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Es ist egal, ob wir alle sterben:
Die unheilige Dreifaltigkeit von The Cure201

»Gothic hat sich sowohl als suburbaner wie als pro­vinzieller Kult etabliert, in dem sich junge Männer und Frauen mit stark gepuderten Gesichtern, Trauerklei­dung und der Frisur von Robert Smith in Städten wie Littlehampton und Ipswich zu Hause fühlen konnten.« Michael Bracewell, England is Mine: Pop Life in Albion from Wilde to Goldie202

Jede Diskussion über die Gothic-Kultur bleibt unvoll­ständig, so lange sie sich nicht mit The Cure auseinan­dersetzt.

Gothic und die Vorstädte unterhalten eine merkwürdig innige Verbindung (niemand weiß das besser als Tim Burton, dessen Edward mit den Scherenhänden auf großartige Weise den Geruch von Avon-Parfümen aus den Vorstädten mit dem Duft der Romantikblumen der Gothics zusammengebracht hat), und kann es eine sub­urbanere Band geben als The Cure? In England is Mine hat Michael Bracewell ihre Anfänge im bescheidenen Crawley stark in den Vordergrund gerückt. »Crawley ist ruhig und gesittet, aber ihm fehlt die bürgerliche Über­legenheit des nahegelegenen Haywards Heath (wo Suede herkommen), die Stadt ist ein perfektes Beispiel für England, wo es am wenigsten überraschend ist«203, so Bracewell. Für Bracewell personifizieren The Cure den Sound der Zwischenräume der englischen Kultur: die Vor­städte, ja, aber auch das Erwachsenwerden, die Vor­stadt der Seele. The Cure stehen für das Nicht-ganz, aber auch das Noch-nicht: nicht ganz verteufelt, aber auch nicht wirklich geschätzt; keine Altpunker, aber auch kein generischer »Goff«. Niemals fielen sie in Verdacht, ein­fach nur fake zu sein; und trotzdem ist Uneigentlichkeit – als existenzieller Zustand – genau das, worauf The Cure beruhte. Man hört es alles in der Stimme Robert Smiths. Wieder Bracewell:

»Wenn Smith sang, dann sorgten weniger die düsteren Texte, sondern vielmehr der Klang seiner Stimme für die fesselnde Monotonie von The Cure: Es war die Stimme nervöser Langeweile in einem kleinen Zimmer in der Vorstadt, gedämpft durch die erdrückenden Schichten der Langeweile. Schwankend zwischen ge­reizt und bockig, zwischen atemloser Qual oder stot­tern­der, in­ko­härenter Wut, gelang es Smiths Stim­me auf einma­lige Weise, Monotonie eine angenehme Form zu ver­leihen.«204

Es gibt eine Zeit, einen Moment, in dem Bands werden, was sie sind. Alles davor ist Vorbereitung und Übung; alles, was danach kommt, ist entweder Verfall oder Flucht. Roxy Music wurden sofort, was sie sind – die Marke der Band war mit den ersten Takten von »Re­make, Remodel« etabliert (mit dem Ergebnis, dass Ferrys Karriere danach ein langer Essay der Enttäuschung und aufgeschobener Rückkehr war) –, aber normalerweise dauert es ein bisschen, bis eine Band sich findet; dann erst schlüpft sie aus einem Kokon der Anspielungen, Hommagen und Plagiaten. Ganz so lief es bei The Cure nicht, ihre besten Arbeiten entstanden immer aus dem Dialog mit ihren Einflüssen.

