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Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid

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»Borstenvieh hab’ ich auch!« jubelte Bertram. Dem Freiherrn wurde bange um ihn. Während er sein Grundeigenthum beschritt, wechselten seine Stimmungen mit unheimlicher Schnelligkeit. Aus überwallender Freude verfiel er in tiefste Muthlosigkeit und rief händeringend:

»Ich bin Moses! Ich sehe das Land der Verheißung, aber in Besitz nehmen werde ich es nicht, erleb’s nicht. Ein solches Glück erlebt man nicht. Des Lebens ungemischte Freude …«

»Nur vor der keine Angst,« unterbrach ihn Hugo. »Die Mischung findet sich. Für die Sorgen des Landwirths ist gesorgt.«

Sie kamen zu einem Weizenfelde, wo eben geschnitten wurde; sechs Schnitter waren dabei beschäftigt, das heißt, zwei mähten, zwei schliffen ihre Sensen und schnupften dazwischen mit großer Umständlichkeit, zwei tranken Branntwein.

»Schau dir den Weizen gut an,« sagte der Freiherr. »Für den rechne ich auf den ersten Preis bei der landwirtschaftlichen Ausstellung.«

Er nahm eine Hand voll Ähren, zerrieb sie in den Händen, blies die Spreu hinweg, und hielt Bertram die schweren, goldgelben Körnlein hin: »Das ist eine Pracht.«

»Wenn ich nur davon etwas verstände! Ich verstehe aber nichts, ich sehe auch nichts, mit mir dreht sich alles im Kreise. Ich kann nicht mit dir fort, kann mich von Vogelhaus noch nicht trennen. Gehe du deinen Geschäften nach und laß mich da. Ich will arbeiten, mich physisch ermüden, meinen Grund und Boden mit meinem Schweiße düngen. Sage diesen guten Leuten, einer von ihnen möge mir seine Sense überlassen. Sage ihnen, daß ich Mühe und Plage und auch ihr Mittagessen mit ihnen theilen werde, gegen Bezahlung natürlich.«

»Da kriegst du in Branntwein aufgeweichtes Brot und Hutzeln mit Gries gekocht. Und was die Bezahlung betrifft – bei Sacher ist’s billiger. Aber wie du willst.«

Er trat an die Schnitter heran und theilte ihnen, selbstverständlich in slavischer Sprache, mit, daß Herr Vogel, ihr Arbeitgeber, beabsichtige, beim Mähen mitzuhelfen. Einige lachten, die anderen trugen eine hochmüthige Theilnahmslosigkeit zur Schau. Ein einziger, ein alter, großer, schöner Mann nahm den Hut ab, und begrüßte Bertram mit einem deutschen: »Küß’ die Hand.«

»Ihr zwei könnt euch zur Noth verständigen,« sprach Weißenberg, ermahnte den Freund, ja nicht zu spät zum Souper zu kommen, und verabschiedete sich.

Bertram hatte den Rock abgelegt, die Sense ergriffen und war bald in voller Thätigkeit. Er wollte den Leuten, die ihre Arbeit mit erstaunlicher Schläfrigkeit verrichteten, zeigen, wie ganz anders ein gebildeter Mensch die Sache angreift. Aber nur zu bald mußte er in seinem Eifer nachlassen und sah ein, in dem Tempo, das er angeschlagen hatte, könne es nicht lange weitergehen.

