Praxis der Selbstanzeige

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Anmerkungen

[1]

Statistik über das Steueraufkommen 2011-2013, Statistisches Bundesamt 2015, abrufbar unter www.destatis.de.

[2]

Friedrichs Wir erben. Was Geld mit Menschen macht, Prolog S. 11: „Das nächste Jahrzehnt wird eine Dekade der Erben werden“, bzw. „2,5 Billionen Euro in einem Jahrzehnt, über ein Drittel des Nettovermögens aller Privathaushalte.“

[3]

Bei Erwerben von Todes wegen kommen noch Versorgungsfreibeträge für den überlebenden Ehegatten und den überlebenden eingetragenen Lebenspartner von 256.000 € und für Kinder bis 27 Jahre ein Versorgungsfreibetrag von bis zu 52.000,- € hinzu; bei Schenkungen ist insbesondere an die Steuerbefreiung für die selbst genutzte Immobilie zu denken.

[4]

Hinweis: Für Erwerbe von Todes wegen zwischen dem 1.1.2007 und dem 31.12.2008 kann auf schriftlichen Antrag hin das neue Erbschaftsteuerrecht angewendet werden.

[5]

BGH MMR 2009, 323; BGH vom 16.12.2009 – 1 StR 491/09, HRRS 2010 Nr. 137; FG Hessen EFG 2006, 775.

[6]

BGH NStZ-RR 2014, 310.

[7]

Zuletzt BGH wistra 2015, 29.

[8]

Hierzu Grube MwStR 2013, 8 ff.

[9]

Zum Kettenbetrug im Baugewerbe Muhler wistra 2009, 1, 7 ff.

[10]

Zu entsprechenden „Organisationsstrukturen im Altgoldhandel BGH wistra 2015, 29.

2. Kapitel Die Selbstanzeige in der Beratungssituation: Was ist abzuklären? › IV. Die psychologische Komponente der Selbstanzeigeberatung

IV. Die psychologische Komponente der Selbstanzeigeberatung

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Für eine zielgerichtete und möglichst effiziente Mandantenberatung ist in der Praxis die Persönlichkeitsstruktur von großer Bedeutung, gleichermaßen auch die „lebensumstandsbedingte Selbstanzeigekonstellation“ des Mandanten – frei nach dem Motto: „Sage mir, wer Du bist, und ich sage Dir, was Du brauchst“.

Diese Überlegung mag zunächst überraschen. Es ist in der Beratungspraxis aber gerade nicht so, wie landläufig kolportiert, dass der Selbstanzeigewillige, bestens (vor-)informiert aus einschlägiger Fachlektüre sowie den Medien, fest entschlossen alle steuerlichen Verfehlungen in der Vergangenheit in einem „Aufwasch“ abschließend aus der Welt schaffen will und sich dabei auch noch mit etwaigen Mitbeteiligten über diese Vorgehensweise vollständig einig ist. Diese Beratungssituation ist unserer Erfahrung nach eher die Ausnahme.

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Bereits in den Beratungsgesprächen der „ersten Bankenwelle“ (Volksbanken und Sparkassen Mitte der 90er Jahre), als sowohl die Vermögens- als auch die Zinsvolumina ebenso überschaubar waren wie die zugrundeliegenden Lebenssituationen und die schlussendlich nachzuversteuernden Volumina an Steuern (inkl. damaliger Vermögensteuer) und Nebenforderungen, gab es regelmäßig innerhalb der Beratungswilligen (zumeist Ehepaare) doch erhebliche „Richtungsdifferenzen“. Erfahrungsgemäß reagieren die Partner (vielleicht) geschlechtsspezifisch unterschiedlich, was den Umfang der Offenlegung anbelangt. Bei damals noch möglicher Teilselbstanzeige hatten sich die Beteiligten vielfach, nach dem üblichen Hinweis, die Gesamtsituation nach eingehenden Beratungsgesprächen doch nochmals zu überschlafen, für eine „aggressivere“, weil steuersparende, aber steuerstrafrechtlich ungleich riskantere Variante entschieden, mit dem Hinweis, eine vollständige Aufdeckung aller Auslandskonten bzw. sämtlicher nicht versteuerter Umsätze oder Einkunftsarten komme aus unterschiedlichsten Gründen nicht in Betracht.

