Diversity-Management als Dimension kirchlicher Personalentwicklung

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2 Vgl. hierzu exemplarisch der Diskurs zur Sinus-Kirchenstudie in: Lebendige Seelsorge 57 (4/2006), „Kirche in (aus) Milieus“, darin u.a. Sellmann, M., Milieuverengung als Gottesverengung, S. 284-289.

3 Vgl. zum Milieuspektrum der Seelsorgenden: Stelzer, M., Wie lernen Seelsorger? Milieuspezifische Weiterbildung als strategisches Instrument kirchlicher Personalentwicklung (Angewandte Pastoralforschung 1), Würzburg 2014, S. 151ff..

4 Vgl. hierzu und im Folgenden: Bucher, R., Die Gemeinde nach dem Scheitern der Gemeindetheologie. Perspektiven einer zentralen Sozialform der Kirche, in: Sellmann, M. (Hg.), Gemeinde ohne Zukunft? Theologische Debatten und praktische Modelle, Freiburg i.Br. 2013, S. 19-54.

5 Vgl. Bucher, ebd, S. 22.

6 Vgl. hierzu: Köster, N., Kampf gegen die Säkularisierung. Weltkriegserfahrung und Pastoral bei Bischof Michael Keller (1896-1961). Unveröffentlichtes Manuskript zur Antrittsvorlesung als Privatdozent an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster am 15. Januar 2015; sowie: Köster, N., Der lange Schatten. Kriegsenkel als Seelsorgerinnen und Seelsorger, in: Herder-Korrespondenz 70 (6/2016), S. 23-26.

7 vgl. Köster, N. Kampf gegen die Säkularisierung, Abschnitt 6.4.

8 Vgl. Höhn, H.-J., Fremde Heimat Kirche. Glauben in der Welt von heute, Freiburg, i.Br. 2012, S. 47-54, S. 50.

9 Federführender Autor des Hauptdokuments „Unsere Hoffnung“ war Johann Baptist Metz.

10 Jacobs, C. (u.a.), Überraschend zufrieden bei knappen Ressourcen. Ergebnisse der deutschen Seelsorgestudie, in: Herder-Korrespondenz 69 (6/2015) S. 294-298, hier: S. 295.

11 Vgl. ebd.

12 Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bochumer Zentrum für angewandte Pastoralforschung hat über 100 Pastoralpläne einer deutschen Diözese systematisch gelesen und analysiert. Auf meine Anfrage, wie viele Pläne denn auf genau diese Sozialform hinarbeiten, sagte sie, dass nahezu ausschließlich alle Pläne dies täten.

13 Vgl. Jacobs, C., Warum sie „anders“ werden. Vorboten einer neuen Generation von Seelsorgern, in: Diakonia 41 (2010) S. 313-322, hier: S. 314.

14 Vgl. Hobelsberger, H., Jugendpastoral des Engagements. Eine praktisch-theologische Reflexion und Konzeption des sozialen Handelns Jugendlicher (SThPS 67), Würzburg 2006, S. 152-162. Hobelsberger bezieht sich vor allem auf die Aussage im Glaubensbekenntnis von Nizäa/Konstantinopel „Für uns, und zu unserem Heil ist Gott Mensch geworden“.

15 Diese beiden Variablen erwiesen sich als äußerst bedeutsam mit Blick auf die Lebenszufriedenheit und das Kohärenzgefühl von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, vgl. Jacobs, C., Überraschend zufrieden, S. 295.

Rolle – Amt – Lebensstil. Konfigurationen von Diversität im Berufsfeld katholischer Seelsorgerinnen und Seelsorger. Eine Bestandsaufnahme

Abstract: Im gegenwärtigen Kulturwandel der katholischen Kirche im deutschsprachigen Raum kommt der Professionsforschung als Grundlagenforschung für Personalentwicklung eine wichtige Aufgabe zu. Die Fragen und Herausforderungen zu kirchlicher Organisation, zur Wahrnehmung und Deutung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, zu Leitung, Partizipation und Teamarbeit, zur Entwicklung künftiger Visionen und Strategien seelsorglicher Arbeit, zum Umgang mit Ansprüchen und Belastungen in der Seelsorge, zu Themen und Lernweisen der beruflichen Weiterbildung, zu Kommunikation und Artikulation des Evangeliums und nicht zuletzt zu den individuellen Rollenverständnissen lassen sich in Bezug auf die Seelsorgenden aus mindestens drei Blickwinkeln betrachten: aus der Perspektive der beruflichen Rolle, des kirchlichen Amtsverständnisses (dem Bild von Kirche) und des milieutypischen Werteverständnisses (und die damit zusammenhängenden Strategien der individuellen Alltagsinszenierung und -ästhetik). Der vorliegende Beitrag bündelt zahlreiche Erkenntnisse unterschiedlichster Studien und versucht eine Art synoptische Übersicht zu Dienst und Leben, Amtsverständnis und Lebensstil von Seelsorgenden zusammenzustellen. Der Rückgriff auf diese unterschiedlichen Mindsets ist unverzichtbar, will man gegenwärtig und auf Zukunft hin neue pastorale Rollenbilder und Aufgabenprofile und damit pastorale Ausbildung konfigurieren.

