Lob der Aphrodite

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10

Wie sollte ich mich nicht erinnern

An Teeduft und White Rose,

An Sèvres-Porzellan, die Figürchen

Überm hitzeglühenden Kamin …

Ich – im luftigen Kleid, in der

Durchgoldeten Faille, ärmellose,

Sie – im Jackett, dem schwarz gewirkten,

Mit Flügelkragen rundum hin.

Ich weiß noch, mit welchem

Gesicht Sie eintraten, ohne Schminke,

Und dastanden, auf Ihren Finger beißend,

Ihr Kopf war leicht geneigt.

Die herrscherhafte Stirn unterm schweren

Rötlichen Helm, der mir winkte,

Nicht Frau und nicht Junge, doch weiß ich –

Etwas Stärkeres als ich hat mich erreicht!

Mit einer grundlosen Bewegung

Stand ich auf, uns umgaben enge Netze,

Und jemand sagte in scherzhaftem Ton:

»Sie kennen sich nicht, soviel ich weiß.«

Und wie Sie die Hand in die meine legten

Mit einer weit ausholenden Geste,

Und zärtlich in meiner Hand lag, ohne

Jede Eile, ein Splitter aus Eis.

Mit jemand, der schief herüberblickte,

Begann ich im Voraus zu streiten –

Ich lag halb im breiten Sessel

Und drehte den Ring an der Hand.

Sie nahmen eine Zigarette, ich nickte

Und reichte Ihnen das Streichholz,

Nicht wissend, was ich tun soll, falls Sie

Ins Gesicht mir blicken direkt.

Ich weiß noch – über der blauen Vase

Klirrten plötzlich unsere Gläser.

»Oh, seien Sie mein Orestes!«

Ich hab Ihnen die Blume gereicht.

Lachend – über meinen Satz wohl? –

Aus der schwarzen Wildledertasche

Nahmen Sie in einer langen Geste

Ein Tuch – und ließen es fallen so leicht.

28. Januar 1915

11

Alle Augen in der Sonne – glühen,

Kein Tag gleicht dem andern Tag.

Sollte ich dich je betrügen,

Hör, was ich dir sag:

Wessen Lippen ich auch küsse

In der Liebesnacht,

Wem ich auch je schwören müsste,

Nur zu leben, siebenfach –

Wie die Mutter es vom Kind will:

Wie die Blüte blüht,

Dass das Auge, wo’s auch hin will,

Dich nie übersieht …

Siehst du das Zypressenkreuzchen?

– Oh, du kennst es ja –

Alles wird erwachen, pfeif nur

Unterm Fenster da!

22. Februar 1915

12

Hügel rund um Moskau schimmern blau,

Staub und Teer liegt in der Luft, der lauen,

Meinen Tag verschlaf ich, lache, glaube:

Jetzt genese ich vom Wintergrau.

Ich schleich mich nach Hause möglichst leise:

Ungeschriebene Verse reun mich nicht!

Räderlärm, gebrannte Mandeln sind für mich

Kostbarer als alle öden Zeilen.

Und mein Kopf ist so entzückend leer,

Deshalb wohl: Mein Herz will überquellen!

Meine Tage sind wie kleine Wellen,

Die ich sehe von der Brücke her.

Viel zu zärtlich sind gewisse Blicke

In der zarten Luft, erwärmt ganz leicht …

Ich werd krank vor Sommer, werde weich –

Kaum genesen von den Winterknicken.

13. März 1915

13

Vor der Trennung, vor dem Ende

Dieser Liebe sag

Ich dir, dass ich deine Hände

Liebte, vielbegabt –

Und die Augen – die nicht jedem

Blicke schenken, nein! –

Herrisch Sühne heischen für den

Zufallsblick, so klein.

Dich und deine längst verfluchte

Leidenschaft – sieht Gott!

Die Vergeltung wollte, suchte

Für den Zufallsseufzer, Spott.

Müde sag ich: Keine Eile,

Hör jetzt bloß nicht her! –

Deine Seele steckt in meiner

Seele – steckt mir quer!

Dann auch dies sag ich dir weiter

– Ganz egal! Bald Schluss! –

Dieser Mund war jung vor deinem

Mund – vor deinem Kuss.

Hell mein Blick (vor dir!), verwegen,

Fünfjährig mein Herz …

Glücklich, wer dir nie begegnet

Nirgends, nirgendwärts.

28. April 1915

14

Denn Namen gibt’s – wie Blumen, stickig-heiß,

Und Blicke gibt’s – so tanzend wie die Flammen …

Und dunkle Münder gibt’s, gekrümmt ihr Kreis,

Mit tiefen, feuchten Lippenwinkeln fangend.