Seine Sense war stumpf geworden, er ersuchte in der Zeichensprache seinen Nebenmann um den Schleifstein, wetzte und wetzte, die Sense wollte nicht scharf werden. Schleifen konnte er nicht. Bisher hatten die Arbeiter ihn ganz unbeachtet gelassen, jetzt wurden sie alle auf einmal auf ihn aufmerksam und hatten ihre helle Freude an seiner Ungeschicklichkeit. Der Nachbar nahm Bertram endlich das Werkzeug aus der Hand, war mit dem Schärfen gleich fertig, streckte aber auch sofort die Rechte aus und sprach höflich: »Trinkgeld.« Dieses deutsche Wort schien ihm geläufig. Großes Gelächter erhob sich, Bertram stimmte ein und spendete dem Taglöhner für den geringen Dienst einen blanken Silbergulden. Der Beschenkte steckte ihn hastig in eine Tasche seines zerrissenen Rockes und zog aus der andern ein Fläschchen hervor. Es war in ein schmutziges Tuch gewickelt und mit einer trüben, dicklichen Flüssigkeit gefüllt. Der Arbeiter entkorkte es und hielt es Bertram hin. Dem graute, aber um keinen Preis hätte er das kameradschaftliche Anerbieten zurückgewiesen. Er dachte an Neshdanow in Turgeniews Neuland und wollte stärker sein als der russische Held. Heroisch setzte er die Flasche an und that einen kräftigen Schluck. Es war gräßlich. Der Hals brannte, ein fast unüberwindlicher Ekel ergriff ihn. Er machte sich rasch wieder an die Arbeit und kehrte den Leuten den Rücken zu. Sie sollten sein Gesicht nicht sehen, oder vielmehr die Gesichter, die er unwillkürlich schnitt. Aber bald drohte die Müdigkeit ihn zu überwältigen, seine Arme schmerzten, in kleinen Bächen floß der Schweiß ihm über den Leib, und jetzt mußte er wieder an Tolstois Ljoisin denken und ärgerte sich, daß er sogar beim Taglöhnern nicht herauskam aus der Litteratur. Nur noch ehrenhalber führte er die Sense und nahm sich vor, das nächste Mal die Arbeit mit geringerem Feuereifer zu beginnen, um länger bei ihr aushalten zu können. Gemächlich muß arbeiten, wer den ganzen Tag arbeiten soll. Bertram war zufrieden, als der alte Schnitter auf ihn zuschritt, und ihm lächelnd seine Sense aus der Hand nahm. Nun sah er zu, und es war ein völlig grandioser Anblick, wie der Greis im gleichmäßigen, weitausholenden Schwung, einen großen Halbkreis mit seinem Werkzeug beschrieb und jedesmal einen Arm voll Halme vom Boden wegrasirte, daß sie hinsanken, so bereitwillig, als ob es ihnen ein wahres Vergnügen wäre. Ihre goldenen, bärtigen Köpfchen, die eben noch zum strahlenden Blau des Himmels hinausgeschaut hatten, ruhten jetzt wohlig und sanft an der Brust der alten Mutter Erde.

XI

Plötzlich hielt der Alte in seiner Arbeit inne, streckte den Hals und rief: »Ferd! Ferd!« Die Fohlenstute raste einher – ledig. Die Steigbügel peitschten ihre Flanken, die zerrissenen Zügel ihren Kopf. Wild gemacht durch die überflüssigen Hülfen, tollte sie wie rasend querfeldein ihrem Wohnorte zu. In weiter Entfernung von ihr folgte ihr Exreiter; übel zugerichtet, wie sich immer deutlicher zeigte, je näher er kam. Bertram lief ihm entgegen, und ein förmliches Ringen entspann sich zwischen ihnen. Bertram wollte ihn zwingen, dazubleiben, der Junge wollte durchaus weiter rennen. Das Blut floß ihm aus der Nase in den Mund, er spuckte wie eine böse Katze, nieste, machte alle möglichen Anstrengungen, um zu sprechen, und konnte nicht. Mit Gewalt führte ihn Bertram ins Haus und zwang ihn, sich pflegen zu lassen. Im Zimmer neben der Küche stand eine mit Stroh gefüllte Bettlade, Waniek breitete einen Kotzen darüber, den er aus dem Stalle gebracht hatte, und trug, ohne einen Befehl abzuwarten und ohne ein Wort zu verlieren, einen Krug mit frischem Wasser gefüllt herbei. Der Verwundete mußte sich auf dem Lager ausstrecken. Sein und Vogels Taschentuch wurden einstweilen abwechselnd zu Umschlägen verwendet. Der alte Arbeiter kam mit dem Rocke, den der fleißige Stadtherr auf dem Felde liegen gelassen hatte, und wurde beauftragt, ins Schloß zu gehen, um Wäsche zu holen und der Baronin eine Karte, auf die Bertram eilends einige Worte schrieb, zu überbringen.

