Das Rütli - ein Denkmal für eine Nation?

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

1.9 Forschungsstand IV: Das Rütli als Besuchsziel und als Ort von Gedenkfeiern

Auf den individuellen und kollektiven Gebrauch des Denkmals Rütli zielt eine der zentralen Fragestellungen des Projekts. Dazu liegen nämlich bisher nur eher allgemein gehaltene Aussagen vor. Kreis widmet dem alltäglichen, individuellen Gebrauch des Rütlis sowie der Bewilligungspraxis der SGG für Gruppenbesuche ein Kapitel und stellt chronologisch die Nutzungen des Orts in Form von Feier- und Festanlässen vor.[150] Ebenso fächert er eine breite geschichtskulturelle Palette von Rütli-Bildern auf.[151] Die vorangegangene Literatur enthält in der Regel nur punktuelle Hinweise zum individuellen Besuch, unter anderem auch zu der offenbar sehr hohen Zahl von Besuchern.[152]

Der kollektive Besuch erweist sich gerade beim Rütli als besonders intensiv. Um diese zahlreichen Gedenkfeiern und -jubiläen zu kontextualisieren, sei deshalb in einem ersten Schritt ein chronologischer Blick auf schweizerische Gedenkfeiern geworfen, denen beim Aufbau eines modernen Nationalbewusstseins eine wichtige Rolle zukam.[153] Der zweite Schritt skizziert die Entstehungsumstände der rütlispezifischen Feiern – eine detailliertere Analyse dieser Umstände und der weiteren Entwicklung ist Gegenstand des Kapitels 4.3.

Im Fall der Schweiz gehen den Gedenkfeiern die alteidgenössischen Schlachtjahrzeiten voran.[154] Diese kirchlichen Gedenktage für die in Schlachten gefallenen Vorfahren setzten im Spätmittelalter ein und wurden mit lokaler Ausstrahlung teilweise bis in das 20. Jahrhundert begangen. Im Gegensatz zu den Schlachtenjahrzeiten bildeten die Gedenkfeiern von Anfang an nationale Anlässe, deren Teilnehmer den siegreichen Taten der Vorfahren gedachten, die von staatlicher Seite verantwortet wurden und formal dennoch sakral ausgestaltet waren. Diese Feiern kamen vor allem zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf, befördert durch die jungen liberalen Bewegungen, welche darauf abzielten, das nationale Bewusstsein zu fördern. Gleichzeitig können diese jährlich und auch «dezenar» durchgeführten Feiern erstanden werden als stabilisierendes Gegengewicht zum raschen und verunsichernden gesellschaftlichen Wandel des 19. Jahrhunderts. So setzten beispielsweise die Zentenarfeiern der Schlacht am Morgarten 1815 ein, jene in Laupen 1839, in St. Jakob bei Basel 1844, wo bereits seit 1822 ein jährliches St.-Jakobs-Fest stattfand. 1851 kam der neue Typus der Bundesbeitrittsfeier hinzu, als der Kanton Zürich das 500-Jahr-Jubiläum beging und so eine Tradition begründete, die schliesslich in die erste grosse Bundesfeier von 1891 mündete. Formal erweiterten die Gedenkfeiern die sakralen Elemente der traditionellen Schlachtjahrzeiten um weitere, zivile Komponenten: Festspiele, die das vergangene Geschehen theatralisierten, Festschriften, die das Geschehen zurückblickend schriftlich fassten, Denkmäler, die das erzählte Geschehen räumlich verorteten und auch Festschiessen, welche die partizipative Wiederherstellung von Vergangenem zeitgemäss und stark formalisiert ermöglichten. Auch die Schweiz geriet so in die «grosse Euphorie des Festwesens»[155] der bürgerlichen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein.[156] Am Ende des Jahrhunderts beklagten Zeitgenossen die rasant angewachsene Zahl solcher patriotischen und kulturellen Feiern – die SGG setzte gar einen Ausschuss ein mit dem Auftrag, nach Mitteln und Wegen zu suchen, um diesem Übel entgegenzutreten.[157]

