Regionalentwicklung

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Tobias Chilla, Olaf Kühne, Markus Neufeld



Regionalentwicklung



93 Abbildungen



16 Tabellen

















Inhaltsverzeichnis




      Cover






Haupttitel







Die UTB-Reihe







Über den Autor







Impressum







Vorwort





1

Einführung



1.1Regionen und ihre Entwicklung – ein weites Feld



1.2

Möglichkeiten regionaler Abgrenzung



1.2.1

Auf Homogenität basierende Abgrenzung



1.2.2

Funktionale Abgrenzung



1.2.3

Administrative Einteilung



1.2.4

Diskursive Regionalisierung



1.3

Region – konzeptionelle Zugänge



1.3.1

Essentialistische Ansätze



1.3.2

Positivistische Ansätze



1.3.3

Konstruktivistische Ansätze



1.4

Normative Zugänge: Wie entwickelt man Regionen ?



1.4.1

Das Gleichgewichtspostulat



1.4.2

Die Polarisationsthese



1.5

Akteure der Regionalentwicklung



1.6

Zur Forschungspraxis der Regionalentwicklung: Methoden und Operationalisierung



1.6.1Regional(entwicklungs)analyse ?



1.6.2

Fallstudien



1.7

Der Blick zurück



1.7.1

Vormoderne: Die Entwicklung bis zum 18. Jahrhundert



1.7.2

Modernisierung als Rationalisierung und Industrialisierung



1.7.3

Postmoderne: (Sub-, Des-, Re-)Urbanisierung und Metropolisierung



1.8

Stadt und Land in der Raumbeobachtung



1.9

Begrifflichkeiten



2

Das Instrumentarium der Regionalentwicklung



2.1

Rechtliche Instrumente



2.1.1Europäische Ebene



2.1.2

Bundesebene



2.1.3

Länderebene



2.1.4

Kommunale Ebene



2.1.5

Prinzipien der rechtlichen Verzahnung



2.1.6

Blick über die Grenzen



2.2

Finanzielle Instrumente



2.2.1

Europäische Ebene



2.2.2

Bundesebene



2.2.3

Regionale und kommunale Ebene



2.2.4

Steuerwettbewerb



2.2.5

Politische Bedeutung finanzieller Instrumente



2.2.6

Synopse



2.3

Persuasive Instrumente



2.3.1Begriffliches



2.3.2

Europäische Ebene



2.3.3

Bundesebene



2.3.4

Länderebene



2.3.5

Kommunale Ebene



2.3.6

Das persuasive Instrumentarium im Überblick



2.4

Synopse des Instrumentariums



2.4.1Auf einen Blick



2.4.2

Überlappungen



2.4.3

Instrumente und Paradigmen in West-/Gesamtdeutschland



2.4.4

Besonderheiten in Ostdeutschland



2.4.5

Evaluation



2.4.6

Governance ?



3

Handlungsfelder der Regionalentwicklung



3.1

Wirtschaft



3.1.1

Ökonomische Disparitäten



3.1.2

BIP – das Maß aller Dinge ?



3.1.3

Europäische Raumentwicklung



3.1.4

Metropolenfieber ?



3.1.5

Nähe als Erfolgsfaktor ? Cluster, Milieus, Innovationssysteme



3.1.6

Kreative/innovative Region



3.1.7

Regionalentwicklung – exportbasiert oder endogen ?



3.1.8

Regionalprodukte



3.1.9

Schlüsselbranchen der Regionalentwicklung ?



3.2

Gesellschaft



3.2.1Räumliche Gerechtigkeit ?



3.2.2

Arbeitslosigkeit als Schlüsselindikator ?



3.2.3

Demographischer Wandel



3.2.4

Räumliche Bindung: Zwischen Heimat, Identifikation und Lebensstil



3.3

Natur, Landschaft, Umwelt



3.3.1Aktuelle Dynamik



3.3.2

Natur



3.3.3

Naturschutz: Großschutzgebiete und Regionalentwicklung



3.3.4

Der Landschaftsbegriff



3.3.5

Energiewende und Klimawandel



3.3.6

Instrumentelle Vielfalt



4

Zusammenführung



4.1Synopse



4.2

Die normative Perspektive: Nachhaltige Entwicklung ?



