledigt. Selbst wenn es der Feuerwehr gelingen sollte, diesen Brand schnell unter Kontrolle zu bringen, wäre das auch nicht weiter schlimm. Soviel ich mitbekommen habe, ging es den Auftraggebern hauptsächlich um das zweite Feuer, das ich heute gelegt habe. Unter dem Strich werden sie sehr zufrieden sein und die Kohle rüberwachsen lassen, resümierte er beim Fahren. Die Vorfreude darauf, was er sich alles mit diesem Geld würde ermöglichen können, war allerdings durch die jüngsten Ereignisse ein wenig schal geworden.

Noch immer plagte ihn quälender Hustenreiz, die Augen tränten. Ob er vielleicht wirklich mal beim Doc vorbeischauen sollte? Dann könnte er ihm dieselbe Märchengeschichte auftischen und ihr damit mehr Gewicht verleihen.

Siedend heiß fiel ihm etwas ein.

Abrupt bremste er sein Bike ab, riss sich den Helm herunter und drehte sich um. Verdammter Mist, seine Jeansjacke fehlte! Die lag, zusammen mit dem leeren Benzinkanister, wahrscheinlich als Visitenkarte am Tatort. Genau, so musste es sein. Bullshit

… er konnte bloß noch inständig hoffen, dass beides mittlerweile rückstandslos verbrannt, ihm nicht mehr zuzuordnen wäre.

Sonst könnte es echt eng werden, dachte er besorgt.

*

Juli 2018, Torrevieja

Bernd tat sich schwer, sein Versprechen einzulösen, das er Antonio gegeben hatte. Überall in der Siedlung hielt er Augen und Ohren offen, doch wo immer er auftauchte und mitreden wollte, verstummten urplötzlich die Gespräche. Man ging nahtlos in höflichen, aber nichtssagenden Smalltalk über.

Kein Zweifel, da war etwas faul. Eine Nachbarin war ermordet worden und darüber verlor keiner ein Wort? Das stank zum Himmel. Wahrscheinlich spielten sie ihm gegenüber auf Zeit; sie wussten ja, dass er bald wieder abreisen würde.

Der Urlauber beschloss, sich nochmals Magdalena Schmitt zur Brust zu nehmen. Die ältere Dame hielt sich nämlich auf einmal ebenfalls von ihm fern. Entweder hatte sie etwas zu verbergen, oder war von den anderen dazu angehalten worden, sich in Stillschweigen zu hüllen.

Er klingelte am Gartentürchen. Zuerst wollte Magdalena das ignorieren, aber dann bekam sie mit, dass er sie durchs Fenster gesehen hatte. Sie konnte nicht mehr aus, setzte ein Lächeln auf und eilte geschäftig durch den Vorgarten.

»Entschuldigung, dass Sie warten mussten, ich habe gerade die Wäsche aus der Maschine genommen. Was gibt es denn?«

»Ich muss mit Ihnen reden. Mir kommt hier einiges schleierhaft vor. Sie möchten doch, dass der Mord an Ihrer Nachbarin zügig und restlos aufgeklärt wird?«

Sie spielte die Entrüstete, drehte die Augen heraus.

»Natürlich, was denken Sie denn?«

»Dann sollten wir uns unbedingt unterhalten, auch wenn ich nicht der hiesigen Kripo angehöre. Ich sammle einige Informationen vor Ort, um der Guardia Civil die Arbeit zu erleichtern, wie Sie ja mitbekommen haben dürften. Also, wieso mauert hier jeder, sobald ich in die Nähe komme?«

Magdalena vermied den Blickkontakt, wirkte verunsichert.

»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Aber heute Abend findet die alljährliche Eigentümerversammlung der Siedlung statt, wir treffen uns unten am Gemeinschaftspool. Schauen Sie doch dort vorbei, wenn Sie meinen, Ihre Flitterwochen mit Schnüffeln verbringen zu müssen – worüber Ihre nette Frau übrigens sehr unglücklich ist, sie hat mir gestern ihr Herz ausgeschüttet. Gegen acht geht es los, vielleicht auch ein wenig später. Spanier sind für gewöhnlich alles andere als pünktlich, was auch für die Vertreter der Administration gilt.

Doch jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich muss meine Wäsche aufhängen, sonst verknittert sie.«

Magdalena Schmitt wieselte geschäftig in ihr Haus zurück und Mader war relativ sicher, dass nachher keine Wäsche im Garten flattern würde. Sie hatte das nur als Ausrede gebraucht, um sich verdrücken zu können. Er erkannte auch den Grund dafür: Auf dem Grundstück der anderen Doppelhaushälfte versuchte eine beleibte Schwarzhaarige dilettantisch, ihre massige Körperfülle hinter einer Yucca-Palme zu verbergen. Sie hatte anscheinend mitbekommen, dass er mit Magdalena etwas besprechen wollte.

Was ging hier Verrücktes vor, war am Ende einer der Bewohner der Täter? Von dieser Eigentümerversammlung würden ihn keine zehn Pferde fernhalten können, soviel stand fest. Er beneidete seinen neuen Kumpel Antonio García Jimenez wirklich nicht darum, mit solchen Zeugen weiterarbeiten zu müssen.