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In der Folgezeit, während der „zweiten Bankenwelle“ (Deutsche Großbanken Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre) sowie dann erst recht auch im Gefolge der vom Ankauf von Steuer-CDs ausländischer Banken ausgelösten dritten („befeuert“ vom Fall Zumwinkel) bzw. der vierten Selbstanzeigewelle im Zusammenhang mit der Weißgeldpolitik der Schweizer und weiterer Europäischer Banken, haben sich diese Feststellungen nur bestätigt. Zusammen mit den zusätzlichen Erfahrungen hinsichtlich Risikofreudigkeit bzw. unbedingter Vorsicht oder sogar Ängstlichkeit lassen sich exemplarisch zur Klassifizierung folgende Mandantengruppen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und teilweise auch fallgruppenüberlappend – benennen:

2. Kapitel Die Selbstanzeige in der Beratungssituation: Was ist abzuklären? › IV. Die psychologische Komponente der Selbstanzeigeberatung › 1. Ausschließliche Privatpersonen

1. Ausschließliche Privatpersonen

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Gemeint sind hier etwa Ehepaare, alleinstehende Frauen, ältere Männer der Kriegsgeneration, aber auch – in der Breite, seit dem „Abflauen“ der Nachmeldungswelle bei den Kapitalerträgen, nach Anzahl und Umfang der Fälle immer praxisrelevanter – Erbengemeinschaften. Während die Ehepaare sich letztlich auf eine gemeinsame „Politik“ verständigen sollten, was (bei entsprechend oftmals seit Jahrzehnten vorhandenen Vorlaufzeiten) regelmäßig auch gelingt, gehen alleinstehende Frauen oftmals emotionaler, die Herren (Hardliner) der Kriegs- und Aufbaugeneration eher eindimensional unflexibel mit den neuen Gegebenheiten um. Wichtig ist es in beiden Fällen, ggf. unter Zuhilfenahme entsprechender Bezugspersonen, die persönlichen Vorteile (etwa gesundheitlicher oder investitionstechnischer Natur) herauszuarbeiten bzw. den psychologisch-praktischen Vorteil bei Aufdeckung für die Nachwelt, etwa die Erben, aufzuzeigen.

2. Kapitel Die Selbstanzeige in der Beratungssituation: Was ist abzuklären? › IV. Die psychologische Komponente der Selbstanzeigeberatung › 2. Privatpersonen mit betrieblichem Umfeld

2. Privatpersonen mit betrieblichem Umfeld

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Hierzu gehören persönlich haftende Familienunternehmer oder auch leitende Organe von Kapitalgesellschaften (AG-Vorstände, GmbH-Geschäftsführer). Maßstab des Handelns wird in beiden Fällen das Wohl der Familie sein. Deshalb spielt der Gedanke der Gesamtverantwortung in derartigen Fällen eine entscheidende Rolle.

2. Kapitel Die Selbstanzeige in der Beratungssituation: Was ist abzuklären? › IV. Die psychologische Komponente der Selbstanzeigeberatung › 3. Betrieblicher Bereich

3. Betrieblicher Bereich

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Darunter fallen in der Praxis bargeldintensive Betriebe wie die traditionellen „BMW-Betriebe“: Bäcker, Metzger, Wirt, aber auch der ebenfalls bargeldintensive massennachgefragte Bereich der sonstigen Dienstleistungen (Bereiche: Speisen, Pflanzen), zudem generell immer auch Handwerksbetriebe im weiteren Sinne. Derartige „gestandene Praktiker“ lassen sich regelmäßig nicht „ins Bockshorn“ jagen und kalkulieren kühl das „Für und Wider“ einer – oftmals in der Firmengeschichte auch über Generationen erstmaligen – Selbstbezichtigung, verglichen mit dem strafrechtlichen Risiko und der möglichen Geschäftsschädigung einer Durchsuchungsaktion.

