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Talente

Und jetzt sitze ich hier und schreibe ein Buch. Schon wieder etwas, was ich noch nie zuvor getan habe und von dem ich eigentlich dachte, dass ich es nicht kann. So ging es mir schon oft. Ich nehme neue Herausforderungen einfach an, in der Sicherheit und einem Schuss Hoffnung, dass mir schon gelingen wird, was ich da beginne.

Einmal nahm ich einen Job an, für den ich 2,50 m hohe Styroporskulpturen von Heine, Bismarck, Luther und Händel anfertigen musste. Ohne groß zu zögern, nahm ich den Auftrag an, um danach – als ich dann allein war – sofort in heftige Zweifel zu verfallen. Das zu erwartende Honorar, welches ich dringend benötigte, ging zu einem Großteil in die Anschaffung der notwendigen Werkzeuge. Zunächst überlegte ich, wie bekomme ich überhaupt vier Styroporquader von der Größe 150x150x250 in mein kleines Atelier? Glücklicherweise hatte ich vier Oberlichter mit einer entsprechenden Erhöhung des Raumes, sodass der Raum zwar dunkler wurde, aber die Quader wenigstens stehen konnten.

Als das Styropor im Raum stand und ich eine Kettensäge sowie die benötigten Messer gekauft hatte, begann ich mit riesigen Folien den Raum abzuschotten. Um eine Schleuse zu bauen. Denn Styroporkügelchen haben die nervtötende Angewohnheit, wie Pech an einem zu kleben. Ich besorgte mir dem Auftrag entsprechende Fotos der zu realisierenden Herren und startete die Kettensäge. Letztendlich war es einfach: Ich musste nur das wegschneiden, was nicht zu der Skulptur gehörte und die Figuren schälten sich wie von selbst aus den Styroporblöcken.

Was ich damit sagen will: Ich war Gott sei Dank immer mutig genug, mir unbekanntes Terrain zu begehen, die kommenden Herausforderungen anzupacken und meinen Gefühlen zu folgen. All diese Sprünge in kaltes Wasser waren immer von Erfolg gekrönt. Es zeigte sich, dass ich einfach Talent besitze. Viele Talente.

Schon in der Schule war klar, dass mein Können nicht in der sportlichen Bewegung oder dem Auswendiglernen von irgendwelchen Daten oder Pseudotatsachen lag, sondern eher in den ruhigen, handwerklichen Tätigkeiten. Und eben vor allem in den künstlerischen Bereichen. Ich fing an, mir selbst das Zeichnen beizubringen, indem ich meine Lieblingsfiguren aus den Comics abzeichnete und die Wand über meinem Bett zu meiner ersten Ausstellungsfläche bestimmte.

Überhaupt war das Zeichnen meine Art mit den hereinstürzenden Überraschungen eines jungen Menschenlebens umzugehen. Auch die aufkeimende Geschlechterdefinition versuchte ich mittels anatomischer Studien zeichnerisch zu erforschen. Mangels entsprechender Vorlagen mussten weibliche Vorlagen, Wäsche– und Bikiniträgerinnen aus dem Ottokatalog Modell stehen. Was meinem Vater aber absolut nicht gefiel und er meine gesammelten Nackedeis im Ofen verbrannte. Aber das konnte mich ja nur »bestärken«.

Ich war eh schon immer in mich gekehrt und sonderte mich mehr und mehr ab. Mein Wunsch, beruflich »irgendwas mit Zeichnen« zu machen, erledigte sich mit der reprofotografischen Lehrstelle, auf die ich mich freute, die dann aber kurzfristig abgesagt wurde. Zur Schule zu gehen, kam nicht mehr in Frage: Ich hatte keine Lust mehr überflüssiges Zeug zu lernen und wollte Geld verdienen, irgendetwas anderes machen. So landete ich in der »anständigen« Ausbildung zum Polsterer. Der Einfluss meiner Mutter ließ mich glauben, dass ich auch da irgendwann einmal zeichnen könnte. Zu der Zeit hab ich alles geglaubt. Und so begann ich diese dreijährige Lehre.

Schon allein deswegen, weil mein Meister mich damals so behandelte, als sei ich der Bösewicht der Nation. Und das nur, weil ich gefärbte Haare, schrille Klamotten und Piercings in Ohr und Nase trug. Damals hießen die allerdings noch nicht so. Es gab auch keine entsprechenden Gerätschaften. Weswegen die riesige Ohrlochstanzpistole einfach in meine Nase gequetscht wurde, was mehr Schmerzen hervorrief, als das dadurch eingestanzte Loch.

