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Märgi loetuks
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Der ›barocke Cyberpunk‹ von Visage ist ein Bindeglied zwischen Roxy Music, Vangelis, Disco und das, was später Dance Music wurde. Wer das nicht glaubt, sollte die Dance-Remixe von ›Frequency 7‹ oder ›Pleasure Boys‹ anhören: Die Instrumentierung des ›Pleasure Boys‹-Remix ist reiner Acid House und ›Frequency 7‹ ist eine pure, aufregend anachronistische Version von Maschinen-Techno. Ohne Zweifel waren es Strange und Egan, die im Blitz-Club/Camden Palace den Einstieg in die Dance Music erleichtert haben. Es war ein wichtiger Schritt, nicht das Konzert, sondern den Club und das Tanzen in den Mittelpunkt zu rücken (vor allem für Visage, aber auch für die New-Romantic-Szene im Allgemeinen). Strange war nicht so sehr wichtig als ›Frontman‹, sondern als reines Bild, es ging um sein Misstrauen und seine Passivität als Sänger, die das spätere Abtreten des Sängers in der Dance Music vorwegnahm.«

Außer, dass der Sänger von der Dance Music nicht völlig ausgeschlossen wird.

Er kehrt als die Femaschine Róisín zurück.

Cut in die Gegenwart.

Ich habe meinen jüngsten Bemerkungen176 über Moloko und Róisín Murphy als jüngster Beitrag zur Geschichte des Art Pop nicht viel hinzuzufügen.

Aber es lohnt sich, Murphy von zwei anderen Künstlern abzugrenzen, die John kürzlich in den Kommentaren erwähnt hat: Madonna und Kylie.

Minogue ist eine Sexarbeiterin im banalsten und degradierendsten Sinne, denn es ist völlig klar, dass ihre alberne Unterwerfung unter dem männlichen Blick nicht mehr als ein karrieristischer Move ist. Bei Murphy wiederum hat man das Gefühl, dass es ihr Spaß macht, dass sie tut, was sie auch so tun würde (und es ist nur zufällig ein Publikum dabei). Es ist klar, dass sie Aufmerksamkeit mag (männliche oder sonst irgendeine), doch wie bei allen großen Künstler ist ihre jouissance in fundamentalen Sinne autoerotisch. Das Publikum ist kein passiv konsumierender, onanierender Zuschauer, sondern ein Feedback-Faktor in der Róisín-Maschine.

Und anders als Madonna retuschiert Murphy nicht alle Ecken und Kanten aus ihrer Performance heraus. Während es bei Madonnas hyperprofessionellen Shows um die CGI-Glätte eines Hollywood-Films geht, spielt die ihren Lederstiefel-Fetisch zur Schau stellende Murphy die ganze Zeit – wenn auch in vollem Ernst.

»Sie werden gerade zur Stilikone, ist das etwas, was sie interessiert?

Róisín: Ich kleide mich für mich selbst, ich habe mich schon immer so angezogen und es macht mir Spaß. Ich glaube, die Leute haben einfach die Nase voll von Popstars, denen gesagt wird, was sie zu tun und lassen und was sie zu tragen haben.«

Noise als Anti-Kapital:
As the Veneer of Democracy
Starts to Fade 177

VERGESST ORWELL

Orwell liegt in allem falsch, aber vor allem bezüglich 1984.

Es war nicht das Jahr, in dem Zombiedronen einen Konsens herbeizwangen, sondern 1984 gab es in Großbritannien einen Krieg zwischen den Klassen, in dem das multinationale, paramilitärische und polizeiliche Kapital178 die Reste eines organischen Arbeiterklassenbewusstseins zerschlug, alles live auf Videodrome.

So ein inszenierter Antagonismus ist eine notwendige Phase im Programm der Pazifizierung, die schließlich im Triumph des Kapitals als Ende der Geschichte kulminiert.

Die beruhigende Stille der geräuschlosen Polis am Ende der Zeit.

Tonys Lächeln.

Blair ist ein effektiverer Klassenkämpfer als Thatcher und Macgregor es je sein konnten. Ihre Effizienz wurde damals durch den Zwang des Kapitals beschränkt, dass der Klassenkampf sichtbar sein musste.

Tony muss nicht kämpfen.

Nicht kämpfen zu müssen, heißt, dass man gewonnen hat.