4.2.1

Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit



4.2.2

‚Schwache‘ und ‚starke‘ Nachhaltigkeit



4.3

Beratung und Handlungsempfehlungen



4.4

Ausblick





Literaturverzeichnis






Über den Autor



Prof. Dr. Tobias Chilla, Jahrgang 1973, ist Professor für Geographie mit dem Schwerpunkt Angewandte und Europäische Regionalentwicklung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Wichtige Inhalte seiner aktuellen Forschung umfassen Fragen der räumlichen Governance, der Europäisierung und der grenzüberschreitenden Integration und zugleich lokale Projekte zur wirtschaftlichen und demographischen Entwicklung. Er hat Geographie, Jura und Städtebau in Köln und Bonn studiert und in Köln auch promoviert. Seine Post-Doc-Stationen umfassten die Universitäten Köln, Bamberg und Luxemburg und die Habilitation an der Universität des Saarlandes.





Prof. Dr. Olaf Kühne, Jahrgang 1973, ist Professor für Stadt- und Regionalentwicklung an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Zuvor war er Professor für Ländliche Räume/Regionalmanagement an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und Stiftungsprofessor für Nachhaltige Entwicklung an der Universität des Saarlandes. Vor seiner Tätigkeit in der Wissenschaft war er in unterschiedlichen saarländischen Ministerien in den Bereichen Landesplanung, Regionalentwicklung und demographischer Wandel tätig. Der promovierte Geograph und Soziologe befasst sich primär mit Fragen der Stadt- und Regionalentwicklung, der sozialen Konstruktion von Landschaft und Fragen der räumlichen Auswirkung gesellschaftlicher Postmodernisierungsprozesse sowie der Transformation in Ostmitteleuropa.

 





Markus Neufeld, Dipl.-Geograph, Jahrgang 1983, studierte Geographie, BWL und Statistik in Bamberg. Nach seiner Tätigkeit in einer kommunalen Wirtschaftsförderung ist er seit 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter am geographischen Institut der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Dort forscht er über Kohäsion in Europa im Kontext der Wirtschaftskrise. Daneben bearbeitet er angewandte Projekte der Regionalentwicklung.




Impressum



Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.





© 2016 Eugen Ulmer KG



Wollgrasweg 41, 70599 Stuttgart (Hohenheim)



E-Mail: info@ulmer.de



Internet: www.ulmer.de



Produktion: primustype Hurler GmbH | v1





ISBN 978-3-8252-4566-5 (Print)



ISBN 978-3-8463-4566-5 (E-Book)




Vorwort



Ein Lehrbuch zur regionalen Entwicklung ist eine wirkliche Herausforderung: Die möglichst kompakte und didaktische Bearbeitung dieses facettenreichen Gegenstands in seiner Breite, Aktualität und Interdisziplinarität ist immer inspirierend, aber selten trivial. Dass wir dieses Projekt dennoch angegangen sind, hat auch mit den vielfältigen Quellen zu tun, von denen wir profitieren konnten. Einige dieser Quellen seien zumindest kurz erwähnt.



Ein solches Lehrbuch ist zunächst nicht vorstellbar ohne die zum Teil langjährigen Überlegungen in den verschiedensten Projektarbeiten, in den vielfältigen Lehrveranstaltungen und in den Diskussionen mit den Fachkollegen auf Konferenzen, in Arbeitsgruppen, Forschungskonsortien und ‚auf dem Gang‘. Hier kann kein namentlicher Dank ausgesprochen werden, aber ein Lehrbuch ist immer auch Teil eines kollektiven Kommunikations- und Lernprozesses.



