Ein tödliches Komplott

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Die Bus­fahrt zu­rück nach Port­land mach­te sich Vi­vi­an ei­ni­ge Ge­dan­ken zu dem al­ten Mann, den sie bis in die graue Vor­stadt ver­folgt hat­te. Das konn­te de­fi­ni­tiv kein Agent des SNB sein, es sei denn er hat­te die fast per­fek­te Tar­nung. Die gan­ze Fahrt über mach­te sie sich die ver­schie­dens­ten Ge­dan­ken und ent­warf in ih­rem Kopf ein paar mög­li­che Sze­na­ri­en. Trotz­dem muss­te sie da­von aus­ge­hen wie­der je­man­den ver­folgt zu ha­ben, der nur einen klei­nen Auf­trag er­le­dig­te. Die ers­te Ver­fol­gung führ­te sie auch nur zu Tia­na die, wie sie selbst ei­ni­ge Auf­trä­ge für das SNB er­le­di­gen durf­te. An die Or­ga­ni­sa­ti­on war schein­bar kein her­an­kom­men.

In der In­nen­stadt wisch­te sie die ne­ga­ti­ven Ge­dan­ken bei­sei­te und kon­zen­trier­te sich auf ih­ren Auf­trag. Sie be­trat das Ver­wal­tungs­ge­bäu­de und nahm den Fahr­stuhl bis in die 14. Eta­ge. Dort wand­te sie sich nach links und folg­te dem Gang bis zur Feu­er­trep­pe an der Au­ßen­sei­te. Dort war der Kas­ten des Was­ser­schlauchs, des­sen Ver­schluss be­reits ge­öff­net war. Noch ein­mal blick­te sie sich um, ob sie nie­mand be­ob­ach­te­te, aber nie­mand be­ach­te­te die jun­ge Frau. Vi­vi­an öff­ne­te den Kas­ten und sah das in hell­blau­en Plas­tik ein­ge­schla­ge­ne Pa­ket dar­in lie­gen. Sie nahm es in die Hand und ließ es un­ter ih­rer dün­nen Ja­cke ver­schwin­den. Mit dem Obe­r­arm press­te sie es un­ter ih­re Ach­sel und ging zu­rück zum Auf­zug. Erst dort ver­stau­te sie das Päck­chen in ih­rem hin­te­ren Ho­sen­bund. So ver­ließ sie das Bü­ro­ge­bäu­de und ging hin­über zu dem Re­stau­rant, in dem sie schon den hal­b­en Tag auf der Lau­er lag. Die­ses Mal nahm sie sich einen Tisch im In­nen­raum. Den Kell­ner ließ sie nur ein Er­fri­schungs­ge­tränk brin­gen.

Als es vor ihr auf dem Tisch stand, nahm sie einen tie­fen Schluck aus dem Glas. Dann stand sie auf und ver­schwand auf der Toi­let­te. Vi­vi­an schloss sich in ei­ner Ka­bi­ne ein und be­frei­te das Pa­ket. Sie setz­te sich auf den Thron und be­trach­te­te das Päck­chen in ih­rer Hand. Es war nicht be­son­ders groß und wog auch nur ei­ni­ge hun­dert Gramm. Sie woll­te end­lich wis­sen, was sie da trans­por­tier­ten, wenn sie schon nicht her­aus­fin­den konn­ten, wer hin­ter der Or­ga­ni­sa­ti­on steck­te. Mit feuch­ten Hän­den zog sie die di­cke Plas­tik­fo­lie auf die Sei­te. Heraus kam ein wei­ßer Block in der Grö­ße ei­ner Han­dypa­ckung, der er­neut mit ei­ner durch­sich­ti­gen Zel­lo­phan­hül­le um­hüllt war. Das in­ne­re sah aus wie gro­bes Meer­salz, was man zu ei­nem Block zu­sam­men­ge­presst hat­te. So­fort schoss ihr ein un­an­ge­neh­mer Ge­dan­ke in den Kopf. Sie und ih­re Freun­din trans­por­tier­ten Dro­gen für ei­ne an­geb­li­che Bun­des­be­hör­de durch die Stadt.