Die pastoralsoziologische Forschung hat gezeigt, dass die drei in der Überschrift genannten Bereiche Rolle, Amt und Lebensstil in einer engen Wechselbeziehung zueinander stehen.1 Damit wird es möglich, aus unterschiedlichen Studienzusammenhängen die Grundcharakteristika der beruflichen Rollen darzustellen und aufzuschlüsseln. Das Gliederungsprinzip dieser Übersicht sind die sieben Themenfelder zur Kirchenentwicklung, die von Matthias Sellmann als unverzichtbar herausgestellt wurden: Organisation – Rezeption – Profession – Partizipation – Kommunikation - Artikulation – Innovation.2

Zum Verständnis ist wichtig: Die priesterlichen Rollen in der Selbst- und Fremdwahrnehmung und die damit korrespondierenden Lebensstile unterliegen zeit- und kirchengeschichtlichen Prägungen. Vor allem das Zweite Vatikanische Konzil ist hier ein Motor für die Anreicherung der ererbten Priesterrolle des Trienter Konzils (dem „Pastor bonus“), für die Aufteilung seelsorgelicher Aufgaben an weitere Berufsträger (Seelsorgehelferinnen, GemeindeassistentInnen, Pastoralreferenten, Ständige Diakone). Ein weiterer Motor für den Wandel der Priesterrolle ist der fortschreitende Priestermangel seit den 1970er Jahren. Paul Zulehner beschreibt diese Entwicklung wie folgt:

„Den Ausgangspunkt bildet das tridentinische Amtsbild vom Guten Hirten: Der Priester, der sich um die ihm anvertrauten Gläubigen seelsorglich sorgt (und sie dazu kennen muss) und ihnen für ihren Lebensweg die Sakramente reicht. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dieses herkömmliche Amtsbild angereichert. Neben der Verantwortung für die Sakramente wurde die Verkündigung des Wortes Gottes betont. Die Aufwertung der Laien fügte den Gemeindepriestern neue Aufgaben hinzu. Das Bild vom Priester, der Gemeinden gründet und leitet, wurde geprägt. Der Priestermangel wiederum formt die angereicherte Priesterrolle spürbar um: Jetzt verlagert sich der Schwerpunkt priesterlicher Aktivitäten von der Person auf die Organisation oftmals mehrerer Gemeinden. Der Priester wird zum Coach der vielen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden, verliert damit den Zugang zur Seelsorge bei den kleinen Leuten.“3


Abbildung 4: Amtstheologische Entwicklungen / Wandel der Priesterrolle seit dem Konzil (Quelle: Zulehner, Modernisierungsstress, Abb 8).

Der hier vorliegende Beitrag zeigt in tabellarischer Form eine Art Synopse dieser Wechselwirkungen. Die Tabelle beinhaltet die Erkenntnisse zahlreicher Studien. Der Übersichtlichkeit halber werden diese nicht einzeln vermerkt, sondern als Quellen am Ende des Dokuments aufgezählt.

Die nachfolgende Grafik fasst die Überlappungen der einzelnen Typologien zusammen. Die Zusammenhänge der Typologien sind signifikant.4


Abbildung 5: Empirische Verortung beruflicher Rollen und priesterlicher Amtsverständnisse im Lebensstilmodell der Sinus-Milieus 2001-2010; Quelle: eigene Berechnungen; Grafik: Sinus-Institut 2010.

Priester pflegen überwiegend einen konservativen Lebensstil (Sinus-Typologie) und inkorporieren die entsprechende Lebenslogik. Sie sind zudem vielfach zeitlose Kleriker (Zulehner-Typologie). Die wenigen Frauen (Pastoralreferentinnen) in diesem Milieu sind ebenfalls signifikant überrepräsentiert im Milieu der Konservativen. Pastoralreferenten und Diakone sind hier praktisch nicht anzutreffen.

