Falk 8: Pippo di Fiumes Schatz

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Sari: Falk #8
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»He!«, konnte Falk ihm nur noch hinterherrufen.

Für einen Moment überlegte Falk, sich Donner zu schnappen und ihm zu folgen. Doch der Abstand vergrößerte sich von Sekunde zu Sekunde – nein, dafür war es bereits zu spät, der Vorsprung, den der andere hatte, war zu groß. Er war entkommen.

»Schade«, meinte Falk zu Bingo, der inzwischen an seine Seite getreten war. »Ich hätte zu gern gewusst, was dieses geheimnisvolle Treffen zu bedeuten hat.«

»Fragen wir doch seinen Kumpanen«, schlug der Gaukler vor.

Falk nickte. »Gute Idee, mein Freund.«

Sie wandten sich um, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Doch der Platz, wo Pietro eben noch gewesen war, war leer.

»Oh!«, stieß Bingo hervor. »Er ist verschwunden!«

Ja, das sah Falk auch.

»Da!« Bingo streckte die Hand aus. »Das Scheunentor ist offen.«

Vielleicht war es doch noch nicht zu spät. »Der Kerl holt sein Pferd. Schnell!«

Doch auch diesmal war ihnen kein Glück beschieden. In einem halsbrecherischen Tempo jagte der Kerl an ihnen vorbei, hinaus in die Nacht.

»Wieder zu spät!«, fluchte Falk.

»Hm. Nun werden wir wohl nie erfahren, warum die beiden Männer sich hier heimlich getroffen haben.«

Das fürchtete Falk auch. Aber es war nicht mehr zu ändern.

Bingo seufzte theatralisch und setzte eine betroffene Miene auf. »Wenn dieser Balken nicht nachgegeben hätte …«

»Tja, sie wollten gerade etwas sagen, als du in Erscheinung tratest.«

»Es tut mir leid, Falk!« So, wie er dreinsah, tat es das wirklich. »Ich wollte bei dir bleiben …«

»Schon gut. Es ist ja auch gar nicht so wichtig.« Schließlich war ihnen nichts passiert. »Geht es dir wirklich gut?«

»Ja. Nur mein Stolz ist ein wenig verletzt.«

»Das wird wieder. Lass uns in die Scheune zurückgehen und weiterschlafen. Die Sonne wird bald aufgehen, und dann wird auch hoffentlich der Regen nachgelassen haben.«

»Ja. Du hast recht. Oh … da liegt etwas!« Er kniete sich hin und hob den Gegenstand auf. »Ein kleines Buch.«

Auf dem Deckel befand sich eine Blume mit einer roten Blüte. Wunderhübsch und filigran gearbeitet. Das Werk eines Meisters.

»Es muss dem Burschen aus der Tasche gefallen sein, dem ich das Fliegen beigebracht habe«, vermutete Bingo.

»Ja. Lass uns schauen, was drinsteht. Vielleicht bringt das ein wenig Licht ins Dunkle.«

In der Scheune setzten sie sich auf den Boden und lehnten sich an die Wand. Neugierig schlug Bingo das kleine Büchlein auf. Die Schrift war klein und im Schein der Lampe kaum zu entziffern.

Vielleicht war es ein Notizbuch, das die Rezepte eines Alchemisten enthielt. Oder das Tagebuch eines Minnesängers, der seine amourösen Abenteuer mit den hohen Damen der Höfe aufgeschrieben hatte.

»Und?« Auch Falk konnte kaum erwarten zu erfahren, wer da was geschrieben hatte.

Bingo schien ein wenig enttäuscht zu sein. »Es stehen Gedichte in dem Büchlein, Falk.«

Falk lachte. Das meinte er doch nicht etwa ernst, oder? »Sieh an. Ich hätte dem Kerl keine poetische Ader zugetraut.«

»Ich auch nicht. Das Büchlein scheint ihm nicht zu gehören, oder er hat es geschenkt bekommen.«

Falk krauste die Stirn. »Wie kommst du darauf?«

»Auf dem Vorsatzpapier steht ein Name. Ein weiblicher Name. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass keiner der beiden von heute eine Frau war.«

»Hm.«

»Lucia di Fiume. Hm … Fiume, Fiume … Der Name kommt mir bekannt vor«, sinnierte er. »Dir auch?«

Falk dachte nach. Schüttelte dann den Kopf. »Nein.«

»Ah, jetzt habe ich es. Pippo di Fiume ist ein berühmter Heerführer. Er hat sich große Verdienste an der Seite des Grafen Colleverde während des letzten Kreuzzuges erworben.«

»Dann ist die Besitzerin des Büchleins seine Frau?« Es wäre eine logische Schlussfolgerung gewesen. Falk hatte sich wieder hingelegt. Er wollte noch ein paar Stunden schlafen, ehe sie wieder aufbrachen.

