Regionalentwicklung

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1.7.3Postmoderne: (Sub-, Des-, Re-)Urbanisierung und Metropolisierung

Seit den 1960er-Jahren entwickelte sich in den Wohlstandsgesellschaften Nordamerikas und (West-)Europas, aber auch Ostasiens und Ozeaniens ein Wertewandel, der als Übergang von materialistischen Werten des ‚Habens‘ der Moderne zu postmaterialistischen Werten der Verwirklichung der eigenen Identität gedeutet werden kann (Inglehart 1977 und 1998). Dies ließ die Nachfrage nach individuell erscheinenden Gütern ansteigen (und so waren Autos nun auch in anderen Farben als schwarz lieferbar). Diese geänderte Nachfrage ließ sich nur schwer mit der bisherigen standardisierten Produktpalette in Übereinstimmung bringen. Unternehmen wurden also gezwungen, sich zu flexibilisieren: Produkte mussten an die individualisierten Bedürfnisse von Kunden angepasst werden (was bereits bei der Farbe eines Automobils beginnt). Dies bedeutet, dass die Unternehmen gezwungen waren, in kleineren und flexibleren Losgrößen auf Grundlage Rechner gestützter Produktionsverfahren zu produzieren. Um dies zu erreichen, wurde die Fertigungstiefe verringert, d. h. der eigene Anteil an der Güterproduktion verringert, die nicht mehr im eigenen Unternehmen gefertigten Teile werden nun von einem weiten Netz an Zulieferbetrieben übernommen. Mit der Dezentralisierung der Produktion und steigender globaler Verflechtung der Wirtschaft entstehen Steuerungszentren jenseits klassischer regionaler Oberzentren: Global Cities fungieren nun als Knotenpunkte der Weltwirtschaft. Metropolen wie London, New York und Tokyo sind solche beispielhaften „Orte der Produktion globaler Kontroll-Kapazität“ (Krätke 2002: 49, Massey 1999, Sassen 2000) und Konzentrationspunkte von Kommunikationsprozessen (Sassen 2009 [2006]). Zugleich sind Global Cities auch Orte der besonders deutlichen Ausprägung sozialer und kultureller Fragmentierung und Polarisierung. Reichtum und Armut treffen hier in geringer räumlicher Distanz aufeinander. Insbesondere Einwanderer, denen von behördlicher Seite kein legaler Aufenthaltsstatus zugesprochen wird, leben unter schwierigen ökonomischen und sozialen Bedingungen (Soja 1994, Sassen 2001, Amin & Thrift 2002): In unmittelbarer Nähe von Vierteln der politischen Administration oder der Finanzwirtschaft finden sich Quartiere, geprägt von hoher Arbeitslosigkeit, geringer Qualifikation der Bewohnerschaft, die zu großen Teilen in prekären Beschäftigungsverhältnisse arbeitet – eine Entwicklung, die sich auch in anderen urbanen Zentren beobachten lässt. Baulich sind diese „devitalisierten Quartiere“ (Kropp 2015: 99) von Gebäuden mit hohem Renovierungsbedarf geprägt.

Die traditionelle City – sofern vorhanden – muss sich der Konkurrenz von neuen Zentren stellen, in denen sich Produktionsstätten der Informations- und Kommunikationstechnologien ballen (Edge Cities; Garreau 1991). Darüber hinaus entwickeln sich in der postmodernen Agglomeration Ansammlungen wirtschaftlicher Aktivität, die sich weniger punkt- sondern linienhaft ausprägen. Entlang von verkehrsreichen Straßen ordnen sich (bislang insbesondere in den Vereinigten Staaten zu beobachten) Bürogebäude, Geschäfte, Restaurants, Banken etc. an (Edgeless Cities). Diesen Edgeless Cities wird zumeist wenig Identität zugeschrieben, weswegen „sie nicht als ein Ort wahrgenommen werden“ (Lang et al. 2009: 732). Auch wenn in Deutschland die Prozesse der Metropolisierung vergleichsweise moderat ausgeprägt sind, so sind beispielsweise die Regionen Frankfurt und München in erheblichem Maße durch ihre Einbindung in die Weltwirtschaft geprägt.


