Drug trail - Spur der Drogen

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Straßensperre

Oliver lenkte seinen ganzen Stolz, einen Oldtimer BMW 1600 Baujahr 1972, von der 29 M Street NW nach links auf das Four Seasons zu, wurde jedoch durch eine Straßensperre aufgehalten. Beamte der United States Capitol Police, kurz USCP, hatten den Gebäudekomplex an der 29th weiträumig abgeschottet.

Zahlreiche Übertragungswagen der örtlichen Fernsehstationen sorgten, zusätzlich zu der teilweisen Sperrung der Hauptverkehrsader 29 M Street NW wie auch der nahe gelegenen Seitenstraßen, für erhebliches Chaos. Hinzu kamen die üblichen Gaffer, die dicht gedrängt in morbider Neugier die Gehwege blockierten. Kurzum: Die Einsatzteams der USCP hatten alle Hände voll zu tun, das Areal rund um das Gebäude Four Seasons zu sichern und gleichzeitig freundlich, aber dennoch bestimmt unnötige Zaungäste in die Wüste zu schicken.

Oliver fuhr zwei Blocks weiter, bis er eine Möglichkeit zu parken fand. Zwar wies die Markierung an der Straße auf ein absolutes Halteverbot hin, doch er hoffte, die in der Frontscheibe angebrachte Plakette „Presse Washington Post“ würde eine Strafe abwenden.

Fünfzehn Minuten später erreichte er die Straßensperre zu Fuß.

„Washington Post, Oliver Konecki.“ Er hielt dem Officer der USCP seinen Presseausweis vor die Nase, was diesen sichtlich unbeeindruckt ließ, denn er war nicht willens, ihn auch nur einen Schritt weiter in Richtung Hotel kommen zu lassen.

„Tut mir leid, Mister. Kein Zugang.“

„Hören Sie, Officer. Dies hier ist ein Presseausweis der Washington Post. Ich bin seit über fünfzehn Jahren Reporter bei diesem Blatt und allein die Tatsache, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, informiert zu werden, sollte Anlass genug sein, mich durchzulassen.“

„Gut, Mr. – ähh …“ Der Officer in schwarzer Uniform überragte Oliver um fast einen halben Kopf und neigte sich jetzt dem gezückten Ausweis entgegen. „Mr. Konacki, oder Konecki, egal, ich sagte bereits, Zutritt verweigert! Sie können gerne abseits der Straße warten, bis ich andere Anweisungen erhalte. So lange jedoch bewahren Sie bitte Ruhe. Haben Sie mich verstanden?“ Letztgesagtes hatte einen derartigen Befehlston, dass sich selbst Oliver beugen musste.

„Schon gut, schon gut“, antwortete er daher einlenkend. „Was schätzen Sie, wann wird die Absperrung aufgehoben sein?“

„Ich werde es Sie wissen lassen, Kumpel, aber bis dahin …“ Der Officer wedelte mit seiner Rechten, die einen Schlagstock fest im Griff hielt, zum Gehen.

Murrend wandte sich Oliver ab und blickte zu beiden Seiten die Hauptstraße entlang. Verdammt! Wäre er nur früher hier gewesen, dann hätte unter Umständen die Möglichkeit bestanden …

Oliver zog sein Handy hervor und wählte Jennys Nummer. Es läutete eine halbe Ewigkeit, bis sich die schrille Stimme seiner Kollegin meldete: „Auch schon wach?“

„Wo seid ihr?“, fragte er, ohne auf die Anspielung rechtfertigend einzugehen.

„In der Nähe des Four Seasons. Da, wo halt alle Starreporter im Moment sein sollten.“

„Wo genau, du Hexe?“, raunzte Oliver liebevoll.

„In einer Seitenstraße der Pennsylvania. Eine kleine Weinbar.“

„Kenn ich. Bin gleich bei euch.“

Oliver befand sich bereits auf der Pennsylvania Avenue und folgte dieser nun in nordöstlicher Richtung. Vor den niedrigen Gebäuden, die abwechselnd mit Klinkerstein gemauert oder weiß gestrichen waren, schlängelte er sich am Gehweg durch zahlreiche Passanten und Trauben von Schaulustigen hindurch. Wenn ihn nicht alles täuschte, befand sich das kleine Weinlokal an der nächsten Straßenecke. Erst im Herbst hatte er es mit einer Kollegin aus der Sportredaktion besucht. Nichts Ernsthaftes, nur ein feuchtfröhlicher Abend mit anschließendem Quickie in ihrer Wohnung.

