Das Buch der Schurken

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MOBY DICK

AUTOR: Herman Melville

TITEL: Moby Dick oder Der Wal

(aus dem Amerikanischen von Matthias Jendis)

ORIGINALFASSUNG: 1851


»Aye, aye! Es war dieser verfluchte weiße Wal, der mir den Mast abgeschlagen hat, der aus mir bis ans Ende meiner Tage einen erbärmlichen, humpelnden Krüppel gemacht hat!« Darauf schüttelte er die Fäuste gen Himmel und schrie seine maßlosen Verwünschungen hinaus: »Aye, aye, und ich werd ihn ums Kap der Guten Hoffnung hetzen und auch ums Horn herum und um Norwegens Mahlstrom und durch die Flammen der Verdammnis, eh ich die Jagd verloren gebe. Und, Männer, das ist es, wofür ihr angeheuert habt! Diesen weißen Wal zu jagen, auf beiden Ozeanen, in allen Winkeln der Welt, bis schwarzes Blut er bläst und tot im Wasser treibt. (…)«

Man muss sich auch mal die andere Seite ansehen. Klar, diese gekränkten Männer und ihre Besessenheit von hungrigen Meerestieren haben etwas Lächerliches: dieser Captain Hook mit seinem Krokodil, dieser alte Mann im Meer auf der Jagd nach dem Riesenmarlin und durchaus auch dieser immer fanatischer werdende Kapitän Ahab. Sie können nicht gewinnen, aber sie müssen kämpfen, um ihre fehlenden Gliedmaßen zu rächen (oder auch einfach nur ihren Stolz zu befriedigen).

Aber trotzdem. Jetzt mal im Ernst: Moby Dick! Du Wal, du Weißer Wal du! Stellvertretend für die anderen Wassergenossen, die im Menschen einen irrationalen Tunnelblick auslösen, lass dir gesagt sein: Es ist ja verständlich, dass du nicht gejagt werden willst, und vor 150 Jahren hattest du auch noch keinen WWF, um dich zu schützen. Aber bitte, reiß dich zusammen, anstatt uns Menschen das Bein ab. Die ganze Umgebung leidet doch unter den ahabschen Gewaltobsessionen. Ismael, Starbuck, Queequeg – die müssen sich mit dem Mann ein Schiff teilen! Und das sind auch nur Säugetiere, so wie du.

Bliebest du doch wenigstens ein »Phantom des Lebens«, wie du an einer Stelle bezeichnet wirst, eine omnipräsente, doch ungreifbare, numinose Nemesis, ein dämonischer Teufel, der in Wahrheit nur in den Köpfen derer existiert, die dich jagen! Das wäre schon schurkisch genug.

Aber nein, du lässt dich auch noch aufspüren von der irre gewordenen Mannschaft: Absichtlich, könnte man dir unterstellen, lockst du sie in dein Revier, in die Höhle des Löwen sozusagen, nur bist du größer, lauter, dicker (tut mir leid, aber du hast »dick« schon im Namen!) und gefährlicher als ein Löwe. Und da sind sie dann und nähern sich dir, nicht wissend, was sie tun, stoßen sich an dir und kentern. Du hast kaum eine Flosse gerührt, hast dann nur ein bisschen das Schiff gerammt und dabei halt alle vernichtet. Hattest wohl nach dem Ahab-etitanreger noch Lust auf den Rest der Mahlzeit?

Wer den Wal hat, hat die Qual. Und wer ihn nicht hat, quält sich selbst. Es ist ein Wunder, dass sich nach dir Weißem Wal und deinem ideellen Nachkommen, dem »Weißen Hai«, noch irgendjemand ins Wasser traut. ■

GATTUNG: Pottwal

HERKUNFT: Kap der guten Hoffnung

FARBE: weiß

FIGUR: dick

LIEBLINGSSPEISE: Seemannshaxe

WAFFE: Paranoia

ERZFEIND: Kapitän Ahab

INSPIRATION: Mocha Dick

SCHIR KHAN

AUTOR: Rudyard Kipling

TITEL: Das Dschungelbuch

(aus dem Englischen von Gisbert Haefs)