Und Frauen gibt’s: Die Haare – wie ein Helm,

Ihr Fächer duftet fein und unheilbringend.

Sind dreißig Jahre alt. Wozu brauchst denn

Du meine Seele des Spartaner-Kindes?

Himmelfahrt 1915

15

Ich will den Spiegel fragen, wo

Die Trübe ist und Traum, benebelnd,

Erforschen – wo dein Zufluchtsort

Liegt, wo dein Weg hinführt im Leben.

Ich seh die Masten eines Schiffs,

Und dich an Deck – aufragend …

Du stehst im Rauch des Zugs … Es trifft

Ein Feld dich abends, klagend …

Ja Abendfelder, taubenetzt,

Darüber kreischen Raben …

Alle vier Winde sollen dich jetzt

Samt meinem Segen haben!

3. Mai 1915

16

An der ersten liebtest du

Erstlingsschönheit, noch dazu

Locken mit dem Henna-Hauch,

Klageruf der Surna auch,

Unterm Huf den Kiesel-Klang,

Schön wie sie vom Pferd absprang,

Und – in körnigen Edelsteinen –

Die zwei Schiffchen eingezeichnet.

An der zweiten, andern meinen:

Brauen-Bögen, hohe, feine,

Seidenteppiche sodann

Aus Buchara – Rosenland,

Fingerringe überall,

Wange mit dem Muttermal,

Durch die Spitzen: Braun von Sonnen,

Mitternächtlich dunkles London.

Und die dritte dann: Sie war

Noch viel lieber dir, so nah …

Was wird von mir einst bleiben

In deinem Herzen, du Reisende?

14. Juli 1915

17

Und erinnert euch: so viel lieber

Als alle Köpfe – von meinem Kopf ein Haar.

So geht weiter, geht jetzt wieder –

Du und auch du, was immer auch war.

Liebt mich nicht mehr, aus – geliebt alle!

Und erwartet nicht mich morgen früh!

Dass ich ruhig weggehen kann, kahler

Im Wind stehen kann wie noch nie.

6. Mai 1915

Wahnsinn und Vernünftigsein,

Schande sowie Ehrgefühl,

Alles, was sich nachdenklich reimt,

Von allem hab ich viel zu viel

In mir – alle Zwangslager-Leidenschaften

Zur einen geballt!

So wie in meinem Haar, Krieg führend, haften

Alle Farben, ein ganzer Wald.

Alles Liebesgeflüster kenn ich seit Jahren

Auswendig für allezeit!

Meine zweiundzwanzigjährige Erfahrung –

Nichts als Traurigkeit.

Mein Gesicht ist unschuldig-rosig

– Das ist doch wohl klar! –

Ich bin die virtuoseste Virtuosin

In der Kunst der Lüge – so wahr!

In ihr – wie ein Ball geworfen

Und aufgefangen erneut! –

Meiner polnischen Urgroßmütter

Blut – wie es sich freut.

Ich lüge, weil in Friedhöfen Gras

So üppig wächst,

Ich lüge, weil in Friedhöfen – was?

Der Schneesturm nie nachlässt …

Von der Geige – und Automobilen –

Von Seide – Feuerschein …

Von der Folter, dass all die vielen

Nicht mich liebten ganz allein!

Vom Schmerz, dass nicht ich die Braut bin

Dem Bräutigam …

Von Geste und Vers – weil ich laut bin

Und nicht anders kann!

Von der zarten Boa, den Hals umschmiegend …

Und wie sollte ich unbedingt

Nicht lügen – wenn meine Stimme im Lügen

Soviel zärtlicher klingt …

3. Januar 1915

Mein Leichtsinn! Meine Sünde, mir lieb,

Mein Gefährte, mein Feind du, mein zarter!

Der das Lachen in meine Augen mir trieb,

Spritzt die Mazurka mir in die Adern.

Lehrtest, sie nicht zu behalten, die Ringe –

Mit wem auch das Leben mich band!

Auf gut Glück mit dem Schluss zu beginnen

 

Und zu schließen, bevor es begann.

Wie ein Halm sein und sein wie der Stahl

In dem Leben, wo wir so wenig vermögen …

Mit Schokolade zu heilen alle traurige Qual,

Dem Passanten nur lachend begegnen!

3. März 1915

Mir gefällt, dass Sie krank sind – nicht nach mir,

Mir gefällt, dass ich krank bin – nicht nach Ihnen,

Dass der Erdball uns nie wegschwimmt, dass wir

Nie den Boden unter den Füßen verlieren.