Er bog um die Ecke. Tatsächlich. Die Weinbar lag direkt vor ihm, und wie er bemerkte, war auch hier hinter der Bar eine Absperrung der USCP errichtet worden. Sowohl vor dem Eingang als auch im Lokal selbst herrschte emsiges Treiben. Stoisch zwängte sich Oliver ins Innere der Bar. Ein fader Dunst angebrannten Olivenöls gemischt mit den Ausdünstungen transpirierender Gäste hing wie eine unsichtbare Wolke über den aneinandergereihten Köpfen. Ohne auf den leidenden Blick der überforderten Bedienung einzugehen, quetschte sich Oliver mit der rechten Schulter voran in den hinteren Bereich zur Bar. Wie Lemminge drängten sich etliche Gäste vor dem Tresen, darunter Jenny und ihr Kollege Frank, der seine Digitalkamera geschultert trug.

„Und, habt ihr schon was herausgefunden?“, fiel Oliver mit der Tür ins Haus.

„Nicht mehr als die Kollegen hier.“ Frank schmunzelte. „Alle sind sie da, wie die Aasgeier. Die Jungs von der Times, Daily News – sogar vom Chronicle. Doch niemand wird auch nur in die Nähe des Hotels gelassen.“

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Oliver in die Runde.

„Das, was alle machen: warten“, entgegnete Jenny, während sie gelangweilt ihr von Sommersprossen übersätes Gesicht zu einer Grimasse verzog.

„Irgendwas ist da faul, ich rieche es förmlich“, flüsterte Oliver. „Klar, es geht hier um den Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten. Aber warum schotten sie das Areal dermaßen ab?“

„Reine Routine“, meinte Frank. „Bevor die nicht genau wissen, was passiert ist, lassen die keine Kakerlake auch nur in die Nähe. Wenn wir …“

Eine plötzlich aufkeimende Unruhe unterbrach Franks Ausführungen. Irgendetwas schien draußen in Bewegung zu kommen. Ohne Rücksicht zu nehmen, schob sich Oliver an mehreren Gästen vorbei zum Ausgang. Tatsächlich rollten soeben eine schwarze Limousine sowie ein Leichenwagen, eskortiert von zwei dunklen Vans Ford V8 mit abgetönten Scheiben, die Pennsylvania Avenue entlang, um anschließend links in der Zugangsstraße zum Hotel zu verschwinden. Frank hatte die Digitalkamera im Anschlag und das leise Rattern des Auslösers sicherte ihnen mehrere Aufnahmen in der Sekunde.

„Bleibt ihr hier am Ball“, wies Oliver seine Kollegen an. „Ich fahr ins George Washington Hospital. Sie bringen ihn sicher dorthin.“

„Woher willst du das wissen?“, fragte Jenny ihn musternd.

Oliver tippte mit dem Zeigefinger an seinen Nasenflügel.

Fragestunde

Die Kabelbinder, mit denen sie Enrico vor Stunden an den Stuhl gefesselt hatten, schnitten ihm schmerzhaft in die Handgelenke. Seine Beine waren eingeschlafen, Schweiß stand auf seiner Stirn. Es fehlte nicht viel und er würde sich vor ihnen in die Hose pissen.

Direkt gegenüber von Enrico saß zusammengesunken sein Boss, Vicente. Seit seiner Jugend arbeitete Enrico jetzt schon für Vicente. Er war wie eine Vaterfigur für ihn, von der er sich über viele Jahre hinweg immer wieder die gleiche Leier anhören musste: „Weißt du“, fragte Vicente dann stets, „warum meine Mama mich auf Vicente taufen ließ? Na? Na? Ich verrat’s dir: Kommt aus dem Lateinischen von ‚vincere‘ und bedeutet so viel wie ‚Der Siegende‘.“ Dabei klopfte sich Enricos Boss wie ein Gewinner mit den flachen Händen auf die Brust. Das, was nunmehr von Vicente übrig geblieben war, hatte nichts mehr mit einem Sieger gemein. Sie hatten ihm übel zugesetzt. Sein rechtes Ohr fehlte, abgeschnitten. Sie hatten es Vicente blutbesudelt in den Rachen geschoben, inmitten abgebrochener, ausgeschlagener Zähne. Von seinem Gesicht war nach der Spezialbehandlung kaum noch etwas zu erkennen. Sein Antlitz war eine dunkelrote, zu Brei geprügelte Masse. Kleine Blutblasen bildeten sich dort, wo einst die Nase und die breiten Lippen ihren Platz hatten, und rot gefärbte Spuckefäden zogen sich bis auf den Boden. Aber Vicente atmete noch.