Eine wichtige Quelle dieses Buches ist zudem ein Onlinekurs der Virtuellen Hochschule Bayern (vhb): Seit dem Sommersemester 2014 werden dort unter dem Titel „Nachhaltige Regionalentwicklung“ verwandte Inhalte in einer regional auf Bayern zugespitzten Perspektive als 5-ECTS-Kurs angeboten. Viele der dort verwendeten Materialien und Argumentationen fanden Einfluss in dieses Buch, wobei die Ersterstellung von der VHB auch finanziell gefördert wurde, wofür wir an dieser Stelle danken.



In diesem Buch bemühen wir uns um eine möglichst verständliche Darstellung und auch um eine vielfältige Illustration. Dabei konnten wir dankenswerter Weise auf zahlreiche Abbildungen und Karten von Kollegen aus verschiedensten Institutionen zurückgreifen, die uns oft großzügig ihre Arbeiten zur Verfügung stellten. Großer Dank gilt in diesem Zusammenhang dem Erlanger Kartographen Dipl.-Geogr. Stephan Adler, der unsere Illustrationswünsche geduldig, ästhetisch und akkurat umsetzte. Herzlicher Dank gilt sodann Frau Melanie Reisch B. A., die mit ihren stets zielführenden und kreativen Recherchen und Zuarbeiten eine wichtige Stütze bei der Erstellung des Buches war. Zu danken habe wir darüber hinaus dem Ulmer Verlag in Stuttgart, wo uns Frau Sabine Mann M. A. eine außerordentlich freundliche und flexible Betreuung war.



Erlangen und Weihenstephan im Juli 2016





1Einführung

1.1Regionen und ihre Entwicklung –

ein weites Feld



Regionalentwicklung ist ein Themenfeld, das sich durch eine starke alltagsweltliche Verankerung auszeichnet: „Wie es so ausschaut“ in einer Region und wie sich diese entwickelt – diese Frage ist bei Weitem nicht nur von wissenschaftlichem Interesse. Die örtlichen Tageszeitungen berichten über aktuelle Entwicklungen in der Region, die Hausbesitzer beobachten die lokalen Immobilienpreise, der Unternehmer ist wegen des demographischen Wandels mit dessen Folgen für die Verfügbarkeit von Arbeitskräften besorgt, der Pendler macht sich im allmorgendlichen Stau Gedanken um metropolitane Verflechtungen, die Bürgermeisterin denkt an die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Gemeinde – Regionalentwicklung ist überall.



Das vorliegende Lehrbuch hat zum Ziel, dieses große und komplexe Thema so aufzubereiten, dass die wissenschaftliche und praktische Befassung mit dem Thema erleichtert wird. Im deutschsprachigen Bereich liegt bislang kein Lehrbuch zur Regionalentwicklung vor, im Gegensatz zur Situation in der englischsprachigen Literatur (z. B. Pike et al. 2011).



In einem solchen Zugang bestehen große Synergien mit benachbarten (und ‚überlappenden‘) Themenbereichen: Lehrbücher der Wirtschaftsgeographie (z. B. Braun & Schulz 2012), Raumplanung (z. B. Priebs 2013) und Regionalökonomie (z. B. Maier et al. 2012) sind hier wichtige Impulsgeber für die Befassung mit Regionalentwicklung. Auch Sammelbände mit sektoralen, konzeptionellen oder regionalen Ansätzen haben in den vergangenen Jahren einige Verbreitung gefunden (Kulke 2010, Gebhardt et al. 2013, Kühne & Weber 2015). Der interdisziplinäre Charakter der Analyse von regionaler Entwicklung setzt zwingend voraus, das Wissen aus verschiedenen Perspektiven einfließen zu lassen. Allerdings erscheint es sinnvoll, eine strukturierte, synoptische Arbeitshilfe für die Reflexion von regionaler Entwicklung zu formulieren, und diese möchte das vorliegende Lehrbuch bieten. Die Autoren des Bandes haben sich dabei vor allem an den folgenden Punkten orientiert:





 Theorie und Praxis: Regionalentwicklung wird im Folgenden sowohl aus der wissenschaftlichen Sicht (analytische Perspektive) reflektiert, vor allem aber werden auch die mögliche Handlungs- und Politikoptionen erörtert (normative Perspektive). Dies schlägt sich auch in der Illustration theoretischer Ansätze mit Fallbeispielen nieder.



