Religionsphilosophie

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Ist diese Behauptung von Entsprechungen zwischen philosophischer Analyse und christlichem Bekenntnis bereits zu viel? Oder ist sie im Gegenteil zu bescheiden? Was genau heißt, hier walteten Entsprechungen – und das immerhin anhand des Wunderbegriffs? Das wird zu diskutieren sein (s.u.

Kap. 8

,

11

, 12) und hier findet sich einer der systematisch spannendsten Punkte für die theologische Diskussion dieser Argumentation.



Die nächste zu besprechende Transzendenz ist die Transzendenz der Sprache. (Rentsch 67−72) Sie, und darauf legt Rentsch wert, addiert sich nicht zur ersten, sie ist mit ihr vielmehr gleichursprünglich. Ihr Inhalt ist dieser: »Dass – und wie – wir sprechen können, ist eine unerklärliche, uns vorgängige Bedingung der Möglichkeit und Wirklichkeit unserer humanen Welt. Dass wir Sätze verwenden können (…) das ist eine uns und unsere Welt einschließlich unserer Vernunft und Selbsterkenntnis real ermöglichende Dimension, die wir nicht erklären oder von anderem ableiten können, ohne sie selbst schon verwenden und in Anspruch nehmen zu müssen.« (Rentsch 68) Uns wird klar, »dass wir auch über die sprachlichen Sinnbedingungen unserer Praxis nicht pragmatisch und technisch verfügen, sondern dass sie uns sinnkonstitutiv entzogen und vorgängig sind. Wir werden zu uns selbst im Medium sozialer und kommunikativer Praxis«. (Rentsch 70) Dass wir zu alldem in der Lage sind, können wir nicht erklären, ohne das zu Erklärende seinerseits vorauszusetzen. Das Transzendenzgeschehen namens Sprache ermöglicht unser Selbstbewusstwerden und trägt es.



Das Muster ist vergleichbar: Sprache ist unhintergehbare Voraussetzung. Ohne Sprache kein Sinn, keine Kommunikation, kein Selbstwerden (NB: das gilt im übertragenen Sinne auch für nichtsprechende Personen, ein interessanter ethischer Seitenaspekt). Rentsch verzichtet an diesem Punkt auf eine explizite christlich-theologische Parallelisierung, wiewohl er in anderem Zusammenhang etwas zur Verstehbarkeit des Inkarnationsglaubens sagen wird. (Rentsch 93−101) Dass er diese Transzendenz als Transzendenz des Logos bezeichnet, spielt aber gewiss mit der wohlbekannten theologisch-philosophischen Doppelbedeutung von logos.



Drittens und letztens: Die anthropologisch-praktische Transzendenz. (Rentsch 72−78) In der nun schon vertrauten Kombination aus Unerklärlichkeit/Unhintergehbarkeit einerseits und Sinngenerativität andererseits geht es nun um Sinnentwürfe überhaupt. Wir existieren, und das macht Sinnentwürfe schon immer nötig. Auch wenn wir nie sagen können, woher dieser Sinn kommt. Wir machen spielerische Entwürfe von uns und unserer Welt. Und das setzt voraus, dass es Sinnhorizont überhaupt gibt, obwohl niemand ihn sehen kann. Wir müssen Sinnentwürfe praktizieren, so lange wir leben. Dieser Lebensformbezug bildet sich in jedem Leben aus, auch im Kleinkind, auch im Traum, glücklich und traurig und auch in Lebensformen, die wir nicht anders als pathologisch in den Blick bekommen. Dass wir das tun, heißt aber: Wir erkennen an, dass es die Konstitution von Lebenssinn gibt, auch wenn dieser uns niemals als Objekt zuhanden ist. Vielmehr sind wir immer in Prozessen von Lebenssinnkonstitution begriffen.