Unbewusst nach vorn und hinten wippend, starrte Enrico angsterfüllt auf die ohne Skrupel übel zugerichtete Gestalt. Würde ihn nun das gleiche Schicksal ereilen?

Aus dem Augenwinkel heraus nahm Enrico eine Bewegung wahr. Sie kam von einem elegant aussehenden Mann, dem er zwar zuvor noch nie begegnet war, den er jedoch von Erzählungen seines Ziehvaters her kannte. Mitte fünfzig, grau meliertes Haar, ein wie mit dem Lineal akkurat gezogener Scheitel, bekleidet mit dunklem Anzug und camelfarbenem Wintermantel. Gelassen, als würde soeben ein Werbefilm für eine italienische Modemarke gedreht, streifte sich dieser einen Lederhandschuh über, während er seinem Begleiter durch Nicken Anweisung erteilte.

Die zweite Person hatte die Figur eines Athleten und maß mindestens einen Meter neunzig. Das kantige Gesicht des Hünen sowie der massige Schädel waren glatt rasiert. Eine mächtige Narbe zog sich von der linken Augenbraue bis hoch in die Stirn und bei genauerem Hinsehen konnte man die Mulde erkennen, die sich entlang der Narbe auf der Schädeldecke abzeichnete. Seit über einer Stunde schon hatte die verschrobene Glatze den Job übernommen, Fragen an Vicente zu richten. Nachdem ihm dieser nicht die gewünschten Informationen preisgegeben hatte, prügelte der Glatzköpfige mit regungsloser Miene den Schlagstock in Vicentes Gesicht. Immer wieder. Die wuchtigen, klatschenden und knackenden Geräusche, die die Schläge verursachten, hallten dumpf in der Lagerhalle, in die Vicente mit Enrico vor über zwei Stunden verschleppt worden waren.

Jetzt griff die Glatze nach hinten in den Hosenbund, zog eine Walther P99 mit Schalldämpfer hervor und richtete die Waffe an die Schläfe Vicentes. Das leise Knacken des Abzugshahns riss dessen Kopf zur Seite. Blut und Gehirnmasse spritzten auf den staubigen Betonboden und formten gemeinsam mit eingetrockneten Ölflecken ein bizarres, abstrakt anmutendes Muster.

Sekunden der Stille.

„Hast du gesehen, was passiert, wenn man sich meinen Regeln widersetzt?“ Der grau melierte Gentleman, der auf den Namen Paolo Fucari hörte, wandte sich nun flüsternd an Enrico.

 

Mit vor Entsetzen starrem Blick konnte dieser weder ein Wort sagen noch eine Regung zeigen. Die Angst hatte jeden seiner Muskeln einfrieren lassen.

„Sicher verrätst du mir jetzt, von wem Vicente in den letzten Monaten das Koks bezogen hat?“ Ohne jede Notation in der Stimme war es weniger eine Frage denn ein Befehl.

„Mister, Mister Fucari“, hörte Enrico sich jetzt stammeln, „ich, ich habe wirklich keine Ahnung. Vicente hat daraus ein Geheimnis gemacht. Die Lieferungen kamen meist nachts ins Lagerhaus. Ich …“ Mehr brachte Enrico nicht zustande. Ohne es zu wollen, quollen Tränen aus seinen Augen, während er wie ein kleines Kind zu schluchzen begann.

Der Hüne mit Glatze wollte gerade zum Schlag ausholen, als die erhobene Hand Paolo Fucaris Einhalt gebot.

Fucari trat an Enrico heran, beugte sich zu dessen Ohr und flüsterte: „Ich glaube dir, mein Freund. Du bist doch mein Freund, oder?“

„Ja, ja, alles, was Sie wollen“, jammerte Enrico.

„Gut. Ulrich, binde ihn los.“ Enrico spürte den warmen Atem Fucaris an seiner Wange, während der Glatzkopf namens Ulrich ein Messer zückte und die Kabelbinder durchschnitt. Wie bei einer Marionette, deren Fäden losgelassen wurden, sackten Enricos Arme seitlich des Stuhls nach unten.

