Tasuta

Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

XIII

Wenn das nicht ein Stelldichein war, dann hatte Bertram sein Lebtag keines gehabt. Was sie nur von ihm wollte, diese Frau? Wie sie ihm die Nerven angriff mit ihrem ewigen Gewisper: »Ich muß Sie sprechen, bleiben Sie bei mir.« In welch ein Wespennest war er gerathen! Blind hätte er sein müssen, um nicht zu sehen, daß die beiden jungen Damen, als er gegen die Vielschreiberei wetterte, Butter auf dem Kopfe gehabt hatten. So trug denn auch sie, der sein Herz zujauchzte, im Geheimen blaue Strümpfe … Auch sie, wie merkwürdig! An ihr kam die »Naturerscheinung« ihm nicht so widrig vor wie an anderen, er – konnte sich Gertrud mit der Feder in der Hand denken, ohne daß der alte Raubvogel sich in ihm regte. O wie liebte er sie schon! Liebte sie bis zum Verleugnen seines tiefst eingewurzelten Vorurtheils!

In seinem Zimmer angelangt, setzte er sich an den Tisch. Zur Arbeit, zur verpönten! Er riß die schneeweiße Umhüllung von dem Buche, das Sieglinde ihm geschickt hatte. Ein prachtvoller Einband kam zum Vorschein, vergoldete Beschläge, Monogramm, Freiherrnkrone.

Auf der ersten Seite begrüßte den Leser das in moderner Steilschrift hingemalte Motto. Wo mochte Sieglinde die Verse aufgestöbert haben? Sie kamen Bertram nicht ganz unbekannt vor:

 
Wenn einst durch ein centralisch Feuer
Dieser große Planet zerspringt,
Sitzt noch der Dichter mit der Leier
Auf dem letzten Stein und singt.
 

Mit ihm um die Wette sang die Dichterin von Obositz und besang ihren Gesang und schrieb gewissenhaft unter jedes ihrer Lieder, wann und wo es gesungen worden war. »Am Neujahrstage, in der Kaffeeküche,« »Am 10. März, im Gemüsegarten,« »Am 9. April, um sechs Uhr früh, im Bette;« und an allen diesen Orten hatte Sieglinde zur Harfe gesungen. Aber Bertram wollte während seines Erdenwallens von Harfen nichts mehr hören; er blätterte weiter in dem schönen Buche und stieß auf eine Leier (o je – eine alte Bekannte!), die gestimmt wurde. Auf Seite 7 zu einer hohen, himmlischen, auf Seite 8 zu einer ordinären, häuslichen Feier. Da hatte er genug. Ernstlich prüfen – diese Lyrik? Anker werfen in einem Lavoir! Warum nicht gar!

Er riß Hagens dickes und schmutziges Manuskript an sich. Die Schrift fuselig und liederlich; Form und Inhalt genau so, wie Bertram sie erwartet hatte. Mit Widerwillen las er eine Weile und fluchte dabei halblaut: »Hysterischer Schweinigl!«

Auf einmal fuhr er zusammen. An der Thür hatte es geklopft. Wer ist’s? Ein Todesschrecken lief ihm durch die Glieder. Wär’s denkbar? – Er hielt den Athem an, er hatte Lust, die Lampe auszulöschen. Es klopfte wieder, laut und kräftig.

»Ich schlafe schon,« schrie er außer sich.

»Spaßvogel,« antwortete eine wohlbekannte, o Wonne, o Glück! eine männliche Stimme. Er sprang auf, er öffnete die Thür vor dem Freunde.

»Warum sperrst du dich denn ein wie eine Komteß?« fragte der. »Hast du denn kein Vertrauen zu unserm Burgfrieden?« Er hatte eine geheimnißvoll sieghafte Miene und trug ein großes, viereckiges Paket unter dem Arme. Damit schlug er auf den Tisch, daß es einen Knall gab, wie von einer schnalzenden Kinderklatsche.

