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Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid

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XVII

Als man sich am Abend trennte, nahm Bertram Abschied von seinen Wirthen für den ganzen morgigen Tag, den er in Vogelhaus zubringen wollte. Lieber auch räumlich von der Unerreichbaren getrennt sein, als in ihrer Nähe schmerzvoll hangen und bangen. Er ging allein seinen Zimmern zu; der Freund, der ihn sonst geleitete, die Dienerschaft, die heute bis zum Morgen gewacht, hatten sich früher als gewöhnlich zur Ruhe begeben. Die Lampen waren gelöscht, vor der Mondesscheibe lagerte eine langgestreckte Wolke, ein träumerisches Halbdunkel herrschte, eine schöne Stille, Balsam für den geräuschesmüden Stadtbewohner. Jeder Blick durch die hohen Fenster des Ganges in den Garten bot Erhebung, wirkte sanft und beschwichtigend. Leise wie ein angefachtes Fünkchen begann die erloschene Hoffnung wieder zu glimmen. Quälst du dich nicht mit Hirngespinnsten, du Narr? fragte er sich. Waren die Worte, die dich unglücklich machen, auf dich gemünzt, oder beziehst du sie nur auf dich, krankhaft empfindlicher Thor? Muß der Graf an mich gedacht haben, als er sagte: Ich glaube nicht? Er dachte vielleicht an:

»Meisenmann!« rief Bertram wonnig mit wahrem Entdeckerjubel aus. Zu seinem Schrecken antwortete eine Stimme aus der Tiefe des Querganges:

»Ich bin’s, bitte.« Simon trat hervor. Der junge Herr Baron schickte ihn, er ließ den Herrn Doktor bitten, zu ihm zu kommen.

»Jetzt? jetzt gehe ich schlafen, und Hagen soll auch schlafen gehen. Sagen Sie ihm das von mir.«

»Er schläft aber nicht, er schreibt und liest die ganze Nacht.«

»In dem Zustand, mit dem Auge?«

»Ach Gott ja! ’s is schaudriös. Gehen Sie zu ihm, bitte, auf den Herrn Doktor wird er hören, auf uns hört er nicht, auf mich und den Meisenmann.«

»Ein schrecklicher Kerl, ein Tyrann,« murmelte Bertram, folgte dem Alten widerwillig und trat verdrießlich bei Hagen ein, der ihn verdrießlich empfing und anbrummte:

»Ist dir’s endlich gefällig?«

Er saß mit verbundenem Kopfe in einem großen Lehnstuhl unter der grell leuchtenden Hängelampe und sah elend aus. Auf einem Tische neben ihm waren die neuesten Werke der modernsten nordländischen, französischen und deutschen Unsittenschilderer recht zur Schau ausgelegt. In einer Hand hielt der Jüngling Juvenals Satiren, in der andern einen Rothstift.

Das Zimmer befand sich in greulicher, in gewollter Unordnung. Die Möbel und einen Theil des Fußbodens bedeckten Bücher, Schriften, Cigarrenkistchen, Waffen, Fecht- und Turngeräthe; an den Wänden hingen, mit Nägeln befestigt, schamlose Photographien. Auf einem Schranke neben der Thür lag eine Pistole; der Hahn war gespannt, das Zündhütchen aufgesetzt.

Komödiant! dachte Bertram und sprach mit eisigem Spotte: »Ich muß dir doch den Gefallen thun, dir zu betätigen, daß ich dich gefunden habe, im Juvenal lesend. Das Grellste hast du wohl mit Strichen versehen, damit niemand zweifeln könne, daß du’s verstanden hast. Mir freilich wäre nie ein Zweifel gekommen, bei den Erfahrungen, die du schon gemacht haben mußt, im Kaffeehaus oder in der Zuckerbäckerei.«

Bei dem letzten Worte fuhr Hagen zusammen, Zorn und Schrecken verzerrten sein Gesicht.