Ihre frühen Stücken – jene spinnenartige, mit Punk-Spikes versetzte, Pub-Sub-Psychedelia – wirken heute wie eine Reihe von Skizzen. Die Selbstfindung von The Cure vollzog sich in drei Alben, die zugleich scheinbar nur einen Moment dauerten, drei Alben, die produziert wurden, nachdem die Band die bockige Kauzigkeit von Three Imaginary Boys hinter sich gelassen hatten, aber noch bevor sie sich bequem auf ihrer eigenen Marke ausruhen konnten. Am Ende dieser Entwicklung war Robert Smith – mit dem verschmierten Lippenstift, dem warmen Bier und den Gedichten von Edward Lear – längst zum semiotischen Archetyp des Friedhofs der stu­dentischen Disco-Musik geworden und die Stilparameter von The Cure waren fest etabliert – sie bestanden in ei­nem schnell zur Mode werdendes Oszillieren zwischen der Ausgelassenheit post-Sgt. Pepper und der Slipper-be­quemen Verzweiflung. Das Drama der zögerlichen Selbst­erkenntnis und des existenziellen Experimen­talis­mus, die das Triptychon von Seventeen Seconds, Faith und Pornography so faszinierend machten, war ver­schwun­den.

Diese entscheidenden drei Alben von The Cure erschie­nen im Schatten zweier anderer, berühmterer Bands: Siouxsie and the Banshees und Joy Division. Smith hat aus einer Faszination für die Banshees nie einen Hehl gemacht (später spielte er sogar einmal für sie Gitarre als Gast). Als der erste Bassist, Michael Dempsey, die Band verließ, dann weil er wollte, dass »wir die zweiten XTC« werden, während Smith wollte, dass »wir die zweiten Banshees werden«.

Robert Smiths Look – das an einen Clown erinnernde Caligari-Katzengesicht – war das männliche Pendent zum Look von Siouxsie. Und ganz wie bei ihr konnte auch Smiths Vogelnestfrisur, das alabasterweiß gepuderte Ge­sicht, der Kajal und der schlecht gezeichnete Lippenstift leicht kopiert werden. Es war eine Maske der Morbidität, mit der ihr Träger zum Ausdruck brachte, das er Fixie­rung und Obsession einer »allseitig gebildeten Persön­lich­keit« vorzog.

Die Faszination für den Tod unter den Goths beruhte auf einer Schopenhauer’schen Verachtung des organi­schen Lebens: Aus der Perspektive der Goths war der Tod die Wahrheit der Sexualität. Sexualität war das, was der endlose Zyklus von Geburt-Reproduktion-Tod benö­tig­te (den Siouxsie in »Circle Line« von dem Album Dreamhouse so kühl registriert), um sich selbst am Lau­fen zu halten. Der Tod befand sich außerhalb dieses Zyk­lus und war zugleich dasjenige, worum es wirklich ging. Sexualität zu affirmieren hieß, das Leben zu affirmieren, während sich die Goths, in einer wunderbaren Formu­lie­rung Houllebecqs, gegen die Welt und gegen das Leben positionierten. Anfang der 1980er konnte man sich auf eine Anti-Tradition des Rock berufen, die ähnliche Ge­danken hatte, eine ahedonische, anti-vitalistische Rock­tra­di­tion, die mit den Stones begann – eher mit dem neu­rasthenischen Jagger von »Paint it Black« als dem bocks­beinig-dämonischen Dionysos von »Sympathy for the Devil« – und dann die Stooges und die Pistols einschloss, bevor sie ihre Tief-und-Höhepunkt bei Joy Division er­reichte. Die Gothic-Kultur ging davon aus, dass Rock immer und überhaupt ein Todestrip war. Das war die Strategie von The Birthday Party: diese Rockmythologie bis an die stinkenden, voodoobesessenen Kreuzungen und Sümpfe des Deltablues zurückzuverfolgen. Denn ist Blues nicht das beste Beispiel für das Auseinanderfallen von Begehren und Genuss und damit eine Bestätigung der Theorie des Todestriebs? Das Juju – oder jou-jou – des Blues beruht auf dem Genuss von Begierden, die nicht befriedigt werden können.