Heute ist alles zur Verwaltung geworden.

Systemischer Antagonismus ist nur eine böse Erinnerung.

Mach den Fernseher an.

Vergrab dich in deiner Höhle.

Stimm die Gitarren neu.

Kehr zurück zur Harmonie.

Willkommen in Liberty City.

Je beschäftigter du bist, umso weniger siehst du.

SOUND FX

Mark Stewarts As the Veneer of Democracy Starts to Fade war der politisch-libidinös aufgeladene Soundtrack zum »Kampf um die Herzen und Seelen«, der zwischen dem Kapital und seinen Feinden in Großbritannien um die Jahre 1984/85 ausgefochten wurde.

Sieben Jahre zuvor hatte Stewart seine Antikarriere als jugendlicher Nietzsche-Artaud-Debord begonnen, als kommunistischer, schamanischer Hitzkopf und hysterischer Schreihals bei The Pop Group.

Nach der Auflösung der Bristoler f-punk Gruppe kam er mit Adrian Sherwoods überbordendem Hyperdub und mit amerikanischem Hip Hop in Berührung.

Sofort versteht Stewart, dass es sich beim Hip Hop nicht um Musik von der Straße handelt, sondern um eine abstrakte Nichtmusik: Ein Ort des puren, klanglichen Potenzials, in dem unmenschliche, konstruktivistische Soundcartoons ohne Bezug zu musikalischen Protokollen produziert werden konnten.

Es sind alles Soundeffekte, eine Art und Weise, Geräusche zu manipulieren.

Hyper-Modernismus. Das klangliche Äquivalent zu den Cut-up-Collagen von Burroughs und Gysin.

Ein Bekannter von Sherwood sorgt schließlich für ein unerwartetes Treffen. Der englische Nichtsänger und Klangverfremder Stewart lernt den aalglatten P-Funk kennen, purer NYC-Underground, der für die Beats auf Pionierveröffentlichungen des Hip Hops von Tommy Boy und Sugarhill verantwortlich waren.

Es gehören dazu:

Keith Leblanc. Er hat die Beats für »Malcom X: No Sell Out« produziert. Ihm gelingt es, Drummachines so zu programmieren, dass sie wie ein Rudel Hunde klingen.

Doug Wimbish. Der unglaublich präzise, hypertechnische Hendrix des Basses.

Skip McDonald. Synthesizer-Manipulator und psychedelisch-funkiger Sensenmann.

Sherwood und Stewart nehmen ihr bereits entmenschlichtes Klangmaterial und unterziehen es weiteren dissonanten, antimusikalischen Bearbeitungen, sie mixen Samples von Burroughs aus Nova Express und andere absichtlich verschlüsselte Medienreferenzen hinein und kreieren ein antikommunikatives, libidinöses Signal, das dich hinter die Kulissen des Realen führt.

Apocalpyse Now.

DER KAMPF UM DIE HERZEN UND SEELEN

Wenn die Fassade der Demokratie zu bröckeln beginnt, sagen einige, sind die Internierungslager schon gebaut.

Wenn die Maske des Anstands fällt und das Visier geschlossen wird, werden die Konturen der Neuen Weltordnung sichtbar.

Die Zerschlagung des Bergarbeiterstreiks – und damit auch der schmiedeeisernen Ruinen des Konsenses der Nachkriegszeit – war nur der medial sichtbarste Ausdruck der Befriedungsstrategie des Kapitals und in vielerlei Hinsicht der unwichtigste. Viel entscheidender war es, dem transnationalen, sich in den Cyberspace ausbreitenden Kapital den Weg zu ebnen und jeden Widerstand zu pathologisieren, wenn nicht gar undenkbar zu machen.

»Sterezene, Thorazin und Largactil«, die Antipsychotika und Beruhigungsmittel, die laut Gesetz zur Förderung der psychischen Gesundheit verschrieben werden, zähmen die in Psychiatrien verlegten, politischen Gefangenen.

Narco-Neurotisierung als die Wiedererrichtung eines simulierten Realitätsprinzips und die Anhäufung von nahezu grenzenlosem Kapital in planetarischer Schizophrenie.

Du musst nicht verrückt sein, um hier zu arbeiten.

Beschränke deine Forderungen einfach auf das Mögliche.

Finde den Weg zurück in deinen Schlafsaal.

