Tasuta

k-punk

Tekst
Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Star Wars war von Anfang an Kommerz 146

Bedeuten der Verkauf von Lucasfilm an Disney, dass Star Wars jetzt ein Kommerzprojekt ist? Kann die Star Wars-Reihe ihre Seele behalten, jetzt, wo sie Teil eines Firmenkonglomerats ist? Es ist kaum zu glauben, dass diese Fragen wirklich gestellt werden. Star Wars war von Anfang an Kommerz, und das ist im Grunde das einzig Außergewöhnliche an diesem deprimierend mittelmäßigen Produkt.

Als Star Wars die Bühne betrat, signalisierte der Film die vollständige Integration der vormaligen Gegenkultur in den neuen Mainstream. Wie Steven Spielberg, kam auch Georg Lucas aus dem Umfeld von Regisseuren wie Martin Scorsese und Francis Ford Coppola, die in den 1970er Jahren einige großartige amerikanische Filme ge­dreht hatten. Unter Lucas’ eigenen frühen Arbeiten findet sich zum Beispiel die eigentümliche Dystopie THX 1138, doch sein berühmtester Film war der Vorbote einer kom­menden Zeit, in der das Mainstreamkino immer farbloser wurde und Filme von der Qualität der Godfather-Trilogie Der Pate oder Taxi Driver kaum mehr vorstellbar waren.

Laut Walter Murch, dem Filmeditor von Apocalypse Now, hatte Lucas erwogen, die Regie für den Film zu übernehmen, doch man überzeugte ihn, dass das Thema zu kontrovers sei, weshalb er entschied, »das Wesentliche der Geschichte ins Weltall zu verlegen, in eine Galaxie vor langer Zeit, weit, weit entfernt«. Star Wars war Lucas’ »verwandelte Version von Apocalpyse Now. Die Rebellen waren die Nordvietnamesen und das Imperium waren die U.S.A.«. Bis der Film dann von Ronald Reagan ideologisch ausgenutzt wurde, hatte sich alles verkehrt: Nun waren die Vereinigten Staaten die tapferen Rebellen, die dem »bösen Imperium« der Sowjetunion die Stirn boten.

Was den Film selbst betrifft, war kaum etwas an ihm neu. Star Wars hat den Weg für jene Form der monumentalistischen Pastiche geebnet, die in der Kultur der Hollywood-Blockbuster Standard geworden ist und die der Film, vielleicht mehr als jeder andere, mit geschaffen hat. Fredric Jameson zitierte Star Wars als Beispiel für einen postmodernen Nostalgiefilm: ein Revival der »Sams­tagnachmittagsserie á la Buck Rogers«, die die jungen Leute als neu empfinden konnten, während das ältere Publikum sein Bedürfnis nach bekannten Bildern ihrer Jugend befriedigte. Das einzige, das Star Wars dem hinzufügte, war ein gewisses Spektakel – das Spektakel der Technologie, hervorgerufen durch hochmoderne Spezialeffekte, und natürlich das Spektakel seines eigenen Erfolges, der zu einem Teil der Filmerfahrung wurde.

Während die Konzentration auf Effekte sich als Katas­trophe für das Science-Fiction-Genre herausstellte, sorgte sie zugleich für Erleichterung in einer kapitalistischen Kultur, für die Star Wars ein Symbol wurde. Der Spätkapitalismus bringt keine Ideen mehr hervor, aber technologische Updates liefert er verlässlich. Eigentlich gehörte Star Wars gar nicht wirklich zum Science-Fiction-Genre. Bitter bezeichnet J.G. Ballard den Film als »Hobbits im Weltall«, und während Stars Wars der manichäischen Pantomine Tolkiens Referenz erwies, ebnete es auch den Weg für die epische Langeweile von Peter Jacksons Adaption von Herr der Ringe. Was Star Wars durchaus erfand, war eine neue Ware. Angeboten wurde nicht mehr irgendein Film, sondern eine ganze Welt, ein fiktives System, das bis in alle Ewigkeit erweitert werden kann (durch Sequels, Prequels, Romane und vieles mehr). Schriftsteller wie Tolkien und H.P. Lovecraft hatten solche Universen erfunden, doch Star Wars war das erste Mal, das eine erfundene Welt selbstbewusst massenhaft kommodifiziert wurde.