Sie konn­te die­ses Päck­chen nicht ein­fach blind­lings ab­lie­fern, als ob sie nichts ge­se­hen hät­te. Aber wür­de man sie aus den Au­gen ge­las­sen ha­ben? Wer im­mer auch da­hin­ter­steck­te, muss­te ein In­ter­es­se dar­an ha­ben, die­ses Pa­ket an sei­nen Be­stim­mungs­ort zu brin­gen und den Ku­ri­er wahr­schein­lich über­wa­chen. Vi­vi­an brauch­te auf der Stel­le einen Aus­weich­plan. Sie ent­schied sich da­für, das Päck­chen im Spül­kas­ten des Re­stau­rants zu­rück­zu­las­sen und ein Kauf­haus in der In­nen­stadt auf­zu­su­chen, um dort einen Er­satz zu er­wer­ben, den sie dann ab­lie­fern konn­te. Oh­ne das Pa­ket wei­ter mit sich her­um­zu­tra­gen setz­te sie sich wie­der an ih­ren Tisch. Aus den Au­gen­win­keln ach­te­te sie auf die Per­so­nen um sie her­um.

Nach ei­ni­ger Zeit, ihr Ge­tränk war be­reits leer war sie sie si­cher nicht be­ob­ach­tet zu wer­den. Vi­vi­an be­zahl­te und ver­ließ das Re­stau­rant. Sie nahm Kurs auf einen großen Su­per­markt, im­mer dar­auf ach­tend, dass nie­mand ihr folg­te. Mehr­fach sah sie sich un­si­cher um. Aber je mehr Men­schen sie auch be­ach­te­te, konn­te sie nie­man­den aus­ma­chen, der ihr folg­te. In dem Ver­kaufs­haus an­ge­kom­men steu­er­te sie die Ab­tei­lung mit den Ge­wür­zen an. Sie brauch­te et­was Ver­gleich­ba­res zu dem Pul­ver in der Pa­ckung. Gro­bes Meer­salz war ihr deut­lich zu teu­er, denn die Men­ge, die sie be­nö­tig­te, wür­den ih­re fi­nan­zi­el­len Mög­lich­kei­ten deut­lich über­schrei­ten. Nach ei­ni­gem Um­se­hen fand sie ein Sü­ßungs­mit­tel mit der glei­chen Tex­tur. Zu ih­rem Glück war die­ses Pul­ver auch noch im An­ge­bot. Für klei­nes Geld kauf­te sie sich zwei Pa­ckun­gen da­von. Das nächs­te Ziel war die Zu­be­hör­ab­tei­lung um Plas­tik­beu­tel zu er­ste­hen. Al­les, was sie dann noch brauch­te, war bläu­li­che Plas­tik­fo­lie. Die gab es zum Glück über­all zu kau­fen.

Mit den aus­ge­such­ten Sa­chen steu­er­te sie die Kas­se an und be­zahl­te sie ord­nungs­ge­mäß. Zu­sätz­lich steck­te sie al­les zu­sam­men in ei­ne Tra­ge­tü­te und mach­te sich auf den Weg zu ih­rer Woh­nung. Im­mer wie­der blick­te sie sich deut­lich ner­vös um, aber es war nie­mand zu se­hen, der ihr folg­te. Erst als ih­re Woh­nungs­tür hin­ter ins Schloss fiel und sie die Ket­te vor­leg­te, fühl­te sie sich si­cher. Oh­ne Um­schwei­fe setz­te sie sich an ih­ren Kü­chen­tisch und prä­pa­rier­te das ab­zu­lie­fern­de Päck­chen, wie sie es im Re­stau­rant zu­rück­ge­las­sen hat­te. Als sie da­mit fer­tig war, steck­te sie es wie­der in den hin­te­ren Ho­sen­bund und ver­ließ ih­re Woh­nung zum vor­ge­schrie­be­nen Lie­fer­ort.

7. Kapitel
Bahamas, Nassau

Nach ei­nem lan­gen Tag im Bü­ro hat­ten es sich die bei­den Müt­ter Leo­nie und Do­lo­res ge­müt­lich ge­macht. Die bei­den Mäd­chen toll­ten wie ge­wöhn­lich in ih­rem Pool her­um. Mi­cha­el war noch un­ter­wegs, um ei­ni­ge Be­sor­gun­gen zu ma­chen. Es war erst früh am Nach­mit­tag, aber Do­lo­res wuss­te, was noch auf sie war­ten wür­de. Die­se Wo­che muss­te sie wie­der auf ih­rem pri­va­ten Schieß­stand be­ste­hen. Sie hat­te, mit Mi­cha­el aus­ge­macht ih­re Pro­ble­me zu be­sei­ti­gen. Da­zu ge­hör­te ein ex­tre­mes Fit­ness­pro­gramm und Lek­tio­nen was den Um­gang mit Waf­fen un­ter Stress be­traf. In den letz­ten Wo­chen war sie je­den Tag vie­le Ki­lo­me­ter an der Sei­te des ehe­ma­li­gen Bo­dy­guards ge­rannt, hat­te Ge­wich­te ge­stemmt und sich im­mer wie­der völ­lig ver­aus­gabt. Sie hät­te nie ge­dacht, dass der eher über­ge­wich­ti­ge Mi­cha­el in so ei­ner Form sein konn­te. Er hat­te je­de Übung mit ihr mit­ge­macht und doch noch zu Scher­zen auf­ge­legt.

