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Dieser Film bewegt mich nicht

Während ich gespannt auf den neuen Doctor Who warte (obwohl, nach McCoy, nach McGann, was kann man da noch fürchten?), lohnt es sich, noch einmal über die An­ziehungskraft der Serie nachzudenken und überhaupt über die einzigartige Bedeutung dessen, was ich »un­heim­liche Literatur« nenne.

Ein Artikel von Rachel Cooke im Observer vor zwei Wochen macht deutlich, worum es geht.64 In dem Text geht es nicht einfach nur um die Serie, sondern darum, wie das Fernsehen, die Familie und das Unheimliche durch Doctor Who miteinander verwoben wurden. Cooke beschreibt eindrücklich, wie das gemeinsame Schauen der Serie in ihrer Familie gleichsam zum Ritual wurde: Sie musste mit gewaschenen Haaren auf dem Sofa sitzen, noch bevor die Serie überhaupt angesagt wurde. Cooke versteht, dass der Reiz der Serie zu ihren besten Zeiten in ihrer Aufladung durch das Unheimliche besteht – das merkwürdig Bekannte und das bekannte Merkwürdige: die Cybermen auf den Stufen der St Paul’s Cathedral, die Yeti in der Goodge Street (ein Ort, dessen Name für im­mer mit dem Throughton-Abenteuer »The Web of Fear« verbunden sein wird, für Scanshifts65, der die Folge ge­sehen hat, als er in Neuseeland lebte).

Allerdings endet ihr Text zwangsläufig auf einer me­lan­cholischen Note. Cooke besuchte eine Aufführung der ersten Folge der neuen Staffel. Ihr gefallen die hohen Produktionskosten, die »düsteren Momente« und wie das Millennium Wheel eingebaut wird. »Aber es ist nicht – wie soll ich sagen – Doctor Who.« Überwältigt von ei­nem »Gefühl des Verlusts« greift sie zu einer DVD mit der Baker-Geschichte Robots of Death, um sich an das »echte Zeug« zu erinnern, die authentische Erfahrung, die die neue Staffel verwehrt. Das wiederum führt, wenn überhaupt, zu einer noch größeren Enttäuschung. »Wie langsam alles vor sich geht, wie lächerlich die Roboter in ihren grünen Jacken im Camilla-Parker-Bowles-Stil aus­sehen…oh weh

Lassen wir für einen Moment all die post-poststruk­tura­listischen Fragen über den ontologischen Status des Tex­tes »an sich« beiseite und betrachten die Anekdote, mit der der Text endet:

»Vor Weihnachten, als klar wurde, dass der Krebs mei­nes Vaters in die letzte Phase ging, ging mein Bruder los und kaufte eine DVD, die wir zusammen anschauen wollten. Papa war zu krank und die Box blieb unge­öffnet. Damals habe ich darüber Tränen vergossen; noch eine Ungerechtigkeit. Heute weiß ich es besser. Manche Dinge im Leben kann man nicht zurückholen – und die Freude über grüne Roboter in Pailletten und Pedal-Pusher-Jeans gehören dazu.«

Dieses Narrativ der Desillusionierung gehört zu einem in­zwischen bekannten Genre: der postmodernen Parabel. Eine alte Folge von Doctor Who anzuschauen, ist nicht nur ein gescheiterter Versuch, einen verlorenen Moment wiederherzustellen; es ist die mit einem gedämpften, all­täglichen Schrecken einhergehende Erkenntnis, dass die­ser Moment überhaupt nicht existiert hat. Eine Erfahrung der Ehrfurcht und Verzauberung löst sich in einen Hau­fen billige Kostüme und Spezialeffekte auf. Die Post­modernen haben dann zwei Möglichkeiten: eine Verleug­nung der früheren Begeisterung, also das, was man »Er­wachsenwerden« nennt, oder ihr die Treue halten, also »nicht Erwachsenwerden«. Auf das nicht mehr von den Medien verzauberte Kind warten zwei Schicksale: de­pres­siver Realismus oder nerdiges Fantum.

