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Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid

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VIII

Die Pflege seines Gartens, das war die Erholung Weißenbergs, seine Liebhaberei. Er betrieb sie mit Kunst, mit Wissenschaft und mit Berücksichtigung der Mode, wenn sie nicht gegen ein Schönheitsgesetz verstieß: »Denn das giebt’s! ich glaube dran,« sagte er. »Ich lasse mich auslachen von meinem Buben und glaube an ewige Schönheitsgesetze.«

Er machte Bertram auf jede der Neuerungen aufmerksam, die er in den letzten Jahren vorgenommen hatte. Keine flachen Wiesen mehr, alle künstlich gewellt, wie sie vielleicht von Natur aus gewesen waren, bevor man sie, um den Garten anzulegen, »planirt« hatte. Anmuthige Hebungen und Senkungen, Hügel und Mulden, bewachsen mit dichtem, feinem Grase. Die Baumgruppen, nach den verschiedenen Farben des Laubes mit gutem Bedacht gepflanzt, sahen aus wie malerisch angeordnete Riesenbouquets.

»Erinnerst du dich des Perrückenstrauches, der bei den Pyramideneichen gestanden hat? Das war fad. Wir haben Blutbuchen hingestellt, kommen prächtig, machen sich besser – was meinst du?« Weißenberg mußte sich umwenden, wenn er mit Bertram sprechen wollte, und der mußte ihm die Antwort zuschreien, denn Hagen hielt ihn fortwährend zurück und brummte:

»Laß die Alten vorausgehen. Ich hab’ Dir etwas zu sagen.«

Auch du mein Sohn? Nun, wenn der Bursche mir sein Vertrauen schenkt, ist die Gelegenheit da, auf ihn einzuwirken, wie seine Eltern wünschen, dachte Bertram, und als Hugo sich wieder umsah, machte er ihm ein Zeichen. Der Freund verstand ihn sogleich, winkte freudig zustimmend und rief:

»Schau dir den Garten nur recht gemächlich an. Wir treffen uns dann bei der Fischerhütte.«

Der Vater und die Mutter schlugen einen Sturmschritt ein, um den Liebling so geschwind als möglich von ihrer unerwünschten Gegenwart zu befreien.

»Was die schlau sind, wie fein sie alles machen!« spöttelte Hagen. »Davon merk’ ich nichts, meinen sie, daß du auf mich dressirt worden bist und jetzt losgehen und mir ins Gewissen reden sollst. Für einen solchen Esel halten sie mich. Ich sag’ dir aber gleich: Spar’ deine Mühe. Ich bin kein Moraltrottel, ich bin ein überzeugter Nietzscheaner, stehe jenseits von Gut und Böse, und wer mir ins Gewissen spricht, spricht zu etwas, das nicht existirt.«

Bertram lachte: »O Nietzsche! großer Krankheitserreger! Welch ein Bacillengezücht hast du in diesem Jünglingsgemüthe ins Leben gerufen!«

Er sah den Burschen von der Seite an, der neben ihm dahinschritt, mit verdrießlich aufgeworfenen Lippen, die Nase in die Höhe gehoben, die Augenbrauen zusammengezogen, die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben. Ein Jüngling ohne Jugend, mürrischer Hochmuth die Krankheit, die an ihm zehrte, und den beständig Verletzten in beständiger Aufregung erhielt.

»Auf dem Gewissen kannst Du also nichts haben,« sagte Bertram, »aber du hast etwas auf dem Herzen. Sprich dich aus, ich höre.«

»Auf dem Herzen ist auch wieder zu viel,« erwiderte Hagen nachlässig. »Ich will dir einfach anzeigen, daß ich eine Novelle geschrieben habe.«

»Novelle? Geschrieben?« Bertrams Ton wurde plötzlich dräuend.

»Du wirst das Manuskript auf deinem Zimmer finden. Du kannst es lesen. Du kannst es drucken lassen.«

Bertram schnaubte ihn an: »Ich werde von deiner Erlaubniß keinen Gebrauch machen; ich bin nicht hierher gekommen um zu lesen, sondern um vom Lesen auszuruhen. Wie oft werde ich das noch wiederholen müssen! – Daß du schreibst,« er maß den Jüngling von oben bis unten, »hätte ich mir denken können. In Eurem Städtlein erscheint ein Blättchen, war einmal ehrsam, ist jetzt ein Schandblättchen, das von frechen Bübchen herausgegeben wird. Da mußt du ja Mitarbeiter sein.«

Beide waren stehen geblieben. Auf Hagens wuthverzerrtem Gesicht bildeten sich grünliche Schatten; seine Augen schwammen in unheimlich phosphorescirendem Lichte: »Bübchen! Bübchen … Satisfaktion!« keuchte er, seine Glieder zuckten konvulsivisch, er wankte und schien im Begriffe niederzustürzen. Bertram sah schon eine Wiederholung des Auftritts voraus, den Weißenberg ihm eben geschildert hatte; er empfand einen großen Ekel vor dieser Ohnmacht, die es nicht einmal zu einem tüchtigen Zornesausbruche bringen konnte, und zugleich bereute er, den Rangen so schwer gereizt zu haben.