Privatisiere dein Leid.

Du kannst zwar deine Miete kaum zahlen, aber deine größte Sorge ist Jobsicherheit.

Dann und wann können wir uns ein bisschen Luxus leis­ten.

Quietismus.

DISSONANZ / DISSENS

Wenn das Ziel darin besteht, Informationen zu verbreiten, warum dann dieser ganze Lärm?

Warum die Verzerrung, die absichtlich begrabenen Stimmen, warum all die halb-hörbaren Andeutungen, die audio-halluzinogene Fragmentierung, die verdrahteten Schreie?

Warum nicht einfach und verständlich kommunizieren?

Weil normale Kommunikation – und alles, was sie voraussetzt – das Phantasma ist, das vom System zu seiner eigenen Rechtfertigung entworfen wird und sein Ziel immer notwendig hinausschiebt.

»Der ›große Andere‹ repräsentiert demnach das Feld des Common Sense, das man nach freier Deliberation erreichen kann; philosophisch gesprochen ist Habermas’ kommunikative Gemeinschaft mit ihrem regulativen Ideal der Übereinstimmung seine letzte große Spielart.«179

Eine Polis frei von Lärm.

Man sagt uns:

Erst wenn der Lärm des Antagonismus leiser wird, werden wir uns hören können.

Erst wenn das Hintergrundrauschen verschwunden ist, wird menschliche Rede möglich sein.

Überwache dich selbst und die Schlagstöcke werden unnötig sein.

Vergifte dich selbst und wir werden dich nicht ruhigstellen müssen.

Stewarts Demontage seines eigenen Selbst durch Lärm ist als Weigerung gegenüber den Foucault’schen Biocops und Burroughs Kontrolljunkies zu verstehen, die in erster Linie auf der Ebene der Haut und des Zentralnervensys­tems ansetzen, wo sie einen dazu bringen, sich als innerlich kohärentes, steuerndes Ich zu konstituieren.

Stewart behandelt seine Stimme nicht als authentischen Ausdruck einer subjektiven Innerlichkeit, sondern als eine Reihe von Schreien eines Labortiers, ein wütendes Japsen und unpersönliche Äußerungen, die dann zerschnitten und im Noise-Hyperdub-Raum verteilt werden, vermischt mit gefundenen Klängen á la Duchamp und Geräuschen von übermäßig verzerrten, ehemaligen Musikinstrumenten. Durch die Verstärkung des Lärms als Flucht vor der Harmonie auf allen Ebenen – psychisch, sozial und kosmisch – bricht die Identität zusammen.

 

Dissens.

ICH WERD’ KEIN SKLAVE DER LIEBE SEIN

Sei immer auf Seiten O’Briens gegen Winston Smith und Julia.180

Es gibt nichts Natürliches und dem menschlichen, biosozialen Normalzustand ist immer zu misstrauen.

Wer raus will, soll den ganzen Säugetier-Pärchen-Scheiß zurücklassen.

Stewart hat seinen Burroughs sehr genau gelesen.

Es geht nicht um Emulation, sondern um den Einsatz abstrakter, technischer Diagramme in verschiedenen Medien. Insofern ist As the Veneer of Democracy Starts to Fade der Fluchtpunkt jenes von Nutall in Bomb Culture beschriebenen, britischen Undergrounds, den wir auch in den Romanen Burroughs finden.

»Hypnotised« wirkt wie das Kapitel »Ich liebe dich« in The Ticket that Exploded, in dem Burroughs auf gnadenlose und zum Schreien komische Weise den Sex-Liebe-Virus analysiert und seziert, der unserem Selbst gleichsam vorprogrammiert wurde und als biologischer Film und sentimentale Schmonzette, verklebt mit Hardcore-Pornographie, in einer Endlosschleife in unserem Zentralnervensystem abläuft und eine anhaltende, unbändige Sehnsucht hervorruft:

»All die Melodien und Klangeffekte der ›Liebe‹, die der Rekorder ausspuckt, variierendes Geheule über Sex von einem traurigen Bilderbuchplaneten: Liebst Du mich? – Ich aber breche in kosmisches Gelächter aus – Sollte die alte Freundschaft schon vergessen sein? Oh Liebling, nur ein Foto?«181

Dem Himmel muss ein Engel verloren gegangen sein.