Abb. 15 Phasen der Stadtentwicklung (verändert nach Heeg 2011: 88 unter Verweis auf Maier & Tödtling 2006)

Nach Jahrzehnten der Sub- und Desurbanisierung werden aktuell die deutlichen Tendenzen der Attraktivitätssteigerung von Quartieren in zentraler Lage debattiert: „Die teilweise karge Ausstattung vieler suburbaner Räume mit technischen und sozialen Infrastrukturen könnten vor diesem Hintergrund, verbunden mit der womöglich dauerhaften Verteuerung von Energie, die Konstitutionsbedingungen von Suburbia infrage stellen“ (Hesse 2008: 230; s. Abb. 15). Gerade der Trend, immer weniger in traditionellen Familien zu leben, lässt die Wohnsuburbanisierung auf der Basis von Einfamilienhäusern als weniger dominanten Trend erscheinen, dem auch Tendenzen der Reurbanisierung gegenüberstehen. Mit dem Bedeutungsgewinn der Kultur- und Kreativwirtschaft, die insbesondere auf face-to-face-Kommunikation angewiesen ist, ist ein weiterer Impuls für die Steigerung der Attraktivität innerstädtischen Wohnens entstanden. Mit dem Zuzug von Menschen mit höherer Bildung und höherem Einkommen wird es für Hausbesitzer und Immobilienentwickler ökonomisch interessant, in – häufig seit Jahrzehnten nicht renovierte – Bausubstanz zu investieren bzw. neue Gebäude zu errichten. Eine Folge dieses Prozesses ist die Verdrängung der bisherigen, weniger wohlhabenden Bevölkerung (Gentrifzierung). Dieser Prozess beschränkt sich nicht allein auf die Quartiere im Innenstadtgebiet, sondern greift – insbesondere in Räumen mit steigender Bevölkerungszahl – darüber hinaus, in die Zone früher suburbaner Siedlungen. Ein Beispiel dafür findet sich im südkalifornischen San Diego (Kühne & Schönwald 2015). Nachdem die Gentrifizierung der historischen Downtown weitgehend abgeschlossen war, setzte sich diese Entwicklung in den benachbarten Quartieren der innenstadtnahen Suburbien fort. Diese Entwicklung lässt sich in der Erweiterungen der bestehenden Downtown (wie im East Village oder dem Barrio Logan) ebenso nachweisen, wie in deutlicher funktionaler und struktureller Trennung von der historischen Downtown in Hillcrest, dem Zentrum der Homosexuellenkultur von San Diego, oder South Park, in dem sich zunehmend ein kreativ-alternatives Milieu ansiedelt. Im Zuge der Entwicklung ist zwischen verschiedenen baulichen Prozessen zu unterscheiden: Die Renovierung bestehender Gebäude bei gleichbleibender Nutzung (zumeist Wohnen oder Einzelhandel), die Renovierung und Umnutzung bestehender Bausubstanz (zumeist Industriegebäude zu Loft-Wohnungen, Einzelhandelsgeschäften und Restaurants), die Bebauung bisher nicht baulich genutzter Flächen (insb. Parkplätze) mit Wohnungen, aber auch Einzelhandelsgeschäften, Restaurants, weniger Büroflächen, sowie der Abriss und Ersatz bestehender Bauten durch Neubauten (zumeist Appartementhäuser).