„Hör gut zu, Enrico. Gerade ist ein Platz in meiner Organisation frei geworden. Freu dich. Ich befördere dich soeben! Du nimmst den Posten von diesem Dreckskerl Vicente ein. Sicher wirst du mir ein zuverlässigerer Weggefährte sein als dieses stinkende Etwas. Du unterbindest die Lieferungen – hast du gehört! Auf die Straße kommt nur unsere Ware. Du wirst mir sagen, von wem das Koks kommt. Ulrich wird ein Auge auf dich haben. Und jetzt entsorg dieses Schwein und sieh zu, dass der Boden gereinigt wird.“

Fucari tätschelte freundschaftlich Enricos Schulter. Dann verschwanden er und die vernarbte Glatze Ulrich durch eine Seitentür der Lagerhalle.

Enrico blieb sitzen. Noch immer spürte er den Druck der Hand auf seiner Schulter. Übelkeit stieg in ihm auf und er erbrach sich.

Das Jackett

Zu zweit hievten Männer in weißen Overalls den leblosen Körper auf die sterile Plastikfolie des aus Aluminium gefertigten Sarges. Dann schloss sich der Deckel über dem Leichnam. Ein Agent des Secret Service, der unübersehbar das Sagen hatte, streifte transparente Plastikhandschuhe ab, gab das Zeichen für den Abtransport des Aluminiumsarges und wandte sich an seinen Kollegen: „Habt ihr alles gründlich durchsucht?“

„Das Zimmer ist sauber, Chief. Nichts, was noch auf den Aufenthalt des Vice hindeuten würde.“

„Gut. Nehmt die gesamten Utensilien mit ins Labor der Pathologie. Ich informiere Hobbs.“

„Wird gemacht, Chief.“

Mit gehorsamem Nicken griff der Beamte nach einem luftdichten Behältnis und folgte den Sargträgern. In der dunkelblauen Box waren sämtliche Habseligkeiten des Vizepräsidenten fein säuberlich in Plastiktüten verstaut. Auch das Jackett Logen Winstons, das zwei Agenten des Secret Service noch kurz zuvor aus der Reinigung im Kellertrakt des Hotels abgeholt hatten.

Pressekonferenz

Blitzlichtgewitter begrüßte Bob Thompson, als er, gefolgt von der Direktorin der CIA Julia Hobbs sowie Verteidigungsminister Ashton Brown, Punkt 20:00 Uhr Ortszeit ans Rednerpult trat. Mit stoischem Gesichtsausdruck wartete der Präsident der Vereinigten Staaten, bis das Klicken der Fotoapparate sowie das Gemurmel der anwesenden Journalisten verstummten.

Bob Thompson atmete tief ein, bevor er zu sprechen begann: „Ladies and Gentlemen, Bürger der Vereinigten Staaten. Mit großem Kummer in meinem Herzen obliegt es mir, Ihnen mitzuteilen, dass unser Vizepräsident, Präsident des Senats und guter Freund Logan Winston heute Vormittag von uns gegangen ist. Ein Schicksalsschlag, der unsere Nation, ebenso wie alle hier im Weißen Haus und natürlich im Besonderen seine Familie in tiefe Trauer stürzt. Unsere Gedanken sind in diesen Minuten, Stunden und Tagen bei seiner Frau Rachel und den Töchtern Barbara und Bridget.“

Die einfühlsame Rede des Präsidenten zeichnete den fulminanten Aufstieg Winstons vom jungen Jurastudenten bis zu dessen Wahl zum demokratischen Senator des Bundesstaates von Delaware auf. Eine Bilderbuchkarriere. Seit nunmehr über drei Jahren war er nach der äußerst knapp gewonnenen Wahl des demokratischen Abgeordneten Bob Thompson zum Präsidenten der Vereinigten Staaten dessen Vizepräsident gewesen.

Merklich trauernd, neigte sich die Rede des Präsidenten nach etwa fünf Minuten dem Ende entgegen: „Wir beten für Logan Winston. Für ihn wie auch für seine Familie und seine Freunde.“ Thompsons schmerzerfüllter Blick ruhte gedankenversunken auf den Gesichtern der Journalisten, die gleichfalls schweigend ihrer Anteilnahme Ausdruck verliehen. Dann erhob Thompson ein letztes Mal die Stimme: „Ich danke Ihnen für Ihre rücksichtsvolle Berichterstattung im Sinne Logan Winstons Familie. Sie werden sicherlich Fragen haben. Julia Hobbs wird Ihnen diese gerne beantworten.“

Noch während er den Presseraum durch den seitlichen Ausgang verließ, wurden die ersten Fragen der Journalisten gestellt.