Einige Priester sind Etablierte. Sie zeichnen sich eher durch das Amtsverständnis des zeitoffenen Gottesmannes (mit der Nähe zu Postmateriellen) oder des zeitnahen Kirchenmanns aus (eher Nähe zum konservativen Milieu).

Pastoralreferenten sind überwiegend dem Milieu der Postmateriellen zuzuordnen. Sie inkorporieren den Priestertyp des zeitgemäßen Gemeindeleiters.

Diakone sind vornehmlich dem Milieu der Traditionellen zuzuordnen. Dies entspricht hinsichtlich der sozialen Lage bzw. beruflichen Stellung vielfach dem jeweiligen Hauptberuf der Diakone (Mittelschicht / Untere Mittelschicht). Diakone sind ebenfalls zeigemäße Gemeindeleiter, werden sich vermutlich der individuellen Motivation von den Pastoralreferenten insofern unterscheiden, als dass sie „aus der Gemeinde – für die Gemeinde“ ihren Dienst tun bzw. sich zum diakonalen Amt berufen fühlen.

Ausbildung

Mit Blick auf pastorale Ausbildung ist es unumgänglich, die amtstheologischen Entwicklungen zu berücksichtigen, die sich nicht nur im räumlich-ästhetischen Programmen seelsorglicher Ausbildung (Gestalt der Priesterseminare, Laieninstitute) niederschlagen, sondern auch formal in gegenwärtig relevanten Themen und Formaten pastoraler Ausbildung. Zu berücksichtigen sind hierbei auch die offenen und verborgenen individuellen Amtsverständnisse, die darüber hinaus auch Denken und Handeln der für die Ausbildung verantwortlichen Akteure kennzeichnen. Das heißt: Neben der Frage, auf welche Leitidee von Kirche zukünftig ausgebildet werden soll (siehe Pilotbericht in diesem Band) ist die Frage wichtig, auf Basis welcher Amtsverständnisse bislang ausgebildet wurde, wie sich berufliche Rollen und Identitäten zukünftig weiter entwickeln im Zusammenhang mit pastoraler Ausbildung.

 










Literatur

Barz, H., Tippelt, R. (u.a.), Weiterbildung und Soziale Milieus in Deutschland, Bd. 1-3, Bielefeld 2003-2007 (Bd. 1: Praxishandbuch Milieumarketing, Bd. 2: Adressaten- und Milieuforschung zu Weiterbildungsverhalten und –interessen; Bd. 3: Milieumarketing implementieren).

Bucher, R., Nicht Selbstzweck. Pastorale Professionalität in der Transformationskrise der Kirche, in Herder-Korrespondenz spezial 1 (2009), S. 23-26.

Hennersperger, A., Ein ein(z)iges Presbyterium. Zur Personalentwicklung von Priestern. Amtstheologische Reflexionen zu Daten der Studie Priester 2000©, Ostfildern 2002.

Katholische Erwachsenenbildung im Erzbistum München-Freising (Hg.) Katholische Erwachsenenbildung in den Sinus-Milieus. Präsentation. o.O., o.J.

Lebendige Seelsorge. Zeitschrift für praktisch-theologisches Handeln, Themenheft „Beruf an der Grenze“, Heft 4 (2007), Würzburg 2007.

Schmidtchen, G., Priester in Deutschland, Forschungsbericht über die im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz durchgeführte Umfrage unter allen Welt- und Ordenspriestern in der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg (Br.) 1973.

Sellmann, M., Zuhören-Austauschen-Vorschlagen. Entdeckungen pastoraltheologischer Milieuforschung, Würzburg 2012.

Sellmann, M., Die kirchenbildende Kraft des Wortes Gottes in den aktuellen Reformprozessen der deutschen Diözesen, in: Damberg, W. (Hg.), Gottes Wort in der Geschichte. Reformation und Reform in der Kirche, Freiburg i.Br. 2015, S. 298- 316.

Stelzer, M., Wie lernen Seelsorger? Milieuspezifische Weiterbildung als strategisches Instrument kirchlicher Personalentwicklung, Würzburg 2014 (Angewandte Pastoralforschung, Bd. 1).

Wippermann, C., Milieus in Bewegung. Werte, Sinn, Religion und Ästhetik in Deutschland, Würzburg 2011.