Mir gefällt, dass ich lustig sein kann,

Ausgelassen – ohne die Wörter zu hüten,

Und nicht erröte, erregt und bang,

Weil unsere Ärmel sich leicht berührten.

Mir gefällt, dass Sie offen vor mir

Ganz ruhig die andere umschließen

Und nicht drohen, dass in der Hölle dafür

Ich braten werde, dass ich Sie nicht küsse.

Dass Sie, Zärtlicher, den zarten Laut

Meines Namens nicht Tag und Nacht stammeln …

Dass nie in der Stille der Kirche – getraut –

Für uns Halleluja-Rufe erschallen!

Ich danke Ihnen mit Herz und Hand

Dafür, dass Sie – ohne es selber zu wissen! –

Mich so lieben: nachts für meine Ruhe – gebannt,

Die seltenen Treffen unter Dämmerlichtern,

Unsere Nicht-Spaziergänge unterm Mondlicht hier,

Für unsere Köpfe, nicht von der Sonne beschienen,

Dafür, dass Sie krank sind – leider! – nicht nach mir,

Dafür, dass ich krank bin – leider! – nicht nach Ihnen!

3. Mai 1915

Die zehn Gebote ließ ich unbeachtet, ging nicht zur Kommunion.

Sicher – solang sie über mir keine Litaneien singen,

Werde ich sündigen – wie ich sündige:

mit Leidenschaft, komm schon!

Mit den von Gott gegebnen, allen fünf Sinnen!

Freunde! Komplizen! Ihr, deren Anstiftungen heiß sind!

Ihr Mittäter alle! O ihr zärtlichen Lehrer!

Jünglinge, Mädchen, Bäume, Sternbilder, Wolken, weiße –

Beim Jüngsten Gericht gemeinsam Antwortende, o Erde!

26. September 1915

Wie brennende, geschliffene Schmeichelei

Unter Roms Himmel, nächtlicher Veranda,

Tödlicher Kelch in Rosen und Girlanden –

So magisch sind die Wörter: diese zwei.

Die Toten auferstehen wie auf Kommando,

Gott schweigt – windleichte Botschaft sei

Die Rache eines Heiden, einerlei:

Ich hab sie nie gelesen – Ars amandi!

Das Himmelsblau, das Blau geliebter Augen

Machen mich blind. Sollst nicht beleidigt sein,

Du Dichter: Ich hab keine Zeit für dein Latein!

Ob die Geliebten lesen? Sag, Ovid! Ob auf dem

Bett deine dich gelesen haben? Nein?

Dann tadle nicht die Erbin deiner Frauen.

29. September 1915

Im fatalen Folianten

Nichts was einen Reiz enthält

Für eine Frau. Ars amandi

Ist für sie – die ganze Welt.

Herz – von allen Liebestränken

Der Trank, der am besten trifft.

Frau – seit ihrer Wiege längst schon

Sünde, irgendwessen Gift.

Ach, wie fern ist uns der Himmel!

Lippen – nah im Dunkel und vertraut …

Richte nicht, du Gott! Denn niemals

Warst du auf Erden eine Frau!

29. September 1915

Zigeunerleidenschaft: sich trennen!

Kaum begegnet – wieder fortgedrängt.

Ich senk meine Stirn in die Hände

Und schau in die Nacht und denk:

Keiner, mag er in unsern Briefen graben,

Könnte es verstehen bis zuletzt,

Wie sehr wir treulos sind, will sagen:

Wie sehr wir treu sind – nur uns selbst.

Oktober 1915

Ich weiß eine Wahrheit! Alle andern Wahrheiten – Schluss!

Der Mensch soll auf Erden nicht mit dem

Menschen sich schlagen!

Schaut: der Abend, schaut: die Nacht, die kommen muss.

Wo denkt ihr hin – ihr Heerführer, Dichter, Liebhaber?

Schon legt sich der Wind, die Erde liegt schon betaut,

Am Himmel erstarren wird der Schneesturm der Sterne,

Und wir? haben auf Erden einander den

Schlaf nur geraubt

Und werden bald alle schlafen unter der Erde.

3. Oktober 1915

In der Hölle leben, ihr hitzigen Schwestern,

Wir müssen trinken den Höllen-Teer,

Wir, die mit jedem Äderchen bis zum letzten

Einst sangen: Lobe den Herrn!

Wir, die nachts über Wiege und Spinnrad

Uns nie beugten voller Schreck,

Fortgetragen im Kahn, der noch schlingert,

Unterm langen Mantel versteckt.