Während Birthday Party im wörtlichen Sinne zum Blues zurückkehrten – ihre Karriere wirkt wie ein hek­ti­sches Zurückspulen der Rockgeschichte, angefangen mit dem Modernismus von Per Ubu und The Pop Group und endend in der fiebernden Neuaneignung des Blues – gingen The Cure, wie auch die Banshees, in die ganz andere Richtung. Sie hielten dem modernistischen Post­punk-Imperativ die Treue (entweder etwas Neues oder nichts), aber sie bevorzugten einen Sound, der ätherisch statt erdgebunden war, künstlich statt viszeral. Man hört es im Klang der Gitarre von Robert Smith, sie ist umhüllt von Phasern und Flanges, desubstanzialisiert und ent­mannt, sie strebt nach reinem FX, frei von jedem Rock­anstrich. (Ist das der erste Schritt hin zur honiggleichen Formlosigkeit von My Bloody Valentine?) The Cures’ Ver­sion von Genuss an der Frustration des Begehrens hört man in »A Forest«: Jenem Lied, in dem die Band sich selbst findet, obwohl es, ironischerweise, ein Lied über Verlust ist – oder besser gesagt, über ein Zusam­men­treffen mit etwas, das nie besessen werden kann. »The Girl was never there // Das Mädchen hat nie exis­tiert«, singt Smith, ein Satz, der auch von Scritti oder Lacan stammen könnte. »Running towards nothing. Again and again and again… // Dem Nichts entgegen rennen. Immer und immer und immer wieder…« Smith – ein suburbaner Scotty auf der Suche nach seiner Made­leine – verfolgt die Chimäre des Begehrens, das Objekt klein a, er folgt ihm durch eine Traumlandschaft hin­durch, deren Konturen durch die sphärische Synthesizer, Drummachines und Smiths effektgeladene Gitarre leben­dig werden. »A Forest« war der Trailer für Seventeen Seconds und stellte sich als das Herzstück heraus. Die Synthesizer und die Drummachines sorgen für einen modernen Glanz, der dem abgespeckten Treiben von Three Imaginary Boys abgeht. Smith hörte damals Van Morrisons Astral Weeks, Hendrix, Nick Drake und Bowies Low und er wollte, dass das Album eine Synthese von allen wird. So englisch wie The Cure auch werden sollten – allerdings mehr modernistisch und weniger hausbacken –, so findet man sich auf Seventeen Seconds im Geist eines verlassenen Landhauses wieder, mit gro­ßen, weißen Räumen und leeren Dielen, dekoriert von den kunstvollen Spinnnetzen von Smiths Gitarre. Die sprudelnde Widerspenstigkeit des ersten Albums ist ver­flossen, doch obwohl die neue Stimmung nun Verdrieß­lichkeit ist, sind wir noch nicht bei der typischen Gothic-Morbidität angelangt. Aber es gibt die Form der kultivier­ten Zurückgezogenheit, insofern als Smith eine Haltung der »ostentativen Abwesenheit« einnimmt, dem sich Zu­rückziehen aus dem Alltag, der als reine Dramaturgie von Bildern verstanden wird: »it’s just your part / in the play / for today // es ist nur deine Rolle / für das Stück / am heutigen Tag…«

»Ich war 21«, sagte Smith in einem Interview mit Uncut 2000, »aber ich fühlte mich sehr alt. Ich fühlte mich eigentlich älter als jetzt. Ich hatte absolut keine Hoffnung für die Zukunft. Das Leben erschien mir sinn­los. Ich glaubte an überhaupt nichts. Ich fand einfach, dass es kaum etwas gab, wofür es sich zu leben lohnte. In den zwei darauffolgenden Jahren dachte ich tatsächlich, dass ich nicht mehr länger am Leben sein werde. Ich habe viel dafür getan, dass das auch geschieht.« Von den ers­ten Klängen an klammert sich Faith an diese hohläugige Leere und verharrt dort. So unwahrscheinlich es gewesen sein mag, Faith war so unnachgiebig wie Unknown Plea­sures und Closer, und der Einfluss von Joy Division (oder die Angst vor dem Einfluss von Joy Division) hängen über dem Album wie ein Sargtuch, die schwarze Quelle der paradoxen, entropischen Energie, dasjenige, was das Album möglich gemacht hat und es zugleich auf den Status eines Wiedergängers reduziert. »Die ganze Sache wurde noch dadurch verstärkt, dass Ian Curtis sich umgebracht hatte«, erinnerte sich Smith in dem Uncut-Interview und spricht dabei für die Generation post-Joy-Division (zu der natürlich auch New Order gehören), die sich selbst für unauthentisch hielt, einfach weil sie am Leben blieben. »Ich weiß, dass man The Cure im Ver­gleich zu Joy Division fake fand und deswegen war ich plötzlich der Meinung, dass, damit das Album überzeu­gend ist, ich mich umbringen müsste. Wenn ich wollte, dass die Leute akzeptieren, was wir tun, dann müsste ich auch den letzten Schritt gehen.«205