»Wozu? wozu das? Was schreibst du ihr?« rief der Patient und wollte aufspringen. Wieder suchte Vogel ihn zu beschwichtigen. »Wenn deine Mutter erfährt, daß dein Pferd ohne Reiter nach Hause gekommen ist, erschrickt sie tödtlich. Ich habe sie über dein Befinden beruhigt. Wär’ ich’s nur selbst. Dein Auge sieht entsetzlich aus und muß dir infam weh thun.«

»Mir thut nichts weh, nichts,« polterte Hagen, »und wenn du sagst, daß ich vom Pferde gestürzt bin, bist du mein Feind. Ich bin nicht gestürzt, ich bin abgestiegen, habe das Vieh an einen Baum gebunden, da hat sich’s losgerissen.«

»Und dein geschwollenes, zerschlagenes Gesicht, und dein Auge, Hagen. Dein Auge sieht aus wie ein einziger, großer Blutstropfen. Wie kommst du dazu?«

»Eine Fliege hat mich gestochen.«

»Junge! Junge, du bist verdreht. Zugeben, ich habe mich auf ein Pferd gesetzt, das ich nicht reiten kann – welche Schande! Aber lügen wie ein Schulbub, der sich ausreden will, das geht dir nicht an die Ehre.«

Der Kranke kehrte ihm den Rücken zu und blieb eine Weile regungslos. Bertram beugte sich über ihn und sah ihn voll Besorgniß an. Da öffnete Hagen das gesunde Auge und sprach langsam:

»Ich habe stürzen wollen. Ich habe sterben wollen. Es ist mißlungen.«

Zuerst glaubte Bertram, das sei Geflunker. Aber nein. Aus der Miene des Jünglings, aus seiner plötzlichen, ungewohnten Ruhe sprach wahrhaftige Verzweiflung.

»Um Gotteswillen, du phantasierst. Ich hoffe, du phantasierst!« Er griff hastig nach Hagens Puls.

»Ich phantasiere nicht; ich bin ganz kalt.«

Deine neueste Pose, dachte Bertram. Er schwankte zwischen Entrüstung und Schrecken: »Du hast dich tödten wollen. Herrgott im Himmel! Und deine Eltern – hast du nicht an deine Eltern gedacht?«

»Nein, nur an sie, an der ich mich rächen will, der ich einen Stachel ins Herz bohren will… Sie hat mich verschmäht – wenn du wüßtest, wie? Ich biete ihr meine Liebe und sie demüthigt mich – mich, den Sohn ihrer Wohlthäter … beleidigt mich, ich kann es nie sagen, wie sie gewagt hat mich zu beleidigen. – O, Nietzsche, du hast Recht, du allein – die Peitsche für die stumpfsinnigen, imbecilen Weiber!«

Er wand sich, er biß in den Rock, den Bertram als Decke über ihn gebreitet hatte.

»Erstens bitte ich dich,« sagte der, »laß meinen Rock in Ruh. Er ist neu und kostet ein Heiden-, ein sauer verdientes Geld. Zweitens: von wem sprichst du? doch nicht von Fräulein Gertrud? Oder ja? – Ja so! Du willst deine Cousine heirathen?« Seine Mundwinkel umspielte etwas, das Hagen zu dem Ausruf berechtigte:

»Darüber lachst du selbst. Ans Heirathen werd’ ich denken, wenn ich einmal fünfzig bin. Meine Liebe habe ich ihr angetragen, meine Leidenschaft, mich habe ich ihr angetragen, mich! und mich verschmäht die Närrin, die prüde, eingetrocknete, versauerte alte Jungfer, die mir die Hände küssen sollte …«

»Warum nicht gar. Schweige! Du bist beunruhigend. Ich weiß wirklich nicht, was bei mir überwiegt, das Mitleid mit dir oder die Empörung über dich. Schweig!« wetterte er ihn an. »Ich befehle es dir. Du kommst um dein Auge,« fuhr er sanfter fort. »Du mußt ja fühlen, wie’s um dein Auge steht. Leg’ dich hinüber, sprich nicht, denk’ auch nicht, verlaß dich drauf, was du jetzt sprichst und denkst ist Unsinn. Ich bin hier Herr, bin gesund, und du bist mein Gast und bist krank. Kranke müssen gehorchen.« Er beugte sich wieder über ihn: »Hagen, mein Junge, ich beschwöre dich, sei ein standhafter Mann, der einen Puff aushält, ohne gleich an feige Flucht aus dem Leben zu denken.«

 

O Wunder, der Unbändige gehorchte, legte sich hin und blieb ganz still. – Das Wasser im Kruge war warm geworden, Bertram ging zum Brunnen, frisches zu holen. Es freute ihn, das selbst zu besorgen, und er hatte dabei einen Anfall von Aberglauben. Daß er das erste Wasser aus seinem eigenen Brunnen zur Linderung fremder Leiden schöpfte – hatte gewiß etwas zu bedeuten, etwas Gutes, Schönes. Zur Linderung fremder Leiden? Nicht fremder, kein Mensch war ihm fremd, am wenigsten der vertrackte Junge, das verirrte Schaf, das er auf den rechten Weg führen wird.