 Multiperspektivität: Auch im Bereich der Regionalentwicklung gibt es keine ‚letzten Wahrheiten‘. Stattdessen sehen wir ein komplexes Wirkgefüge, das mit verschiedenen wissenschaftlichen ‚Brillen‘ beobachtet und reflektiert werden kann, und das im Hinblick auf die politischen Handlungsmöglichkeiten fast ausnahmslos umstritten ist. Es soll im Folgenden zumindest exemplarisch dargestellt werden, welche unterschiedlichen Perspektiven und Prioritäten vertreten werden. So macht es einen wesentlichen Unterschied, ob man eher dem Ausgleichspostulat der klassischen Ökonomie anhängt, oder ob man von einer grundsätzlichen Tendenz zur regionalen Polarisierung ausgeht.



 Pars pro toto: Es ist offensichtlich, dass das vorliegende Buch nicht vollständig sein kann. Die Themen jedes (Unter-)Kapitels werden an anderer Stelle in Form eigener Monographien behandelt. Es ist der Preis für eine übergeordnete Systematik, dass nicht alle Anwendungsfelder bearbeitet werden können.



 Regionaler Fokus: Der Fokus des vorliegenden Buches liegt auf Deutschland, wobei europäische Bezüge durchgängig im Blick gehalten werden. Auch darüber hinausgehende Argumente werden in Bezug genommen, beispielsweise Entwicklungen in den Vereinigten Staaten, wo Raumentwicklungsprozesse in aller Regel mit geringerer politischer Einflussnahme erfolgen als in Westeuropa. Der räumliche Fokus ist vor allem dadurch begründet, dass die Instrumente der Regionalentwicklung und deren historisch gewachsene Verankerung sich in hohem Maße zwischen den Staaten unterscheiden.





Das vorliegende Lehrbuch stellt sich dieser recht umfassenden Aufgabe mit einem betont formalen Aufbau, insbesondere aus Gründen der Übersichtlichkeit: Kap. 1 erläutert die Begriffe ‚Region‘ und ‚Entwicklung‘, bevor Kap. 2 den ‚Werkzeugkasten‘ öffnet und rechtliche, finanzielle sowie persuasive Instrumente vorstellt. Kap. 3 erörtert die Handlungsfelder Wirtschaft, Gesellschaft und Natur vor dem Hintergrund des zur Verfügung stehenden Instrumentariums, bevor das Schlusskapitel Maßstäbe für eine ‚gute‘ Regionalentwicklung diskutiert und eine synoptische Betrachtung vornimmt.



Die textliche Argumentation ist um eine solide Verankerung in der fachlichen Diskussion und zugleich um die stete Illustration mit Fallbeispielen bemüht. Wo ausführlichere Informationen sinnvoll erscheinen, greifen wir zum einen auf Textboxen zurück, in denen zentrale Inhalte vertieft und ergänzend dargestellt werden. Besonders aussagekräftige Fallbeispiele werden ebenfalls aus dem Fließtext herausgenommen und als eigenes Format dargestellt. Beide Elemente können übersprungen werden, ohne dass der Argumentationsfluss unterbrochen wäre.





1.2Möglichkeiten regionaler Abgrenzung



Der vermeintlich klare Begriff der Region ist bei näherem Hinschauen oft nur schwer greifbar, selten eindeutig definierbar – zwei Beispiele aus dem Norden und dem Süden Deutschlands zeigen dies: Wo und was ist eigentlich das Allgäu ? Dies kann man als touristischen Kernraum nahe Oberstdorf verstehen oder als die institutionalisierte Planungsregion, die mehrere Landkreise und kreisfreie Städte umfasst (Lindner & Böckler 2002). Und was ist die Region Hamburg ? Wo fängt sie an, wo hört sie auf ? Man mag Hamburg als (Hanse-)Stadt oder als Metropolregion definieren (s. Abb. 1). Die Arbeitsmarktregion überschreitet die Grenzen des Stadtstaats erheblich und ist ein Argument für eine großräumigere Kooperation, wobei dann überrascht, dass in der Metropolregion Hamburg die Stadt Kiel nicht einbezogen ist, zu der erhebliche Pendel-Bezüge bestehen – das erklärt sich dann aus politischen Gründen.








