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Hoffen mit dem Feind:
The Americans 155

Die erste Staffel von The Americans (die kürzlich in Großbritannien auf ITV ausgestrahlt wurde) endete mit einer Passage aus Peter Gabriels »Games Without Frontiers«. Die Serie wurde zu Recht für ihren intelligenten Einsatz von Musik gelobt und »Game Without Frontiers«, ein Lied, das 1980, dem Jahr, in dem die Serie beginnt, veröffentlicht wurde, war die perfekte Wahl für den Höhepunkt der ersten Staffel. Atmosphärisch ist das Lied sowohl besorgt als auch fatalistisch: Gabriels von jeglicher Emotionalität befreite Stimme klingt katatonisch; der Sound ist kalt und abweisend. »Games Without Frontiers« fühlt sich weniger posttraumatisch als vortraumatisch an: es ist, als ob Gabriel die Wirkung einer Katastrophe registriert, die noch kommt.

Wenn man das Lied heute hört, vor allem im Kontext von The Americans, einem Thriller über den Kalten Krieg, dann erinnert es uns an eine Zeit, in der die Furcht allgegenwärtig war, in der das Gespenst der drohenden Apokalypse in jeder Faser des Alltags herumspukte. »Games Without Frontiers« evoziert jedoch nicht nur den historischen Moment, in dem The Americans angesiedelt ist, sondern es kommentiert auch die spezifischen Intrigen der Serie. Denn in The Americans geht um sowjetische Spione, die sich als eine ganz normale amerikanische Familie tarnen. Die Spionage im Kalten Krieg res­pektierte die Trennung zwischen privat und öffentlich nicht, zwischen Familienleben und dem Leben für die große Sache: Es war tatsächlich ein Spiel ohne Grenzen.

Die von dem früheren CIA-Agenten Joe Weisberg kreierte Serie handelt von Elizabeth (Keri Russell) und Philip Jennings (Matthew Rhys), zwei KGB-Spionen, die als Amerikaner getarnt in Washington leben. Es heißt, Weisberg habe mit dem Gedanken gespielt, die Serie in den 1970er anzusiedeln. Dramaturgisch macht es aber durchaus Sinn, die 1980er Jahre vorzuziehen. 1980 intensivierte sich der Kalte Krieg mit dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und dem Wahlsieg Ronald Reagans, der sich vollständig dem manichäischen Kampf gegen des »Evil Empire« verschrieben hatte.

Die Serie zeichnet sich durch ein bipolares Oszillieren zwischen einem gedämpften Naturalismus und der adrenalingeladenen Intensität des Thrillers aus. Verfolgungsjagden und Schießereien kommen nicht zu kurz – es gibt momentan wahrscheinlich keine Serie, die spannender ist –, doch diese Szenen werden unterbrochen durch Einstellungen aus dem Familienleben, wo die Spannungen ganz anderer Art sind.

Das Zuhause der Jennings’ ist alles andere als ein Refugium vor dem Kalten Krieg, sondern vielmehr der Ort, an dem die emotionalsten Intrigen sich abspielen. Die Ehe ist eine Farce: Zumindest am Anfang sind Elizabeth und Philip kein Paar, sondern Agenten auf einer Mission, und die Serie dreht sich zum Teil um ihre Mühen, mit diesem emotionalen Terrain zurecht zu kommen und ihre unterschiedlichen Erwartungen an ihre Rollen in Einklang zu bringen. Elizabeth und Philip wissen aber immerhin, was sie tun; ihre Kinder, Paige und Henry, tun das nicht. Sie haben keine Ahnung, dass ihre Eltern KGB-Agenten sind (die Ahnungslosigkeit der Kinder ist eine der besten Tarnungen, die die Jennings’ zur Verfügung haben).