»Um Gottes willen,« sprach Bertram, »das ist Papier!«

»Ja,« sagte Hugo und setzte sich. »Ich bin nicht zu Ende mit den Überraschungen, die größte stand dir noch ins Haus, da ist sie. Noch einmal wurde das Paket mit beiden Händen ergriffen und damit auf den Tisch geschlagen, daß es noch lauter knallte:

»Ich habe ein Lustspiel geschrieben.«

»Du?«

»Ich und kein anderer! Dir zu Lieb’ und Ehr’. Du schreist ja beständig nach einem Männerstück, einem Lustspiel nur für uns Männer. Da ist eins. Da hast du’s. Zum Kuckuck, das wird dir stark genug sein.«

Bertram brachte kein Wort hervor. Er saß da mit weit aufgerissenen Augen und betrachtete den Freund, wie er den alten, bis zur Decke reichenden Schrank dort an der Wand, mit seinen armdicken, gewundenen Säulen betrachtet haben würde, wenn der sich plötzlich auf die Kanten seiner plumpen Füße gestellt und angefangen hätte, zu tanzen und zu pirouettiren.

»Du staunst,« rief Weißenberg. »Das hättest du mir nicht zugetraut. Nun – ich mir selbst nicht. Jetzt schau nur, daß sie mir’s auch aufführen am Burgtheater … Um den Erfolg ist mir nicht bange. Ich weiß nur nicht« – er fuhr mit der Hand etwas rathlos über seine Glatze, »ob ich mich entschließen werde, herauszukommen, wenn sie mich rufen.«

»Wir haben jedenfalls noch Zeit, darüber nachzudenken.«

»Die haben wir. Jetzt heißt’s vor allem andern: Schweigen, Schweigen wie das Grab. Du schwörst? – Gut. Begreifst ja, meine Frau, meine Kinder dürfen keine Ahnung haben, daß ich etwas so Starkes …« Er unterbrach sich und streichelte liebevoll sein Manuskript.

»‘Don Juan am Lande’ heißt’s.«

»Am Lande. So?«

»König Lear, Hamlet, Romeo und Julia auf dem Dorfe haben wir. Jetzt kommt ein Don Juan dazu. Das ist ein Kerl!« Weißenberg schmunzelte schon beim Vorlesen des Personenverzeichnisses und schüttelte sich vor Lachen, als sein Held im ersten Auftritt drei betrogene Ehemänner durchprügelte.

Bertram bemühte sich, wenigstens die Caricatur eines Lächelns hervorzubringen und sagte: »Was du für lustige Einfälle hast – es ist zum Weinen.« Und als der erste Aufzug schloß, ermannte er sich zu dem tiefsinnigen Ausspruch: »Das war also der erste Akt.«

Weißenberg hatte eine kleine Anwandlung von Verlegenheit: »Gieb acht, jetzt kommt der zweite.«

Vogel bog sich zurück im Fauteuil, hielt die Lehne fest und hob die Augen zur Decke, wie jemand, der entschlossen ist, eine Zahnoperation tapfer auszuhalten. Der »zweite« ging vorüber, und der Zuhörer wußte wieder nichts anderes zu sagen als:

»Das war also der zweite Akt.«

Hugo war etwas zaghaft geworden: »Nun, wie findest du’s?«

Der Kritiker kämpfte einen schweren Kampf. Sein feines, blasses Gesicht hatte einen schmerzlichen Ausdruck. Das nervöse Zucken, das seit der Abreise von Wien verschwunden war, stellte sich wieder ein.

»Wie findest du’s?« fragte Weißenberg abermals und Bertram ergriff beide Hände des Freundes, drückte sie unendlich liebevoll und sprach aus der Fülle der Überzeugung:

»Niederträchtig!«

Die großen Hände, die er mit den seinen vergeblich zu umklammern suchte, entzogen sich ihm. Das war alles. Von den Lippen des Freundes kam kein Laut. Nach einer Weile erst wagte Bertram ihn anzusehen und wandte die Augen sogleich wieder ab, der Anblick that ihm zu weh. Sein Recensentenamt mußte aber dennoch gewissenhaft ausgeübt werden.

»Dein Stück ist roh und unsittlich,« sprach er, »das Gegentheil von allem, was du selbst bist. Einen besseren Beweis dafür, daß du gar kein Talent hast, giebt es nicht. Unser Talent ist der Ausfluß unseres ureigensten Wesens, ist sein tiefster und höchster Ausdruck.«

»Talent? Lieber Gott,« murmelte Hugo eingeschüchtert. »Ich mache ja gar keinen Anspruch auf so was.«

»O, wenn du mir weniger lieb wärst, wenn ich dich weniger schätzte und verehrte, ich würde mich nicht verpflichtet fühlen, dir die Wahrheit zu sagen und damit dir und mir weh zu thun!«

Das war keine Phrase. Mit Schmerz sah der Delinquent, daß sein Richter mehr litt als er: »Weh thun, was dir einfällt!«