Dabei war ich wie die meisten äußerlich Auffälligen ein eher ruhiges Wesen. Kein laut herumbrüllender, furzender oder um mich schlagender Proll – wie einige meiner Arbeitskollegen, deren Untaten stets mir in die Schuhe geschoben wurden –, sondern einfach nur anders als die anderen. Vielleicht sogar sensibler.

Durch die viele Arbeit und das Ausleben meiner neuen Freiheit, die durch mein zum Chopper gestylten Mofa ermöglicht wurde, vergaß ich einige Zeit lang mein künstlerisches Talent. Bis ich unzufrieden wurde und wieder mit dem Zeichnen und Malen begann. Ich eignete mir die Kunst mit der Airbrushpistole zu arbeiten an und bemalte Motorradtanks, Helme, Autos. Einfach alles, was sich so anbot. Selbst unsere Mülltonnen waren zum Schrecken meines Vaters bebuntet.

Ich arbeitete generell ohne Atemschutz, was mir jahrelanges Versagen des Geruchsinns einbrachte. Aber es machte unglaublich viel Spaß. So wurde der alte Wunsch mit meinem zeichnerischen Können auch Geld verdienen zu können, wieder bestärkt. Zumal ich schon für das Bemalen der Fahrzeuge ein bisschen Kleingeld erhalten hatte. Aber noch befand ich mich emotional in einer tiefen Falle, sodass ich immer noch das tat, was aus meinem familiären Umfeld und von meinen Ausbildern und Lehrern »empfohlen« wurde.

Das änderte sich erst, nachdem ich bei der Bundeswehr war.

Diese unfassbare, äußerst suspekte Geschichte erzähle ich vielleicht später. Jetzt mag es genügen, dass ich während dieser Zeit nur Zeichnungen von besoffenen Soldaten, Porträts irgendwelcher Damen, die Bemalung des Kompaniegebäudes und Milliarden von Urkunden für irgendwelche Obersthauptfeldwebelentlassungsodergeburtstagsgrüße zeichnete. Das pure daumendrehende Absitzen von Zeit. Mit viel Zeit nachzudenken.

Letztlich waren diese verschenkten Jahre nicht überflüssig. Denn danach beschloss ich, nie mehr etwas zu tun, das ich nicht wirklich wollte. Und das hab ich seitdem durchgezogen.

Und seitdem ging es mir immer besser. Ich hatte endlich begonnen mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Mit einem ersten Sprung ins kalte Wasser zog ich nach Pforzheim. Um dort an der Fachhochschule für Gestaltung Modedesign zu studieren. Was mangels Fachhochschulreife ja eigentlich nicht möglich war. Aber mein zeichnerisches Talent schenkte mir die Begabtenprüfung, wodurch mir die Aufnahme zum Studium gelang. Tja, wenn man was wirklich will, dann klappt es auch!

Und schließlich verdiene ich doch Geld mit meinem Talent. Obwohl meine Eltern und Lehrer immer meinten: »Lern du was Anständiges! Zeichnen kann man immer noch als Hobby machen.« Aber von Hobbys halte ich nicht viel. Denn das impliziert, dass ich die meiste Zeit etwas mache, was mir nicht gefällt. Und um diesen Frust zu kompensieren, suche ich mir dann ein hobbyartig ausuferndes Betätigungsfeld, um nicht ganz durchzudrehen.

Ich will aber genauso leben, wie ich es mir vorstelle. Und zwar täglich und ohne Kompromisse. Dank meiner Talente gelingt mir dies auch. Wobei Kinder natürlich eine gewisse Einschränkung dieser Lebensweise erfordern. Aber da ich mich bewusst für die Kinder entschieden habe, entspricht diese Veränderung ja wiederum meinem Wollen.

Talente ... Das Leben wäre einfacher, wenn ich nur dies eine Talent hätte. Aber in seiner Gnade schenkte mir Gott eine Menge an Talenten. Was mein Leben nicht unbedingt erleichtert. Denn welches soll ich zum Beruf erwählen?

Durch die Anregung meiner Lehrer – um mich aus meiner kindlichen Isolation zu holen – steckten mich meine Eltern in verschiedene Vereine. Da war natürlich zuerst der dörfliche Fußballverein. Toll. Ich war damals schwerstens übergewichtig. Was zu besonders lustigen Momenten führte – für die anderen. Es muss wirklich brüllend komisch gewesen sein, wenn ich als dicker Brillenträger mit schwerem Körper wabbelnd und fetthüpfend einem Ball hinterherjagen musste. Hölle.