2. Kapitel Die Selbstanzeige in der Beratungssituation: Was ist abzuklären? › IV. Die psychologische Komponente der Selbstanzeigeberatung › 4. Unternehmensbereich (Kapitalgesellschaften)

4. Unternehmensbereich (Kapitalgesellschaften)

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Diese „Fallgruppe“ umfasst mit GmbH, AG, dem Bank- sowie Versicherungsbereich, zusätzlich auch mit den Stiftungs- und Trustfällen, Bereiche, in denen sich „Geschäfts- und Geldprofis“ mit langjähriger Geschäftserfahrung bewegen, mit – nicht selten – sogar weiteren „Beraterstäben“. Der Berater, der auf diesem Parkett Einfluss auf seine Mandantschaft gewinnen will, muss nicht nur, wissen, wovon er „steuerjuristisch“ spricht, er muss vor allem auch in der Lage sein, ein schlüssiges „Gesamtkonzept“ zu erarbeiten und dann überzeugend vorzustellen, das insbesondere möglichst die diskrete Handhabung des Falles gewährleistet und die öffentliche Reputation des Mandanten wahrt.

2. Kapitel Die Selbstanzeige in der Beratungssituation: Was ist abzuklären? › IV. Die psychologische Komponente der Selbstanzeigeberatung › 5. Folgen in der Beratungspraxis

 

5. Folgen in der Beratungspraxis

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Je nach Fallkonstellation wird der Berater nicht in allen Fällen die Überzeugungskraft aufbringen (können) und sollte sich daher nicht grämen, wenn am Ende der Beratung der explizite Wille des Mandanten steht, entweder gar keine oder lediglich eine inhaltlich begrenzte Selbstanzeige einzureichen. Der Berater wird in letzterem Fall für sich entscheiden müssen, ob er den Mandanten auf diesem oftmals dornenreichen Weg begleitet. Dabei stehen dem Steueranwalt beide Alternativen zu Gebote. Zumindest nach bisheriger Rechtslage ließen sich unseres Erachtens unter der Prämisse „größtmögliche steuerstrafrechtliche Sicherheit bei größtmöglicher Steuerersparnis“ größtenteils professionelle Lösungen finden, welche die Mandanteninteressen, die Mittel „weiß“ zu machen, mit dem fiskalischen Gesetzeszweck der Selbstanzeige in Einklang bringen konnten. Stichworte in diesem Zusammenhang waren etwa:


Schätzung im steuerlich verjährten 10 Jahreszeitraum (ggf. mit hohen steuerlichen Unsicherheitszuschlägen) zur Abgeltung nicht konkret nachweisbarer Mehrsteuern auf der Einnahmenseite sowie bei Fragen der Mittelherkunft
Strafrabatt bei fehlgeschlagener Selbstanzeige

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Klar gesagt: ob eine derartige „wertende Betrachtung“ nach neuer Rechtslage unter der o.g. Prämisse praktisch noch möglich sein wird, erscheint auf den ersten Blick fraglich. Groß erscheint die Bestrafungsgefahr bei nicht lückenloser Aufdeckung sämtlicher Besteuerungsgrundlagen einer Steuerart im 10-Jahreszeitraum. Zu berücksichtigen sind weiter ein entsprechend verschärftes Strafmaß sowie das strafrechtliche Risiko einer öffentlichkeitsträchtigen Hauptverhandlung, ggf. mit dem Resultat einer Freiheitsstrafe.

2. Kapitel Die Selbstanzeige in der Beratungssituation: Was ist abzuklären? › V. Summe aller Überlegungen: Die bestmögliche individuelle Beratung

V. Summe aller Überlegungen: Die bestmögliche individuelle Beratung

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Die Beratungspraxis zeigt, dass die Selbstanzeige vielen Steuerpflichtigen oftmals nicht „leicht von der Hand“ geht. Vielfach grassiert einfach die Angst vor einer ungewissen Zukunft nach Offenbarung eines „Lebensgeheimnisses“ und geht mit vielfältigen sonstigen psychologischen Überlegungen, gepaart mit individuellen Befindlichkeiten einher. Der Berater sollte daher die oben aufgezeigten Überlegungen gedanklich in Betracht ziehen und es auch vor diesem Hintergrund akzeptieren, wenn der Mandant nach einem (guten) Erstgespräch „Zeit braucht“ und ihn nicht zu nicht vollständig „durchdachten Schnellschüssen“ drängen. Oftmals werden auch mehrere „Mandantentermine“ notwendig sein, um nicht nur alle gedanklichen Hindernisse beim (dann) Selbstanzeigewilligen zu beseitigen. Eher „technische Termine“ können hinzukommen, falls die Materialbeschaffung für eine technisch saubere Selbstanzeige nicht – wie üblich – im schriftlichen Verfahren in der gebotenen Beschleunigung voranschreitet.

