Geschichte des frühen Christentums

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Trotz mancher Überlegungen zur prinzipiellen Gleichheit aller Menschen und einer dementsprechenden Problematisierung der Sklaverei in der kynisch-stoischen Philosophie wurde dieses System in der gesamten Antike nicht in Frage gestellt, auch nicht durch das entstehende Christentum.

2.2.3.3 Vereinigungen

Eine wichtige Stellung zwischen den gesellschaftlichen Ebenen von Familie und Polis nahmen Vereinigungen ein. In der frühen Kaiserzeit erlebte der Mittelmeerraum ein Aufblühen des Vereinswesens, sodass ein gewichtiger Teil der Bevölkerung in den Städten – bis zu einem Drittel aller freien Männer – Mitglied in einer oder mehreren Vereinigungen war.

(Netzwerke)

Vereinigungen fungierten als soziale Netzwerke, in denen sich Menschen aufgrund ähnlicher Interessen trafen. Sie hatten einen beruflichen, ethnischen oder religiösen Schwerpunkt, wobei die Verehrung von Göttern in allen Vereinigungen eine Rolle spielte. Weit verbreitet waren z. B. Vereinigungen, die den Dionysos- bzw. Bacchuskult pflegten, in vielen wurde auch zusätzlich zur eigentlichen Vereinsgottheit der Kaiser verehrt.

(Kultische Dimension)

Viele der Namen, die sich Vereinigungen gaben, verweisen auf Gottheiten: Dionysiasten (=Iobakchen), Isiakoi (Verehrer der Isis), Demetriasten (Verehrer der Demeter), Poseidoniasten (Verehrer des Poseidon) usw. Andere rückten den Beruf im Namen in den Vordergrund, wieder andere ihre Herkunft. Zu Letzteren gehörten auch die „Synagogen der Judäer“, also die Versammlungen jener, die selbst oder deren Vorfahren aus Judäa stammten. Darüber hinaus gab es die unterschiedlichsten griechischen und lateinischen Bezeichnungen, zu denen u. a. θίασος/thiasos, ἔρανος/eranos, σύνοδος/synodos und έταιρία/hetairia gehören bzw. die lateinischen Begriffe collegium, societas und sodalitas. Im Bereich des aramäischsprachigen Judentums begegnet der Begriff chavurah, der in der Mischna dementsprechend verwendet wird (vgl. mErub 6,6).

(Vereinsleben)

Feste für die Götter mit einem anschließenden Gemeinschaftsmahl stellten das Zentrum des Vereinslebens dar, wie überhaupt der Freundschaftsaspekt von großer Bedeutung war. Die Treffen fanden je nach finanziellen Möglichkeiten in privaten Unterkünften oder angemieteten Räumen statt, in einem an einen Tempel angeschlossenen Speiseraum oder in einem eigenen Vereinshaus. Mähler wurden aus der gemeinsamen Kasse (griech. κοινόν/koinon) finanziert, in die festgesetzte Beträge regelmäßig eingezahlt wurden. Dazu kamen Gelder aus Beitrittsgebühren sowie von Sponsoren und Patronen, die manchmal sehr großzügig ausfielen. In Vereinsordnungen, die uns in Inschriften oder auf Papyrus überliefert sind, spielen diese Mahlzeiten, ihre Häufigkeit, Regelung und Finanzierung, eine große Rolle, woraus deutlich wird, dass sie der wichtigste Teil des Vereinslebens waren.

(Begräbnisse)

Über das gemeinsame Essen und Trinken hinaus machten es sich Vereinigungen auch öfters zur Aufgabe, für standesgemäße Begräbnisse ihrer Mitglieder und eine fortdauernde Erinnerung an sie zu sorgen. Dies war vor allem für die Ärmeren wichtig, die sonst nach ihrem Tod in einem Massengrab verscharrt worden wären. Vermögendere Vereinigungen hatten sogar eigene Begräbnisstätten, in Rom etwa sogenannte Columbarien. Möglich waren zudem Kreditvergaben aus der Vereinskasse, die manchmal auch Hauptzweck der Vereinigung waren.