»Beruhige dich, Hagen,« sagte er. »Ich bin ein nervöser Mensch, den gewisse Worte, zum Beispiel: ‘Novelle,’ ‘Manuskript,’ ‘drucken lassen,’ außer Rand und Band bringen. Nun hab’ ich mich wieder im Zaume. Mache mir’s nach, Selbstbeherrschung, mein Lieber! Wenn ich dir sage, ich bedauere, dich geärgert zu haben, ist dir das Satisfaktion genug?«

Hagen hatte sich leidlich gesammelt. Ohne den Kopf nach Bertram zu wenden, hartnäckig und steif in die Ferne blickend, brummte er: »Lies meine Novelle, dann reden wir weiter. Die Katz im Sack brauchst du nicht zu kaufen. Aber schweige, das bitte ich mir aus. Für meine Alten schreibe ich nicht. Wirst du meine Novelle lesen?«

Ein schreckliches Wesen, der Junge, aber der Sohn des Mannes, dem Bertram so viel verdankt – es sei!

»Ich werde sie lesen – in Gottes Namen. ‘In Gottes Namen, sprach sie dann, und weinend hielt er sie umfangen,’« deklamirte er und setzte bärbeißig hinzu: »Das hast du von mir nicht zu befürchten, Miseräbelchen!«

»Miseräbelchen?«

»Ich citire! Ich citire! Kennst du das schöne Gedicht vom Miseräbelchen nicht?«

»Nein,« erwiderte Hagen wegwerfend. »Ich lese keine Gedichte.«

»Ich aber soll deine Novelle lesen? Na, ich hab’s gesagt – und ‘wenn was auf Erden heilig ist’« … Er schüttelte sich.

Wäre er jetzt zu Hause gewesen in seiner Bratröhre, am Schreibtisch unter der Gasflamme, die trübseligste Entmuthigung würde ihn ergriffen haben als Rückschlag seines Entschlusses. Aber er war auf dem Lande, in einem reizenden, von Wiesen, Hainen und Wäldern umgebenen Garten. In der Ferne vor ihm bauten sich schön bekuppte Bergketten auf, im Westen, wo das grüne Land mit dem Horizont zu verschwimmen schien, war die Sonne untergegangen und sandte der Erde ihre leuchtenden Abschiedsgrüße zu, lohende Lichtstrahlen, die ein »Auge Gottes« bildend, fächerartig ausgebreitet, hoch hinaufstiegen bis ans Himmelsgewölbe.

»Athmen ist Glück!« rief Bertram plötzlich aus und jauchzte in jähem Stimmungswechsel:

»Herrlicher Sonnenuntergang, dem bald, o Wonne, eine göttliche Sternennacht folgen wird, und morgen wieder ein freier Tag im Freien!«

Er lief mehr als er ging der Fischerhütte zu, bewunderte überströmenden Herzens den Teich, der vergrößert worden war, und eine unregelmäßige Form bekommen hatte, gerieth in Entzücken über den Springbrunnen, den »musikalisch niederplätschernden,« wie die Baronin sagte, und war höchlich einverstanden, als die Hausfrau vorschlug nach dem Schlosse zurückzukehren und den Thee auf der Terrasse »einzunehmen.«

Nur gegen das letzte Wort erlaubte er sich zu protestiren: »Trinken, Hochverehrte! nicht einnehmen. Einnehmen mahnt an die Apotheke, und wir sind frisch und gesund.«

Seine Fröhlichkeit weckte in jedem einzelnen der Gesellschaft ein mehr oder minder lautes Echo. Die Baronin führte munter eine so lange Reihe von Büchertiteln und Autoren an, daß in Bertram der Verdacht aufstieg, sie habe, um ihm ein Fest zu bereiten, einen Leihbibliothekskatalog auswendig gelernt. Er machte unwillkürlich eine abwehrende Bewegung, als alle die Namen ihn umtanzten wie ein unsichtbarer Fliegenschwarm, und sagte mit forcirter Höflichkeit:

»Ein neuer Vorzug, gnädige Baronin, Ihr Interesse für Litteratur. Ich bin erstaunt …«

»Sie haben keine Ursache! Sie nicht!.. Sie, der Urheber dieses Interesses. O, lieber Vogelweid, Ihre Romane und Ihre ‘Überblicke!’ Stumpf müßte man sein, um nicht von ihnen gepackt und hingerissen zu werden; mitten hinein in den Strom des geistigen Lebens unserer Zeit …«

Sie spricht gut, meine Frau, dachte Weißenberg einmal wieder, und rieb sich vergnügt die Kniee.