Auf dem Rütli besteht eine besonders reichhaltige, aber relativ spät einsetzende Tradition von Gedenkfeiern. Dazu zählen nicht nur grosse Zentenar-Jubiläen, sondern auch die jährlich wiederkehrenden Feiern, die sich alle auf das mythische Gründungsdatum von 1291 beziehen. Überdies sind auch für das zweite Referenzereignis des Rütlis, den Rütli-Rapport von 1940, Gedenkfeiern entstanden. Die mit dem Gründungsmythos verbundenen Jubiläumsfeiern fanden jeweils mit grossem Aufwand statt. Die erste, die vor allem auch terminlich explizit auf die Gründung Bezug nahm, war jene von 1808, die an mehreren Orten begangen wurde, jedoch nicht auf dem Rütli.[158] Die Feier zum 100. Geburtstag von Schiller, der den Mythos in eine poetische Form gegossen habe, so die Einschätzung der Initiatoren der Veranstaltung, steht deshalb am Anfang der Jubiläumsreihe.[159] Denn die Veranstalter wollten mit dem Anlass zwar Schiller als Schriftsteller würdigen, aber vor allem auch des «552. Geburstags des Schweizerbundes» und des historischen und vor allem symbolischen Gehalts des Rütlis gedenken. Das nächste resp. erste explizite Gründungsjubiläum fand schliesslich 1891 statt, als 1291 zum offizielle Datum der Bundesgründung bestimmt wurde.[160] Dass diese Feier überhaupt stattfinden konnte, war keineswegs selbstverständlich. Nach dem Sonderbundskrieg 1847 war die liberale Bundesstaatsgründung des darauffolgenden Jahres nicht «darstellbar», da dies einer Provokation der unterlegenen, katholischen Kantone gleichgekommen wäre.[161] Trotzdem hielten die Innerschweizer Kantone am traditionellen Gründungjahr 1307 fest und organisierten deshalb 1907 eine 600-Jahr-Feier. Die wohl grösste Feier fand mitten im Zweiten Weltkrieg statt und ist im Kontext der «Geistigen Landesverteidigung» zu sehen. Die jüngste Zentenarfeier schliesslich beging die Schweiz 1991. Militärische Kreise organisierten erstmals 1960 einen grossen Anlass, um an den Rütli-Rapport zu erinnern. Damit initiierten sie eine Tradition, die bis in die jüngste Zeit fortdauert und gleichzeitig eine auffällige Unregelmässigkeit bei Rhythmus und Terminierung aufweist.

Neben den Jubiläen zählen auch jährlich wiederkehrende Feste zu den Gedenkfeiern.[162] Die Idee, auf dem Rütli regelmässig eine offizielle Feier einzurichten, um an das Referenzereignis von 1291 oder 1307 zu erinnern, wurde erstmals Ende des 18. Jahrhunderts formuliert, ohne dass sie umgesetzt worden wäre.[163] Auch die grosse Jubiläumsfeier von 1891 hätte dazu führen können, am Urnersee dem Schwur regelmässig zu gedenken. Aber erst der Druck von Auslandschweizerkolonien, die einen mit dem deutschen oder französischen vergleichbaren Nationalfeiertag wollten, führte 1899 dazu, dass der Bundesrat den Kantonen ein allgemeines Glockenläuten zum Gedenken an den 1. August empfahl, und setzte damit den Anfangspunkt des 1. Augusts als Feiertag.[164] Zwei Gründe dürften danach zur Etablierung dieses Festes beigetragen haben. Erstens erschien es, aus bürgerlicher Sicht, als einigendes Element über religiöse, kulturelle und politische Grenzen hinweg – in Abgrenzung zum 1. Mai, der klassenspezifisch definiert war.[165] Zweitens eigneten sich die Feiern als Attraktion für die Touristen – weshalb in den Bergen traditionelle Höhenfeuer allmählich auf diesen Tag gelegt wurden.