ORIGINALFASSUNG: 1894


»(…) Was für dummes Zeug redest Du da von Deinem Belieben? Bei dem Ochsen, den ich soeben gewürgt habe, soll ich hier mit der Nase in der Höhle eines jämmerlichen Hundes stehen, um das zu verlangen, was mir gebührt? Es ist Khan, Schir Khan, der mit Dir spricht!«

Des Tigers Geheul erfüllte die Höhle mit rollendem Donner. Mutter Wolf schüttelte ihre Jungen von sich ab; sie sprang vorwärts, und ihre Augen, wie zwei grüne Mondsicheln, starrten auf die beiden glühenden Kohlen im gewaltigen Kopf von Schir Khan.

Vergesst den Disney-Film. Na gut, vergesst ihn nicht. Ihr könnt ihn nicht vergessen. Und die Geschichte à la Rudyard Kipling ist ja auch sehr Disney: Tiger trennt kleinen Jungen von seinen Eltern, macht ihn dadurch gewissermaßen zum Waisen und kann nicht verwinden, dass er ihn nicht auch erwischt hat. Kleiner Junge wächst bei Wölfen auf, tanzt fröhlich und wird von allen (Python eingeschlossen) gemocht, rächt sich schließlich in großem Showdown an Tiger.

Man könnte das natürlich auch so sehen: Vielleicht hatte Schir Khan einfach Hunger? Vielleicht ist sein Antagonismus ein Symbol für die Rache der Natur am Eingriff des Menschen? Nur so ein Gedanke, der natürlich nicht sehr Disney ist und, weiter zurückgedacht, auch nicht zu einem Autor passt, der Geschichten für den allerliebsten Liebling schreibt. Ein klassischer Bösewicht also, furchterregend und mit Gebrüll, aber auch typisch mit einem Handicap: einem gelähmten Bein.

Das Wort »schir« bedeutet »Tiger« auf Persisch, »khan« wiederum ist der Herrscher in diversen Paschtu-Sprachen. Manchmal jagt und tötet Schir Khan Menschen einfach so zum Zeitvertreib, wohl aber auch um anzugeben, denn bis auf den Schakal Tabaqui nimmt ihn seltsamerweise niemand im Dschungel so richtig ernst, obwohl er, von der eigenen Mutter als Lungri (»der Lahme«) verspottet, doch selbst der Meinung ist, der König der Tiere zu sein. Wieder ein Klassiker: das Kindheitstrauma, die narzisstische Kränkung.

So wird Maugli (auch Mowgli oder Mogli) also zu seiner Nemesis, und umgekehrt. Über die Jahre bereitet Schir Khan seinen großen Schlag vor, verspricht den jungen Wölfen Belohnungen für Mauglis Auslieferung und die Schwächung ihres Anführers Akela. Bevor es dazu jedoch kommen kann, enthüllt der kleine Mensch zwei Nachteile der großen Katze: Angst vor Feuer und – eine nachvollziehbare Schwäche – absolute Chancenlosigkeit gegen eine Horde Büffel. Und so heißt es in einer der letzten Maugli-Geschichten recht ungerührt: »Wegen Schir Khan brauchte sich niemand mehr Sorgen zu machen. Er lag breitgequetscht auf dem Boden und die Gabelweihen schossen pfeifend aus dem wolkenlosen Himmel, um ihre Beute zu beanspruchen.«

Und das ist nun wirklich nicht Disney. Disney ist: ein brennender Ast, an den Schwanz des panisch vor sich selbst davonlaufenden Tigers gebunden (Teil 1), oder ein Geier, der dem gedemütigten Raubtier auf die Nerven geht (Teil 2). ■