Bingo schien es ihm nicht gleichtun zu wollen. Vielmehr wollte er offenbar hinter das Geheimnis des heute Erlebten kommen.

»Ich weiß nicht, Falk. Mehr, als ich dir gesagt habe, ist mir über Pippo di Fiume nicht bekannt. Wenn wir Graf Colleverde einen Besuch abstatten, geben wir ihm das Büchlein.«

Gähnend stimmte Falk ihm zu. »Gut. Er kann es ja dann Pippo di Fiume zukommen lassen.« Die Augen fielen ihm zu.

Bingo seufzte. »Ich glaube nicht, dass wir noch einmal gestört werden, aber es ist besser, wir wachen abwechselnd. Ich übernehme die erste Wache.«

»Hm.« Damit war Falk mehr als einverstanden. Der Schlaf übermannte ihn.

Bingo lächelte. Gönnte seinem Freund die Ruhe und las noch ein wenig weiter.

*

Der Mann mit der Kapuze hatte auf seinen Kumpanen gewartet. Ungeduldig winkte er ihn heran. Ohne seinen Mantel fror er erbärmlich in dem Regen.

»Da bist du ja, Pietro! Ich war schon in Sorge, die beiden Fremden hätten dich erwischt.«

»Viel hätte nicht gefehlt, Herr!«

Sein Gegenüber nickte. »Doch nun zum Grund unserer Verabredung. Bist du sicher, dass du das Richtige gefunden hast?« In seiner Stimme schwang eine Mischung aus Zweifel, Aufregung und Ungeduld.

»Ganz sicher. Auf Eurem Zahlenschlüssel steht inmitten von Rosen und Dornen wirst du es finden

»Hm.«

»Es handelt sich dabei um ein schmales Gedichtbändchen, das Rosen und Dornen heißt. Mithilfe des Zahlenschlüssels werden bestimmte Wörter zu finden sein, die aneinandergereiht einen neuen Sinn ergeben.«

Sein Herr war beeindruckt. »Donnerwetter! Als ich die Habseligkeiten des gefallenen Pippo durchsah, die auf Burg Colleverde gebracht worden waren, fiel mir der Zahlenschlüssel sofort auf. Nur konnte ich mir nicht erklären, worauf er passen würde.«

»Es war eine gute Idee von Euch, Herr, mich als Diener bei den Fiumes zu empfehlen!« Er lachte über die Dummheit und Naivität seiner Dienstherren. »Wenn ich denke, dass Fräulein Lucia und ihr vertrottelter Großvater in fast ärmlichen Verhältnissen leben, während sie reich sein könnten.«

Ja, sie ahnten tatsächlich nichts davon. Was für eine Ironie des Schicksals.

»Dabei werden wir jetzt reich. Hier habt Ihr das Büchlein!« Er lachte wieder. Seit Tagen schon träumte er von nichts anderem, als von den Mengen an Geld, in denen er bald schwimmen würde. Und was er sich dafür alles kaufen wollte! Edle Kleider …

»Du wirst einer der wenigen sein, die sich wirklich totgelacht haben! Da!«

Pietro sah die verräterische Bewegung seines Auftraggebers nicht. Zu sehr war er mit seinen Gedanken woanders. Stattdessen spürte er plötzlich einen scharfen Schmerz. Er war so heftig, dass er mit einem Aufschrei vom Pferd fiel und bewegungslos auf der nassen Erde liegen blieb. Nur noch verschwommen sah er den anderen, das blutige Schwert in seiner Hand.

»Dummkopf!«, stieß der abschätzig hervor. »Dachtest du wirklich, dass ich mit dir teilen wollte?« Seine Stimme troff nur vor Spott.

Es war das Letzte, was Pietro in seinem Leben hörte.

Einen Atemzug später war er tot.

Der Kapuzenmann stieg ab, nachdem er sein Schwert wieder zurück in die Scheide hatte gleiten lassen.