Auf dem Rütli signalisierte der Pächter Ulrich im Jahr 1900 den nunmehr offiziellen Nationalfeiertag, indem er am Rütlihaus die Schweizerflagge hisste.[166] Frühste Belege für eine zumindest halboffizielle Bundesfeier auf dem Rütli stammen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, als die Offiziersgesellschaft erste Feiern organisierte, bestimmt für Soldaten und in einfachem Rahmen gehalten.[167] Nach Kriegsende scheint diese Tradition in militärischen Kreisen nicht ganz erloschen zu sein, berichteten doch die Schaffhauser Nachrichten von einer Infanterie-Rekrutenschule in Luzern, die mit einer schlichten Feier am 1. August 1924 auf dem Rütli der Gründung des ersten Schweizerbundes gedenken wollte.[168] Nach der Anzahl der Einträge in den Gästebüchern des Rütlihauses zu urteilen – in den Zwischenkriegsjahren verzeichnen die Bücher am 1. August wenige bis sogar gar keine Einträge – fanden tatsächlich keine grösseren, weder offizielle noch inoffizielle Feiern statt. Diese Beobachtung wird durch die Ausnahme bestätigt, die für 1928 dokumentiert ist, als nämlich eine Musikformation von Auslandschweizern, die aus San Francisco angereist war, auf der Wiese aufspielte.[169] Eine regelmässige Feier scheint also unrealisiert geblieben zu sein, und dies, obwohl gemäss dem Rütlipächter der Wunsch danach vielfach artikuliert worden war.[170] Erst 1937 führte schliesslich der konservative Schweizerische Vaterländische Verband erstmals eine Bundesfeier auf der Rütliwiese durch, eine einsetzende Tradition, welche die SGG zehn Jahre später übernahm und weiterführte.

Ebenfalls als Gedenkfeier können die beiden Rütlischiessen verstanden werden. Ihre Entstehung und Entwicklung hat Wiget 2012 in einer fundiert recherchierten und reich bebilderten Monographie dargestellt. Die Entstehung des älteren der beiden Rütlischiessen, des 300-m-Schiessens, ist im Kontext des neu entstandenen schweizerischen Bundesstaates von 1848 zu sehen. Denn bereits zuvor, aber dann erst recht nach 1848 kam den grossen gesamtschweizerischen Schützen-, Turner- und Sängerfesten eine wichtige Funktion bei der nationalen Identitätsstifung zu – ein liberales Anliegen, das aber gleichzeitig im Fall der Schützen in konservativem Gewand eines Bürgersoldaten erschien und so dessen versöhnliche Akzeptanz in beiden politischen Lagern zu sichern vermochte.[171]

 

Seine Entstehung führen die Rütlischützen auf das Jahr 1859 zurück.[172] Zu diesem Zeitpunkt fand zwar gar keines statt, aber die Luzerner Feldschützen hatten einen Antrag aus den eigenen Reihen diskutiert, der in Anlehnung an die Schillerfeier im selben Jahr ein Schiessen auf dem Rütli vorschlug zusammen mit den Innerschweizer Schützen. Bereits an dieser Stelle zeigt sich die erinnerungspolitische Funktion, die dem Schiessen beigemessen wurde. Das erste tatsächlich durchgeführte Schiessen mit Luzerner und Schwyzer Schützen fand ein Jahr später statt, und zwar am Mittwoch vor Martini, dem Tag des Rütlischwurs, gemäss Johannes von Müllers Schweizer Geschichte. 1862 beschlossen die Luzerner Schützen im Rahmen ihrer ersten Rütli-Schützengemeinde, ein jährliches Schiessen durchzuführen.[173] Nach dem Rückzug der Luzerner als alleiniger Organisatoren gründeten die Innerschweizer Schützen 1875, nun gemeinsam mit den Luzernern, den «Rütli-Schützen-Verein», der das jährliche Rütlischiessen fortan verantwortete.[174] Nach einer Anfangsphase richtete jeweils eine der Innerschweizer Sektionen im Turnus das Schiessen aus.[175] Erst 1993 schliesslich erhielt das Schiessen einen übergeordneten rechtlichen und organisatorischen Rahmen, als nämlich die SGG mit den Rütlischützen einen Vertrag abschloss, der Rechte und Pflichten der Schützen erstmals schriftlich fasste.[176]