Als er ins Zimmer zurückkam, war’s darin mäuschenstill. Er erneuerte den Umschlag auf dem Auge des Patienten und setzte sich auf einen Schemel neben das Bett. Daheim! Über seinem Kopfe wölbt sich sein eigenes Dach, und jede Schiefertafel, die darauf liegt, hat er sich selbst verdient. Wie herrlich dieses Bewußtsein, wie wonnig die Ruhe in der kühlen Stube. Vor zwei Tagen erst hatte er sich krank und elend gefühlt und heute – eben erst sprach er zu seinem Gaste: Ich bin gesund. Ein Glücksgefühl ergriff ihn, und er murmelte: »Dank, Dank!« Ach, ihm war wohl! Draußen brütete die Hitze des Sommertages millionenfaches Leben aus. Allerweckerin! Allernährerin! himmlische Sonne! du hast auch Bertrams Getreide zur Reife gebracht, und bleichst jetzt in den goldenen Hülsen das silberweiße Mehl. Man riecht’s, es duftet so nahrhaft. Man hört die Arbeiter auf dem Felde sprechen, man hört auch Vögel zwitschern, und jeder Schall schlägt gleichsam wie gereinigt durch die ätherklare Luft, als Wohllaut ans Ohr.

»Du!« sprach der Patient auf einmal mit unheimlich heiserer und gequälter Stimme.

»Was denn, mein Junge?«

Die Antwort ließ auf sich warten, wurde aber doch mühsam hervorgepreßt.

»Hast sie gelesen?«

»Was gelesen?«

»Zum Teufel, die Novelle.«

»Ach ja – die deine. Noch nicht.«

»Nicht?« knirschend kam es heraus dieses: Nicht. »So schick’ sie zurück, zum Teufel, wenn du sie nicht lesen willst. Schick’ sie zurück, augenblicklich.«

»Ich laufe schon,« erwiderte Bertram ärgerlich, »ich warte nur noch den Besuch deiner Mutter ab.« Er trat ans Fenster und sah hinaus. »Da kommt sie gefahren mit deiner Schwester und dem Doktor.«

»So? Natürlich, der muß dabei sein; der Flohbißchirurg, die Wanze, der Zeck!«

Die Baronin hielt sich beim Anblick ihres verwundeten Sohnes tapferer, als Bertram es ihr zugetraut hätte. Sieglinde schwamm in Thränen. Der Doktor, ein ältliches, pfiffig dreinschauendes Männlein, war bald fertig mit der Untersuchung des Patienten.

»Ihnen fehlt nichts,« sagte er ironisch. »Stehen Sie auf. Sie können nach Hause reiten, wenn Sie’s freut. Schmerzen werden Sie ja nicht haben.«

»Ich will nach Hause fahren,« sagte Hagen.

»Thun Sie das,« erwiderte der Doktor. »Weil wir aber ganz überflüssigerweise einen Kübel mit Eis mitgebracht haben, werde ich Ihnen einen Umschlag machen und Sie verbinden.«

Das geschah. Hagen stand sofort auf, wankte, nahm ziemlich gutwillig den Arm seiner Mutter und verließ das Zimmer, ohne ein Wort des Grußes an Bertram zu richten.

»Sind Sie besorgt?« fragte dieser den Arzt.

»Es wird hoffentlich alles gut, aber leiden muß er wie ein Hund.«

Bertram blickte der, auf Befehl des Doktors langsam fahrenden, Equipage nach und dachte: Ein Gezücht, dieser Hagen, und kann doch ein tüchtiger Mensch werden. Hundemäßige Schmerzen heldenmäßig ertragen, das ist etwas. Er blieb bis gegen Abend in Vogelhaus; aß wirklich Hutzeln mit Gries, kam vor, während und nach der Mahlzeit wirklich so oft in Gelegenheit, Trinkgelder bezahlen zu müssen, daß er endlich mit leerem Portemonnaie sein Rößlein bestieg und in einem Schritt, der sich immer mehr verschärfte, je näher »die Kuh« dem Stalle kam, heimritt nach Obositz.

XII

Beim Souper auf der Veranda war’s schön und gemüthlich, trotz einiger kleiner Zwischenfälle, die das gute Einvernehmen vorübergehend störten.