Außerdem kann ich bei diesem gefährlichen Geschäft keine Mitwisser brauchen, dachte er.

Er kniete sich neben den Toten, tunlichst darauf bedacht, nicht mit dessen Blut in Berührung zu kommen.

So. Nun das Büchlein, das mich reichen machen wird!

Der Vermummte tastete Pietro ab. Wieder und wieder, begierig darauf, besagtes Objekt endlich in den Händen zu halten. Aber …

Hölle, Tod und Teufel!, fluchte er stumm, aber umso heftiger. Er hat das Buch nicht! Ob er mir misstraut hat? Nein, er wollte es mir geben. Er fasste unter den Wams des Toten. Aber da ist es nicht!

Noch einmal suchte er ihn ab. Vergebens.

Verdammt! Es muss ihm aus dem Wams gerutscht sein, als der Fettwanst ihn über die Mauer gewirbelt hat!

Er dachte nach.

Hm, es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder haben es die Fremden gefunden und an sich genommen, oder es liegt noch zwischen den Ruinen.

Sein Blick wanderte wieder zu Pietro. Kurzentschlossen packte er dessen Beine und zog ihn zu seinem Pferd.

Ich darf kein Risiko eingehen!

Er wuchtete den leblosen Körper hoch und legte ihn über den Sattel.

So und nun …

Auch er stieg wieder auf und griff nach den Zügeln des anderen Pferdes.

Ich kann gegen die beiden Fremden nichts ausrichten, aber … Wo Gewalt versagt, hilft List weiter. He, he, he!

Er machte sich auf. Vor dem Weg, der nach dem verfallenen Gehöft abzweigte, ließ er den Toten zu Boden gleiten, dann ritt er so schnell er konnte davon.

Nun wird es ein Wettrennen mit der Zeit, das ich gewinnen muss. Das ich gewinnen werde!

ZWEI

Am nächsten Morgen schlug Bingo die Augen auf, streckte und reckte sich. Dann erhob er sich, ging zur Tür, öffnete sie und sah hinaus. Über sein Gesicht glitt ein freudiges Lächeln.

»Gott sei Dank! Die Sonne scheint wieder, Falk! Wach auf, du Langschläfer!«, rief er seinem Freund über die Schulter zu.

Falk lag noch auf dem Boden, die Decke bis zum Kinn gegen die nächtliche Kälte hochgezogen. Er hatte nicht wirklich gut geschlafen. Gähnend richtete er sich auf. »Ich … guten Morgen, Bingo!« Mit den Händen fuhr er sich durch das lange, blonde Haar.

 

Bingo kam zu ihm. Grinste. »Soll ich dir diesen Eimer Wasser über den Kopf schütten, damit du munter wirst?«

Falk wusste, dass Bingo es durchaus ernst meinte. Aber er war nicht besonders erpicht darauf. »Ich ziehe mich erst zum Waschen aus, dann meinetwegen.«

Bingo lachte.

Doch ehe er etwas erwidern konnte, hob Falk die Hand.

»Was ist?«

Falk deutete nach draußen. »Sieh, da drüben auf der Wiese! Ein Pferd!«

Jetzt bemerkte Bingo es auch. Warum war es ihm vorhin noch nicht aufgefallen? Seltsam.

Das Tier graste friedlich im Morgengrauen.

»Oh! Und da auf dem Weg, das sieht ja aus, als ob …«

Falk nickte. Auch er sah die reglose Gestalt und ahnte Schlimmes.

»Junge, Junge«, murmelte Bingo. Solche Überraschungen am frühen Morgen mochte er gar nicht.

Falk rannte los. Vielleicht lebte der Mann noch.

Bingo folgte ihm auf dem Fuße.

Bei ihm angekommen, knieten sich beide nieder. Falk streckte die Hand aus. Der Körper war kalt, der Brustkorb hob und senkte sich nicht mehr. Er lauschte. Nein, da war kein Atemgeräusch zu hören.

»Bei allen …« Bingo war entsetzt. »Das ist der Bursche, der uns letzte Nacht in der Scheune eingesperrt hat. Sollte ich ihn zu hart angefasst haben?«

Falk hörte das Zittern in der Stimme seines Freundes. »Nein.« Er legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen. »Der Mann ist tot, Bingo, aber du bist nicht schuld daran. Sieh!« Er deutete auf das Loch im Wams. »Jemand hat ihn mit einem Schwert niedergestochen.«

»Großer Himmel!« Bingo war erleichtert und entsetzt zugleich.