Va­le­ria und ih­re Halb­schwes­ter wa­ren schon die hal­be Wo­che bes­ter Lau­ne. Wäh­rend sie bei ih­ren ge­lieb­ten Pfer­den weil­te, durf­te ih­re Halb­schwes­ter un­ter Auf­sicht im Gar­ten auf Ge­mü­se und Früch­te an­le­gen. Die Müt­ter wech­sel­ten sich ab mit den bei­den. Emi­lia hat­te vie­le Tipps von ih­rer Mut­ter über­nom­men und wur­de im­mer bes­ser. Mi­cha­el hat­te sich für heu­te et­was Be­son­de­res für sei­ne Toch­ter aus­ge­dacht. Da Va­le­ria die meis­te Zeit auf ei­nem im­mer wie­der wech­seln­den Pony ver­brach­te, hat­ten die El­tern zu­sam­men ent­schie­den, ihr ei­ne Reit­be­tei­li­gung zu kau­fen. Micha hat­te sich be­reit er­klärt al­les da­für in die We­ge zu lei­ten und An­ge­bo­te ein­zu­ho­len. Ent­schei­den muss­te dann die klei­ne Va­le­ria al­lei­ne. Sie woll­ten ihr nicht vor­schrei­ben, auf wel­chem Pony sie rei­ten soll­te. Die klei­ne muss­te mit dem Gaul auch zu­recht­kom­men. Letz­ten En­des war es ih­re Ent­schei­dung.

Die bei­den nack­ten jun­gen Mäd­chen war­te­ten be­reits un­ge­dul­dig auf ih­ren Va­ter. Als er end­lich mit zwei di­cken Ein­kauf­tü­ten durch die Tür kam, wa­ren die bei­den nicht mehr zu hal­ten. Seit sie ih­re Hob­bys hat­ten, de­nen sie fast täg­lich ex­zes­siv nach­gin­gen, muss­ten sie auch fast nicht mehr in der Kü­che hel­fen. Mitt­ler­wei­le fehl­te es ih­nen schon ein biss­chen, was sie na­tür­lich nicht zu­ge­ben woll­ten. Aber es war aus­ge­macht, dass sie zu­sam­men mit Va­le­ria in den Reit­stall fah­ren wür­den, wenn Mi­cha­el die Ein­käu­fe weg­ge­räumt hat­te. Do­lo­res Toch­ter hat­te mit ih­rer Schwes­ter ver­ab­re­det so gut sie konn­ten zu hel­fen, da­mit sie so schnell wie mög­lich in den Reit­stall kam. Die Be­grü­ßung fiel trotz­dem wie im­mer aus. Die bei­den klei­nen Mäd­chen um­arm­ten ih­ren Va­ter, der je­des Mal ex­tra auf die Knie ging und den bei­den einen di­cken Kuss gab.

»Hal­lo ihr bei­den Zau­ber­mäu­se. Ihr könnt es wohl kaum noch er­war­ten end­lich hier weg­zu­kom­men«, lach­te er als er die bei­den im Arm hat­te.

Na­tür­lich wa­ren die bei­den nicht mehr zu hal­ten. Sie hat­ten schon den hal­b­en Tag auf ex­akt die­sen Mo­ment ge­war­tet. Dement­spre­chend mach­ten sich die drei auch gleich dar­an, die Le­bens­mit­tel weg­zuräu­men. Die bei­den Müt­ter be­ob­ach­te­ten la­chend wie die bei­den Mäd­chen die Tü­ten aus­räum­ten und Mi­cha­el al­les an­reich­ten, der es dann in den Schrän­ken ver­stau­te. Die bei­den Mäd­chen hat­ten be­reits schon nach dem Früh­stück ih­re Klei­der be­reit­ge­legt, die sie am Nach­mit­tag an­zie­hen woll­ten. Va­le­ria hat­te na­tür­lich ih­re Rei­ter­aus­rüs­tung be­reit­ge­legt. Emi­lia be­gnüg­te sich mit ei­nem kur­z­en Som­mer­kleid. Nach­dem die bei­den Tü­ten leer wa­ren, rann­ten die bei­den in ihr Zim­mer und zo­gen sich an.

