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V

Graf Edmund N. an Professor Erhard
Les Ormeaux, den 25. Juni 1875.

Lieber verehrter Freund!

Bereite Dich auf eine Überraschung vor. Unsre Pläne sind umgestoßen. Ich schrieb Dir gestern in verdrießlicher Laune. Dank der Nachlässigkeit meines Dieners blieb der Brief liegen. Heute zerreiße ich ihn, schreibe einen neuen und hoffe, wenn diese Zeilen in Deine Hände kommen, bin ich ganz versöhnt mit meinem Lose und habe eingesehen, „daß alles Segen war.“

Was sich begeben hat, ist folgendes:

Neulich am Abend waren wir alle auf dem Balkon. Eine Dame aus der Nachbarschaft, die sich für eine Naturfreundin hält, hatte uns dahin beordert, um den Aufgang des Mondes zu bewundern. Sie quittierte die Oh und Ah, die ausgestoßen wurden, und machte die Honneurs des schönen Schauspiels, als ob sie es erfunden hätte. Es verdroß sie, daß Madeleine sich schweigend verhielt. – „Die jetzige Jugend lobt nichts,“ meinte sie, „nicht einmal den lieben Gott in seinen Werken. Ein Anblick wie dieser läßt Euch kühl. Nicht wahr, liebe Kleine?“

Die „Kleine“, von der die dicke Naturschwärmerin um einen halben Kopf überragt wird, sah zu ihr nieder und erwiderte rasch und lebhaft: „Sie tun mir unrecht, niemand schätzt den Mond mehr als ich, diesen liebenswürdigen Alten, dessen Glanz schon längst erloschen ist, der sich aber in Ermangelung eigenen Lichtes zum Spiegel fremden Lichtes macht und uns so hold die Nacht erhellt. Ich will mir sogar ein Beispiel an ihm nehmen und bei fremdem Glücke borgen, was man so braucht, um den Schein der Heiterkeit zu haben und zu verbreiten.“

„Welche Resignation!“ rief ich aus.

„Eine sehr bedingte, wohl gemerkt,“ erwiderte sie. „Mit dem Scheine begnügt ein braves Herz sich erst, wenn das Wesen ihm unerreichbar bleibt … Ja, wenn die Wahl frei stände …“ sie hielt inne. Es war wieder das Aufblitzen in ihrem Gesichte, das Leuchten der Augen, das übermütig schalkhafte Lächeln. –

Plötzlich warf sie einen Blick voll Entschlossenheit auf eine junge Frau hinüber, die ich längst im Verdachte hatte, die Vertraute aller ihrer Mädchengeheimnisse zu sein, und fuhr fort: „Zum Beispiel Sie, meine Damen, wenn Sie sich statt dieses Anblicks,“ den Arm ausstreckend, deutete sie nach dem Horizont, „den eines Sonnenaufganges gönnen wollten, was so leicht geschehen kann, und – ich wette, noch nicht geschehen ist.“

Einige widersprachen, ein kurzer Streit entspann sich. Am Ende beschloß die ganze Gesellschaft einstimmig, morgen mit dem frühesten auszureiten und von einem Hügel aus, der zu Pferde in zwanzig Minuten zu erreichen war, das Erscheinen des Tagesgestirns zu erwarten.

„Seien Sie pünktlich,“ empfahl mir Madeleine, ehe wir uns trennten, und ich versprach's und hielt Wort. Ich war der erste beim Stelldichein im weitläufigen, kiesbestreuten Hofe, in dessen Mitte eine Fontäne plätscherte. Ihr einförmiges Geräusch wurde allmählich eine Art Stimme und gurgelte: „Mach Dich gefaßt! Mach Dich gefaßt!“ Es kam sogar zu einem Vers:

 
Als Junggeselle reit ich aus,
Als Bräutigam kehr ich nach Haus.
 

Nicht sehr schön, aber was kann man von einer Fontäne verlangen?

Die Pferde wurden vorgeführt, streckten die Hälse, senkten die Köpfe; alle schienen unzufrieden, gegen jede Gewohnheit so früh aus dem Stall zu müssen.

Und nun erschien Madeleine unter dem Portal. Im dunkeln, enganliegenden Reitkleid nahm ihr ganzes Wesen sich so gar jung und unfertig aus … Da hieß es: nicht vergleichen! nicht denken an Elsbeths wundervolle Frauengestalt.