Dadurch entsteht nicht nur die Gefahr, entdeckt zu werden, sondern auch ein moralisches Dilemma: Sollen die Kinder die Wahrheit erfahren? Dieses Problem steht im Zentrum der zweiten Staffel, in der es unter anderem um den Mordanschlag auf ein anderes KGB-Pärchen und ihre Kinder geht. Als klar wird, dass das überlebende Kind, Jared, vom KGB angeworben wurde, steht unweigerliche auch die Frage nach Paiges Rekrutierung im Raum. »Paige ist deine Tochter«, sagt Claudia, die KGB-Kontaktperson der Jennings’, »aber sie gehört nicht nur dir. Sie gehört der Mission. Und der Welt. Das tun wir alle.«

Hier sehen wir einen Kontrast zwischen The Americans und einigen anderen hochwertigen Spionagewerken, beispielsweise von John Le Carré. In Le Carrés Büchern ist George Smiley der Gegenspieler der KGB-Meisterspio­nin Karla – und obwohl Le Carré das simple Kalter-Kriegs-Schema von Gut gegen Böse verkompliziert hat, bleibt Karla doch eine fast schon dämonische Figur, deren Pflichtbewusstsein für Smiley und seinen liberalen Pragmatismus unverständlich bleibt. In The Americans hingegen werden die Sowjets uns anverwandelt. Dies geschieht zunächst, indem Elizabeth und Philip in den Vordergrund gestellt werden. Allerdings haben sie ein dichtes Netz von Nebendarstellern der rezidentura (der KGB-Stelle): Nina Krylova, eine Doppel- und später Tripleagentin, zerbrechlich aber resilient und einfallsreich; den pragmatischen Strategen Arkady Ivanowitsch; den strebsamen und enigmatischen Oleg Burov. Die Entscheidung, die Figuren in der Botschaft Russisch sprechen zu lassen, ist wichtig; ihre Differenz vom Westen wird gewahrt und die absurde Angewohnheit, sie schlechtes Englisch mit einem aufgesetzten russischen Akzent sprechen zu lassen, wird vermieden.

In Umkehrung klassischer Stereotype wirken die Sowjets in The Americans viel glamouröser als ihr amerikanisches Pendent. Der wichtigste Gegenspieler der Jennings’, der FBI-Agent Stan Beeman (Noah Emmerich) – der sich wie in einer Seifenoper als ihr Nachbar herausstellt – wirkt dröge im Vergleich zu Elizabeth und Philip, so farblos wie das FBI-Büro, wenn man es den Intrigen der rezidentura gegenüberstellt.

Ohne Zweifel trägt das zum subversiven Flair der Serie bei. Es besteht darin, dass die Zuschauer nicht nur mit den Jennings’ sympathisieren, sondern sie geradezu anfeuern, ihre Entdeckung fürchten und hoffen, dass all ihre Pläne erfolgreich sind. Die Message von The Americans ist nicht, dass die Jennings’ an derselben Menschlichkeit wie ihre amerikanischen Feinde und Nachbarn partizipieren, aber einfach auf der anderen Seite stehen. In Anbetracht der extremen Situation der Familie ist es unmöglich, dass wir finden, dass Elizabeth und Philip »genau wie wir sind«; doch zugleich zwingt uns die Serie dazu, dass wir uns mit ihnen identifizieren, selbst dann, wenn ihr Anders-sein gewahrt bleibt.

An entscheidenden Stellen der Handlung wird sogar betont, wie sehr sich die beiden von den »echten« Amerikanern unterscheiden. Während Philip schwankt und zumindest Teile des amerikanischen Way of Life wertschätzt, bleibt Elizabeths Engagement für die Zerstörung des amerikanischen Kapitalismus unzweideutig. Paige beginnt irgendwann zu den Treffen einer Kirchen-Gruppe zu gehen. Nichts verdeutlicht Elizabeths Fremdheit bezüglich des amerikanischen Lebens – und zu vielen Gepflogenheiten amerikanischer Fernsehserien – so sehr wie die Wut und die Abneigung, die diese Entwicklung in ihr auslöst. Die Szene, in der Elizabeth ihre Tochter Paige zur Rede stellt, ist auf eigentümliche Art und Weise witzig: Es gibt nicht viele Momente im amerikanischen Fernsehen, in der das Christentum so sehr angegriffen wird wie in diesem Gespräch.