»Meine ‘Überblicke’,« sagte Bertram schmerzlich, »das Seichteste, das es giebt. – Ist’s möglich?.. Über die selbstgeflochtenen Ruthen!«

Die Baronin wußte nicht recht, was er damit meinte und bat ihn dann aufs Gerathewohl, nicht so bescheiden zu sein.

Ihr Gatte wurde immer heiterer, fing an, Jugenderinnerungen aufzuwärmen, und sang ein lustiges Studentenlied: »Ipse fecit! Und der Text ist von dir, Mann des Tages. Das waren Zeiten! Einige Neidhammel behaupteten freilich Ähnlichkeiten zwischen unserm Meisterwerk und schon Dagewesenem zu entdecken …«

»Ein czechischer Kollege machte sogar Vaterrechte auf das Kind unserer Talente geltend. Halb und halbe Rechte, die wir ihm ganz zugestanden. Hören Sie, Herr Meisenmann, so nachgiebig sind wir von jeher gewesen.«

Die röthlichen Bärte des Angeredeten schimmerten siegreich, er zuckte wieder mit den Achseln: »Ja, selbst die Deutschen geben nach, wenn sie nicht anders können,« erwiderte er.

Zwischen der Baronin und Sieglinde fand eine leise, aber eifrige Debatte statt: »Mir zu Liebe, Lindchen,« – »Ach, Mama, nein – ich bitte dich!« wurde hin und her geflüstert. Endlich durfte Mama der Versammlung ankündigen, daß Lindchen ein Gedicht vortragen werde. »Es ist nur, um ihr das Verlegensein abzugewöhnen,« hauchte sie Bertram im Vertrauen zu.

Sieglinde sprach unter schweren Athembeklemmungen den Wanderer von Friederike Kempner und bereitete damit dem Auditorium ein wahres Vergnügen. Sogar Hagen ließ sich zu einem gnädigen: »Nicht übel!« herbei.

Die Kirchenmaus blieb zwar stumm, aber etwas weniger bedrückt, um einen Schein zuversichtlicher als am Nachmittage war sie doch. Es kam sogar einmal vor, daß sie Bertram, der eben sehr lebhaft sprach, ansah, sie ihn – o des lieblichen Wunders! – ganz kurz, aber recht aufmerksam. Und er studirte – o des wonnigen Studiums! – jeden Zug ihres holden Gesichtes, jedes kaum merkliche Stirnrunzeln, jedes Lächeln, das um ihren jungen, klugen, ausdrucksvollen Mund erschimmerte. Es zeigte sich in dem Augenblick, in dem sie ihn ansah und verrieth eine angenehme Überraschung: Schau, schau, du bist nicht so arg, wie ich mir eingebildet hatte, sprach’s ganz deutlich für den, der sich auf solche Sprache versteht.

 

IX

Mit dem Schlage zehn Uhr wünschte Hugo den Seinen eine gute Nacht und forderte den Freund auf, auch zu Bette zu gehen: »Morgen in aller Gottesfrüh reiten wir. Nimm dir Zeit, auszuschlafen.«

Bertram stand rasch auf. Sich Zeit nehmen können, ausschlafen können – das war ihm all die Tage als Inbegriff der Seligkeit erschienen. Er empfahl sich und folgte dem Hausherrn nach, der ihn an der Thür erwartete. Sie traten in den hell erleuchteten Gang hinaus:

»Du gehst rechts, ich gehe links,« sagte Weißenberg. »Begleite dich nicht, will dir gestehen, ich dusele schon. Morgen also pünktlich … Aber,« unterbrach er sich, »was hast du denn? Bist roth geworden wie mein Sieglinderl.«

»Gute Nacht, du Guter,« erwiderte Bertram, und der Freiherr gab sich mit der Antwort zufrieden und segelte schlaftrunken seinen Gemächern zu.

