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»Sie haben ihre Mutter getötet«:
Avatar als ideologisches Symptom137

Als ich Avatar gesehen habe, musste ich immer wieder an eine Bemerkung Žižeks in First As Tragedy, Then As Farce denken, nämlich, dass die eine gute Tat des Kapitalismus die Zerstörung von Mutter Erde gewesen sei. »Hier gibt es kein Grün, sie haben ihre Mutter getötet«, sagt uns der Film an einer Stelle in ernstem Ton. Avatar ist in gewisser Weise eine Umkehrung von Camerons Aliens. Wenn die »Käferjagd« in Aliens eine Art Übung für das megamaschinelle Schlachten des ersten Golfkrieges war, wie Virilio geschrieben hat, dann ist Avatar eine schwerfällige Ökopredigt und Parabel über die amerikanischen Fehlschläge in Irak und Afghanistan. (Bemerkenswert ist an Avatar, wie altmodisch der Film aussieht. In den Szenen, in denen es militärische Auseinandersetzungen gibt, scheint es, als ob der Cyberpunk der 1980er Jahre auf irgendetwas von Roger Dean oder aus den Myst-Videospielen trifft; Camerons Darstellung von Militärtechnologie hat sich seit Aliens nicht verändert.) Am Ende des Films sind es die militärischen und wirtschaftlichen Interessen der Menschen, die als »außerirdisch« ausgewiesen werden. Allerdings handelt es sich um einen Film, in dem das wirklich Fremde abwesend ist. Wie viele CGI-Spektakel blitzt es zwar auf der Retina, hinterlässt aber keine Spuren in der Erinnerung. Greg Egan findet kaum etwas Gutes an Avatar, aber er lobt immerhin die technische Leistung: »die Leistung der visuellen Gestalter und der Armee von Techniker, die ihre Ideen hier auf die Leinwand gebracht haben, sind größtenteils bis ins letzte Pixel perfekt und treffen genau den Punkt, an dem das Gehirn sagt, ›ja, das ist echt‹.«138 Der Preis für diese Leistung ist allerdings, dass es schwerfällt, sich dem Film als Fiktion hinzugeben. Er gleicht eher einer Fahrt in einem Vergnügungspark oder einer spätkapitalis­tischen »Erfahrung«, statt einem Film.

Was uns bei Avatar begegnet, ist ein weiteres Beispiel jenes kapitalistischen Antikapitalismus (corporate anti-capitalism), den ich in Kapitalistischer Realismus anhand von Wall-E diskutiert habe. Cameron war schon immer ein Vertreter des Antikapitalismus aus Hollywood: Dum­me Wirtschaftsinteressen waren in Aliens und Terminator 2 genauso die Bösen wie in Avatar. Avatar ist Le Guin light, eine weichgespülte Version des Szenarios, das sie in Romanen wie Das Wort für Welt ist Wald, Planet der Habenichtse und Stadt der Illusionen entwirft, allerdings ohne ihre Ambivalenz und Intelligenz. Ausgeschlossen wird in der Gegenüberstellung eines räuberischen, technologisierten Kapitalismus und einem primitiven Organizismus offenkundig die Möglichkeit eines modernen, tech­nologischen Antikapitalismus. Und genau aufgrund dieser falschen Gegenüberstellung handelt es sich bei Ava­­tar um ein ideologisches Symptom. Camerons Darstellung der Na’vi und ihrer Welt, Pandora, lässt kein primitivistisches Klischee unberührt. Die eleganten, edlen, blauhäutigen Wilden sind eins mit ihrer wunderschönen Welt; es sind deleuzianische Spinozisten, die erkannt haben, dass der Fluss des Lebens alles durchströmt; sie respektieren das Gleichgewicht der Natur; sie sind ausgezeichnete Jäger, wenn sie allerdings ihre Beute getötet haben, bedanken sie sich bei der »verwandten Seele«; die Bäume flüstern mit den Stimmen der verehrten Vorfahren. (Warum die Auseinandersetzungen der Na’vi mit Pfeil und Bogen den von Steven Lang gespielten Colonel zur Abhandlung im Stil von Apokalypse Now bringen, darüber, warum Pandora seine schlimmste Kriegserfahrung war, bleibt unklar.) »Es gibt nichts, was sie von uns haben wollen«, schlussfolgert Jake Sully (Sam Worthing­ton) über die Na’vi. Doch wie vorauszusehen war, verführen die Na’vi Sully, der schnell »alles« über sein früheres Leben auf der Erde »vergisst« (von dem wir fast nichts erfahren, abgesehen von der Tatsache, dass er ein Marine ist, der im Einsatz verletzt wurde) und sich der Ganzheit des Na’vi-Lebens verschreibt. Sully erlangt diese Ganzheit durch seinen Avatar-Na’vi-Körper in einem doppelten Sinne: erstens, weil der Avatar körperlich nicht beeinträchtigt ist, und zweitens, weil die Na’vi aus sich heraus mehr ein »Ganzes« sind als die (selbst-) destruktiven Menschen. Sully, der Marinesoldat, der »in Wirklichkeit« ein Öko-Primitivist ist, fungiert als Paradigma der spätkapitalistischen Subjektivität, die der Moderne abgeschworen hat. Es liegt eine wunderbare Ironie in der Tatsache, dass Sullys – und unsere – Identifikation mit den Na’vi von der avancierten Technologie abhängt, die die Lebensform der Na’vi unmöglich macht.

