Diagnostik von Sprach- und Kommunikationsstörungen im Kindesalter

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Für eine differenzierte Darstellung sprachlicher Fähigkeiten von Kindern mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen sei auf Leonard (2014a) verwiesen.

Kognitive Fähigkeiten

Laut Klassifikation der ICD-10 werden kognitive Einschränkungen als Ursache für eine USES ausgeschlossen (Dilling/Freyberger 2014, 281). Für diese Einschätzung kommen sprachfreie, nonverbale Intelligenztests zum Einsatz (vgl. Kap. 4.5). Im Rahmen unterschiedlicher Studien bei Kindern mit einer USES wurden gegenüber gleichaltrigen Kontrollkindern im Bereich der nonverbalen Intelligenz trotzdem niedrigere Leistungen erfasst (Redmond et al. 2011; Weismer/ Hesketh 1993), die bei Schöler/Spohn (1998) mit „acht IQ-Punkten“ (Schöler/ Spohn 1998, 199) konkretisiert wurden. Zudem wurden mit zunehmendem Alter der SSES-Kinder abnehmende Werte („Schereneffekt“) beobachtet (Schöler 1992, Schöler/Spohn 1998, 199). Vor diesem Hintergrund wird die Beibehaltung dieses Kriteriums diskutiert (für eine Diskussion siehe Kany/Schöler 2014a). Die Kausalität, das heißt, inwieweit niedrigere nonverbale Intelligenzleistungen zu Sprachentwicklungsstörungen führen können, ist zum gegenwärtigen Forschungsstand jedoch genau so wenig bewiesen wie die gegenteilige Behauptung, dass die sprachliche Entwicklung zu entsprechenden Unterschieden auch im nonverbalen Intelligenzbereich führte (Schecker et al. 2007, 193).

Auditive Informationsverarbeitung

Die Verschränkung kognitiver und sprachlicher Entwicklung wird besonders im Rahmen der Sprachverarbeitung deutlich. Die Überprüfung der Arbeitsgedächtniskapazität ist deshalb in der Diagnostik von Sprachentwicklungsstörungen und Schriftspracherwerbsstörungen fest verankert. Hierbei wird in der Regel der phonologische Kurzzeitspeicher überprüft, um festzustellen, wie sich das betreffende Kind verbal vorgegebenes Sprachmaterial (Zahlen, Wörter und Sätze) kurzzeitig merken und unmittelbar wiederholen kann (immediate recall). Bei der sprachbezogenen Informationsverarbeitung lassen sich anhand der vorliegenden Studien übereinstimmend deutliche Restriktionen im Bereich des auditiven Gedächtnisses feststellen (für einen Überblick siehe Montgomery 2003). Explizit zu nennen sind dabei die Schwierigkeiten beim Wiederholen von „Nichtwörtern“ (engl. nonword repetition) bzw. „Pseudowörtern“. Hierbei erzielen USES-Kinder signifikant geringere Leistungen als die nach Alter oder Sprachentwicklungsstand parallelisierten Kontrollkinder (für eine Metaanalyse siehe Graf Estes et al. 2007). Nachsprechaufgaben haben sich so in vielen Studien als valider Marker im Bereich der Sprachentwicklungsauffälligkeiten erwiesen (Schöler 1999). Gerade das „Nachsprechen von Sätzen“ wird inzwischen als klinischer Marker für die SSES-Diagnostik verwendet (Stokes et al. 2006) und sogar als „Königsweg für die Diagnostik und Differentialdiagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen“ (Schöler/Scheib 2004, 40) bezeichnet. Zur Sicherstellung der Objektivität ist die Vorgabe über den PC bzw. von CD notwendig – Schöler/Brunner (2008) konnten bei der Durchführung des „Heidelberger Auditiven Screenings in der Einschulungsuntersuchung (HASE)“ bei Einschulungsuntersuchungen zeigen, dass die Vorgabe mit und ohne CD statistische Signifikanz erreichte.

Zur Bedeutung der phonologischen Informationsverarbeitung als Vorläufer für den Schriftspracherwerb findet sich eine ausführliche Darstellung in Kap. 14.1.3. In den Tab. 11 bzw. 12 sind alle zur Verfügung stehenden Verfahren zur Überprüfung der phonologischen Informationsverarbeitung beschrieben.