(Ämter)

Für viele Bewohner einer Polis stellte die Mitgliedschaft in einer Vereinigung die einzige Möglichkeit dar, ein gewisses Maß an Ansehen zu gewinnen. Denn die innere Struktur dieser Gemeinschaften war jener der Polis nachgebildet, sodass es neben der Vereinsversammlung auch zahlreiche Ämter gab, die grundsätzlich allen Mitgliedern offenstanden. Unter den sehr unterschiedlichen Funktionsbezeichnungen sind auch solche, die sich in frühchristlichen bzw. jüdischen Gruppen finden: Presbyteros („Ältester“; z. B. CIRB 1283; IGUR I 77), Episkopos („Aufseher“; IDelos 1522), Diakonos („Diener“; ICariaR 162), Archisynagogos („Synagogenvorsteher“; GRA I 66), Grammateus („Schreiber“; GRA II 111).

Eine große Zahl an Ehreninschriften für verdiente Funktionäre von Vereinigungen, die die unterschiedlichsten Titel tragen konnten, bezeugen überdeutlich, wie wichtig Ämter waren. In der Praxis bedeutete die Übernahme eines Amtes wie in der Polis oft auch eine finanzielle Belastung.

(Zusammensetzung)

Die Zusammensetzung der Vereinigungen war sehr unterschiedlich. Zwar waren in den meisten ausschließlich Männer zugelassen, es gab aber auch gemischte Vereinigungen (GRA I 40.61; II 105.117; IGUR III 160), seltener reine Frauenvereinigungen (GRA I 143; IGBulg IV 1925,b). Hinsichtlich der sozialen Herkunft lässt sich Ähnliches beobachten: Etliche Vereinigungen bestanden ausschließlich aus Mitgliedern der lokalen Elite (GRA I 51), andere nur aus Sklaven und Freigelassenen (GRA I 68), wieder andere waren Mischformen (GRA II 117). Die Zahl der Mitglieder war in der Regel nicht groß (15–30 Personen), sehr selten waren Vereinigungen mit mehreren hundert Personen (IGUR III 160).

(Rechtliche Situation)

Die rechtliche Situation war charakterisiert durch die grundsätzliche Freiheit, Vereinigungen gründen zu dürfen, solange sich diese als loyal gegenüber den Interessen von Polis und Imperium und harmlos erwiesen. Erst wenn Probleme auftraten, wurden die römischen Behörden aktiv. Der sogenannte Bacchanalienskandal, über den uns ein erhaltener Senatsbeschluss aus dem Jahr 186 v. Chr. (CIL I3 581) sowie der römische Geschichtsschreiber Livius informieren (ab urbe condita 39,8–19), war der erste Fall, in dem eine Vereinigung verboten wurde. Später wurden bei politischen Unruhen in Rom ebenfalls Vereinigungen untersagt, während andere – wie etwa jene der Judäer – ausdrücklich erlaubt wurden (Sueton, Caes. 42,3; Aug. 32,1; Josephus, ant. 14,213–216). In Briefen an den Statthalter Plinius in der kleinasiatischen Provinz Bithynien-Pontus untersagte Trajan die Zulassung von Vereinigungen (Plinius d. J., epist. 10,33f.; 92f.), sodass sich auch Christusgläubige nicht mehr trafen, weil sie dies auch auf ihre Versammlungen bezogen (epist. 10,96). Für einige wenige Vereinigungen im Bereich der Stadt Rom, die Mitglieder der Eliten als Patrone hatten, ist demgegenüber eine formelle Bewilligung durch den römischen Senat belegt (CIL VI 2193; XIV 2112). Die allermeisten Vereinigungen hatten aber keinerlei Zulassung und benötigten diese auch nicht. Sie waren vielmehr wichtige Bestandteile in der Sozialstruktur der antiken Welt.

2.2.3.4 Bürger und Fremdlinge

(Städtisches Bürgerrecht)

Jeder freie männliche Bewohner einer Stadt war auch ihr Bürger und hatte damit bestimmte politische Rechte, die Frauen, Sklaven und Sklavinnen sowie Fremden nicht gewährt wurden. Dies betraf u. a. die grundsätzliche Möglichkeit, öffentliche Funktionen auszuüben oder in der Bürgerversammlung (έκκλησία/ekklēsia) an Abstimmungen teilzunehmen. Aber auch hier bestanden Einschränkungen aufgrund des Alters, des Vermögens, durch Beruf oder Herkunft.