Am schlimmsten war das anfängliche Aufwärmgerenne. In den Wald und in großem Bogen zurück zum Sportplatz. Meist warf ich mich schon nach wenigen Schritten auf den Rasen am Wegrand und wartete heftig atmend auf die Rückkehr der restlichen Truppe. Ich weiß nicht mehr, wie lang ich in dem Verein weilte, aber bestimmt keine zwei Monate. Danach gab es Handballverein, Turnverein und bestimmt noch irgendwas, was ich nicht mehr weiß ...

Immerhin hab ich dem Turnen eine nette Narbe an meinem Kinn zu verdanken.

Wie immer hechelte ich beim Schulsport der joggenden Meute hinterher. Ich war brillenlos, weil diese durch mein intensives Schwitzen von der Nase fallen konnte. So sah ich den fetten Knoten des Kletterseiles nicht auf mich zukommen, den ein Kind aus einer nicht nachvollziehbaren Laune heraus in fliegende Bewegung gebracht hatte. Durch die vom Rennen verstärkte Kraft schwang das Seil mit hoher Geschwindigkeit zurück. Und mir voll in die Fresse: Womm.

Da ich mit recht scharfen Eckzähnen bewaffnet bin, schaute danach der rechte Hauer durch die Unterlippe heraus. Loch eins.

Wie man sieht, war und bin ich nicht des Sportes großer Freund.

Auch das Schwimmen konnte mich nicht begeistern. Ich denke das liegt einerseits am tollen Schwimmtraining meines Onkels, der sich uns Kinder gern mal schnappte, um uns ins Freibad zu begleiten. Merkwürdigerweise kümmerte er sich hauptsächlich um meine gerade in weibliche Proportionen sprießende Cousinen.

Die einfachste Methode das Schwimmen zu lernen ist ja bekannterweise die Variante, in welcher das mit einem natürlichen Schwimmring ausgestattete Kind auf eine Rutsche gesetzt wird, um dann im Wasser unten aufgefangen zu werden.

Auf jeden Fall glaubt das vertrauensvolle Kind das. Aber nur so lang, bis es unter Gejapse und mit viel Wasser in Auge, Nase, Mund und Ohren wieder endlich zu Luft kommt. Um verschwommen den sich vor Lachen den Kugelbauch haltenden »Schwimmlehrer« zu sehen. Bei mir hatte diese Variante des Schwimmtrainings einen umgekehrten Erfolg. Fortan lag ich auf meinem nicht gerade schmalen Bauch und beobachtete ebenfalls die aufkeimende Weiblichkeit um mich herum.

 

Ein weiterer Grund, ungern schwimmen zu gehen, war meine Scham. Diesen dicken, schwabbelnden Körper in Badehose der Gemeinde zu zeigen, erforderte zu viel Mut. Sport war einfach nichts für mich.

So kam es, dass das Einzige, was noch zum zwangsweise Geselligwerden blieb, ein Tanzkurs war. Die letzte Möglichkeit den verschlossenen Sohn gruppentauglich zu machen.

Zufällig war dies kurz nach einer vom Arzt kontrollierten Diät und meinem erstaunlich schnellen parallelen pubertätsbedingten Wachstum. Was mich zwar nicht leichter, aber anders proportionierter machte. Diese Veränderung meines Körpers in einen normal schlanken Jüngling verlief aber nur äußerlich. Den Gedanken des Dickseins hab ich erst vor fünf Jahren loslassen können. Zeitgleich zur Einführung in die Tanzwelt wurde ich fünfzehn. Und mit dem Geschenk eines Mofas kam die oben erwähnte Erstbefreiung meinerseits.

Kurzum: Der Tanzkurs war der volle Erfolg. Ich hatte vorher nie einen Gedanken an das Bewegen meines Körpers zur Musik in Betracht gezogen, obwohl ich natürlich intensiv die gängige Musik von damals hörte, insbesondere die der Beatles. Es gab damals ja zwei unterschiedlichen Fan–Lager: Entweder gehörte man zum Lager der Beatles oder zu dem der Rolling Stones. Ich denke, der Unterschied liegt sicher nicht nur in der Art der Musik, sondern auch und vor allem in dem, was dahinter verborgen mitschwingt.