Eine verräterische Marotte des Films besteht allerdings in dem immer wiederkehrenden Zwang, zu erklären, warum es immer noch (physische) Verletzungen der mensch­lichen Figuren gibt. In Anbetracht der Technologie des Jahres 2051, in dem der Film spielt, müssten Sullys Beine und die Narben des Colonels leicht zu reparieren gewesen sein, aber das Drehbuch gibt sich alle Mühe, zu erklären, warum die beiden Figuren behindert bzw. gezeichnet bleiben: In Sullys Fall liegt es daran, dass er sich die medizinische Behandlung nicht leisten kann; der Colonel wiederum möchte nicht vergessen, »mit wem er es zu tun hat«. Solche Erklärungen sind offensichtlich unbefriedigend – die im Narrativ überdeterminierten Wunden können nur als libidinöser Rest erklärt werden, den der Film nicht vollständig in das digitale Imaginäre aufnehmen kann. Die Verletzungen verhindern die Verleugnung der modernen Subjektivität, die Avatar vollziehen möchte, während uns der Film einlädt, das technologische Spektakel zu bewundern.

Wenn wir aus der Sackgasse des kapitalistischen Realismus herauskommen und ein authentisches und wirklich nachhaltiges Modell grüner Politik entwerfen wollen (in dem Nachhaltigkeit eine Sache der Libido wäre und nicht nur der natürlichen Ressourcen), müssen wir diese Verleugnungen überwinden. Hinter den Muttermord, der die Grundlage für die Entstehung der modernen Subjektivität war, gibt es kein Zurück mehr. Um eine meiner Lieblingsstellen aus Žižeks First As Tragedy zu zitieren: »Treue zur kommunistischen Idee bedeutet, in einer Wiederholung Arthur Rimbauds […], absolut modern zu bleiben und die allzu leichte Verallgemeinerung, in der die Kritik des Kapitalismus sich in die Kritik der ›modernen instrumentellen Vernunft‹ oder die ›moderne technologische Zivilisation‹ verwandelt, abzulehnen.«139 Es muss vielmehr darum gehen, wie die moderne, technologische Zivilisation anders organisiert werden kann.