Die Intensität, mit der sich Cooke Doctor Who nähert, ist typisch für viele von uns, die in den sechziger und siebziger Jahren aufgewachsen sind. Obwohl ich ein biss­chen jünger bin, erinnere auch ich mich noch an eine Zeit, in der diese 25 Minuten die sakralsten der ganzen Woche waren. Scanshifts, der ein bisschen älter ist als ich, hatte als Kind eine Zeit lang keinen funktionierenden Fernseher, also schaute er die neuen Folgen in einem Kauf­haus in Christchurch, zuerst ohne Ton, bis er zu seiner großen Freude den Lautstärkeregler fand.

Ein Teil der Gründe für diese Begeisterung ist offen­sichtlich – kindliche Begeisterung und Naivität. Aber was waren die kulturellen und technologischen Bedingungen, die ihr zugrunde lagen? Freuds Analyse des Unheim­li­chen ist bekannt, doch es lohnt sich, sie mit dem Thema Fernsehen zu verbinden. Das Fernsehen war sowohl fremd als auch bekannt und eine Serie, bei der es gerade um das Fremde im Bekannten ging, hatte dadurch einen be­sonders leichten Zugang zum Unbewussten des Kin­des. In einer Zeit der kulturellen Rationierung und des modernistischen Fernsehens, einer Zeit also, in der es kei­ne ständigen Wiederholungen oder Videorekorder gab, haftete den Sendungen eine eigentümliche Vergäng­lichkeit an. In dem Moment, wo sie zuerst gesehen wur­den, übersetzen sie sich sofort in Erinnerung und Traum. Das ist etwas völlig anderes als die sofortige – und oft vorauseilende – Monumentalisierung postmoderner Me­dien­produktionen durch »Making of«-Dokumentationen und begleitende Interviews. Viele dieser Produktionen teilen das merkwürdige Schicksal, im Zustand perfektiver Archivierung auf die Welt zu kommen, von der Kultur vergessen, während sie von der Technologie makellos einbalsamiert werden.

Aber waren die Gründe dafür, dass Doctor Who einen so großen Stellenwert im Unbewussten einer ganzen Ge­neration einnehmen konnte, wirklich nur Mangel und die »Unschuld« einer »weniger anspruchsvollen« Zeit? Zer­fällt die Magie der Serie wie ein Vampir im Sonnenlicht, wenn sie durch die nüchternen, unerbittlichen Augen eines Erwachsenen gesehen wird, wie Cooke nahelegt?

Wie Freud in Totem und Tabu das Unheimliche aus­führt, wiederholt sich in der Moderne in der psychi­schen Entwicklung des Einzelnen der »Fortschritt« vom nar­ziss­tischen Animismus zum Realitätsprinzip der Gattung als Ganzer. Wie die sogenannten »Wilden« befinden sich Kinder auf der Stufe des narzisstischen Auto-Erotismus und hängen dem animistischen Irrglauben an, ihre Ge­danken seien »allmächtig« und können unmittelbar die Wirklichkeit beeinflussen.

Doch stimmt es denn, dass Kinder »wirklich« an Doc­tor Who »geglaubt haben«? Žižek hat darauf hingewie­sen, dass, wenn Menschen aus »primitiven« Gesellschaf­ten nach ihren Mythen gefragt werden, ihre Antwort in­direkt ist. Sie sagen »Manche Menschen glauben«. Glau­be ist immer der Glaube der anderen. Was die Erwach­senen der Moderne jedenfalls verloren haben, ist nicht die Fähigkeit unkritisch zu glauben, sondern die Kunst, die Serie als Auslöser für bewohnbare, fiktionale Spielwiesen zu benutzen.

Das Vorbild für eine solche Praxis sind die Perky-Pat-Karten in Philip K. Dicks Die drei Stigmata des Palmer Eldritch. Heimwehkranke Kolonisten können sich selbst als Puppen im Stile Barbies und Kens imaginieren, die eine Attrappe der Erde bewohnen. Doch für diese Leis­tung benötigen sie eine Droge. Im Endeffekt erlaubt die Droge dem Erwachsenen, was dem Kind sehr leichtfällt: nicht die Fähigkeit zu glauben, sondern zu handeln, o­b­wohl man nicht glaubt.