Betrachte ich mir die Texte der Beatles, vor allem in der späteren Schaffensphase, füllt sich mein Herz mit viel Gefühl und Liebe. Die Texte beschreiben ganz klar den Bewusstwerdungsprozess, den die meisten Menschen zu diesen Zeiten durchmachten.

Auch die heutigen Liedertexte sind klar in ihrer Ausrichtung. Es geht bei bestimmten Gruppen nicht mehr um oberflächliche Liebesgeplänkel oder Alltäglichkeiten, sondern um das neue Definieren des Menschen als bewusstes und spirituelles Wesen. Oder die Texte beschreiben den hilfesuchenden Schrei. Die Verzweiflung auf der Suche nach dem wahren Ich, was ja letztlich auch das Ursprüngliche, das Gott–Sein beinhaltet.

Kurzum, wir befinden uns in einer hochspirituellen Phase in der Musikgeschichte. Dabei ist es völlig unwichtig, welcher Musikrichtung die Gruppe angehört. Es ist nur wichtig, dass viele Menschen die Texte mitgrölen, denn nur so schaffen wir ein neues Feld von Gruppenbewusstsein. Ständig wiederholte Sätze und Gedanken haben die Angewohnheit sich zu realisieren. Wenn ich viele negative Gedanken in mir trage, realisieren sich diese. Bin ich mit meinen Gedanken in einer befreienden, positiven Grundstimmung, erlebe ich positive Ereignisse als meine Wirklichkeit. Und ich spreche hier nicht von oberflächlichem positiven Denken, das nur wie Tünche über der wirklichkeitsbildenden, negativen Gedankenschicht klebt. Und so kann die Musik, die wir täglich hören, zu einer großen Veränderung beitragen. Denn durch die genialen Texte vieler Bands heutzutage ist das eine nicht zu verachtende Unterstützung unserer Bewusstseinsevolution.

Und das fing meines Erachtens eben schon mit den Beatles an, die meine absolute Lieblingsband war. Ich hörte zwar auch ABBA, aber eher wegen der beiden Mädels und die damals aktuellen Gruppen: ELO, Manfred Manns Earth Band etc. ...

Aber das Tanzen war mir eher fremd. Und als ich das erste mal ein Mädchen zum Tanzen auffordern musste, wollte ich eher schnell im Boden versinken und den Saal schleunigst wieder verlassen. Doch dann geschah ein Wunder. Das Tanzen befreite mich irgendwie. Es löste mich auf. Ich verlor mich vollkommen in der Musik, wenn ich den Rhythmus und die Akkorde in körperliche Bewegung umsetzte. Das Tanzen brachte neue Gedanken und Gefühle in mir hervor.

Nach den Standard–Stunden war freies Tanzen angesagt, damals ja auch recht neu – Let´s go disco.

Ich weiß noch, wie ich zu Anfang überhaupt nicht mehr wusste, was ich denn tun sollte. War ich doch gewohnt, alles gesagt zu bekommen. Jeder Gedanke war fremdbestimmt, vorgegeben, eingepflanzt. Ich war ein mir selbst fremdes Wesen, das seinen wahres Sein vergessen hatte. Nur war mir dies nicht bewusst. Ich war eben so wie ich war: unsicher, unwissend, fremd. Und plötzlich sollte ich mich alleine bewegen, ohne vorgegebene Schritte und so. Allein entscheiden, allein handeln. Aus mir heraus!

Ich tat es. Und löste damit eine erste Revolution in mir aus. Fortan war das Tanzen neben dem Zeichnen mein Ein und Alles. Ich denke, dass ich seit meinem fünfzehnten Lebensjahr so gut wie jede Woche exzessiv abtanzen war. Ich hab alles mitgenommen, alle erdenklichen Standardtänze, Rock ‘n’ Roll, Swing, Stepptanzen und schließlich bis zu meinem Pseudomilitärdienst auch Ballett.

Als ich nach der Bundeswehr beschloss meinen absolut eigenen Weg zu gehen, bewarb ich mich auch an einer Ballettschule, doch war ich damals schon zu alt für ein Tanzstudium. Heute bin ich froh darüber. Denn der Weg, den ich gegangen bin, ist genau richtig so gewesen. Und das Tanzen blieb mir ja dennoch erhalten.

Mein Musikgeschmack hat sich immer wieder sehr gewandelt. Ich lebte ja auch in einer extremen, schnelllebigen und faszinierenden Zeit: Punk, Wave, Ska, Funk, Soul, Rockabilly oder alternative Rock ... Aber leider wurde in den Tanzhallen, in denen ich meine Abende verbrachte, selten die Musik gespielt, die ich am liebsten hörte.