Abb. 1 Unterschiedliche Möglichkeiten der Abgrenzung der Region Hamburg (eigene Darstellung nach Metropolregion Hamburg o. J., Kropp & Schwengler 2011, BKG 2015)





Regionalisierungen können auf sehr unterschiedlichen Maßstabsebenen und implizit auch mit unterschiedlichen Abgrenzungskriterien argumentieren. Diese Antwort-Optionen lassen sich systematisieren, wie Tab. 1 zeigt. Übergeordnet lassen sich Regionen dabei zunächst definieren als „Ausschnitt der Erdoberfläche, der über bestimmte gemeinsame oder verbindende Merkmale und Eigenschaften definier- und abgrenzbar ist“ (Braun & Schulz 2012: 83). Im Speziellen ist dann zwischen funktionalen / homogenen, administrativen und diskursiven Abgrenzungsmöglichkeiten zu unterscheiden.




Tab. 1 Formen der Abgrenzung und Definition von Regionen (Regionalisierung)

Homogen

Funktional

Administrativ

Diskursiv

räumliche Einheit von ähnlichen/gleichen Merkmalsausprägungen

räumliche Einheit von miteinander verbundenen Elementen (Verflechtungen)

Raumeinheiten für die statistische Erfassung und/oder für die Organisation politischer bzw. administrativer Zuständigkeiten

Raumeinheiten in gesellschaftlicher Debatte (medial, politisch, alltagsweltlich)





1.2.1Auf Homogenität basierende Abgrenzung



Zunächst lassen sich Regionen nach ähnlichen oder gleichen Merkmalsausprägungen abgrenzen. Das Homogenitätsprinzip stellt somit auf die gemeinsamen Merkmale eines Raumes ab. ‚Bierfranken‘ ist eine Region, die sich über solche Merkmale abgrenzen lässt. Beispielsweise lässt sich der Indikator Brauereidichte (Brauerei-Standorte pro km²) dazu nutzen, um mittels eines Schwellenwertes Bierfranken vom Nicht-Bierfranken abzugrenzen.



Bei vielen ‚klassischen‘ Regionsabgrenzungen fällt es hingegen oft schwer, ein Argument der Homogenität für die jeweils gültige politische Abgrenzung zu finden, selbst die Operationalisierung von Klischees fällt schwer: Im Allgäu mag man über die Dichte von Käsereien und Milchwirtschaft auf den Alpen argumentieren; für die Region Hamburg ließe sich über die Firmen des Sektors maritime Wirtschaft diskutieren, die inzwischen auch in einem Cluster zusammengeschlossen sind. Häufig wird auch die Verbreitung eines Dialektes als Kriterium herangezogen: ein weitgehend homogener Sprachraum bildete dann auch eine Region (z. B. für das Fränkische, das über den nordbayerischen Raum auch nach Thüringen und Baden-Württemberg hineinragt).

 





1.2.2Funktionale Abgrenzung



Das Funktionalprinzip argumentiert nicht mit Ähnlichkeit, sondern mit Verflechtungen, also anhand von miteinander verbundenen Elementen. Abb. 2 zeigt den wohl wichtigsten Indikator für diese Form der Regionalisierung, die Pendlerbereiche. Diese Art der Abgrenzung ist für die praktische Raumbeobachtung – in Form von Arbeitsmarktregionen – von großer Bedeutung. Die Verfügbarkeit von amtlichen Daten zu Wohn- und Arbeitsort für die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist in Deutschland durch die Arbeitsmarktstatistik erfasst und flächendeckend verfügbar, sodass der Regionalentwicklung hiermit ein wichtiger Indikator zur Verfügung steht. Ebenso relevant wären beispielsweise wirtschaftsräumliche Verflechtungen, also insbesondere Handelsbeziehung entlang von Wertschöpfungsketten (z. B. im Automotive-Bereich), aber solche Daten müssen eigens erhoben werden und werden von statistischen Ämtern jedenfalls nicht kleinräumig erfasst.