 

Faith hätte durchaus davon profitiert, wenn es der emotionalen Monotonie noch strenger gefolgt wäre, wenn auch noch das letzte bisschen Adrenalin herausgesaugt worden wäre und die zwei schnelleren Songs (»Primary« und »Doubt«) gestrichen worden wären. In allen anderen Liedern fährt Faith den Pop fast bis auf den Nullpunkt herunter, fast bis zum totalen Stillstand, ohne allerdings an den Punkt zu kommen, von dem die Band in einer früheren, sehr viel leichtfüßigeren Veröffentlichungen ge­sungen hatte. In der Stille von Faith gab es keine Ruhe. Die Lieder sind nicht still, sondern beruhigt, schwer wie ein Downer; sie sind nicht ozeanisch, sondern durch­tränkt wie ein Sumpf. (Tatsächlich wurde Faith auf Kokain aufgenommen und nicht unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln.) Das Album scheint von einem anderen Planeten zu kommen, wo die Gravitation schwe­rer wiegt. Die Synthesizer, die nun viel mehr im Vor­dergrund stehen als zuvor, sind am meisten für die zähe Schwere verantwortlich. Sie verströmen eine kalte Wärme, die den Sound eingeht wie Valium in den Blutkreislauf. Bei Faith, wie bei Downern, scheint es als hätte man sich gerade wieder runtergebracht. Es ist eine Welt ohne Ecken, ein Mief, ein Nebel aus verschlafener Ödnis. Dem Album fehlt die klinische Qualität von Joy Division; das ist nicht der Sound der Depression oder des posttraumatischen Stresses (wie bei Movement), sondern einer Art absolutem Fatalismus, bei dem alles egal ist, wo »alle Katzen grau« sind. Faith hat eine merkwürdige Freude daran, alle Hoffnung fahren zu lassen, sich tot zu stellen und die Bewegungen eines Zombies zu imitieren, »breathing like the drowning man / atmen wie ein Ertrinkender«. Bracewells Beschreibung von The Cures Sound passt nirgends so präzise, wie bei Faith:

»Es gibt keine Einsicht oder Streit: Es gibt keine Message, keine aufpeitschende Hymnen. Stattdessen sind The Cure der musikalische Ausdruck Suburbias selbst: ein dichter, repetitiver Sound, ein verzauberndes Klagelied unendlich veränderbarer Klänge, die alle wir­ken, als könnten sie immer weitergehen – wie endlose Straßen und Serpentinen.«206

Die Lieder auf Faith sind in ihrer Repetivität gedehnt und hypnotisch (oder hypnagogisch), Smiths Kummer ist wie ein Geist, der langsam hereinfliegt, nach Vorspielen, die normalerweise 90 Sekunden oder zwei Minuten dauern. Geh mit Smith durch den Spiegel und was das unschul­dige Ohr erst als richtungslose Klagen wahrnimmt, ver­wandelt sich auf in süchtig machende Plateaus und sanfte Gewitter, in denen man sich verlieren möchte.