Prekarität und Paternalismus 140

Die jüngste Diskussion über Elitismus (ein Thema, das auch in Adam Curtis Film über Charlie Brookers Show Newswipe diese Woche berührt wird) führt mich zur Frage des – da ich noch immer kein besseres Wort dafür habe – Paternalismus zurück. Ich glaube, dass Taylor Parkes in seinem bewegenden Artikel in Quietus über Trunks Life on Earth) gut zusammengefasst hat, was in dieser Diskussion auf dem Spiel steht:

»Man kann es kaum glauben, aber die BBC war einst eine irgendwie paternalistische, fast schon philanthropische Institution mit ihrer Verteilung des kulturellen Reichtums an die Wohnsiedlungen und Gesamtschulen. Diese Form des Bekehrungseifers kommt bei den selbstbewussten Verteidigern des Lumpenproletariats selten gut an, für die das Recht, in der Scheiße zu leben, höher rangiert, als das, nicht in der Scheiße zu leben – für manche ist es schlimmer, wenn man sie oben herab behandelt, als dass man sie verrohen lässt. Allerdings sind die Leute manchmal auch sehr naiv, was die Motivationen jener betrifft, die den Menschen das geben, was sie wollen, unerbittlich und reuelos. Und obwohl der Sender sich zuweilen grober Verallgemeinerung und einer sehr realen Spießigkeit schuldig gemacht hat, möchte ich mir doch nicht ausmalen, wie ich damals im Nirgendwo ohne die BBC, sei es Life on Earth oder Carl Sagans Cosmos, James Burkes Connections oder die sanfte Führung des Kinderprogramms, aufgewachsen wäre. Vor Jahren habe ich die Hut und Kinnbart tragenden Leiter der ›Jugendredak­tion‹ beim Channel 4 interviewt, die vollkommen davon überzeugt waren, dass es sich bei ihrem Rennen in den Abgrund um eine noble Mission handelt; sie schimpften auf die ›Iss’ dein Gemüse‹-Attitüde des BBC und sprachen begeistert über die Ströme, die durch die Leitungen der britischen Kultur flossen, es ging um eine Freiheit und eine merkwürdige Spielart des Egalitarismus. Hier wurde die Trommel der Zukunft geschlagen und selbst damals wurde ich blass. Als David Attenborough in den späten 1960er Jahren der Programmdirektor der BBC2 war, hatte er eine andere Vision, die – trotz all seiner Privilegien – in einem nachhaltigen Glauben an Inklusion bestand. Das sogenannte Goldene Zeitalter des Fernsehens hat eine ganze Menge schäbigen und überzeichneten Mist hervorgebracht – das hat es wirklich –, aber im besten Falle war sein Programm ermutigend und die Tatsache, dass es jetzt vorbei ist, stellt uns vor ein gewaltiges Problem. Wir können natürlich immer noch BBC Four schauen (zumindest, wenn keine Sendung kommt, in der ein ehemaliger Schreiberling des New Musical Express sich über die Hosen von Mud beschwert). Aber wir leben sowieso in einem Zeitalter der Wahl, und die hat langfristig wenig mit Freiheit zu tun. Niemand stolpert mehr über ein kulturelles Produkt, nicht so wie ich oder meine Freunde. Es ist schlimmer als Scham.«141

Es ist lohnend, sich die eigentümliche Logik zu vergegenwärtigen, die der Neoliberalismus uns aufgezwungen hat. Menschen zu behandeln, als seien sie intelligent, so haben wir gelernt, ist »elitär«, während es »demokratisch« ist, sie zu behandeln, als seien sie dumm. Es muss kaum betont werden, dass der Angriff auf den kulturellen Elitismus mit einer aggressiven Restauration der materiellen Elite einherging. Parkes berührt in seinem Artikel, wie wir über Paternalismus nachdenken sollten – nicht nur als etwas Vorgeschriebenes, sondern auch als Geschenk und Überraschung. Die besten Geschenke sind diejenigen, die wir nicht uns selbst gemacht hätten – nicht, weil wir sie übersehen oder abgelehnt hätten, sondern weil sie uns einfach nicht eingefallen wären. Die neoliberale »Wahl« sperrt dich in dir ein, sie gibt dir die Möglichkeit, dich zwischen minimal verschiedenen Versionen dessen zu entscheiden, was du schon hast; der Paternalismus wiederum setzt auf ein anderes »du«, ein »du«, das noch nicht existiert. (All dies findet ein Echo in J.J. Charlesworths informativem Artikel über die Leitung des Londoner Institute for Contemporary Arts in Mute, worin Charlesworth die Annahme kritisiert, dass »das die Institution tun sollte, was das Publikum möchte«142.)