Der Baron kam wehmüthig ergriffen von einem Besuche bei seinem Sohne zurück, verrieth aber seine Gemüthsbewegung nicht. Er setzte sich mit Nachdruck nieder, steckte die Hände in die Hosentaschen und sprach mit rauher Stimme: »Recht ist ihm gescheh’n! ganz recht.«

Seine Gattin entsetzte sich: »O, wie grausam du bist!« und er erwiderte kurz:

»So ist es und nicht anders.« Er war stolz auf die Brutusgefühle, die er an den Tag gelegt hatte, und wenn er einmal in der Toga steckte, kam er nicht so bald wieder heraus.

»Der Meisenmann ist bei ihm geblieben,« fuhr er fort. »Guter Kerl der Meisenmann.«

»So?« fragte Bertram – »der Fanatiker?«

»Weich wie Watte. Willst du ihn weinen sehen?«

»Trage gar kein Verlangen danach.«

»Nun, ich meine nur. Wenn du vielleicht wolltest, dann sprich ihm nur von seinem alten Vater. – Ein sehr guter Mensch, der Meisenmann!« (diese letzten Worte richtete der Baron direkt an Gertrud). »Und was seinen Fanatismus betrifft – Naturerscheinung. Das kommt so über die Menschen, wie die Nonne über die Bäume und die Reblaus über die Weinstöcke. Der Weinstock ahnt auch nicht, daß die Reblaus ihn hat und aufspeist, er glaubt, er hat die Reblaus und soll sie verbreiten zum Wohl des Weinbergs. Und deshalb,« schloß Weißenberg mit scharfer Logik und warf einen nicht minder scharfen Blick auf seine Nichte, ist Meisenmann »ein grundguter Mensch, der auch eine gesicherte Zukunft hat und jede Frau glücklich machen würde. Und du,« wandte er sich an seine Tochter, die sofort vor Bestürzung in Atemnoth gerieth. »Was treibst du? ich muß mich wundern. Bin grad’ auf dem Gang deiner Dobka begegnet. Sie hat etwas Versiegeltes aufs Zimmer unseres Freundes getragen. Was war das? Sie wollte ich nicht fragen, um dich nicht vielleicht zu beschämen vor deinem Stubenmädchen; ich frage dich selbst. Hast du sie und was hast du geschickt?«

Sieglinde rang die Hände unterm Tisch, sie litt Qualen, und die treue Mutter litt mit ihr, und Gertrud sah die beiden theilnehmend und dann Bertram an, und ihm schien, als spräche sich in ihrem Blick die Bitte aus: Kommen Sie ihnen zu Hülfe.

Da konnte er nicht widerstehen und sagte mit bittersüßem Lächeln: »Die Baronesse sammelt ohne Zweifel Autographen und hat mir ihr Album geschickt.«

»Ja – ich werde auch – aber« … Sie kam nicht weiter, Thränen erstickten ihre Stimme. Sie stand auf und warf sich weinend in die Arme ihrer Mutter, die ebenfalls aufgestanden und ihr entgegengegangen war. Leise und unverständlich flüsterten sie miteinander. Weißenberg führte seine große Theetasse an den Mund und setzte sie erst wieder ab, als die Baronin und Sieglinde auf ihre Plätze zurückgekehrt waren.

»Lieber Vogelweid,« nahm die Hausfrau das Wort, »meine Tochter wird Ihnen selbstverständlich ihr Album schicken, verzeihen Sie, daß es noch nicht geschah.«

»Verzeihen?«

Gertrud erhob den Kopf. Bertram hatte diese Frage mit so bösartiger Ironie gestellt, daß einem bange werden konnte vor ihm. Die Baronin schwebte wieder ein paar Meter hoch über den Parketten und merkte nichts.

»Sie sollten vorher wissen, lieber Freund,« fuhr sie fort, »daß es eine kleine Kollegin ist, die um einige Zeilen von ihrer berühmten Hand bitten kommt. Sieglindchen dichtet.«

»Ob ich mir nicht so was gedacht hab’,« rief Weißenberg verdrießlich aus. »Sie spielt ja schon seit einiger Zeit alle Farben, wenn jemand sagt: ‘Poet’ oder: ‘lyrisches Gedicht’.«

»Bisher,« setzte die Baronin hinzu, »haben nur die Augen der Mutter auf den jungen Geistes- und Gemüthsblüthen des Kindes geruht.«

»So? die eigenen hat das Kind dabei zugemacht, es wird ihr im Schlaf gekommen sein,« brummte Hugo, sagte sich aber im stillen: sie spricht gut, meine Frau.