Sozial-emotionales Verhalten

Schwierigkeiten im Bereich des sozial-emotionalen Verhaltens werden bei SSES ebenfalls berichtet (Fujiki et al. 1996; Noterdaeme 2008). Auch in der ICD-10 werden „Störungen im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen, im emotionalen und im Verhaltensbereich“ (Dilling/Freyberger 2014, 281) als mögliche Sekundärstörungen von expressiven und rezeptiven Sprachstörungen benannt. Die Befundlage zu den sozial-emotionalen Fähigkeiten von Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen ist jedoch sehr divergent. Aktuelle Studien beschreiben neben externalisierenden ebenso internalisierende Verhaltensweisen, wie beispielsweise soziale Unsicherheit und emotionale Auffälligkeiten (für eine Metaanalyse siehe Noterdaeme 2008; Yew/O‘Kearney 2013). Für die Gruppe der Kinder mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen konnte beispielsweise belegt werden, dass die sozialen Probleme der Betroffenen im Laufe der Entwicklung ansteigen, eventuelle Verhaltensauffälligkeiten und emotionale Probleme jedoch abnehmen (Conti-Ramsden/Botting 2004; St Clair et al. 2011). „Die Verhaltensprobleme und sozioemotionalen Besonderheiten der Entwicklung von Kindern mit SLI [Spezifischer/Umschriebener Sprachentwicklungsstörung, M.S.] hängen wechselweise zusammen mit Defiziten der sozialen Kompetenzen, die wiederum durch die Einschränkungen kommunikativer Fähigkeiten mit bedingt sind“ (Dannenbauer 2004, 288).

Vor diesem Hintergrund ist auch der Einbezug der sozial-emotionalen Fähigkeiten der Kinder häufig angezeigt. Auch hier stehen vielfältige unterschiedliche diagnostische Verfahren zur Verfügung (s. auch Kap. 12.2).

Wie bereits mehrfach erläutert, sind alle Komponenten der ICF/ICF-CY (vgl. u. a. Kap. 1.1) bei der diagnostischen Erfassung zu berücksichtigen. Für weiterführende Informationen siehe Grötzbach et al. (2014), Kölliker-Funk (2009) und Campbell/Skarakis-Doyle (2007).

Genetische Merkmale

Laut Klassifikationen der ICD-10 werden genetische Ursachen für eine USES ausgeschlossen (Dilling et al. 2015). Unbestritten ist heute allerdings, dass auch hereditäre Faktoren eine bedeutende Rolle spielen (SLI Consortium 2004; 2002). Allein die unterschiedliche Prävalenzverteilung bzgl. der Geschlechter spricht dafür (Kany/Schöler 2014b). Für einen Überblick aktueller Evidenzen siehe Leonard (2014a).

4.3 Diagnostik von Sprachentwicklungsstörungen im Rahmen von Primärbeeinträchtigungen

Wie bereits in Kap. 4.1 ausgeführt, ist die Symptomatik sprachlicher Beeinträchtigungen auf den einzelnen Sprachebenen in der gleichen Form zu finden, wie dies bei den USES bereits beschrieben wurde. So zeigen sich sprachliche Auffälligkeiten auch bei Kindern, beispielsweise infolge einer neuronalen Schädigung (z.B. kindliche Aphasie) oder einer stark eingeschränkten Hörfähigkeit.

Sekundäre Sprachstörungen

Sobald bei einem Kind eine Primärbeeinträchtigung vorliegt, die als ursächlich für die sprachlichen Beeinträchtigungen angenommen werden kann, werden letztere als sekundäre Sprachstörungen bezeichnet. Somit sind weitere Aspekte bei der Diagnostik zu berücksichtigen. Dies betrifft den Entwicklungsstand in den weiteren Entwicklungsbereichen, vor allem der Wahrnehmung und Kognition.

Für die Diagnostik sprachlicher Fähigkeiten im Rahmen von vorliegenden Primärbeeinträchtigungen eines Kindes liegen nicht in jedem Fall spezifische Informationen vor. Hier gilt es, bezogen auf die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Kindes und auf sein Alter bezogene Überprüfungsmethoden und Verfahren zum Einsatz zu bringen, die ggf. hoch adaptiv Verwendung finden.