NAMENSBEDEUTUNG: Tigerkönig

GATTUNG: Tiger

HERKUNFT: Indien

BESONDERES KENNZEICHEN: Gehfehler

ACHILLESFERSEN: Feuer, Büffel

SIDEKICK: Tabaqui, der Schakal

LIEBLINGSSPEISE: Maugli

ERZFEIND: Maugli

BARON VON INNSTETTEN

AUTOR: Theodor Fontane

TITEL: Effi Briest

ORIGINALFASSUNG: 1896


»Wir sprachen da von Innstetten, und mit einem Male zog der alte Niemeyer seine Stirn in Falten, aber in Respekts- und Bewunderungsfalten, und sagte: ›Ja, der Baron! Das ist ein Mann von Charakter, ein Mann von Prinzipien.‹«

»Das ist er auch, Effi.«

»Gewiß. Und ich glaube, Niemeyer sagte nachher sogar, es sei auch ein Mann von Grundsätzen. Und das ist, glaube ich, noch etwas mehr. Ach, und ich … ich habe keine. Sieh, Mama, da liegt etwas, was mich quält und ängstigt. Er ist so lieb und gut gegen mich und so nachsichtig, aber … ich fürchte mich vor ihm.«

Zu Recht, wie sich herausstellen wird. Anfangs besteht das einzige Verbrechen des Herrn Baron darin, nun ja, ein bisschen langweilig zu sein. Er nimmt die jugendliche Effi Briest zur Frau – eine Ehe, die zwar nicht unbedingt ihre Idee war, der sie dann aber ganz aufgeregt entgegenblickt. Oh, jetzt darf sie Geert zu ihm sagen! Altersunterschied: 21 Jahre.

Dann passiert erst einmal ganz lange nichts. So lange, dass es eine Tortur ist. Und daran gibt der Leser, obwohl der noch nichts Böses getan hat, Innstetten die Schuld (obwohl der wahre Übeltäter hier wohl doch eher der Verfasser Theodor Fontane ist). Man bereist Orte mit spießig-deutschen Namen wie Hohen-Cremmen und Kressin, wo es gar Wichtiges zu tun gibt, aber für den Herrn und dessen Karriere, nicht für seine Frau. Die langweilt sich zu Tode (im übertragenen Sinne, nicht wörtlich, wie es einer anderen Dame dieser ländlichen Gesellschaft passierte), wird wie ein Kind behandelt, versucht aber, der Verbindung offensiv mit Liebe und Zärtlichkeit zu begegnen. Doch selbst dabei wird sie von ihrem gestrengen und gar formellen Gatten vernachlässigt. Immerhin, für ein Töchterchen reicht es.

Es muss also irgendwann so kommen: Effi hat eine kurze und von Gewissensbissen begleitete Affäre mit Major Cramps, einem ehemaligen Kommilitonen ihres Mannes. Die endet, als Innstetten ins Ministerium berufen wird und das Paar nach Berlin zieht. Halleluja, Berlin! Immerhin ein Großstadtleben, alles ist in Butter.

Freilich, Liebesbriefe tauchen auf. Nach sechs Jahren! Der Ehemann sauer: verständlich. Aber muss man gleich so reagieren? Den Nebenbuhler, mit dem längst nichts mehr läuft, abknallen, im ehrenhaften Duell? Und dann die Frau verbannen, ohne je wieder ein Wort mit ihr zu wechseln? Nicht etwa im Affekt, impulsiv, sondern eben wegen der oh fürchterbaren Prinzipien.

»Rache ist nichts Schönes, aber was Menschliches und hat ein natürlich menschliches Recht. So aber war alles einer Vorstellung, einem Begriff zuliebe, war eine gemachte Geschichte, eine halbe Komödie. Und diese Komödie muß ich nun fortsetzen und muß Effi wegschicken und sie ruinieren und mich mit.«

 

Aha. Nur dass er selbst sein verstocktes staatstragendes Leben weiterführt, während Effi vom Elternhaus verstoßen, der Tochter entfremdet und irgendwann todkrank wird. Prinzipienreiterei? Prinzipiell ziemlich übel, Herr Baron. ■

HERKUNFT: Deutschland

BERUF: Ministerialbeamter

POSITION: gehörnter Ehemann

HOBBYS: keine

STÄRKE: Prinzipientreue

SCHWÄCHE: Prinzipientreue

LIEBE: Papperlapapp

GEWISSEN: rein

PSYCHOPATHENINDEX: absolutes Mittelmaß

BESONDERE KENNZEICHEN: absolutes Mittelmaß

CAPTAIN HOOK

AUTOR: James Matthew Barrie

TITEL: Peter Pan

(aus dem Englischen von Ursula von Wiese)

ORIGINALFASSUNG: 1911


»Wer bist du, Fremder, sprich!« forderte Haken. »Ich bin Kapitän Haken!«

»Das bist du nicht, das bist du nicht«, schrie Haken heiser.