»Verzeih’, wenn ich dich ärgere, ich sollte dir dankbar sein, weil du dir so viele Mühe gegeben hast, mir zu Ehren dein Zimmer zu dekorieren.«

»Dir zu Ehren, ja just, was der sich einbildet!«

Bertram deutete auf die Bilder an der Wand: »Die wirst du doch nicht da lassen, wenn du deine Mutter erwartest, oder …«

Hagen hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu: »Gieb deiner Beredsamkeit Urlaub, ich frage nicht nach deinen Moraltrotteleien, ich frage …«

»Hast du meine Novelle gelesen?« unterbrach ihn nun Bertram seinerseits. »Ja, denn, ich habe sie gelesen, leider.« Er rückte einen Sessel an den Tisch und setzte sich.

Hagen spielte den Gleichgültigen und den Höhnischen, aber die Kniee zitterten ihm. »Hast du wirklich die Gnade gehabt?«

»Die Gnade, ganz richtig. Wie du weißt, bin ich nicht hierher gekommen, um mich mit dem Lesen dilettantischen Pfuschwerkes zu beschäftigen, sondern um mich vom Lesen zu erholen und von der Litteratur überhaupt. – Saubere Erholung ..« Er hielt inne, er würgte tapfer die Klagen hinunter, die sich ihm auf die Zunge drängten. »Genug davon. Trotzdem hab’ ich, wie gesagt, deine Novelle gelesen.«

»Großartig! Nicht zu glauben! Und was meint der patentierte Kritiker? Hab’ ich Talent?«

»Vielleicht ja, möglicherweise hast du Talent.«

Ein häßliches, rechthaberisches Lächeln verzog die blutlosen Lippen Hagens. »Wie mühsam er das herausquetscht! Einen Jungen loben, thut ihnen gar zu weh, den Alten. Kann dir nicht helfen … Ich hab’ Talent, und weiß es, und wollte dich nur zwingen, es zuzugeben.«

»Und dann? was weiter? Talente laufen zu Hunderten auf der Gasse herum. Pferde, Hunde, Ferkel haben Talent. Talent, mein Lieber, ist viel und – nichts. Was du daraus machst, und was dieses ‘Du’ für ein Ding ist, darauf kommt’s an! Zuerst mache du dich, dann wirst du vielleicht etwas machen aus deinem Talent.«

»Ist mir zu hoch, die Weisheit.«

»Streck’ dich! am Ende langt’s.«

»Wenn man eine gute Novelle geschrieben hat.«

»Wer spricht von einer guten Novelle? Die deine ist elend, als Vorwurf, als Komposition, Charakterzeichnung, Stilprobe. Man muß scharf hinsehen, um eine Spur von Talent darin zu entdecken. Kein anderes als ein Ferkeltalent natürlich. Nun, auf ein Adlertalent machst du ja keinen Anspruch.«

»Du bist beleidigend.«

»Wenn die Wahrheit beleidigt.«

»Richtig! die hast du gepachtet … Moraltrottel!« das eine Wort murmelte er nur, dann schrie er wieder: »Bleib’ bei der Stange! Mag die Novelle sein, wie sie will, Talent verräth sie. Empfiehl mir einen Verleger.«

»Da steht er,« erwiderte Bertram und deutete auf den Ofen.

»Das würde dir in den Kram passen. Wir kennen euch, ihr doktrinären Zöpfe. Aus dem Weg die Werke der Neuen! Du irrst, wenn du glaubst, daß ich dir aufsitze. Geh zum Teufel. Ich werde meinen Weg allein machen. Ich werde mir selbst einen Verleger suchen.«

»Wirst ihn auch finden, wenn du Unglück hast. Brauchst dich nur an den Rechten zu wenden, der besorgt alles, den Widerspruch provozierenden Tadel, das aller Würde hohnsprechende Lob. Irgend eine Zeitung sagt dann wohl: Dergleichen wurde noch nie gewagt – und der Erfolg ist da. Freilich giebt es nur eine Entschuldigung für das Jagen nach solchem Erfolg – den Hunger.«

Während er sprach, verfolgte er aufmerksam in den bewegten Zügen des Jünglings den Eindruck, den seine Worte hervorbrachten. Es ging viel vor in diesem Werdenden, und so viel Sensationen, so viele Zügel, an denen ein Mensch gefaßt werden kann.