Folgende Publikationen bieten einen ersten Einblick in diesen Bereich:

Aktas, M. (Hrsg.) (2012): Entwicklungsorientierte Sprachdiagnostik und -förderung bei Kindern mit geistiger Behinderung: Theorie und Praxis. Elsevier, München

Sarimski, K., Steinhausen, H. C. (2007): Kinder-Diagnostik-System KIDS 2. Geistige Behinderung und schwere Entwicklungsstörungen (Vol. 2). Hogrefe, Göttingen

 

4.3.1 Entwicklungsorientierte Sprachdiagnostik bei Kindern mit Down-Syndrom

Eine sorgfältige, entwicklungsorientierte Sprachdiagnostik ist für die optimale Unterstützung von Kindern mit Down-Syndrom (DS) unverzichtbar (Aktas 2015). Das übliche Vorgehen ist jedoch für Kinder mit einer sog. geistigen Behinderung nicht direkt übertragbar. Herausfordernd wird der Spagat beschrieben, dass man einerseits sehr flexibel auf das jeweilige Kind individuell eingehen und andererseits trotzdem den diagnostischen Standards genügen müsse (Aktas 2015). Die Zielstellung der Diagnostik liegt dabei in der Erstellung des individuellen sprachlichen Entwicklungsprofils der Stärken und Schwächen des Kindes mit Ausblick auf die anstehenden Entwicklungsschritte.

Methodenvielfalt als Grundprinzip

Aktas (2012) beschreibt die Methodenvielfalt als Grundprinzip der Sprachdiagnostik bei Kindern mit DS. Neben den Informationen, welche die sprachliche Entwicklung direkt beschreiben (Quellen: Anamnese, Elternbefragung, normierte Testergebnisse und qualitative Analysen, Beobachtungen), sind auch nichtsprachliche, aber sprachrelevante kognitive Fähigkeiten und bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern auch noch die Sprachbiographie und das Sprachumfeld zu erfassen (Aktas 2012).

Anamnese

Bei der Erhebung anamnestischer Angaben ist besonders auf Informationen zum Hörvermögen (u. a. aktuelle medizinische Befunde) und zu möglichen Vorbefunden sprachrelevanter kognitiver Fähigkeiten (u. a. Intelligenztest-Befunde) zu achten (Aktas 2015). Eine differenzierte Darstellung von Inhaltsaspekten eines Anamnesegesprächs findet sich bei Aktas (2012).

Sprachtests

Zur Beschreibung des sprachlichen Profils eines Kindes kommen auch Sprachtests zum Einsatz. Häufig zeigt sich allerdings, dass die vorhandenen (sprachlichen) Tests nicht für diese Zielgruppe entwickelt wurden, da weder die vorgegebenen sprachlichen Anweisungen noch die festgeschriebenen Übungsitems für diese Kinder ausreichend sind (Siegmüller 2015a). Siegmüller verweist an dieser Stelle auf informell vorgeschaltete Übungen, die dem Verständnis der jeweiligen Methode dienen (Siegmüller 2015a, 218).

Es ist weiterhin häufig zu finden, dass die Kinder bei der aktuellen Handlungsanforderung verhaften bleiben und beispielsweise eine Nachsprechaufgabe dazu führt, die im Anschluss anstehende Ausagierungsaufgabe ebenfalls nur nachzusprechen. Als Basis der individualisierten Unterstützungsmaßnahmen können im Rahmen der Diagnostik oftmals nur unvollständige Daten erhoben werden, was an die Expertise des Diagnostikers sowohl für die Durchführung als auch für die Auswertung und Interpretation der Sprachdiagnostik bei Kindern mit genetischen Syndromen hohe Anforderungen stellt (Siegmüller 2015a).

Für das konkrete diagnostische Vorgehen stellt Aktas (2012) ein theoriegeleitetes diagnostische Konzept vor. Anhand eines diagnostischen Leitfadens (der als eine Art Entscheidungsbau entwickelt wurde) wird das konkrete Vorgehen differenziert ausgeführt – bis hin zu ausführlichen Auswertungs- und Interpretationsmöglichkeiten. Für einen differenzierten Einblick siehe Aktas (2012; 2015).