Wäh­rend­des­sen in­for­mier­te Mi­cha­el sei­ne bei­den Frau­en über ei­ne klei­ne Än­de­rung in ih­ren Plä­nen. Nach­dem er sich die Prei­se ei­ner Reit­be­tei­li­gung auf den ver­schie­de­nen Po­nys an­ge­se­hen hat­te, kam er zu dem Schluss, dass sich das nicht im Ge­rings­ten rech­ne­te. Statt­des­sen hat­te er sich nach Po­nys zum Kau­fen um­ge­se­hen und ei­ni­ge ge­fun­den, die gar nicht so teu­er wa­ren. Da­von wuss­te Va­le­ria na­tür­lich noch nichts. Statt ei­ner Reit­be­tei­li­gung be­kam sie ein ei­ge­nes Pferd und durf­te selbst Reit­be­tei­li­gun­gen an­bie­ten. Va­le­ria er­fuhr das al­ler­dings erst, als sie schon un­ter­wegs wa­ren. Sie kann­te den Weg zu ih­rem Reit­stall schon im Schlaf und merk­te so­fort, dass Mi­cha­el nicht da­hin fuhr. Sie be­schwer­te sich laut­stark, weil sie nicht län­ger war­ten woll­te.

 

Erst dann er­klär­te ihr Mi­cha­el, dass er ein ei­ge­nes Pony für sei­ne Toch­ter kau­fen woll­te, statt je­den Mo­nat ei­ne Reit­be­tei­li­gung zu fi­nan­zie­ren. Die paar Tau­send Dol­lar die er da­für aus­ge­ben muss­te wür­den sich schon nach kur­z­er Zeit amor­ti­sie­ren. Au­ßer­dem hat­te Va­le­ria so im­mer ihr ei­ge­nes Pferd, auf dem sie rei­ten konn­te, wann sie woll­te. Emi­lia freu­te sich für ih­re Halb­schwes­ter, denn sie be­kam eben­falls ei­ne Über­ra­schung, wie ihr Mi­cha­el ver­sprach. Do­lo­res hoff­te, dass ih­re Toch­ter lan­ge ge­nug brau­chen wür­de, sich ein Pony aus­zu­su­chen. Je län­ger ih­re Klei­ne da­für be­nö­tig­te, um­so we­ni­ger Zeit wür­de für sie und Mi­cha­el auf dem Trai­nings­ge­län­de üb­rig blei­ben. Das war al­ler­dings ver­ge­bens, denn gleich das ers­te Pony, was sie sich an­schau­te, ge­fiel der Klei­nen so gut, dass sie am liebs­ten di­rekt dar­auf sit­zen ge­blie­ben wä­re.

Das Pony wür­de erst am nächs­ten Tag in den Stall auf dem Rei­ter­hof ge­bracht wer­den, was be­deu­te­te, dass Va­le­ria heu­te noch ein letz­tes Mal auf ei­nem Übungs­po­ny Platz neh­men muss­te. Leo­nie wür­de heu­te bei ihr blei­ben wäh­rend Micha und Do­lo­res zu Hau­se trai­nier­ten. Ih­re nächs­te Lehr­stun­de bei François Pier­lot in Ly­on wür­de erst nächs­ten Mo­nat statt­fin­den. So lan­ge trai­nier­te sie al­lei­ne im Gar­ten hin­ter dem neu ge­bau­ten Haus der Fa­mi­lie. Mi­cha­el setz­te die bei­den am Rei­ter­hof ab, wünsch­te ih­nen viel Spaß und mach­te sich dann mit Emi­lia und Do­lo­res wie­der auf den Rück­weg. Die Klei­ne bohr­te bei ih­rem Va­ter nach, was er sich als Über­ra­schung für sie aus­ge­dacht hat­te. Er bat sie zu war­ten bis sie zu Hau­se wa­ren. Sie ge­dul­de­te sich noch die paar Mi­nu­ten. Do­lo­res war nicht ge­ra­de so be­geis­tert. Sie hat­te ge­hofft, dass die­se Ak­ti­on deut­lich mehr Zeit in An­spruch neh­men wür­de.