In gewisser Weise geht diese Deutung allerdings einen Schritt zu weit. Denn es wird impliziert, dass Erwachsene die narzisstische Phantasie wirklich aufgeben und sich an die harsche Banalität der entzauberten Empirischen ge­wöhnt haben. Tatsächlich haben sie die eine Phantasie nur durch die andere ersetzt. Im Konsumkapitalismus ein Er­wach­sener zu sein, bedeutet, in der Perky-Pat-Welt ein­tönig heller Seifenoper-Häuslichkeit zu leben. Was aus dem mittelmäßigen Melodram, das wir die Wirklichkeit der Erwachsenen nennen sollen, ausgestrichen wird, ist nicht die Phantasie, sondern das Unheimliche – das Ge­fühl, dass alles nicht ist, wie es sein sollte, dass der häus­liche Alltag nur eine Kulisse für die Machenschaften von Parasiten und fremden Mächten ist, die uns entweder verfolgen, kontrollieren oder uns ihre Muster auferlegen. Mit anderen Worten, die unterdrückte Weisheit der un­heimlichen Literatur ist, dass es DIESE Welt ist, die Welt des liberal-kapitalistischen Common Sense, die eine Bühne mit wackligen Wänden ist. Wie Scanshifts und ich in unserer nächsten Audiomentation auf Resonance FM zu zeigen hoffen, ist das Reale der Londoner U-Bahn bes­ser durch Pulp und Modernismus zu beschreiben (die auf jeden Fall eine passend unheimliche Komplizenschaft unterhalten) als durch postmodernen Schrumpfrealismus (drearealism). Jeder weiß, dass, wenn die hauchdünne Schicht der »Personen« abgezogen wird, die Menschen in der U-Bahn sich als Zombies unter der Kontrolle außer­irdischer Korporationen herausstellen.

Der Aufstieg des Fantasy-Genres in den letzten 25 Jahren steht in direktem Zusammenhang mit dem Zu­sam­menbruch einer irgendwie anderen Wirklichkeit außer­halb des Kapitalismus in derselben Zeit. Bei einem Film wie Star Wars denkt man sofort an zwei Dinge. Seine fiktive Welt ist SOWOHL unendlich weit weg, viel zu weit entfernt, um sich darum zu kümmern, ALS AUCH unserer Welt viel zu ähnlich, als dass man von ihr faszi­niert sein könnte. Zielt das Unheimliche auf die irredu­zible Anomalie von allem, was irgendwie bekannt er­scheint, geht es bei der Phantasie darum, eine lückenlose Welt herzustellen, in der alle Leerstellen von derselben Sache gefüllt werden. Es ist kein Zufall, dass der Auf­stieg des Fantasy-Genres mit der Entwicklung digitaler Spezialeffekte korreliert. Die eigentümliche Leere und Tiefenlosigkeit von CGI kommt nicht von einem Mangel an Wirklichkeitstreue, sondern daher, dass es direkt aus dem Diskrepanten herauskopiert wurde.

Die Phantasiestruktur von Familie, Nation und Herois­mus funktioniert daher nicht als wahre oder falsche Re­präsentation, sondern als Modell, dem wir nacheifern sol­len. Unser unweigerliches Scheitern am digitalen Ideal ist einer der Motoren der kapitalistischen Arbeiter-Konsu­menten-Passivität, die gutmütige Jagd nach dem, was sich immer entziehen wird, eine Welt ohne Brüche und Diskontinuitäten. Man muss nur eine der schnöseligen, phallischen Fabeln von Mark Steyn lesen (die in dieselbe Liga gehören wie die Muttersöhnchengeschichten von Robert E. Howard), um zu sehen wie die lächerlich-idio­ti­schen Gegenüberstellungen des Fantasy-Genres – Gut gegen Böse, Wir gegen (ein fremdes, ansteckendes) Sie – auf der größtmöglichen geopolitischen Bühne wirksam werden.