4.3.2 Sprachdiagnostik bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen

Die Diagnosestellung einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) setzt sich aus unterschiedlichen Verfahren zusammen. Dabei werden u.a. über Beobachtungsbögen, Fragebögen und Interviews von Ärzten, Psychologen, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten und durch Fachkräfte in Autismus-Therapie-Zentren durchgeführt (Franke 2012). Noterdaeme (2011, 3) skizziert die folgenden qualitativen Beeinträchtigung der Sprache und Kommunikation bei Kindern mit ASS:

■ Verspätung oder vollständige Störung der Entwicklung der gesprochenen Sprache (ohne Kompensationsversuche durch Gestik/Mimik als Alternative zur Kommunikation)

■ relative Unfähigkeit, einen sprachlichen Kontakt zu beginnen oder aufrechtzuerhalten, bei dem es einen gegenseitigen Kommunikationsaustausch mit anderen gibt

■ stereotype und repetitive Verwendung der Sprache oder idiosynkratischer Gebrauch von Worten/Phrasen

■ Mangel an spontanen Als-ob-Spielen/sozialen Imitationsspielen

Die Überprüfung der konkreten sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten von Kindern im autistischen Spektrum ist schwierig, da ein kooperatives Verhalten in der Testsituation nicht selbstverständlich ist. Beim Einsatz von Sprachdiagnostikverfahren bieten sich u.a. Testaufgaben an, die einen handelnden Umgang mit Materialien notwendig machen, da Aufgaben, bei denen das Kind etwas zeigen soll, i.d.R. schwieriger für das Kind sind (Einschränkungen in der geteilten Aufmerksamkeit) (Müller 2012, 205). Daneben kommen natürlich auch die Beobachtung und die Befragung als Methoden zum Einsatz (Noterdaeme 2011 für einen grundlegenden Überblick). Im Rahmen der vorgeschalteten Anamnese können bereits Fragen zum sozialen Sprachgebrauch des Kindes beantwortet werden. Müller (2012) weist darauf hin, dass im Rahmen der Anamnese unbedingt auch die Motivationslage des Kindes erfragt werden sollte, da diese vor dem Hintergrund des häufig eingeschränkten Interessenspektrums für die Förderplanung relevant ist. Zur Einschätzung der kindlichen Kommunikationsfähigkeit liegt beispielsweise die für das Deutsche übersetzte Children´s Communication Checklist (CCC) (Spreen-Rauscher 2003a; 2003b) vor, die von Bezugspersonen des Kindes ausgefüllt wird.

Weiterführende Informationen zur Diagnostik bei „eingebetteten Sprachentwicklungsstörungen“, u.a. bei blinden Kindern, Kindern mit Hörstörungen, Kindern mit verschiedenen genetischen Syndromen sind bei Siegmüller/Bartels (2015) skizziert.

4.4 Diagnostik im Rahmen der Sprachstandserhebungen in der Kita

„Eine bedarfsgerechte Sprachförderung muss möglichst früh ansetzen, um allen Kindern optimale Startchancen in ihre Schullaufbahn zu ermöglichen. Dass dies auch eine angemessene Sprachdiagnostik im Elementarbereich erfordert, wurde bildungspolitisch schon seit Längerem erkannt: Nahezu alle Bundesländer haben Verfahren eingeführt, um den sprachlichen Entwicklungsstand der vier- bis fünfjährigen Kinder festzustellen und ggf. angemessene Sprachfördermaßnahmen noch vor dem Schuleintritt einzuleiten“ (Neugebauer / Becker-Mrotzek 2013, 6).

Der Begriff „Diagnostik“ wird in der Frühpädagogik allerdings sehr unterschiedlich verstanden und verwendet.

Terminologie: Diagnostik vs. Beobachtung

Wenngleich der Begriff „Beobachtung“ als eine diagnostische Methode im Bereich der pädagogisch-psychologischen Diagnostik gilt, spricht man im Bereich der Frühpädagogik häufig von Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren auf der einen Seite und grenzt diese deutlich von Diagnostikverfahren im Sinne einer Feststellung von entwicklungsspezifischen Krankheiten oder Störungen auf der anderen Seite ab.

Für die Aufgabe der Beobachtung und Dokumentation werden ganz unterschiedliche Materialien eingesetzt. Dies sind zum einen Beobachtungsbögen (vgl. Kap. 3.4.2). Zum anderen sind dies spezifische Dokumentationsmaterialien (z.B. Koglin et al. 2015; Viernickel/Völkel 2013), die nur von pädagogischen Fachkräften in diesem spezifischen Kontext verwendet werden.