Diese Transzendenz, so Rentsch, weist besonders darauf hin, dass wir uns nicht als Einzelsubjekte erkennen. Eine subjektzentrierte Erkenntnistheorie allein erweist sich angesichts solcher Entwürfe als reduktionistisch. Wenn aber der Gemeinschaftsbezug vorhanden ist, so kommt von diesem Transzendenzaspekt her die gemeinsame Verantwortung endlicher Freiheit in den Blick, sprich: Moral und Ethik. Auch hier belässt Rentsch es bei der Andeutung. Aber auch hier lassen sich Entsprechungen, Parallelen, gemeinsame Interessen zu explizit christlich-theologischen Explikationsaufgaben ohne Mühe finden.



So viel als kurzer Bericht aus Thomas Rentschs Entwurf einer rationalen Theologie oder – wie er es auch nennt – Prototheologie. Er weist drei gleichurspüngliche Transzendenzen in der Immanenz auf, die das Mit- und Ineinander von Entzogenheit und Sinnkonstitution tragen: Die ontologisch-kosmologische Transzendenz, dass überhaupt etwas ist und nicht nichts. Ihr Entsprechungspartner ist die christlich-theologische Rede von der Schöpfung. Als zweites die Transzendenz der Sprache, die Rentsch mit dem doppelt codierten Begriff logos einführt. Und schließlich die Transzendenz von Sinnentwürfen, aus denen Menschen je sind und die sie zum Phänomen der gemeinsamen Gestaltung des Lebens bringen, also zu Moral und Ethik.



Eine wichtige Zusatzbestimmung: Das Ineinander von theoretischer und praktischer Perspektive



Thomas Rentsch bezieht sich auf die drei Formen von Transzendenzbezug, die ich eben geschildert habe und summiert lapidar: »Der Lebensformbezug der Rede von Transzendenz und ihren Aspekten ist (…) stets zu beachten.« (50) Von Transzendenz und Transzendenzbezug ist nur insoweit überhaupt zu reden, als es eine Rede ist, die Lebensvollzug einschließt. Es geht hingegen nicht um einen auf scharfsinnige Weise isolierbaren höchsten Gegenstand als Gegenstand von Betrachtung. In der Rede von Transzendenz, in der – Anführungszeichen bitte mithören – ›Gottesfrage‹ – geht es nicht darum, Erkenntnis über ein Objekt zu erlangen. Die drei Formen des Transzendenzbezugs haben vielmehr ergeben: Das, worauf wir uns beziehen, zeigt sich. Es zeigt sich im Lebensvollzug und es ist nicht unabhängig von ihnen als Gegenstand zu greifen. Jede theoretische Analyse und damit auch die Analyse von Rentsch selber, hat lediglich Hinweischarakter. Sie ist uneigentliche Rede, aber aus Gründen der Klärung unvermeidliche uneigentliche Rede. Kurz und am Rande gesagt: Diese Form des Sprechens verdankt sich der Wittgenstein’schen Unterscheidung von Sagen und Zeigen und seiner Emphase darauf, dass sich das eigentlich Wichtige zeigt (vgl.

Kap. 2.c

) und dem Bezug auf Søren Kierkegaards Technik der indirekten Existenzmitteilung. (vgl. dazu

Kap. 11

) Systematisch wichtig ist dieser Lebensformbezug der Rede von Transzendenz aus folgendem Grund: Theoretisches Denken verweist in Sachen Transzendenzbezug auf Lebensform. Traditionell gesprochen geht es also um ein Ineinander von praktischer und theoretischer Vernunft in Sachen Gottesfrage. Exklusive Zuordnungen, gleich ob in der praktischen (Kant) oder der theoretischen (Hegel, Feuerbach) gelingen nicht. Diese Feststellung ermöglicht es, philosophische Theologien neu in den Blick zu nehmen, für die das Mit- und Ineinander der theoretischen und der praktischen Perspektive konstitutiv ist.