Abb. 2 Pendlereinzugsgebiete in Deutschland (verändert nach BBSR 2012: 79)





Die Karte zeigt, dass viele Abgrenzungen der Pendlerregionen nicht identisch sind mit administrativen Abgrenzungen wie z. B. Landkreisen oder gar Bundesländern. Es wird zugleich deutlich, dass Pendlerverflechtungen vor allem für städtische und metropolitane Raumabgrenzungen geeignete Argumente darstellen. Ländliche Räume stellen in dieser Perspektive primär Wohnräume von (potenziellen) Arbeitskräften der Metropolen dar, sie erscheinen hier gewissermaßen als ‚Ergänzungsräume‘. Um ländliche Räume voneinander abzugrenzen, müssen zumindest auch andere Kriterien herangezogen werden (so lassen sich mit diesem Indikator für das Allgäu kaum geeignete Argumente der Regionalisierung finden).





1.2.3Administrative Einteilung



Alle modernen Staaten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nach einer territorialen Logik mehrere Ebenen des politisch-administrativen Handelns etabliert haben. Zwischen den Staaten unterscheiden sich diese Systeme erheblich, gerade auch im Hinblick auf das Konzept der Region: Während die deutschen Bundesländer aus europäischer Perspektive politisch sehr starke Regionen darstellen (d. h. sie verfügen politisch und administrativ über starke Kompetenzen, z. B. in den Bereichen Bildung und Raumordnung), haben die französischen Régions eine im Verhältnis recht schwache Position; und in Kleinstaaten wie Luxemburg gibt es keine vergleichbare Politikebene.



Die angesprochenen Beispielregionen Hamburg und Allgäu lassen sich administrativ unterschiedlich fassen: Die Region Hamburg kann als Stadtstaat (also wie ein Bundesland) verstanden werden oder auch als Metropolregion, die darüber hinaus etliche Landkreise und kreisfreie Städte des Umlands in anderen Bundesländern (z. B. Schleswig-Holstein) umfasst. Das Allgäu ist nur indirekt als Region institutionalisiert. Man kann es verstehen als die drei Landkreise Unter-, Ober- und Ostallgäu, zu denen dann auch die drei kreisfreien Städte Memmingen, Kempten und Kaufbeuren dazuzuzählen sind. Eher technische räumliche Umgriffe wie die Planungsregion Allgäu ergänzen diese Sichtweise.



In der statistischen Betrachtung von Regionen besteht ein enger Zusammenhang zu administrativen Grenzen. Seit den 1980er-Jahren hat das Amt für Statistik der Europäischen Union (Eurostat) eine Systematik entwickelt, die eine vergleichbare Betrachtung von Raumeinheiten unter den EU-Ländern ermöglichen soll (EUR-Lex 2014; Destatis 2015). Der Begriff der NUTS-Klassifikation leitet sich von der französischen Bezeichnung ab: Nomenclature des Unités territoriales statistiques (Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik).



Für Deutschland gilt die folgende Einteilung:





 NUTS 0 – Nationalstaat



 NUTS 1 – Bundesland (einschl. Stadtstaat)



 NUTS 2 – Regierungsbezirk (oder analoge Einheiten)



 NUTS 3 – Landkreise und kreisfreie Städte





Die Zuordnung einer Region zu einer NUTS-Ebene erfolgt dabei auf Basis der Einwohnerzahlen und orientiert sich eng an der Verwaltungsgliederung der Staaten. NUTS-3-Regionen haben in der Regel zwischen 150 000 und 800 000 Einwohner. Auf der NUTS-2-Ebene variiert die Einwohnerzahl der Regionen zwischen 800 000 und 3 000 000 und NUTS-1-Regionen haben meist zwischen drei und sieben Mio. Einwohner. Ein Blick auf die europäische Karte zeigt, dass es nicht ganz einfach ist, eine wirkliche Vergleichbarkeit herzustellen (Abb. 3). Die politischen Traditionen in den Mitgliedsstaaten, aber auch die Bevölkerungsdichte ist in Europa sehr unterschiedlich, sodass auch die Systematik immer einen gewissen Kompromiss bedeutet: zwei Regionen derselben NUTS-Ebene mit einer vergleichbaren Einwohnerzahl können sich dadurch in der Fläche durchaus beträchtlich unterscheiden (vgl. bspw. die deutschen und die schwedischen NUTS-2-Regionen, Abb. 4).