In der Folge der Debatte um die Stärkung des Bildungsauftrags von Kindertagesstätten im Kontext der Ergebnisse Deutschlands in internationalen Bildungsstudien wie PISA oder IGLU erfolgte ein Ausbau frühpädagogischer Diagnostik des Sprachentwicklungsstandes von Kindern (Dietz/Lisker 2008; Lisker 2010). In den einzelnen Bundesländern wurden seitdem unterschiedliche Verfahren zur Sprachstandsbestimmung konzipiert und eingesetzt. Lisker konstatierte 2010 im Rahmen einer vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in Auftrag gegebenen Expertise, dass ganz unterschiedliche, insgesamt 17 verschiedene Verfahren zum Einsatz kommen – von punktuellen Screeningverfahren bis hin zur wiederholten Dokumentation des Sprachentwicklungsstandes. Auch auf die Fragen, wo und wann die Verfahren zum Einsatz kommen, finden sich in den einzelnen Bundesländern unterschiedlichste Antworten (Lisker 2010).

Eine Expertenkommission hat auf Initiative des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache 2013 die aktuell verwendeten Sprachstandsverfahren erneut analysiert und konstatiert, dass die Entwicklung der Instrumente „insgesamt auf einem guten Weg“ sei (Neugebauer/Becker-Mrotzek 2013, 4). Immer mehr der eingesetzten Verfahren würden diagnostischen Standards genügen. Ihrer Analyse wurden eigens entwickelte Qualitätsmerkmale zugrunde gelegt, die folgende Aspekte in den Blick nehmen: Berücksichtigung sprachlicher Basisqualifikationen, Güte der Verfahren (Objektivität, Reliabilität, Validität), Normierung, Fehlerquote, Qualifizierung der durchführenden Fachkräfte, zeitliche Anforderungen der Durchführung, Berücksichtigung der besonderen Rahmenbedingungen von Kindern, die mehrsprachig aufwachsen, und die Spezifität der Diagnostik (hinsichtlich der Frage, welche Sprachfördermaßnahmen im Anschluss ggf. für das jeweilige Kind angezeigt sind) (Neugebauer/ Becker-Mrotzek 2013, 10).

Nach der Analyse der Verfahren wurde insbesondere bei den eingesetzten Beobachtungsbögen und Einschätzverfahren noch Handlungsbedarf gesehen, da sich die hier erreichte Bewertung noch nicht als ausreichend darstellte (Neugebauer/ Becker-Mrotzek 2013).

Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Sprachstandsverfahren

Die Empfehlungen, welche die Expertenkommission nach der Analyse der inzwischen 21 verschiedenen eingesetzten Verfahren in den 16 Bundesländern gibt, machen die noch bestehenden Handlungsbedarfe besonders eindrücklich deutlich (Neugebauer/Becker-Mrotzek 2013, 5):

■ „Konsens über Ziel und Funktion von Sprachstandsverfahren herstellen.“Diese zentralen Aspekte sind nicht einheitlich realisiert. So werden die Verfahren teilweise für Zwecke verwendet, für die sie nicht konzipiert worden sind.

■ „Empirische Belege für die prognostische Qualität ermitteln.“Bislang ist noch unzureichend geklärt, welche Aussagekraft bestimmte sprachliche Einschränkungen, die in diesen Verfahren ermittelt werden, für den späteren Schulerfolg haben.

■ „Keine Förderung ohne Diagnose – keine Diagnose ohne Förderung.“ Zur differenzierten Beschreibung eines spezifischen Förderbedarfs, der handlungsleitend für die Planung und Umsetzung konkreter Fördermaßnahmen sein kann, wird ein zweistufiges Verfahren empfohlen.

■ „Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte.“ Diese Aufgabe wird als Ressource zur Erreichung einheitlicher Qualitätsstandards in Sprachdiagnostik und Sprachförderung im Elementarbereich gesehen.

■ „Bundesländerübergreifender Transfer einheitlicher Qualitätsstandards.“ Dies würde bei einer Verständigung auf wenige gemeinsame Verfahren (die dann in einem interdisziplinären Team weiterentwickelt und optimiert werden könnten) mit festgelegter Zielstellung/Funktion realisierbar.