»Schockschwerenot«, erwiderte die Stimme, »sag das noch einmal, und du bekommst meine Klaue zu spüren.«

Prä-Disney haben sie ihn noch als Kapitän Haken ins Deutsche übertragen. Heute, post-Dustin-Hoffman, klingt diese Übersetzung nur noch absurd, das hat der übelste Bootsmann der Weltliteratur nicht verdient. Hook also. Captain James Hook. Wobei das – Überraschung! – nicht sein richtiger Name ist.

Richtig ist, dass er als Kommandant der Besatzung des Zweimasters Jolly Roger dient. Ein »nicht ganz unheldenhafter« Pirat im fantastischen Nimmerland (auch hier ist der Originalname Neverland bekannter), sieht er sich als Erzfeind Peter Pans, den er für einen Frechdachs hält und der ihn in den Wahnsinn treibt. Dass der kindische Peter ihm im Kampf eine Hand abschneidet, verschlechtert das Verhältnis zwischen ihnen nur unwesentlich. Die fehlende Hand wird von einem Krokodil gefressen und durch eine Eisenklaue ersetzt (was für ein Symbol: eine gefährliche Waffe als integrierter Körperteil!). Später, nachdem die letzte große Schlacht geschlagen ist, darf das hungrige Reptil sein »Captain’s Dinner« dann vollständig abschließen. In einem Er-oder-ich-Showdown siegt – ist ja doch eine Geschichte für Kinder – das Gute, das Kindliche. Bevor Hook in den Krokodilsrachen eintaucht, schafft er es gerade noch, ein weiteres Mal das ungebührliche Betragen Peter Pans zu bemängeln.

Trügerisch, das Auftreten des Kapitäns: Er hat in Eton studiert, wählt seine Worte selbst beim Fluchen sorgsam, weiß sich zu benehmen, gilt als einer der attraktivsten Männer, die man sich vorstellen kann (gleichzeitig aber auch als ein bisschen widerlich), und kleidet sich elegant. Vielleicht ist Hook der erste dieser glatten Gentleman-Bösewichte, deren Nachfolge Ende des vergangenen Jahrhunderts Hannibal Lecter antrat.

Im nimmerländischen Kontext ist das Mustertanzschulgehabe jedoch ein weiterer Hinweis auf die Niedertracht des Charakters: Für Peter Pan, den Jungen, der niemals erwachsen werden will, kann es keinen besseren Gegenspieler geben als einen, der befolgt, was die gesellschaftlichen Normen diktieren. In der Welt der Kinder ist der Erwachsene der Schurke. Der Vater von Peters Freundin Wendy, der prahlende Geschäftsmann Mr. Darling, wird denn auch in der von James Barrie sogar noch vor dem Roman verfassten Bühnenversion meist vom selben Darsteller verkörpert wie der grimmige Kapitän.

Interessant ist auch die Analogie zwischen Hook und einem anderen Kapitän, Herman Melvilles Ahab, die Verfasser Barrie ganz offen eingestand. Das Krokodil ist sozusagen Hooks Moby Dick. Nur die Sympathien sind jeweils unterschiedlich verteilt. Das Krokodil als Kapitalschurke hat es dafür erst im Kasperletheater an die Spitze geschafft. ■

BERUF: Schiffskapitän

FUNKTION: Spielverderber

AUGEN: zwei (blau)

LOCKEN: viele (dunkel)

HÄNDE: eine (links)

BENEHMEN: vorbildlich

LIEBLINGSGETRÄNK: Rache

LIEBLINGSTIER: jedenfalls kein Krokodil

ERZFEIND: Peter Pan

MRS. DANVERS

AUTORIN: Daphne du Maurier

TITEL: Rebecca

(aus dem Englischen von Karin von Schab)

ORIGINALFASSUNG: 1938


»Eine Gestalt löste sich aus der Menge, hager und groß, in tiefes Schwarz gekleidet; die hervorstehenden Backenknochen und tiefliegenden, großen Augen gaben ihrem pergamentenen Gesicht das Aussehen eines Totenschädels.