 

Angst und Elend im Dritten Reich’n’Roll 66

Mit etwas Verspätung habe ich vor ein paar Tagen, auf die Empfehlung von Karl Kraft hin, den traumatisch guten Film Der Untergang gesehen. Die Überbewertung von mittelmäßigem Schrott macht einen misstrauisch, wenn zeitgenössische Filme gelobt werden, aber dieser ist ein echtes Meisterwerk und zwar eines, das man nur im Kino richtig genießen, wo das unbarmherzige Hämmern der sowjetischen Artillerie und die klaustrophobische Enge von Hitlers Bunker eine erdrückend viszerale Wirkung haben.

Der Untergang ist der zweite Film in diesem Jahr [2005] (der erste war The Aviator), der mein ansonsten sehr verlässliches Motto widerlegte, dass Filme, die auf wahren Begebenheiten beruhen, zu vermeiden sind. Aber der Grund, warum beide Filme funktionieren, liegt darin, dass sie Situationen beschreiben, in denen die Realität selbst psychotisch geworden ist. Wie Ballard einmal schrieb, zeichnet sich das Delirium des Nationalsozialismus dadurch aus, dass die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenwelt keinen Bestand mehr hatte: Die Hölle ist auf Erden ausgebrochen, es gibt keinen Ausweg, keine Zukunft und du weißt es ganz genau…

Der Untergang fasziniert, weil er aufmerksam und, wie ich annehme, akribisch die »Abschaffungslinie« doku­men­tiert, von der Deleuze und Guattari sagen, dass sie konstitutiv für den Nationalsozialismus ist. Deleuze und Guattari, die diese Idee von Virilio übernommen haben, galt die von den Nazis anvisierte Selbstzerstörung – »Wenn wir besiegt werden, soll auch die Nation untergehen« –, weniger als ein Zwangsprodukt kontingenter Umstände, sondern als die Verwirklichung, als der eigentliche Vollzug des nationalsozialistischen Projekts.67 Ihre Analyse mag empirisch fragwürdig sein, doch ihr Verdienst liegt weniger in der Diagnose, dass die Nazis suizidal waren, sondern in dem Gedanken, dass das Suizidale, das Selbstzerstörerische nationalsozialistisch ist.

Spätestens seit dem Tod Chattertons war die Versuchung der Populärkultur, die Selbstzerstörung zu verherr­lichen, unwiderstehlich. Die Version des 20. Jahrhunderts dieser alten Romanze mit dem Tod boten die Nazis. Wie Ballard in seinem Essay über Hitlers Mein Kampf, »Alphabets of Unreason«, schreibt, handelt es sich bei den Nationalsozialisten um ein unheimliches Phänomen der Moderne, deren Technicolor-Glamour sich Welten weit weg von den pedantischen Figuren im Gehrock aus der englischen Elite zu Zeiten Eduards II. befand. Der Umgang der Nazis mit Radio und Fernsehen legte das Fundament für die Medienlandschaft, in der wir heute leben. War Hitler der erste Rockstar?

Der Untergang führt uns durch Szenen, in denen die Nazipartei zerfällt, damit das Dritte Reich’n’Roll beginnen kann. Der Tod des Frontmanns ist das rituelle Blut­opfer, das eine scheußliche Unsterblichkeit garantieren wird. Hitler war der erste Mensch im 20. Jahrhundert, aus dessen historischer Besonderheit ein ewiges Archetyp-Arte­fakt im McLuhan-Ballard-Unbewussten der Medien geworden ist. Kennedy, Malcolm X, Martin Luther King, Morrison, Hendrix wirkten nach ihm lokal, partikular, während Hitler für ein ganzes Prinzip stand, das moderne Böse schlechthin. Als Zuschauer von Der Untergang be­finden wir uns die meiste Zeit im Führerbunker, gezwungen zu einer beunruhigenden Sympathie, weniger für die Elite des Dritten Reichs, sondern eher für die Sekretärinnen und Funktionäre, die Hitler und den Nationalsozialismus (keinesfalls fanatisch) bewunderten. Was wir von dem Berlin darüber sehen, gleicht einer Landschaft aus Brueghels Triumph des Todes, eine Stadt, die in totale Anomie zerfällt: Kindersoldaten, Lynchjustiz, berauschte Schwelgereien, karnevalesker, sexueller Exzess.