Danach hätte man eigentlich eine Genesung und eine Rückkehr erwartet, einen kompensatorischen Auftrieb. Doch tatsächlich war The Cures’ Besuch in der Hölle noch lange nicht vorbei und Pornography übertrifft Faith sogar an morbider Abgespanntheit. Die Formlosigkeit von Faith wird durch eine zackige Abrasion und eine hektische, rhythmische Dringlichkeit ersetzt, worin da­mals The Cures’ Version des modischen Tribal Sounds bestand. Das Vorbilden scheinen die eher metallisch-bru­talistischen Songs auf Closer gewesen zu sein, in denen weniger Synthesizer zum Einsatz kamen (»Atrocity Ex­hibition«, »Colony«); die höhlenartige Leere von Public Image Ltd.; der Tanz in den Ruinen urbaner Anomie von Killing Joke. Am Ende klingt es, wie wenn »Flowers of Romance« von einem Neurastheniker statt von einem Hysteriker gesunden wird, Killing Joke auf einem schlech­ten Trip aus LSD und Downern, 23 Skidoo ohne Funk, alles zusammen.

Der Eröffnungssong, »100 Years«, ist The Cures’ Meis­terwerk. Es beginnt, wie es weitergehen möchte: Smith intoniert »It doesn’t matter if we all die« – »Es ist egal, ob wir alle sterben« –, eine noch skandalösere Einladung als die des Zirkusdirektors Curtis in »The Atrocity Exhibition« (»This is the way step, inside«). Wie Joy Divisions »Disorder« wirkt es, als ob »100 Years« sein Haupt aus der morbiden Selbstbezüglichkeit erhebt, um auf die Welt zu blicken – die Worte ein Lochstreifen aus dem Kalten Krieg, die durch das Ner­vensystem eines Heranwachsenden gefiltert werden, der kurz vor dem Zusammenbruch steht –, aber in Wahrheit beschäftigt sich das Lied nur mit dem, was seine eigene Hypothese bestätigt, nämlich dass kosmische Verzweif­lung die einzig angemessene Haltung ist. »Ambition in the back a black car … Sharing the world with slaugh­tered pigs … The soldiers close in… // Ambitionen auf dem Rücksitz eines schwarzen Wagens … Wir teilen die Welt mit geschlachteten Schweinen … Die Soldaten kom­men näher.« Smith wirkt wie Bowies Newton in der berühmtesten Szene von Der Mann, der vom Himmel fiel, begeistert und verblüfft von der Wand aus Fernsehern, die alle schlechte Nachrichten übermitteln. Aufregend statt niederschmetternd wird es durch die neurotische Dringlichkeit der Death-Disco-Drummachine und Smiths Gitarrenriff, das wie eine Leuchtrakete in den ver­schmutzten Himmel aufsteigt.

Wenn Smiths Gitarre auf Pornography oft östlich klingt, dann evoziert das jenen phantasmatischen Osten, wo all die Hippieträume des »Mach dich frei« und der Exotik durch Napalm zerstört wurden. Pornography wur­de bekanntlich auf LSD aufgenommen, das mit Alkohol heruntergespült wurde (die Band wartete in einem Pub so lange, bis die Wirkung des LSD nachließ, bevor sie ins Studio gingen), aber es ist auf dieselbe Weise psyche­de­lisch wie es Apocalpyse Now ist. (Es gibt gute Gründe, zu sagen, dass Apocalpyse Now der Postpunk-Film ist, der kriegspornographische Medienoverkill, das schizophrene Delirium, das Gefühl des nahenden Endes; 23 Skidoo, zum Beispiel, scheint vollständig aus dieser Vision ent­standen zu sein.) Das Delirium von Pornography ist ein schlechter Trip wie Jacob’s Ladder – In der Gewalt des Jenseits, eine psychischer Indochina-Fiebertraum in ei­nem Crawley-Schlafzimmer, wo die Halluzinogene der aus dem Herzen der suburbanen Finsternis stammenden Nervosität eine gedehnte und verzerrte Form geben.

Smiths Texte zerstören den Sinn zugunsten des Ein­drucks der Bilder. Er war schon immer ein »Produzent filmischer Atmosphäre« (Bracewell) und die Lieder auf Pornography verströmen ihre Stimmung gerade durch die prägnanten Bilder, die niemals eine eindeutige Be­deutung annehmen (»voodoo smile … siamese twins // Voodoo-Lächeln … siamesische Zwillinge«). Das Album ist für Gothics, was für andere eine Tafel Schokolade ist: Man gibt sich ihm aus reiner Morbidität hin, die von keiner Freude verdorben ist.