Mit diesen Entwicklungen werden Stadtlandschaften immer stärker von einem räumlichen Patchwork geprägt. Anstatt danach zu streben, große Entwürfe umzusetzen, wird die Stadt- und Raumplanung und die Regionalentwicklung insgesamt zu einem flexiblen Moderator eines kontinuierlichen Veränderungsprozesses. Unterschiedliche Akteure wie Investoren, Eigentümer von Grundstücken und Gebäuden, Architekten, (potenzielle) Bewohner und Nutzer gilt es nun, in den Planungsprozess einzubinden (Hayden 2009, Swyngedouw 2013, ausführlich s. Kap. 2.3). Damit einher geht die Wertschätzung des Historischen, das nicht mehr als ‚unmodern‘ und überholt abgelehnt wird, um rasch Neuem zu weichen. Die Wertschätzung des Historischen, des Vertrauten, des Lokalen, lässt sich auch als Folge der nahezu überall vorzufindenden Dokumente der Globalisierung interpretieren. Diese Gleichzeitigkeit von Globalem und Lokalem beschreibt Robertson (1995) mit dem Ausdruck der „Glokalisierung“. Diese lässt sich verstehen als eine „gleichzeitige Steigerung von Prozessen der Verallgemeinerung und Besonderung“ (Ahrens 2001: 14). Mit der Globalisierung ist eine ‚Entbettung‘ (Dis-Embedding) verbunden: Der Mensch wird aus seinem traditionellen lokalen Kontext wie der traditionellen Dorfgemeinschaft oder der modernen Industriesiedlung herausgelöst und gezwungen, sein Leben ständig neu an sich wechselnde Ereignisse (wie den Beginn eines neuen befristeten Arbeitsvertrages) auszurichten. Zugleich entwickelt er eine Sehnsucht nach Rückverortung (Re-Embedding) in einem lokalen Kontext (Giddens 1995 [1990]). So entsteht im städtischen Patchwork der Wunsch nach „Verdörflichung“ (Rauterberg 2013: 73) und so werden mancherorts rurale/suburbane Lebensweisen in innerstädtischen Lagen praktiziert, wo dann „Familienenklaven“ entstehen können (Frank 2013).

1.8Stadt und Land in der Raumbeobachtung

Die geschilderten Entwicklungen verdeutlichen, dass eine strikte Trennung zwischen Stadt und Land bzw. städtisch und ländlich inzwischen nahezu unmöglich geworden ist – sei dies im Hinblick auf Siedlungsstruktur oder Lebensweisen, da sich hier vielfältige Abstufungen finden (vgl. Franzen et al. 2008). Gleichwohl ist in der Raumbeobachtung und Regionalanalyse die Unterscheidung zwischen städtischen und ländlichen Räumen durchaus gängig, z. B. im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die Infrastrukturausstattung oder die Flächennutzung. Im aktuellen Raumordnungsbericht für Deutschland nimmt das Kapitel „Entwicklung städtischer und ländlicher Räume“ gar rund die Hälfte des gesamten Berichtes ein (BBSR 2012).

Die dabei zugrunde liegende Systematik differenziert zwischen städtisch und ländlich geprägten Räumen in Form sog. siedlungsstruktureller Gebietstypen bzw. Kreistypen. Als Indikator wird dabei die Bevölkerungsdichte in Einwohner je km2 herangezogen. Die Typisierung erfolgt auf verschiedenen Maßstabsebenen. Abb. 16 zeigt ein Beispiel auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte (NUTS 3), die gerade in der amtlichen Statistik eine zentrale Rolle spielt.


Abb. 16 Siedlungsstrukturelle Kreistypen in Deutschland (Stand: 2009) (verändert nach BBSR 2009)

 

Unterschieden wird in der hier illustrierten Systematik des BBSR zwischen Agglomerationsräumen, verstädterten Räumen und ländlichen Räumen, die ihrerseits wiederum hinsichtlich ihrer Einwohnerdichte differenziert werden. Die in den Agglomerationsräumen und den verstädterten Räumen liegenden kreisfreien Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern werden als ‚Kernstädte‘ definiert. Hier kommt offensichtlich das Homogenitätsprinzip auf Basis einer administrativen Einteilung zur Anwendung.

Weitergehende Systematisierungen berücksichtigen verstärkt funktionale Argumente und differenzieren nach Stadt und Umland bzw. zentralen und peripheren Regionen. Auch auf der europäischen bzw. internationalen Ebene findet sich ein Pendant in Form regionaler Typologien, die sich zwar methodisch im Detail unterscheiden, im Prinzip aber ähnlich argumentieren (Dijkstra & Poelmann 2011, OECD 2011).