»Flunkere nicht. Es thut immer weh, wenn einem eine Hoffnung zerstört wird.«

»Lächerlich – einem Ökonomen. Dem werden ganz andere Hoffnungen zerstört, und er muß sich’s gefallen lassen.«

Bertram rückte ganz nahe zu ihm heran und sprach im Tone einer Mutter, die ihr Kind ermahnt, es zugleich aber zu trösten sucht über die Ermahnung: »Das Stück ist nicht einmal ganz von dir. Du hast – Ehrlichster der Ehrlichen – du hast gestohlen – was für ein gottverfluchtes Ding ist doch die Litteratur, wozu verleitet sie! Du hast für dein Lustspiel (es paßt hinein wie ein junger Tiger in eine Bocksfamilie), eine ganze Scene aus der Macht der Finsterniß von Tolstoi gestohlen.«

Hugos mächtige Adlernase erglühte viel tiefer, als die Wangen seiner Tochter je erglühen konnten: »Merkt man das?« fragte er beschämt.

»Leider, oder sagen wir – zum Glücke! Ich freue mich, daß sich diese Sachen nicht in dir gestaltet haben; das ist kein Vergnügen, so gräßliches zu …« Er hielt inne und blickte dem Freunde tief in die Augen: »Du nimmst mir meine Aufrichtigkeit gewiß nicht übel?«

»Im Gegentheil, ich bin dir dankbar,« erwiderte Weißenberg ohne eine Spur von Groll, aber recht bekümmert. Er stand auf und packte mit der mechanischen Sorgfalt eines ordnungsliebenden Mannes sein Manuskript wieder in den Umschlagbogen. – Dem ist jetzt, als ob er einen lieben Todten ins Bahrtuch hüllen würde, dachte Bertram und wurde schwach:

»Laß es da,« sagte er, »vielleicht macht sich’s gegen das Ende besser.«

»Nein, da gerad’ nicht. Das Ende geht mir nicht recht zusammen. Ich habe mich aufs Vorlesen verlassen und gemeint, dabei fällt mir noch allerlei ein. Statt dessen ist mir aber allerlei herausgefallen. Merkwürdige Sache das, mit dem Vorlesen. Die eigne Stimme schon übt Kritik. Na,« seufzte er voll Resignation, »ich hab’ mich halt blamiert. Versprich mir noch einmal: kein Wort davon gegen irgendwen. Es ist eine Dummheit, aber ich bitte dich – versprich mir’s.«

»Wie kannst du glauben?« rief Bertram mit zärtlichem Vorwurf.

»Versprich’s doch –«

»Ich versprech’s.«

»Du wirst nicht einmal dran denken, es vergessen.«

»O wie gern!«

»Dank’ dir. Gute Nacht.«

»Gute Nacht.«

Er ging, und Bertram wischte sich die Stirn, auf der die hellen Schweißtropfen perlten. Das war ein Stück Arbeit, das er da vollbracht, indem er dem Freund, dem Wohlthäter erbarmungslos seine Meinung gesagt hatte.

An der Thür hielt Weißenberg an, kehrte um und blieb zwei Schritte vor Bertram stehen: »Noch einmal ehrlich,« sprach er, »Mann gegen Mann, bin ich in deinen Augen gesunken?«

 

»Gesunken? Du? Nie höher gestanden, Mensch ohne Eitelkeit, guter, lieber Alter!«

XIV

Als Bertram am nächsten Morgen erwachte, schlug die Schloßuhr acht, und Simon trat zum zweitenmal ins Zimmer. Er war schon vor einer halben Stunde dagewesen und hatte den Herrn Doktor noch fest und süß schlafend gefunden. Hatte der Herr Doktor das »Schpektakel« gehört in der Nacht? das Horn des Feuerwächters, das Gerassel der Spritzen und Wasserwagen, das Geschrei der Leute? Mit der Überlegenheit eines Menschen, der etwas erlebt hat, während der andere ruhig im Bette lag, erzählte Simon, daß ein großes Feuer gewesen war. Der entlassene Ochsenknecht, der schlechte Kerl, hatte es gelegt. Ein Meierhof war abgebrannt, die Mutter des Schaffers und sein kleinstes Kind wären bei einem Haar mit verbrannt. Aber der Herr Baron hat sie mit eigener Lebensgefahr gerettet.