Hypnotised.

Hypnotised.

She’s got me hypnotised. //

Hypnotisiert. / Hypnotisiert. / Sie hat mich hypnotisiert.

Stewarts Cut-ups von konstruktivistisch-brutalistischem Funk und zuckersüßen Liebesliedern nimmt bereits vorweg, wie der Wolframcarbid-Magen des Kapitals die Hyper­abstraktionen des Hip Hop verdaut und seit den Neunzigern als den vorherrschenden Konsumsoundtrack zurückspielt.

KONTROLLDATEN

Der Datengehalt von Stewarts Tiraden-Berichten ist nichts Besonderes.

7% of the population own 84% of the wealth.

Parasites … The great banking families of the world … Bastards …

Are these the words of the all-powerful boards and syndicates of the earth? //

7% der Weltbevölkerung besitzen 84 % des Reichtums. / Parasiten … Die großen Bankenfamilien der Welt … Bastarde … / Sind dies die Worte der allmächtigen Vorstände und Konsortien der Welt?

Es geht nicht darum, dir etwas Neues zu erzählen, sondern dein Nervensystem neu zu programmieren.

Kontrolle beruht darauf, die Wirklichkeit eines sys­temimmanenten Antagonismus auf einen bloßen Glauben zu reduzieren.

Ein Lied wie »Bastards« ist eine sehr präzise Waffe gegen die Kontrolle.

Der Song ruft Wut hervor und soll Überzeugungen affektiv machen, während Kontroll-PR beruhigt und normalisiert.

Kontroll-PR stopft die Löcher, weicht auf, macht stumm und sorgt dafür, dass Konfrontation und Ausbeutung undenkbar werden, ohne nicht die ganze Realität infrage zu stellen.

Wie die Collagen von John Heartfield verstärken auch Stewarts krude Klangsplitter die Verzerrung und die Gewalt.

Die Situation ist nicht unter Kontrolle

Sie schützen dich nicht

Es ist Krieg

Und du auch

ES GIBT KEINE WÜRDE

Man darf die Arbeiterklasse nicht mit dem Proletariat verwechseln.

Thatcher steht für den Auftritt des Proletariats durch den Kauf der Arbeiterklasse durch Zahlungsmittel und das Versprechen, bald einen Öd[ipus]-iPod zu besitzen. Der Luxus der Sklaverei. Sie gibt den Replikanten Bildschirmerinnerungen und Familienbilder.

Damit sie vergessen, dass sie nur künstlich sind, dass sie in Fabriken massenhaft hergestellt wurden, um als Menschenmaterial des Kapitals und seiner Selbstverwertung als unheimliches Ding zu dienen und auf keinen Fall beginnen, sich für authentische, menschliche Subjekte zu halten.

Das Proletariat ist nicht die Konföderation solcher Subjektivitäten, sondern ihre Auflösung im globalisierten K-Space.

Die virtuelle Bevölkerung der neuen Welt.

Die totale Erinnerung an all den Lärm.

Lyotard beschreibt die Hysterisierung des Ohrs eines Arbeiters, wenn es dem nie zuvor dagewesenen Lärm des Industriekapitals ausgesetzt wird: die unaufhörliche, klang­liche Gewalt eines 20.000 Hz Generators.

Der Heroismus des Proletariats besteht nicht in seinem würdevollen Widerstand gegenüber der anorganischen Un­menschlichkeit des Industrialisierungsprozesses – »es gibt weder eine libidinöse Würde, noch eine libidinöse Brü­derlichkeit, noch eine libidinöse Freiheit, es gibt nur libidinöse Kontakte ohne Kommunikation«182 –, sondern in seiner mutativen, an Duchamp erinnernden Verwandlung seines Körpers in eine unmensch­liche, anorganische, konstruktivistische Maschine.

As the Veneer of Democracy Starts to Fade ist eine Klangmaschine, die diesen Prozess beschleunigt. Ein anti-ödipales, anti-neurotisches, anti-quietistisches, pro-proletarische Noise-Waffe. Ein Anti-Videodrome-Signal.

Stöpsel es in dein Nervensystem und los geht’s.

Die Außenseite des Ganzen heute 183

Wieder einmal eine Woche, die in jeder Hinsicht von Simon Reynolds Rip It Up and Start Again: Schmeiss alles hin und fang neu an: Postpunk 1978-1984)184 dominiert wurde, und zwar zu Recht.