Rebecca ist tot. Ihre durchkalkulierte Schlechtheit hat sie an ihre Kinderfrau und spätere Haushälterin vererbt. Nach dem vermeintlichen Ertrinken ihrer Herrin wacht Mrs. Danvers mit leerem Ausdruck über das Gut Manderley in Cornwall, und als der Witwer Maximilian de Winter von einer Reise neu verheiratet zurückkehrt, schlägt das Rebecca-Syndrom bei ihr durch. Das Rebecca-Syndrom heißt natürlich gerade wegen Daphne du Mauriers Romans und dessen Verfilmung durch Alfred Hitchcock so. Es bezeichnet die Idealisierung einer nicht mehr anwesenden Person und die damit verbundene Verachtung ihrer Nachfolgerin: Während Rebeccas Name und Wesen über dieser Geschichte schwebt, erfahren wir von Mrs. de Winter II nicht einmal, wie sie mit Vornamen heißt.

Freilich scheint auch Mrs. Danvers keinen Vornamen zu haben. Ihre Fans nennen sie liebevoll Danny, wobei diese Gruppe nach Rebeccas Tod eigentlich nur deren Cousin und Liebhaber Jack Favell umfasst. Die Nachbarn, geschult in englischer Höflichkeit, bevorzugen den Ausdruck »Ach, diese erstaunliche Person«. Erstaunen erweckt auch dieses »Mrs.«: Eine Vergangenheit mit Ehe oder Familie ist bei dieser ergebenen Gottesanbeterin kaum vorstellbar. Hier ihre Übeltaten:

Sie lässt die Neue ihre Ablehnung deutlich spüren, vermittelt ihr erfolgreich die Illusion, ihr Mann liebe sie gar nicht, sondern hänge immer noch der verstorbenen Vorgängerin nach. Das ist so weit noch psychologisch nachvollziehbar und kann vom Leser auch als Überinterpretation der eingeschüchterten Ich-Erzählerin abgeschwächt werden.

Dann aber überredet Mrs. Danvers sie dazu, beim Kostümball die gleiche Verkleidung zu tragen wie Rebecca kurz vor ihrem Tode und sich damit den Unmut ihres Gatten zuzuziehen. »Ich werde niemals den Ausdruck in ihrem Gesicht vergessen. Eine boshafte Schadenfreude leuchtete aus ihren Augen. Das Gesicht eines frohlockenden Teufels! So stand sie da und lächelte mich an.«

Am Höhepunkt des Rebecca-Syndroms steht dann Mrs. Danvers’ unverblümter Vorschlag an die ungewollte Herrin, sich doch einfach das Leben zu nehmen. »Haben Sie keine Angst«, suggeriert sie ihr, »springen Sie.«

Und schließlich: Brandstiftung. Kaum ist klar, dass Rebecca perfide genug war, nicht nur ihren Mann zu hintergehen und ihre eigene Ermordung zu provozieren, sondern dabei auch die treue Danny nicht ins Vertrauen zu ziehen, entzündet sich die destruktive Leidenschaft der trockenen Alten zu Flammen, die Manderleys Pracht verschlingen.

Ob sie es überlebt? Laut Susan Hill, die 1993 eine Fortsetzung schrieb, ja. Da kehrt sie wieder, bringt einen Hauch Rebecca-Horror mit und lässt Leser- und Kritikerschaft den alten Albtraum wieder herbeiträumen. Der gute alte Hitchcock ließ Mrs. Danvers gnadenlos verbrennen. ■

VORNAME: unbekannt

SPITZNAME: Danny

FAMILIENSTAND: unerklärlich

BERUF: Haushälterin

PATHOLOGIE: Rebecca-Syndrom

AUGEN: hohl

ERZFEINDIN: die zweite Mrs. de Winter

FILMDARSTELLERIN: Judith Anderson


RAVANA

AUTOR: Vālmīki

TITEL: Ramayana

(aus dem Sanskrit von Claudia Schmölders)

ORIGINALFASSUNG: 2. Jh.