Ich bin nicht fixiert auf eine bestimmte Musikrichtung. Aber ich muss beim Tanzen die Gefühle der Musiker spüren. Dabei ist es nicht wichtig, welcher Art diese Gefühle sind, denn ich will alle ausleben und austanzen. Und da in mir die gesamte Bandbreite aller Emotionen vorhanden ist – so, wie bei allen anderen auch –, kann ich mich völlig auf jede Musik einlassen (außer Techno). Die Gefühle, die ich durch die Musik in mir hochkommen lasse, lebe ich durch das exzessive Tanzen wieder aus. Ich befreie mich also durch das Tanzen von all den Gefühlen, die unterdrückt in mir auf Befreiung warteten. Das macht nicht nur unglaublichen Spaß, sondern hilft mir auch frei zu sein. Denn viele der menschlichen Probleme entstammen den unterdrückten Gefühlen. Wenn ich diese aktivieren und »raus« lasse, können sie nicht in mir klebend mein Denken und Handlen vergiften. In diesem Zusammenhang ist es sehr interessant, wie sehr sich meine Lieblingsmusik gewandelt hatte. Es gab Zeiten, da ging ich voll auf aggressive Musik ab: Ich hab meinen Körper in schnellster Ekstase dem hämmernden Beat und wutschreienden Gitarrenriffs hingegeben. Um eben diese in mir explodieren wollende Wutgefühle zu befreien. In einer anderen Zeit gehörte das verzweifelte Leiden von The Cure zu meiner Lieblingsabtanzmusik. Ein ander mal liebte ich die einfache Freude und Lebenslust von Funk oder schnellen Rockabillysongs. Durch die Musik kann ich nicht nur das Wunder meines Körpers spüren und mich völlig austoben – es hilft mir auch, meine Gefühle zu reinigen. Wundervoll!

Das Prozedere meiner Tanzaktionen ist immer gleich. Ich beschäftige mich irgendwie, bis endlich die Zeit gekommen ist, in den Club oder die Tanzhalle zu gehen. Was ja oft erst gegen 24:00 Uhr angesagt ist. Meist bin ich einer der Ersten, die dann dort auftauchen. Ich stelle mich in eine dunklen Ecke und beobachte die Leute, falls da welche sind, hänge meinen Gedanken nach, und falle so langsam in die Musik. Die Gedanken werden immer blasser, leichter und verschwinden so nach und nach. Es existieren dann nur noch die Bilder, die meine Augen aufnehmen und das Wummern der Musik, die mein Wesen einnimmt. Gleichzeitig beginnt mein Körper zur Musik zu zucken. Einfach so, als ob er ein Eigenleben hätte. Wenn dann das richtige Musikstück kommt, ziehe ich meine Jacke aus, stelle mein Wasser in die Nähe meines Tanzplatzes und begebe mich auf die noch recht leere Tanzfläche. Meistens gehöre ich zu den Ersten oder bin überhaupt der Erste, der sich auf die bunt bestrahlte Tanzfläche wagt. Da zeigt sich eine irritierende Diskrepanz. Denn im Scheinwerferlicht zu stehen, war früher bestimmt nicht mein Fall. Zu unsicher war ich. Zu zurückhaltend. Und beim Tanzen beobachtet zu werden ist mir anfangs eher unangenehm. Auf der anderen Seite genieß ich die Aufmerksamkeit. Sonst hätte ich auch nie auffällige Klamotten getragen, merkwürdige Frisuren gezeigt oder bunte Autos gefahren. Und gerade beim Tanzen spüre ich, wie mehr Energie durch meinen Körper fließt, wenn ich Blicke von beobachtenden Menschen wahrnehme. Am liebsten ist mir natürlich, wenn Frauen schauen. Dann beginne ich meine Vorstellung zu genießen, denn ich weiß, dass meine Bewegungen ziemlich außergewöhnlich sind. Wobei es mir nie um Bestätigung geht, sondern tatsächlich um meine eigene Art und Weise in die Musik abzutauchen. Ich hab dann ja auch immer die Augen geschlossen ...