Hier zeigt sich überdies eine aufschlussreiche Parallele zur Erklärungsaufgabe der Theologie. Denn ihr geht es erklärtermaßen nicht darum, eine zureichende Gottestheorie vorzulegen. Sie versucht vielmehr, das Zeugnis von der Offenbarung Gottes und das Reden und Handeln der Gläubigen zu verstehen und anzuleiten, so dass man begründet hoffen darf, es geschehe in der Nähe Gottes. Der Lebensformbezug der theologischen Aufgabe ist also ganz deutlich und die Tradition hat das mit ihrer Rede von der scientia eminens practica (in besonderer Weise praktische Wissenschaft) ja auch immer betont. Rentschs Aufweis des Lebensformbezugs auch für die philosophische Gottesrede hilft nun, eine künstliche Barriere einzureißen. Es steht nicht scientia speculativa gegen scientia practica, es steht nicht der Versuch der begrifflichen Erkenntnis gegen die bloße biblisch genährte Bilderwelt. Weil philosophisch nicht anders als unter Bezug auf Lebensformen von Transzendenz gesprochen werden kann, sind Theologie und Philosophie sich hier in der Zugangsweise näher, als es die gut eingespielten Üblichkeiten der Religionskritik glauben machen wollen.



c) Zur argumentativen Einordnung



Jede Position von Rang steht in der Diskussion, man kann sogar sagen, dass es eine Auszeichnung ist, wenn sie Debatten hervorruft – was alle ohnehin akzeptieren, ist zumindest nach philosphischen oder theologischen Maßstäben banal und damit uninteressant. In diesem Sinn folgen hier einige Erwägungen zum Status der Argumente, die Rentsch als gegenwärtiges Theorieangebot in Sachen Negativer Theologie vorgelegt hat.



Erklärungsanspruch



»… insistiere ich auf der expliziten systematischen Wiederholung der Gottesfrage. Wenn die Richtung, die Kant, Hegel, Kierkegaard, Peirce, Wittgenstein und andere zeitgenössische Philosophen gewiesen haben, einiges Recht hat, dann muss eine Erneuerung zeitgenössischer philosophischer Theologie möglich sein und unternommen werden.« (Rentsch IX) Das ist eine Programmansage von Gewicht. Rentsch behauptet, mit dem Aufweis der drei Transzendenzen nicht nur einen philosophiehistorischen Zugang zum Thema ›Gott‹ geliefert zu haben. Vielmehr nimmt er die genannten Autoren als Aufweis dafür, dass eine philosophisch konsistente Rede von Gott unter den Bedingungen des heutigen Wahrheitsbewusstseins möglich ist. Die mit diesen großen Namen verbundenen Positionen und Denktraditionen sind natürlich weit und stehen untereinander nicht wenig im Streit. Was sie eint, ist mindestens dies: Es ist für kritisches und durch die Schule der Aufklärung gegangenes Denken möglich und geboten, Gott zum Gegenstand des Denkens zu machen. Ob und wie man von einem ›Gegenstand‹ im landläufigen Sinn des Wortes sprechen kann, ist dann eine eigene Frage, die bereits in die Auseinandersetzung führt.



Unter den Genannten – laut Rentsch ja nicht die einzigen, auf die man sich für die Erneuerung einer philosophischen Theologie zu berufen hat – ist Hegel der, der in Sachen ›Gott als Gegenstand des Denkens‹ am weitesten geht. Er traut der darstellenden Kraft der Begriffe zu, die Wahrheit Gottes, die in der Religion in Bildern, Erzählungen und Riten ausgesprochen wird, in die richtigen Worte zu fassen. Was Christen glauben – Hegel denkt vor allem an das Bekenntnis, Gott sei dreieinig – wird von der Philosophie auf Begriffe gebracht. Das muss möglich sein, so Hegel, weil Religion nichts individuell Willkürliches ist: »Aber die Religion ist die Wahrheit für alle Menschen, der Glaube beruht auf dem Zeugnis des Geistes, der als zeugend der Geist im Menschen ist.« (Hegel Bd. 10, 379) Auch wenn die beiden in der Durchführung weit auseinanderliegen und Rentsch, wie gesehen, die Nichtgegenständlichkeit Gottes wieder und wieder betont, zeigt das Hegel-Zitat doch das gemeinsame Motiv: Will Religion mehr sein als eine Privatmeinung, dann muss sie sich dem charakteristischen Öffentlichkeitsanspruch von Vernunft stellen, denn der Allgemeinheitsanspruch von Vernunft und die Öffentlichkeit des Denkens gehen ineins. (vgl.