Die Filme wurden zur Schwelle ins Star Wars-Univer­sum, das bald vom angeschlossenen Merchandise ebenso definiert wurde wie von den Filmen. Von dem Erfolg der Spielzeugfiguren waren selbst die Beteiligten überrascht. Die damals kleine Firma, Kenner, erwarb 1976 die Rechte an den Star Wars-Actionfiguren, ein paar Monate bevor der Film im Sommer des darauffolgenden Jahres in die Kinos kam. Unerwartete und nie dagewesene Nachfrage brachten die Firma bald an ihre Grenzen und bis Weihnachten 1977 gab es die Figuren nirgendwo zu kaufen. Heute mag das putzig wirken, wo das Merchandise von Blockbusterfilmen gleichsam militärisch straff organisiert ist und von einer Unmenge an Werbemaßnahmen und Öffentlichkeitsarbeit implementiert wird. Star Wars jedoch gab uns zum ersten Mal einen Eindruck jener Verquickung von Kino und übersättigter Warenproduk­tion. Und deswegen ist es lächerlich zu fragen, ob Star Wars jetzt Kommerz ist. Von Star Wars haben wir gelernt, was Kommerz wirklich heißt.

Vergiss nicht, wer der wahre Feind ist 147

Die Tribute von Panem – Catching Fire ist auf so unheimliche Weise zeitgemäß, dass es fast schon verstörend ist. In den letzten Wochen spürte man in Großbritannien, dass das dominante Realitätssystem brüchig wird, dass Dinge beginnen, nachzugeben. Man erwacht aus dem angenehmen, depressiven Schlummer und Die Tribute von Panem – Catching Fire spielt nicht nur die Melodie dieses Erwachens, sondern es verstärkt sie. Eine Explo­sion im tiefsten Herzen der Ware? Ja, und Feuer bringt noch mehr Feuer hervor …

Ich benutzt das Wort »Delirium« zu viel, aber als ich Catching Fire letzte Woche gesehen habe, war das wirklich die Erfahrung eines Deliriums. Mehr als einmal habe ich gedacht: Wie kann es sein, dass ich das sehe? Wie kann das erlaubt sein? Einer der Dienste, die Suzanne Collins uns erwiesen hat, ist, dass sie die Armut, Enge und Dekadenz der »Freiheit« offengelegt hat, die wir im späten Spätkapitalismus genießen. Die Hungerspiele sind der hedonische Konservatismus. Alles kann kommentiert werden (und deine Tweets werden vielleicht sogar im Fernsehen vorgelesen), man kann soviel Pornographie schauen, wie man will, aber die Kontrolle über das eigene Leben ist minimal. Das Kapital ist überall, in unseren Lüsten, unseren Träumen und in unserer Arbeit. Der Medienzirkus hält einen bei der Stange, und wo er scheitert, werden die Sturmtruppen geschickt. Kurz bevor die Polizei beginnt zu schießen, bricht die Fernsehübertragung ab.

Ideologie ist eher eine Story als eine Reihe von Ideen, und Suzanne Collins verdient höchsten Respekt für ihre Leistung, nicht weniger als ein Gegennarrativ zum kapitalistischen Realismus geschaffen zu haben. Viele der gedrehten Analysen des Spätkapitalismus – The Wire, The Thick of It und sogar Kapitalistischer Realismus selbst – laufen Gefahr, eine schlechte Form der Immanenz anzubieten, über den kapitalistischen Realismus im Ton eines Realismus zu sprechen, der einzig das lähmende Gefühl eines vollkommen geschlossenen Systems zu­rück­lässt. Collins zeigt uns einen Ausweg und jemanden, mit dem wir uns identifizieren können – die revolutionäre Kämpferin Katniss.

Verkauf die Kinder für Nahrung.