Madeleine, die Reitpeitsche unter dem Arme, knöpfte mit der bloßen Rechten den Handschuh der Linken zu. Sie hatte mich gesehen, aber ohne zu grüßen hastig den Kopf gesenkt, runzelte ein wenig die breiten Brauen (die hat sie vom Vater), preßte die Lippen aufeinander …

Ich sage Dir alles, demnach auch die Vermutungen, die mir da in den Sinn kamen: Ah, Mademoiselle, ich zögere Ihnen wohl zu lange? Sie haben wahrscheinlich geflunkert mit ihrer Eroberung, und nun fragen die Freundinnen: Was ist das? will der Besiegte sich noch immer nicht ergeben?.. Die Entscheidung muß endlich herbeigeführt werden. So oder so! In der Kühlwanne läßt sich unsereines nicht halten … Wohlan, ich will Ihnen den Sieg nicht schwer machen, sagte ich zu mir, trat an sie heran, und wir wünschten einander einen guten Morgen und waren gleich einig, daß wir auf die übrige Gesellschaft nicht warten wollten.

„Welches Pferd befehlen Mademoiselle?“ fragte der Stallmeister.

„Gleichviel, das erste beste,“ gab sie zur Antwort mit kaum unterdrückter Ungeduld und saß im nächsten Augenblick schon im Sattel auf einem tüchtigen Braunen, und auch ich wählte nicht lange – was mich später reute –, sondern bestieg, weil er am nächsten bei der Hand war, einen hochbeinigen, langohrigen Gaul, auf dem nicht einmal der Apollo von Belvedere sich gut hätte ausnehmen können.

Wir ritten im Schritt aus dem Hofe, dann im kurzen Trabe durch den Park und sprengten draußen in einen munteren Jagdgalopp ein. Madeleine, des Weges kundig, führte. Es ging immer schneller vorwärts, eine gute Weile über das Weideland, zwischen flachen grünen Hügeln dem Licht entgegen, das im Osten emporlohte.

„Wohin denn?“ fragte ich endlich. „Wo ist das Ziel?“

Sie erwiderte: „Längst überholt,“ hielt ihr Pferd an, lauschte und spähte in die Ferne, und ich rief:

„Bravo! Wissen Sie, wo wir sind? Da steht der Grenzpfahl – auf deutschem Boden – in der Höhle des Löwen.“

„Jawohl, und da schickt er einen Abgesandten.“

Von der flammenden Morgenröte am Himmel hob sich der Schattenriß eines Reiters, der, wie aus dem Boden gewachsen, vor uns auftauchte. Es war ein deutscher Offizier, ein schöner Mensch, sehr sonnverbrannt, sehr hübsch gewachsen, vortrefflich beritten. Er legte die Hand an die Mütze, und ich dumme gute Haut dankte ihm noch und bemerkte nicht gleich, daß der Held nur Augen hatte für Madeleine, die er voll Ehrfurcht und frommer Anbetung begrüßte.

O Lieber! und sie senkte den Blick vor dem seinen; und ich habe mich geirrt – sie kann das doch auch.

„Madeleine,“ sagte er, und seine Stimme war tief und wohlklingend und hätte mir in jedem andern Augenblick einen angenehmen Eindruck gemacht.

„Arnold,“ sagte sie. Das D tönte so zärtlich nach, so liebevoll: Arnolde. Sie reichten einander die Hände.

„Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind.“

Ihre ablehnende Gebärde drückte deutlich aus: Dafür keinen Dank! – „Morgen also?“ fragte sie nach einer langen Pause ernster, schweigender Seligkeit.

„Morgen. Vergessen Sie mich nicht, Sie wissen, wovon ich lebe.“

„Und ich? – Als neulich Ihr Brief nicht kam am bestimmten Tage und auch am nächsten nicht – ich wäre fast gestorben.“

„Wie voreilig!“ sprach er und wurde rot vor Bestürzung und Wonne und drückte ihre Hand fester, „liebe Madeleine …“