Aus analytischer, positivistischer Sicht lassen sich Stadt und Land – hier auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte – also prinzipiell und in verschiedenen Abstufungen voneinander abgrenzen. Und auch in der Praxis gibt es zahlreiche Programme der Regionalentwicklung, die explizit den städtischen Raum oder den ländlichen Raum adressieren: die Programme Städtebauförderung, ‚Stadtumbau-Ost‘ oder die ‚Integrierte Ländliche Entwicklung‘ sind Beispiele hierfür. Vom Prinzip her ähneln sich jedoch diese Instrumente, wenn es z. B. um die Förderung baulicher Maßnahmen oder Zuschüsse für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur geht. Diese verschiedenen Prinzipien bzw. Instrumentarien werden ausführlich in Kap. 2 dargelegt. Grundsätzlich beinhaltet Regionalentwicklung beides – Stadt und Land. Sie betrachtet eine Stadt in der Regel nicht isoliert, sondern immer auch im regionalen Kontext, gewissermaßen als Stadt- oder Metropolregion. Gleiches gilt im Umkehrschluss auch für die ländlichen Räume. In diesem Sinne stellen die siedlungsstrukturellen Gebietstypen zwar eine hilfreiche Hintergrundfolie dar, können aber die spezifischen Herausforderungen einer Region nie alleine erklären.

1.9Begrifflichkeiten

Nachdem wir nun gesehen haben, dass bereits der Begriff der Region eine vielleicht ungeahnte Komplexität beinhaltet, ist es keine Überraschung, dass auch das Vokabular zum Thema Regionalentwicklung nicht ganz trivial ist. Eine begriffliche Vieldeutigkeit und auch eine in der Praxis nicht immer ganz konsequente Verwendung der Bezeichnungen prägt die Debatte. Die folgende ‚Vokabelliste‘ schlägt Definitionen vor, die nicht in jedem Detail unumstritten sind, aber einen präzisen Austausch über das Thema zumindest erleichtert. Dies ist umso wichtiger, weil Regionalentwicklung keine eigene Disziplin ist, sondern eine Subdisziplin, die einer ganzen Reihe von Fachbereichen zugeordnet werden kann (insbesondere Geographie, Raumplanung, Ökonomie und Politikwissenschaften).

 Regionalpolitik umfasst Pläne und politische Maßnahmen zur ‚ausgewogenen‘ räumlichen Entwicklung, insbesondere zum Abbau regionaler Disparitäten. Auf EU-Ebene ist dies unter dem Begriff der Kohäsionspolitik gefasst, auf der Bundes- und auch Länderebene wird diese Debatte vor allem im Hinblick auf die ‚Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse‘ geführt. Auf europäischer Ebene stehen finanzielle Förderprogramme im Kern der Regionalpolitik.

 Raumordnung und Raumplanung sind Begriffe, die häufig synonym verwendet werden und die die rechtlichen Vorgaben umfassen. Neben den formalen Rahmenvorgaben der Bundesebene meint dies in Deutschland insbesondere die landesplanerischen Festsetzungen und deren regionalplanerischen Konkretisierungen. Räumliche Planung findet in Form der Bauleitplanung aber auch auf der lokalen Ebene statt.

 Raumentwicklung wird wieder in vielfältigem Verständnis verwendet – zumeist als Synonym zu Regionalentwicklung, gelegentlich in sehr enger Verwandtschaft mit Raumordnung.

 Regionalökonomie ist ein räumlich argumentierender Strang der Wirtschaftswissenschaften, der starke inhaltliche Überlappungen mit der Wirtschaftsgeographie aufweist. Hier stehen die ökonomischen Wirkfaktoren regionaler Entwicklung im Vordergrund.

Nun bleibt die Frage, wie lässt sich der Terminus Regionalentwicklung definieren ? Als vorläufige Begriffsdefinition dient uns folgendes Verständnis:

 Regionalentwicklung im analytischen Sinne erklärt sozio-ökonomische und umweltbezogene Prozesse innerhalb von (meist) subnationalen Raumeinheiten.

 Regionalentwicklung im normativen Sinne bemüht sich um eine Verbesserung im Sinne einer zielgerichteten Veränderung der sozio-ökonomischen und umweltbezogenen Situation innerhalb von (meist) subnationalen Raumeinheiten. Die zugrunde liegenden Ziele können dabei durchaus unterschiedlich sein.

2Das Instrumentarium der Regionalentwicklung

Bevor wir zu inhaltlichen Zielen und Wirkungszusammenhängen der Regionalentwicklung kommen (s. Kap. 3), wird zunächst das formale Instrumentarium der Regionalentwicklung vorgestellt. Dieses lässt sich in drei Säulen gliedern:

 Die rechtlichen Instrumente stellen die erste Säule dar. Sie umfasst die ge- und verbietenden Instrumente, die immer die öffentliche Verwaltung binden und die darüber hinaus auch jeden Bürger, jeden Unternehmer usw. direkt betreffen können.