Pistolenschiessen auf kürzere Distanz fanden auf dem Rütli bereits im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts statt, ohne dass sich eine Tradition etablieren konnte, zumal die Rütlikommission nach erneuten Vorstössen ein zweites institutionalisiertes Schiessen auf dem Rütli ablehnte.[177] Es war dann 1936, als die Altdorfer Pistolenschützen das alljährliche Innerschweizer Freundschaftsschiessen auf dem Rütli durchführten aus vaterländischen Gründen – in der Hoffnung, damit den Startschuss für ein Rütlischiessen legen zu können, was auch gelang. Denn zum Abschluss des ersten durchgeführten Schiessens 1936 beschloss die Schützen-Landsgemeinde, das Schiessen von nun an jedes Jahr jeweils am zweiten oder dritten Sonntag im Oktober auszutragen. Als organisierende Rütli-Stammsektionen wurden eine Urner Sektion, eine Schwyzer, zwei Nidwaldner und eine Obwaldner bezeichnet sowie Zofingen als ständige Gastsektion. 1939 erhob die Rütlikommission auch das Pistolenschiessen zur ständigen Institution, die bis heute lebendig ist.

Damit lässt sich für Gedenkfeiern auf dem Rütli festhalten, dass sie im nationalen Vergleich relativ spät einsetzten; anderen mittelalterlichen Referenzereignissen wurde seit Beginn des 19. Jahrhunderts gedacht. Die erste grosse Feier, jene von 1891, markierte offiziell das festgelegte Gründungsdatum von 1291, ein Jubiläum, das 1941 und 1991 erneut begangen wurde. Als erstes jährliches Gedenken des Gründungsjahres auf dem Rütli kann das 300-m-Rütlischiessen gelten, getragen von Innerschweizer Schützenvereinen. Das 50-m-Schiessen seinerseits entstand in den innenpolitisch bewegten, von der «Geistigen Landesverteidigung» geprägten 1930er-Jahren. Ebenfalls 1938 organisierte der konservative Schweizerische Vaterländische Verband auf dem Rütli erstmals eine Bundesfeier, deren jährliche Durchführung zehn Jahre später an die SGG überging. Zum Andenken an den Rütli-Rapport begingen militärische Kreise erstmals 1960 eine Feier, der weitere folgten.

1.10 Fragestellungen

Als theoretischer Kern dient dem vorliegenden Projekt Hettlings «Erlebnisraum», ergänzt durch die in diesem Kapitel beigezogenen theoretischen Erweiterungen. Darstellung 3 visualisiert dieses Gerüst und verortet darin gleichzeitig die konzeptionelle Zweiteilung der Untersuchung. Im Zentrum – grau hinterlegt – befinden sich die drei Komponenten von Hettlings «Erlebnisraum» mit den von ihm vorgeschlagenen kulturanthropologischen Operationalisierungsdimensionen. Dazu zählen das historische Gedenken, das Ritual resp. die symbolische Praxis, die politischen Emotionen sowie der authentifizierende Ort. Wie beziehen sich nun die Komponenten auf die Dimensionen? Korrespondiert das Denkmal mit dem authentifizierenden Ort, der sich mithilfe der Denkmaldefinitionen von Mittig und Nora begrifflich fassen lässt, kann die Komponente des Fests analysiert werden in Form der symbolischen Praxis, gestützt auf die Ritualtheorie von Stollberg-Rilinger. Der Mythos wiederum verbindet sich mit dem historischen Gedenken, dessen Strukturen mit geschichtsdidaktischen Geschichtsbewusstseins-Konzepten zu fassen ist. Die politischen Emotionen schliesslich werden als Teilaspekte sowohl der symbolischen Praxis als auch des historischen Gedenkens verstanden, weshalb sie in der Darstellung als Unterkategorie aufgeführt sind.