(Römisches Bürgerrecht)

Vom städtischen Bürgerrecht zu unterscheiden ist das römische Bürgerrecht (πολιτεία/politeia, lat. civitas), das das römische Stadtbürgerrecht zu einem Reichsbürgerrecht umwandelte. In der Kaiserzeit war es miteinander vereinbar, sowohl Bürger einer Polis als auch römischer Bürger zu sein. Auch Judäer konnten römische Bürger werden, da keine kultischen Verpflichtungen damit verbunden waren. Das Bürgerrecht konnte auf verschiedenen Wegen erworben werden: durch Geburt von freien Eltern bzw. Adoption, durch Freilassung durch einen römischen Bürger oder durch Verleihung (individuell oder als Gemeinschaft), gegebenenfalls auch durch Kauf (vgl. Apg 22,28). Soldaten erhielten das Bürgerrecht nach Ablauf ihrer Verpflichtung (d. h. nach 16–28 Jahren, je nach Truppenteil). Das Bürgerrecht umfasste Rechte wie etwa die Möglichkeit zu politischer Mitbestimmung, die Anrufung des Kaisers in Gerichtsverfahren oder die Freiheit von bestimmten Steuern und Verpflichtungen. Nach 212 n. Chr. besaßen alle Bewohner des Römischen Reiches das römische Bürgerrecht.

(Migration / Neuansiedlung)

Die großen Städte des Mittelmeerraums bestanden aber nicht nur aus Einwohnern, die vor Ort geboren waren, vielmehr spielte Migration eine wichtige Rolle für die Zusammensetzung der Bevölkerung. Die weite Verbreitung von Fremden (Metöken bzw. Peregrinen) resultierte aus verschiedenen Phänomenen: So führten etwa Städtegründungen dazu, dass Menschen ihre Heimat verließen und sich in neuen Siedlungen niederließen. Beispielsweise bestand die Metropole Alexandria in Ägypten aus angesiedelten Griechen, die das städtische Bürgerrecht hatten, sowie Judäern, die mit wechselndem Erfolg dieses Bürgerrecht beanspruchten, und Ägyptern, denen das Bürgerrecht in der hellenistischen Stadt verwehrt wurde. In römischen Kolonien wie Philippi oder Korinth waren es zunächst die römischen Siedler – Veteranen und Bauern –, die das städtische Bürgerrecht hatten, doch wurde die ursprüngliche Bevölkerung mehr oder weniger integriert.

(Wirtschaftsmigration)

Ein anderer Grund für Migration waren wirtschaftliche Anlässe: Handelstreibende, aber auch Handwerker und Arbeiter folgten den ökonomischen Möglichkeiten. Hafenstädte wie Korinth, Alexandria oder Ostia bestanden daher aus Angehörigen verschiedenster Völker. Gleiches galt für die Verwaltungsorgane oder das Militär.

(Sklavenmigration)

Als dritter Faktor für Migrationsbewegungen ist schließlich die Sklaverei zu nennen. Sklaven und Sklavinnen wurden durch das gesamte Imperium transferiert, sodass sie sich – oftmals getrennt von Familienangehörigen – an weit entfernten Orten wiederfanden, in sehr vielen Fällen in der Stadt Rom selbst.

(Kulturaustausch)

 

Diese verschiedenen Formen der Migration führten nicht nur zur Ausbildung von Gruppen innerhalb der Städte, sondern auch zum Kulturaustausch sowohl hinsichtlich der Sprache als auch im Hinblick auf Religiosität und Kulte. Durch die jüdische Diaspora, die zahlenmäßig größer war als die jüdische Bevölkerung in Palästina, wurde z. B. der bildlose Monotheismus der Judäer bekannt samt ihrer besonderen Bräuche. Über das Militär verbreitete sich u. a. die Mithrasverehrung, und für die Isis- und Serapiskulte spielten Ägypter eine wichtige Rolle. Migration ist daher auch als ein wichtiger Faktor für die Verbreitung des frühen Christentums zu berücksichtigen.

2.2.4 Soziale Differenzierung

Innerhalb der griechisch-römischen Gesellschaft gab es deutliche soziale Unterschiede, die sich sowohl in den politischen Beteiligungsmöglichkeiten als auch in den ökonomischen Verhältnissen zeigten. Im Einzelnen stellt sich dies wie folgt dar:

2.2.4.1 Soziale Stratifikation

(Oberschicht)

Die imperiale Führungsschicht bestand aus dem Kaiser und seiner Familie sowie den einflussreichen Senatoren, war also zahlenmäßig sehr klein. Ihre Mitglieder hatten aufgrund ihrer Herkunft und der damit verbundenen Einflussmöglichkeiten teilweise enormen Landbesitz bzw. riesige Vermögen zur Verfügung. Auch die Angehörigen der imperialen Oberschicht, zu der die übrigen Senatoren, die Angehörigen des Ritterstandes (eques), Klientelfürsten, Priesterfamilien und die engsten Gefolgsleute der elitären Haushalte gehörten, zeichneten sich ebenfalls durch Herkunft und Besitz aus. Zur Elite zählen schließlich auch die Mitglieder der lokalen Oberschicht und Dekurionen in den Städten des Imperiums sowie deren engste Gefolgsleute.