Kap. 1.a

)

 



Freilich: Welche Religion ist eigentlich die Wahrheit für alle Menschen? Hegels Beweisanspruch war, dass es sich nur um die christliche handeln kann und sein – insgesamt extrem aufwendiger – Beweisgang dafür lief darauf hinaus, dass die Fülle der Wirklichkeit die Dreieinigkeit Gottes abbildet. Hier zeigt sich dann ein vernehmlicher Unterschied: Thomas Rentsch beansprucht nicht, eine philosophische Theologie des Christentums zu liefern. In diversen Veröffentlichungen zum Thema zitiert er Äußerungen aus verschiedenen Weltreligionen, um den Anspruch deutlich zu machen, dass die drei Transzendenzen jedenfalls nicht als Vortheologie des Christentums gemeint sind. Vielmehr soll ihr Aufweis auch einen Beitrag dazu leisten, Religion und religiös-Sein überhaupt in den Bereich dessen zu rücken, was als vernünftig verhandelbar gilt.



Die Schnittstelle zwischen der Negativen Theologie und explizit christlicher Theologie muss uns noch beschäftigen. (

Kap. 11.b

) Freilich schon hier der Hinweis, dass die Nähe zwischen dieser Lesart und christlicher Theologie doch relativ deutlich ist. Die zweite Transzendenz führt mit ihrem Stichwort logos nicht nur ins Herz des griechischen philosophischen Denkens, sondern zugleich zu einem christlichen Schlüsselkonzept. Nach dem Prolog des Johannesevangeliums ist Christus der logos Gottes, durch den alles geschaffen wurde und der in Jesus Mensch wird. (Joh 1,1–18) Wird die strikte Universalität auch dieses Transzendenzbezugs behauptet, so wird mitgesetzt, dass das Gesprächsgeflecht aus antiker Philosophie und christlicher Theologie dieser universalen Wahrheit zumindest näher ist als die Selbstauslegung anderer Religionen.



Damit zeigt sich eine nicht ohne weiteres zu Tage liegende Verbindung: Der damalige Papst Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger) betonte in seiner Vorlesung an der Universität Regensburg im Jahr 2006, dass die griechische Philosophie des logos und das biblisch inspirierte Logosdenken nicht zufällig aufeinander gestoßen seien, sondern dass das mit innerer Notwendigkeit geschah und ein wichtiges Moment im geschichtlichen Walten Gottes darstelle. (Benedikt 20) Theologisch führt Benedikt eine Providenzargumentation durch, also eine, die davon ausgeht, dass Gott weiß, wohin es mit der Welt geht und dass er die Weltgeschichte oder doch entscheidende ihrer Momente behütet und in eine diesbezügliche Richtung lenkt. In einer solchen oder ähnlichen Weise von der Wirksamkeit Gottes in der Welt zu sprechen, gehört zum üblichen Inventar christlicher Gotteslehre, wobei Sinn und Probleme der Rede von der Providenz Gottes bei anderer Gelegenheit erörtert werden müssen. Für den Zusammenhang hier ist interessant, dass Thomas Rentschs Argument, für das er strikte philosophische Allgemeinheit beansprucht, sich in nächster Nähe dazu vorfindet. Ist das ein willkommener Beleg für die theologische Behauptung, Gott behüte die Welt, oder zeigt sich hier eine – weniger willkommene – Einschränkung des philosophischen Allgemeinheitsanspruchs?