Als der Mo­tor des großen SUV auf dem Park­platz vor ih­rem Haus erstarb, dreh­te sich Mi­cha­el zu sei­ner Toch­ter um und bat sie nicht so­fort ins Haus zu ren­nen. Er stell­te sich vor den Kof­fer­raum, drück­te sei­ner Toch­ter den Schlüs­sel in die Hand und sag­te, »Dein Ge­schenk liegt im Kof­fer­raum. Du machst ihn auf und darfst dir dann dein Ge­schenk neh­men.«

Die klei­ne be­kam leuch­ten­de Au­gen und Do­lo­res mach­te ein über­rasch­tes Ge­sicht. Sie hat­te eben­so wie Leo­nie kei­ne Idee, was er sich hat­te ein­fal­len las­sen. Emi­lia drück­te auf den Knopf der Fern­be­die­nung. Die Heck­klap­pe fuhr nach oben und im Ge­päck­raum des Fahr­zeugs kam ein schwar­zer Plas­tik­kof­fer zum Vor­schein. Emi­lia griff so­fort zu und rann­te da­mit ins Haus. Als sie ver­schwun­den war, frag­te Do­lo­res, »Was ist da drin?«

Micha be­gann zu la­chen, »Ich ha­be bei François ei­ne Klei­nig­keit für sie be­stellt. Es ist ei­ne Son­der­an­fer­ti­gung für Emi­lia. Ei­ne Faust­feu­er­waf­fe, die ex­akt die glei­chen Kü­gel­chen ver­schießt wie ihr Luft­ge­wehr. Al­ler­dings ist der Rück­stoß wohl noch ein biss­chen zu stark für ih­re zar­ten Hän­de und auf ei­ne ge­wis­se Ent­fer­nung ist das Din­gen so­gar töd­lich, wie er sag­te. Kam be­reits vor drei Ta­gen hier an und ich ha­be es erst heu­te ab­ge­holt. Leo­nie weiß auch noch nichts da­von.«

»Du bist völ­lig ver­rückt, mein Schatz«, grins­te sie ihn an und gab ihm einen Kuss.

Mi­cha­el nahm Do­lo­res in den Arm und flüs­ter­te, »Na­tür­lich bin ich ver­rückt. Das soll­te ei­gent­lich nie­man­den mehr über­ra­schen. Wer mit gleich vier Frau­en un­ter ei­nem Dach lebt, muss to­tal ver­rückt sein!«

Dol­ly ver­setz­te ihm einen klei­nen Schlag auf den Obe­r­arm und ging mit ihm ins Haus. Emi­lia hat­te den Kof­fer be­reits auf dem So­fa ab­ge­legt und ge­öff­net. Sie konn­te nicht glau­ben, was ihr Va­ter da für sie be­sorgt hat­te. Die Pis­to­le sah fast ge­nau­so aus wie die Dienst­waf­fen der Agen­ten. Der Lauf war na­tür­lich ent­spre­chend des Ka­li­bers deut­lich klei­ner, aber es sah fast aus wie ei­ne Ech­te. In dem Kof­fer la­gen so­gar noch vier Ma­ga­zi­ne für die Waf­fe, die sie erst la­den muss­te. Al­ler­dings funk­tio­nier­te die Waf­fe nur mit ei­nem ge­wis­sen Luft­druck. Da­für brauch­te sie hin­ten am Ver­schluss ei­ne Gas­pa­tro­ne, die al­ler­dings nicht ein­ge­packt wa­ren. Mi­cha­el wuss­te das und hat­te ex­tra noch ein paar da­von be­sorgt. Das Trai­ning, was Do­lo­res noch be­vor­stand, wur­de eher zum Trai­ning für Emi­lia, die mit der Waf­fe in der Hand die glei­chen Übun­gen wie die bei­den Er­wach­se­nen ab­sol­vie­ren durf­te.

Al­ler­dings war der Rück­stoß für die klei­ne Emi­lia schwer zu kon­trol­lie­ren. Bei ih­rem Luft­ge­wehr fing das ih­re schma­le Schul­ter auf, aber bei der Faust­feu­er­waf­fe muss­ten ih­re Ar­me das al­les ab­fe­dern. Nach nicht ein­mal ei­ner Stun­de muss­te sie un­ter Trä­nen auf­hö­ren. Ihr ta­ten furcht­bar die Ar­me weh und sie konn­te ein­fach nicht mehr da­mit feu­ern. Micha muss­te sei­ne Toch­ter trös­ten und ihr ver­spre­chen, dass er mit ihr üben wür­de, da­mit sie län­ger da­mit schie­ßen konn­te. Do­lo­res ging zu­rück ins Haus und nahm die ex­tra ge­kauf­te Knall­waf­fe mit nach drau­ßen. Da­mit konn­te sie zu­min­dest mit den bei­den trai­nie­ren, was ihr be­deu­tend mehr Spaß mach­te als Do­lo­res. Aber auch sie er­kann­te einen Vor­teil für sich dar­in. Da Emi­lia mit den bei­den un­ter­wegs war, fiel ihr Trai­ning nicht ganz so hart aus.