Die zahlenmäßig kleine Minderheit aus Führungs- und Oberschicht – 1–5 % der Bevölkerung – bestimmte nicht nur das politische Geschick der großen Mehrheit, sie war auch für die Errichtung und Erhaltung von Bauwerken, die Abhaltung von Spielen und vieles mehr verantwortlich. Ihren Mitgliedern wurde in Ehrungen, von denen sehr viele Inschriften bis heute Zeugnis ablegen, diese hohe soziale Stellung umgekehrt auch immer wieder bestätigt.

(Mittelschicht)

Umstritten war in der Forschung lange Zeit, ob es unterhalb dieser schmalen Oberschicht eine Mittelschicht gab. Aus der Perspektive der Eliten war das nicht der Fall, da alles außerhalb ihrer Gruppe als plebs („Volk“) galt. Aus ökonomischer Perspektive, aber auch unter dem Gesichtspunkt gewisser politischer Einflussmöglichkeiten wird jedoch deutlich, dass man eine große Anzahl von Personen – zwischen 25 und 40 Prozent der Bevölkerung – im Imperium Romanum als Mittelschicht bezeichnen kann. Auch hier zeigen sich reichsweite, provinziale und lokale Gruppierungen. Zu ihnen gehörten ein großer Teil des Militärs, freie Bürger der Städte und Freigelassene aus der familia Caesaris. Sie waren Grundeigentümer, Händler und Handwerker oder Gebildete wie Lehrer oder Ärzte. Viele von ihnen waren Klienten von Patronen aus der Oberschicht.

(Unterschicht)

In der zahlenmäßig weit größeren Unterschicht lässt sich zwischen einer städtischen (plebs urbana) und einer ländlichen (plebs rustica) unterscheiden. Sie sind beide weiter nach Einkommen, Bildung und rechtlicher Stellung differenziert. Die Chancen zum Aufstieg in die Mittelschicht waren zwar begrenzt, doch bestand für die Angehörigen der Unterschicht die Möglichkeit, durch Beziehungen zu einflussreichen Personen ihren eigenen Sozialstatus zu erhöhen. Diese Patron-Klienten-Verhältnisse spielten in der römischen Gesellschaft als Institution eine wichtige Rolle und waren auch auf informeller Ebene von hohem Wert.

(Lokale Unterschiede)

Diese die Verhältnisse im Imperium Romanum abbildenden Modelle sind indes nicht generell und überall anzuwenden. Obwohl gerade hinsichtlich des Zugangs zu Macht und der Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Gruppen die Romanisierung in weiten Teilen des Imperium Romanum sehr weit fortgeschritten war, war dies etwa bei Judäern oder auch Ägyptern noch nicht so. Angehörige dieser Völker hatten aufgrund ihrer kulturellen Differenz noch viel geringere Möglichkeiten, Teil der führenden Schichten des römischen Reiches zu werden.

2.2.4.2 Die ökonomischen Verhältnisse im Imperium Romanum

(Einkommensstufen)

Berechnungen über die Vermögensverteilung im Imperium Romanum zeigen, dass die Hauptmenge des Vermögens in der Hand eines kleinen Teils der Bevölkerung lag, dass es aber unterhalb dieses Levels durchaus unterschiedliche Einkommenssituationen gab. So ist für eine differenzierte Wahrnehmung das Erreichen, Unter- oder Überschreiten des Existenzminimums ein wichtiges Kriterium. Hinzu kommt, dass bei der Verteilung des Vermögens sowohl zwischen den verschiedenen Teilen des Imperium Romanum Unterschiede bestanden als auch zwischen Stadt und Land. Ebenfalls zu beachten ist, dass der Status von Personen, ob sie z. B. Sklaven oder Freie, Zuwanderer oder Einheimische waren, nicht mit deren ökonomischer Situation gleichgesetzt werden darf. Sklaven waren nicht selbstverständlich arm, Arme waren in der Regel frei. Eine Übersicht über die verschiedenen Einkommensstufen einer durchschnittlichen Stadt im griechischen Osten ergibt Folgendes:

Deutlich wird aus dieser Übersicht, dass etwa drei Prozent der Bevölkerung die ökonomische Elite darstellten, die über den weitaus größten Anteil an Vermögen verfügte. Zugleich lebten ca. fünfundfünfzig Prozent (Stufen 6 und 7) knapp am oder unter dem Existenzminimum; sie waren die tatsächlich Armen, deren materielle Sicherheit nicht dauerhaft gewährleistet war. Angehörige aus der ökonomischen Stufe 5 konnten mit einiger Zuversicht auf eine sichere Zukunft hoffen, während jene aus Stufe 4 erwarten konnten, über die Generationen hinweg weiter aufzusteigen. Zusammen beläuft sich der Anteil der mittleren ökonomischen Schicht in den Städten auf etwa zweiundvierzig Prozent.

(Wohnsituation)

Die soziale Differenzierung spiegelte sich auch in der Wohnsituation der Menschen in den Städten wider. In den prächtigen Villen mit großzügiger Ausstattung und Raumverhältnissen, deren Reste heute noch in Pompeji zu sehen sind, wohnten die Reichen und Mächtigen, sie waren aber zugleich Arbeits- und Schlafplatz von Sklaven und Sklavinnen. Handwerkern und Händlern boten ihre Werkstätten, Lagerräume bzw. Hinterzimmer Wohnmöglichkeiten. In Ein-Raum-Wohnungen in den obersten Stockwerken der Wohneinheiten (insulae) kamen jene unter, die sich dies gerade noch leisten konnten, während die wirklich Armen auf der Straße schliefen.

2.3 Griechisch-römische Philosophie

Die antike Philosophie war auf ein vollständiges Verstehen der Welt ausgerichtet und beinhaltete die Naturwissenschaften, Theologie und Metaphysik, Logik, Ethik und vieles mehr. Ihr Ziel war nicht allein die denkerische Durchdringung aller dieser Themenfelder, sondern darüber hinaus die umfassende Gestaltung des Lebens entsprechend ihren Erkenntnissen.

(Philosophische Schulen)

Die philosophische Praxis fand vor allem in Philosophenschulen statt, die nach dem Vorbild ihres jeweiligen Gründervaters geordnet waren. In diesen privaten Institutionen versammelte ein Lehrer, der einer bestimmten philosophischen Richtung angehörte, Schüler um sich, die er gegen Bezahlung unterrichtete. Dazu gehörte vor allem die Kommentierung der Schriften der Begründer der jeweiligen Philosophie, aber auch die diskursive Erörterung von Physik, Ethik und Dialektik. Die Schüler, seltener auch Schülerinnen, sollten darüber hinaus auch die den Lehren entsprechende moralische Haltung einüben.

Unter den zahlreichen philosophischen Richtungen waren in der frühen Kaiserzeit folgende verbreitet:

2.3.1 Stoizismus

Diese von Zenon von Kition im 4. Jh. v. Chr. gegründete Philosophenschule, benannt nach dem Unterrichtsort in Athen, der bemalten Säulenhalle (Stoa Poikilē), erlebte in der frühen Kaiserzeit eine neue Blüte. Ihre bedeutendsten Vertreter dieser Zeit waren Musonius Rufus (ca. 30–100 n. Chr.), Seneca (ca. 4 v. Chr.–65 n. Chr.), Epiktet (ca. 50–125/138 n. Chr.) sowie der Kaiser Marcus Aurelius (121–180 n. Chr.).

(Stoische Kosmologie)

Neben Logik waren im Stoizismus vor allem Naturphilosophie (Physik) und Ethik von besonderer Bedeutung. Der Kosmos wurde als ein Wesen angesehen, den das materiell verstandene Pneuma („Geist“) bzw. der Logos („Sinn“) als seine Seele lenkt. Von den vier Weltelementen Wasser, Erde, Luft und Feuer wurde das Feuer als das grundlegende bestimmt. Nach der zyklischen Kosmologie des Stoizismus kam der Kosmos aus dem Feuer und würde wieder im Feuer enden, um von Neuem zu entstehen.

(Stoische Ethik)

Die ethischen Lehren der Stoiker verwiesen darauf, dass es einer Unterscheidung zwischen den wichtigen und unwichtigen Dingen im Leben bedarf. Während Gesundheit, Wohlstand oder sozialer Status als unbedeutend eingeschätzt wurden, galt die Tugend als das einzig Wesentliche. Als tugendhaft galt ein Leben, das in Einklang mit dem Kosmos steht, die Leidenschaften beherrscht, die Affekte beseitigt und dem Handelnden damit absolute Autonomie und Freiheit eröffnet.