Traditionsbezug



Die Ähnlichkeiten zwischen der traditionellen Negativen Theologie und dem Modell, das der für hier und heute schreibende Philosoph vorlegt, sollten offensichtlich sein. Beiden geht es darum, dass der Bezug auf eine ›Gott‹ genannte Instanz unvermeidlich und richtig ist. Beide betonen aber zugleich, dass das ein begrifflicher Bezug nicht sein kann und dass dieser Bezug und eine praktische Orientierung im Leben miteinander verschränkt sind. Freilich gibt es ganz erhebliche Anteile im Denken der platonischen Denker, die heute wohl kaum Aussicht darauf hätten, erfolgreich verteidigt zu werden. Wichtigster Kandidat dafür ist die neuplatonische Ontologie, also die Theorie darüber, welche Weltinhalte es gibt und wie die Weltinhalte organisiert sind. Die Neuplatoniker vertraten die Auffassung, dass der Inhalt der Welt geordnet und übersichtlich gestuft ist. Das Seiende ist nicht irgendwie chaotisch oder in wilder Entwicklung begriffen, es ist vielmehr ein geordnetes Inventar. Für die Ordnung des Inventars waren verschiedene Einteilungsmuster diskutiert worden, zum Beispiel dies, dass man die Dinge danach unterscheiden kann, ob sie schwerpunktmäßig körperlich oder schwerpunktmäßig geistig sind. Mit dieser Einteilung stehen etwa Menschen über Tieren und Tiere über Pflanzen, diese wiederum über den sogenannten unbelebten Dingen. Denn auch wenn eine Pflanze strikt gesprochen keinen ›Geist‹ hat, so ist sie, metaphorisch gesprochen, doch durch ihr Vermögen zur Photosynthese geistiger als etwa ein Kieselstein, der neben ihr liegt. Geistigkeit wird hier als Fähigkeit zur Selbstorganisation verstanden und es ist ja immerhin möglich, die Dinge in der Welt nach ihrer Fähigkeit zur Selbstorganisation zu unterscheiden. Man würde dann sagen, dass ganz unten die völlig passiven Dinge stehen, die sich in keiner Weise selbst organisieren können und dass am oberen Ende das- bzw. derjenige steht, dessen Selbstorganisation und Selbsthabe durch nichts eingegrenzt ist. Dabei kann es sich um nichts/niemand anderen als Gott handeln.



Am bekanntesten wurde ein Einteilungsschema, das leicht anders ansetzt. Der christliche Neuplatoniker Johannes Scotus Eriugena (s.o. Abschn. a) beschreibt in seinem Buch Periphyseon, das auf deutsch passenderweise ›Über die Einteilung der Natur‹ genannt wird, die Klassen des Seienden: (1) Das, was schafft und nicht geschaffen wird; (2) das, was geschaffen wird und schafft; (3) das, was geschaffen wird und nicht schafft; (4) das, was nicht schafft und nicht geschaffen wird. Gemeint ist damit folgendes: (1) Gott als Ursache allen Seins; (2) die aus Gott kommenden Ideen, durch die Dinge entstehen; (3) der Stoff, aus dem die Dinge sind und (4) wiederum Gott, diesmal als Ziel der ganzen Welt. Hier ist das Rangordnungsschema gemäß der Selbstorganisation wieder erkennbar, es wird im Wesentlichen auf das Vermögen, etwas anderes hervorzubringen, übertragen. Ergänzt wird es durch einen Aspekt, der im nichtchristlichen Neuplatonismus durchaus eine Rolle spielte, aber erst in seiner christlichen Variante in den Mittelpunkt rückte: Die Idee, dass alles aus Gott kommt (1) und schlussendlich zu ihm zurückkehren wird (4). Wer so denkt, hat mit den biblischen Gedanken von der Schöpfung der Welt und ihrer Vollendung am Ende der Zeiten zumindest einigen Kontakt aufgenommen.