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Fallbeispiel 7:

Ein älteres Ehepaar hatte bis Anfang der 2000er Jahre einen ortsbekannten Handwerksbetrieb, war danach aber aufgrund einer Nichtveranlagungsbescheinigung nicht mehr beim Wohnsitzfinanzamt auf dem „Schirm“.

Problemstellung:

Man hatte neben allerlei Befürchtungen (mögliche Rufschädigung trotz Steuergeheimnisses wegen Nachbarschaft und sogar Verwandtschaft diverser Finanzbeamter, daran anschließende Schwarzgeldüberprüfung im Rahmen der Mittelherkunftsuntersuchung, daraus resultierende gegen das Bankgeheimnis verstoßende „Revanchefouls“ der lokalen Banken, wo bei einzelnen Mitarbeitern ebenfalls aus dem Bekannten- und Verwandtenkreis der Neid auf die verschiedenen erheblichen Auslandskonten aufkeimen könnte), rein praktische Überlegungen thematisiert:

Lösungsansätze:

Es stellen sich drei grundlegende Fragen: 1. Wie bekommt man von einem Auslandsdepot bei einer zwischenzeitlich mehrfach mit unterschiedlichen europäischen Bankgesellschaften fusionierten größeren Bank bei zusätzlicher Sprachbarriere die erforderlichen Unterlagen? 2. Wie ist zu verhindern, dass das Finanzamt auch die letzten Jahre des Betriebs unter dem Aspekt der Mittelherkunft unter „die Lupe“ nimmt? 3. Damals noch (vor 2010): Ist Teilselbstanzeige mit inländischen Banken vor Ort und ausländischer Bank mit guter „Papierform“ sinnvoll?

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Ein weiteres sehr individuelles Moment ist das persönlich exakte Timing. In diesem Zusammenhang kommen nicht nur taktische Überlegungen (z.B. Verjährungsvorteile oder einkalkulierte Nachweisprobleme der Finanzbehörden) in Betracht, sondern spielen oftmals auch höchstpersönliche Überlegungen eine Rolle.

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Fallbeispiel 8:

Der jüngere Bruder hatte von seiner zwischenzeitlich verstorbenen Mutter deren ausländisches Konto faktisch übertragen bekommen, auch wenn die offizielle Bankbeziehung immer noch als Und/Oder-Konto auf Mutter und Sohn lautete, also nicht umgeschrieben war. Sein älterer Bruder weiß nichts von einem handgeschriebenen Testament der Mutter. Dort ist dieses Depot als „Kompensation“ für bereits früher vom älteren Bruder erhaltene Vermögenswerte gekennzeichnet. Da der ältere Bruder unter einer geheimnisvollen, aber aller Voraussicht nach unheilbaren Krankheit litt, zudem im Begriff war, mit seiner Frau an den früheren bayerischen Ferienwohnsitz der Familie umzuziehen, wo der jüngere Bruder schon seit Jahren seinen Erstwohnsitz hatte, war für diesen klar: Er kann unmöglich das Auslandskonto legalisieren, da unter allen Umständen zu vermeiden ist, dass sein älterer Bruder davon erfährt, dass die Mutter ihn begünstigt hatte. Angesichts der „Papierform“ war nicht auszuschließen, dass der Fall auch als Erb- oder Schenkungsteuerfall dem Bruder offiziell bekannt gemacht wird, der laut Erbschein als Miterbe ausgewiesen war.

Lösungsansätze:

Da auch die informelle „Informationsgefahr“ bei demselben Teilbezirk des zwischenzeitlich selben Wohnsitzfinanzamts nicht wegzudiskutieren war und auch das Verhältnis des jüngeren Bruders zur Schwägerin nicht das allerbeste war, bestand die Lösung darin, die Selbstanzeige erst nach Wohnsitzwechsel zum bisherigen Zweitwohnsitz und zwischenzeitlichem Tod des älteren Bruders als reinen Zinsfall zu präsentieren, was zeitnah zu einer anstandslosen „schlanken“ Änderungsveranlagung führte.

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Hinweis

Der Berater sollte sich die nötige Zeit nehmen, um individuell auf den jeweiligen Mandanten bezogen, die ausgewogene Lösung vorzubereiten, von der beide Seiten bestmöglich überzeugt sind.