 Die finanziellen Instrumente, also die zweite Säule, zielen auf eine räumliche Steuerung mit unterstützenden Geldern (Förderprogramme, Subventionen) oder auch mit be- bzw. entlastenden Mitteln (Steuern, Abgaben, Abschreibungsmöglichkeiten).

 Die dritte Säule beinhaltet die persuasiven, die auf Überzeugung setzenden Maßnahmen, die beispielsweise Partizipationsprozesse und Territorialmarketing umfassen.


Tab. 5 Tabellarische Systematisierung – Das Instrumentarium der Regionalentwicklung im Mehrebenensystem, wie es im Laufe des Buches erarbeitet wird
Rechtliche InstrumenteFinanzielle InstrumentePersuasive Instrumente
EU
National
Regional
Lokal

Gelegentlich wird auch zwischen ‚harten‘ und ‚weichen‘ Instrumenten unterschieden: Dabei wären dann die rechtlichen eher die harten, und die finanziellen und persuasiven eher die weichen. Keine Kategorisierung ist zwingend. In der Praxis werden zudem fast ausnahmslos Kombinationen von Instrumenten eingesetzt. Dennoch lohnt es sich zunächst die instrumentellen Bausteine einmal einzeln und etwas detaillierter zu erörtern. Wir bewegen uns dabei auf verschiedenen räumlichen Ebenen. Dies umfasst die europäische und die Bundesebene sowie die regionale und lokale Ebene. Die lokale Ebene umfasst dabei primär die Gemeinden und Gemeindeverbände sowie die Landkreise und kreisfreien Städte – in der NUTS-Systematik also NUTS 3 und LAU 1 und 2. Die regionale Ebene umfasst die Bundesländer und ihre interne Gliederung, also deren Bezirke, Planungsregionen etc. Tab. 5 illustriert den Aufbau dieses Kapitels. Die Tabelle wird so Schritt für Schritt mit Leben gefüllt.

2.1Rechtliche Instrumente
2.1.1Europäische Ebene

In der räumlichen Entwicklung Europas geben zwei Aspekte Anlass dazu, eine europäische Kompetenz für räumliche Fragen zu reflektieren. Erstens ist die Europäische Union nach den zahlreichen Erweiterungsrunden inzwischen ein sehr heterogener Raum, wobei etliche Unterschiede als zu stark empfunden werden – immerhin ist die Zahl der Mitgliedsstaaten von den sechs Gründernationen (DE, FR, IT, BE, NL, LU) auf heute 28 gestiegen (ohne UK 27). Die Unterschiede zeigen sich sehr plastisch bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und dem Wohlstandsniveau (ausf. s. Kap. 3.1), aber auch bei der infrastrukturellen Ausstattung (Abb. 17). Wenn hier eine europäische Angleichung gewünscht ist, so liegt die Frage einer europäischen, räumlichen Koordinierung auf der Hand.


Abb. 17 Räumliche Unterschiede in der Erreichbarkeit – hier der Pkw bezogenen Verkehrsinfrastruktur (verändert nach ESPON 2006)

Zum Zweiten hat sich im Zuge der europäischen ‚Vertiefung‘ – also der zunehmend europäischen Organisation von vielen Politikbereichen – eine Paradoxie ergeben: Auf der einen Seite sind europapolitische Vorgaben sehr raumwirksam. Wenn Grenzen zwischen EU-Mitgliedsstaaten ‚geöffnet‘, also liberalisiert werden, oder eine gemeinsame Naturschutzpolitik (z. B. Natura 2000) verankert wird, dann ist das offensichtlich unmittelbar raumwirksam, und diese Vorgaben verändern die Raumpolitik der regionalen und nationalen Ebene. Zugleich gibt es jedoch bis heute kein explizites Mandat für Raumordnung auf europäischer Ebene. Zwar gibt es eine Reihe von Dokumenten, die das Thema der Raumentwicklung auf europäischer Ebene immer wieder thematisieren und zumindest auf vorsichtige Weise zu institutionalisieren versucht haben (Zonneveld et al. 2012). Eine formale Planungskompetenz auf europäischer Ebene liegt bislang aber nicht vor.