Nach et­was mehr als drei Stun­den be­en­de­ten sie das Schieß­trai­ning. Micha hat­te sich aber für den Ab­schluss noch et­was Be­son­de­res für die jüngs­te aus­ge­dacht. Zum ers­ten Mal durf­te sie mit der Waf­fe ih­res Va­ters auf ein ex­tra auf­ge­stell­tes Ziel schie­ßen. Da­zu leg­te sie sich auf der Ter­ras­se auf ei­ne Un­ter­la­ge und rich­te­te die Glock 17 ih­res Va­ters nach vor­ne. Micha knie­te sich mit den bei­den Bei­nen ne­ben den klei­nen Kör­per und lehn­te sich nach vor­ne. Da Emi­lia den Rück­stoß ei­ner ech­ten Waf­fe auf kei­nen Fall hal­ten konn­te, stütz­te er ih­re klei­nen Hän­de. Sie muss­te zie­len und al­lei­ne ab­drücken, er wür­de nur den Rück­stoß ab­fe­dern.

Für sei­ne Toch­ter war das ein ab­so­lu­tes High­light. Das ers­te Mal, mit ei­ner schar­fen Waf­fe auf ei­ne Ziel­schei­be an­zu­le­gen war et­was Be­son­de­res. Mi­cha­el zog ih­ren Ge­hör­schutz, den sie al­le tru­gen auf die Sei­te und gab ihr ei­ni­ge Tipps. Sie durf­te ins­ge­samt fünf Schüs­se ab­feu­ern. Micha über­nahm nur das Ab­fe­dern für sei­ne Toch­ter. Sie war be­geis­tert. Die Schüs­se, die sie ab­feu­er­te, tra­fen al­ler­dings nicht das auf­ge­stell­te Ziel, son­dern lan­de­ten deut­lich da­ne­ben. Ei­ne ech­te Waf­fe war eben doch et­was an­de­res als ih­re Übungs­waf­fen. Trotz­dem woll­te sie gar nicht mehr da­mit auf­hö­ren. Micha ließ sich nicht er­wei­chen ihr mehr als fünf Ver­su­che zu ge­neh­mi­gen.

Wäh­rend die Er­wach­se­nen hin­ter ihr die bei­den Dienst­waf­fen rei­nig­ten, durf­te sie mit ih­rem Luft­ge­wehr üben. Emi­lia kam wirk­lich nach Leo­nie. Am liebs­ten wür­de sie abends ihr Ge­wehr mit ins Bett neh­men. Al­ler­dings be­stan­den ih­re El­tern dar­auf, die Waf­fen un­ge­la­den in ih­rem ei­ge­nen Waf­fen­schrank ein­zu­schlie­ßen. Den Schlüs­sel muss­te sie je­den Abend ab­lie­fern be­vor sie ins Bett ging. Aber da der Schrank in ih­rem Kin­der­zim­mer stand, hat­te sie ih­re Schät­ze die gan­ze Nacht im Au­ge. Va­le­ria hat­te ex­tra ein Re­gal be­kom­men, in dem ih­re Reit­sa­chen einen ei­ge­nen Platz hat­ten. So hat­ten bei­de Mäd­chen das wich­tigs­te im­mer im Blick, wenn sie in ih­rem Zim­mer wa­ren.

Als Leo­nie an­rief um sie und Va­le­ria vom Rei­ter­hof ab­zu­ho­len nahm sich Do­lo­res die Au­to­schlüs­sel und mach­te sich auf den Weg. Micha wür­de in der Zwi­schen­zeit an­fan­gen zu ko­chen. Völ­lig un­er­war­tet half ihm sei­ne Toch­ter beim Ko­chen. Das war ih­re Art sich noch ein­mal bei ih­rem Va­ter zu be­dan­ken. Ob­wohl sie es ei­gent­lich nicht muss­te und moch­te, half sie ih­rem Va­ter in der Kü­che. Als Dol­ly mit den bei­den an­de­ren Fa­mi­li­en­mit­glie­dern an­kam, hat­ten sich Va­ter und Toch­ter ein biss­chen Mu­sik an­ge­macht und tanz­ten durch die Kü­che. Es roch be­reits nach frisch ge­koch­tem Es­sen. Leo­nie hat­te schon auf der Fahrt er­fah­ren, was Emi­lia be­kom­men hat­te und woll­te sich die neue Waf­fe un­be­dingt an­schau­en.