»Hagen,« begann Bertram von neuem und jetzt in versöhnlichem Tone, »ich habe diese Entschuldigungen gehabt. Nicht etwa, daß ich schnöden Erfolgen nachgejagt wäre, aber dafür, daß ich einen Beruf ergriff, zu dem ich nicht berufen war. Die Zwangslage, in der ich mich befand, kann allein verzeihlich machen …«

»Und weißt du, Alleswisser, ob ich nicht auch in einer Zwangslage bin?«

»Oho, hast du etwas versprochen, dein Wort verpfändet? Gesteh! hab’ in Kuckucksnamen Vertrauen zu mir.«

»Ich hab’ nur zu viel.« Seine Stimme versagte, die Spannung, in der er sich künstlich erhalten hatte, ließ plötzlich nach. Er weinte, er schluchzte heftig, leidenschaftlich. Sein schmächtiges Körperchen wand sich in Schmerz und in ohnmächtiger Wuth über den weibischen Ausbruch, den er verachtete und dem er nicht Einhalt thun konnte.

Bertram hätte gern Mitleid mit ihm gehabt und brachte es nicht zuwege. Ach, wenn einem jemand unsympathisch ist, wo bleibt da die Güte, die vielgerühmte, die allumfassend, unendlich, ewig gegenwärtig sein soll? Bertram war angst und bang um den Jungen, aber ein warmes Gefühl für ihn konnte er sich nicht abringen. Guter, starker Mensch, schlag’ an dein Herz, nicht einen Funken Erbarmen schlägst du heraus, wenn es ihn nicht freiwillig giebt.

»Ich bin der ärmste Teufel,« rief Hagen, »ich stehe ganz allein in der Welt. Gertrud verabscheut mich, der Vater versteht mich nicht, die Mutter zieht mir diese Gans von einer Sieglinde vor. Auf dem Gymnasium bin ich verhaßt … Das freilich ist mir Wurst. Ich kann ohnehin ins Gymnasium nicht mehr zurück. Hier kann ich auch nicht bleiben; wohin soll ich? Aus der Welt!«

»Warum kannst du denn nicht aufs Gymnasium zurück?«

»Weil ich Schulden hab’, zum Teufel. Beim Zuckerbäcker.«

Bertram brach in Lachen aus: »Beim Zuckerbäcker? Der blasierte Decadent sitzt beim Zuckerbäcker und stopft sich mit Kuchen, der Übermensch ist eine Naschkatz! Einen Lutschbeutel hast du doch auch, der liegt vielleicht als Merkzeichen im Juvenal?«

»Lache du … Elende Possen zu reißen, wenn dein Freund ins Unglück gerathen ist, paßt für dich.«

»Es wird nicht groß sein, das Unglück.« –

»Woher vermuthest du das? Meinen Alten darf ich’s nicht klagen, sie haben ohnehin schon Schulden für mich gezahlt. Sie hinter seinem, und er hinter ihrem Rücken, und ihm habe ich mein Ehrenwort geben müssen, nichts mehr auf Rechnung zu nehmen. Und jetzt schreibt mir dieser verfluchte Zuckerbäcker Brief auf Brief … Hilf du mir,« er faltete die Hände, »ich werde dir ewig dankbar sein.«

Bertram blickte finster vor sich hin: »Wieviel bist du schuldig? Antworte! Zehn Gulden? Zwanzig Gulden?«

»Zwanzig! Ein solcher Bettel brächte mich doch nicht in Verlegenheit.«

»Einen Bettel nennst du das? Ich habe in meinem ganzen Leben nicht zwanzig Gulden für Backwerk ausgegeben.«

»Andere Verhältnisse, mein Lieber,« versetzte Hagen hochmüthig.

»Bilde dir noch etwas ein auf deine ekelhafte Genäschigkeit. Also nochmals: wieviel bist du schuldig?«

»Zweihundert Gulden.«

»O du Entsetzlicher! Um zweihundert Gulden hat dieser Mensch Backwerk gegessen und Likör getrunken.«

 

»Ich habe auch traktirt,« sagte Hagen kleinlaut.