Die komplexe Persönlichkeit von Elizabeth – und ihre außergewöhnliche Darstellung durch Keri Russell – sind ein Glanzstück der Serie. Sowohl sie als auch Philip müssen gnadenlos sein – wenn es nötig ist, dann töten sie, ohne zu zögern –, aber Elizabeth trägt eine unsentimentale Kälte und Entschlossenheit zur Schau, die dem zögerlichen Philip abgeht. Es ist der Serie hoch anzurechnen, dass sie diese Kälte nicht als moralisches Manko darstellt –, stattdessen wird die Spannung zwischen zwei sich widersprechenden Weltsichten aufrechterhalten, in der Elizabeths Prinzipientreue und Philips Unsicherheit sehr unterschiedlich gewertet werden. So besteht überhaupt gar kein Zweifel, dass Elizabeth ihre Kinder liebt (wenn dem nicht so wäre, würde sie sofort in das Klischee eines sowjetischen Monsters abgleiten) –, aber die Frage ist, welchen Stellenwert diese Liebe in der Hierarchie der Pflichten einzunehmen hat. Für Elizabeth ist klar, dass die Sache an erster Stelle steht.

In Verhältnissen, in denen der Kapitalismus ohne Gegenwehr herrschen kann, ist die Idee einer großen Sache verschwunden. Wer kämpft und stirbt für den Kapitalismus? Wessen Leben erhält Sinn durch den Kampf für eine kapitalistische Gesellschaft? (Vielleicht ist es das Sich-einer-Sache-Verschreiben, das den sowjetischen Fi­guren in The Americans ihren Glanz verleiht.) Niemand anderes als Francis Fukuyama hat davor gewarnt, dass der triumphierende Kapitalismus von der Sehnsucht nach einem existenziellen Ziel verfolgt werden wird, das Konsumgüter und parlamentarische Demokratie nicht leisten können. Unser Wissen darum, dass das Scheitern des sowjetischen Experiments nur zehn Jahre vom historischen Ort der Serie entfernt ist, verleiht der Diskussion über die kommunistische Sache in The Americans ein Moment der Melancholie. 1980 schien es, als würde der Kalte Krieg ewig weitergehen. Tatsächlich sollte innerhalb von nur neun Jahren alles, wofür Elizabeth und Philip einstehen zusammenbrechen und uns das Ende der Geschichte ereilen.

Der eigentümliche Tod der britischen Satire 156

Schaut man eine der politischen Sendungen der BBC – beispielsweise Daily Politics oder This Week, beide moderiert von Andrew Neil –, fällt einem ein gewisser Ton auf. Britische Zuschauer werden ihn kaum bemerken, weil er ihnen so vertraut ist. Tritt man jedoch einen Schritt zurück, merkt man, wie merkwürdig das ist. Diese vermeintlich so ernsten Sendungen kommen in einem leicht spöttischen Ton daher, den Neil, mit seinem ständigen Grinsen und dem süffisanten Bescheidwissen wie kein anderer verkörpert. Dieser Ton, so glaube ich, sagt uns etwas über die weit verbreitete Entfernung von der parlamentarischen Politik in England. (In Schottland ist die Situation anders: Die Mobilisierung der Bevölkerung nach dem Unabhängigkeitsreferendum hat den Trend zum Zynismus umgekehrt, der südlich der Grenze immer noch vorherrschend ist.)

 

Nehmen wir This Week. Die ganze Sendung wird in einem trägen, komikhaften Stil vorgetragen, von dem man sich nicht vorstellen kann, dass irgendjemand ihn witzig findet. Die Gäste müssen in albernen Kostümen auftreten und ihre Argumente in kleinen Sketchen präsentieren, die sich an ein Publikum wenden, dessen angenommenes Intelligenzlevel idiotisch ist. Die Atmosphäre ist kumpelhaft und informell und der generelle Eindruck besteht darin, dass in den parlamentarischen Entscheidungen nichts wirklich auf dem Spiel steht. Während Neils Hund am Set herumläuft, unterhält sich der frühere Tory-Kan­didat Michael Portillo auf dem Sofa mit dem professionell und liebenswert auftretenden Blair-Anhänger Alan Johnson – es gibt keinen Klassenantagonismus, nur kleinere Meinungsverschiedenheiten. Politik erscheint als ein (größtenteils) Gentlemen’s Club, in dem alle befreundet sind. Leute aus der Arbeiterklasse wie Johnson, können aufgenommen werden, aber nur, wenn sie sich an die Regeln halten. Die Regeln wiederum werden niemals explizit ausgesprochen, aber sie sind eindeutig. Das Parlament ist nicht zu ernst zu nehmen: Man soll es als (langweilige) Seifenoper behandeln, in der die Hauptdarsteller eigennützige Individuen sind, denen es um nichts anderes geht, als wiedergewählt zu werden. Nie werden intellektuelle Probleme diskutiert, sie werden höchstens als prätentiöser Nonsens verlacht. Man muss akzeptieren, dass sich nichts wirklich verändern wird: Die grundlegenden Koordinaten der politischen Wirklichkeit wurden in den 1980er Jahren gelegt und alles, was wir tun können, ist innerhalb ihrer Grenzen zu operieren.