2.3.2 Epikuräer

(Das Streben nach Glück)

Die Epikuräer schlossen sich an den Athener Philosophen Epikur an (342–271 v. Chr.) und bildeten organisierte Gruppen im ganzen Römischen Reich. Epikurs Philosophie orientierte sich daran, dass der Mensch nach Glück strebt: Unbekanntes sollte verständlich (Physiologie), Unerreichbares als irrelevant angesehen, Unvermeidliches akzeptiert werden. Der therapeutische Charakter dieser Philosophie war besonders wichtig. Die Schriften Epikurs fungierten quasi als heiliger Text, der Philosoph wurde als Retter verehrt. Zu den Epikuräern gehörten auch Frauen und ausgewählte Sklaven. Die kleinen Gemeinschaften betrieben einen Rückzug ins Private.

2.3.3 Kynismus

(Wanderphilosophen / Diatribe)

Im 4. Jh. v. Chr. entwickelte vor allem Diogenes von Sinope eine Form der Philosophie, die in der Kaiserzeit ausgesprochen populär war. Der Kynismus leitet sich von dem Spottnamen κύνες (kynes/Hunde) ab, da die Vertreter dieser Philosophie aufgrund ihres schamlosen Verhaltens mit Hunden verglichen wurden. Die Kyniker waren Wanderphilosophen, die zumeist in Gruppen auftraten. Sie verkündeten ihre Lehren auf öffentlichen Plätzen, wobei sie durch Anstoß erregende Äußerungen, Tabubrüche und humorvolle bis derbe Reden ihr Publikum gezielt provozierten. Dass dabei vor allem Werte und Anschauungen der Eliten, u. a. zu Religion und Gesellschaft, ins Visier genommen wurden, sicherte ihnen großen Zuspruch bei Unterschichten und Sklaven. Ihre Philosophie war vor allem gelebte Existenz. Dabei stand die Askese („Übung“) im Zentrum, mit der der Wille des Einzelnen darauf trainiert werden sollte, die Leidenschaften abzulegen. Dies wurde als „der kurze Weg zur Tugend“ bezeichnet. Die Ausrüstung der wandernden Kyniker – Sack, Mantel und Stab – sowie ihre auch durch Gesten und Körpereinsatz unterstützten Reden waren weithin bekannt. Viele ihrer Vertreter hatten keine Bildung, da sie ihnen als unnötig galt. Ihre Lebensphilosophie drängte zum Rückzug aus der Gesellschaft, ihr Ziel war die αὐταρκεία (autarkeia/Unabhängigkeit). Der Stil ihrer Reden wird als Diatribe bezeichnet, eine Form, die auch von Stoikern gepflegt wurde. Die Diatribe, die im 1.–3. Jh. n. Chr. ihre Blüte hatte, zeichnete sich u. a. dadurch aus, dass Einsprüche fiktiver Gegner eingebaut wurden, griff aber darüber hinaus auf eine Reihe weiterer rhetorischer Kniffe zurück.

Mit den Kynikern teilten christliche Wanderlehrer wie Paulus die Existenzform (vgl. auch Mk 6,8f.; Mt 10,9f.; Lk 10,4), aber auch die Art der Rede (vgl. Röm 1–4). Der Kyniker Peregrinus Proteus (ca. 100–165 n. Chr.) hatte zunächst auch Beziehungen zum frühen Christentum und wurde im gleichnamigen Porträt des Lukian karikiert.

2.3.4 Mittlerer Platonismus

(Platonische Ideenlehre)

Platons Philosophie, die ihren Anfang im Athen des 4. Jh. v. Chr. nahm, wurde durch die sog. Akademie weitergeführt und erreichte ab dem 1. Jh. v. Chr. eine neue Blüte, die als Mittlerer Platonismus bezeichnet wird und bis zur Mitte des 3. Jh. n. Chr. reichte. Von den zahlreichen Ansichten seien wenigstens folgende genannt: Die Wirklichkeit ist in zwei Bereiche geteilt, jenen des reinen Seins und jenen des bloßen Werdens. Im Bereich des Seins ist der Schöpfergott, seine Gedanken sind die Ideen. Diese sind die vollkommenen und ewigen Vorbilder all dessen, was mit den Sinnen wahrnehmbar ist. Sie sind nur denkerisch zugänglich. Der wahrnehmbare Kosmos hingegen ist ihr Abbild. Er wird als Weltkörper gedacht, der auch eine Weltseele hat. An dieser Weltseele hat jede Menschenseele Anteil. Sie hat, da sie präexistent ist, die Welt der Ideen gesehen und kann sich daran erinnern. Erst diese Erkenntnis ermöglicht ein tugendhaftes Leben nach der gottgewollten Ordnung. Stirbt der Mensch, wird die Seele frei, gerichtet und wieder in einem Menschen oder einem Tier verkörpert.