Was hast du? hatte er den armen Bertram gefragt. Daß er sich reif fühlte, aus dem Hause geworfen zu werden, oder sich selbst hinauswerfen zu müssen, das hatte er. Als er eben auf die Baronin zugegangen, um ihr die Hand zu küssen, war sie aufgestanden, ihm entgegengeschritten und hatte ihm zugeraunt:

»Ich muß Sie sprechen, Sie wissen.«

Und sie war dabei unaussprechlich bewegt gewesen. Wie durfte sie sich erlauben, bewegt zu sein? Donner und Doria! war’s nicht genug, daß seine elenden »Überblicke« ihr Interesse für Litteratur erweckt hatten, sollten seine verdammten Romane einen noch viel ärgern Schaden angerichtet haben? Schwärmereien für Künstler, für Schriftsteller, auf ein Bildwerk, ein Buch hin, kommen vor bei den edelsten Frauen, ja sogar nur bei denen. Geburten der Phantasie, nichts anderes; aber so eine sechsunddreißigjährige Phantasie ist zäh, giebt ihre Geburten nicht leicht wieder her … Wenn es wäre, wenn er unschuldig schuldig, ahnungslos zum Verräther am Freunde geworden wäre, dann bleibt ihm nichts übrig, als sein Ränzel packen und – entfliehen. Dann ist ihm der Boden unter den Füßen weggerissen, sein eigner Grund und Boden, bevor er ihn noch betreten hat.

Von den schmerzlichsten Gedanken gequält, ging er weiter. Sein Weg führte an der Thür des Kammerjungferzimmers vorbei, sie war nur angelehnt, er hörte dahinter kichern und wispern, fast schien es, als ob ihm dort aufgelauert würde. Wenn er in Palermo wäre, könnte er an einige von Hugo gemiethete Banditen denken. Plötzlich stürzte jemand aus dem Zimmer, aber es war kein hagerer Bandit, sondern eine kleine, dicke Person (in diesem Hause wurden die meisten dick), und wie mit tollkühnem Entschluß auf Bertram zu. Ebenso plötzlich gurgelte sie ein seltsames Gemisch von Angstgeschrei und Gelächter hervor und rannte wieder in das Zimmer zurück, wo das Gekicher und Gewisper sich in verstärktem Maße erneuerte.

Die hat sicher gemeint, ihren Liebhaber kommen zu hören und ist jetzt enttäuscht, nur mich getroffen zu haben, sagte sich Bertram, bog um die Ecke des Ganges und betrat seine Wohnung.

O Behaglichkeit, was für eine schöne Sache bist du! Wie wohl ist einem da zu Muthe, wo du herrschest! In diesen hohen, geräumigen Stuben genießt man dich, man athmet dich ein. Beide Flügel der Schlafzimmerthür sind geöffnet, das große, herrliche Bett ist zur Nachtruhe sorglich hergerichtet, die schneeweißen Polster, die seidene Decke verbreiten einen zarten Lavendel- und Veilchenduft und schimmern im matten Scheine zweier, von einem Lichtschirme beschatteten Kerzen. Im Wohnzimmer aber, auf dem runden Tische, brennt eine stolze Bronzelampe, so hell, wie Lampen nur in ganz gut geführten Häusern brennen. Unter der Lampe liegt ein unheimliches Ding, ein Manuskript in Folio, mit zahlreichen Tinten- und Fettflecken, mit umgebogenen, abgestoßenen Ecken – Hagens Novelle. Bertram gruselte es, er wandte sich rasch um und stand vor Simon, der ihm auf dem Fuße gefolgt war. Der Alte wollte sich dem Herrn Doktor durchaus nützlich machen beim Auskleiden und war trotz alles Protestirens nicht wegzubringen. Bertram täuschte sich nicht über den Grund dieses hartnäckigen Diensteifers.

»Sie wollen etwas von mir, ich weiß ja,« sagte er ärgerlich, »kommen Sie nur heraus mit der Sprache.«

So aufgemuntert trug Simon sein Anliegen, das der sämmtlichen Dienerschaft und auch der Beamten, vor. Die Sache war die. In acht Tagen feiert der Herr Verwalter seine silberne Hochzeit. Der Herr Verwalter hat zwei Töchter, von denen jede »etwas aufsagen« soll. Die eine etwas Böhmisches, und daran lernt sie schon auswendig, der Herr Meisenmann hat’s gemacht. Aber die Bevölkerung von Obositz besteht auch aus deutschen Gemeinden, und der Herr Baron und der Herr Verwalter sind für Gleichberechtigung der Nationalitäten. So braucht man denn für die zweite Tochter eine deutsche Ansprache. Herr Meisenmann hat auch die machen wollen, aber alle Leute haben gesagt: Gott bewahre! Wenn der Herr Doktor da sind, wird man doch von keinem anderen ein Gedicht machen lassen, das wäre ja eine Beleidigung.