„Mein edler, mein treuer Freund.“

„Treu, ja, aber das ist mein Schicksal, nicht mein Verdienst.“

„Ich lobe Sie auch nicht, ich sage nur, Sie sind es.“

„Wie Sie.“

„Das heißt: bis ans Ende.“

„Bis ans Ende.“

„Gott behüte Sie, Arnold.“

„Sie wollen mich schon verlassen?“

„Ich will nicht – ich muß.“

„Madeleine!“

„Noch einmal, noch tausendmal: Gott behüte Sie! Ich bete zu ihm für Ihr Glück.“

„– Dann beten Sie für sich.“

Das war, glaube ich, ihr ganzes Gespräch. Möglich, daß ich einiges überhörte. Mein Untier von einem Rotschimmel hatte einen Anfall von Heimweh bekommen und kehrte ganz entschlossen um; ich wandte ihn und er wieder sich; wir waren einer hartköpfiger als der andre und führten, indem wir uns kaffeemühlenartig auf dem Fleck herumdrehten, ein sonderbares accompagnement auf zu der Liebesszene, die sich zehn Schritte von uns abspielte.

Nachdem der Offizier (der mich gewiß für irgendeine untergeordnete Vertrauensperson gehalten hat) sich empfohlen, ritten wir in entgegengesetzter Richtung dem Aussichtshügel zu und erblickten, an dessen Fuß angelangt, die vom Schlosse her trabende Kavalkade.

„Fräulein,“ sagte ich mit verachtungswürdiger Plumpheit zu Madeleine, „wissen Ihre Eltern?..“

„Das versteht sich,“ fiel sie mir ins Wort und hatte ein gar rührendes Lächeln, „sie wissen es, aber sie glauben es nicht.“

„Was nicht?“

„Daß meine Neigung alles überdauert, ihren Widerstand, die immerwährende Trennung. Sie meinen, endlich wird diese Liebe doch erlöschen. Nur Zeit lassen, nur Geduld haben. Ein andrer wird kommen und das Bild des Abwesenden aus ihrem Herzen verdrängen. Da stellen sie von Zeit zu Zeit Proben an …“

„Und Bewerber auf,“ rief ich ungemein beleidigt.

Sie aber erzählte in wenig Worten, das Schloß ihrer Eltern sei im Kriegsjahre zu einem Spitale gemacht worden. Mit andren Verwundeten wurde ‚Er‘ gebracht, sterbend, der Arzt gab ihn auf. – „Meine Mutter aber,“ sagte Madeleine, „pflegte ihn gesund. Ich bin ihr kaum mehr Dank schuldig für mein Leben, als er ihr für das seine. Das verpflichtet, Sie begreifen. Wir werden meine Eltern nie betrügen … Er hat mir einmal die Hand geküßt, in Gegenwart meines Vaters … Er ist einmal aus seiner Heimat nach Falaise gekommen, zwei Nächte und einen Tag gereist, um mich zu sehen, an der Seite meiner Mutter, um auf der Straße an mir vorüberzugehen und stumm zu grüßen. – Ich war krank gewesen, er hatte durch meine Freundin davon gehört …“

„Sublim!“ spöttelte ich. „Es muß ihre Eltern rühren, sie werden endlich nachgeben.“

„Sie werden nie nachgeben und wir auch nicht.“

„In einem solchen Kampfe siegen die Überlebenden. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge also – die Jüngeren.“

Wir waren nicht mehr allein, die Reiter hatten uns eingeholt.

Madeleine sprach mit gesenkter Stimme: „Gott erhalte mir meine Eltern!“

 

Oben auf dem Hügel war es herrlich. Ein feuriger Glutball, stieg sie empor, die Lichtspenderin, die Urheberin alles Lebens … Lieber Freund, die Schilderung des Sonnenaufganges wirst Du mir wohl erlassen.

Dein Edmund.

VI

Graf Edmund N. an Professor Erhard
Les Ormeaux, den 5. Juli 1875.

Bester Freund!

Glaubst Du, daß es heutzutage einen Romancier gibt, kühn genug, um seinem Publikum ein Liebespaar wie Madeleine und Arnold vorzuführen? – Er müßte sich darauf gefaßt machen, ein lächerlicher Idealist genannt zu werden, der faden Brei rührt für literarische Kinderstuben und Menschen schildert, die es nie und nirgends gibt.

Und doch wäre der Mann ein so treuer Darsteller der Wirklichkeit, wie nur irgendein orthodoxer Naturalist. – Allerdings würde diese Wirklichkeit niemanden mehr interessieren.