 

Die differenzierte Analyse der eingesetzten und nach den o.g. Kriterien bewerteten Verfahren (Stand: 2013) ist in dem vom Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache herausgegebenen Band (Neugebauer/ Becker-Mrotzek 2013) nachlesbar. Die Quelle ist open source verfügbar:


https://www.stiftung-mercator.de/de/publikation/die-qualitaet-vonsprachstandsverfahren-im-elementarbereich/, 04.12.2017

4.5 Verfahren zur Überprüfung der nonverbalen Intelligenz

Für die Abgrenzung einer umschriebenen Störung der Sprache und des Sprechens von generellen Lernstörungen ist es notwendig, die nonverbalen und somit nicht sprachbasierten kognitiven Fähigkeiten eines Kindes einzuschätzen. Für diese Abgrenzung ist es laut ICD-10 der WHO (Dilling/Freyberger 2014) erforderlich, dass nonverbale Intelligenzleistungen erreicht werden, die mindestens innerhalb einer Standardabweichung liegen (nonverbaler IQ größer/gleich 85). Dieses SSES-Definitionsmerkmal „durchschnittliche nonverbale Intelligenz“ ist jedoch auch nicht unumstritten (vgl. Kap. 4.2).

Für das Kindesalter stehen für die Überprüfung nonverbaler Intelligenz unterschiedliche Verfahren zur Verfügung, die explizit als nonverbales Testverfahren konzipiert wurden oder eine nonverbale Skala enthalten. Wollschläger/Preckel (2016) argumentieren jedoch, dass diese Tests zum Teil stark sprachbasiert instruiert werden. Bei Testpersonen mit Sprachschwierigkeiten (meist bezogen auf Migrationshintergrund, weniger auf Sprachstörungen) könnten die Instruktionen laut der Manuale zwar gestisch und mimisch untermalt werden, wobei hinterfragt werden muss, in welcher Form die pantomimische Instruktion komplexer nonverbaler Items möglich ist (Wollschläger/Preckel 2016). Für die Darstellung aktueller nonverbaler Intelligenztests vor dem Hintergrund ihres Einsatzes bei Kindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen sei neben dem Beitrag von Wollschläger/ Preckel (2016) auch auf Renner (2016) (SON-R 2½-7) und Melchers/Melchers (2016) (KABC-II) verwiesen.

Grundintelligenztest Skala 1 (CFT 1-R), Weiß/Osterland (2013)

Zielgruppe: Kinder im Alter von 5;4 bis 9;11 Jahren

Ziel: Bestimmung der Grundintelligenz des Kindes

Dauer und Modus: Einzeltestung: ca. 40 Min.; Gruppentestung: 45–60 Min. (je nach Alter/Klassenstufe)

Art und Aufbau: Das Verfahren besteht aus 6 Untertests mit verschiedenen Aufgabenstellungen, die unter Zeitvorgabe zu lösen sind: Zuordnung von Symbolen zu Figuren anhand einer vorgegebenen Codierung; Labyrinthe in vorgegebener Zeit durchfahren; Wiedererkennen einer Zeichnung aus einer Auswahl minimal veränderter, ähnlicher Abbildungen (1 aus 5); Reihenfortsetzen; Klassifikationen (Erkennen merkmalsähnlicher Figuren aus einer Auswahl); Matrizen (Vervollständigen eines Musters mit einer Figur aus einer Auswahl).

Durchführung: In Kurz- oder Langform durchführbar; jedes Kind bearbeitet die wörtlich vorgegebenen Instruktionen in der jeweils vorgegebenen Zeit in seinem Testheft; Übungsbeispiele werden demonstriert.

Auswertung: Die für die einzelnen Untertests ermittelten Rohwerte werden in Rohwertsummen für einzelne Untertests zusammengefasst. Diese werden mittels der Normtabellen in T-Werte transformiert, welche in den Auswertungsbogen eingetragen werden. Weiterhin kann ein Testprofil für Altersnormen erstellt werden.

Normierung: Ja; es liegen Normen getrennt für die Kurz- bzw. Langform als Altersnormen bzw. als Klassennormen der Grundschule (Klasse 1 bis 3) vor. Weiterhin liegen auch Alters- und Klassennormen für Kinder an Förderschulen vor.

Gütekriterien: Es liegen Angaben zur Retest-Reliabilität und zur inneren und äußeren Validität vor. Kommentar: Der CFT1-R ist ein gut handhabbares und gerade in der schulischen Praxis weit verbreitetes Verfahren. Als Gruppentest kann er zur zeitökonomischen Überprüfung der nonverbalen Intelligenz von Kindern um den Einschulungszeitpunkt eingesetzt werden.

Grundintelligenztest Skala 2 – Revision (CFT 20-R) mit Wortschatztest und Zahlenfolgentest – Revision (WS/ZF-R), Weiß (2008)

Zielgruppe: Schüler im Alter von 8;5 bis 19 Jahren (ab Klasse 3)

Ziel: Erfassung des allgemeinen intellektuellen Niveaus (Grundintelligenz) im Sinne der „General Fluid Ability“ nach Cattell (1968)

Dauer und Modus: Einzel- oder Gruppentestung; Gruppentestung: ca. 60 Min.; bei der Kurzform rund ca. 35–40 Min.