Es ist diese Grundüberzeugung von der Wohlgeordnetheit und Gestuftheit der Natur, die in der heutigen Philosophie kaum noch Vertreter findet. Zu einleuchtend sind offenbar die Ergebnisse etwa der Evolutionsbiologie und der Erforschung von Chaos und Zufall, als dass das Bild vom harmonischen und gestuften Universum noch Plausibilität für sich beanspruchen könnte. Dies umso mehr, als es ja ohne die Annahme, es gebe den letzten, einen und unnennbaren Gott, nicht auskommt – das aber ist keine Prämisse moderner Naturwissenschaft. Die Frage ist nun, ob Negative Theologie eine solche gestufte Ontologie voraussetzt, um die Idee plausibel zu machen, es gebe den unnennbaren Grund hinter allem, was ist.



Die Antwort muss zweistufig ausfallen. Stufe eins besagt, dass auf der Basis einer solchen Ontologie Negative Theologie recht gut denkbar ist. Wer sagt, dass wir Vielheit nur erkennen können, weil wir ein Konzept von dahinter liegender Einheit haben und dass dies nicht nur in unserer Vernunft so ist, sondern auch die gesamte Wirklichkeit so beschaffen ist, für den liegt die Schlussfolgerung nahe: Das hinter/über allem anderen liegende Eine muss existieren und zugleich ist es unserem denkenden Begreifen entzogen.



Nun lautet der Einwand, wie eben gesehen, dass eine solche Ontologie unplausibel ist. Man kann ihn sogar noch verschärfen, indem man die erkenntnistheoretische von der ontologischen Seite trennt: Es mag wohl sein, dass unsere Vernunft ein Konzept von Einheit hinter aller Verschiedenheit haben muss, um Verschiedenheit überhaupt denken zu können (s.o. 3.a). Aber wer sagt denn, dass die Wirklichkeit deswegen so beschaffen sein muss und unsere Vernunft ihr gleichsam abbildlich ähnelt? Ist Vernunft wirklich der ›Spiegel der Natur‹? Nicht nur Richard Rorty, Stichwortgeber als Autor des gleichnamigen Buches, bezweifelt das. Die prominenteste Position, die die Abbildhaftigkeit der Vernunft bezweifelt, stammt von Immanuel Kant und ist einer der Grundgedanken der Kritik der reinen Vernunft: Die Verstehenshilfen unseres Verstandes legen wir an die Natur an, um sie zu entdecken. Wie aber die Naturdinge sind, wenn wir diese Verstehenshilfen nicht an sie anlegen, ist schlechterdings nicht zu sagen. (Kant B X–XIV.150–156)



Die zweite Antwortstufe heißt also, dass eine heute zu vertretende Negative Theologie ohne die ontologischen Prämissen der neuplatonischen Philosophie auskommen muss (sollten sie sich, was derzeit nur schwer denkbar aber natürlich möglich ist, doch wieder als plausibel erweisen, wäre dieser zweite Schritt kein Nachteil). Für die hier dargestellte Variante ist das m.E. der Fall. Keine der drei Transzendenzen setzt eine spezifische Ontologie voraus. Sie lassen sich nachvollziehen, gleich ob die Welt ein gestuftes Ganzes ist oder ob wir auf eine Ontologie überhaupt verzichten müssen, weil wir über die Dinge an sich nichts wissen können. Thomas Rentschs Variante zeigt sich so als typisch nachaufklärerische und neuzeitliche Fassung der Negativen Theologie. Sie ist nicht ontologisch sondern erkenntnistheoretisch grundiert, denn sie geht nicht Stufungen der Welt entlang, sondern fragt, worauf Menschen sich beziehen müssen, wenn sie das tun, was Menschen in ihrem Menschsein einfach nicht bleibenlassen können: sich überhaupt auf Welt beziehen, kommunizieren und spielerische Sinnentwürfe unternehmen.



Wie stark und von welcher Art ist der Allgemeinheitsanspruch dieser Argumente?