Ich bin veraltet, mich interessiert sie. Madeleine und ich haben ein Freundschaftsbündnis geschlossen.

„Konnte ich Ihnen,“ sagte sie, „einen größeren Beweis von Vertrauen geben, als den, Sie zum Zeugen meiner Zusammenkunft mit Arnold zu machen? Auf Gnade und Ungnade habe ich Ihnen mein Geheimnis ausgeliefert.“

Was ich vor drei Tagen miterlebte, war ein Abschied. Das Regiment Arnolds, das im Elsaß stand, hat Marschbefehl bekommen und kehrt zurück nach Bayern. Die Trennung der Liebenden wird dadurch räumlich erweitert, tatsächlich bleibt sie dieselbe. Sie sehen einander nicht, sie stehen nur in freilich sehr eifrigem, schriftlichem Verkehr. Als Briefbote fungiert die Freundin – wie mir scheint, nicht ohne Wissen der Eltern. Die denken wohl: Schwärmt Euch aus, in solcher Art ist's ungefährlich; man wird ihrer müd.

Meine Meinung aber ist, daß diese beiden tun werden, wie sie sagen, und einander treu bleiben bis ans Ende. Gestern machte ich mich in denkbarst vorsichtiger Weise zu ihrem Anwalt – bei der Mutter; an den alten Chouan wollte ich erst später heran. Aber ich traf auf den unbeugsamsten Widerstand; – so einen sanften, wohlüberlegten, gegen jeden Angriff gefeiten. Welche Kraft von Fanatismus in dieser schmächtigen, blassen Frau, deren Stimme sich nie über den Konversationston erhebt, deren Lippen ohne Beben dem Glück der armen Madeleine das Todesurteil sprechen! Sie liebt ihr Kind, sie weiß, daß Arnold ein braver Mensch ist, aber zugeben, daß ihre Tochter die Frau eines Deutschen werde – o, da würde sie sich doch ebenso gern auf den Pranger stellen und öffentlich brandmarken lassen.

Das nenn ich einen gehörigen Rassenhaß!.. Etwas Gräßliches wahrhaftig und Dummes obendrein, wie denn jeder Haß, der sich gegen Menschen wendet, statt gegen das Unrecht, das sie tun … Weise ist nur die Liebe – halte mir den kühnen Übergang zugute, ich bin mir des Mangels an Folgerichtigkeit in meinem Gedankengange sehr bewußt … Weise ist Irina, die dafür, daß sie nicht geliebt wurde, wie sie es erstrebt, Trost findet, indem sie sich lieben läßt. Weise ist Madeleine, die im Vollgefühl ihrer großartigen Empfindung eine höhere Befriedigung genießt als mancher, dessen Leben eine Kette erfolggekrönter Liebesabenteuer war.

Unweise ist Elsbeth, unweise bin ich mit meiner Selbstüberwindung, die so viel Verlogenheit in sich birgt.

Jede echte Liebe, sogar eine hoffnungslose, ist herrlich, erbärmlich und töricht, aber der Kleinmut, der verzichtet.

„Wir Frauen haben nur die Liebe,“ sagt Irina. So hat denn Elsbeth – nichts.

Arme Elsbeth!

Lebe wohl und schreibe doch einmal wieder

Deinem treuen Edmund.

VII

Graf Edmund N. an Professor Erhard
Wien, den 12. August 1875.

Mein verehrter Freund!

Dir schreiben, was ich vorhabe, fällt mir schwer. Es wird Dich empören, es wird Dir weh tun. Wenn Dich dieser Brief findet, mitten in einer fesselnden Arbeit, dann lege ihn weg und lies ihn erst am Abend, vor dem Einschlafen. Das ist der rechte Moment. Da bist Du in der unendlich wohlwollenden und versöhnlichen Stimmung, die jeden guten Menschen ergreift, wenn er sich, zufrieden mit seinem Tagewerk, auf das Lager streckt und die angenehme Müdigkeit seiner Glieder, die köstlichste Abgespanntheit seiner Nerven ihm eine vortreffliche Nacht verheißen … Dann nimm dieses Blatt zur Hand. So sanft wie die Traumseligkeit, die Dich umfängt, wird Dein Urteil sein; Du wirst denken: Sieh doch, seinem Verhängnis entgeht keiner … Ei, ei! – Nun, Gott mit ihm. Nach Nowidworo denn …

Ja, nach Nowidworo, das ist das Ende vom Liede.