Bertram war aufgesprungen, hatte hastig einige Kleidungsstücke angethan und wollte auf und davon – zum Freunde, zum Feuer.

»Der Herr Baron sind aber wieder da und schlafen jetzt, und Feuer ist keins mehr,« sagte Simon innerlichst zufrieden mit dem Effekt, den er hervorgebracht hatte. Er redete Bertram zu, Toilette zu machen und zu frühstücken, und Bertram übergoß sich mit kaltem Wasser und rief:

»Mein Freund im Feuer, mein Freund in den Flammen, und ich lieg’ da und schnarche. O Simon, Simon! warum haben Sie mich nicht geweckt!«

Wecken? Jekerle, wo hätte Simon die Zeit dazu hergenommen? Er war ein paarmal in der Nacht zur Brandstätte gelaufen, der Frau Baronin Nachricht zu bringen, die bei ihrem Sohne wachte und in großer Angst gewesen ist um Hagen, weil er fieberte, und um den Herrn Baron, weil sie schon weiß, wie der ist, wenn’s brennt.

»Tummeln sich, bitte,« schloß er, »die gnädige Frau Baronin haben grad wieder nach Herrn Doktor gefragt und warten auf ihn im Garten.«

Das Stelldichein gab sie also nicht auf, die Unselige! Ein Verbrechen war begangen, es war Feuer gelegt worden. Ihr Sohn hatte Fieber gehabt, ihr Mann in Lebensgefahr geschwebt, ihres Stelldicheins vergaß sie über alledem nicht!

O Weiber! Weiber! – Mächtig ergriff ihn Schopenhauersche Indignation gegen das treubrüchige, breithüftige, leichthirnige Geschlecht.

Sie wünschen ein Rendezvous, Madame? Sie sollen es haben!

Mit schroff ablehnender Miene erschien er eine Viertelstunde später unter den Platanen. Baronin Weißenberg erwartete ihn. Sie trug ein Morgenkleid aus Battist mit Spitzen und Stickereien und hellgrauen Schleifen. Auf ihren etwas altmodisch, aber hübsch frisirten Haaren saß ein allerliebstes Häubchen. Ihre Gesichtsfarbe war wie gewöhnlich frisch und rosig, aber ihre Augen hatten etwas Verschleiertes, sie schien geweint zu haben.

Bertram begrüßte sie und fing sogleich an vom Feuer zu reden, in so barschem Tone, als ob sie es gelegt hätte. Die arme Frau war ganz eingeschüchtert, und ihr Mund verzog sich krampfhaft.

»Hugo hat keinen Schaden genommen, dem Himmel sei Dank. Er exponirt sich bei solchen Gelegenheiten immer entsetzlich. Alles Lebendige ist gerettet, und das Gebäude war versichert,« sagte sie und blickte hülflos und wie suchend umher. »Man kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein.«

»Da haben Sie wohl recht, assekurirt muß man sein, und ich leichtsinniger Thor habe noch nicht gefragt, ob diese so nothwendige Maßregel in Vogelhaus getroffen wurde,« rief Bertram. »Entschuldigen Sie, wenn ich keinen Augenblick länger zögere, mir Gewißheit darüber zu verschaffen.« Er stand auf.

»O Vogelweid, wie grausam Sie sind! Ja, ja, das ist Grausamkeit!« wiederholte die Baronin und lehnte sich völlig gebrochen an die Gartenbank: »Sie müssen doch ahnen – ein Mann wie Sie!.. Und statt mir mein schweres Geständniß zu erleichtern – ein Geständniß, das zu thun so beschämend« …

»Wie wär’s, wenn Sie sich’s ersparten?« fragte Bertram kalt und spöttisch.

»Gut wär’s, wenn ich’s könnte, aber ich kann nicht. Ich bin zu Ende mit meiner moralischen Kraft … In drei Nächten kein Auge geschlossen. Heute die dritte Nacht, die schrecklichste von allen. Mein Sohn im Fieber, mein Mann im Feuer, ich in Höllenqualen … O Vogelweid, ich rufe Ihre Hülfe an. Schwören Sie mir, daß Sie mein Vertrauen nicht mißbrauchen werden.«

»Wozu schwören, was sich von selbst versteht?« erwiderte er; aber sie gab nicht nach.

»Ihre Hand darauf!« und sie reichte ihm ihre Rechte hin, ihre schöngeformte weiße Rechte, die er drückte und bewundern mußte, obwohl ihm graute und er sich vorkam wie ein Zolascher Held.