Abermals bestand Bertram einen schweren Kampf mit sich selbst und abermals ging er siegreich aus ihm hervor. Es hatte große Selbstüberwindung gekostet.

Aber durfte er zögern? Er durfte nicht. Er besann sich, wie mächtig es ihn ergriffen hatte beim Anblick von Vogelhaus: Was könnte ich für dich thun, du Treuer? Wie würd’ ich die Stunde segnen, die mir eine Antwort brächte auf diese Frage. Nun war die Stunde unerwartet schnell gekommen, nun konnte er etwas thun für seinen Freund.

Er stand auf: »Gieb mir die Rechnung. Ich werde zahlen, nicht deinetwegen, deines Vaters wegen. Es thät’ ihm zu weh, wenn er erführe, daß er einen Sohn hat, der sein Ehrenwort bricht. Wenn du aber glaubst, daß ich mein Geld umsonst gebe, irrst du. Ich geb’ und nehme.«

»Was nimmst du?«

»Dein Manuskript –«

»So hättest du doch Verwendung dafür?« rief Hagen mißtrauisch.

»Jawohl. Und diese Photographien.«

»Das ist Erpressung.«

»Jawohl, Erpressung und Gewalttätigkeit.« Er nahm die Bilder von der Wand und riß sie in Stücke. Er that’s ganz ruhig, und Hagen ließ es ohne Einsprache geschehen, lehnte den Kopf zurück, streckte die Beine weit aus und lag da wie ein Todter.

Der Arzt kam, nach seinem Patienten zu sehen, fand ihn erschöpft und etwas fieberhaft, und wollte bei ihm wachen.

Bertram verließ das Zimmer. Beim Weggehen hatte er aber einen Diebstahl begangen. Er hatte die Pistole abgespannt und sie mit sich genommen.

XVIII

Er ging zu Bette, konnte aber nicht einschlafen. Die Sorge um Hagen hielt ihn wach. Nach einer Stunde stand er auf und begab sich zu ihm hinüber, um nach seinem Befinden zu fragen. Es war gut; der Ungerechte schlief den Schlaf des Gerechten, und dieser ängstigte sich um das saubere Früchtchen, das ihn sicherlich auslachen würde, wenn es davon wüßte. Bereuen konnte er seine nächtliche Wanderung aber nicht, denn er brachte Seelenruhe von ihr heim.

In aller Gottesfrühe, nach einigen Stunden kurzer, köstlicher Rast, war er auf dem Wege nach Vogelhaus. Unaufhaltsam hatte er vorwärts eilen wollen, aber die Schönheit des Gartens hielt ihn fest. Eine wahrhaft vollendete Schönheit.

Auf einer Brücke, die über das klare und wasserreiche Bächlein führte, das den Garten durchschlängelte, blieb Bertram stehen. Er legte die verschränkten Arme auf das Geländer und versank in die Wonne still bewundernden Schauens. Zwischen den Bäumen und Baumgruppen auf den welligen Wiesen eröffnete sich ein weiter Ausblick auf die Berge und Wälder. Ein Blick voll Frieden. Wohnt er auch wirklich dort? Er wohnt, wohin du ihn träumst, und das ist in der Natur ewig und immer – die Ferne. Tritt näher, du siehst den Kampf.

Ein Knistern des Kieses, das Geräusch nahender Schritte, weckte ihn aus seinen Betrachtungen. Er wendete den Kopf und erblickte Gertrud, die langsam auf ihn zukam. Sie sah ihn nicht, sie wandelte unter dem Schutze eines großen Sonnenschirms, dessen breiter Spitzenrand ihr Gesicht verdeckte, und fuhr zusammen bei dem freudigen Gruße, den Bertram ihr zurief. Sie wäre ihm offenbar gern ausgewichen, konnte es aber nicht mehr thun, ohne geradezu die Flucht zu ergreifen. So entschloß sie sich denn, ihren Weg – noch langsamer als vorhin – fortzusetzen.