Ich will hintreten vor meinen alten Hans und will ihm sagen: Alles war vergeblich, die Flucht, die Trennung, der lange Kampf. Ich komme wieder als derselbe, der ich gegangen, nur daß ich erprobt habe, daß meine Liebe unüberwindlich ist. Habe ich nicht getan, was ich konnte? Habe ich nicht sogar heiraten wollen? Danke ich's nicht ganz allein der Seelengröße Madeleines, daß der lügenhafte Bund nicht geschlossen wurde?

Mache mit mir, was Du willst, wirf mich hinaus, schieß mich tot, ich verlange nur Eins: bevor Du es tust, frage Deine Frau, ob ihr damit ein Gefallen geschieht … Man muß doch auch an sie denken. – Haben wir einmal Phantasie, stellen wir uns vor, daß ich um ein Jahr früher nach Fiume gekommen wäre, sie kennen gelernt und heimgeführt hätte … Verzeih, verzeih, lieber Hans! Du bist ein Engel, und ich bin nur ein gewöhnlicher Sterblicher – aber Elsbeth wäre vielleicht mit mir glücklicher geworden als mit Dir … Nicht wegen des geringeren Unterschieds im Alter, – was sind die Jahre! Im Gemüte wirst Du immer ein Jüngling bleiben. Wie oft kam ich mir, mit Dir verglichen, wie ein Greis vor.

Aber Du kennst die Frauen nicht, hast Dich nie mit ihnen befaßt, Du bist mit der Deinen wie der beste Vater … Ich, mein teurer, treuer Hans, ich würde wahrscheinlich trotz aller Anbetung weniger zart mit ihr umgehen als Du, ich würde sie mit Eifersucht quälen, aber es gäbe nichts, was mich je von dem Gedanken an sie ablenken könnte. Immer hätte ich in ihrer Gegenwart die Empfindung eines reicheren, erhöhten Lebens, immer sie in der meinen das Bewußtsein, eines andern Menschen köstlichstes Gut, sein Um und Auf, sein Schicksal zu sein.

Ich würde sie nicht tage- und wochenlang allein lassen, und nachmittags, wenn ich noch so müde aus der Wirtschaft nach Hause gekommen wäre, würde ich nicht einschlafen … und wenn ich mit ihr im Walde spazieren ginge, würde ich noch Sinn für andres haben, als für die Anzahl Raummeter, die der Holzschlag ergeben wird, und für den wahrscheinlichen Ertrag der Eichelmast.

Hans, mein väterlicher Freund, werfen wir einmal alles über Bord: Vorurteil, die sogenannten Gesetze der Ehre, und fragen wir uns, ob Du Dich nicht ebenso zufrieden fühlen würdest wie jetzt, wenn Du … nun, das ist wirklich schwer auszusprechen … wenn – sagen wir, Elsbeth und ich Deine Kinder wären, Deine dankbaren, in Dir den Schöpfer ihres Glückes verehrenden Kinder …

Lieber Hans, was ist die Aufgabe des Menschenfreundes? Nach den schwachen Kräften, die ihm als einzelnen gegeben sind, die Summe des auf Erden vorhandenen Leids zu vermindern, die des Glückes zu erhöhen. – Mathematisch, um mit Dir zu sprechen: Ich besitze etwas, das mir Freude macht = 6; doch kenne ich einen, dem dieses selbe etwas Freude machen würde = 100.000. – Was tue ich, der Menschenfreund? Ich schenke ihm den bewußten Gegenstand und erhöhe damit die Summe der Weltfreude um 99.994!

Ähnliches, liebster Professor, habe ich einmal getan. Ich hatte ein Bild, das jeden Kenner entzückte. Einen mir befreundeten Maler machte der Wunsch, es zu besitzen, halb verrückt. Er sann und träumte nichts andres; er meinte, es sein nennen zu dürfen, würde ihn beseligen und läutern und jede in seiner Künstlerseele noch schlummernde Kraft zur höchsten Entfaltung bringen.

Ich erwog das Glück, das ich diesem Menschen bereiten konnte, machte die bewußte Rechnung und – schenkte ihm das Bild.