Die Ausmaße des Erfolgs, die der Mythos hatte, sind von zentraler Bedeutung für seinen Gehalt. Die von jungen Erwachsenen bevölkerte Dystopie ist weniger ein Literaturgenre als vielmehr das tatsächliche Leben für all die Generationen, die nach 2008 verkauft und sich selbst überlassen wurden. Das Kapital – das nun eher nihiliberal148 statt neoliberal regiert – hat keine Lösung, außer die jungen Leute mit Schulden und Prekarität einzudecken. Die rosigen Versprechen des Neoliberalismus sind vorbei, doch der kapitalistische Realismus geht weiter: es gibt keine Alternative, tut uns leid. Es gab mal eine, aber jetzt ist es vorbei, okay? Die meisten Leser von Collins Romanen waren Teenager und weiblich, und anstatt ihnen weiter irgendwelche Internatsphantasien oder Vampiary-Romanzen149 vorzulegen, hat die Autorin sie – still, aber doch für alle sichtbar – zu Revolutionären ausgebildet.

Das Bemerkenswerte an Die Tribute von Panem ist vielleicht, wie einfach vorausgesetzt wird, dass die Revolution nötig ist. Die Schwierigkeiten sind logistischer nicht ethischer Natur, und die Frage ist einzig, wann und wie die Revolution stattfinden kann, nicht, ob sie überhaupt möglich ist. Vergiss nicht, wer der wahre Feind ist – diese Botschaft, ein Kampfesruf, eine ethische Forderung, die uns von der Leinwand entgegenschallt … die eine Form der Kollektivität anspricht, die nur durch Klassenbewusstsein hergestellt werden kann … (Und was Collins hier geleistet hat, ist keine intersektionelle Analyse oder eine Dechiffrierung wie Klasse, Geschlecht, Herkunft und koloniale Macht zusammenarbeiten – nicht im frommen akademischen Stil des Vampirschlosses,*150 sondern im mythographischen Herzen der Populärkultur –, keine de-erotisierende Forderung nach mehr Reflexion und mehr Schuld, sondern als ein Weckruf, neue Gemeinschaften aufzubauen.)

In Catching Fire gibt es eine an Punk erinnernde Immanenz, die ich lange nicht mehr bei einem Kulturprodukt gesehen habe – der Film blutet eine ansteckende Selbstreflexivität, die die ihr zugrundeliegende Warenwelt zersetzt. Die Werbung für den Film sieht aus, als käme sie aus dem Film und statt dass es sich um einen Fall leerer Selbstreferenzialität handelt, sorgt es dafür, dass die herrschende gesellschaftliche Wirklichkeit decodiert wird. Plötzlich wird der trostlose Glanz des cyber-schockhaften Werberegimes des Kapitals denaturalisiert. Wenn der Film uns durch die Leinwand anspricht, treten wir in seine Welt ein, die sich als die unsere herausstellt und plötzlich, ohne die ablenkende Szenerie, deutlicher erkennbar wird. Hier ist es: eine neo-römische, cyber-schauerhafte Barbarei, mit grässlichen Kostümen und schrecklicher Kosmetik für die Reichen und harter Arbeit für die Armen. Die bekommen genau soviel High-Tech, wie sie brauchen, um immer mit dem Propagandakanal des Kapitols verbunden zu sein. Reality TV als eine Form sozialer Kontrolle – eine Ablenkung und ein bändigendes Spektakel, in dem die Konkurrenz naturalisiert und die Unterschicht gezwungen wird, es bist zum Tode auszukämpfen, zur Unterhaltung der herrschenden Klasse. Klingt das bekannt?

 

Die Subtilität und Wucht von Collins Vision entsteht zum Teil deswegen, weil sich die Autorin der ambivalenten Rolle der Massenmedien bewusst ist. Katniss ist nicht deswegen ein Totem, weil sie gegen das Kapitol angeht – wie würde das in diesen Verhältnissen aussehen? –, sondern weil ihr Medienstatus erlaubt, als verbindendes Element für ansonsten voneinander isolierte Menschen zu wirken. Ihre Rolle ist symbolisch, aber gerade dadurch – da die Hungerspiele selbst schon symbolisch sind – wird sie überhaupt erst zu einer solchen Identifikationsfigur. Das brennende Mädchen … und Feuer bringt noch mehr Feuer … Irgendwann müssen sich ihre Pfeile auf das Wirklichkeitssystem richten, nicht auf Menschen, die allesamt ersetzbar sind.