Wenn man eine Sendung kreieren müsste, die – vor allem junge Leute – von der Politik abhalten soll, dann könnte das kein Format besser als This Week. Die Sendung scheint sich tatsächlich an niemanden zu richten: Wer lange aufbleibt, um eine politische Sendung anzuschauen, meint es wahrscheinlich ernst mit der Politik. Wer braucht diesen unlustigen Tand?

Es wäre schlimm genug, wenn sich dieser Ton nur bei This Week finden würde, doch inzwischen dominiert er fast die gesamte politische Berichterstattung der BBC. Bei den Berichten zur Wahl dieses Jahr, die von Neil moderiert wurden, war er offensichtlich. Der trivialisierende Ton ist wahrscheinlich schlimmer als das Problem politischer Voreingenommenheit (bekanntermaßen war der frühere Redakteur des Murdoch-Konzerns ein Anhänger Thatchers; Nick Robinson, der frühere BBC-Re­dakteur für Politik, war der Präsident der Oxford University Conservative Association). Die Berichterstattung in der Wahlnacht und das feixende Geplapper von Neil und seinen Kollegen war völlig losgelöst von dem Gefühl des Schocks und der Aufregung, den das Publikum angesichts des unerwarteten Sieges der Konservativen Partei verspürte.

Die grinsende Laura Kuenssberg, die kürzlich Robinson als politische Redakteurin abgelöst hat, schien den ganzen Abend als eine witzige Veranstaltung zu betrachten, während sie Tweets vorlas und Tratsch verbreitete. Wahrscheinlich steht für sie nicht viel auf dem Spiel – immerhin wurde sie in sehr privilegierte Verhältnisse geboren, ihre Eltern trugen beide wichtige Ritterorden und ihr Großvater war der Gründer und Präsident des Royal College of General Practicioners.

Aber wo kommt dieser Ton – diese eigentümliche Mischung aus erwachsener Abgeklärtheit und Adoleszenz – eigentlich her? Die schnelle Antwort wäre, dass es mit dem Klassenhintergrund zu tun hat. Der Ton des leichten, aber gnadenlosen Spotts, die Haltung, nichts wirklich ernst zu meinen, wurzelt im englischen Internatssystem. In einem Artikel im Guardian argumentiert Nick Duffell157, dass die Internatsschüler ab ungefähr sieben Jahren eine Haltung des »Pseudo-Erwachsenseins« annehmen müs­sen, die paradoxerweise dazu führt, dass sie, ein Problem haben »wirklich erwachsen zu werden, da das Kind, das nie ganz normal erwachsen werden durfte, sozusagen in ihrem Inneren zurückbleibt.«

»Internatsschüler«, so fährt Duffell fort,

»schaffen sich unweigerlich eine Behelfspersönlichkeit, die lange nach dem Internat bestehen bleibt und strategisch verfährt […] Entscheidend ist, dass sie keinesfalls unglücklich, kindisch oder albern wirken dürfen – oder irgendwie verletzlich –, ansonsten werden sie von ihren Mitschülern gemobbt. Sie spalten all diese Eigenschaften von sich ab, projizieren sie auf andere und entwi­ckeln so eine zweite Persönlichkeit, die ständig auf der Flucht ist.«158

Jetzt, da die Perspektive der Arbeiterklasse in den englischen Medien und in der politischen Kultur dermaßen marginalisiert ist, leben wir immer mehr im Geist dieser psychisch verstümmelten, adoleszenten bürgerlichen Män­ner. Scheinbare Leichtigkeit verdeckt eine tiefsitzende Angst und Gespanntheit; Selbstironie ist eine Art homöopathisches Heilmittel, das eingesetzt wird, um die drohende Zerstörung durch Demütigung abzuwenden. Man darf niemals wie ein Streber wirken; man darf niemals etwas mögen oder denken, das nicht bereits gesellschaftlich akzeptiert ist. Auch wenn man selbst nicht auf ein Internat gegangen ist, muss man sich doch in der emotionalen Atmosphäre derer bewegen, die es getan haben. Andrew Neil, der aus einer Arbeiterfamilie stammt und auf ein Gymnasium gegangen ist, erhielt deswegen Zugang zu den höchsten Kreisen, weil er die Verhaltensweise der Eliten und ihrer Privatschulausbildung imitierte. Die Ideologie Thatchers beruhte auf dem sichtbaren Erfolg von Menschen wie Neil – wenn die es schaffen konnten, dann konnten es alle schaffen.