O Freund, es handelte sich um eine bemalte Leinwand, die nichts davon wußte, ob der begeisterungstrunkene Blick eines Künstlers auf ihr ruhte, ob der meine es streifte mit flüchtigem Wohlgefallen.

Sie aber lebt, und, ich glaube es wenigstens, ist mir gut. Eigentümlich, daß sich meiner, je näher der Augenblick des Wiedersehens kommt, Zweifel bemächtigen, vielleicht begründete?

Nein doch, nein! – ich brauche mich nur der Nachmittage unter den Linden auf der Terrasse zu erinnern … Ich las vor – „Faust“ von Turgenjew … Wie sie da horchte, mit welcher Spannung, wie sie mich ansah … Am selben Abend entstand ein Gedicht, das natürlich verbrannt wurde, und das ich vergessen habe, bis auf die eine Strophe:

 
Zu mir erhebt mit stummem Fragen
Dein dunkles Aug sich unbewußt,
Dieselbe tiefe Sehnsucht tragen
Wir beide in verschwiegner Brust …
 

So war es. Aber freilich, zu wem hätte sie auch die Augen erheben sollen? Mein Hans, ihr Hans, ich will sagen: unser Hans schlief oder schlummerte wenigstens …

In zwei Tagen werde ich viel mehr wissen als heute. Ich schreibe Dir gleich, noch unter dem ersten Eindruck. Was steht mir bevor?

Dein Edmund.

VIII

Professor Erhard an Freiherrn Hans v. B
Korin, den 12. September 1875.

Euer Hochwohlgeboren!

Hochverehrter Herr Freiherr!

Für die Belästigung auf das Höflichste um gnädige Nachsicht bittend, wage ich es, Euer Hochwohlgeboren um eine Kunde von meinem lieben Grafen zu bitten. Derselbe äußerte in seinem letzten Schreiben die Absicht, die Gegend von Fiume zu besuchen, und dürfte es bei dieser Gelegenheit schwerlich verabsäumt haben, Euer Hochwohlgeboren seine Aufwartung zu machen. Auf die Annahme dieses Falles hin darf ich vermuten, daß es Euer freiherrlichen Gnaden bekannt sein dürfte, wohin unser teurer Reisender seine Schritte gelenkt, und dieser Vermutung wieder entspringt das oben gestellte flehentliche Ersuchen.

Genehmigen Euer Hochwohlgeboren den Ausdruck der unbegrenzten Hochverehrung, mit welcher zeichnet

Euer Hochwohlgeboren
untertänigster Diener
P. Erhard.

IX

Hans v. B. an Professor Erhard
Nowidworo, den 14. September 1875.

Euer Hochwürden setzen mich in Bestürzung.

Unser lieber Edmund hat uns nach zweitägigem Aufenthalte verlassen, um geraden Weges heimzufahren nach Korin.

Sieht aus wie das Leben, ist prächtig. Er muß seinen Plan geändert haben; ich staune, daß er nichts davon schrieb.

Mit der inständigen Bitte, mir sein Eintreffen zu Hause telegraphisch bekannt zu geben,

Euer Hochwürden
tief ergebener Hans B.

X

Graf Edmund N. an Professor Erhard
Abbazia, den 20. September 1875.

Lieber, verehrter Freund!

Ich habe noch eine kleine Seefahrt unternommen, bin aber jetzt auf dem Heimwege; heftig regt sich in mir die Sehnsucht nach meinem Zuhause. Eines schönen Morgens wirst Du im Frühstückszimmer erscheinen, mit einem Schweinsledernen unter jedem Arme, und – plumps! da liegen die Folianten; Du hast sie fallen lassen, Du brauchst Deine beiden Hände, um sie vor Verwunderung über dem Kopfe zusammenzuschlagen und dann dem Freunde zu reichen, der Dir die seinen entgegenstreckt.

Freue Dich, Du Lieber und Getreuer! ich komme für lange Zeit.

Wenn Jahre zwischen heute und dem Tage lägen, an dem ich Dir zum letzten Male schrieb, eine größere Wandlung könnte mit mir nicht vorgegangen sein; ich bin, scheint mir – klug geworden.

Als ein ganzer Geck kam ich noch am Nachmittag des 14. August in Karlstadt an. Ich hatte im natürlich reservierten Coupé Toilette gemacht und gefiel mir selbst in meinem Knickerbocker und meinem englischen, helmförmigen Hut.