Das größte Kompliment für das Buch ist, dass man sich auf Zug- und Busverspätungen freut, auf alle Momente, in denen man seinen Hunger wieder stillen und dem Jucken nachgeben kann…

Die Zahl der Leute bei der Lesung im Boogaloo am Mittwoch, aber mehr noch, ein gewisses Gefühl der Gärung in der Atmosphäre, zeigen, dass es hier um mehr als ein Buch geht. Den Geist des Postpunk wieder zu erwe­cken, ist nichts anderes als ein Akt der Intervention in die derzeitige Kulturpolitik – denn Postpunk fällt nicht nur über die zeitgenössische Popkultur ein (hartes) Urteil, sondern er beweist auch die Legitimität und Notwendigkeit, wieder Urteile zu fällen und ein paar Kriterien zur Analyse von Unterhaltungsprodukten zu haben (nicht-musikalische und nicht-hedonische Kriterien). Eine solche Position wird von der heutigen Popkultur (= der kulturellen Logik des Spätkapitalismus) nicht etwa unterdrückt, sondern sie wird schlicht undenkbar gemacht.

Irgendetwas in Paul Morley ist am Mittwoch auf jeden Fall erwacht. (Und vielleicht auch etwas in uns?...)

Ein bestimmter Morley hat wissentlich an der Abschaffung von Postpunk mitgearbeitet – woran ihn Simon bissig erinnerte, indem er auf eine Tirade Morleys gegen die Idee, dass der Wert einer Popplatte von ihrer Popularität abhänge, fragte: »Aber stammt diese Idee nicht von dir?« Es gut vorstellbar, dass absurderweise, aber doch unvermeidlich, Morleys populistisches Verständnis von Pop in den frühen 1980er Jahren einige Leser des New Musical Express zu Neokonservativen gemacht hat. In der Rückschau kann man diese Rückkehr zu einem kommerziellen Begriff von Pop als Beginn einer Zeit der schleichenden Desillusionierung sehen, einer Enttäuschung, die langsam aber sicher die Oberhand gewann, bis auch noch die letzten Spuren des Postpunk verschwunden waren (und zwar so, wie manchmal politische Gefangene verschwinden). Dieser Prozess war so gut wie abgeschlossen, als vor ein paar Jahren die Pod-Zombie-Duplikate die Bühne betraten, formal identische Kopien, die das Kapital185 massenhaft herstellte.

Heute sieht man deutlicher als damals, wie sehr die kulturellen Artefakte – und der mit ihnen einhergehende Diskurs – von einem wieder auflebenden Kapital186 programmiert waren. Eine bestimmte Form des Realismus gab nicht nur vor, was jetzt geschehen konnte, sondern sie retuschierte auch, was schon geschehen war. Die Vorstellung, dass Pop mehr sein könnte als ein angenehmes Divertissement in der Form einer leicht zu konsumierenden Ware, die Idee, dass die Popkultur ein Ort für Konzepte sein könnte, die schwierig und herausfordernd waren: Es reichte nicht, diese Ideen zu verleugnen, man musste sie auch verweigern. Operation Amnesie, ein Befriedungsprogramm: Es ist niemals passiert, es war eine Illusion, eine jugendliche Schwärmerei und jetzt sind wir alle erwachsen…

Natürlich klingen Morleys Tiraden gegen das Amateurhafte, sein Plädoyer für Ambition und Überfluss 2005 anders als in den frühen 1980er Jahren, aber das ist nur angemessen, da seine als Kunstwerke eigenen Rechts gedachten Manifeste selbst als strategische Provokationen statt als zeitlose, ästhetische Philosophien gedacht waren. Obwohl Morley, der Autor des enttäuschenden Words and Music sich auf Popenthusiasten berief, die um die Nullerjahre herum im Internet aktiv waren, ist es doch schwer vorstellbar, dass es Morley und Penman aus dem Jahr 1981 gefallen würde, dass ihr Erbe in der Ent­intellektualisierung und Entpolitisierung – also der Überantwortung an den Konsum – von Pop bestand. Sie hätten sich kaum vorstellen können, wie sich Pop in den nächs­ten zwanzig Jahren verlangsamen würde und dass ihre Affirmation des Entrismus das letzte Wort in einem verworrenen, theoretischen Dialog waren, von dem man einmal dachte, dass er ewig weitergehen würde.