»Beleidigung!« Bertram donnerte den Alten an, daß er vor ihm zurückwich. »Glauben Sie, daß ich hierher gekommen bin, um Gedichte zu silbernen Hochzeiten zu machen? Sie sind nicht gescheit, Simon.«

»Jekerle, bitte,« sprach Simon kleinlaut, »die Frauenzimmer haben mich anstiftet, ich soll dem Herrn Doktor sagen. Die Frauenzimmer haben dem Herrn Doktor selbst sagen wollen, aber nicht können, haben nicht herausbracht. Die Köchin, die ist die Schwester der Frau Verwalterin, und die Kammerjungfer, die eine Cousine der Köchin ist …«

»Könnten Sie mir die Verwandtschaften nicht aufschreiben?« fragte Bertram grimmig.

Simon, einmal im Zuge, ließ sich nicht irre machen. Die Köchin, die das beste Mundstück hat, erzählte er weiter, hat dem Herrn Doktor aufgepaßt bei der Kammerjungfer, und wie er vorübergeht, ist sie herausgeschossen und auf ihn zu. Wie sie ihm aber in die Nähe kommt, verliert sie die Kourage und ist wieder hineingeschossen, sie fürchtet sogar – mit Geschrei. Und jetzt schämt sie sich und hat schon geweint und schwört bei allen Heiligen, daß sie sich lieber die Zunge abbeißen, als den Herrn Doktor je wieder ansprechen wird.

Bertram erklärte schon sehr aufgeregt: »Einen gescheiteren Entschluß hätte sie nicht fassen können.«

Das kränkte den Alten, und er fragte mit großer Bitterkeit, wie es jetzt aussehen werde mit der Gleichberechtigung? Die Landsleute des Herrn Doktors hätten ihm eine Ehre erweisen wollen und nicht erwartet, daß er sie zum Dank dafür ganz und gar von der Gnade des Herrn Meisenmann abhängig machen werde.

Bertram erwiderte: »Meine Landsleute sind die Mährer ebenso gut wie die Deutschen. Ich bin ein Österreicher, ich habe ein Vater- und ein Mutterland, und wenn Sie glauben, daß ich hierher gekommen bin, um Öl ins Feuer der ehelichen Zwistigkeiten meiner Elternländer zu gießen, sind Sie auf dem Holzwege.« Er wurde heftig, er verstieg sich derart ins Maßlose, daß er sich vorkam wie eine Feuerwerksrakete, die mit lächerlichem Spektakel in die Höhe fährt, um dort oben gar nichts auszurichten. Das sind die Nerven, dachte er und war auch schon voll Reue, und Simon that ihm leid, der, völlig geknickt, kein Wort von allen, die Bertram hervorsprudelte, verstand, sich aber von jedem im Innersten und Heiligsten beleidigt fühlte. Er nahm sich vor, es genau so zu machen, wie die Köchin und den Herrn Doktor nie mehr um etwas anzusprechen. Mit diesem Entschlusse wollte er das Zimmer verlassen.

Aber der stille Kampf Bertrams war ausgekämpft, und er holte Simon zurück: »Sie unbarmherziger Mensch, verfallen Sie nicht in Stummheit, das ist mir schrecklich. Ich gebe nach, ich will den Kelch leeren, den ihr Giftmischer mir zum Willkommsgruß – na! Ich mache euch das Gedicht. Schon gut,« lehnte er die Dankesbezeugungen ab, in die Simon ausbrechen wollte. »Aber Daten brauche ich,« rief er, »geben Sie mir ein paar Daten.«

»Wie meinen?«

»Ich meine, daß ich etwas wissen muß von Ihrem Herrn Verwalter, wenn ich ihn ansingen soll. Also goldene Hochzeit, sagen Sie?«

»Silberne, bitte, Herr Doktor.«

»Ganz recht, ich habe mich nur versprochen. Und allgemein beliebt ist er?«

»O, und wie, bei alle braven Leut’! Schlechte giebt freilich auch.«

»Für die schlechten dichten wir nicht, Simon. Also« – er gähnte. Wie ein Gewappneter kam der Schlaf über ihn; er begann seine Kleider abzulegen und ließ sich dabei Simons Dienste gefallen: »Und sagen Sie mir noch – ist er verheirathet?«

»Jekerle, Herr Doktor, wenn er silberne Hochzeit hat!«

»Und Kinder hat er auch?«

»Aber bitte, ja, die zwei Töchter, bitte, die aufsagen sollen.«

Sie waren während dieses Zwiegespräches aus dem Wohn- ins Schlafzimmer und bis ans Bett gelangt. Simon betreute den Gast wie eine Mutter ihre Tochter, die morgen debutiren soll, zog, als er sich auf dem köstlichen Lager ausstreckte, die Decke über ihn und löschte die Lichter. Bertram sah ihn noch die Lampe vom Tisch nehmen und hörte ihn die Thür schließen. Dann war alles dunkel und still.