Auf dem Bahnhofe wartete der Wagen aus Nowidworo, der gelbe Phaeton, den Hans nur bei großen Gelegenheiten ausrücken läßt; vorgespannt war der Jucker-Viererzug, und auf dem Bocke prangte mein dicker, schweigsamer Freund Djuro.

 

Pomez Bog,“ rief ich, und er erwiderte: „Ljubim ruka.“ Sein braunes Gesicht glänzte gleich einem blankgescheuerten Kupferkessel, und er lachte mich so vergnügt an, als ob ihm das verkörperte Trinkgeld entgegenträte.

Wir flogen schon ein Weilchen dahin zwischen rebenbepflanzten Hügeln und Geländen, als er sich besann, daß er etwas an mich zu bestellen habe, und mir einen Brief in den Wagen reichte. – Von Hans. Sein gewöhnliches Riesenformat, der Inhalt drei Zeilen im Telegrammstil:

Willkommen! hochwillkommen, Du, mein Junge, Du! Erwarten Dich mit offenen Armen. Haben uns redlich nach Dir gesehnt.

Elsbeth und Hans.

Beide hatten unterschrieben.

Ich zerknüllte das Blatt und schleuderte es fort; denn es brannte wie eine Kohle in meiner geschlossenen Hand. Die Sonne brannte auch, der Himmel erstrahlte in feurigem Blau, zu eitel Fünkchen wurde der Staub, der uns umwirbelte. Am Saume der großen Ebene dunkelten die Wälder, erhoben sich die Spitzen der Okiker Gebirge.

Mit innigem Entzücken begrüßte ich sie … Die schönsten Bilder tauchten vor mir empor, holde Träume umfingen mich.

Mein Kutscher war plötzlich aufgestanden, schwang die Peitsche und schnalzte kräftig. Ein Leiterwagen, mit türkischem Weizen beladen, wackelte vor uns her. Die kleinen, mageren Pferde krochen nur so; ihr Lenker schlief, der Länge nach ausgestreckt, auf seiner Ernte. Djuros Peitschenknall weckte ihn, er fuhr empor, wich aus, und wir sausten weiter.

Das Gefühl ist nicht zu beschreiben, das mich ergriff, als ich die Schloßmauern von Nowidworo durch die Bäume des Gartens schimmern sah und bald jedes Fenster am Mansardendache unterschied.

Die Luft schien mir dünner und reiner zu werden, mein Herz war so leicht, der letzte Zweifel abgetan. Ich mußte mich zusammennehmen, um nicht laut aufzujubeln.

Beim steinernen Kreuze, wo der Weg sich abzweigt, der zwischen Walnußbäumen gerade zum Schlosse führt, lenkte Djuro nach rechts, und wir fuhren längs des Gartenzauns dem schlanken, zinnengekrönten Türmchen an der Ecke, der sogenannten „Warte“, zu.

Dort oben hatten Hans und Elsbeth gewiß gestanden und nach mir ausgespäht, und jetzt eilen sie die Treppe hinab und zur Pforte zwischen den Pfeilern und werden gleich heraustreten … Wenn sie zuerst kommt, dann ist's ein gutes Zeichen.

Das Zeichen stimmte wohl –

Sie kam zuerst, weiß gekleidet, im reichen Schmuck ihrer dunkeln Haare, in ihrem ganzen Liebreiz – ein wenig blaß kam sie mir vor im ersten Augenblick.

Hinter ihr breitete sich's chamoisfarbig; ein paar Arme fochten sinnlos in der Luft herum und bemächtigten sich meiner, als ich aus dem Wagen sprang. Es waren die Arme meines alten Hans, und er drückte mich an seine Brust wie ein Bär. Seine Augen standen voll Tränen, alle seine Gesichtsmuskeln zitterten.

„Elserl,“ brachte er nach vielen vergeblichen Anstrengungen endlich heraus, „umarm ihn auch – Du darfst, weil er da ist – wenn er nicht da wäre, dürftest Du nicht,“ sprach er in warnendem Tone und zwinkerte mir voll Verständnis zu.

Auch seine Frau verstand diese allerdings sehr einfache Logik. Sie errötete, eine tiefe Verwirrung malte sich in ihren Zügen, doch gelang es ihr bald, eine heitere Miene anzunehmen. Mit ihrer gewohnten, sanften Sicherheit blickte sie zuerst ihn, dann mich an und bot mir die Wange.