Während sich diese Szenen abspielten, hört man fast die Zeilen Johnny Rottens: »When there’s no future how can there be sin? // Ohne Zukunft, gibt es dann Sünde?« (Obwohl es für Deutschland eigentlich nichts anderes als die Zukunft gab: Nachkriegsdeutschland unterlag einer will­fährigen Amnesie, einer Verleugnung der kulturellen Erinnerung.) Es ist kein Zufall, dass der Post-Punk in vielerlei Hinsicht hier ansetzt. Die Sex Pistols begannen ihre eigene Abschaffungslinie auf den Weg zum Nihi­lismus der verbrannten Erde mit »Belsen was a Gas« und »Holidays in the Sun« und kehrten immer wieder zu der von Stacheldraht überzogenen, wie von Hieronymus Bosch gezeichneten Landschaft des nationalsozialistischen Berlins und der Pynchon-Zone zurück, die nach dem Krieg existierte. Siouxsie war bekanntermaßen ein paar Mal mit einem Hakenkreuz zu sehen, und obwohl es bei dem Spiel mit Nazi-Symbolik vorgeblich um Scho­ck­effekte ging, bestand die Verbindung zwischen Punk und Nationalsozialismus in mehr als der Lust an der Überschreitung. Die sehr englische Fixierung in den 1970er Jahren auf die Nazis warf ethische Fragen auf, die so beunruhigend waren, dass man sie kaum aussprechen konnte: Was sind die Grenzen liberaler Toleranz? Konnte sich England so sicher sein, dass es nichts mit dem Nazismus zu tun hatte (gerade in jener Zeit als die National Front eine bis dato unbekannte Unterstützung erhielt)? Und vor allem: Was unterscheidet das Böse der Nazis vom heroischen Guten?

Der Untergang stellt diese Fragen auf überzeugende Weise, vor allem in Hinblick auf Žižeks und Zupančičs Theorie vom unbedingten Akt als Bestimmung des Ethischen. Als ich die »monströseste« Tat des Filmes sah, die Szene, in der Frau Goebbels ihre Kinder betäubt und vergiftet – lieber diese »Erlösung«, so ihr Gedanke, als in einer Welt ohne den Nationalsozialismus zu leben –, war ich verblüfft von den Parallelen zu Sethe in Toni Morrisons Menschenkind, die eines ihrer Kinder umbringt, anstatt es in die Hände der Sklavenhalter geraten zu lassen. Was unterscheidet Frau Goebbels’ abscheuliche Tat des Bösen von Sethes heroischem Akt des Gutes? (Wer Das fragile Absolute gelesen hat, wird sich daran erinnern, dass Žižek Sethe als Beispiel für einen Akt des Guten anführt, der der liberalen Moral und ihrer Ethik des aufklärten Selbstinteresses vollkommen entgegensteht.)

Der Untergang scheint uns dazu anzuhalten, mit den »liberalen Nazis« zu sympathisieren, dem »vernünftigen Arzt« zum Beispiel, der die Krankenversorgung aufrechterhalten will und das »sinnlose, suizidale« Verhalten ent­setzlich und abscheulich findet, das entsteht, wenn man seiner Pflicht bis zum Ende folgt; oder der General, der den Krieg beenden will, um das Leben von Zivilisten zu retten. Doch diese »pragmatischen Humanisten« sind am wenigsten zu verteidigen, da sie den Prinzipien ihrer Handlungen nicht bis zum Schluss folgen können. (Wenn sie wirklich auf den Nazismus schwören, warum nicht dann auch für ihn sterben? Und wenn sie es nicht tun, warum leisten sie keinen Widerstand?) Merkwürdigerweise scheint der Film nahezulegen, dass das untilgbar Böse des Nationalsozialismus in seinem Willen liegt, für die Sache zu sterben.