Die Entfernung des kapitalistischen Cyberspace aus Collins Welt, schafft die Ablenkung durch die Maschinerie des Web 2.0 ab (Partizipation als Verlängerung des Spektakels, wodurch es noch allumfassender und raumgreifender wird, anstatt als Gegenmittel zu dienen) und zeigt, wie das Fernsehen, oder besser gesagt, mit einer Formulierung von Alex Williams, die »universelle Presse«, immer noch wichtig ist, wenn es darum geht, was als Realität zählt und was nicht. (Man schaue sich einmal an, was trotz all der Rede von Horizontalität im Web 2.0 bei Twitter immer im Trend ist: Fernsehsendungen.) Für uns alle gibt es in der universellen Presse eine Rolle als Held oder Bösewicht – oder vielleicht eine Geschichte, wie wir vom Helden zum Bösewicht geworden sind. Die Szenen, in denen Plutarch Heavensbee in der Rhetorik der Wirtschaft erklärt, wie das Prinzip von »Brot und Spiele« in der medialen-autoritären Macht des Kapitols funktioniert, sind von vernichtender, bissiger Qualität. »Mehr Schlägereien, wie wird ihre Hochzeit aussehen, Hinrichtungen, Hochzeitstorte …«

Wie Unemployed Negativity auf seinem Blog über den ersten Film geschrieben hat:

»Es reicht nicht, dass die Teilnehmer sich gegenseitig umbringen, sondern sie müssen dabei auch noch eine fesselnde Performance abgeben und eine gute Geschichte erzählen. Wenn ihnen das gelingt, steigen ihre Chancen und sie bekommen Hilfe von denen, die auf ihren Sieg wetten. Bevor sie in die Arena gehen, werden sie neu gekleidet und wie Teilnehmer von American Idol interviewt. Die Unterstützung durch das Publikum entscheidet über Leben und Tod.«151

Deswegen klammern sich die Tribute an ihre vom Reality-Fernsehen diktierte Rolle. Die einzige Alternative ist der Tod.

Doch was, wenn man den Tod wählt? Darin liegt die Krux des ersten Films und ich habe bei Bifo nachgesehen, als ich versucht habe, darüber zu schreiben.152 »Suizid ist die entscheidende politische Tat unserer Zeit.«153 Katniss und Peetas Drohung, sich umzubringen, ist der einzig mögliche Akt des Ungehorsams in Die Tribute von Panem. Und es ist Ungehorsam, KEIN Widerstand. Wie Burroughs und Foucault, die zwei besten Diagnostiker der Kontrollgesellschaft, wussten, ist Widerstand keine Herausforderung für die Macht; sie ist, im Gegenteil, das, was die Macht braucht. Keine Macht ohne etwas, das ihr widersteht. Keine Macht ohne ein lebendes Subjekt, das Gegenstand der Macht ist. Wenn sie uns umbringen, können sie uns nicht länger unterdrücken. Ein auf ein winselndes Etwas reduziertes Subjekt – das ist die Grenze der Macht. Darüber hinaus gibt es nur noch den Tod. Nur wenn man so tut, als sei man tot, kann man frei sein. Das ist für Katniss der entscheidende Schritt, um zur Revolutionärin zu werden und indem sie den Tod wählt, bekommt sie ihr Leben zurück – oder die Möglichkeit eines Lebens, in dem sie nicht mehr als Sklavin lebt, sondern als freier Mensch.

Die emotionale Dimension dieses Prozesses ist keineswegs zweitrangig, denn Collins – und hier hält sich der Film meistens sehr genau an die Buchvorlage – versteht, wie die Kontrollgesellschaft vermittels affektiven Parasitentums und emotionaler Knechtschaft funktioniert. Katniss nimmt an den Hungerspielen teil, um ihre Schwester zu retten und die Angst um ihre Familie hält sie bei der Stange. Was die Romane und die Filme so fesselnd macht, ist die Art und Weise, wie sie über das konsensuelle, sentimentale affektive Regime des Reality TV, der weinerlichen Werbung und der Seifenopern hinausgehen. Die Stärke von Jennifer Lawrences Darstellung von Katniss liegt zum Teil an ihrer Fähigkeit, Gefühle abzurufen – Wut, Angst, Entschlossenheit – die eher aus einem politischen als einem privatem Register kommen.

Das Persönliche ist politisch, weil es nichts Persönliches gibt.

Es gibt kein Privates, in das man sich zurückziehen könnte.