Wippermann, C., Magalhaes, I. (Hgg.), MDG Milieuhandbuch „Religiöse und Kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus 2005“, München 2005.

Zulehner, P.-M., Patzelt, E., Samariter - Prophet - Levit. Diakone im deutschsprachigen Raum; eine empirische Studie, Ostfildern 2003.

Zulehner, P.-M., Priester im Modernisierungsstress, Ostfildern 2001.

Zulehner, P.-M., Hennersperger, A., „Sie gehen und werden nicht matt“ (Jes 40,31). Priester in heutiger Kultur. Ergebnisse der Studie Priester 2000©, Ostfildern 2001 (2. Auflage).

Zulehner, P.-M., Renner, K., Ortssuche. Umfrage unter Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten im deutschsprachigen Raum, Ostfildern 2006.

Zulehner, P.-M., Wirklich ein Priestermangel? Zur Lage der pastoralen Berufe im deutschsprachigen Raum, in Herder-Korrespondenz spezial 1 (2009), S. 36-40.

1 Vgl. Stelzer, M., Wie lernen Seelsorger? Milieuspezifische Weiterbildung als strategisches Instrument kirchlicher Personalentwicklung, Würzburg 2014 (Angewandte Pastoralforschung Bd. 1), S. 175.

2 Vgl. zu diesen Linien: Sellmann, M., Die kirchenbildende Kraft des Wortes Gottes in den aktuellen Reformprozessen der deutschen Diözesen, in: Damberg, W. (Hg.), Gottes Wort in der Geschichte. Reformation und Reform in der Kirche, Freiburg i.Br. 2015, S. 298-316.

3 Zulehner, P.-M., Priester im Modernisierungsstress. Forschungsbericht der Studie Priester 2000©, Ostfildern 2001, S. 34f..

4 Stelzer, M., Wie lernen Seelsorger? S. 151-178.

Lebensstile und Wertvorstellungen im relevanten Feld kirchlicher Personalgewinnung

Abstract: Die junge Generation der 20-29-jährigen Frauen und Männer weist eine große Vielfalt an Lebensstilen bzw. Milieuorientierungen auf. Mit Hilfe der Lebensführungstypologie lässt sich zugleich analysieren: In Bezug auf das Lebensalter können typische Verdichtungen im jungen Segment der „Biografischen Offenheit“ identifiziert werden. Gleichwohl zeigt sich auch, dass die in Frage kommende Gruppe gleichaltriger junger Katholiken, die sich als sehr gläubig-religiös bezeichnen, von der Grundgesamtheit deutlich abweicht. Der Befund ist relevant für kirchliche Personalgewinnung und –planung, wenn es darum geht, von Beginn der personalen Wertschöpfungskette an auf Diversity im Personaltableau zu achten.

Einführung

Seit vielen Jahrzehnten nimmt in der kirchlichen Sozialforschung die Erforschung von Dienst und Leben pastoraler Mitarbeiter einen zentralen Stellenwert ein. In vielen Studiensystemen wird dabei auch der Blick auf die nachwachsende Generation von Seelsorgerinnen und Seelsorgern gelegt. Dabei wird sinnvollerweise auch die soziale Herkunft analysiert. So unter anderem in Jakob Crottoginis psychologisch-pädagogischer Untersuchung über den Priesternachwuchs in verschiedenen Ländern Europas 1955.

1 Angesichts des Mangels an Priesternachwuchs im deutschsprachigen Raum untersucht der Autor die fördernden und hemmenden Faktoren von Beruf und Berufung aus psychologisch-pädagogischer Perspektive. In den Synodenumfragen der 1970er Jahre wird ebenfalls die Gruppe der Priesteramtskandidaten gezielt befragt.2 In dieser sowie in der Crottogini-Studie spielt die Berufsstellung des Vaters und die Größe des Herkunftsortes eine wichtige Rolle, um Rückschlüsse auf die soziale Stellung der Kandidaten zu ziehen. Auch Paul M. Zulehner nimmt in der Studie Priester 2000 die Gruppe der Priesterkandidaten in den Blick.3 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang zudem die Studie „Theologiestudierende im Berufswahlprozess“ in Münster 1998-2000.4

Forschungsanliegen

Was jedoch bislang fehlt, ist eine Analyse hinsichtlich des Potenzials der Generation, die gegenwärtig das Rekrutierungsfeld für die berufliche Arbeitswelt insgesamt bildet, nämlich die Kohorte der 20-29-jährigen Frauen und Männer. In diesem Studienbericht werden mit Hilfe der Daten der Markt/Media-Studie „Best 4 Planning“ lebensstilistische Akzente dieser relevanten Altersgruppe untersucht. Dabei wird der Schwerpunkt auf eine Untergliederung der Zielgruppe in gläubig-religiöse und nicht-gläubig-religiöse junge Erwachsene gelegt, um relevante Merkmale für die Zielgruppe der seelsorglichen Berufe im Vergleich zur Gruppe der Gleichaltrigen zu untersuchen.