Wenn ich Rip It Up lese, dann sehe ich noch einmal die Anfänge des Lebens mit Pop – aber aus der Entfernung, wie Spider in Cronenbergs Film, ein Erwachsener in der Ecke, der sich selbst als Kind betrachtet. Mit Simon als meinem Vergil, der mich durch jenes verlorene Paradies führt, verstehe ich nun, dass Pop für mich Postpunk war – Kings of the Wild Frontier war die erste Platte, die ich mir gekauft habe und ABC die erste Band, die ich live gesehen habe. Rip It Up lässt mich begreifen, was ich auf meinem absurden Weg in den Postpunk hinein nicht wertschätzen konnte: dass der Reichtum des Pop damals – nicht nur musikalisch, sondern auch bezüglich der Ideen, der Kleidung, der Bilder – nur eine kurze Zeit dauerte und von ganz spezifischen, kontingenten historischen Bedingungen abhing. Aber trotzdem wurden Erwartungen in mir geweckt und so gut wie alles, was ich seitdem geschrieben oder getan habe, war im Grunde ein Versuch, dem Ereignis des Postpunk treu zu bleiben. Cyberpunk – sowohl im engeren Sinne als Genre als auch in dem erweiterten Sinne, wie wir es bei Ccru verstanden haben – steckte bis zum Hals im Postpunk. Wie sehr William Gibson von Steely Dan und Velvet Underground beeinflusst war, ist seit langem bekannt, doch der dominante Ton in Neuromancer war ein Überbleibsel aus dem Postpunk. Die High-Tech-Prostituierten waren vielleicht nach den Meat Puppets benannt, aber die techno-nihi­lis­tische Atmosphäre, die Dub-Apokalyptik, der von Amphetaminen ausgebrannte Protagonist Case und das hektische, komatös-abgehackte Narrativ, der zuckende Finger, der immer auf Vorspulen drückt, all dies kam direkt aus der britischen Postpunk-Szene.

Was am meisten an Postpunk auffällt, ist die fast vollständige Abwesenheit Amerikas und des Amerikanismus. Als Teenager war der einzige amerikanische Pop, den man hörte und der nicht Disco war, das, was im Kaufhaus am Samstag lief, wenn Paul Gambaccinis Hot 100 aus den Lautsprechern der Läden schallte. Es war ein Fenster in eine schrecklich arme Welt von kaum vorstellbarer Banalität.

Von den wenigen wichtigen amerikanischen Bands jener Zeit haben nur Devo und die Meat Puppets sich Inspiration aus der amerikanischen Kultur geholt (bei Devo spielte die USA aber natürlich nur als vollkommen künstlicher, post-industrieller, durch Philip K. Dick gefilterter Schrotthaufen eine Rolle). No Wave entstand aus dem wurzellosen Kosmopolitismus und transnationalen Nihilismus von New York, während die interessantesten amerikanischen Gruppen – Tuxedomoon und The Residents – europhil waren. Im Postpunk wurde Amerika immer mehr zur ethnographischen Spur – wie beim eks­tatischen, hysterischen und autoritären Geistergeschwätz des Amerikkkanischen Fernsehens und den Medienfetzen auf Cabaret Voltaires Voice of America oder bei Byrne und Enos My Life in the Bush of Ghosts.

 