Haymitch sagt Katniss und Peeta, dass sie niemals von dem Zug abspringen werden können – dass die Rollen, die das Reality TV ihnen zuweist, bis zu ihrem Tod weitergehen werden. Es ist alles Schauspielerei, aber es gibt nichts hinter der Bühne.

Es gibt keinen Wald, in den sich flüchten ließe und wohin das Kapitol einen nicht verfolgt. Wenn du fliehst, können sie immer noch deine Familie holen.

Es gibt keine temporären, autonomen Bereiche, die sie nicht lahmlegen können. Es ist nur eine Frage der Zeit.

Alle wollen Katniss sein, außer Katniss selbst.

Bring mir meinen Bogen aus brennendem Gold.

Das einzige, was sie tun kann – zur richtigen Zeit – ist auf das Wirklichkeitssystem selbst zu zielen.

Dann wirst du sehen, wie der künstliche Himmel einstürzt.

Dann wachst du auf.

Und.

Das ist die Revolution …

Jenseits von Gut und Böse: Breaking Bad 154

Wer braucht Religion, wenn er Fernsehen hat? In Seifenopern kommen die Bösewichte, anders als im echten Leben, fast nie ungeschoren davon. Polizisten im Fernsehen haben zwar jetzt ein »kompliziertes« Privatleben und fragwürdige ethische Haltungen, aber in den meisten Fällen steht der Unterschied zwischen Gut und Böse nicht infrage und wir wissen, auf welcher Seite der draufgängerische Cop steht. Die Hartnäckigkeit der Phantasie garantierter Gerechtigkeit – die eine religiöse Vorstellung ist – hätte die großen Denker der Moderne nicht überrascht. Theoretiker wie Spinoza, Kant, Nietzsche oder Marx, sie alle gingen davon aus, dass Atheismus eine schwierige Praxis ist. Zweifel an der Existenz Gottes zu haben ist einfach, aber es ist um einiges schwerer, ein Denken aufzugeben, das auf Vorsehung, göttlicher Gerechtigkeit und einer sicheren Unterscheidung zwischen Gut und Böse beruht.

Die international erfolgreiche amerikanische Fernsehserie Breaking Bad entgeht dieser Sackgasse. Allerdings muss man vorsichtig vorgehen – die Serie wurde oft als Verwandlung eines einfachen Mannes aus der unteren Mittelklasse in einen finsteren Gangster verstanden (und der Titel lädt dazu ein). Bei Walter White (gespielt von Bryan Cranston), ein Chemielehrer an einer High School in New Mexico, wird Lungenkrebs diagnostiziert. Weil er sich keine Behandlung leisten kann, entscheidet sich Walt, seine chemischen Kenntnisse für die Herstellung von Methamphetamin – oder Crystal Meth – zu nutzen, worin er von dem orientierungslosen, ehemaligen Schüler Jesse unterstützt wird. Im Fortgang der Serie wird aus Walter, der sich zu Beginn noch mit der Frage plagt, ob es Recht oder Unrecht ist, zu töten, ein rücksichtloser Verbrecher. Aber das ist nicht die ganze Geschichte und wenn man die Serie nur als die Geschichte der Verwandlung Walts in einen Gangster liest, ignoriert man, worin eigentlich ihre größte Herausforderung liegt.

Der Erfolg der Serie außerhalb der Vereinigten Staaten hat für ein paar lustige Parodien gesorgt. Man stelle sich vor, Breaking Bad würde in Großbritannien oder Kanada spielen. Erste Szene: Der Arzt teilt Walt mit, dass er Krebs hat – die Behandlung beginnt nächste Woche. Ende der Serie. Was diese Pointe offenlegt, ist eine Gegenüberstellung, die entscheidend für die Geschichte war: die Gebrechlichkeit des Körpers auf der einen Seite und die gesellschaftlich geschaffene Prekarität auf der anderen. Eine Möglichkeit, Fortschritt zu bemessen, liegt im Grad, in dem es Menschen gelingt, das unvermeidliche Leiden einzudämmen, das die Natur dem Körper zufügt. In diesem Sinn ist Breaking Bad mit Ken Loachs Dokumentation über die Ursprünge des britischen Wohlfahrtsstaates vergleichbar, Spirit of ‘45. Loachs Darstellung der Zerstörung des Fortschrittglaubens der Arbeiterklasse bildet den passenden, schmerzhaften Hintergrund für die neuen Wild-West-Verhältnisse in Breaking Bad. Walt tut so viele »schlimme« Dinge, weil er im Sinne der protes­tantischen Arbeitsethik ein »guter« Ehemann bleiben möchte. Ein Gutteil des düsteren Humors der Serie entsteht durch Walts Versuch, seiner Arbeitsideologie bis zuletzt treu zu bleiben – der Idee, dass es besser ist, sein »eigenes« Geld zu verdienen, egal mit welchen Mitteln, als andere um Hilfe zu fragen.