Etwas für plausibel zu halten, ist eines. Zu erklären, es sei unausweichlich und man müsse so denken, ist allerdings ein anderes. Offensichtlich stellt, wer letzteres intendiert, steilere und weiter reichende Wahrheitsansprüche in den Raum. Es wäre zunächst verständlich, wenn man davor eine gewisse Scheu hat. Eine philosophische Strömung gegen Ende des 20. Jahrhunderts hat das sogar zum Programm erhoben, die Postmoderne. Ihre Vertreter sag(t)en: Die großen Theorien der Moderne arbeiteten stets mit der Unterstellung, dass es für einen Sachverhalt nur eine wahre Aussage geben kann und dass man überdies umfassende philosophische Theorien über die ganze Wirklichkeit entwickeln kann, die sogenannten Systeme des Wissens. Diese Systeme aber laufen Gefahr, blind für Details zu werden und sie suggerieren Eindeutigkeit, die so durchaus nicht gegeben sein muss. Mehr noch, die Idee, die eine richtige Theorie entworfen zu haben, hat, so sagen ihre postmodernen Kritiker, durchaus etwas Gewaltsames, weil dem Beschriebenen gar nicht die Chance gelassen wird, anders zu sein als die Theorie es vorschlägt.



Die Postmoderne reklamiert demgegenüber das Ende der großen Theorien und eine positive Betrachtung von Widersprüchen, Vielfalt und Wechsel der Anschauung. Absolute Wahrheitsansprüche sind demgegenüber von Übel. Postmoderne berufen sich mitunter auf die antike Tradition der Skepsis. (Long/Sedley 13– 19) Einer ihrer profilierten Vertreter sagt es so: »Wir Menschen sind stets mehr unsere Zufälle als unsere Leistungen.« (Marquard 6) Deswegen ist Abstand zu nehmen von Theorieansprüchen, die absolute Wahrheit reklamieren. Vielmehr darf das gelten, was hinreichend bewährt ist und was hinlänglich begründeten Üblichkeiten entspricht. (Marquard 125 u.ö.)



Keine Frage, dass auch diese Depotenzierung von Wahrheitsansprüchen kontrovers diskutiert wurde und wird. Manchen gilt sie gar als Abgesang auf wahrheitshaltiges Sprechen überhaupt und als Taumel in einen Abgrund von Beliebigkeit und ›anything goes‹. Freilich, um die Details der Postmoderne-Debatten geht es hier nicht. Der kurze Hinweis sollte nur illustrieren, dass es nicht selbstverständlich ist, für die eigene Argumentation zu setzen, sie sei zwingend und unausweichlich. Inwieweit macht die unter b) vorgestellte Negative Theologie derart starke Unterstellungen, und: Vermögen sie zu überzeugen?

 



Sehen wir dafür zunächst die drei Argumente für die Transzendenzen noch einmal an. Von ihrer Anlage her beanspruchen sie Allgemeingültigkeit. Dass etwas ist und nicht vielmehr nichts, ist eine unausweichliche Erkenntnis. Selbst mit einer denkbar extremen Position käme ich ihr nicht aus: Selbst wenn ich mir denke, die ganze Welt sei meine Einbildung, also nur ich existierte wirklich und bildete mir den gesamten Rest nur ein – das ist der sog. Solipsismus – bliebe doch, dass ich ja schließlich existieren muss, damit ich mir den Rest der Welt einzubilden vermag. Der Gang über die extreme Position, die vermutlich niemand wirklich wird vertreten wollen, macht klar: Der Gedanke scheint tatsächlich unausweichlich zu sein. Ist der strikte Allgemeinheitsanspruch damit schon garantiert? Nicht ganz! Denn das Argument der ersten Transzendenz geht ja davon aus, dass es sich dabei um einen Vorgang des Verwunderns und Erstaunens handelt. Mindestens die Bereitschaft und die Fähigkeit dazu muss also setzen, wer strenge Allgemeingültigkeit für dieses Argument behauptet.