Heute hat man das vergessen, aber in der Zeit nach Viet­nam und vor dem Zusammenbruch des Ostblocks war Amerika ein paranoides und geschwächtes Land, krank von Nixon und introspektiv, in Angst vor den eigenen Schatten. Postpunk wurde – ein sich lustig machender – Zeuge der scheinbaren Absurdität, dass der idiotische Schauspieler Reagan Amerika neues Selbstvertrauen geben sollte, obwohl Reagans Aufstieg am Anfang selbst wie ein finsterer Postpunk-Streich aussah, weil er auf unheimliche Weise verwirklichte, was einer der einflussreichsten Autoren des Postpunk, J.G. Ballard, vorausgesagt hatte. (In den Vereinigten Staaten erschien Ballards Atrocity Exhibition unter dem Titel Love and Napalm: Export USA; der im Postpunk so omnipräsente Roman dokumentierte sowohl, wie England in Los Angeles, einen Ort der allgegenwärtigen Werbung, verwandelt wurde, als auch die englische Sicht auf die USA). Als Postpunk im ironiegetränkten, neonfarbenen Glanz von MTV unterging, hatte sich der Witz, um es vorsichtig zu sagen, abgenutzt. Pop war wieder zum amerikanischen Blue-Gene-Rock geworden (ich erinnere mich noch an mein Unverständnis, als NME den in T-Shirt und Jeans gekleideten Springsteen auf dem Cover hatte; und es kam noch Schlimmeres, nämlich so etwas wie The Long Ryders). Die Langeweile war zurück, aber diesmal ohne Punks, die sie denunzieren konnten. Die trockene Shopping Mall, die am Ende der Geschichte eröffnet wurde, stellte sich als die einzig vorstellbare Zukunft heraus. Schlimmer als die Karrieremöglichkeiten, die einem verweigert wurden, waren die, die es tatsächlich gab: Jobs für alle in den mit Neonröhren erleuchteten, prallgefüllten und sich unendlich weit erstreckenden Supermärkten eines Amerikas, in dem die Zeit aus den Fugen und es für immer das Jahr 1955 war …ein Schatten, in denen man sich verstecken kann … Kein Platz, um sich zu bewegen, kein Platz für Zweifel…

Es ist in gewisser Weise ironisch, dass Rip It Up nach einem Lied von Orange Juice benannt ist, denn Orange Juice und das Label Postcard waren in gewisser Weise das Äquivalent zu Springsteens Rückkehr zu den amerikanischen Wurzeln. Dieser Vergleich mag schief wirken, aber man denke daran, wie sowohl Springsteen als auch Orange Juice ganz bewusst eine Art von bodenständiger Authentizität kreierten, die sich durch die Ablehnung alles Künstlichen auszeichnete. Man stelle Springsteens Reich’n’Roll-Jeans-Uniform neben die biederen Pullover von Orange Juice, die aus der Serie Wiedersehen mit Brideshead stammen könnten. Wie The Smiths imaginierten sich auch Orange Juice in der Postcard-Ära retrospektiv einen britischen Pop, den es niemals gegeben hat. Das englische Äquivalent zur lauthalsigen Gröhligkeit war eine Art schlabberiges, ausgefranstes, wortkarges Zaudern, das genauso selbstbewusst die Zeichen einer nationalen Identität reklamierte wie es Springsteens hemds­ärmelige Posen taten. (Ist es zu abstrus, in den frühen Orange Juice eine Vorwegnahme des eitlen Gehabes von Hugh Grant zu sehen?)

Als ich 1986 mein Studium begann, waren Orange Juice und The Smiths in der »Imagination« der Studenten völlig hegemonial geworden. Es war der perfekte Pop für junge Männer, die sich selbst für »sensibel« hielten, auf dem Weg zu einer Karriere im Marketing. Orange Juice spielten außerdem eine große Rolle bei der Rehabilitierung des Liebesliedes. Wenn Romantik im Postpunk überhaupt eine Rolle spielte, dann als etwas, das man verspottete und entmystifizierte (wie die Slits in »Love Und Romance« oder Gang of Four in »Love Like Anthrax«) oder etwas, dem man sich politisch und theoretisch näherte, wie bei Scritti oder Devoto. Die neue Beschäftigung mit der Liebe war eine Wiederinstandsetzung des »Gewöhnlichen«, ein neu erwachtes, humanistisches Selbstbewusstsein in einem enthistorisierten Kontinuum der »Dinge, die immer weitergehen«.