Sie scheint nicht angenehm überrascht durch meine Anwesenheit, sagte sich Bertram – ich störe sie – worin nur? Warum steht sie so früh auf? Sie dichtet! Ohne Zweifel, sie dichtet. Man kann nicht anders in diesem Milieu. Sie geht vielleicht ins Fischerhaus, um dort zu dichten.

Merkwürdig! Als ihm der Einfall kam, da war’s, als ob eine Mauer niedergefallen wäre, die zwischen ihm und ihr gestanden hatte. Sie Dichterin, er Journalist: er fühlte sich beinahe auf dem gleichen Fuße mit ihr. Beinahe, nicht ganz. Sie war ihm doch noch zu fremd und – »eine Würde, eine Höhe« …

Er setzte den Hut, den er feierlich abgenommen hatte, wieder auf, ging ihr entgegen und wand dabei, wie man beim Waschen thut, eine seiner Hände um die andere, was immer etwas sehr Verbindliches hat. Vor ihr angelangt, neigte er sich mit einer gewissen freundlich erwartungsvollen Spannung und sagte: »Nun, mein gnädiges Fräulein … und was schreiben denn Sie?«

Gertrud war betroffen: »Ich?«

»Sie! – Sie werden doch auch schreiben.«

»Nein, gewiß nicht.«

Nun war er betroffen. »Ist das möglich? Und warum nicht?«

»Warum? – weil ich kein Talent habe,« gab sie mit großer Gelassenheit zur Antwort und zuckte ein wenig die Achseln.

»Kein Talent?.. Eine Dame von heute ohne Talent zur Schriftstellerei?« Die niedergesunkene Mauer richtete sich sogleich wieder auf, und die Geliebte stand ihm wieder so hoch wie je, und er hätte das Knie vor ihr beugen mögen und ausrufen: »Verzeih’, Erhabene, daß ich dich anbete!«

Zum ersten Male während ihres Gespräches hatte sie die Augen zu ihm erhoben und sah ihn mit einem Gemisch von Verlegenheit und Muthwillen flüchtig an: »Ich wäre vielleicht so gut wie andere im Stande gewesen, mir poetisches Talent zuzutrauen, wenn mich nicht eine Autorität bei Zeiten aus der Gefahr gerettet hätte.«

»So sind Sie, mein gnädiges Fräulein« – das kam mit einem Anflug von Wehmuth heraus – »doch auch in Gelegenheit gewesen, sich an eine Autorität in dergleichen Dingen zu wenden?«

»Jawohl, wie ich in Gelegenheit gewesen bin, bei Blumenmacherinnen und Stickerinnen anzufragen: Ist meine Arbeit etwas werth und könnt’ ich Geld dafür bekommen? Was versucht man nicht alles, wenn man jung ist und voll Selbstvertrauen.«

Und arm, ergänzte er in Gedanken.

Nun kamen sie an dem Weg vorüber, der zur Straße nach Vogelhaus führte. Bertram ließ ihn links liegen und schritt weiter, an der Seite seiner holden Begleiterin. Sie sprachen von gleichgültigen Dingen, aber ihm ging dabei das Herz auf; die Scheu, die Gertrud bei jeder neuen Begegnung mit ihm zu überwinden hatte, war verschwunden bis auf die letzte Spur, da wagte er’s, da sprach er die Frage aus, die ihm schon so lang auf der Seele brannte:

»Was haben Sie gegen mich gehabt, Furcht oder Abneigung? Eines dieser beiden Gefühle war ich so unglücklich, Ihnen einzuflößen.«

»Das erste,« erwiderte sie ohne Zögern.