Der erste Schritt ist zwar immer noch merkwürdig, aber in dem Augenblick, in dem ich die Tanzfläche betrete, bin ich in einer anderen Welt. Ich schließe die Augen. Der Raum verändert sich. Die Musik wird zu Wellen, die meinen Körper umschweben. Die Worte formen sich zu Schwingungen, in denen ich fliegen kann. Die Instrumente, die sich aus den Wellen herausschälen, übernehmen Teile meines Körpers und beginnen ihn zu bewegen. Jedes Instrument, jeder Beat, jede Harmonie, jeder Paukenschlag erzeugt eine Bewegung, die ich nicht mehr steuern kann. Und nicht mehr steuern will. Ich schalte mein Bewusstsein aus und falle in die Musik, tiefer und tiefer, bis ich meinen Körper nicht mehr spüre. Es existiert nur noch die Freude meiner Zellen, die sich an der Musik berauschen. Die Schnelligkeit meiner Beine, die durch den Rhythmus bewegt werden. Das Schwingen, Rudern, Ziehen und Strecken meiner Arme, welche die musikalische Freiheit visuell untermalen. Die Bewegung meiner Hände und Finger, passend zu den angestimmten Akkorden.

Die Unterschiedlichkeit der Musikstile bringt unterschiedliche Tanzformen hervor. Es ist, als bewege sich mein Körper nur, um der Musik einen Ausdruck zu geben, ein wahres Dahinfließen und Dahinschweben. Ich erreiche je nach Musikstil für mich selbst unbegreifliche Geschwindigkeiten. Meine Beine scheinen nicht mehr den Kontakt zum Boden zu benötigen, das Gefühl eigentlich eher zu schweben bemächtigt sich meiner. Nach ziemlich genau zwei Stunden spüre ich, dass mein Körper an seine Kraftreserven kommt und langsam steige ich aus. Kaum stehe ich dann in einer dunklen Ecke, um einigermaßen trocken zu werden, ist mein Herz wieder so ruhig, als hätte ich die ganze Zeit meditiert. Und nicht im Grenzbereich des körperlich Möglichen jede Faser meines Körpers tanzen lassen. Tanzen ist mein Leben, mein Glück, meine Trauer, meine Freude, meine Freiheit, das pure Sein.

Ich durfte in den Momenten auf der Tanzfläche Gefühle erleben, die so großartig waren, dass ich sie nicht beschreiben kann. Durch die emotionsgeladene Musik befreie ich alle Gefühle, die in mir gelebt sein wollen. Ich gebe mich der Musik hin, gebe mich den darin verborgenen Emotionen hin und erlebe diese in mir. Drücke sie aus durch meine Bewegung, durch mein Sein. Und reinige und heile mich dadurch.

Natürlich bin ich nicht immer in dieser extremen Losgelöstheit. Es gibt auch Momente, in denen ich nicht abschalten kann. Dann spüre ich genau, dass die Kraft meines Tanzes nicht aus der großartigen Fülle des ewigen Energiestromes kommt, sondern kopflastiger und dreidimensional bewegt ist, was mich schneller ermüden lässt. Aber manchmal schaffen es auch die Frauen um mich herum, mich aus dem Konzept zu bringen. Es ist erstaunlich, wie viele sexuelle Energien beim Tanzen ausgesandt werden und durch die Luft schweben. Energien, die aus den unteren Chakrenbereichen fließen, aber auch andere Gefühle. Öffne ich meine Augen, sehe ich ein ganzes Kaleidoskop von Gefühlen und Zuständen. Unsicherheit vor allem, aber auch hilferufende Wesen voller Verzweiflung oder benebelte Individuen, die nicht mehr Herr ihrer selbst sind. Gesteuert von dunklen, Angst erfüllenden Schatten. Wesen, die sich von anderen nähren. Aber auch Freude, Lebenslust, Spaß und Ungestümheit. Und immer wieder die Angst, sich völlig dem Fluss überwältigenden Loslassens hinzugeben.

Und so zähle ich Tanzen ebenfalls zu meinen ausgesprochen gut entwickelten Talenten.

Aber da sind noch mehr. Es gibt kein Fahrzeug, das ich nicht fahren könnte. Und ich bin ein guter Fahrer: ob Auto, Motorrad, Transporter oder was auch sonst. Zugegeben, in den ersten Jahren meiner Motorradzeit waren meine Schutzengel vollauf beschäftigt. Ich denke, dass ich bestimmt vier oder fünf verschlissen hab. Gott – hatte ich ein Glück.