 

Der Neoliberalismus mag vom Mythos des Unternehmers gezehrt haben, einem Mythos, zu dem die Vulgärökonomie von Sendungen wie The Apprentice und Die Höhle der Löwen ihren Teil beigetragen hat, aber diejenigen »Unternehmer«, die unsere Kultur dominieren – seien es Bill Gates, Simon Cowell oder Duncan Bannatyne – haben keine neuen Produkte oder Formen erfunden, sondern neue Wege, Geld zu machen. Das ist gut für sie, ohne Zweifel, aber kaum etwas, wofür der Rest von uns dankbar sein sollte. (Das Geniale bei Cowell war, dass er alte kulturelle Formen in neue Maschinerien der Interpassivität integrierte.) Und trotz all des Geredes vom Unternehmertum ist es bemerkenswert, wie wenig risikofreudig die spätkapitalistische Kultur ist – nie gab es eine Kultur, die so homogen und standardisiert war, wo sich so viel wiederholt und von Angst angetrieben wird.

Aufgefallen ist mir der Kontrast zwischen Parkes Artikel und dem Beitrag von Caitlin Moran, als verkündet wurde, dass Jonathan Ross die BBC verlässt. »Nachdem [Ross] einen Vertrag über 18 Millionen Pfund erhielt«, schreibt Moran,

»wurden unendlich viele Artikel geschrieben, in denen gefragt wurde, ob die BBC versuchen sollte, mit den Gehältern von ITV1 mitzuhalten. In Wahrheit ist die Frage, ›was passiert, wenn die BBC das nicht tut?‹ Wenn die einzigen Leute, die für die BBC arbeiten, diejenigen sind, die es einzig aus Liebe zum Sender tun – diejenigen, die brav das doppelte Gehalt ablehnen würden, das ITV ihnen zahlt – würde die BBC ganz schnell zu der liberalen, weichgespülten Mittelklasse­institution werden, dem Alptraum der Daily Mail, und wahrscheinlich in fünf Jahren schließen.«

Wirklich? Die hohen Gehälter von ITV, als sie sie noch zahlen konnten, haben keineswegs gute Qualität garantiert; und die Vorstellung, Ross sei einer von uns, weil er »schlagfertig, mutig, ein blödelnder Dandy-Nerd und Fan von japanischen Anime und lauten Rockbands« ist, beruht auf einem Bild von »alternativer Kultur«, das so staubig und diskreditiert ist wie New Labour. Es ist auffällig, dass Moran die neoliberale Logik, wonach »Talent« sich nur durch Geld hervorbringen lässt, vollständig akzeptiert. (Die Rückkehr der Idee des »Talents« und all ihrer dem Punk widersprechenden Implikationen war vielleicht das signifikanteste kulturelle Symptom der letzten zehn Jahre; die Anwendung des Wortes auf Banker wiederum war ein kranker Witz.)