Ergebnisse

Die Stichprobe der 20-29-Jährigen im Lebensstilmodell

Grundgesamtheit der Sekundäranalysen sind zunächst 45348 Befragte der deutschen Wohnbevölkerung ab 14 Jahren. Mit Hilfe ausgewählter Variablen zu Werteeinstellungen und Lebensstilen ergibt sich folgende Aufteilung und Anordnung der Lebensstilgruppen im Sozialen Raum:

Lebensführungstypen Deutschland 2015

n=45348


Abbildung 6: Lebensführungstypen in der BRD 2015, n=45348, eigene Darstellung, Datenbasis: best4planning II 2014.

Die Altersgruppe der 20-29-jährigen Frauen und Männer umfasst eine Teilstichprobe von 6301 Befragten in der gesamten Studie. Hier ergibt sich ein zu den theoretischen Grundannahmen des Lebensstilmodells (siehe Anhang) adäquates Verteilungsmuster dieser Alterskohorte im Milieumodell. In der Phase der biografischen Offenheit befinden sich knapp die Hälfte aller Befragten (45,3%). Alle anderen befinden sich in den älteren Milieugruppen (biografische Konsolidierung/Etablierung/Schließung). Dabei ist ein altersbedingtes Gefälle der Gruppengrößen festzustellen. Modernität hängt eng mit dem Lebensalter zusammen. Mit zunehmender biografischer Konsolidierung und Schließung wird der Anteil 20-29-jähriger Frauen und Männer im Lebensstilmodell geringer. Dieser Befund ist als normal zu betrachten. Wir können von der Struktur einer Normstichprobe mit Blick auf diese Altersgruppe sprechen.

Lebensführungstypen Deutschland 2015

20-29-jährige Frauen und Männer

n=6301, gewichtet


Abbildung 7: Lebensführungstypen BRD 2015, 20-29-jährige Frauen und Männer, n=6301, eigene Darstellung, Daten: best4planning II 2014.

Mittels eines weiteren Filters werden in der Altersgruppe der 20-29jährigen Frauen und Männer alle Katholiken auf ihre typischen Lebensstile hin untersucht (n=1936). Die Verteilung im Spektrum aller Lebensstile weist praktisch nur geringfügige prozentuale Abweichungen zur Gesamtgruppe dieser Alterskohorte auf.

Lebensführungstypen Deutschland 2015

20-29-jährige Frauen und Männer, katholisch

n=1936, gewichtet


Abbildung 8: Lebensführungstypen BRD 2015, 20-29-jährige Katholiken, n=1936, eigene Darstellung, Daten: best4planning II 2014.

Wir setzen einen weiteren Filter und untersuchen die Lebensstilorientierung derjenigen, die sich voll und ganz als religiös-gläubige Menschen bezeichnen („Ich bin ein religiös-gläubiger Mensch: trifft voll und ganz zu). Hier reduziert sich zwar die Stichprobe auf 137 Personen, gleichwohl lassen sich überraschende Ergebnisse darstellen: Im Vergleich zu den ersten Diagnosen zeigt sich ein deutlich abweichendes Bild hinsichtlich der Besetzung der einzelnen Lebensstilgruppen: Die Kohorte „Biografische Offenheit“ (Avantgardisten, Pragmatische, Unterhaltungsorientierte) ist deutlich schwächer besetzt. Nur 16,4% finden sich hier wieder. Der Vergleichswert in der Kontrollgruppe beträgt 45,3%.

Die Kohorten „Konsolidierung“ und „Etablierung“ sind deutlich stärker besetzt. Teilweise sind Lebensstilgruppen doppelt so stark besetzt wie in der Kontrollgruppe aller 20-29-jährigen. Hierbei stechen besonders die Gruppen der Soliden Konventionellen, Bürgerlich-Leistungsorientierten, Statusbewusst Arrivierten und Defensiv-Benachteiligten hervor.