Nach einer Weile lag er aber nicht mehr im Bette, sondern stand auf der Wiese, hatte grüne Arme, einen blauen Helm auf dem Kopf, einen Apfel in der Hand und war ein Rittersporn und zugleich Paris und sollte den Preis der Schönheit ertheilen. Eine Theerose, eine dicke Gretl in der Staude, und eine Wunderblume, dergleichen er nie erschaut hatte, bewarben sich darum. Er wußte wohl: die Theerose ist die Dame aus dem Coupé, und die Gretl in der Staude seine zu gnädige Hausfrau. Wer aber ist die Wunderblume? Und ist sie schön? Das wußte er nicht, er konnte sie nicht einmal deutlich sehen, so nahe sie ihm auch stand. Dennoch trat er auf sie zu und reichte ihr den Preis. Der war aber kein Apfel mehr, sondern eine Goldfeder von Morton in New-York und schrieb mit silbernen Lettern einen Hochzeitscarmen.

X

Am nächsten Morgen war Bertram fast so früh auf wie die Sonne und mit dem Ankleiden fertig, als Simon kam, um ihm dabei behülflich zu sein.

»Sind schon lange wach, Herr Doktor, haben vielleicht nicht schlafen können?« fragte der Alte und warf suchende Blicke umher, die den leicht gereizten Bertram sofort ungeduldig machten.

»Sie suchen umsonst,« sagte er. »Das Gedicht liegt weder da noch da, noch dort,« – er deutete auf das Bett, den Nachttisch und die Badewanne. – »Das Gedicht ist noch nicht gemacht. Sie müssen die Güte haben, zu warten, bis ich nach Hause komme. Jetzt reit’ ich fort.«

Simon erwiderte zugleich beschwichtigend und ermunternd: Eine ganze halbe Stunde habe der Herr Doktor vor sich und müsse doch frühstücken; aufgetragen sei schon. Wirklich hatte ein Diener den Tisch im Wohnzimmer gedeckt und mit so guten Sachen besetzt, daß ihr bloßer Anblick jeden gesunden Menschen erheitert hätte. Aber einer, der zum Dichten gepreßt wird, den erheitert nichts, dem gefällt und schmeckt nichts. Bertram trank eine Tasse vorzüglichen Thees und gedachte dabei recht mit Fleiß all des Bösen, das »V. Vischer« diesem edlen Getränk nachgesagt hat. Es rächte sich, wie’s dem Edlen geziemt, es erfüllte seinen Ankläger mit wohligem Behagen, klärte ihm den verträumten Geist und erweckte ihm die erlösende Erinnerung an eine, ihrerzeit vielgerühmte Elegie auf den Tod eines Professors, die er als Student gemacht hatte. Sie ließ sich für die jetzige Gelegenheit adaptiren. Der Enthusiasmus, mit dem darin die Beliebtheit, die Tugend und das Eheglück des Professors besungen wurden, sollte nun den silbernen Hochzeitern zu Ehren noch einmal verwerthet werden. Man brauchte nur jedes »deine« in ein »eure,« jedes »du warst« in ein »ihr seid« zu verwandeln, den Kindersegen bedeutend zu vermindern und das ganze Opus aus der wehmüthigen Moll- in eine freudige Cis-Durtonart zu transponiren. Bertram wollte eben an die Arbeit gehen, als ihm gemeldet wurde, die Pferde seien vorgeführt. Da nahm er seinen Hut und eilte so rasch hinab, als ob er gefürchtet hätte, daß sie wieder davon laufen könnten.

Der Freund trat mit ihm zugleich vors Haus. Er kam aus dem Garten, wo er seit einer Stunde schon Gebüsche ausgeschnitten und Gras geschoren hatte. Sein Diener brachte eine Reitpeitsche, an der längst der Smiß fehlte, ein paar große, uralte Handschuhe und Gamaschen, die aus der Haut eines vorsintfluthlichen Thieres gemacht schienen. An den Füßen trug der Baron ein paar starke, sehr abgenützte Schuhe, sein breiter Oberkörper war in einen kurzen, grünen Rock eingepreßt, und auf dem Kopfe saß ihm ein braunes, zerquetschtes Hütlein mit schmaler Krempe, unter dem rückwärts die Glatze hervorguckte.

 

Im Nu war er im Sattel; für Bertram hatte das Aufsteigen einige Schwierigkeit, und als die glücklich besiegt war und sein Pferd sich, ohne eine Aufforderung dazu abzuwarten, in Trab setzte, befiel ihn ein Schwindel, er wurde blaß und machte die kläglichste Figur.