Lauthals setzte sich Jenny Thompson, Washington Post, über die Kollegen im berstend gefüllten Presseraum hinweg durch, als sie rief: „Director Hobbs, welche Gründe rechtfertigen es, das Areal rund um das Hotel Four Seasons für die Presse abzuriegeln? Ist dies nicht ungewöhnlich? Trotz der Tatsache, dass es sich um unseren Vizepräsidenten handelt?“

„Keineswegs, Ms. Thompson“, antwortete Julia Hobbs sichtlich kühl. „Unser Secret Service hielt sich strikt an die Standards, die für derartige Sicherheitsbelange festgelegt sind. Auch wenn ich nachvollziehen kann, dass es Ihnen als Journalistin die Berichterstattung erschwert.“

„Woran ist Logan Winston gestorben?“, hakte Jenny nach.

„Wir warten noch auf die Ergebnisse der Obduktion. Der behandelnde Arzt, der vor Ort den Tod festgestellt hat, geht von akutem Herzversagen aus. Fremdeinwirkung, das können wir zum jetzigen Zeitpunkt sagen, scheidet aus. Also handelt es sich um eine natürliche Todesursache.“

Lauthals wurden weitere Fragen durcheinander in den Raum gerufen. Direktor Hobbs deutete mit ihrem Zeigefinger konsequent über Jennys Kopf hinweg auf einen Kollegen in den hinteren Sitzreihen: „Rudy Mason, Ihre Frage bitte.“

Kokaiiiin

„Rodrigo, wo warst du solange? Beeil dich. Der Präsident spricht gerade im Fernsehen.“

Rodrigo drückte seiner jungen mexikanischen Freundin einen Kuss auf die Wange, bevor er sich mit lautem Seufzer auf das durchgesessene Sofa fallen ließ.

„War mächtig Trubel heute im Hotel. Lauter Beamte des Secret Service. Das hättest du mal erleben sollen.“

„Und? Hast du die Leiche gesehen?“ Catalina schauderte es bei dem Gedanken.

„Wo denkst du hin? Die hatten alles abgeriegelt. Aber sie haben mich direkt angesprochen.“ Mit stolzgeschwellter Brust achtete Rodrigo auf die Reaktion seiner Freundin, die prüfend ihre dichten, dunklen Augenbrauen zusammenzog.

„Wer hat dich angesprochen? Was hast du damit zu tun?“

„Was ich damit zu tun habe? Du fragst mich, Rodrigo, den Chef der Chefs des Four Seasons, tatsächlich, was ich damit zu tun habe?“ Er kicherte laut auf. „Na, die wollten die Jacke dieses Winston von mir. Sein Jackett, verstehst du? Ich hatte es gerade aufgebügelt, da stehen zwei so Schränke wie Men in Black vor mir in der Reinigung und machen ein ganz ernstes Gesicht.“

„Ja, und?“, fragte Catalina.

„Nichts und. Ich hab’s ihnen natürlich gegeben. Aber …“ Rodrigo machte eine Pause, stand auf und schmunzelte. Er griff in die Hosentasche seiner Jeans und zog ein unscheinbares Plastiktütchen hervor. Tänzelnd wedelte er mit dem Tütchen vor Catalinas Gesicht. „Aber ich hab ihnen nicht alles gegeben.“ Wieder kicherte er laut auf.

„Was ist das?“

„Das, meine Prinzessin, ist der Nachtisch für heute Abend. Kokaiiiin. Und sicher der feinste Stoff, den wir uns jemals reingezogen haben.“

Catalina schmunzelte nun ebenfalls. „Wo hast du das Zeug her?“, wollte sie wissen.

„Aus der Jahacke des Vizepräsidenten der Vereiheinigten Staaten“, gab Rodrigo im Singsang von sich. „Was glaubst du, der Typ hat sicher nur vom Feinsten geschnupft. Das Zeug wird uns so geil machen, dass wir die ganze Nacht vögeln werden.“

„Glaubst du nicht, dass es vermisst wird?“

Rodrigo riss die Augen auf. „Vermisst?“, gluckste er. „Der Typ ist auf Eis gelegt, in den ewigen Jagdgründen, Babe. Der vermisst in dieser Welt mit Sicherheit nichts mehr.“

„Cool“, flüsterte Catalina, während sie auf das Päckchen in Rodrigos Hand stierte.