Wie Moran bemerkt, ist der echte Konkurrent der BBC nicht das kränkelnde ITV, sondern die Daily Mail und News International, und wenn der öffentliche Rundfunk sich gegen die sicherlich immer heftiger werdenden Angriffe verteidigen möchte, braucht es mehr als die sexuellen Anspielungen, die aufgewärmte Hipness und den gelegentlichen Witz von Jonathan Ross. (Für die Daily Mail ist es viel schwerer, Leute wie Attenborough anzugreifen, als Leichtgewichte wie Ross oder Graham Norton; und hätte Attenborough jemals das Äquivalent zu den 18 Millionen von Ross bekommen, frage ich mich?) Nicht nur ist es kaum gerechtfertigt, dass öffentliche Gelder für exorbitante Gehälter von Moderatoren und Vorständen ausgegeben werden: Es spielt außerdem der Agenda der Daily Mail in die Hände, der es einzig um die Erhaltung der negativen Solidarität geht, die für die neoliberale Hegemonie so wichtig ist.143 Vielleicht bin ich altmodisch, aber ich finde tatsächlich, dass nur diejenigen bei der BBC arbeiten sollten, die das aus Liebe zum Sender tun. Mehr noch: Wenn es nur ums Geld geht, sollte das ein Grund sein, keine höheren Positionen im öffentlichen Dienst zu bekommen. Das heißt nicht, dass es niedrige Löhne geben soll, sondern es geht um eine gerechtere – und kreativere – Verteilung des Geldes in der Sphäre der Öffentlichkeit. Man stelle sich vor, die 18 Millionen von Jonathan Ross wären stattdessen – durchaus riskant – für das verwendet worden, was das britische Fernsehen am meisten braucht: Autoren. Man könnte Unmengen an Autoren über Jahre bezahlen … Die BBC könnte ihre Angestellten vor dem Druck schützen, immer einen Erfolg zu produzieren – und anders als die neoliberale Logik, dass Menschen sich nur durch Geld motivieren lassen, es will, ist es dieser Schutz, der eine bestimmte Form des kulturellen Unternehmertums erleichtert.

Schließlich machen die Menschen auch gute Sachen, wenn sie nicht oder schlecht bezahlt werden. Das Interessante am Web 2.0 ist genau das – nicht die geistlosen »Debatten«, sondern der Impuls, etwas zu teilen ist die Motivation hinter Blogs, Videos auf YouTube oder dem Update eines Wikipedia-Eintrags. Wenn irgendetwas die Arbeit der Multitude ist, dann ist es das zusammengesammelte Archiv von YouTube. Es ist bemerkenswert, dass der kapitalistische Realismus mit kulturellen Produkten koexistiert, die nicht vollständig kommodifiziert werden können. Auf der einen Seite ist die Kommodifizierung total und das ganze Leben ist, in einer Formulierung von Jeremy Rifkin, eine Erfahrung, für die man bezahlen muss; auf der anderen Seite gibt es aber ganze Bereiche der Kultur, die im Grunde dekommodifiziert wurden (denkt irgendjemand, dass in zehn Jahren noch für Musikaufnahmen bezahlt wird?). Als Kulturarbeiter stehe ich dem, gelinde gesagt, ambivalent gegenüber […] Mir scheint, ich habe genau in dem Moment Erfolg mit Dingen, wenn es unmöglich geworden ist, Geld aus ihnen zu machen …

Als ich vor einer Woche in Dublin war und über Kapitalistischer Realismus gesprochen habe, fragte mich jemand aus dem Publikum, warum ich über Angestellte des öffentlichen Dienstes spreche, wenn doch meine eigene Situation zeigt, dass es besser ist, eine Vollzeitstelle zu verlassen und zum Prekariat überzugehen. Auf den ersten Blick ist das eine vernünftige Frage, da es für mich, seitdem meine Universitätsanstellung überflüssig gemacht wurde, ziemlich gut gelaufen ist. Doch in gewisser Hinsicht habe ich lediglich den Stress, den das Arbeiten in der neuen Bürokratie des öffentlichen Dienstes bedeutet, eingetauscht für die permanente Anspannung der Hyper-Prekarität, wobei mein Einkommen massiv gesunken ist. Eine der Formen von negativer Solidarität besteht darin, die Festangestellten und Prekären gegeneinander auszuspielen. Menschen mit einer festen Anstellung neigen dazu, ruhig zu bleiben, um ihre Jobsicherheit nicht zu verlieren, oder das, was sie dafür halten, während prekär Arbeitende, so überflüssig wie sie sind, überhaupt keine Macht haben. Vor einer Weile hat Tobias van Veen eindrucksvoll von seinem Leben mit prekärer Arbeit berichtet:

»[D]er Arbeiter wird in eine ironische aber brutale Situation gebracht: Obgleich die Arbeit niemals aufhört (schließlich ist man immer erreichbar, muss ständig zur Verfügung stehen und keinen Anspruch auf ein Privatleben oder sonst etwas), ist man als Arbeiter trotzdem vollkommen entbehrlich (und daher ein Teil des Prekariats: Man muss seine gesamte Autonomie der Arbeit opfern, um seinen Job zu behalten). […] Diese Ontologie auf Abruf oder des Daseins144 On-Demand verursachen eine emotionale Ökonomie des Stresses. Ein Leben auf Abruf zu führen geht ohne Zweifel an die Nerven. Das Leben verkommt zu einer Reihe von Angstanfällen, mit der Aussicht, diesen Arbeitsbedingungen niemals genügen zu können, ohne das ›Leben‹ als etwas anderes als ›Arbeit‹ nicht vollkommen abzuschaffen. Die Managerklasse verwendet Techniken der Schuld und der Loyalität, um Arbeiter dazu zu bringen, auf Kommando bereit zu stehen, Pläne innerhalb weniger Stunden oder Tage zu machen, ohne Hoffnung auf eine Gehaltserhöhung, ohne Sozialzulagen, für nichts mehr als den Mindestlohn.«145

Der prekäre Arbeiter wird doppelt bestraft: Nicht nur hat er keinerlei Sicherheit, er wird für die gleiche Arbeit außerdem schlechter bezahlt als der Festangestellte. Als ich von einer nach Stunden bezahlten Stelle in der Weiterbildung zu einer Stelle mit Vertrag übergegangen bin, bekam ich plötzlich hunderte Pfund mehr Lohn pro Monat und bezahlten Urlaub für genau die gleiche Arbeit wie zuvor. Nun, da ich Teil des Prekariats bin, beläuft sich mein Einkommen, seit im April das Steuerjahr begann – mit all den Seminaren, der Betreuung, dem Schreiben und dem Lektorieren habe ich nicht mehr als zwei Wochen weniger als fünfzig Stunden gearbeitet –, auf die stolze Summe von 11.000 Pfund, was auf weniger als den Mindestlohn hinausläuft. All die Arbeit, die ich getan habe, ist abhängig davon, dass ich keine Festanstellung habe, deswegen arbeite ich im Grunde immer für den Mindestlohn, egal wie hoch mein Stundensatz ist. (Und schreiben bringt sowieso meistens nicht mehr als den Mindestlohn.) Und all das geschieht unter Bedingungen, unter denen ich keinen Auftrag ablehnen kann, egal wie kurzfristig er kommt, wo ich ständig auf Abruf bin und es keine Garantie gibt, dass ich weiter Aufträge bekomme.

Diese Form der Beschäftigung braucht zwar eine Art »Kreativität«, aber sich »kreative Gedanken« darüber zu machen, wie ich aus dem, was ich tue, mehr Geld machen kann, scheint mir keine gute Verwendung meiner Zeit zu sein. Was die zerklüftete Zeit des Prekariats verhindert, ist die Arbeit an langfristigen Projekten. Es fällt mir sehr schwer, Zeit zu finden, um mein neues Buch für Zer0 fertigzuschreiben, weil ich die Arbeit, für die ich sofort Geld bekomme, immer vorziehen werde. Allerdings verhindert auch eine Festanstellung das Engagement in langfristigen Projekten: Kapitalistischer Realismus, zum Beispiel, habe ich am Wochenende oder nach der Arbeit geschrieben.

All das sage ich nicht, weil ich Mitgefühl will – ich glaube immer noch, dass ich wahnsinniges Glück habe, vom dem, was ich tue, leben zu können –, sondern vielmehr, weil meine Situation symptomatisch ist. Und nun, da das protzige, von einer Wirtschaftsontologie angetriebene Modell der Kulturpolitik am Boden ist, muss es da nicht eine bessere Möglichkeit geben, Kultur zu fördern?