»Zuerst, was mich zum Theil wenigstens, entschuldigt,« sagte Bertha hastig und beklommen. »Ich habe Phantasie –«

»Seit wann?«

»Ich werde sie wohl immer gehabt haben, ich bemerkte es nur nicht. Ich bin jetzt so allein. Hagen ist auf dem Gymnasium, Lindchen lernt oder dichtet, die Poesie ist eine einsame Kunst. Meinen Mann sehe ich oft wochenlang nur bei den Mahlzeiten. Das giebt dem besten ehelichen Verhältniß einen gewissen Anstrich, ich möchte ihn einen prosaischen Anstrich nennen. Ich habe doch auch poetische Bedürfnisse.«

»Seit wann?«

»Seitdem ich mehr lese –«

»Da haben wir wieder die verfluchte Litteratur!« murmelte Bertram.

»Und wenn man viel liest und wenn man viel allein ist und wenn man Phantasie hat, träumt man und bildet sich allmählich ein Ideal, ein Urbild alles Schönen, alles Vollkommenen. – Man giebt diesem Urbild einen Namen und versetzt ihn in bestimmte Verhältnisse – und sich an seine Seite – und – was dann vorgeht, malt man sich aus –«

»Aha!« Die Brauen Bertrams zogen sich dräuend zusammen, und er kreuzte die Arme über der Brust.

Die Baronin zitterte: »O wie unerbittlich Sie aussehen, Vogelweid. Mitleid! Mitleid! Ich habe es zu Papier gebracht. Erbarmen Sie sich, ich habe einen Roman geschrieben.«

»Einen Roman haben Sie geschrieben?« Er athmete, er jubelte auf. Ihm war zu Muthe wie dem treuen Heinrich, als die Eisenringe, die ihn umpanzert hatten, sprangen. »Erlauben Sie mir, Ihnen die Hand zu küssen,« bat er und that es stürmisch: »Sie Wunderbare! Nie hätte ich’s für möglich gehalten, daß ich in Entzücken gerathen könnte, weil eine Dame einen Roman geschrieben hat!«

Bertha lächelte wehmüthig und blieb beklommen. »Entweder überschätzen Sie meine Leistung, oder andere unterschätzen sie. (Als sie das sagte, dachte sie selbst: Ich spreche gut.) Mein Manuskript erfuhr manche Zurückweisung. Es gelangte zuerst an die Redaktion der ‘Neuen Freien Presse.’«

»Es gelangte – das heißt, daß Sie es hingeschickt haben.«

»Nun ja, mit einem sehr, sehr höflichen, ich darf sagen, einem demüthigen Brief.«

»Wehe!« sprach Bertram.

»Nach einiger Zeit kam meine Sendung zurück. Die Herren schrieben, daß sie für drei Jahre mit Romanen versorgt seien. Nun wandte ich mich an die ‘Alte Presse’, an die Tageblätter – dieselbe Antwort. Alle diese Zeitschriften haben Romanvorrath für drei Jahre. Ach! es wird doch viel geschrieben!«

»Das wäre nicht so schlimm,« versetzte Vogel, »schlimmer ist, daß das Geschriebene ein Gedrucktes werden will … O, Frau Baronin, sehen Sie, ich an Ihrer Stelle würde eine leuchtende Ausnahme machen; ich ließe nichts drucken – just nicht.«

»Wenn es noch in meiner Macht stände, Freund! Aber ich bin schändlich hintergangen worden. Just Carolus …«

Bertram schrie auf: »Just Carolus? Wie kommen Sie zu dem?«

»Er annoncirte vor einem halben Jahre die Gründung einer neuen Zeitschrift, lud zur Einsendung von Beiträgen und …«

»Und besonders zum Abonnement ein.«

»Ganz recht. Ich schrieb, ich sandte meinen Roman und erhielt einen Brief. Vogelweid, ich bin eine glückliche Frau, aber der Tag, an dem dieser Brief kam, war doch einer der schönsten meines schönen Lebens, ein Ausbruch der Bewunderung der ganze Brief. Carolus stellte mich in eine Reihe mit Heyse, Keller und Meyer. Ihr Manuskript, schrieb er, ist von der Lesekomission einstimmig angenommen worden.«