»Ist das das ruhige Land, von dem du geschwärmt hast, Bingo?« Ganz konnte Falk den Vorwurf aus seiner Stimme nicht verbannen. »Erst das heimliche nächtliche Treffen, das auf eine Verschwörung schließen lässt, dann Freiheitsberaubung und nun … Mord!« Falk war ganz und gar nicht wohl bei der Sache.

»Ich verstehe das nicht. Was sollen wir jetzt tun?«

Das war eine gute Frage.

Falk überlegte. Sie konnten den Toten allein aus Pietätsgründen schon nicht hier einfach liegen lassen. Schließlich waren sie Männer von Ehre.

»Wir bringen ihn in die Stadt oder auf Graf Colleverdes Burg«, schlug er schließlich vor.

»Besser zur Stadtwache«, erwiderte der Gaukler.

»Gut, wenn du meinst.« Er hob den Leichnam an. »Hilf mir, wir binden ihn auf sein Pferd und …«

Sie sahen die Ankommenden fast gleichzeitig. Ein Dutzend Männer. Mit Helmen und Piken auf Pferden, deren Hufschläge donnerten.

»Bewaffnete!«

»Hm.«

Das würde Ärger geben, vermutete Falk. Und er sollte recht behalten.

Ihr Anführer preschte auf sie zu, zügelte dann grob seinen Rappen. »Halt!«, befahl er lautstark. »Im Namen des Grafen Colleverde, was macht ihr da? Wer seid ihr?« Finster dreinblickend musterte er sie. Ehe Falk etwas antworten konnte, keuchte der Mann neben dem Anführer erschrocken auf und streckte die Hand anklagend aus. »Herr! Der Tote … Es ist tatsächlich ein Diener der Familie di Fiume!«

Falk traute seinen Ohren nicht. Was sollte der Mann sein?

Fragend sah er zu Bingo, der allerdings noch nicht seine Sprache wiedergefunden hatte.

Dafür ergriff der Anführer mit dem roten Umhang und dem Hut mit der Feder wieder das Wort. »Gut, dass ich den Hinweis ernst genommen habe. Nehmt die beiden fest!«

Das wollte sich Bingo natürlich nicht gefallen lassen, waren sie beide doch unschuldig. »Bei allen … wir haben nichts mit diesem Toten zu tun!«, erwiderte er.

Doch so einfach war die Sache für den Anführer der Gruppe nicht erledigt. »Das wird sich herausstellen. Durchsucht sie, Männer! Seht auch in der Scheune nach!«

Sie packten Falk und Bingo, hielten sie gröber als nötig fest, während sie sie durchsuchten.

»Unerhört! Ich bin Ritter Falk von Steinfeld und dies ist mein Freund Ritter Bingo della Rocca!«

Falks Protest blieb jedoch ohne Wirkung.

Im Gegenteil. Einer der Männer lachte höhnisch. »Ritter? Ihr? Eher lausiges Gesindel!«

Und so konnten die beiden es nur über sich ergehen lassen und hoffen, dass sich alles zu ihren Gunsten klärte. Denn wieso auch nicht? Sie waren schließlich unschuldig, hatten nichts verbrochen; ja waren sogar selbst Opfer dieser beiden Fremden gewesen.

Natürlich fand man das Buch.

Interessiert blätterte der Anführer mit dem langen schwarzen Schnauzbart es durch. »Interessant. Ein Gedichtbändchen, das Lucia di Fiume gehört. Wie kommt es unter Euer Wams, wenn Ihr nichts mit dem Toten zu tun habt?« In seinen Augen funkelte es. Seine Männer fingen an zu munkeln.

Falk spürte, wie die Stimmung kippte. Die Situation wurde für sie eindeutig gefährlich.

»Die beiden haben viel Geld in ihren Satteltaschen, Herr!«, warf derjenige in die Runde, der ihr Hab und Gut unter die Lupe genommen hatte.

»Ha!« Auflachend stemmte der Anführer die Fäuste an die Hüften. »Damit ist Eure Schuld erwiesen. Dieser Unglückliche sollte zwanzig Pferde einkaufen. Ihr habt ihn überfallen, ermordet und ausgeplündert. Mit solchen Strauchdieben machen wir hier kurzen Prozess! Als Vogt des Grafen verurteile ich Euch hiermit zum Tode. Habt Ihr Einwände, Hauptmann?« Damit wandte er sich an den Mann, der neben ihm stand.