Art und Aufbau: Das Verfahren besteht aus zwei gleichartig aufgebauten Testteilen mit je vier Untertests (Reihenfortsetzen, Klassifikationen, Matrizen und topologische Schlussfolgerungen). Mit den Ergänzungstests Wortschatz-(WS) und Zahlenfolgenaufgaben (ZF) können verbale und numerische Elemente des Faktors Verarbeitungskapazität erfasst werden.

Durchführung: Jedes Kind bearbeitet die wörtlich vorgegebenen Aufgaben auf Zeit mit seinem Testheft. Alle Antworten werden aber nur auf dem Antwortbogen codiert – in das Testheft selbst wird nichts eingetragen. Übungsbeispiele werden demonstriert.

Auswertung: Anhand der Codierung auf dem Antwortbogen (Durchschreibebogen) werden die Rohwerte der beiden Testteile ermittelt. Diese können mittels Normtabellen, die als Alters- und Klassenstufennormen vorliegen, in IQ-Werte oder Prozentränge transformiert werden.

Normierung: ja; CFT 20-R: 3.961 Schüler (2002/2003); Wortschatz- und Zahlenfolgentest: 2.724 bzw. 2.691 Schüler (2003)

Gütekriterien: Angaben zur Reliabilität und zur Validität liegen vor.

Kommentar: Der CFT 20-R ist – ähnlich dem CFT 1-R – aufgrund seiner Konstruktion als Gruppenüberprüfungsverfahren ein breit eingesetzter Test zur ökonomischen Erfassung der nonverbalen Intelligenz für ein breites Altersspektrum (8;5 bis 19 Jahre).

Snijders-Oomen Non-verbaler Intelligenztest für Kinder von 2 ½-7 (SON-R 2 ½-7), Tellegen et al. (2007)

Zielgruppe: Kinder im Alter von 2;4 bis 7;11 Jahren

Ziel: Erfassung der „fluiden Intelligenz“ im Sinne Cattells (1968)

Dauer: ca. 35–60 Min.

Art und Aufbau: sechs Untertests, die jeweils aus zwei Teilen bestehen, die sich in Instruktion und/oder verwendetem Material unterscheiden: Mosaike (Nachlegen von Mustern), Kategorien (Sortieren anhand von Merkmalen), Puzzles (Puzzles legen), Analogien (Spielsteine sortieren bzw. Veränderungen analog anhand von Vorgaben nachvollziehen), Situationen (Ergänzen von Situationsbildern) und Zeichenmuster (Nachzeichnen eines Zeichenmusters)

Durchführung: Durchführung gemäß Manual; Instruktionen können dabei auch nonverbal gegeben werden; gemeinsames Bearbeiten von Beispielaufgaben; adaptiver Testeinstieg sowie Testabbruch; geringe Zeitbegrenzung

Auswertung: Die Subtest-Rohwerte werden mithilfe der Normtabellen in Subtest-Standardwerte umgewandelt. Anhand der Normtabellen in Vierteljahressschritten wird der Subtest-Standardwert abgelesen. Die Gesamtsumme der drei Subtests der Denk-Skala bzw. der Handlungsskala werden aufsummiert und bilden die Grundlage für die Bestimmung des SON-IQ (und des Prozentrangwerts). Die Auswertung kann computergestützt via Auswertungsprogramm erfolgen.

Normierung: ja, N=1027 Kinder (2004/2005)

Gütekriterien: Angaben zur Reliabilität und zur prognostischen Validität liegen vor.

Kommentar: Mit dem Verfahren kann die allgemeine Intelligenz junger Kinder beurteilt werden, ohne dabei von Sprache abhängig zu sein. 2018 wird der komplett überarbeitete, neu normierte und erweiterte SON-R 2 – 8 erscheinen.

Kaufman Assessment Battery for Children – Second Edition (KABC-II), Melchers/Melchers (2015)

Zielgruppe: Kinder und Jugendliche im Alter von 3 bis 18 Jahren

Ziel: Erfassung informationsverarbeitender und kognitiver Fähigkeiten

Dauer: ca. 30–75 Min. (abhängig vom gewählten Testmodell und dem Alter des Kindes); nonverbale Skala: 20–40 Min.