Die von François her­ge­stell­te Hand­feu­er­waf­fe sah ei­ner Dienst­waf­fe der Agen­ten täu­schend ähn­lich und glänz­te in schwar­zem Lack. Ei­gens für die jüngs­te be­saß sie meh­re­re Gra­vu­ren mit den Buch­sta­ben EK. Selbst der Griff war auf bei­den Sei­ten da­mit ver­ziert. In dem Kof­fer la­gen die vier Ma­ga­zi­ne, die je­weils 40 der klei­nen Stahl­ku­geln fas­sen konn­ten und ein Zer­ti­fi­kat. Es war ein Ein­zel­stück und ex­tra für die klei­ne Emi­lia her­ge­stellt. Leo­nie frag­te bei ih­rer Toch­ter nach, ob sie es ihr er­laub­te ei­ni­ge Stahl­ku­geln dar­aus ab­zu­feu­ern. Na­tür­lich stimm­te ih­re Toch­ter zu und folg­te ih­rer Mut­ter nach drau­ßen. Leo­nie leg­te ein Ma­ga­zin ein und gab ei­ni­ge Schüs­se dar­aus ab. Es fühl­te sich fast an wie ih­re Dienst­waf­fe, nur der Rück­stoß war deut­lich klei­ner als bei ei­ner ech­ten Waf­fe. Trotz­dem hat­te die klei­ne Stahl­ku­gel, die aus dem Lauf flog, so viel ki­ne­ti­sche Ener­gie, um je­man­den ernst­haft zu ver­let­zen. Nach­dem Emi­lia auch noch er­zähl­te aus der Dienst­waf­fe ih­res Va­ters ei­ni­ge Schüs­se ab­ge­ge­ben zu ha­ben war Leo­nie sicht­lich stolz auf ih­re Toch­ter.

Beim Abendes­sen gab es un­ter­schied­li­che The­men am Tisch. Va­le­ria freu­te sich wie an Weih­nach­ten über ihr neu­es Pony, das ab mor­gen im Stall ste­hen wür­de. Mi­cha­el muss­te sein Ver­spre­chen Emi­lia zu trai­nie­ren noch ein­mal be­stä­ti­gen. Für die bei­den Mäd­chen war der Tag un­ver­ge­ss­lich. Wie­der ein­mal hat­ten sie bei­de et­was Ein­zig­ar­ti­ges be­kom­men. Leo­nie hat­te al­ler­dings noch ei­ne Idee für den Abend. Sie warf die Idee in den Raum, die bei­den Mäd­chen ei­ni­ge Ku­geln aus ei­nem ih­rer Ge­weh­re ab­feu­ern zu las­sen. Emi­lia war so­fort Feu­er und Flam­me, wäh­rend Va­le­ria nicht so be­geis­tert war. Sie hat­te ein­fach kei­nen Spaß an Waf­fen und woll­te das auch nicht. Al­ler­dings woll­te sie ih­rer Halb­schwes­ter die­se Mög­lich­keit auch nicht ver­weh­ren. Dol­ly mach­te den Vor­schlag, dass Emi­lia ei­ni­ge Ku­geln aus ei­nem Ge­wehr ih­rer Mut­ter ab­feu­ern durf­te und Va­le­ria da­für einen Wunsch bei ih­ren El­tern frei­ha­ben wür­de. Die bei­den Mäd­chen steck­ten so­fort wie­der die Köp­fe zu­sam­men und spra­chen über die­se Idee. Es war schön zu se­hen wie die bei­den mit­ein­an­der har­mo­nier­ten und sich ab­spra­chen. Es war ih­nen ins Blut über­ge­gan­gen, al­les zu be­spre­chen, was bei­de be­traf.

Sie wa­ren mit dem Vor­schlag ein­ver­stan­den. Leo­nie nahm ih­re Toch­ter an die Hand und brach­te sie zu ih­rem Waf­fen­schrank, der deut­lich grö­ßer war. Sie durf­te sich ei­ne da­von aus­su­chen, mit der sie schie­ßen woll­te. Die ers­te Rück­fra­ge von Emi­lia war, wel­che da­von den kleins­ten Rück­stoß hat­te. Sie mach­te sich Sor­gen um ih­re Schul­ter. Nach­dem ih­re Hän­de schon we­gen der neu­en Waf­fe weh ta­ten, woll­te sie das nicht auch noch an ih­rer Schul­ter er­le­ben. Leo­nie gab zu, dass sie das nicht aus­hal­ten wür­de, egal wel­che da­von sie sich auch aus­such­te. Al­ler­dings war die Lö­sung ganz ein­fach. Die Mut­ter wür­de das Ge­wehr an ih­rer Schul­ter an­drücken und Emi­lia wür­de zie­len und feu­ern wie vor­her schon bei Mi­chaels Dienst­waf­fe. Emi­lia such­te sich dann das für Leo­nie per­so­na­li­sier­te Ge­wehr aus.