»Sieglindchen ist so bescheiden, so ängstlich. ‘O Mutter, wenn ich nur Talent habe’, klagt sie oft gar rührend. ‘Ich weiß nicht, ob ich weiter dichten soll’. Nach schweren Kämpfen hat sie sich entschlossen, Ihnen die Entscheidung zu überlassen. Lesen Sie, prüfen Sie ernst und gewissenhaft, rathen Sie, soll sie weiter dichten oder nicht?«

»Wenn sie nicht ein Riesentalent hat, nein!« erklärte Weißenberg. »Dichten ist heutzutage Männersache. Wund’re dich nicht, daß ich das weiß,« rief er Bertram triumphirend zu. »Kein Geringerer als du hat es mich gelehrt. Die Bücher, die du lobst in deinen ‘Überblicken’, darf eine anständige Frau nicht lesen.« Er nahm keine Notiz von dem lauten Widerspruch aller: »Nicht lesen! Die Litteratur ist in einer großartigen Reform – der Rückkehr zur Männlichkeit aus weibischer Versumpfung, begriffen – sagt Vogelweid. Und ich sag’: Bravo! Jetzt ist die Männerlitteratur dran. Will meine Tochter mitthun? will sie Bücher schreiben, die ihre Mutter nicht lesen darf?« fuhr er Sieglinde an.

Die und die Baronin blieben stumm vor Verwirrung über diesen heftigen Ausfall, nur Gertrud entgegnete:

»Aber, lieber Onkel!«

Bertram horchte hoch auf, verneigte sich gegen sie und sprach: »O, wie recht haben Sie, mein verehrtes Fräulein!«

Da wurde sie gleich wieder verlegen: »Warum denn? ich habe ja nichts gesagt.«

»Doch! Sie haben gesagt: Aber, lieber Onkel! Ich wiederhole: Aber, lieber Hugo!«

»Kann nicht helfen, Mulier taceat in ecclesia! Daß nach diesem Worte gethan wird, das erhält die Kirche groß. Wären die Frauen auch in der Litteratur nicht zu Wort gekommen, wäre auch die Litteratur groß geblieben.«

»O lieber Freund, es ginge der Kirche schlecht, wenn sie auf die Frömmigkeit der Männer allein angewiesen wäre, und der Litteratur ging’s schlecht, wenn ihr die Frauen ihr Interesse entziehen würden.«

»Das sollen sie auch nicht. Nachbeten sollen sie, aber nicht vorbeten, nicht in ecclesia, nicht in litteris.«

»Einige Vorbeterinnen möchte ich doch nicht missen,« versetzte Bertram. Ihm schwoll die Galle, weil er nun doch in ein litterarisches Gespräch hineingerathen war, und als der Freund schlagfertig entgegnete:

»Ausnahmen betätigen die Regel,« sprach er gereizt:

»Stehende Redensart. Unsere Rede soll nicht stehen, sie soll wenigstens fließen, wenn sie nicht sprudeln kann.« Er zwirbelte an seinem Schnurrbart: »Sie schreiben also, Baronesse?«

»Ich schreibe nicht, ich dichte,« verbesserte sie weinerlich.

»Sie dichten und wollen gedruckt werden. ‘Hat er es einmal aufgeschrieben, will er, die ganze Welt soll’s lieben,’ sagt Goethe. Das ist ein Unglück, wissen Sie; eine unselige, weitverbreitete Krankheit. Die Vielschreiberei ist epidemisch geworden. Das Skelett im Hause ist heutzutage – das Manuskript. Es fehlt nirgends, nicht in den Schreibtischen der Erlauchten, nicht in der Lade des Krämers, nicht im Pult des Studenten und des Schulmädchens, nicht im Arbeitskorb der Näherin. Alles schreibt, jeder Mann, jede Frau, jedes Kind!«

»Das wußten wir in unserer unschuldigen Abgeschiedenheit freilich nicht. Sie setzen mich in schmerzliches Erstaunen, Vogelweid,« sagte die Baronin offenbar verletzt. Sieglinde glühte wie eine Feuerlilie, und Gertrud, fast so roth wie sie, senkte den Kopf und beschäftigte sich eifrig mit einer Häkelarbeit, die sie aus ihrer Tasche gezogen hatte.