Art und Aufbau: Einzeltestung. Die nonverbale Skala des KABC-II (Sprachfrei-Index SFI) erlaubt eine valide Beurteilung von Kindern mit eingeschränktem Hörvermögen, schweren Sprachstörungen oder begrenzten Deutschkenntnissen. Der SFI besteht – je nach Alter – aus vier oder fünf der Kernuntertests und Ergänzungsuntertests des KABC-II, deren Durchführung gestisch kommuniziert werden kann und deren Aufgaben motorisch beantwortet werden können (ohne zu sprechen).

Folgende Untertests kommen zum Einsatz:

■ Handbewegungen (alle Altersgruppen): Wiederholen einer vorgegebenen Sequenz von Handbewegungen auf dem Tisch

■ Konzeptbildung (3 – 6 Jahre): Aus einem Bilderset ist das nicht zugehörige zu identifizieren

■ Wiedererkennen von Gesichtern (3 – 5 Jahre): Ein oder zwei kurz gezeigte Gesichter sollen auf einem Gruppenbild in einer anderen Situation wiedererkannt werden

■ Dreiecke (alle Altersgruppen): Ein abstraktes Design ist aus einzelnen, farbigen Elemente nachzubauen

■ Muster ergänzen (ab 5 Jahre): Vervollständigen eines logischen linearen Musters aus einer Auswahl von Formen

■ Geschichten ergänzen (6 – 18 Jahre): Vervollständigen einer Bildgeschichte, bei der einzelne Bilder fehlen, anhand einer Auswahl von Bildern

■ Bausteine zählen (ab 7 Jahre): Bestimmung der Anzahl von Bausteinen, die bildlich als gestapelte Blöcke dargestellt sind

Durchführung: Die Aufgaben jedes Untertests sind auf das Alter der Testperson zugeschnitten – so variieren die empfohlenen Anfangsaufgaben (Startpunkte) für die verschiedenen Altersgruppen. Die Aufgaben verfügen alle – wie in der Vorgängerversion – über Abbruchkriterien.

Auswertung: Die Rohwertsummen der einzelnen Untertests werden mit Hilfe der Normtabellen in Skalenwerte und korrespondierende Konfidenzintervalle transformiert. Die entsprechenden Tabellen sind in Altersbereiche von drei, vier oder sechs Monaten gegliedert.

Normierung: ja, mit 1745 Probanden in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz (2013/2014)

Gütekriterien: Angaben zur Split-Half-Reliabilität, zur inneren Konsistenz und zur Konstruktvalidität liegen vor. Kommentar: Der KABC-II bietet mit seiner nonverbalen Skala in aktueller Normierung für ein sehr breites Altersspektrum die Möglichkeit zur Absicherung der Diagnose SSES hinsichtlich der nonverbalen Intelligenz.

Weitere, hier nicht beschriebene Verfahren:

■ Non-verbaler Intelligenztest (SON-R 6 – 40) (Tellegen, et al. 2012)

■ Wechsler Nonverbal Scale of Ability (WNV). Dt. Bearbeitung (Petermann 2014)

■ Coloured Progressive Matrices (CPM). Dt. Bearbeitung nach Raven (Bulheller/ Häcker 2002)

4.6 Verfahren zur Überprüfung der phonologischen Informationsverarbeitung

Es liegen vielfältige diagnostische Verfahren vor, die Aussagen zur phonologischen Informationsverarbeitung ermöglichen. Für eine umfassende Darstellung sei auf das Kap. 14.3 verwiesen. Als Überprüfungsverfahren werden dabei Tests zum Zahlennachsprechen, Nachsprechen von Non-sense-Wörtern und/oder Nachsprechen von Sätzen verwendet.

An dieser Stelle werden exemplarisch zwei Verfahren beschrieben, die u. a. diese Aufgabenstellungen verwenden. Für viele weitere, hier nicht beschriebene Verfahren, wird auf die Zusammenstellung in den Tabellen 11 und 12 verwiesen.

Heidelberger Auditives Screening in der Einschulungsuntersuchung (HASE), Schöler/Brunner (2008)

Zielgruppe: Vorschulkinder im Alter von 5 bis 6 Jahren (z.B. im Rahmen der U9)

Ziel: Identifikation eines Risikos für die Entwicklung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten und Sprachentwicklungsstörungen

Dauer: ca. 10 Min.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?