Am Ende des Titelstücks »Pornography«, einer jaulen­den Schinderei, das wie Joy Divisions »Atrocity Exhibi­tion« und Stockhausens Hymnen zugleich klingt, sucht Smith nach Vergebung. »I must fight this sickness … Find a cure. // Ich muss die Krankheit bekämpfen … ein Heilmittel finden.« Aber die Krankheit, die Krankheit war das Interessanteste an The Cure.

Ist Pop untot? 207

Es gibt nicht nur eine zunehmende Faszination für die Hauntology, sondern auch eine wachsende Sorge um den Tod, Mangel und das Ende des Pop. Ein paar Beispiele: der schreckliche Artikel über »den Tod der Black Mu­sic«208 (der lediglich wegen der Statistiken, auf die er ver­weist, von Bedeutung ist), Simons Fazit zum Jahr 2005 in Frieze209 und ein paar jüngere Beiträge auf Dissensus. Man wird den Verdacht nicht los, dass einer Gründe, wa­rum uns die Hauntology gerade jetzt so sehr be­schäftigt, darin liegt, dass wir unbewusst, aber immer öfter auch ganz bewusst, ahnen, dass etwas gestorben ist.

Nothing lasts forever, of that I’m sure // Nichts währt für immer, dessen bin ich mir sicher.

Es ist natürlich nicht neu, dass der Tod des Pop verkündet wird. Und es gibt mehrere Gründe, gegenüber der Rede vom »Tod« und der Morbidität skeptisch zu sein (nicht zuletzt, weil sie zu sehr auf einer vitalistischen Vorstellung von Leben beruht). Tatsache ist, dass in kultureller Hinsicht nichts jemals stirbt. In einem bestimmten Moment – einem Moment, den man oft erst retrospektiv wahrnimmt – verschwinden Kulturen an den Rand, hören auf, sich zu erneuern, versteinern zur Tra­dition. Sie sterben nicht, sie werden untot, sie leben nur noch von alter Energie, sie werden wie Baudrillards toter Fahrradfahrer nur durch die Last der Trägheit am Laufen gehalten. Kulturen vibrieren und florieren nur für eine bestimmte Zeit. Lyrik, der Roman, die Oper, Jazz, sie alle hatten ihre Zeit; Kulturen sterben nicht, sie überleben, allerdings verlieren sie aufgrund ihrer verminderten Wil­lenskraft die Fähigkeit, eine verlorene Zeit zu definieren. Sie schreiben keine Geschichte mehr, sind nicht mehr existenziell, sondern sie werden historisch und ästhetisch – sie sind kein Way of Life mehr, sondern eine Lifestyle-Option.

Man möchte uns glauben machen, dass Pop dagegen immun ist und zwar aufgrund einer Illusion, der alle Mit­glieder einer Kultur oder Zivilisation erliegen (vielleicht sogar notwendigerweise?): dem Glauben, dass gerade un­sere Kultur für immer sein wird. Die Frage ist deswegen weniger, ob »Pop sterben wird«, sondern ob Pop schon längst zum Untoten geworden ist. Tanzen wir einen en­tropischen Tango mit Pop, der uns mit seinen Zombie­fingern hält, während er langsam in die ewige Irrelevanz herabsinkt? Das sind wichtige Fragen, wenn auch nur, weil sie nicht mehr zu stellen heißen würde, dass der Pop nun tatsächlich in den letzten Zügen liegt.