 

(Philo von Alexandrien)

Der Einfluss des Mittleren Platonismus auf die Gesellschaft war groß, da er vielfältig rezipiert wurde. So nahm etwa der jüdische Philosoph Philo von Alexandrien starke Anleihen bei dieser Lehrtradition. Sie hatte auch deutlichen Einfluss auf die Theologie des Hebräerbriefs, auf die sich im 2. Jh. n. Chr. entwickelnde Gnosis sowie auf die alexandrinische Theologie des Clemens und Origenes.

2.3.5 Aristotelismus

(Aristoteliker)

Die Schule des Aristoteles, der Peripatos, wirkte nach dem Tod des Lehrers im Jahr 322 v. Chr. in mehreren Epochen weiter. Um 60 v. Chr. setzte die Phase einer erneuten Rezeption seiner Werke ein, die ediert und vor allem kommentiert wurden. Unter anderem die Ausführungen des Aristoteles zu Logik, empirischer Prüfung, Ethik und Staatstheorie wurden von Aristotelikern durch den Schulunterricht und eigene Werke sowie pseudepigraphische Schriften verbreitet. Sie gingen damit in den Bildungskanon der Kaiserzeit ein. Einiges wurde gegen Ansichten des Mittleren Platonismus in Stellung gebracht bzw. mit diesem vermittelt. Unter anderen nahmen Philo von Alexandrien, Sextus Empiricus, Diogenes Laertios oder Clemens von Alexandrien zahlreiche Gedanken des Aristoteles auf. Anfang des 3. Jh. n. Chr. wurde der Aristotelismus in den entstehenden Neuplatonismus integriert und verlor seine Eigenständigkeit.

2.3.6 Neopythagoreismus

(Pythagoreer)

Die Gemeinschaften von Pythagoreern bildeten exklusive Zirkel, in denen der Naturphilosoph Pythagoras (Ende 6./Anf. 5. Jh. v. Chr.) als göttliche Gestalt verehrt wurde. Im eigentlichen Pythagoreismus waren Zahlenspekulationen, bestimmte Nahrungs- und Verhaltenstabus sowie ein hohes Gemeinschaftsideal, das auch Frauen Zugang gewährte, von großer Bedeutung. In der frühen Kaiserzeit nahmen einige andere philosophische Schulen wie der Stoizismus oder der Mittlere Platonismus Elemente der Pythagoreer auf, sodass deren Gedanken, u. a. die Reinkarnationsvorstellung, weiterwirkten. Populär waren die um 200 n. Chr. entstandenen Sentenzen des Sextos, die auch von Christusgläubigen gerne gelesen wurden (vgl. Origenes, c. Celsum 8,30).

2.3.7 Skeptizismus

(Akademiker und Pyrrhoniker)

Wie die modernen Skeptiker, so betonten auch jene der Antike, deren Philosophie auf das 4. Jh. v. Chr. zurückgeht, dass man nichts wissen könne. Jede Ansicht, nicht zuletzt die jedes anderen Philosophen, sei zu „prüfen“ (σκέπτεσθαι/skeptesthai), vorgefertigte Dogmen dürften nicht anerkannt werden. Es gab zwei skeptische Schulen, die Akademiker und die Pyrrhoniker. Während Letztere besonders streng jede gefestigte Meinung ablehnte, versuchten Erstere, in engem Anschluss an die Stoa, durchaus Philosophie im herkömmlichen Sinn zu betreiben (Philon von Larisa; 2./1. Jh. v. Chr.). Sie erhob nicht den Anspruch, Wissen zu beschreiben, war aber aufgrund ihres alles hinterfragenden Charakters populär, vor allem im Westen des Reiches, u. a. bei Cicero.