Abb. 3 Die NUTS-Systematik im Mehr-Ebenen-System










Abb. 4 NUTS-2-Regionen in Europa





Die NUTS-Systematik setzt sich auch auf kleinräumigerer, kommunaler Ebene fort (Helmcke 2008). Die territoriale Einheit wird hier jedoch als Local Administrative Unit (LAU) bezeichnet. LAU 1 umfasst demnach Gemeindeverbände, also Verwaltungsgemeinschaften (Bayern), Samtgemeinden (Niedersachsen), Verbandsgemeinden (Rheinland-Pfalz) usw. Einzelgemeinden werden schließlich der LAU-2-Ebene zugeordnet. Nicht für alle Staaten ist die LAU-1-Ebene definiert, da es mitunter keinen administrativen Zusammenschluss von Gemeinden gibt (z. B. Italien, Niederlande). Ferner weisen nicht alle Staaten das gleiche Maß einer hierarchischer Gliederung auf: so sind Zypern oder Luxemburg jeweils sowohl NUTS-0-, -1-, -2- und -3-Region.



Statistische Raumeinheiten erscheinen auf den ersten Blick als ein technisches Hilfsmittel – in der Praxis sind sie aber hoch politisch. Zwei Beispiele verdeutlichen dies.



Für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist es Voraussetzung, eine NUTS-Systematik zu etablieren. Gerade für die osteuropäischen Transformationsstaaten (also Staaten, die einen Wechsel des vormals sozialistischen Politik- und Gesellschaftssystems vollzogen haben, z. B. Polen, Ungarn, Litauen) ist dies nicht ganz trivial: In sozialistischen Zeiten, zum Teil auch schon davor, hat zumeist ein recht zentralistisches Denken geherrscht, wonach nun die Regionalisierung ein wirkliches Umdenken erfordert. Die Einführung von subnationalen Einheiten geht dabei häufig mit der Etablierung von neuen politischen Ebenen einher, die aber nur schwer mit Leben zu füllen sind. Dieser Prozess der ‚Regionalisierung‘ wird vor allem dadurch befördert, dass die Vergabe europäischer Mittel die Etablierung einer regionalen Ebene voraussetzt (für das Beispiel Rumänien s. Benedek & Jordan 2007).



In Deutschland hingegen ist das föderale Denken in Bundesländern und auch der Bezug zu Regierungsbezirken recht etabliert. Allerdings ist anzumerken, dass die Ebene der Regierungsbezirke (NUTS 2) in einigen Ländern – beispielsweise in Rheinland-Pfalz oder Sachsen – politisch im Prinzip aufgelöst wurde, obwohl die statistische Einheit bestehen bleibt. In anderen Bundesländern haben Regierungsbezirke nie bestanden (z. B. Thüringen). Insbesondere in den neuen Bundesländern war die Abgrenzung von NUTS-Regionen auch für die Frage der Förderfähigkeit durch EU-Programme wichtig: Je nach Abgrenzung werden Schwellen der Förderfähigkeit über- oder unterschritten (s. Kap. 3.1).








Abb. 5 Vergleichbarkeit von NUTS-Regionen: BIP pro Kopf auf NUTS-0- und NUTS-2-Ebene im Jahr 2011 (eigene Darstellung; Daten: Eurostat 2015a)





Die NUTS-Klassifizierung ist zweifellos ein wichtiges Instrument, um die Entwicklung von Regionen zu vergleichen – ganz trivial ist das im Deta