Durchaus ähnlich verläuft es mit den beiden anderen Transzendenzen. Unbeschadet der oben angedeuteten theologischen Anschlussfrage, ob sie nahe bis sehr nahe am christlich-theologischen Sprachspiel formuliert sind, lässt sich sagen: Wenn Menschen kommunizieren, müssen sie Sprache voraussetzen, wenn Menschen irgend planen und entwerfen wollen, müssen sie spielerisch einen Gesamthorizont entwerfen. Zur Not und gewiss ohne Behagen lässt sich ein Leben denken, das auf Kommunikation und Entwurf/Planung verzichtet – erstrebenswert wäre ein solcher Lebensvollzug jedoch kaum. Offenbar bestehen gute Aussichten, diese Argumente nicht nur plausibel zu nennen, sondern ihnen einen recht hohen Grad an Allgemeinverbindlichkeit attestieren zu können.



Das gilt mit einer wichtigen Näherung, die den Bereich betrifft, aus dem die anscheinend recht weitgehende Plausibilität bezogen wird. Rentsch bezieht sich nicht auf etwas, was man sehen oder sonstwie mit den Sinnen feststellen kann. Sein Argumentbündel funktioniert also nicht auf der Basis von empirischer Evidenz. Das festzustellen ist wichtig, weil ein solcher Beginn wieder und wieder als aussichtsreich vorgeschlagen wurde. So beginnt Hegels frühes Hauptwerk etwa mit der denkbar einfachsten Wahrnehmungsoperation, nämlich auf etwas zu zeigen und zu sagen: »dies!« – um im Fortgang einer genauso faszinierenden wie komplexen Argumentation immerhin beim lebendigen Wissen Gottes von sich selbst herauszukommen. (Hegel Bd. 3, 82–92.575–591) Auch Kants Überlegungen beginnen mit der Frage, was eigentlich jemand tut, der eine einfache Wahrnehmungsoperation vollzieht. (Kant 69–96) Demgegenüber pocht Rentsch auf die Evidenz eines Handlungsvollzugs. Das ist offenkundig etwas anderes. Wer auf einen Sachzusammenhang als Beginn einer Gedankenkette verweist, befindet sich im Bereich der theoretischen Philosophie. Er muss plausibel machen, dass der Sachverhalt wirklich existiert und dass seine Beschreibung, wie er denn wahrgenommen wird, plausibel ist.



Kant und Hegel tun genau dies in ihren jeweiligen eben zitierten Werken – dass sie zu derart unterschiedlichen Ergebnissen kommen, macht die Sache so reizvoll: Kant konzentriert sich auf die Frage, welche Verstandeskräfte wir eigentlich haben müssen, um Wahrnehmungsoperationen durchzuführen und schließt daran eine groß angelegte Inventarisierung von Verstand und Vernunft an, die bei jedem Menschen dieselbe sei. Die Vernunft, so die leitende Annahme, ist ein großer, aber in sich feststehender Apparat. Hegel hingegen sagt, dass das Aufregende an der Vernunft die ungeheure Vielfalt ihrer Gestalten ist, die sich von der einfachsten Wahrnehmung bis zur komplexesten Gedankenoperation durchzieht und beansprucht, alle möglichen Formen vernünftiger Operationen, die es jemals gab und geben wird, darzustellen. Für Hegel ist die Vernunft eine geschichtliche Größe, die in vielen Gestalten vorkommt, wobei die Philosophie den Überblick über die Fülle der Gestalten gewinnen kann.



Rentschs Argument hingegen geht von einem Selbstvollzug des Menschen aus und gehört deshalb in die praktische Philosophie. In ihr ist immer schon thematisch, dass es gute und schlechte Vollzüge gibt. So war ja zu sehen, dass es wünschenswert ist, dass Menschen darüber erstaunen, dass es etwas gibt und nicht vielmehr nichts, dass es besser ist zu kommunizieren als dies nicht zu tun und besser, einen Sinnhorizont zu entwerfe

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