Schon gegen 19.30 Uhr schlenderte Bernd zusammen mit seiner Julia Richtung Poolanlage. Er hatte sie mit einiger Überredungskunst zum Mitkommen bewegen können. Am Ende war es ihr lieber gewesen, als alleine im Ferienhaus herumhocken zu müssen. Sie hatte ihm das Versprechen abgenommen, hinterher an der Hafenpromenade noch gepflegt einen Krug Sangría trinken zu gehen. Nur zu zweit, versteht sich.

Seine Hoffnung, dass vielleicht vor Beginn der Veranstaltung schon ein paar Leute anwesend sein könnten, erfüllte sich nicht. Kein Mensch war bis dato erschienen. Das türkisblaue Wasser glitzerte verführerisch in der Abendsonne. So beschlossen die Maders, noch ein paar Runden im Pool zu drehen, bevor es heiß hergehen würde.

 

Erst kurz nach acht ließen sich die Ersten blicken. Innerhalb der folgenden zwanzig Minuten trudelte grüppchenweise auch der Rest ein, zum Schluss der Administrator, der hier für jede Urbanisation neben dem Präsidenten gesetzlich vorgeschrieben war.

Die beiden Urlauber standen alleine da, alle anderen blieben betont auf Abstand. Mader hörte indigniert, wie seine temporäre Nachbarschaft unverfroren darüber diskutierte, ob sie als NichtEigentümer überhaupt hier anwesend sein dürften.

Prophylaktisch erklärte er dem Administrator auf Englisch die Situation und erhielt die Erlaubnis, dazubleiben. Er bekam sogar eine Liste mit den Tagesordnungspunkten in die Hand gedrückt.

Es war unübersehbar, dass dies einigen der Anwesenden nicht in den Kram passte.

Anschließend ging es los. Und wie. Was jetzt folgte, erinnerte den Kommissar aus Deutschland stark an lächerliches Kindergartenverhalten. Von wegen ›gute Nachbarschaft‹. Hier regierten Neid, Skepsis und Missgunst. Die allgemeine Stimmung konnte man als vergiftet bezeichnen. Schon für diese Feststellung hatte es sich gelohnt, den Abend zu opfern.

Zuerst fetzten sich ein Engländer, ein Spanier und ein Belgier über die Frage, bis auf welche Höhe in dieser Urbanisation ein Zaun zwischen Grundstücken hochgezogen werden dürfte. Die diplomatischen Schlichtungsversuche des Administrators, welcher zunehmend genervt wirkte, scheiterten allesamt. Eine Beschlussfassung war am Ende völlig unmöglich, weil nahezu jeder Stimmberechtigte eine eigene Auffassung vertrat.

Da störte einen Nachbarn der gemauerte Grill eines anderen, doch am meisten erhitzten sich die Gemüter über die Frage, ob der ohne vorherige Genehmigung verglaste Balkon eines Deutschen, der dadurch zum Wintergarten geworden war, abgerissen werden müsse oder nicht. Mehr als drei Stunden lang ging das so, ein Konsens konnte nicht erarbeitet werden.

»Und ich dachte, hier im sonnigen Süden läuft alles gemächlicher ab, die Leute seien besser drauf. Da habe ich mich anscheinend gründlich getäuscht«, flüsterte Julia ihrem Gatten zu.

Zum Schluss wurde es noch besonders abstrus. Jeder Bewohner schien den riesigen Gemeinschaftspool benutzen zu wollen, aber nahezu niemand gedachte sich an den Kosten für Wartung und Betrieb zu beteiligen. Etliche der Haushalte waren mit den Zahlungen ihrer community fees bereits seit mehreren Jahren im Rückstand. Administrator Alejandro wies mit erhobenem Zeigefinger in drei Sprachen darauf hin, dass die Jardines del Mar faktisch pleite seien und demnächst voraussichtlich die Straßenbeleuchtung innerhalb der Gates abgeschaltet werden müsse.

Man nahm es schulterzuckend zur Kenntnis. Alejandro raffte konsterniert seine Journale zusammen, verabschiedete sich kurz und bündig und wollte gehen. Verständlich, wenn man bedachte, dass auch sein Salär aus diesen community fees bezahlt wurde – oder künftig eben nicht mehr. Diese Ignoranten waren es nicht wert, dass man sich für sie bemühte und versuchte, die Urbanisation am Laufen zu halten.

Das Ehepaar Mader folgte ihm unauffällig, passte ihn ein paar Meter hinter dem Gate ab. Die anderen Nachbarn waren ebenfalls schon im Aufbruch begriffen gewesen.

»Nicht sehr gut gelaufen, was?«, sprach Bernd den glutäugigen Mittvierziger an. Von seiner eleganten Körperhaltung her erinnerte er ein wenig an einen stolzen Torero.

Dem Herrn Administrator entfuhr ein wüster Fluch auf Spanisch, den Mader zum Glück nicht übersetzen konnte, bevor er ihm auf Englisch antwortete.