»Ich gewähre dir noch zwei Monate Bedenkzeit. Dann mußt du das Bett mit mir teilen. Wenn du dich weigerst, werden meine Köche deine Glieder mir zum Frühstück zerhacken!«

Das Böse hat viele Gesichter, heißt es. In diesem Fall sind es genau zehn. Der Anführer der Rakshasas, der dämonischen »Beschädiger« der indischen Mythologie, hat zehn Köpfe, die – damit das gleich geklärt ist – in Echsenmanier nachwachsen, wenn man sie ihm abschlägt.

Da es sich dieser durch und durch düstere Dämon also in alle zehn Köpfe gesetzt hat, seiner Schwester wegen an Altindiens perfektem Schwiegersohn Rama Rache zu üben – nicht etwa weil dieser sie geschändet, sondern eben weil er sie verschmäht hat – und Rama die entsandten »vierzehntausend Dämonen von schrecklicher Tatkraft« mit links (und unzähligen Pfeilen) abwehren konnte, hat Ravana nun Ramas Geliebte Sita in der Hand. In einer seiner Hände, genau genommen, denn er besitzt zwanzig davon. Herz hat er freilich nur eines, und mit diesem verliebt er sich in sein Opfer. Da Sita aber so treu ist (und somit neben dem Traumschwiegersohn eine Traumschwiegertochter darstellt), bleibt die königlichdämonische Begierde unerfüllt. Was Ravana nicht gerade entspannt in den finalen Kampf ziehen lässt.

Der Dämonenkönig ist einer dieser lauten, größenwahnsinnigen Bösewichte, die auf Masken mit grotesk verzerrter Mimik dargestellt werden und im Film wahrscheinlich Jack Nicholson wären. Einst vor dem großen Gott Brahma konnte er sich zwar zusammenreißen und höflich um Schutz vor allen Göttern und Dämonen bitten, vergaß aber vor lauter Überheblichkeit zu erwähnen, dass natürlich auch kein Mensch oder – in diesem Fall relevant – Affe ihm ein Leid antun können solle.

Das Ramayana ist neben dem etwa gleichzeitig entstandenen Mahabharata das älteste Epos Indiens, und die Überlieferungen unterscheiden sich zwischen Norden und Süden erheblich. Dass Ravana grundsätzlich ein übler Schurke ist, darin sind sich alle einig. Vereinzelt werden ihm jedoch seine Weisheit und Musikalität zugute gehalten.

Auf ihn geht etwa die Ravanahattha zurück, die Langhalsspießlaute, die in Indien von Straßenmusikern gespielt wird. Ravanahattha heißt »Ravana-Hand«, und die zwanzig Hände mögen nebst widerlichen Grapschüberfällen auch ein faszinierendes Streichorchester abgegeben haben.

Rama erhält seinerseits nicht nur Hilfe von einer Affenarmee, sondern ist auch von Natur aus göttlich und kann nach einem siebentägigen Kampf in Ravanas Königreich Lanka (geografisch heute Sri –) auf eine Wunderwaffe von Brahma himself zurückgreifen: einen zischenden Pfeil, der »eine Gestalt des Todes selbst, ein Sämann der Sorge« ist. Den richtet Rama auf das einzige Organ, das das verkopfte Böse noch einigermaßen im Zaum hält: das Herz. ■

THAILÄNDISCHER NAME: Thosakanth

HERKUNFT: (Sri) Lanka

BERUF: Dämon / König

KÖPFE: zehn

HÄNDE: zwanzig

HOBBY: Musik

BANDNAME: die Rakshasas

OBJEKT DER BEGIERDE: Sita

LIEBLINGSSPEISE: Sita

ERZFEIND: Rama

MANFRED VON OTRANTO

AUTOR: Horace Walpole

TITEL: Das Schloß Otranto – Ein Schauerroman

(aus dem Englischen von Hans Wolf)