Oftmals ergeben sich in der Selbstanzeigeberatung gerade aus den Kombinationen von steuerlichen (ESt, Erb- und SchenkSt) mit zivilrechtlichen erb- und schenkungs-, vor allem aber familienrechtlichen Fragen, interessante, aber auch durchaus diffizile „Gemengelagen“.

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Fallbeispiel 9:

Das Ende einer Ehe nach mehr als 30 Jahren fällt für F – auch angesprochen von der Bank A – zusammen mit dem Wunsch, jetzt, einige Jahre nach dem Tode Ihrer Eltern, das namentlich noch auf diese lautende Auslandskonto nicht nur bestmöglich „umschreiben“ zu lassen und dabei vor allem auch „weiß“ zu machen. Die beiden Söhne sollen bedacht, ihr Mann M, von dem sie seit kurzem getrennt lebt und mit dem eine außergerichtliche notarielle güterrechtliche Vermögensauseinandersetzung in Vorbereitung ist, soll von alledem nichts mitbekommen.

Lösungsansätze:

Dass eine derartige Zielsetzung nicht nur „sportlich“ ist, sondern einer „Quadratur des Kreises“ gleichkommt, muss der Berater, um Missverständnissen vorzubeugen, gleich zu Beginn des Mandatsverhältnisses klar zum Ausdruck bringen: Eine steuerliche (Selbstanzeige für die erzielten ausländischen Zinserträge des bisher nur Mutter und Sohn bekannten Kontos mit Korrektur der bereits erfolgten Erbschafts- und der optimierten Schenkungsbesteuerungslösung) und vermögensrechtliche (in Kombination mit einer geräuschlos geplanten Vermögensverteilung zwischen M und F ohne das Auslandskonto) Synthese, die auch noch den Familienfrieden wahrt, wird mutmaßlich in Konflikt mit den Veranlagungsgrundsätzen der Finanzverwaltung bei Änderungsbescheiden gegenüber Ehegatten stehen (§§ 26, 26a, b EStG sowie Abschnitt 174 ff. der EStR). Sowohl bei der Regelform der Zusammenveranlagung, aber auch bei eventueller Wahl einer getrennten oder Einzelveranlagung, wird M unweigerlich im Rahmen der geänderten Einkommensteuerbescheide der letzten 10 Jahre über die Erläuterungen von den Änderungen aufgrund der Selbstanzeige erfahren. Eine zuvor bereits getroffene Vermögensauseinandersetzung wäre unter diesem Aspekt bereits im Vorfeld auf ihre Anfechtbarkeit hin zu untersuchen, damit die Selbstanzeige, die ja gerade der „Gewissensberuhigung“ und Rechtsbefriedung dienen soll, nicht im Nachhinein zum „familienrechtlichen Boomerang“ wird. In diesem Zusammenhang spielt dann auch die im Rahmen der Selbstanzeigeberatung möglichst einvernehmliche gefundene erb- bzw. schenkungsteuerliche Lösung eine Rolle:

Ein frühzeitig angenommener Vermögensübertrag von Eltern auf Tochter bedingt nach altem Recht zwar geringere (immerhin doppelte) Freibeträge, dürfte bei zwischenzeitlich deutlich angestiegenen Vermögenswerten (auch unter Berücksichtigung der zusätzlichen Hinterziehungszinsen) die steuergünstigste Lösung sein, bei der außerdem dieses Zusatzvermögen der F güterrechtlich aus dem Vermögensausgleich letztlich außen vor bliebe, §§ 1374, 1378 BGB.

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Hinweis

In derartigen Fallkonstellationen ist nicht nur eine durchaus sorgfältige – auch rechtsdisziplinübergreifende – zeitintensive Beratung erforderlich. Für das bestmögliche Ergebnis sind auch unterschiedliche Berechnungsmodelle zu Hilfe zu nehmen.