In der letzten Folge muss sich Walter eingestehen, dass sein Wunsch, einen Drogenimperium aufzubauen, ihm eine große libidinöse Befriedigung verschafft hat, die sich bereits vor langer Zeit vom ursprünglichen Zweck und weswegen er überhaupt angefangen hat, Meth herzustellen – nämlich seine Familie nach seinem Tod zu versorgen –, losgelöst hat. Doch über weite Strecken der Serie hält Walt daran fest, dass all die Drogen, das Töten, die Manipulation und der Terror einzig und allein dem höheren Zweck seiner Familie dienen. Ironischerweise ist dasjenige, was seine Familie nicht überlebt, der Weg den Walter schließlich einschlägt. Mit der Armut und den Schulden wären sie wahrscheinlich zurechtgekommen. Den Verlust seines physischen Körpers hätten sie verkraftet. Was sie nicht ertragen konnten, war der Verlust des Bildes von Walter als normaler Vaterfigur, gezeichnet vom Leben, vielleicht auch zu kurz gekommen, aber immer noch jemand, der »das Richtige getan hat«. Es ist, als ob Walter seine Familie gerade dadurch zerstört, indem er versucht, sie zu retten.

Die komplexeste und wirkungsvollste Figur der ganzen Serie ist Walters Frau, Skyler, gespielt von Anna Gunn. Die Schauspielerin hat berichtet, dass ihr von einigen Fans von Breaking Bad Misogynie entgegenschlug, als sie Skyler spielte. In einem Artikel für die New York Times schreibt sie, dass die Figur zu einem »neuralgischen Punkt für mancher Leute Gefühle über starke, sich nicht unterwerfende, schlecht behandelte Frauen« wurde. Das ist umso deprimierender als Skyler eine sehr nuanciert gezeichnete Rolle ist und in keiner Weise jemand, die Walt bei der ersten Gelegenheit zurückweist. Auch wenn sie Walts Eintauchen in die Unterwelt verabscheut, bricht sie erst ganz am Ende der Serie mit Walter, als seine Taten die Familie unwiderruflich in eine Katastrophe gestürzt haben. Bis dahin kämpft sie darum, aussichtslos aber heroisch, ihre Rolle als Frau, Mutter und verantwortungsvolle Bürgerin in Einklang zu bekommen. Am Ende haben wir das Gefühl, dass sie traumatisiert ist, aber nicht gebrochen – es gelingt ihr letztlich, dem Horror zu entfliehen, den Walter in ihr Leben gebracht hat, und sie bringt erstaunlicherweise immer noch etwas Liebe für ihren Mann auf, dessen Stolz, Selbstüberschätzung und Verzweiflung das Leben seiner Frau und seiner zwei Kinder fast zerstört hätte.

Diese Politik der Familie und der Zusammenhang mit der amerikanischen Ideologie, dass man sein eigenes Geld verdienen und seinen eigenen Weg machen müsse, stehen im Zentrum von Breaking Bad. In der Folge »Ozy­mandias« – vielleicht eine der aufregendsten, bedrückendsten und doch auch lustigsten Fernsehstunden, die ich jemals gesehen habe – bricht Skyler schließlich mit Walt. Ihr Sohn Walt Jr. hat gerade herausgefunden, dass sein Vater Meth kocht. Er verliert den Boden unter den Füßen: Seine Welt ist mit einem Schlag verschwunden. Er will es nicht glauben, er ist wütend auf Skyler und Walt, er versteht die Welt nicht mehr, aus seinen Augen sprechen tiefster Schmerz, Verwirrung und Schock. Skyler greift nach einem Messer – ein Echo von Wendy Torrance in Shining –, aber anders als Wendy bleibt Skyler standfest. Sie ist groß und stark, sie duckt sich nicht und hat keine Angst mehr, und auf einmal weiß sie, was zu tun ist, um sich und ihren Sohn zu schützen. Sie vertreibt Walt aus dem Haus. Doch vorher haben Skyler und Walt auf dem Boden miteinander gekämpft. Walt befreit sich, steht auf und versucht – auf lächerliche Weise – seine patriarchale Autorität geltend zu machen und appelliert an den Familienzusammenhalt. »Hör auf! Wir – sind – eine Familie!«