In feine chinesische Seide

Gesteckt gleich am Morgen schon,

Paradiesische Lieder singend

Am Räuberfeuer wie zum Hohn.

Wir nachlässigen Näherinnen

– Los näh schon, nur die Naht, die zählt! –

Wir Tänzerinnen und Flötenspielerinnen,

Herrinnen der ganzen Welt!

Mal kaum bekleidet, abgerissen,

Mal der Zopf unter Sternen verirrt.

In Gefängnissen, auf Jahrmarktwiesen

Wie in den Himmeln rumspaziert.

Wandernd in den Sternennächten,

Im Apfelgarten, paradiesbegabt …

Wir müssen, liebenswerte Mädchen,

Zarte Schwestern – in die Hölle hinab!

November 1915

Voller Mond und die Bärenpelze,

Leichter Tanz, der die Schellchen bricht …

Leichtsinnigste Stunde! Die hellste

Und tiefste für mich.

Gegenwind bläst, macht mich sanfter,

Der Schnee wärmt den Blick mir auf,

Auf dem Hügel das Kloster – hell dampfend

Vom Schnee: sein heiliger Hauch.

Sie küssen mir, Freund, diese Flocken

Von der Brust, aus dem Zobelfell.

Ich schau auf den Baum – in die Felder,

Auf den Kreis des Mondes – hell.

Hinterm breitesten Kutscherrücken

Zwei Köpfe – sich zu treffen: wie schwer!

Ich beginne vom Herrgott zu träumen,

Von Ihnen – träum ich nicht mehr.

27. November 1915

Sie fliegen weg – nur hastig hingeschrieben,

Noch heiß von beiden: Lust und Bitterkeit.

Gekreuzigt zwischen Liebe und Liebe –

Mein Jetzt, mein Tag, mein Jahr und meine Zeit.

Ich hör, dass auf der Welt Gewitter toben,

Und Amazonen-Speere glänzen neu jetzt auf …

Ich – halt die Feder nicht zurück! Zwei Rosen

Betranken sich, saugten mein Herzblut aus.

Moskau, 20. Dezember 1915

Gedichte an Ossip Mandelstam
1

Keiner hat es je überwunden!

Wie schön sind wir zwei uns – fremd.

Ich küsse dich – über Hunderte

Wersten von dir getrennt.

Ungleich sind, ich weiß, unsere Gaben,

Meine Stimme zum ersten Mal – still.

Ist dir, du mein junger Derschawin,

Mein Vers nicht zu ruppig, zu schrill?

Für den schrecklichen Flug gesegnet:

Junger Adler, zum Himmel gekehrt!

Die Sonne ertrugst du, ohne Regung –

Mein Blick ist dir plötzlich zu schwer?

So zärtlich und unwiderrufen

Hat dir noch keiner nachgeblickt …

Nimm diesen Kuss – über Hunderte

Trennender Jahre geschickt.

12. Februar 1916

Gawrila Derschawin (1743 bis 1816): bedeutendster russischer Lyriker des 18. Jahrhunderts, Klassizist, Erneuerer der Ode.

2

Die ich liebe führ ich zum Weg,

Singe Lieder für ihr Gedenken –

Sollen sie’s nehmen, leicht gewebt:

Was sie selber mir einmal schenkten.

Über grünende Pfade hin

Sie zum Wegkreuz hinaus begleitend –

Unermüdlich nun sing, du Wind,

Werde, Weg, ihnen immerzu leichter!

Blaue Wolke, du wein jetzt nicht,

Denn sie gehen in ihren schönsten Schuhen!

Du Schlange, verkneif dein Gift –

Räuberchen, lass dein Messer ruhen!

Vorbeigehende Schönheit, sei

Ihre Braut, die stets fröhliche-frohe.

Du beweg meine Lippen – frei,

Unser Himmlischer Herr wird’s dir lohnen!

Lodert, Feuer, jetzt auf im Wald

Und verscheucht alle wilden Gestalten,

Muttergottes im Himmelsgewand –

Beschütz meine lieben Passanten!

17. Februar 1916

3

Du wirfst den Kopf zurück beim Reden –

Du Stolzkopf, immer lügenschwer.

Welch einen lustigen Gefährten

Hat mir der Februar beschert!

Gefolgt von abgerissenen Hemden

Den blauen hellen Dunst verpafft,

Gleich feierlichen Fremden, Fremden

Gehn wir dahin durch unsre Stadt.

Und wessen sanfte Hände rührten

Die Wimpern dir, du Schönheit – und

Seit wann, schon oft? und wer wohl küsste

Dir deine Lippen, deinen Mund?

Ich frage nicht. Mein Geist wie gierig

Hat diesen Traum besiegt in sich.