»Was, Teufel, was hast?« fragte Hugo. »Sitz’ grad’, halt’ dich nicht am Zügel. Courage! Das Pferd ist ja gar kein Pferd, ist ja eine Kuh!«

Bertram hatte aber vier Jahre lang nicht einmal auf einer Kuh gesessen. Ihn beseelten zwei heiße Wünsche: bald ankommen, und nicht vom Pferde fallen. Die Freunde ritten im gemüthlichen Zotteltrab quer über die Wiese. Rechts von ihnen lag schmuck und wohlgepflegt ein Musterwäldchen, links stieg der Boden sachte auf, und die kleinen Anhöhen, hinter denen die Lepiden blauten, waren von den schneeweiß getünchten Stationen eines Kalvarienberges gekrönt. Vor den Reitern blinkte es manchmal wie Funken auf, am hellen Horizonte. Die vergoldeten Kreuze auf den Kirchen und Kirchthürmen der erzbischöflichen Stadt erglänzten im Morgensonnenschein. Jenseits des Wassers erhoben sie sich, des klaren Gebirgsstromes, der seine Umgebung verschönerte, befruchtete oder auch – verheerte.

Bis zum Meierhof, dem der Freiherr und Bertram entgegenritten, war er aber noch nie gedrungen. In respektvoller Entfernung von ihm aufgebaut, genoß die stattliche Besitzung die Segnungen seiner Nachbarschaft, ohne von ihren Gefahren bedroht zu werden.

Der Weg wurde schmaler, er führte jetzt durch eine Allee von Obstbäumen. Hugo sah sich nach allen Seiten um, sah auch alles, kümmerte sich um alles, nur nicht um sein Pferd. Mit dem war er wie verwachsen, der reine Centaur, der dicke, alte Herr. Er ritt, wie ein anderer zu Fuß geht, lief mit vier Beinen statt mit zweien, das war der Unterschied.

»Schau,« sagte er und deutete auf einen frischen, tiefen Hieb, der einem jungen Apfelbaume offenbar mit der Axt beigebracht worden war. »Und schau, da und da!« Eine ganze Reihe von Bäumen war so bis aufs Mark zerhauen.

»Dumme Verwüstung,« rief Bertram, »wer thut das? Und warum geschieht’s?«

»Sagen wir aus Übermuth,« erwiderte Hugo achselzuckend, und der Freund bewunderte seine Gelassenheit, sein geistiges, moralisches, und in diesem Augenblick ganz besonders, und mit entschiedenem Neide, sein physisches Gleichgewicht.

In der Nähe des Meierhofes befand sich eine kleine Ansiedlung. Eine Gruppe von zehn Häusern. Jedes Haus hatte ein Gärtchen, und in jedem Gärtchen standen Bäume, und alles war nett und sauber gehalten und machte den Eindruck einer gewissen Wohlhabenheit.

Der Baron stellte sich auf in den Bügeln, richtete die Spitze seiner Reitgerte auf ein graues Schieferdach, das zwischen dem Meierhofe und dem letzten der kleinen Häuser sichtbar wurde, und sprach: »Da guckt’s schon heraus, dein Palais.«

Bertram riß den Hut vom Kopfe, schwenkte ihn in der Luft und jauchzte: »Hoch Palais Vogelweid! Nein, nicht Palais, nicht Vogelweid, Haus. Vogelhaus!«

»Gieb acht!« schrie Hugo. Hinter ihnen kam ein Reiter im Galopp einhergesaust. Es war Hagen, der sie einholte, und vorüberjagte, ohne Notiz von ihnen und dem Schrecken ihrer Pferde zu nehmen. Der Braune des Freiherrn machte eine Lançade, die den Reiter aber kaum im Sattel hob. Mit einer Mischung von Ärger und Stolz blickte er dem Sohne nach:

»Da reitet er wieder die Fohlenstute, was ihm streng verboten ist. Ich hab’s in meiner Jugend auch weit gebracht im Ungehorsam, aber so weit wie der lange nicht. Und wie er oben sitzt, wie ein Schneider!« Bei diesen Worten wendete er sich nach dem Freunde um, vermißte ihn aber auf seinem früheren Platze. Der Sattel der Kuh war leer, sie begann eben gemüthlich zu grasen, und jenseits von ihr auf der weichen Wiese, die beiden flachen Hände auf den Boden gestemmt, saß Bertram und schien äußerst erstaunt.