3. Kapitel Typische Fallkonstellationen in der aktuellen Beratungspraxis

Inhaltsverzeichnis

I. Versäumte Berichtigungspflichten nach § 153 AO

II. Betriebsprüfungsfälle

III. Drohende internationale Ermittlungsansätze

IV. Stiftungsfälle

V. Erbrechtliche und familienrechtliche Konstellationen

VI. Selbstanzeige im Gefolge von Geldwäscheverdachtsverfahren

3. Kapitel Typische Fallkonstellationen in der aktuellen Beratungspraxis › I. Versäumte Berichtigungspflichten nach § 153 AO

I. Versäumte Berichtigungspflichten nach § 153 AO

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Eine zunehmende Rolle in der Beratungspraxis spielt § 153 AO. Nach dieser Vorschrift ist der Steuerpflichtige verpflichtet, unterlassene oder unrichtige Angaben unverzüglich nachzuholen bzw. zu ergänzen, wenn er nachträglich, d.h. nach Abgabe der entsprechenden Erklärung, erkennt, dass seine bisherigen Angaben unvollständig oder unrichtig sind.

Im Einzelfall kann sowohl eine Berichtigung nach § 153 AO ausreichend als auch eine Selbstanzeige erforderlich sein, um eine Ahndung zu verhindern.[1] Nicht immer lässt sich eindeutig klären, ob die Berichtigung der Angaben im Wege einer Erklärung nach § 153 AO oder mittels Selbstanzeige die richtige Wahl ist. Die Abgrenzung hat aber grundlegende Bedeutung. Denn wenn die Erklärung eine Berichtigung nach § 153 AO ist, dann ist eine spätere Korrektur im Wege der Selbstanzeige möglich. Handelt es sich dagegen um eine Selbstanzeige, ist für eine Korrektur kein Raum mehr, da dies dazu führen würde, dass die erste Selbstanzeige als unvollständig und damit als unwirksame Teilselbstanzeige zu betrachten wäre. Einzelheiten zu § 153 AO finden sich ausführlich im 5. Kap. Rn. 357 ff.

 

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Hinweis

Für die Beratungspraxis empfiehlt sich, das Schreiben an das Finanzamt grundsätzlich offen zu formulieren. Zur Wirksamkeit der Erklärung ist es nicht notwendig, sich ausdrücklich für einen Weg, etwa durch Verwenden von Worten wie „Berichtigungserklärung nach § 153 AO“ oder „Selbstanzeige“ zu entscheiden. Da praktisch das Finanzamt im Zweifel bei mehrdeutigen Schreiben nicht unbedingt die für den Erklärenden günstigere Variante annehmen mag, ist vorsichtshalber eine 10-Jahresnachmeldung abzugeben (worst case-Betrachtung).

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Besondere Bedeutung erlangt § 153 AO in Erbfällen. Denn die Berichtigungspflicht des § 153 AO ist nicht auf eigene Angaben des Steuerpflichtigen beschränkt. Eine Berichtigungspflicht besteht auch, wenn der Steuerpflichtige erkennt, dass der Erblasser unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat.

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Fallbeispiel 10:

Der Mandant ist Erbe seines im Jahr 2011 verstorbenen Vaters. Bereits zu dessen Lebzeiten wusste der Mandant von einem Konto des Erblassers in der Schweiz. Die über dieses Konto erzielten Kapitalerträge hatte der Vater zu Lebzeiten gegenüber dem Finanzamt stets verschwiegen. Auch das war dem Mandanten bekannt. Im Jahr 2014 möchte er reinen Tisch machen und eigene hinterzogene Beträge offen legen. Er beauftragt ein renommiertes Steuerberatungsbüro mit der Anfertigung einer Selbstanzeige. Diese enthält neben eigenen Einkommensteuerhinterziehungen auch die Nachmeldung des Schweizer Kontos. Die Kapitalerträge wurden dabei vollständig bis zurück ins Jahr 2001 nacherklärt.

Problemstellung:

Daraufhin leitet das zuständige Finanzamt das Steuerstrafverfahren zur Prüfung der Wirksamkeit der Selbstanzeige ein (vgl. Muster 9 Rn. 481). Insoweit liegt ein ganz normaler Selbstanzeigefall vor. Das Finanzamt ist nun aber der Auffassung, dass die Selbstanzeige unwirksam sei und übergibt das Verfahren der Staatsanwaltschaft, die daraufhin das Ermittlungsverfahren übernimmt. Finanzamt und Staatsanwaltschaft sind der Auffassung, dass die Selbstanzeige deshalb unwirksam sei, weil die Kapitalerträge des Vaters aus dem Jahr 2000 nicht mit berichtigt wurden. Der Mandant möchte nun wissen, ob die verunglückte Selbstanzeige im Besteuerungs- bzw. Ermittlungsverfahren noch zu retten ist, oder ob er sich auf finanz- bzw. strafgerichtliche Auseinandersetzungen einstellen muss.