Den zehnjährigen Jungen lieb ich

In dir, den göttlichen! verehre ich.

Den Fluss entlang, dem bunten wirren

Glasperlenspiel der Lichter nah,

Will ich dich nun zum Platz hinführen

Der schon die Knabenzaren sah …

Den jungenhaften Schmerz – für immer

Hinaus, das Herz zur Hand, nun geh

Mein Kaltblut du, mein Ungestümer,

Mein Freigelassener – ade!

18. Februar 1916

4

Woher nur solche Zärtlichkeit?

Die ersten sind’s nicht, die Locken

Die ich dir streichle, auch Lippen

Hab ich schon dunklere gekannt.

Gehen auf und verlöschen Sterne,

Woher nur solche Zärtlichkeit?

Gehen auf und verlöschen Augen

Ganz nah mir an den meinen.

Hab so viele andere Hymnen schon

Gehört in den dunklen Nächten,

Getraut – vor Zärtlichkeit! –

An ihn, an den Sänger geschmiegt.

Woher nur solche Zärtlichkeit?

Und was mit ihr tun, du Junge

Und Schelm, hergereister Sänger

Mit Wimpern die’s länger nicht gibt.

18. Februar 1916

5

Zerflogen zu silbernen Scherben

Der Spiegel und in ihm – der Blick.

Schwäne, o meine Schwäne

Sie fliegen nach Hause zurück!

Aus wolkiger Höhe eine Feder

Die still auf mich niederfällt.

Ich streute im Traum, alles gebend

Feines Silbergeld.

Ein silberner Ruf – sacht verklungen.

Befiehlt, dass ich silbern – sing!

Mein Nestling! Mein Schwanenjunges!

Fliegst du, wo fliegst du hin?

Ich gehe und sag es keinem

Nicht Mutter, nicht allen Verwandten.

Ich gehe und bet zu den heiligen

Knechten Gottes und seinen Gesandten

Um einen jungen Schwan.

1. März 1916

6

Unheil kommt von einer Frau. In der Hand

 

Steht dir, Jüngling, das Zeichen.

Die Augen gesenkt! Bete! Nie gebannt

In der Nacht wachen Feinde.

Das Himmelsgeschenk Lied – keine Frist,

Keine Rettung dir, deinen hochmütigsten Lippen.

Darum muss ich dich lieben

Weil du himmlisch bist.

Ach, dein zurückgeworfener Kopf,

Halboffene Augen – was? – verbergend,

Ach, zurückgeworfen einst dein Kopf

Von ganz anderen Schergen.

Mit nackten Händen packen sie dich – Starrkopf! Gehetzt!

Von deinem Schreien wird die Nacht weithin hallen!

Die Flügel in alle vier Winde – zerfetzt,

Lichtengel! Junger Adler!

17. März 1916

7

Es geschah, er war sonderbar krank

Und fiel in den süßesten Schrecken.

Steht da und schaut nur hinauf

Und sieht nicht Sterne noch Morgenröten

Der Knabe mit seinem scharfen Aug.

Er fällt in Schlaf – mit reißendem Schrei

Fliegen her zu ihm schwirrende Adler

Und führen herrlich um ihn Streit.

Der eine – Felsengebieter – zerzaust

Ihm die Locken mit seinem Schnabel.

Die dunklen Augen zu – er schläft

Den Mund noch halb geöffnet …

Und hört nicht die nächtlichen Gäste

Und sieht nicht: den goldäugigen Vogel

Seinen sehenden Schnabel schärfend.

20. März 1916

8

Seltsamer Bruder, nimm aus meiner Hand

Die Stadt, die nicht von Menschenhand entstand.

Vierzig mal vierzig Kirchen schenk ich dir

Und über jeder: Tauben, flatternd, wirr.

Nimm das Erlöser-Tor – mit Blumen – wo

Der Gläubige den Hut zieht seelenfroh.

Die Sternkapelle soll vor Asche schützen,

Ihr Boden abgewetzt – von all den Küssen!

Fünf Kathedralen – wundervoller Kreis –

Nimm an, uralter Freund du, göttlich-heiß.

Zur Unverhofften Freude ohne Hast

Führe ich meinen fremden, fremden Gast.

Die rötlichgoldnen Kuppeln geben Glanz,

Schlafloser Glocken lauter heller Tanz.

Von Purpurwolken lässt herab auf dich

Die Muttergottes ihren Schutz, ihr Licht,

Und du stehst auf voll Wunderkraft von neuem …

Dass du mich liebtest, wirst du nie bereuen.

31. März 1916

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