Beim Fahren gelingt es mir, die perfekte Kurvenlinie zu finden. Und mich ihr hinzugeben. Genauso spüre ich die Proportionen meines Autos. Ich weiß genau, wie breit es ist und es fühlt sich an, als ob meine Amazone ein Teil meines Körpers wäre. So kann ich, ohne zu denken, zwischen den engsten Objekten hindurchfahren. Einfach, weil ich genau spüre, dass es passt. Wenn es zu eng wird, fühle ich das rechtzeitig. Es kam sogar schon vor, dass ich – kurz abgelenkt – beim Fahren wegsah, dann aber aus mir selbst unerfindlichen Gründen in die Bremsen stieg. Um dann erst nach vorne zu sehen und wahrzunehmen, dass das Bremsen eine mehr als gute Idee gewesen war. Kurzum: Ich fühle es einfach, wie meine Fahrzeuge sich bewegen müssen.

 

Während meiner Ausbildung zum Polsterer lernte ich das Nähen von Kissen und Bezügen. Einfache Arbeiten, die mich aber inspirierten, meine Klamotten selbst zu nähen. In Ermangelung interessanter Kleidungsangebote begann ich damals Secondhand–Outfits umzunähen, um sie spannender zu gestalten. Denn es gab und gibt immer noch keine wirklich gute Kleidung für Männer. Und schon gar nicht, wenn man etwas außergewöhnliches tragen möchte. So gelang es mir bald, jede Form, die ich für Jacke, Hose oder Hemd entwarf, schnitttechnisch zu realisieren. Auch die extremsten Formen. Ich wusste einfach, wie die Hülle einer dreidimensionalen Form zweidimensional aussehen muss. Dieses Können wollte ausgetestet und ausgelebt sein, was zu einer recht extravaganten Bekleidung führte, die ich damals auch zu tragen wagte.

Mein inneres Andersseingefühl präsentierte sich in der äußeren Form durch eine recht extravagante Auswahl meiner Kleidung. Eine Zeit lang lief ich sogar in Männerröcken herum. Aber nicht die schottisch angehauchte Faltenrockvariante, sondern wirklich männlich anmutende Kleidungsstücke. Ich entwarf die schrillsten Klamotten. Einerseits um auszutesten, wie ob ich den Schnitt hinbekäme, andererseits um mich selbst ins Rampenlicht zu stellen. Obwohl ich dann die extremsten Kreationen nur selten trug. Manche sogar nie. Dabei war ich stets darauf bedacht, so perfekt wie möglich zu arbeiten.

Genauso verhielt es sich mit den Bühnenbauten, die ich später entwarf. Ich habe das sichere Gefühl, wie eine dreidimensionale Figur zweidimensional im Schnitt aussehen muss. Ebenso Statik: es liegt mir einfach im Blut. Ich weiß genau, wann eine Kurve zu extrem ist, wann etwas zu schwach, zu stark, zu krumm, zu unpassend ist. Ich spüre förmlich die Spannung einer Form und wie sie sich ihrer Natur gemäß am liebsten entfalten würde. Oder wie sie kränkelt und in sich zusammenfällt, wenn sie erzwungen oder gebändigt wird.

Bei all diesen Fähigkeiten wusste ich nie, welchem Talent ich beruflich folgen sollte. Es war mir einfach zu einseitig, zu langweilig, immer nur eine Sache zu machen, einem Talent zu folgen. Mein Bestreben ist Abwechslung. Ich brauche Veränderung. Durch meine Vielseitigkeit war es nicht einfach im freiberuflichen Dasein Fuß zu fassen. Die meisten Auftraggeber verlangen Spezialisten. Wahrscheinlich hat meine Vielseitigkeit, die ich auch immer ausgelebt habe, einige Jobgeber verschreckt. Vielleicht konnten sie sich nicht vorstellen, dass ein Mensch auf so vielen unterschiedlichen Arbeitsgebieten gut sein kann.

Aber das ist ohne weiteres möglich. Und im Gegenteil: Ich lernte, wie das eine Talent das andere unterstützen und ergänzen kann. Zudem stellte ich fest, dass die grundlegende Herangehensweise meiner unterschiedlichen Arbeitsbereiche absolut gleich ist. Nur die Verwirklichungsebene erscheint unterschiedlich.

Und so lebe ich ein kleines Nischendasein, unterstützt von einigen wenigen, die meine Professionalität und Einfühlungsvermögen, verwurzelt in einem Meer aus Kreativität, zu schätzen wissen. Die große Karriere ist scheinbar nicht machbar. Aber vielleicht will ich das auch gar nicht!

Dass ich kein Megaerfolg mit meiner Kunst habe, stört mich gar nicht. Denn ich bin zufrieden mit meinem Dasein. Ich weiß, dass der finanzielle Fluss immer gewährleistet ist, und mir ist es wichtiger Zeit, Ruhe und Spaß zu haben. Und mich weiter zu entwickeln.