Dokumente mit Planungsbezug

Die politische Debatte, ob es auf europäischer Ebene eine politische Kompetenz für räumliche Fragen geben könnte, die ‚vor der Haustür‘ in planerische Prozesse eingreifen könnte, ist recht jung. Zwar werden im Rahmen der europäischen Regionalpolitik erhebliche Finanzmittel gewährt, um eine Konvergenz der Regionen in den zunehmend zahlreichen Mitgliedsstaaten zu erreichen (s. Kap. 2.2); eine Ergänzung der finanziellen Instrumente um eine rechtlich-planerische Dimension wurde jedoch nicht diskutiert. In den 1990er-Jahren kam dann jedoch eine intensive Diskussion um die europäische Raumentwicklung auf. Vor dem Hintergrund der geographischen Erweiterung der EU und der politischen Vertiefung der EU-Mandate erschien es an der Zeit, auch eine räumliche Koordinierung auf europäischer Ebene zu diskutieren. Dies mündete 1999 dann im EUREK, dem ‚Europäischen Raumentwicklungskonzept‘, auf Englisch European Spatial Development Perspective (ESDP).

Hierbei ist es nicht ohne Bedeutung, dass das EUREK vom sogenannten ‚Informellen Rat der für Raumordnung zuständigen Minister‘ verabschiedet wurde. Dies geht darauf zurück, dass auf europäischer Ebene das Prinzip der Einzelermächtigung gilt: Dies bedeutet, die europäischen Institutionen dürfen nur in den Bereichen tätig werden, für die sie explizit von den Mitgliedsstaaten ermächtigt wurden. Und da diese Ermächtigung für Raumplanung bislang nicht ausgesprochen worden ist, kann es also nur einen informellen Rat geben (zur Diskussion um das Vertragsziel des sog. ‚Territorialen Zusammenhalts‘ s. u.). Vor diesem Hintergrund lässt sich für das EUREK festhalten: Es enthält keine rechtlich bindenden Aussagen, geschweige denn planerische Festlegungen. Auch sind im normativ argumentierenden Teil keinerlei (karto-) graphischen Aussagen enthalten. Immerhin werden aber wünschenswerte Prinzipien der Raumentwicklung formuliert – wie beispielsweise die polyzentrale Entwicklung, also die Berücksichtigung gerade auch von mittelgroßen Städten in der Raumentwicklung. In der Literatur und in der fachlichen ‚Community‘ ist dieses Dokument bis heute durchaus prominent. Inwiefern es aber auf (sub-)nationaler Ebene konkrete Auswirkungen hat, ist schwer zu messen, und es ist durchaus umstritten (s. Chilla 2013).

Das Nachfolgedokument des EUREK wurde 2007 verabschiedet und soll konkrete Empfehlungen geben, wie die im EUREK formulierten Ziele zu erreichen sind. Diese ‚Territoriale Agenda‘ (TA) wurde ebenfalls vom Informellen Rat der für Raumordnung zuständigen Minister verabschiedet, ist also wiederum nicht als hartes rechtliches Instrument zu werten, und dies gilt auch für die leicht modifizierte Version von 2011, die als TA2020 betitelt ist.

Auch die TA formuliert inhaltliche Ziele, die auf den Aussagen des EUREKs aufbauen:

 Polyzentrische Entwicklung durch Verknüpfung von Städten und Stadtregionen.

 Neue Partnerschaften zwischen Stadt und Land (territorial Governance).

 Entwicklung von wettbewerbsfähigen und innovativen Clustern.

 

 Stärkung und Ausbau transeuropäischer Netze (im Bereich Verkehr und Energie).

 Transeuropäisches Risikomanagement (insbesondere hinsichtlich Klimawandel).

 Nutzung ökologischer Ressourcen und kultureller Werte als Entwicklungschance.

Diese Inhalte sind somit zweifellos wichtige Aussagen, die in ihrer Abstraktheit aber wohl vor allem als Inspiration für nationale und europäische Diskussionen fungieren, hingegen nicht als planerische Vorgaben.