Keine Sendung hat mehr dafür getan, den Modus des verpflichtenden, leichten Spotts zu normalisieren wie Have I Got News for You. In einem Essay für London Review of Books aus dem Jahr 2013 mit dem Titel »Sinking Giggling into the Sea« verortete Jonathan Coe Have I Got News for You in einer Genealogie englischer Satire, die bis zu den 1950er Jahren zurückreicht.159 Coe schreibt, dass Satire damals vielleicht eine Bedrohung für die Autorität der etablierten Politiker sein können, die von der Wählerschaft unhinterfragten Respekt erwarteten. Heute jedoch, da Politiker ständig verspottet werden und müder Zynismus allgegenwärtig ist, dient Satire als Waffe des Establishments, um sich selbst zu schützen.

Niemand personifiziert dies so sehr wie Boris Johnson. Coe weist darauf hin, dass Johnsons Erfolg entscheidend mit seinen öffentlichen Auftritten – manchmal als Gastmoderator – bei Have I Got News for You zusammenhing. Die Atmosphäre des ständigen Gekichers erlaubte Johnson, seine fein gestaltete, hochvermittelte Persona eines »liebenswerten, selbstironischen Kaspers« zu kultivieren. Johnson konnte sich in der Sendung als überfreundlicher Jedermann darstellen, statt als der Vertreter der Eton-Elite, der er ist. Unterstützt wurde er dabei von seinem zeitweiligen Gegenspieler Ian Hislop.

Hislop verkörpert die feixende, selbstzufriedene Art eines Aufsichtsschülers, der ein paar andere, etwas reichere Kids beim Klauen erwischt hat. Worin auch immer das Vergehen besteht, Hislops Reaktion ist immer ein hochnäsiges Kichern. Und wenngleich Spott die angemessene Reaktion ist, wenn Politiker mit heruntergelassenen Hosen erwischt werden oder Tricksereien mit ihren Ausgaben auffliegen, es scheint doch vollkommen unangemessen gegenüber der systematischen und weit verbreiteten Korruption, die wir in den letzten dreißig Jahren in England erlebt haben, von der Hillsborough-Katastrophe160 über das Abhören von Telefonen bis zum Pädophilie-Skandal, an dem wichtige Figuren beteiligt waren – ganz zu schweigen von dem Verhalten, das zur Finanzkrise führte. Als Redakteur von Private Eye war Hislop wesentlich an der Aufdeckung dieser Skandale beteiligt. Doch im Fernsehen dient seine Witzbold-vom-Dienst-Rolle dazu, das Ausmaß und das System dieser Taten zu neutralisieren und zu verdecken: dasselbe Kichern für alle Situationen.

Coes Argumentation bezüglich Johnson gleicht der Analyse des italienischen Philosophen Franco Berardis von Silvio Berlusconi. Berlusconis Beliebtheit, so Berardi, beruhte auf seinem »Spott über die politische Rhetorik und ihrer ewigen Rituale«. Die Wähler sollten sich mit dem »leicht verrückten Premierminister« identifizieren, dem »Schelmenpolitiker, der so ist wie sie«.161 Wie Johnson war auch Berlusconi der Narr im Zentrum der Macht, der Verächter des Gesetzes und der Regeln, »im Namen einer spontanen Energie, die von den Regeln nicht länger im Zaum gehalten werden kann«.

In Großbritannien reicht diese »spontane Energie, die von den Regeln nicht länger im Zaum gehalten werden kann« weit über den Bereich der Politik hinaus. Die populistische Feier dieser Energie von rechts ist sicherlich dafür verantwortlich, dass Jeremy Clarkson immer noch bei Top Gear auftritt und dass mehr als eine Millionen Menschen eine Petition unterzeichnet haben, dass Clarkson seinen Job behalten soll, nachdem er einem Produzenten ins Gesicht schlug.