ORIGINALFASSUNG: 1764


»Ich sage euch«, versetzte Manfred gebieterisch, »Hippolita ist nicht mehr mein Weib; von Stund an bin ich von ihr geschieden. Gar zu lang war ich gestraft mit ihrer Unfruchtbarkeit. Mein Schicksal hängt daran, Söhne zu haben, und die heutige Nacht wird meinen Hoffnungen gewißlich ein neues Datum geben.«

Bei diesen Worten ergriff er Isabellas kalte Hand; die Jungfer war vor Furcht und Entsetzen halb tot.

Es gibt verschiedene Obsessionen: Die einen haben einen Ordnungsfimmel, andere können nicht aufhören zu rauchen. Fürst Manfred von Otranto ist besessen davon, seine Erblinie zu sichern, und das geht nur mit männlichen Nachkommen. Die eigene Ehegattin, die ihn wegen ihrer mangelnden Fruchtbarkeit nervt, hat ihm eine Tochter und immerhin einen Sohn geboren. Als der jedoch die vertraglich vereinbarte Eheschließung mit der lieblichen Isabella eingehen soll, erschlägt ihn ein alter Helm. Aus Panik vor dem Abbruch der Erblinie, vielleicht aber auch einfach aus geifernder Lustgreisigkeit jagt Manfred fortan also selbst der Fast-Schwiegertochter nach.

 

Der Tod seines eigenen Sohnes entlarvt Manfred als herzlos selbst der eigenen Familie gegenüber. Der Verlust ruft nicht wirklich Trauer hervor, eher eine gereizte Ungeduld, die ihn übereilte Todesurteile aussprechen, die Ehefrau verstoßen und die Tochter zuerst irritiert ignorieren und dann – wenn auch aus einem Missverständnis heraus – erstechen lässt. Lange Zeit ist ein überdimensionaler Helm der einzig ernst zu nehmende Gegenspieler des berserkerischen Amokregenten.

Im zu dieser Zeit gerade erst entstehenden Genre des Schauerromans ist dieser Diktator ein zu besonderer Gefährlichkeit aufgeblasener Bösewicht, den aber in erster Linie Schwächen wie Angst und Neid umtreiben. »Hitzig«, »in Zorn geratend« und »sich die Stirne streichend« finden wir ihn in Horace Walpoles Beschreibung die meiste Zeit vor. Am Ende bereut Manfred von Otranto alles ganz schrecklich, ist sein Fürstentum aufgrund abenteuerlicher Deus-exmachina-Gegebenheiten aber natürlich trotzdem los. Der wahre Herrscher Otrantos heiratet die verzagte Schließlich-doch-noch-Braut.

Ein liebenswerter Schurke der ganz eigenen Art ist hier übrigens Autor Horace Walpole selbst. Der Sohn des damaligen Premierministers erlaubte sich anno 1764 einen kleinen Scherz. Eine »ganz und gar italiänische« Geschichte behauptete er entdeckt zu haben, die ein Mönch namens Onuphrio Muralto verfasst und ein gewisser William Marshal ins Englische übertragen habe. Als seine Schlossgespenststory sich dann eines riesigen Erfolgs erfreute, ging die Eitelkeit mir Signore Walpole durch: Er bekannte sich zu dem Schwindel und brüstete sich damit, die gothic novel erfunden zu haben. Der nicht sonderlich italienisch klingende Name Manfred hätte manchen Leser dabei stutzig machen können. Oder doch nicht? Von 1258 bis 1266 gab es tatsächlich einen König von Sizilien namens Manfredi di Hohenstaufen. ■

HERKUNFT: Italien

BERUF: Schlossherr und Fürst

PATHOLOGIE: Fluchflüchter

TEMPERATUR: hitzig

GOTTESFURCHT: PSYCHOPATHENFAKTOR: ERZFEIND: ein alter Helm VORBILD: König Manfred von Sizilien FAN: Jan Švankmajer

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