Weißenberg hielt sein Pferd an und sagte: »O jeh!«

»Ja wohl,« erwiderte Bertram. »Wie Hagen so vorbeigewettert ist, da muß sie erschrocken sein, die Kuh, und da hat sie sich geschüttelt.«

»Und da hat sie dich hinuntergeschüttelt. Macht nichts, steig’ nur wieder auf.«

»Um keinen Preis. Zu Fuß will ich mein zukünftiges Daheim betreten, ehrerbietig wie Washington auf der Rückkehr von seinen Siegen sein Mutterhaus betreten hat.« Er hing die Zügel seines Rosses über den Arm und ging wohlgemuth neben Weißenberg, der sein Pferd in Schritt gesetzt hatte, einher. »Das Glück trägt mich, was soll ich mich von einem Pferde tragen lassen!«

Der kleine Besitz, den der Freiherr für Bertram gekauft hatte, bestand aus sechzig Hektaren fast durchwegs besten Bodens und zwar aus vier Hektaren Wald, zehn Wiesen, vier Weideland, der Rest Felder. Das Haus, von Grund auf neu gebaut, hatte fünf Fenster Front im ersten Geschoß, und vier im erhöhten Halbstock, je zwei neben dem Hausthor. Das war aus massivem Eichenholz, fest und kunstvoll gefügt und mit einem so gediegenen Schlosse und Klopfer und so schön gezeichneten Beschlägen aus blankem Schmiedeeisen versehen, daß sein Anblick ein Genuß gewesen wäre, auch wenn es nicht den Eingang zum Vogelhaus gebildet hätte. Steinerne Stufen führten zu ihm hinauf, die kanellirten Säulchen, die den Abschluß des Geländers bildeten, trugen Blumenvasen aus Thon, in denen großblätteriger Epheu wuchs und gedieh. Das Haus stand dicht vor dem Wäldchen und mitten in dem kleinen Garten, in dem schon allerlei Nutzpflanzen grünten, aber auch Blumen blühten und dufteten. Hinter dem Drahtgitter, das den Garten umfriedete, hoben junge Fichtenbäumchen die frischen, hellgrünen Köpfe aus der Erde und waren bestimmt, in einigen Jahren einen üppigen lebenden Zaun zu bilden.

Je mehr die Freunde sich dem Vogelhause näherten, desto stiller war Bertram geworden. Am Gitterpförtchen trat ihnen ein ältlicher, hagerer Mann in abgetragener Kleidung entgegen. Sein echt slavisches Gesicht hatte einen ernsten Ausdruck, seine breiten Hände schienen eben eine Tüncherarbeit verrichtet zu haben, denn sie waren inwendig ganz weiß.

Der Freiherr stellte ihn vor: »Joseph Waniek, ein Prachtmensch. Man darf das vor ihm sagen, es ist keine Schmeichelei, er weiß, was er werth ist. Er wird deine Wirthschaft führen, solange du willst: er ist alles: Ökonom, Gärtner, Maurer, Schlosser, Zimmermann.«

»Ich werde zu Ihnen in die Schule gehen, Herr Waniek,« sagte Bertram und reichte ihm die Hand.

Waniek verbeugte sich höflich deprecirend, ergriff die Zügel der Pferde und führte sie fort:

»Wohin? wohin geht er mit ihnen?«

»Nun – in den Stall.«

Der neue Grundbesitzer brach in Entzücken aus: »Ich hab’ einen Stall.« schrie er. »Wo?« Er wollte davonstürzen, besann sich aber, wandte sich und stürzte dem Freund an die Brust: »Wie soll ich dir danken?«

Der Baron wurde auf einmal kalt und ablehnend:

»Keinen Unsinn. Wofür? Daß ich dein Geld zweckmäßig (so hoff’ ich wenigstens) verwendet habe? Es hat mir Spaß gemacht. Du aber besinn’ dich, was du einst für mich gethan hast. Auf deinen Schultern durch die Schulen getragen hast du mich, du, der viel Jüngere, mich, den ewigen Repetenten. Himmel, Himmel, waren das Zeiten! Mein guter, alter Vater, der selbst nichts gelernt hatte und das Lernen deshalb für eine so leichte Sache hielt. ‘Ich kränk’ mich zu Tod’, wenn du nicht lernst.’ Und ich, der ihn liebte, es ihm beweisen wollte und nicht konnte mit meinem Dickschädel, der so empfänglich war für Gelehrsamkeit, wie eine Rübe für Magnetismus.«

»Thu’ dir nicht Unrecht, Hugo,« versetzte Bertram und brach plötzlich in Schluchzen aus. Bei dem Anblick kamen auch dem Baron die Thränen in die Augen, er zog sein Taschentuch hervor und schneuzte sich kräftig: »So, fertig,« sprach er. »Jetzt wollen wir deinen Grundbesitz in Augenschein nehmen.« Sie traten ins Haus, durchwanderten seine wohnlichen, aber noch spärlich eingerichteten Räume, begaben sich dann in den Stall, in dem vier stattliche Kühe und zwei tüchtige Gäule standen. In einem kleineren Stalle waren einige Schafe untergebracht, und im Schweinekoben hörte man’s vergnüglich grunzen.