Was mich alarmiert, ist der Mangel an Aufregung über den gegenwärtigen Zustand des Pop. Wo ist der Chor der Missbilligung und der Unruhe über eine Band wie die Arctic Monkeys? Natürlich sind die Arctic Monkeys nicht wesentlich schlimmer als ihre Retro-Vorfahren (ob­wohl, wenn es etwas gibt, dass einen alarmieren sollte, dann ein Zustand, in dem »nicht schlimmer« als mittel­mä­ßige Vorgänger zu sein, erwähnenswert oder ein Grund zur Freude ist). Neu ist der Abstand zwischen den bescheidenen »Leistungen« der Arctic Monkeys und den Ausmaßen ihres Erfolges. Von der Kritik gefeiert zu wer­den, kann man sich natürlich leichter kaufen als jemals zuvor, deswegen sollten wir nicht überrascht sein, dass NME das Album der Band zur fünftbesten britischen Platte aller Zeiten gekürt hat (Verachtung wäre tatsäch­lich die angemessenere Reaktion). Aber solche subjekti­ven und professionell zweckmäßigen Überbewertungen wären egal, gäbe es da nicht die quantitative Dimension des Erfolges der Arctic Monkeys – noch nie hat sich ein englisches Debut-Album so schnell verkauft! Das weist auf ein libidinöses Defizit beim Publikum und im Kom­mentariat der Medien hin – ein Trend der sehr viel beunruhigender ist.

Der Erfolg der Arctic Monkeys sollte eine schlechte Neuigkeit sein und zwar sowohl für willenlose Popper als auch für diejenige von uns, die immer noch an die Allianz zwischen Pop und Moderne glauben. (Man sollte erwähnen, dass vor dem Hintergrund, dass R&B und Hip Hop zu straucheln und zu stottern beginnen, der von Poppern genehmigte Pop einer der letzten Zufluchtsorte für die modernistische Flamme war.) Wie Marcello kürzlich in Church of Me geschrieben hat, ist der neue New Pop (Rachel Stevens, Girls Aloud) durchaus prekär, er boomt auf keinen Fall und die (relativ) enttäuschenden Verkaufszahlen verblassen vor dem Triumph von Retro-Indie und neuer Authentizität (Blunt! Jack Johnson!). Es hat sich gewissermaßen gedreht und der neue New Pop besetzt jetzt den Ort von Independent, bevor es Indie gab, den Ort des Populär-experimentellen, während der Indie selbst den Mainstream dominiert. (Deswegen würde ich gegen Simons Frieze-Artikel einwenden, dass der neue New Pop heute am nächsten an Postpunk herankommt, nicht irgendeine vermeintliche, gespenstische Fusion von »Grime und Indie-Rock«.)

 

Einen kleinen Eindruck von diesem Zeitgeist vermittelt die Tatsache, dass NME sich gezwungen sah, James Blunt von ihren Preisverleihungen auszuschließen (weil na­türlich UNENDLICHE Weiten zwischen seinem rühr­seli­gen Gedusel und dem ihrer Lieblinge liegen). James Blunt vs. Coldplay: Ist das der neue Popantagonismus? Ein Pseudokonflikt, der lediglich Swift’sches Gespött ver­dient…

Hate’s not your enemy, love’s your enemy // Hass ist nicht dein Feind, Liebe ist dein Feind.

Solche künstlichen Alternativen ersetzen den wahren Antagonismus, der Pop einst angetrieben hat (und der NME/Indie kann gar nicht anders überleben, als, indem er die Konsumenten überzeugt, dass es sich um eine Alter­native handelt, dass es irgendeinen Bereich des Com­mon-Sense, des einfachen mittelmäßigen Durchschnitts gibt, der noch nicht besetzt ist). Auch die größten Fans müssen spüren, dass irgendetwas fehlt – man sieht in Dohertys versoffenen Hundeaugen, dass selbst er ahnt, dass, wenn er sterben würde, es immer noch inszeniert wäre. (Es sieht allerdings so aus, als ob die gegenwärtige Malaise zum großen Teil daher rührt, dass man nicht einmal merkt, dass »etwas fehlt«, ganz zu schweigen da­von, dass man es betrauert oder sich nach etwas sehnt.)