Hettlings «Erlebnisraum» zusammen mit dem erweiterten Theoriegerüst finden in der übergeordneten Dimension von Marchals Gebrauchsgeschichte einen passenden Rahmen, der seinerseits in der geschichtsdidaktischen Zentralkategorie der Geschichtskultur aufgeht. Letztere definiert Schönemann als kollektive Aussenseite des Geschichtsbewusstseins, das sich vom individuellen unterscheidet, eine Differenzierung, welche Darstellung 3 nur ansatzweise wiederzugeben vermag. Denn das historische Gedenken weist hier diese beiden Perspektiven zwar aus, das individuelle und das kollektive Geschichtsbewusstsein sind jedoch auf unterschiedlichen Hierarchieebenen visualisiert. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass alle vier Operationalisierungsdimensionen nach Hettling sowohl aus individueller als auch aus kollektiver Perspektive gesehen werden müssen, zwei Perspektiven, die zwar in einem wirkungsrelevanten Zusammenhang stehen, der sich indes empirisch kaum ausdifferenzieren lässt.[178] So kann etwa der authentifizierende Ort aus der spezifischen Sicht eines Besuchers beschrieben werden oder anhand gesellschaftlich relevanter Abbildungen. Da das Denkmal als authentifizierender Ort den Rahmen des Erlebnisraums bildet, kommt seiner Gestaltung und Wirkungsabsicht besondere Bedeutung zu. Diesem ersten erkenntnisleitenden Bereich (Gegenstandsanalyse) steht der Umgang mit dem Denkmal gegenüber, dem zweiten erkenntnisleitenden Bereich, in der Darstellung 3 als Gebrauchsanalyse bezeichnet, dem sowohl eine individuelle als auch eine kollektive Sichtweise eigen ist. Für diese beiden Bereiche ergeben sich damit die in Darstellung 4 wiedergegebenen Haupt- und Unterfragestellungen.