»Aus dem einfachsten aller Gründe – sie hatte nur eine Stimme.«

»Er wollte seinen ersten Jahrgang mit mir eröffnen. Mein Herz quoll über, ich antwortete in Ausdrücken, ich bekenne Ihnen alles, Vogelweid, es werden wohl überschwängliche Ausdrücke gewesen sein. Nach so bitteren Enttäuschungen ein solcher Erfolg. Carolus steht im Kürschner an der Spitze einer langen Reihe von Werken. Ich verehrte ihn, ich pries ihn, er ragte als Halbgott in meinem Herzen.«

»Ja, das ist so! Es schmeichle einer nur unserer Autoreneitelkeit, und wir sind zu jeder Selbsterniedrigung bereit. Baronin, daß Sie in diese Falle gingen!«

»Richten Sie nicht, Vogelweid, helfen Sie. Ich bin in einer furchtbaren Klemme. Er bat um meine Photographie, ich schickte sie ihm mit einer Widmung … und dann, denken Sie, nannte er mich: Erhabene Schloßfrau, angebetete Herrin.«

»Sie haben ihm gewiß auf dem schönen Briefpapier geschrieben, mit der in Gold geprägten Aufschrift: Schloß Obositz, und der wehenden Fahne mit dem Doppelwappen.«

»Mein Gott, ja. Und nun hält er mich für eine Millionärin, spricht von den Kosten, die das Gründen einer Zeitschrift verursacht, und ich soll eine Aktie zu zehntausend Gulden nehmen. Und ich habe nur ein ganz kleines Vermögen, das Hugo verwaltet. Ich konnte das Geld nicht geben, ich mußte es gestehen. Seitdem hat Carolus den Ton geändert, er schmeichelt nicht mehr, er droht … Womit am Ärgsten? Mit der Veröffentlichung meines Romans! Damit, behauptet er, macht er mich lächerlich vor der ganzen Welt. Er droht auch, meinem Manne meine Photographie mit jener Widmung und meine Briefe – Liebesbriefe nennt er sie – zu schicken. Das sind sie nicht, aber – o, ich bin sehr schuldig! – ich sprach von ungestillter Sehnsucht nach regerem Geistesleben, – von Seeleneinsamkeit. Ich weiß nicht, wessen Hugo fähig wäre, wenn er erführe, daß ich mich an seiner geliebten Seite seeleneinsam gefühlt habe … Mir schaudert, und ich zittere um den Frieden meiner Ehe … Ach, Vogelweid! und soeben brachte man mir ein Telegramm auf Hagens Zimmer. Ich habe es noch nicht eröffnet. Eine furchtbare Ahnung sagt mir: es ist von Carolus und enthält mein Schicksal. Himmel, warum mußte ich an einen so elenden Menschen gerathen!«

»Das eben ist Ihr Glück im Unglück, beruhigen Sie sich, Baronin. Ich rette Sie, ich habe den Mann in der Hand. Einige meiner Kollegen und ich sind vor Jahren durch ihn arg geschädigt worden, und wir haben uns vor seinen Schlichen sicher gestellt. In einem gewissen eisernen Schrank bei einem gewissen Advokaten sind Beweise gegen ihn deponirt, die ihn jeden Augenblick ins Kriminal bringen können. Daran will ich ihn erinnern und die Herausgabe Ihres Eigenthums verlangen.« Er seufzte tief und schwer: »Ich will ihm schreiben.«

»O Vogelweid, wie dank’ ich Ihnen! Aber lesen Sie zuerst das Telegramm.«

Bertram öffnete das gefaltete Blatt, warf einen Blick hinein und sprang auf: »Nein,« rief er, »nicht schreiben, handeln! Da ist keine Zeit zu verlieren, er will mit dem Zwölfuhrzug kommen, ich geh, ich reite,« steigerte er sich, »ihm entgegen, fang’ ihn auf auf der Station.«

»Kommen? Hierher?« Die große, starke Frau stammelte, erbleichte, ihre Augen wurden starr, sie rang mit einer Ohnmacht. Bertram ermahnte mit Energie:

»Muth, Baronin. Nehmen Sie sich zusammen. Sie dürfen jetzt nicht ohnmächtig werden. Erstens ist es nicht mehr modern, und zweitens müssen auch Sie jetzt handeln.« Er erhob die Arme, seine Hände ballten, seine Brust erweiterte sich: »Knapp’, sattle mir mein Dänenroß. Geben Sie Befehl, Frau Baronin, daß die Kuh vorgeführt werde. Ich will Ihr Ritter sein, ich fühle das ganze Mittelalter in meiner Faust.«