Nachdem ich meine Kreativität auf jede erdenkliche Art und Weise ausgetestet und verwirklicht hatte, entwickelte sich durch die wundervoll geführte Suche nach meinem wahren Selbst eine neue Fähigkeit. Im Laufe meiner spirituellen und energetischen Forschungen konnte ich Energien und Strukturen jenseits der Dreidimensionalität wahrnehmen und verändern. Ich lernte tief in der Welten–Matrix zu arbeiten, um dort wahrzunehmen was kaputt, falsch oder blockiert war. Und um diese Verletzungen in den Energiekörpern zu verändern. Zu transformieren. Zu heilen.

Auch in diesem Bereich war es mir erstaunlich leicht gefallen, die Energien wahrzunehmen und entsprechend zu verändern. Diese neu entwickelte – oder wieder erinnerte – Kraft torpedierte meine berufliche Laufbahn erheblich, da ich plötzlich gar nicht mehr wusste, auf welchem Gebiet ich nun arbeiten sollte/wollte. Das geliebte künstlerische, spaßige Erschaffen neuer Welten von Äußerlichkeiten oder die heilende, tiefgründige Energiearbeit, eine Erneuerung der inneren Welten?

All die Talente, die sich so entgegengesetzt gezeigt hatten, die mich hin und hergerissen haben, brachten mich manchmal an den Rand der Verzweiflung. Eigentlich wollte ich alles gleichzeitig leben, aber in einer Welt einseitig ausgerichteter Zieloptimierung schien es keine finanziell ausreichende Möglichkeit dafür zu geben. Die innere Zerrissenheit, welchem Talent ich folgen sollte, wirkte sich nach außen hin so aus, dass ich in keinem Bereich richtig Fuß fassen konnte. Was die Ernährung meiner Familie immer schwieriger gestaltete.

Alle Unsicherheiten begannen sich aufzulösen, als ich erkannte, dass ich nicht viele unterschiedliche Talente hatte, sondern eigentlich nur ein einziges: Das eine Talent – ganz in der Tiefe meines Seins – ist das Wahrnehmen von Energien und deren Umsetzung in andere Zustände. All die augenscheinlichen Fähigkeiten, das Zeichnen, das Tanzen, das Fühlen von Formen und Linien, meine Empathie und Sensibilität, sind nur äußere Erscheinungen der einen, dahinterliegenden Kraft. Welche aus der Tiefe meines ureigenen Seins in mein irdisches Leben fließt. So wie jede andere dreidimensionale Erscheinung nur ein »Erscheinung« ist, die eine tiefer liegende Idee oder Kraft anzeigt.

Kurzum: Ich weiß einfach, wie Energien fließen und wie sie beherrschbar sind. Ich weiß um die Dynamiken und Möglichkeiten des Erschaffenes und Schöpfens. Das ursächliche Talent meiner Fähigkeiten liegt darin, fließende Formen und Schwingungen wahrzunehmen und in andere Erfahrungsebenen zu übersetzen. Ich fühle Schwingung, Energie oder Wesenheiten und mache sie sichtbar. Alle meine Talente sind eigentlich nur eines.

Diese Erkenntnis veränderte mein Bestreben die verschiedenen Talente auch beruflich ausleben zu wollen aufs Gründlichste. Durch das Loslassen der Kontrolle, wie welche Fähigkeit wann und auf welche Weise mir Spaß und Geld bringen sollte, öffnete sich eine neue Welt voller Wunder und fantastischer »Zufälle«.

Ich fließe auf der Welle meines Könnens. Jeden Tag eine andere Möglichkeit ausschöpfend, ohne bewusstes Kontrollieren. Und seitdem erfahre ich erst wirklich, was Spaß und Vielfalt heißt. Die mir so wichtige Abwechslung kommt immer genau dann, wenn ich es brauche. Wenn ich schon lange nicht mehr gezeichnet habe, kommt ein entsprechender Auftrag. Vermisse ich das energetische Arbeiten, kommt ein Klient zu mir, der meine Hilfe braucht. Und perfekt ist es, wenn ich Seelenbilder malen soll. Da kann ich meine Wahrnehmung der Energien und mein Talent mit Seelen zu sprechen mit meiner kreativen Ader vereinen. Die wahrgenommenen Informationen in bildhafte Form zu illustrieren, erfüllt mich über alle Maßen. All meine Wünsche in einem Job. Solche Aufträge genieße ich sehr.