Ich küßte sie … das Unglaubliche geschah – ich küßte sie, und ob es mich auch durchzuckte vom Wirbel bis zu den Füßen, ob mir der Atem vergehen wollte – ich verlor meine Fassung nicht.

„Jetzt die Überraschung,“ sagte Hans zwischen Weinen und Lachen … „Wir haben nämlich eine Überraschung … Du wirst Dich wundern.“

Mein lieber Freund, eine flüchtige Erinnerung an die Absicht, mit der ich gekommen, an die berühmte Rechnung, kam mir in den Sinn, und mich überlief's.

Elsbeth nahm meinen Arm, sie drückte ihn herzlich mit ihrer Hand, Hans ging nebenher, klopfte mich von Zeit zu Zeit auf die Schulter und murmelte: „Du, mein Junge, Du!“ Er lobte und bewunderte alles an mir, mein Aussehen, meinen Vollbart, meinen Anzug, und Elsbeth stimmte ihm bei, und wenn er sich wie ein sehr erfreuter Vater benahm, so hatte sie in ihrer Art und Weise gegen mich etwas entschieden Mütterliches.

Wir näherten uns dem schattigen Platze unter den Linden, den edlen, herrlichen, die am Rande der Wiese vor dem Schlosse stehen.

Dort habe ich ihr das Meisterwerk des großen russischen Erzählers vorgelesen, diese Bäume haben leise dazu gerauscht; auf der Bank unter dem mächtigsten von ihnen hat sie gesessen, mir gegenüber in sprachloser Ergriffenheit, und mich angesehen mit jenem unvergeßlichen Blick …

Auf derselben Stelle unter demselben Baum befand sich jetzt eine stattliche Frau, in halb städtischer, halb ländlicher Tracht, und neben ihr stand ein Korbwägelchen mit blauseidenem Dach.

Spovo on?“ fragte Elsbeth.

Sada isputje,“ antwortete die Frau.

Das heißt: „Schläft er?“ und: „Eben erwacht.“

Mein dummer Kopf hatte eine plötzliche Erleuchtung. Sie war so hell – zu hell – sie schmerzte.

Elsbeth führte mich zu dem Wägelchen, hob die Schleier, die es verhüllten, und der Inhalt der kleinen Equipage kam zum Vorschein. Er hatte kugelrunde, rosige Wangen und dunkle Augen, machte Fäustchen, strampelte und war – mein Nebenbuhler.

Wie sie sich zu ihm hinabneigte, gewann ihr Gesicht einen Ausdruck stiller, vollkommener Seligkeit, der mich sofort belehrte: Wenn je ein Funke Neigung für mich in ihrem Herzen erglomm – er ist erloschen. Der Atem dieses Kindleins hat ihn ausgeblasen.

Sein Vater warf sich in die Brust, kreuzte die Arme und betrachtete abwechselnd seinen Sohn und mich mit, – glaube mir, – fast gleicher Zärtlichkeit.

„Nun, mein Junge,“ rief er mich an, „was sagst Du? sag etwas zu Deinem quasi Bruder.“

Aber ich konnte nichts sagen, ich war in den Anblick Elsbeths versunken.

„Wir Frauen,“ sagt Irina, „haben nur die Liebe,“ nun – Elsbeth ist reich.

Zwei Tage hielt ich es wacker aus bei ihr und ihm und dem Kinde, am dritten räumte ich dem Nebenbuhler das Feld.

Die Frage, ob ich nicht auch ohne ihn von dannen gegangen wäre, wie ich ging, will ich einstweilen unerörtert lassen.

Auf Wiedersehen, Freund und Mentor! Schalte und walte in meinem Hause, wie's Dir gefällt. Auch wenn ich nur durch eine Allee von Mumien in mein Zimmer gelangen kann – mir ist alles recht und eines gewiß: Vorläufig interessiere ich mich für keine Frau mehr, die nicht tot ist seit mindestens dreitausend Jahren.

„Galgenhumor,“ denkst Du und irrst; es ist der ehrliche, sehr harmlose, der einem etwas verwundeten Herzen entströmt. Aber die Wunde schließt sich schon, bald gibt es ehrenvolle Narben.

Erwarte mich ohne Bangen, ich bin geheilt.

Dein Edmund.