»Du lieber Gott, wer ist schuld? Wer hat mich verleumdet?«

»Niemand; bei uns wird nur Ihr Lob gesungen, ich habe aber meine Privatempfindung.«

»Und die ist Furcht?«

»Ich staune, daß Sie darüber staunen. Wenn man grausam sein kann wie Sie, wenn man arme, vielleicht feinfühlige Menschen an den Pranger stellen und dazu lachen kann … denn Sie lachen, wenn Sie Ihre Feuilletons schreiben …«

»Längst nicht mehr. Ich schwitze, schwitze Blut! Und was die armen, feinfühligen Menschen betrifft – die sich ohne Berechtigung an die Öffentlichkeit drängen, die haben eine dicke, eine Rhinozeroshaut; denen geschieht nichts, aber die Pfeile meines Witzes stumpfen sich ab an ihnen; haben Sie noch nicht bemerkt, wie stumpf meine Pfeile geworden sind?«

Sie waren beim Teiche angelangt, sie standen im Schatten hoher Bäume und dichter Gebüsche. Gertrud hatte ihren Sonnenschirm auf die Achsel fallen lassen, er bildete einen lichten Hintergrund zu ihrem schönen Kopfe, mit den reichen, braunen Haaren, die zusammengewunden einen schweren Knoten im Nacken bildeten. Einzelne von ihnen, dem Zwang entschlüpft, kräuselten sich auf dem Scheitel und an den Schläfen und schimmerten zart und goldig. Sie trug ein schwarzes Morgenkleid, und aus der Tasche guckte grellroth mit goldenem Schnitt ein Elzevirbändchen, auf das Bertram langsam und zagend mit dem Zeigefinger wies:

»Mein gnädigstes Fräulein, ich besorge, Sie lesen meine letzte Novelle.«

»Ja, auf Empfehlung der Tante.«

»Hm! Wenn Sie eine Nichte hätten, würden Sie ihr die Novelle auch empfehlen?«

»Ich weiß noch nicht, ich bin noch nicht sehr weit.«

»O, dann lesen Sie auch nicht weiter! Lernen Sie mich nicht von meiner schlechtesten Seite kennen, von der schriftstellerischen. Ich habe bessere Seiten, ich schwör’s. Damit ist allerdings nicht viel gesagt, denn meine Romane …« Er blickte ihr fest ins Gesicht, »elend, nicht wahr?« Sie erröthete und wendete sich ab, plötzlich aber wich die leichte Verlegenheit, von der sie ergriffen worden war, einem heitern, fast übermüthigen Ausdruck:

»Ich darf’s nicht sagen,« sprach sie. »Sie könnten sonst glauben, daß ich Repressalien gebrauche.«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte er.

»Erinnern Sie sich vielleicht einer gewissen Anna Mimona?«

»Ja, nicht ganz ohne Gewissensbisse. Anna Mimona –«

»Das war ich.«

Er prallte zurück bis an den Rand des Teiches.

»Geben Sie acht!« rief sie erschrocken, und er blieb stehen und starrte sie an.

»Nähmaschine!« schrie er auf. »O, dann ist alles verloren, dann fürchten Sie mich nicht nur, Sie hassen mich auch. Nähmaschine!.. Das können Sie mir nie und nimmer verzeihen!«

»Ich kann es freilich nicht mehr, weil ich es längst gethan habe. Ihr Rath war ja gut, aber befolgen konnte ich ihn nicht. Um eine Nähmaschine zu kaufen, braucht man Geld, und ich hatte keines.«

»Sie hatten keines. O ich roher, gedankenloser Dummkopf! Und ich habe die Gedichte nicht einmal gelesen.«

»Mit welchem Pathos Sie das sagen! Wie Gräfin Orfina.«

»Jetzt aber will ich’s thun und mit dem innigsten Interesse, mit Andacht! Ich bitte um Ihr Manuskript, mein gnädiges Fräulein.«

»Das kann ich Ihnen nicht geben, es existirt nicht mehr.«

»Haben Sie’s vernichtet? Ja? – Ewig schade!«

»Doch nicht: das Manuskript ist fort, der Inhalt ist da. Sie können ihn in Sieglindens Gedichten wiederfinden.«

»So? Schreibt sie ab?«

»Niemals – es fällt ihr eben dasselbe ein: das alte Lied, das in jedem jungen, aufknospenden Herzen erklingt.«

»Ich gäbe alles darum, es von Ihnen singen zu hören.«

»Unmöglich, ich bin keine Dichterin mehr.« Das hatte sie lachend gesagt, wurde aber bald wieder ernst und vertraute ihm, daß sie das Haus ihrer Verwandten zu verlassen gedenke.