Indie hat vielleicht die Black Music aus den Charts ver­trieben und Hybridität steht längst nicht mehr auf der Agen­da, aber du kannst darauf wetten, dass die Indie­bands Hip Hop und R&B einfach lieben. Zu seinen bes­ten Zeiten lebte Pop von einer kritischen, negativen Ener­gien, die heute versiegt sind – oder die einfach ausge­schlos­sen wurden, weil sie zu brav sind für das Potpourri der Gegenwart, das PoMo-Buffet, wo man ein bisschen Indie hier und ein bisschen R&B da haben kann, wo Widersprüche und Anomalien mit Photoshop geglättet wer­den und wo alles wunderbar in einen perfekt ange­pass­ten Warenkorb passt. Der revolutionäre Tumult der Postpunk-Ära zeichnete sich durch unruhige Unzufrie­den­heit, Angst, Unsicherheit, Wut, Härte und Unfairness aus – also durch die Atmosphäre der rückhaltlosen Kritik –, die heutige Popszene strotzt nur so vor Lasch­heit, müder Affirmation, stillem Hedonismus, schwel­ge­rischer Selbstzufriedenheit (SO VIELE Preisverleihun­gen!) – kurz, vor PR.

Was Pop fehlt, ist die Macht zur Zerstörung, die Kraft, etwas Neues durch die Negation des Alten zu schaffen. Ein Beispiel von vielen: The Birthday Party und New Pop standen in einem Verhältnis der Nichtung210 zueinan­der: Sie haben sich nicht gegenseitig akzeptiert oder ignoriert, sondern sie definierten sich jeweils zu großen Teilen dadurch, nicht der andere sein zu wollen. Man sollte das nicht einfach als Dialektik von These und Antithese verstehen, denn es handelt sich nicht einfach um eine Opposition – es gibt immer mehr als eine Möglichkeit, sich zu negieren und es immer möglich, mehr als ein Anderes zu negieren. Es ist immerhin plausibel, dass die Fähigkeit der immer neuen Nichtung dasjenige war, was Pop angetrieben hat. Deswegen soll­ten wir uns trauen, Pop nicht als Archipel benachbarter, nicht widerstreitender Optionen zu denken, nicht als Ab­fol­ge glücklicher Hybriditäten oder fahler Inkommen­surabilitäten, sondern als Spirale nichtender Wirbel. Ein solches Modell wäre der postmodernen Orthodoxie voll­kommen fremd. Aber Pop ist entweder modern oder er ist gar nicht.

Nur weil etwas aktuell ist, ist es noch nicht neu. Wenn man sagt, dass Pop vor 25 Jahren besser war, heißt das NICHT, dass man nostalgisch ist; im Gegenteil, es heißt, sich der allumfassenden, luftdicht abgeschlossenen, tota­len Nostalgie zu entziehen, das jeweils jüngste Wiederkäuen der Indie-Maschine nicht nur zu tolerieren, son­dern auch zu feiern.

Hören wir endlich auf mit der für den Pop-Deleuze­ianismus bzw. den deleuzianischen Pop obligatorischen Positivität. Nur weil wir gerade am Leben sind, müssen wir nicht glauben, dass gerade jetzt die beste Zeit ist, JEMALS am Leben gewesen zu sein. Es gibt keine Pflicht, Unterhaltung zu suchen und überall wo wir hin­gehen, Begeisterung zu versprühen. (Man erinnere sich daran, wie schwer es war, das Publikum Mitte der Sieb­ziger zu begeistern, in jener Zeit des, im Vergleich zur heutigen Wüste, kulturellen Überflusses; und man erinne­re sich, was die Unzufriedenheit hervorbrachte.) Also bitte, kein konsumistischen Predigten darüber, dass es »im­mer möglich ist, gute Platten zu finden, egal, welches Jahr ist«. Natürlich ist es das, aber wenn Pop darauf redu­ziert wurde, gute Platten zu produzieren, dann ist wirk­lich alles verloren. Wenn sich Pop keine Nichtung der Welt mehr vorstellen kann, eine Nichtung des Möglichen, dann werden die Gespenster das einzige sein, das unsere Zeit verdient.