Die Gruppe der moderaten Religiös-Gläubigen (Skalenwert 2= trifft eher zu) ist ebenfalls im bürgerlichen Milieu stark. Mit Blick auf das Aktivierungspotenzial sind in dieser Gruppe die gehobenen modern-akademischen Milieus Intellektuelle, Avantgardisten, Leistungsorientierte und Pragmatische interessant (jeweils ca. 14%!).(siehe Tabelle im Anhang).

Die nachfolgende Grafik gibt die Verteilung sowie die Über- und Unterfrequentierungen der Religiös-Gläubigen im Lebensstilmodell wieder:

Lebensführungstypen Deutschland 2015

20-29-jährige Frauen und Männer, katholisch,

gläubig-religiös=trifft voll und ganz zu

n=137, gewichtet


Abbildung 9: Lebensführungstypen BRD 2015, 20-29jährige Katholiken, gläubig-religiös (trifft voll und ganz zu), n=137, eigene Darstellung, Daten: best4planning II 2015).

 

Empirischer Vergleich der Testgruppe mit der Kontrollgruppe

Der Mittelwert des Lebensalters weist nur einen geringen Unterschied auf, der nicht signifikant ist (MW Religiöse: 24,39 Jahre, MW Nicht-Religiöse: 24,64 Jahre, Median 24 bzw. 25 Jahre); die Verteilung ist in beiden Gruppen gleichmäßig gestreut (siehe Tabelle im Anhang).

Die Geschlechter teilen sich hingegen sehr unterschiedlich auf: In der Kontrollgruppe (alle 20-29-jährige) ist das Verhältnis ausgewogen bei leichtem Überhang der Männer (51,7% männlich, 48,3% weiblich). Religiös-Gläubige (Testgruppe) teilen sich auf in 30,1% männlich und 69,9% weiblich. Das ist eine erhebliche Abweichung gegenüber der Kontrollgruppe.

Bezüglich des Familienstandes sind bei den Religiös-Gläubigen deutlich mehr Personen verheiratet (23,9%) bzw. weniger Personen ledig (76,1%) als in der Kontrollgruppe (16,0% verheiratet, 83,2% ledig).5

Das gesamte Bildungsniveau (Zusammenschau der Bildungsabschlüsse) ist durchaus vergleichbar, gleichwohl in der Gruppe der Religiös-Gläubigen mehr Hauptschulabschlüsse vorhanden sind. Aber insgesamt sind die Bildungsspektren beider Gruppen vergleichbar, d.h. die leichten Unterschiede sind nicht signifikant.

Hinsichtlich des Einkommens sind Religiös-Gläubige etwas besser ausgestattet. Dieser Unterschied ist jedoch ebenfalls nicht signifikant.

Fasst man jedoch Bildung, Einkommen und berufliche Stellung zusammen (Indexbildung zur Variable „Sozioökonomischer Status“ in Best for Planning), dann ergeben sich sehr signifikante Unterschiede. Das heißt: alles in allem ist der sozioökonomische Status Religiös-Gläubiger gegenüber der Kontrollgruppe leicht höher, dies aber signifikant.

Werteeinstellungen: Was ist wichtig im Leben?

Wir untersuchen zudem die Werteeinstellungen und –präferenzen der drei Zielgruppen. Die Studie befragt fünfzehn unterschiedliche „Aspekte des Lebens“ hinsichtlich ihrer Wichtigkeit. Die Fragebatterie weist inhaltlich eine Nähe zum Speyerer Werteinventar von Helmut Klages auf.


Abbildung 10: Mittelwertvergleich „Aspekte des Lebens I“, Daten: best4planning II 2014.


Abbildung 11: Mittelwertvergleich "Aspekte des Lebens II", Daten: best4planning II 2014.

Die Analyse der Mittelwerte zeigt: in einigen Bereichen sind sich alle drei Gruppen sehr ähnlich: Aufgeschlossenheit für neue Entwicklungen, Selbstverwirklichung, Erfolg im Beruf, großer Freundeskreis, Spaß und Freude. Zugleich werden signifikante Unterschiede sichtbar, besonders im Hinblick auf die Gruppe der gläubig-religiösen Katholiken in der Alterskohorte. Gläubig-Religiöse sind eher auf Sicherheit im täglichen Leben bedacht. Leistung spielt eine etwas stärkere Rolle, ebenso die Frage nach Arbeitsplatzsicherheit. Typische Postmaterielle Werte spielen bei Gläubig-Religiosen eine wichtigere Rolle als bei den Altersgenossen: Kulturelles Leben, soziales Engagement, und eine gute, vielseitige Bildung. Gleiches gilt für familiäre Werte: Kinder haben, Familie und Partnerschaft. Signifikant ist der schwächere Mittelwert in Bezug auf „viel Erleben.“ Dass Glaube und Religion eine entsprechend wichtige Rolle spielen und daher hoch bewertet werden, ist erwartbar.