Die hegemoniale Medienkultur lässt den in einer Privatschule ausgebildeten Clarkson als Freund klarer Worte und als Mann des Volkes erscheinen, der mutig seine Meinung gegenüber einer repressiven »politischen Korrektheit« vertritt, die ihn mundtot machen möchte. Der Erfolg von Top Gear ist ein anderer Beweis für die Macht – und leider auch den internationalen Reiz – der Mentalität der englischen Elite. Wer verkörpert besser diese bizarre Mischung aus abgeklärtem Erwachsensein und Adoleszenz als Clarkson und seine Mitmoderatoren? Was lässt sich einfacher lieben für einen heranwachsenden Vertreter der herrschenden Klasse als Autos?

Clarkson ist nur eine von vielen englischen Fernsehpersönlichkeiten, die die Rolle des Bösewichts spielen; einer Persona ohne jedes Mitleid für andere. Nur handelt es sich eben nicht nur um eine Rolle. Nehmen wir den früheren Star von The Apprentice und Kolumnistin bei The Sun, Katie Hopkins. Zeid al-Hussein, der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte verurteilte ihren Vergleich von Flüchtlingen mit »Ungeziefer« aufgrund des offensichtlichen Beiklangs von Nazi-Rheto­rik. Dass Hopkins damit davonkommt, hat mit etwas zu tun, das wir den natürlichen Postmodernismus der englischen Elite nennen können. Sowohl sie als auch Clarkson sagen verletzende Dinge, aber mit einem Zwinkern und erhobenen Augenbrauen.

Dieser Mummenschanz der herrschenden Klasse ist hochkomplex. Humor erlaubt Clarkson und Hopkins, sich rassistisch zu äußern, was dann wiederum sehr konkrete, sehr tragische Folgen hat, während sie ungeschoren davonkommen. Der Humor versichert ihnen und ihrem Publikum, dass sie es nicht wirklich ernst meinen. Doch das Problem ist, dass sie es gar nicht »ernst meinen« müssen: sie beteiligen sich daran, den Rahmen der Diskussion festzulegen und lassen zu, dass Migranten entmenschlicht werden, unabhängig davon, was sie »in Wirklichkeit« über diese Themen denken.

Als Hopkins Anfang dieses Jahrs an Celebrity Big Brother teilnahm, kam ihre Fernsehpersönlichkeit jedoch ins Wanken. Während sie die meiste Zeit weiter ihre Rolle als hasserfüllte, hartherzige Demagogin spielte, gab es zwangsläufig auch Situationen, in denen die Fassade Risse zeigte und man sah, dass sie Gefühle hat. Zwar hat das ihre Beliebtheit erhöht – sie hätte die Show fast gewonnen –, aber es bestand auch die Gefahr, dass die Marke Katie Hopkins Schaden nimmt.

Am verletzlichsten wirkte sie interessanterweise dann, wenn sie Zärtlichkeit von anderen akzeptieren musste. Um in der harschen und emotional verkrüppelten Welt der englischen, männlichen Elite zu überleben, die sie in eine Privatschule und in Sandhurst kennenlernte, hat sich Hopkins eindeutig jede öffentliche Spur von Wärme oder Freundlichkeit aberzogen. Leider tragen nicht nur Hopkins und der Rest der Elite einen solchen Persönlichkeits­panzer.

Die Kultur der autodidaktischen Arbeiterklasse hat großartige Komik, Musik und Literatur in der britischen Geschichte hervorgebracht. In den letzten dreißig Jahren hat die Bourgeoisie nicht nur die Wirtschaft und die Politik übernommen, sondern auch den Bereich der Unterhaltung und der Kultur. In Großbritannien gibt es in der Comedy und Musik immer öfter richtige Abschlüsse und es dominieren die privat Ausgebildeten. Die Komplexität der Arbeiterklassenkultur – in der sich Humor mit Intelligenz und Ernsthaftigkeit verbinden – wurde durch einen grauen, bürgerlichen Common Sense ersetzt, in dem alles mit witzlosem Humor auftritt. Es ist an der Zeit, dass wir aufhören, gemeinsam mit der emotional verkrüppelten Bourgeoisie zu kichern, und stattdessen lernen, wieder mit der Arbeiterklasse zu lachen und uns um sie zu küm­mern.