Leo­nie ver­hak­te ihr Ge­wehr mit der in­te­grier­ten Auf­la­ge in den Plat­ten der Ter­ras­se und press­te ih­re Schul­ter da­ge­gen. Emi­lia leg­te sich ne­ben ih­re Mut­ter und mach­te große Au­gen als sie einen Blick durch das Ziel­fern­rohr warf. Das war ein deut­lich bes­se­res als sie auf ih­rem Luft­ge­wehr mon­tiert hat­te. Aber Leo­nies Ge­wehr war auch auf wei­te­re Ent­fer­nun­gen aus­ge­legt. Die­se Stre­cken wür­de Emi­li­as Luft­ge­wehr nie­mals er­rei­chen. Die Toch­ter von Micha und Leo­nie durf­te ei­ne ein­zel­ne Pa­tro­ne ein­le­gen und dann auf ein be­lie­bi­ges Ziel an­vi­sie­ren. Leo­nie zwang sich nicht zu über­prü­fen wie ih­re klei­ne Toch­ter an­leg­te. Sie ließ sich über­ra­schen. Emi­lia di­ri­gier­te das Fa­den­kreuz auf die Po­si­ti­on, die sie tref­fen woll­te und drück­te dann den Ab­zug durch. Das Pro­jek­til durch­schlug das an­vi­sier­te Ziel und Emi­lia warf die klei­nen Ar­me in die Luft. Das war für sie das bis da­hin bes­te Er­leb­nis ih­res jun­gen Le­bens.

 

In Zu­kunft durf­te sie mit ih­rem Va­ter und Do­lo­res trai­nie­ren und dann auch öf­ter mit den Dienst­waf­fen der bei­den schie­ßen. Die bei­den Mäd­chen konn­ten nicht glück­li­cher sein. Sie wa­ren auf der gan­zen In­sel ein­zig­ar­tig. Sie hat­ten einen Va­ter, der für die bei­den al­les Er­denk­li­che mög­lich mach­te und sie ver­göt­ter­te. Und sie wa­ren die ein­zi­gen Kin­der, die gleich­zei­tig zwei Müt­ter als ihr ei­gen be­zeich­nen konn­ten. Die an­de­ren Kin­der aus dem Kin­der­gar­ten wa­ren et­was nei­disch auf die bei­den Mäd­chen. Ihr El­tern­haus funk­tio­nier­te ta­del­los und im­mer war je­mand für sie da. Wäh­rend der Fe­ri­en durf­ten die bei­den auch deut­lich län­ger auf­blei­ben als ih­re Freun­din­nen aus der täg­li­chen Er­zie­hungs­an­stalt.

Die an­de­ren wuss­ten nicht, was die El­tern der bei­den Mäd­chen ar­bei­te­ten, aber sie wa­ren im­mer er­reich­bar. Vie­le El­tern hat­ten das Pro­blem, dass sie nicht ein­fach von der Ar­beit zu ih­ren Kin­dern ei­len konn­ten. Nur ab und an wa­ren we­der die Müt­ter noch der Va­ter ei­ni­ge Wo­chen nicht zu se­hen. Statt­des­sen hat­ten sie ent­we­der den Va­ter von Da­mi­en da­bei oder ei­ne jun­ge Frau, die sich um sie küm­mer­te. Trotz­dem wa­ren sie äu­ßerst be­liebt bei ih­ren Freun­den im Kin­der­gar­ten. Nur die Er­zie­he­rin­nen hat­ten ein klei­ne­res Pro­blem mit den bei­den Kin­dern. Wann im­mer sie et­was be­spra­chen, was die Er­wach­se­nen nicht mit­hö­ren soll­ten, wech­sel­ten sie in ei­ne an­de­re Spra­che, die nie­mand ver­ste­hen konn­te. Bei­de spra­chen Eng­lisch, aber auch Deutsch und Spa­nisch, was die Er­zie­he­rin­nen im­mer wie­der zur Weiß­glut brach­te.