Dieser schüttelte vehement den Kopf. Es schien ihm gar nicht schnell genug mit der Hinrichtung zu gehen. »Nein, Vogt, die beiden Fremden sind schuldig. Holt Stricke, Männer! Und dann an den Baum dort mit ihnen!« Er deutete zu einer großen Eiche mit starken Ästen. Nahezu perfekt für eine schnelle Hinrichtung.

Falk war fassungslos. Man hatte ihnen nicht einmal die Gelegenheit gegeben, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Von einer fairen Verhandlung ganz zu schweigen.

»Wie? Ich habe wohl nicht richtig gehört!«, fuhr er den Kerl an.

»Seid Ihr wahnsinnig geworden, Vogt?« Auch Bingo hatte sich endlich aus seiner Schockstarre gelöst. »Wir sind Ritter!« So konnte man doch nicht mit ihnen umgehen!

Statt eine Antwort zu geben, wandte der Vogt Falk und Bingo voller Verachtung den Rücken zu. Mit so einem Pack wollte er anscheinend nichts weiter zu tun haben.

Entsetzt und hilflos zugleich beobachteten Falk und Bingo, wie die Männer die Stricke für ihre Exekution vorbereiteten.

So sollten sie also enden? Wie Verbrecher nebeneinander an einem Ast baumeln?

Das konnte und wollte keiner von ihnen glauben.

Es musste doch einen Ausweg geben!

»Ihr macht einen großen Fehler, Vogt!«, versuchte Bingo es erneut. »Wir sind wirklich Ritter!«

»Ritter?« Der Vogt wandte sich um und verzog spöttisch das Gesicht. »Da muss ich ja lachen! Ritter? Nein, wohl eher ein Fettwanst!« Er spuckte Bingo das Wort geradezu ins Gesicht.

Was Bingo sich natürlich nicht gefallen ließ. In seiner Ehre gekränkt, ging er auf den Vogt los, was für Falk verständlich war, aber ihre Situation nicht gerade verbesserte.

»Bei dem Wort Fettwanst sehe ich rot!« Wütend und außer sich packte er den Vogt an seinem Hemd.

Dieser war so überrascht von Bingos Attacke, dass er sich gegen diesen Angriff nicht wehrte. »Ah!«

»He!« Der Hauptmann sah die Gefahr, in der der Vogt schwebte und fürchtete um dessen Leben.

»Hilfe!« Reglos hing der Vogt in Bingos großen Händen.

»Beschützt den Vogt! Haltet die Mörder!«, schrie der Hauptmann.

Die Situation eskalierte. Die Männer zogen ihre Waffen, bereit, für ihren Vogt zu töten und zu sterben.

Natürlich blieb auch Falk nicht tatenlos. »Weg mit dem Dolch, Hauptmann!« Mit einem kräftigen Faustschlag in den Nacken brachte Falk den Kerl zu Fall. Stöhnend ging dieser zu Boden.

Ein wilder Kampf entbrannte.

Falk hatte lediglich seine bloßen Hände, um gegen die Bewaffneten anzugehen. »Zurück mit euch!«

Zum Glück besaß er genug Erfahrung und auch die entsprechende Körperkraft, um sie in Schach zu halten, indes Bingo sich eines Dolchs bemächtigt hatte, den er dem Vogt an den Hals hielt, während er ihn mit der anderen Hand festhielt.

»Lasst mich sofort los!«, verlangte der Vogt entrüstet. »Sonst gebe ich den Befehl, Euch niederzustoßen!«

Darauf ging Bingo natürlich nicht ein. Das hätte Falk auch sehr gewundert.

»Damit könnt Ihr uns nicht erschrecken, Vogt. Zwischen Stahl und Hanf ist kein großer Unterschied. Das Ergebnis ist das Gleiche!«

Da musste Falk seinem Freund recht geben. Wobei, wenn er die Wahl hatte, würde er vermutlich den Stahl vorziehen. Ein schnellerer und wahrscheinlich weniger qualvoller Tod, als elendig zu ersticken, wenn man sich nicht sofort das Genick brach.