2.4 Griechische und römische Religion

(Öffentlich und nicht-öffentlich)

Im Folgenden wird eine Differenzierung von zwei Bereichen vorgenommen, die allerdings nicht streng geschieden betrachtet werden sollten, da sie in der griechisch-römischen Antike mehr oder weniger eng miteinander verknüpft waren: 1) Öffentliche Religion als jene Form von Religion, die an Tempeln und von bestallten Funktionsträgern durchgeführt wurde. 2) Nicht-öffentliche Religion als jene Phänomene, in denen sich alltägliche religiöse Vollzüge ebenso zeigten wie außeralltägliche Formen außerhalb staatlicher Autorisierung.

(Omnipräsenz von Religion)

Grundsätzlich gilt dabei erstens, dass in der griechisch-römischen Antike eine Trennung in einen religiösen und einen säkularen Bereich, wie sie uns heute selbstverständlich ist, nicht existierte. Die Welt war durchdrungen von religiösen Symbolen. Große und kleine Tempel, Schreine an Kreuzungen, Nischen und Bilder an Hauswänden und in Wohnräumen sowie Amulette, Accessoires und Münzen waren Träger religiöser Zeichen und Abbildungen, die allgegenwärtig waren. Bei politischen Anlässen ebenso wie bei Banketten im kleinen Kreis waren religiöse Handlungen konstitutiv. Religion war ein omnipräsentes Phänomen, das in einer großen Vielfalt religiöser und kultischer Vollzüge erlebt wurde.

(Regionale Ausprägungen)

Zweitens ist zu beachten, dass Religion im Mittelmeerraum ein lokales bzw. regionales Phänomen war. So lassen sich zwar bestimmte gemeinsame Überzeugungen und kultische Vollzüge herausarbeiten, in ihren jeweiligen regionalen Ausprägungen unterschieden sich diese aber deutlich. Das zeigt sich u. a. in den verschiedenen Beinamen (Epitheta), die den Gottheiten gegeben wurden, in der unterschiedlichen Ikonographie sowie in Einzelkulten, die durch die Geschichte eines Ortes bedingt waren. Die Ausbildung eines einheitlichen Kultes mit zentraler Steuerung – wie etwa des Kaiserkults – war demgegenüber eine Neuerung (s. u. S. 47).

(Tradition und Transformation)

Und drittens zeigt sich, dass trotz aller Traditionsgebundenheit, die für die antike Wahrnehmung von Religion ein wichtiges Element war, religiöse Vollzüge an neue Bedürfnisse und Moden adaptiert und weiterentwickelt wurden.

2.4.1 Öffentliche Religion

Der öffentliche Vollzug von Religion war in der griechisch-römischen Antike eine Angelegenheit der Stadt und ihrer Funktionsträger, die an den lokalen Tempeln auch als Priester fungierten. Dies gilt sowohl für den östlichen als auch für den westlichen Raum des Imperium Romanum, wobei in der frühen Kaiserzeit sich diese beiden Bereiche mit ihren je unterschiedlichen religiösen Traditionen zu einem gewissen Teil ähnlicher wurden.

(Tempel)

Tempel waren sowohl in baulicher als auch in kultischer Hinsicht die Zentren der öffentlichen Religion. Auf den vorgelagerten Altären wurden Opferrituale vollzogen, in Prozessionen die Statuen der Götter und Göttinnen durch die Stadt getragen. Die Gottheiten des griechischen wie des römischen Pantheons wurden dabei – in ihren jeweiligen lokalen Ausprägungen – in ähnlicher Weise verehrt. Dazu kam noch eine große Zahl weiterer Gottheiten, Halbgötter und Heroen, die für einzelne Gruppen oder Städte von hoher Bedeutung waren. Zudem trugen die Migrationsbewegungen innerhalb des Imperium Romanum zu Ritual- und Kulttransfers bei.

Der griechische (römische) Pantheon


Zeus (Jupiter) Herrscher über das All, Göttervater und oberste Schutzgottheit
Hera (Juno) mütterliche Gottheit
Poseidon (Neptun) Beherrscher des Meeres
Athena (Minerva) kriegerische Beschützerin Athens und junger Frauen
Apollon (Apollo) jugendlicher Gott, u. a. für Unterhaltung und Orakelkunst
Artemis (Diana) Jagdgöttin und Göttin der Übergänge im Leben
Aphrodite (Venus) Göttin der Liebe
Hermes (Merkur) Götterbote und Kulturbringer
Hephaistos (Vulcan) Gott des Feuers, der Schmiede und der Handwerker
Ares (Mars) Gott des Krieges
Demeter (Ceres) Bringerin von Fruchtbarkeit und Beschützerin der Frauen
Dionysos (Bacchus) Gott des Weines und des Spiels

(Priestertum)