»Wegen Hagens, diesem jungen Laster!« rief Bertram. Sie antwortete nicht, er gerieth in Bestürzung, und Funken tanzten ihm vor den Augen.

»Oder – verzeihen Sie einem ängstlichen, aufgeregten Menschen, den ein Hirngespinnst um den Schlaf bringt, denken Sie vielleicht – nein, Sie denken nicht daran, Frau Meisenmann zu werden?«

»Gewiß nicht,« erwiderte sie, »es ist ja auch undenkbar. Sie finden mich auf dem Wege zur Fischerhütte, da bin ich am frühem Morgen ruhig und ungestört. Ich will an eine alte Frau schreiben, bei der wir gewohnt haben, meine Mutter und ich, die nimmt mich gern wieder auf.«

»Nach Wien also wollen Sie? Und was dort?«

»Eine Stelle suchen oder – mein guter Onkel giebt mir die Mittel dazu,« – wieder flog ein Ausdruck von Heiterkeit wie ein Sonnenstrahl über ihre Züge: »oder eine Nähmaschine kaufen.«

Helllodernde Liebe flammte in Bertram auf und funkelte ihm aus den Augen – eine andere Sprache fand er nicht; nach einer Pause erst wiederholte er voll des innigsten Mitleids: »Eine Stelle wollen Sie suchen, mein gnädiges Fräulein?«

»Schwer zu finden, ich weiß. Es giebt ja Bonnen, Gouvernanten und Gesellschafterinnen in Hülle und Fülle. Aber ein Mangel herrscht, wie ich höre, an guten Krankenwärterinnen. So gedenke ich mich denn zur Krankenwärterin auszubilden.«

»Dann etablire ich mich im Spital!« rief er aus.

»Sie scherzen –?« fragte Gertrud befremdet: »Mir war mit allem ernst, was ich Ihnen gesagt habe.«

Bertram wollte sich entschuldigen, sie ließ ihm dazu keine Zeit:

»Auf Wiedersehen,« sagte sie, neigte den Kopf und trat in die Fischerhütte.

Er war entlassen und ging und verwünschte sich einmal wieder. Was für eine Taktlosigkeit hatte er begangen! Wenn er ihr mißfiel und sie es ihn fühlen ließ, geschah ihm recht.

Unterwegs begegnete er Herrn Meisenmann und einigen Bauern, denen der Agitator fleißig vordeklamirte. Sie hörten ihm aufmerksam zu und ließen den Gruß Bertrams unerwidert.

In Vogelhaus war’s schön und herrlich, und doch – mitten in seinem lieben Eigenthum, schon nah dem Ziele, dem er in leidenschaftlichem Bemühen jahrelang entgegen gestrebt hatte, wußte der neue Herr: all das Errungene ist werthlos, und nie werde ich seiner froh, wenn ich nicht auch Die erringe, die mir so unsagbar lieb geworden ist.

Als er am Abend nach Obositz zurückkehren wollte, kamen von dort zwei Phaetons einhergerollt. Den ersten kutschirte Hugo, und im Wagen saßen Bertha und Sieglinde, den zweiten kutschirte der Retter, und im Wagen saßen die liebenswürdige Reisegefährtin und Gertrud.

»Wir sind da, um dich abzuholen, Ausreißer!« rief Hugo.

»Und um Sie als Grundherrn willkommen zu heißen, ‘bei uns zu Lande auf dem Lande.’ Annette von Droste, nicht wahr?« sprach die Baronin, indem sie sich aus der Wagendecke wickelte.

 

»Ja – ich glaube.« Sehr dankbar, wenn auch etwas zerstreut, empfing Bertram alle seine Gäste im Vogelhaus, als aber Gertrud die Schwelle überschritt, sprach er leise und glückstrahlend: »Segen meinem Hause!«