Persönlichkeitsfaktoren: Wie ticken junge Katholiken?

Mit Hilfe der Medienstudie können wir die darin erzeugte „Persönlichkeitsfaktoren“ untersuchen. Diese Dimensionen wurden auf Basis unterschiedlicher Variablen als Indizes gebildet. In Teilen sind die oben aufgeführten Werte-Items in diesen Faktoren enthalten, zugleich auch weitere Variablen aus dem Datensatz, so dass uns hier verdichtete Daten zur Verfügung stehen. Die Faktoren sind: Rationalismus/Pflichtbewusstsein, Gesellschaftliches Engagement, Familienorientierung, Aufstiegsorientierung, sowie die Werte Lebensfreude/ Spaß/Neugierde. Die Befunde stellen sich wie folgt dar:

Tabelle 1: Persönlichkeitsfaktoren und Glaube/Religion (Quelle: best4planning II 2014).



Rationalismus und Pflichtbewusstsein ist bei Gläubig-Religiösen höchstsignifikant höher ausgeprägt als bei der Kontrollgruppe. Was die Prozentangaben verdeutlichen, konnte mit Hilfe einer Konfigurationsfrequenzanalyse6 (KFA) auf Signifikanz hin kontrolliert werden (p≤0,001). (siehe Tabelle im Anhang).

Ähnlich verhält es sich mit der Dimension „Gesellschaftliches Engagement“. Auch hier unterscheiden sich die Prozentwerte deutlich, d.h. signifikant (p<0,05).

Auch die Familienorientierung (und vermutlich die Wichtigkeit von Cocooning- und Harmoniewerten, Well-Being) ist innerhalb der Gläubig-Religiösen deutlich höher als bei allen andere Befragten der gleichen Altersgruppe (p≤0,001).

Gläubig-Religiöse sind zudem deutlich aufstiegsorientierter als die Altersgenossen. Deren Aufstiegsorientierung ist vergleichsweise hoch (gemessen in den vier Kategorien), aber sichtbar unter dem Niveau der Gläubig-Religiösen. Die KFA weist aber nur für die erste Konfiguration eine höchst signifikante Überbelegung aus (gemessen an der Gesamtzahl). Der Persönlichkeitsfaktor „Lebensfreude, Spaß, Neugierde“ ist hingegen innerhalb der Vergleichsgruppe höchstsignifikant höher ausgeprägt als bei den Gläubig-Religiösen. Mit Hilfe der KFA lautet der Befund: Die deutliche Unterbesetzung im höchsten Rang der Dimension „Lebensfreude“ ist hochsignifikant, die hohe Besetzung im zweiten Rang (hoch) ist gegenüber der Kontrollgruppe ebenfalls hochsignifikant. Hedonistische Werte sind in der Tat zweitrangig.

Diskussion

Biografische Offenheit vs. Biografische Konsolidierung

Nicht nur auf den ersten Blick scheint es so, dass Glaube und Religion in der untersuchten Altersgruppe Effekte auf Lebensstil und Werteeinstellungen ausüben. Es scheint einen Zusammenhang zu geben zwischen der Eigenschaft, sich selbst als sehr gläubig-religiösen Menschen zu bezeichnen und der Ausprägung eines insgesamt konsolidierenden Lebensstils. Religiös-Gläubige junge Erwachsene sind signifikant weniger häufig im Segment der biografischen Offenheit anzutreffen als Gleichaltrige. Insgesamt gesehen wäre es normal, im Alter von 20-29 Jahren eine Lebensführungsstrategie aufzuweisen, die unabhängig von der sozialen Lage, biografisch offen ist. Man kann entwicklungspsychologisch davon ausgehen, dass in dieser noch langen Phase der Postadoleszenz genau diese Entwicklungsaufgaben anstehen, die sich unter dem Begriff „Das Leben ausprobieren“ zusammenfassen lassen. Dazu gehören Erfahrungen im Gelingen und Scheitern erster Lebensentwürfe (Rollenexploration), sei es, ein Studienfach oder Ausbildungsplatz zu wechseln, einen Studienschwerpunkt zu ändern, sich verschiedenen Freundeskreisen anzuschließen, kulturelle Ausdrucksformen und Stile zu entdecken, mit Gleichgesinnten ähnliche Kulturmuster zu antizipieren, um auf diese Weise einen eigenen Stil oder Geschmack zu entwickeln (Autonomieentwicklung). Diese Entwicklungsaufgaben beziehen sich auch auf Liebe und Partnerschaft, nämlich auf die Frage, den Sinn, die Schönheit und die Formen der eigenen Sexualität (genetische und körperliche Sexualität, sexuelle Identität, sexuelle Präferenz) zu entdecken, auszuprobieren und in die eigene Persönlichkeit zu integrieren (personelle, ganzheitliche Sexualität).7