Darstellung 3


Fragestellungen
Bereich 1: Gegenstandsanalyse
Wie ist das Denkmal, also seine Elemente und das Gelände insgesamt, gestaltet?
In welchem politischen und kulturellen Kontext entstand das Denkmal? Welche Grundideen prägten seine Gestaltung? Welche Gebrauchsvorstellungen waren damit verbunden?
Wie hat sich die Gestalt des Rütlis im zeitlichen Längsschnitt verändert? Inwiefern können diese Veränderungen – und die nicht realisierten Veränderungen – als geschichtskulturelle Indizien dafür verstanden werden, wie die Denkmalverantwortlichen selbst, aber auch gesellschaftliche Gruppen das Gelände wahrnahmen und verstanden?
Wie ist Entstehung, Gestaltung und Entwicklung des Rütlis vor dem Hintergrund denkmal-, mythen- und mentalitätstheoretischer Modelle zu deuten?
Bereich 2: Gebrauchsanalyse kollektiv
Wodurch zeichnen sich kollektive Darstellungen von Mythos, kollektive Repräsentationen des Denkmals und kollektive Praxen am Denkmal aus (synchron und diachron)?
Wie werden Mythos und Denkmal – textlich und bildlich – in geschichtskulturellen Medien dargestellt?
Wie entwickelten sich die Gedenkfeiern im Hinblick auf Frequenz, rituelle Gestaltung, beteiligte Akteure sowie öffentliche Wahrnehmung?
Wie hoch ist die Zahl und welches ist die Herkunft der Schulklassen, die das Rütli besuchen? Worin bestehen die Interaktionen mit dem Denkmal? Welchen rituellen Gehalt weisen sie auf?
Wie viele und welche Gruppen besuchen das Rütli? Worin bestehen die Interaktionen mit dem Denkmal? Welchen rituellen Gehalt weisen sie auf?
Bereich 3: Gebrauchsanalyse individuell
Wodurch zeichnen sich individuelle Vorstellungen von Mythos, individuelle Repräsentationen des Denkmals und individuelle Praxen am Denkmal aus (synchron und diachron)?
Welche Vorstellungen zum ortsspezifischen Mythos und zur ortsspezifischen Geschichte sind bei den individuellen Besucherinnen und Besuchern vorhanden?
Wie nehmen die Besucherinnen und Besucher das Gelände wahr?
Wie viele Personen besuchen das Rütli und welches ist ihre soziodemografische Herkunft?
Worin bestehen die Interaktionen mit dem Denkmal? Welchen rituellen Gehalt weisen sie auf?
Warum wird das Denkmal besucht? Welche Emotionen löst der Besuch aus?
Bereich 4: Zusammenführung
Wie lässt sich der Gebrauch des Denkmals im jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext verorten?
Inwiefern ist das Rütli ein «Erlebnisraum» nach Hettling? Welche Variabilität weisen die entsprechenden Komponenten von Mythos, Denkmal und Fest/Ritual auf?

Darstellung 4

2 Methodisches Instrumentarium, Quellenbestände und Darstellungsgang

Pluralität kennzeichnet das Projekt sowohl hinsichtlich des verwendeten Methodeninstrumentariums als auch bezüglich der produzierten und recherchierten Datenbestände. Als strukturell-konzeptionelle Synopse stellt Darstellung 5 die Gebrauchsanalyse der Gegenstandsanalyse gegenüber, jeweils gegliedert nach Fragestellungsbereichen resp. Kapitel, Daten-/Quellenbestand und Methode.

 

Das Untersuchungsdesign ist methodenplural ausgerichtet. Dazu böte sowohl der Triangulations- als auch der Mixed-Methods-Ansatz eine methodologische Grundlage. Ersterer ist als Validierungskonzept entstanden im Rahmen quantitativer Forschung, deren Resultate durch eine zusätzliche qualitative Perspektive überprüft werden sollten.[179] Dieser Ansatz hat sich in der Folge flexibilisiert und weiterentwickelt und dadurch dem Mixed-Methods-Verfahren angenähert, dessen Kernidee darin besteht, qualitative und quantitative Methoden zu kombinieren und zu integrieren entsprechend der Komplexität der Fragestellungen.[180] Deshalb und aufgrund der vielgestaltigen Datenbasis des vorliegenden Projekts eignet sich dieser Ansatz besonders gut. Quantitativen Erhebungen (Kurzfragebogen, serielle Bildanalyse) steht eine grössere Zahl von qualitativen gegenüber (nicht teilnehmende Beobachtung, Kurzinterviews, qualitative Inhaltsanalyse, Bildinterpretationen), eine Gewichtung, wie sie für explorative Studien typisch ist.[181] Die einschlägigen Systematisierungen der Mixed-Methods-Designs unterscheiden mehrere Basis-Designs, von denen im vorliegenden Projekt das parallele Design zur Anwendung kommt.[182] Dabei führt der Forschende die verschiedenen methodischen Teilstudien durch, deren Ergebnisse im Anschluss daran im Sinne eines Mixings der Resultate aufeinander bezogen werden. Der wesentliche Vorteil dieser mehrperspektivischen Vorgehensweise besteht darin, dass mehrere Datenqualitäten mit spezifischen Perspektiven erhoben werden und sich in der Auswertung bestätigen oder ergänzen.