Ohne dass wir es wollen, erwischen wir uns plötzlich bei dem Gedanken, dass den bösen Nazis – also jene, die sich vollkommen mit dem nationalsozialistischen Projekt identifizieren, auch dann noch, als sie bemerken, dass es scheitert – eine Art tragischer Heroismus eigen ist, weil sie sich weigern, von ihren Überzeugungen abzulassen. All das führt uns wieder zu der Frage zurück: Legitimiert Kants unbedingte Pflicht das Böse des Nationalsozialismus?

Zupančič, die sich der kantischen Ethik aus der Perspektive der Theorie Lacans genähert hat, widmet sich dieser Frage in einem Interview mit der Zeitschrift Cabinet:

»Frage: Man denke daran, dass, nach Hannah Arendts berühmten Beispiel, Nazifunktionäre wie Eichmann sich selbst als Kantianer verstanden habe: Sie behaupten, aus Pflichterfüllung gehandelt zu haben, ohne an die Folgen ihrer Taten zu denken. Inwiefern ist das eine Verkehrung von Kant?

Antwort: Diese Haltung ist ›pervers‹ im strengen, klinischen Sinne: Das Subjekt übernimmt hier die Rolle eines bloßen Instruments für den Willen des Anderen. Mit Blick auf Kant würde ich folgendes Moment betonen, auf das schon Slavoj Žižek aufmerksam gemacht hat: In der kantischen Ethik sind wir verantwortlich für das, was wir als unsere Pflicht anerkennen. Das moralische Gesetz ist nichts, was uns aller Verantwortung enthebt; im Gegenteil, es macht uns nicht nur für unsere Handlungen verantwortlich, sondern auch – und vor allem – für die Prinzipien, nach denen wir handeln.«68

Reicht das, um Goebbels von Sethe zu unterscheiden? Stimmt es wirklich, dass sich Frau Goebbels zu einem »bloßen Instrument des Willen des Anderen« gemacht hat? Oder hat sie sich frei entschieden, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und für die Prinzipien, nach denen sie gehandelt hat? Man denke daran, dass Freiheit bei Kant darin besteht, sich zu entscheiden, sich dem Gesetz zu unterwerfen. Von etwas anderem als »Pflichterfüllung« motiviert zu sein, heißt »pathologischen« Leidenschaften zu unterliegen und damit unfrei zu sein. Freilich gibt es keine offenkundig pathologischen Gründe für die Tat von Frau Goebbels. Sie hat nichts gewonnen durch diesen Akt der »Zerstörung dessen, was ihr am liebsten war« (und tatsächlich lässt sie sich kurz nach dem Mord an ihren Kindern von ihrem Ehemann erschießen).

Die einzige Antwort, die übrigbleibt, ist, dass der Nationalsozialismus selbst etwas Pathologisches ist. Per de­fi­nitionem kann die nationalsozialistische Tat nicht universell sein, weil sie darauf beruht, die besonderen, pathologischen Eigenschaften eines »erwählten Volkes« zu erhalten – wenngleich am Ende auf der Ebene des Mythos –, und damit, etwas abstrakter gesagt, das Prinzip der »ethnischen Pathologie«. Sethes schreckliche Tat in Menschenkind ist ein tödliches Aussteigen aus einer ge­sellschaftlichen Situation, die von einem wiederum tödli­chen und idiotischen Rassenwahn unrettbar korrumpiert wurde; Frau Goebbels mehrfacher Kindsmord hingegen, ist ein Versuch, sich selbst und ihre Kinder auf ewig mit einem ethnozidalen Wahn zu verbinden, der nur durch ihren Tod und den Tod von Millionen anderer Menschen am Leben bleiben kann.