In der Ungebundenheit des jungen Erwachsenenalters, empirisch gesehen vor der Etappe der biografischen Konsolidierung (die normalerweise mit dem Eintritt in den Arbeitsmarkt beginnt bzw. mit der Weichenstellung einer bestimmten, individuell adäquaten Lebens- und Partnerschaftsform verbunden ist), geht es demnach um eine selbst verantwortete, fundamentale Programmierung des eigenen individuellen Lebensentwurfes.

Ein großer Teil der Religiös-Gläubigen in dieser Altersgruppe steht biografisch gesehen vor genau diesen Aufgaben, lebensstilistisch gesehen sind sie jedoch „adult“ und befinden sich unlängst in den Phasen von Konsolidierung bzw. Etablierung. Sie scheinen auf unterschiedlicher Weise bereits im Leben angekommen zu sein. Dies ist jedoch nicht typisch. Die Frage nach den Ursachen und Wirkungen muss hier offen bleiben.

Religiosität und Geschlecht

Was hervorsticht, ist der starke Unterschied bezüglich der Selbsteinschätzung „religiös-gläubig“ und dem Geschlecht. Dieses Muster zeigt sich in vielen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen – auch in Bezug auf die Gesamtbevölkerung der BRD.8 Dieses Muster lautet: Frauen schätzen sich häufiger als religiös ein als Männer dies tun. Diese signifikanten Unterschiede können auch mit Hilfe der Daten im ALLBUS belegt werden, gleichwohl sind die Unterschiede der ALL- BUS-Daten deutlich moderater – insbesondere mit Blick auf die hier relevante Altersgruppe.9

Sampling von Pragmatismus und bürgerlichen Werten

Insgesamt gesehen zeigen sich jedoch deutliche Tendenzen hin zu Formen der Verbürgerlichung der Religiös-Gläubigen. Diese Hinweise verdichten sich in den Angaben zu den Persönlichkeitsfaktoren. Dabei lassen sich starke Anzeichen für den generationentypischen Pragmatismus der „Generation Y“ ablesen: Ehrgeiz, Leistungsstreben, Rationalismus. Zugleich dominieren in der Testgruppe Harmoniewerte zuungunsten hedonistischer Erlebniswerte. Hier scheinen die hohe Anpassungsfähigkeit, die gegenwärtig als lebensnotwendig für diese Generation konstatiert werden darf, und das Streben nach Glück, Harmonie, Familie, Well-Being miteinander gesampelt zu werden.

Man kann sagen, dass die Vergleichsgruppe der 20-29-Jährigen hingegen Pragmatismus eher mit Erlebniswerten zusammenspielt. Der Zusammenhang liegt hier nicht darin, dass möglicherweise Religiös-Gläubige älter sind (und daher altersmäßig eher „angekommen“ zu sein scheinen) als die Kontrollgruppe. Die soziodemografischen Daten widerlegen dies.10

Lebensstilistische Passung im sozialen Raum

Im Pilotbericht unserer Studien konnten wir feststellen, wo sich im Lebensstilmodell gegenwärtig das soziale Feld der Pfarrei mit ihren Gemeinden, Gremien und Verbänden genauer verorten lässt. Die nachfolgende Grafik kombiniert diese Erkenntnis: a) die Lage des sozialen Feldes von Pfarrei und Gemeinde im Lebensstilmodell und b) die Lebensstilgruppen, in denen Religiös-Gläubige katholische 20-29-Jährige im Vergleich zur Alterskohorte der 20-29-Jährigen signifikant häufiger vorkommen. Hier zeichnet sich bereits in der Synopse beider Befunde die Dynamik kirchlicher Attraktivität bzw. lebensstilistischer Passungen ab.