„Ich werde jetzt meinen durchtrainierten Body unter die Dusche lenken. Und wenn ich zurückkomme, kannst du die erste Line direkt von meinem nach Seife duftenden Schwanz ziehen.“ Er warf das Tütchen aufs Sofa, gab Catalina noch einen Kuss auf die Stirn und verschwand im Bad.

Es war ein schäbiges Badezimmer in der kleinen Zweizimmerwohnung, deren Miete sie sich gerade mal so leisten konnten.

Schnell zog Rodrigo sein Shirt und die Jeans aus. Das Neonlicht am Spiegel über dem Waschbecken warf ein unnatürlich helles Licht auf die dunkle Haut des Mexikaners. Fletschend prüfte er vor dem Spiegel die Zähne – nicht, dass Reste der Petersilie vom Mittagssandwich diese verunstalteten. Doch alles war perfekt.

Er drehte den Wasserhahn auf und ließ die Brause einige Minuten laufen, bis endlich heißes Wasser kam. Dann stellte er sich, vor lauter Vorfreude laut summend, in die Duschwanne, zog den mit bunten Goldfischen bedruckten Plastikvorhang zu und begann sich von oben bis unten einzuseifen. Während er den Schaum in seinem Gesicht und auf seiner Haut verteilte, ließ ihn ein leises Kratzen aufhorchen. Mit geschlossenen Augen rief er durch den Duschvorhang zur Badezimmertür: „Catalina, bist du das?“ Keine Antwort – stattdessen erneutes Kratzen und Poltern. „Catalina?“ Er blinzelte, um etwas erkennen zu können. „Scheiße“, fluchte Rodrigo, als plötzlich ohne Vorwarnung etwas gegen den Duschvorhang stieß und diesen aus der Wandverankerung riss. Abwehrend streckte er die Arme in die Höhe, während der Plastikvorhang samt Metallschiene und einem zuckenden Leib in die Wanne schlug.

Augenblicklich brüllte Rodrigo wie am Spieß. Hektisch spülte er die brennenden Augen mit Wasser aus und tastete dabei mit einer Hand nach dem Körper, der zitternd halb in der Duschwanne, halb auf dem Badezimmerboden lag. Als er endlich wieder klar sehen konnte, lag Catalina gekrümmt vor ihm. Ihr Kopf musste gegen die Armatur geprallt sein, denn eine klaffende Wunde an ihrer Stirn färbte das Duschwasser rot, bevor es gurgelnd im Abfluss verschwand.

„Catalina, fuck, was ist los? Was ist mit dir? Sag was! Oh, scheiße, scheiße, scheiße.“

Angespannt hantierte er am dünnen Plastik des heruntergerissenen Duschvorhangs, der sich völlig durchnässt um den Wasserhahn gestülpt hatte. Als er den Regler endlich zu fassen bekam, drehte er das brausend heiße Nass ab.

Catalina lag mit ihrem Oberkörper auf seinem linken Fuß. Im Versuch, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, zog er ihn hervor und stieg vorsichtig aus der Wanne. Ein Zittern hatte Catalina derart heftig erfasst, als würden permanente Stromschläge durch ihren Körper gejagt.

„Catalina, scheiße, verdammt, was ist mit dir? Sag doch was!“

Rodrigo kniete sich vor sie, umschloss mit beiden Händen ihr Gesicht und sah das Weiß ihrer nach oben verdrehten Augäpfel. In diesem Moment brach ein Schwall Erbrochenes aus Catalina heraus, direkt auf seine nackten Oberschenkel.

„Ohhh, shit. Shit, Catalina, Catalina, verdammt, sag doch was!“

Völlig von Sinnen schüttelte er sie an den Schultern. Ihr Kopf wackelte dabei hin und her, während der saure Dunst ihres ausgeworfenen Mageninhalts beharrlich in seiner Nase biss. Instinktiv griff er nach einem Handtuch und presste es auf die blutende Platzwunde an ihrer Stirn.

Catalina begann heftiger zu atmen. War das ein gutes Zeichen? Dann krümmte sie sich zusammen, gerade so, als wolle sie wie eine Katze eingerollt in den Schlaf übergehen. Doch Catalina schlief nicht, sie lag nur still da.