Bertram stieß einen schweren Seufzer aus: »Naturerscheinung, alles Naturerscheinung. Du hast recht, Hugo. Das schreibt und schreibt und will berühmt werden. Es ist die Zeit, in der jedes Individuum sich selbst vergöttert, nach Vergötterung lechzt. Es ist aber auch die Zeit, in der der Socialismus in breiten Kolonnen anrückt, sein ungeheures Prokrustesbett hinstellt und den Genius und den Trottel, den rastlosen Arbeiter und den Faulenzer, den Asketen und den Lüstling, nebeneinander einpfercht als Genossen und als gleichwerthige Knechte der unumschränkten, unfehlbaren Tyrannin – der Gesellschaft. Dann wieder eine andere Strömung: Keine Gesellschaft! kein Staat! keine Gesetze. Jeder sein eigener Lykurg. Egoismus das einzige Menschenrecht, Nächstenliebe fluchwürdige Schwäche. Und wie viele andere Strömungen noch! Und jede in den Augen ihrer Vertreter der alleinig zur Überschwemmung der Welt berufene, die Zukunft befruchtende Nil! Mit täglich wachsender Furie platzen sie aufeinander – bäumen sich zu Gischtsäulen empor … Wartet nur, wartet, bis die rasenden Naturgewalten verheerend losbrechen. Die Stunde kommt. Wie es jetzt in der Welt aussieht, so hat es immer ausgesehen vor dem Untergange einer Civilisation!«

Während er diese Rede hielt, starrte er unverwandt vor sich hin in den Garten. Weil aber Sieglinde ihm gegenüber saß, schien sein Blick auf ihr zu ruhen. Der Ärmsten war, als ob sie mit glühenden Nägeln an die Pfeiler der Veranda genagelt würde.

 

Weißenberg hatte dem Freunde fortwährend seine Zustimmung zu erkennen gegeben, jetzt sagte er, wie einer, der seiner Sache zwar nicht sicher ist, den Kampf aber um keinen Preis aufgeben will, zu seiner Tochter:

»Siehst du, siehst du, das alles kommt von der Dichterei.«

»Oder die Dichterei von alledem, und sie ist krank und faul, wie wir selbst,« versetzte Bertram.

Gertrud erhob den Kopf und lachte: »Sie scheinen zur Übertreibung geneigt, Herr Vogel.«

Sie hatte ihn angesprochen. Endlich! Er verneigte sich so freudig, als ob sie ihm die größte Schmeichelei gesagt hätte: »Ja, ganz gewiß! Ich übertreibe, ich bin übertrieben, im Treibhaus wird man übertrieben.«

Er wurde auf einmal ungeheuer vergnügt, faßte himmelhohe Hoffnungen und entwarf traumhaft schöne Zukunftspläne. Sein hitziger Ausfall von vorhin erschien ihm jetzt wie ein Bombenattentat auf die armen Damen. Er wollte ihn vergessen machen, wollte unterhalten, liebenswürdig sein, gefallen mit einem Wort. Es gelang ihm, er hatte davon eine bestimmte Empfindung und wurde immer heiterer und sprühte Geistesfunken, denen eine so zündende Kraft innewohnte, daß selbst Sieglinde, die seit dem heißen Guß, der über sie ergangen war, mehr einer gebadeten Maus als einer begeisterten Dichterin und stolzen Baronesse gleich gesehen hatte, sich zu einigen Witzchen und Späßchen aufraffte, die belacht wurden. Ihre Eltern waren selig. Einen solchen Abend hatte man in Obositz nie erlebt.

Beim Gutenachtwünschen war Bertram noch voll Begeisterung. Er drückte beide Hände Weißenbergs, nannte ihn zum hundertsten Male seinen Wohlthäter und dankte ihm mit überströmendem Gefühl, er küßte die Hand der Baronin und die Sieglindens und hätte gar zu gern auch die Gertruds geküßt; er ging auf sie zu. Aber sie errieth seine Absicht und wich ihm aus, und so küßte er denn noch einmal die Hand der Baronin.

»Sie sind groß, Vogelweid,« sprach die edle Frau. »Nein, nein, depreziren Sie nicht, Sie sind groß … Morgen um neun Uhr unter den Platanen. Dort erwarte ich Sie, Vogelweid,« setzte sie rasch und mit leisem Flehen hinzu.