Der Mixed-Methods-Ansatz entspricht einem in der kulturanthroplogischen Forschung häufig angewandten Vorgehen, bei dem methodische Zugänge der jeweiligen forschungsrelevanten Situation den vorhandenen Daten und dem Gegenstand flexibel angepasst werden – was auch für die vorliegende Studie zutrifft. Die Darstellung und Begründung der Daten- und Methodenauswahl enthalten die folgenden Abschnitte 2.1, 2.2. und 2.3. Das abschliessende Teilkapitel 2.4 erläutert den Darstellungsgang im Sinne einer Wegleitung, die über den Aufbau der Untersuchung informiert.


Synopse zu den pluralen Datenbeständen und Methoden
Fragestellungsbereiche/Kapitel Daten-/Quellenbestand Methode
Bereich 1/Kapitel 3: Gegenstandsanalyse
Beschreibung des Ortes und seiner Bestandteile Div. schriftliche und bildliche Quellen Quellenkritische Analyse, Bildinterpretation
Analyse der Intentionalität (potenzieller Deutungsgehalt) Div. schriftliche und bildliche Quellen Hermeneutische Interpretation
Bereich 2/Kapitel 4: Gebrauchsanalyse kollektiv – Darstellung, Gedenkfeier und Gruppenbesuche
Mythos und Denkmal als Text: Beschreibung und Interpretation textlicher Darstellungen Historiografische Texte, Schulische Lesebücher, Geschichtslehrmittel, Massenmedien, Reiseführer, andere touristische Texte, Bezeichnungen im öffentlichen Raum Quantifizierende und qualitative Inhaltsanalyse
Mythos und Denkmal als Bild: Beschreibung und Interpretation bildlicher Darstellungen Ikonische Abbildungen, Postkarten, weitere touristische Abbildungen, Wertträger und Poststempel, Fernsehen, Rütliführer, Inserat Quantifizierende und qualitative Bildinterpretation
Praxis I: Gedenkfeiern (Jubiläumsfeiern, Bundesfeiern, Rütlischiessen) Div. Quellen, Massenmedien, Kurzinterviews, Experteninterviews Quellenkritische Analyse, qualitative Inhaltsanalyse
Praxis II: Gruppenbesuche (Akteure und Frequenz) Div. Quellen, Experteninterviews Quellenkritische Analyse
Praxis III: Schulreisen (Anzahl und Herkunft) Schulberichte, div. Quellen, Experteninterviews Quantitativ-deskriptive Statistik, quellenkritische Analyse
Bereich 3/Kapitel 5: Gebrauchsanalyse individuell – Vorstellung und Wahrnehmung
Mythos: individuelle Vorstellungen Kurzinterviews, Kurzfragebogen Qualitative Inhaltsanalyse, quantitativ-deskriptive Statistik
Denkmal: Wahrnehmung und Deutung (fotografisch, verbalisiert) Flickr-Fotoalben und andere Fotosequenzen; Kurzinterviews, Kurzfragebogen Quantifizierende und qualitative Bildinterpretation, qualitative Inhaltsanalyse
Bereich 4/Kapitel 6: Gebrauchsanalyse – kollektive und individuelle Interaktion
Praxis I: Anzahl und Soziodemografie der Individualbesuchenden Kurzfragebogen, Schifffahrtsfrequenzen, div. Quellen Quantitativ-deskriptive Statistik
Praxis II und III: Interaktion Besucherinnen, Besucher – Ort (diachron und synchron) Kurzinterviews, Beobachtung, Experteninterviews, div. Quellen Qualitative Inhaltsanalyse, quantitativ-deskriptive Statistik
Praxis IV: Motive und Emotionen von Individualbesuchenden Rütlibücher, Kurzinterviews Qualitative Inhaltsanalyse

Darstellung 5