 

Eine Szene wie diese trifft genau, warum Breaking Bad solch eine fesselnde Serie war. Selbst hier wissen wir, dass Skyler Walt immer noch liebt – nicht, weil sie sich etwas vormacht, sondern weil sie weiß, dass Walt, obwohl er ein »Monster« geworden ist, eben nicht nur ein Monster ist. In gewissem Sinne liebt auch er Skyler und Walt Jr. immer noch; und die Szenen in der letzten Folge, wenn Walt zurückkommt, um sich von Skyler zu verabschieden, zum letzten Mal das Baby in den Armen hält und Walt Jr. aus der Ferne ansieht, wissend, dass er niemals wieder mit ihm sprechen wird, sind von unglaublicher Traurigkeit.

Ich glaube, es war Lacan, der gesagt hat, dass, wenn wir von Jenseits von Gut und Böse sprechen, wir normalerweise jenseits von Gut meinen. Die moderne Gesellschaft ist fasziniert von Antihelden, Menschen mit einer dunklen Seite, dem pantomimischen Wahnsinn und dem »Bösen« von Hannibal Lecter. Womit sie schlechter umgehen kann, ist die reale atheistisch-existenzialistische Erkenntnis, dass »gut« und »böse« nicht im Universum verankert sind, sondern nur in uns selbst existieren, im Verhältnis zu unseren Begierden und Interessen. Die Seifenoper-Melodramen halten uns in dem Glauben, dass das »Böse« eine voluntaristische Wahl ist – Menschen tun böse Dinge, weil sie böse sind. Doch bei Breaking Bad ist das Böse in diesem Sinne nirgends zu sehen.

Natürlich ist die Serie voll von Menschen, die »schlim­me« Dinge tun – also Menschen, die Taten begehen, von denen sie wissen, dass sie direkt oder indirekt Menschen verletzen – aber sie tun es nicht, weil sie böse sind. Tuco, der drittklassige Drogenboss, mit dem Walt und Jesse in der ersten Staffel zu tun haben, ist deswegen gestört und gewalttätig, weil er drogensüchtig ist und aus einer kriminellen Familie kommt. Gus Fring, der aalglatte Meth-Händler, der in der zweiten Staffel das erste Mal auftritt, ist ein äußerst pragmatischer Geschäftsmann – so pragmatisch, dass er sein Leben im Grunde vollständig undercover lebt, verkleidet als der bescheidene Besitzer einer kleinen Fast-Food-Kette. Er tötet rücksichtslos, aber nur wenn es nötig ist. Selbst als gegen Ende der Serie Hinterwäldler mit Hakenkreuz-Tätowierungen als Feinde auf­tauchen, erlaubt uns die Story nicht, sie als vollkommen »böse« abzutun, weil auch sie zu Taten der Gnade und der Güte fähig sind.

Und dann ist da Walt selbst. Einer der subversiven Erfolge der Serie ist die Art und Weise, wie sie darauf hinweist, dass unsere Sympathie für und Identifikation mit der Figur ein struktureller Effekt ist; einer der mit den Anforderungen des Genres und der Klassenstruktur der Gesellschaft zu tun hat. Am Anfangen sympathisieren wir mit Walter unter anderem deswegen, weil wir uns an andere Fernsehväter in schwierigen Situationen erinnern – beispielsweise Bryan Cranstons Rolle in Malcom mittendrin – und weil uns die Medien ständig dazu auffordern, uns mit dem »hart arbeitenden« Familienvater aus der unteren Mittelschicht zu identifizieren. Und dennoch zeigt uns Breaking Bad, dass der Unterschied zwischen dem »guten« und »gewöhnlichen« Mann und einem rücksichtslosen Verbrecher nur hauchdünn ist. Ohne die Krankenversicherung und das Sozialsystem hätte es auch uns erwischen können.