Lösungshinweise:

Die Selbstanzeige musste zum Zeitpunkt ihrer Einreichung im Jahr 2014 alle strafrechtlich noch nicht verjährten Steuerhinterziehungen einer Steuerart umfassen, sog. Berichtigungsverbund (näher hierzu unten, 4. Kap. Rn. 196 ff.). Im Raum steht eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Berichtigungspflicht nach § 153 AO. Der Tatvorwurf betrifft die nicht unverzügliche Berichtigung aller im Jahr 2011 noch nicht festsetzungsverjährten Veranlagungszeiträume hinsichtlich der Kapitalerträge des Vaters, also eine eigene Steuerhinterziehung des Mandanten, begangen durch Unterlassen im Jahr 2011.

Die für einfache Steuerhinterziehungen geltende fünfjährige Verjährungsfrist, die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, ist jedenfalls im Jahr 2014 ersichtlich noch nicht abgelaufen – eine genauere Prüfung der im Einzelfall problematischen Verjährung in Unterlassungssachverhalten ist hier nicht angezeigt. Fraglich bzw. problematisch ist, wie der Argumentation des Finanzamts zu begegnen ist.

Argumentation des Finanzamts und der Staatsanwaltschaft:

Nach § 153 AO sind unrichtige Angaben für alle noch nicht festsetzungsverjährten Zeiträume zu berichtigen. Im Jahr 2011, als die Berichtigungspflicht für den Mandanten entstand, war auch das Jahr 2000 noch nicht festsetzungsverjährt. Da die Steuererklärung für das Jahr 2000 im Jahr 2001 abgegeben wurde, beginnt die Frist mit Ablauf des 31.12.2001, § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO. Aufgrund der Annahme einer Steuerhinterziehung beträgt die Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 2 S. 2 AO zehn Jahre. Damit wäre die Festsetzungsfrist für das Jahr 2000 erst am 31.12.2011 abgelaufen. Die Unrichtigkeit der Angaben des Vaters hat der Mandant nachträglich mit dem Erbfall, aber noch vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkannt. Da er in seiner Selbstanzeige das Jahr 2000 nicht mit aufnahm, ist die Selbstanzeige unvollständig und daher insgesamt unwirksam.

Für den Mandanten ein fatales Ergebnis! Er hat umfangreiche Nacherklärungen abgegeben und dem Finanzamt gegenüber erhebliche Steuerrückstände offenbart. In den Genuss der Straffreiheit soll er aber nicht kommen, weil ein 14 Jahre zurückliegender Veranlagungszeitraum nicht mit in die Selbstanzeige aufgenommen wurde.

Die Argumentation des Finanzamts klingt auf den ersten Blick nachvollziehbar. Die unterlassene Berichtigungspflicht erfüllt den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.[2] Zu berichtigen waren nach § 153 AO auch alle noch nicht festsetzungsverjährten Zeiträume. Das Jahr 2000 war zum Zeitpunkt des Entstehens der Berichtigungspflicht noch nicht festsetzungsverjährt. Berichtigungspflichtig ist nicht nur der Steuerpflichtige selbst, sondern auch dessen Erbe, § 153 Abs. 1 S. 2 AO.

Die Argumentation des Finanzamts ist jedoch angreifbar.

Gegenargumentation:


1. Zunächst ist schon das nachträgliche Erkennen fraglich, das allein eine Berichtigungspflicht auslöst und damit unabdingbare Voraussetzung des objektiven Tatbestands der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist. Immerhin wusste der Mandant schon zu Lebzeiten des Vaters von dessen Konto in der Schweiz und den hier generierten Kapitalerträgen. Hier lässt sich argumentieren, dass der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger in die Position des Erblassers eintritt. Wusste er schon bei Abgabe der Erklärungen des Erblassers von deren Unrichtigkeit, liegt schon kein nachträgliches Erkennen vor (näher zu den hierzu vertretenen Auffassungen unten Rn. 406 f.).
2.
3.
4.

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