»Wie sollte man eine Community anständig verwalten, die sich selbst schon aufgegeben hat? Ich werde diese Farce jetzt beenden, hätte das längst tun sollen. Wenn die Herrschaften meinen, weder Strom noch Wasser für ihre Gemeinschaftseinrichtungen zu benötigen und nicht dafür bezahlen zu müssen – bitte sehr!«

»Aber die Leute wohnen doch höchstpersönlich dort, es gibt in dieser Urbanisation kaum Ferienvermietung. Wie könnten sie angesichts dessen nicht daran interessiert sein, dass der Laden reibungslos weiterläuft? Für mich klingt das jedenfalls total unlogisch, zumal sie sich über die Baumaßnahmen ihrer jeweiligen Nachbarn ja auch maßlos aufregen«, warf Julia staunend ein.

Der ›Torero‹ seufzte tief.

»Ist eine lange Geschichte. Wieso interessieren Sie sich überhaupt dafür? Sie sind doch nur auf Urlaub hier, nicht wahr? Der Tag war lang und ich möchte allmählich nach Hause, den ganzen Mist bei einem schönen Glas Wein vergessen. Sie ahnen ja nicht, was das für ein beschissener Job ist.«

Mader erklärte es ihm ausführlich, entschuldigte sich für seine Neugierde. Der Spanier schien plötzlich gar kein Interesse mehr daran zu haben, das Gespräch schnell zu beenden, nachdem er den Namen der Toten vernommen hatte.

»Ja, wenn das so ist … ich hege tatsächlich einen dunklen Verdacht, womit der gewaltsame Tod dieser Britin zusammenhängen könnte, aber natürlich sind das nur Vermutungen. Machen Sie sich lieber selber ein Bild – mithilfe der brisanten Infos, die Sie gleich von mir bekommen werden.«

Was ihm der angefressene Administrator während der nachfolgenden Dreiviertelstunde erzählte, schien einem Kriminalroman entnommen zu sein. In erster Linie ging es um Geldgier.

Die werten Bewohner der Jardines del Mar waren sich anscheinend ausschließlich beim Schweigen, Mauern und Schauspielern einig, zum Erreichen ihres obskuren Zieles. Ansonsten konnte es mit dem nachbarlichen Zusammenhalt in der ›Gemeinschaft‹ offenkundig nicht allzu weit her sein.

Um jene unerwünschten Baumaßnahmen, an welchen sich die Gemüter vorhin so erhitzt hatten, war es allerhöchstens vordergründig gegangen. Die ganze Aufregung hing lediglich mit offenen Rechnungen aus der Vergangenheit zusammen, die manche dieser Einwohner meinten, untereinander schlussendlich noch begleichen zu müssen. Frei nach dem Motto:

Du hast damals den Bau meiner Pergola vereitelt, deshalb werfe ich dir ebenfalls einen Knüppel zwischen die Füße, wenn du dir dein Grundstück komfortabler und werthaltiger gestalten willst. Wie du mir, so ich dir.

Nein, das hier war kein Paradies, auch wenn die Gegend nach außen hin so wirken mochte. Bernd und Julia waren in diesem Augenblick heilfroh, nicht auf Dauer in Torrevieja wohnen zu müssen.

*

22. Juli 2018, Torrevieja

Der Einfachheit halber lud Antonio seinen Berufskollegen und Spitzel in die Räume der Policía Local an der Carretera 905 ein. Die Außenstelle des Rathauses, das die Stadtpolizei beherbergte, befand sich in der Nachbarschaft zu einem Einkaufsmarkt. So konnte Bernd hinterher gleich fürs Abendessen einkaufen und musste wenigstens nicht nach Alicante zur Guardia Civil fahren, um seine Erkenntnisse an den Mann zu bringen.

Er erzählte alles, was er gehört und mitbekommen hatte. Antonio nahm das Ungeheuerliche emotionslos zur Kenntnis,

nickte zwischendurch nur gelegentlich. Ihm, als Einheimischen, waren solche Machenschaften anscheinend nicht fremd.

»Also wieder mal die Grundstücksspekulanten. Hört das denn nie auf?«, sagte er mehr zu sich selbst. Er wirkte verärgert.

Bernd war ein wenig irritiert.

»Jetzt sag‘ bloß, es käme hier öfters vor, dass einfach Siedlungen plattgemacht werden, damit ältere Wohnhäuser durch Luxusvillen ersetzt werden können?«

»Das ist leider keine Seltenheit. Es läuft jedes Mal nach demselben Schema ab. Ein bezahlter Scherge des Investors hört sich in der Siedlung um, ob es in der Community Unzufriedene gibt

– und die gibt es meistens. Diese Leute hetzt er dann gezielt auf, bringt sie dazu, über einen Verkauf ihres Hauses nachzudenken. Anschließend lässt er die ersten Angebote rüberwachsen; ziemlich lukrative, versteht sich. Meist liegen diese deutlich über dem Zeitwert der Immobilien.

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