»Nur für Euch nicht!«, fuhr Bingo fort. »Wenn Eure Männer ihre Waffen gegen uns erheben, seid Ihr des Todes!«

Der Vogt schüttelte leicht den Kopf. In seinen Augen blitzte es auf. »Ah! Ihr … Ihr wagt es … damit kommt Ihr niemals durch!«

Die Männer hatten sich mittlerweile zurückgezogen. Abwartend. Niemand von ihnen wollte für den Tod des Vogts verantwortlich sein, was Falk nur zu gut verstehen konnte. »Es geschieht nur zu Eurem Besten, Vogt!«, sagte er.

»Wie?« Verständnislos sah er ihn an. Nein, Furcht hatte dieser Mann nicht. Und dafür bewunderte Falk ihn insgeheim.

»Wir wollen Euch nur vor einer großen Dummheit bewahren.« Falk sah sich um, deutete dann auf einen der Männer. »He, du da!«

Der Angesprochene zuckte zusammen. »Ich?«

»Ja. In unseren Satteltaschen ist nicht nur Geld. Bring mir die Papiere, die da drin sind.«

Der Mann nickte, ging los und kam kurz darauf mit dem Verlangten wieder. Er reichte Falk die Papiere, die dieser dem Vogt zeigte. »Dies ist ein Begleitbrief des Grafen Vallechiara. Lest ihn! Wir sind nämlich wirklich Ritter!«

Nur widerstrebend kam der Vogt der Aufforderung nach. Mit den Augen überflog er die Zeilen. »Oh! Tatsächlich …«

Bingo grinste. »Seht Ihr? Wir haben die Wahrheit gesagt.«

Falk wandte sich nunmehr an den Hauptmann. »Kommt her, Hauptmann! Ihr sollt den Brief auch lesen!«

»Hm!« Der Bärtige nahm den Brief und las. Als er fertig war, hob er den Kopf. »Es stimmt. Aber … das braucht noch lange nicht zu bedeuten, dass Ihr unschuldig seid!«

Bingo schnaubte abfällig. »Nein? Es erklärt aber zumindest, warum wir so viel Geld bei uns haben. Das ist unsere Reisekasse, Verehrtester!«

Falk holte tief Luft. Zumindest ein wenig hatte sich die Situation mittlerweile entspannt. »Nun zu dem Büchlein!« Mit wenigen Worten schilderten er und Bingo, was sich während der vergangenen Nacht auf dem verfallenen Bauernhof abgespielt hatte.

Der Vogt und seine Männer hörten zu, blieben aber trotzdem skeptisch. »Eine sonderbare Geschichte, findet Ihr nicht auch, Hauptmann?«

Dieser nickte zustimmend. »In der Tat, Vogt!«

»Ob sonderbar oder nicht, sie ist wahr!«, beharrte Falk.

»Nun gut«, lenkte der Vogt endlich ein. »Wir bringen Euch zu Graf Colleverde. Er soll das Urteil über Euch sprechen.«

Falk lächelte erleichtert. »Das gefällt mir schon besser als Eure übereilte Strickmethode!«

»Verzeiht! Da wussten wir ja noch nicht, dass Ihr dem Ritterstand angehört!«, versuchte sich sein Gegenüber zu verteidigen.

»Ach nein!«, erwiderte Falk. »Für Euch scheint es zweierlei Recht zu geben, Vogt! Einen armen Teufel hängt Ihr in diesem Lande mir nichts dir nichts auf, ohne nachzuprüfen, ob er wirklich schuldig ist?« Es war mehr eine Feststellung, denn eine Frage.

Dennoch ließ es sich der Vogt nicht nehmen, darauf zu antworten. »Ich habe nicht die Absicht, mit Euch über Rechtsfragen zu debattieren, Ritter! Holt Eure Pferde, wir wollen zu Graf Colleverde reiten!«

»Gut!«

Die Überheblichkeit in der Stimme des Vogts war nicht zu überhören. Doch Falk ging nicht darauf ein. Es würde nichts bringen. Er hoffte nur, dass auch Bingo sich zurückhielt. Was dieser natürlich nicht tat.

»Einen Augenblick, Vogt!«, fuhr er dazwischen. »Zwischen uns beiden ist noch etwas zu regeln!«

»Wie?« Der Vogt, der im Kampf seinen Hut verloren hatte, sah Bingo erstaunt an.