Man hat oft gesagt, dass Punk das 1968 von Großbritannien war, aber das verkennt in vielerlei Hinsicht, wie Punk über die Ereignisse von Paris hinausging. 1968 bestand nicht nur in der Ablehnung bestimmter theoretischer Positionen, sondern auch der Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft, so dass in der Hitze der »Begehrensrevolution« der Sechziger der kalte Spinozismus von Althussers strukturaler Analyse gemeinsam mit den Häusern in Flammen aufging. Punk und Postpunk standen hingegen dem dionysischen Triumvirat von Freizeit, Genuss und Rausch tief misstrauisch gegenüber, weshalb die erforderliche Haltung die eines des wachsamen Hyperrationalismus war, eine Art popularisierter Althusserianismus, in dem Innerlichkeit als ideologischer Bluff ent­hüllt wurde und Gefühle nicht als »echter Ausdruck einer authentischen Subjektivität« verstanden wurden, sondern als strukturell hergestellte, reaktive Kreisläufe. Daraus folgte die Forderung nach einer »proletarischen Disziplin« statt willenloser Hingabe – einer ganz bewussten und unverhohlenen Forderung –, ein Puritanismus der an die egalitären gesellschaftlichen Ambitionen der ursprünglichen Puritaner erinnerte. In dieser Hinsicht war Scrittis Entwicklung vom genussfeindlichen Marxismus zur »spielerischen« Dekonstruktion emblematisch für den Verlauf der Dekade, sowohl in den Universitäten als auch in den Charts. Die exorbitanten Oberflächen von Cupid and Psyche scheuten zwar die Innerlichkeit, aber ihre Simulation von Innerlichkeit war nicht weniger authentisch, nicht weniger gefühlvoll als andere Formen der Innerlichkeit aus glaubwürdigeren, unironischen Quellen des Mainstreams. Wer jetzt verspottet wurde, war Green Gartside selbst, der dachte, dass seine Intelligenz ihn vor der vollständigen Integration schützt.

Doch der triumphierende Kapitalismus, für den Green bereits arbeitete, hatte überhaupt keine Probleme, alle aufzunehmen, die Einlass begehrten. In den siebziger Jahren versuchte Lyotard die Vorstellung, dass es »subversive Bereiche« gebe, die das Kapital nicht berührt, zu kritisieren, indem er den Kapitalismus als »Wolframcarbid-Magen« bezeichnete, der alles in seinem Weg verspeist und verdaut. Und wie Fredric Jameson ausgeführt hat, war das Kapital in den Achtzigern zu einem riesigen Innenraum ohne Außen geworden: eine Art müder Genusspalast, der an die in riesige Blasen gepackten Welten aus Science-Fiction-Filmen der Siebziger erinnert. Nur dass es für die ganze Welt einfach wie ein normales Zuhause aussah: das schöne Eigenheim, eine Familienaufstellung, über die James Reid immer spottete, allerdings nun mit ironischer Distanz und angeschlossen an 24 Stunden MTV. Das »Glam-Wissen« war verloren, das einst durch die Pop Art in die Musik gekommen war: jenes Wissen, das besagte, dass das Soziale eine Bühne ist, auf der Puppen tanzen, die mit billigen Träumen abgefertigt und durch Drogen jeder Art ruhiggestellt werden. Die Punks wussten, dass sie Replikanten waren; dass alles, was zum Inneren zu gehören schien, eine bio-psycho-soziale Maschinerie war, die man neu programmieren oder herausreißen muss. Das Ende von Punk bestand in dem Vergessen, dass die Erinnerungen falsch waren, dass das Familienidyll aus Pappe und ein Bildervirus war.

Als Postpunk entstand, konnte Pop noch ein gegenkulturelles Labor sein (in dem es zwar ständig Razzien gab, aber das doch nicht vollständig dem Diktat des Kapitals unterworfen werden konnte). Es ist unklar, ob Pop das jemals wieder sein kann. Jemand fragte das Panel am Mittwoch, ob die neuerliche Beschäftigung mit Postpunk nicht einfach nur Nostalgie sei. Aber das geht an Jameson Pointe bezüglich des nostalgischen Modus vorbei. Für Jameson manifestiert sich der nostalgische Modus in kulturellen Artefakten, die verleugnen oder, noch radikaler, gar nicht wissen, wie sehr sie in der Schuld der Vergangenheit stehen. Mit anderen Worten, zeitgenössisch zu sein, heißt nicht, dass man modern ist, vor allem nicht in einer postmodernen Kultur, deren Temporalität auf Zitaten und Erinnerung beruht. Eine der idiotischsten Angewohnheiten der kulturellen Gatekeeper heute besteht darin, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu rechtfertigen: Als ob Gang of Four nur deswegen wichtig sind, weil sie einfallslos Klone wie Bloc Party oder Franz Ferdinand »beeinflusst« haben, die morgen sowieso keiner mehr kennt. Als ob die Tatsache, dass man im Hier und Jetzt lebt, bedeutet, dass irgendetwas Neues oder Wichtiges passiert…