»Ihr habt mich Fettwanst genannt! Mich, den großen, einmaligen, herrlichen Ritter Bingo della Rocca!«

»Oh! Nun ja …« So ganz wohl schien sich der Mann nicht in seiner Haut zu fühlen.

Falk stand abwartend neben den beiden, bereit, jederzeit einzugreifen.

»Ich verlange Genugtuung!«, forderte Bingo.

Falk seufzte und versuchte ihn zu beschwichtigen. Es gab nun wirklich Wichtigeres zu tun. »Lass doch …«

 

»Oh nein!« Zu Falks Überraschung war es diesmal der Vogt, der Einwand erhob. »Euer Freund hat mir einen Weg gezeigt, wie Ihr doch noch an Ort und Stelle bestraft werden könnt!« Er grinste hinterhältig.

Falk fluchte im Stillen. Hätte Bingo doch nur besser den Mund gehalten! Doch nun war es zu spät.

»Wir brauchen Graf Colleverde nicht zu bemühen. Übernehmt Ihr Ritter Falk, Hauptmann?«

Der Bärtige nickte. »Mit Vergnügen, Vogt!«

Beiden, Bingo und Falk, war klar, was folgen würde. Ein Kampf Mann gegen Mann.

»Das ist also das friedliche Land mit den friedlichen Leuten, durch das du mich führen wolltest, Bingo?« Natürlich war es nicht Bingos Schuld. Dennoch …

»Hm!« Sein Freund und Begleiter senkte betroffen den Blick, und schon bereute Falk seine vorwurfsvollen Worte wieder. Ehe Bingo noch etwas sagen konnte, rief der Hauptmann: »Na, seid Ihr bereit, Fettwanst?« Er hatte sich seines Umhangs entledigt und stand kampfbereit da.

Bingo seufzte und betrachtete kurz gedankenverloren das Schwert, das man ihm gegeben hatte.

Besorgt sah Falk zu ihm.

»Der Kampf beginne!«, sagte der Vogt und drang umgehend siegessicher auf Bingo ein, während der Stadthauptmann Falk als seinen Gegner erst einmal musterte. Sofort wurde Falk klar, dass er diesen Mann ernst nehmen musste. Wenn er sein Alter richtig einschätzte, hatte er schon einige Jahre und Kämpfe hinter sich. Und so musste er auf der Hut sein und konnte nur gelegentlich einen Blick zu seinem Freund werfen.

»Da und da, Fettwanst!« Ungehalten schlug der Vogt auf Bingo ein. Ihre Schwerter prallten laut aufeinander. »Bevor ich dich niederstoße, wirst du ein paar Pfund abnehmen!«

Sein Spott und Hohn trafen Bingo tief. Und natürlich ließ er sich das nicht gefallen und ging zum Gegenangriff über. »Da Ihr vom Abnehmen sprecht … Euer Schnurrbart ist entschieden zu lang. Ich nehme ihm erst die rechte Seite ab … und dann die linke.«

Und mit gezielten Hieben tat er es.

Der Vogt stand wie erstarrt da, als erst die eine und kurz darauf die andere Seite seines Spitzbartes zu Boden fiel. Ungläubiges Erstaunen und Wut standen in seinem Blick.

»Na, wo ist Eure Forschheit geblieben?«, setzte Bingo nach. Tatsächlich war sie von einem Moment auf den anderen wie weggeblasen.

»Bei allen …«

»Dämmert Euch, dass ich eben genauso gut statt des Schnurrbartes Euren Hals hätte treffen können?«

»Teufel, ja!« Doch trotz dieser Demonstration seines Könnens drang der Vogt weiter auf Bingo ein. Ungehaltener und wütender noch als vorher. Schließlich hatte er vor seinen Männern sein Gesicht verloren. Bingo hatte ihn zum Gespött gemacht, und das würde er ihm heimzahlen.

Doch Bingo lachte nur über seine ungelenken Attacken. »Ha, ha, seid Ihr stürmisch!«

»Ah!«

»Hi, hi, hi, Ihr kitzelt mich unter dem Arm, Vogt!« Bingo hielt den Arm des Vogts fest und griff nach der Nase seines Gegners. »Ja! So steht Euch der Schnurrbart viel besser. Nur die Nase müsste dazu etwas dicker sein. Aber dem ist ja abzuhelfen!« Mit voller Wucht schlug er dem Vogt die Faust auf das besagte Körperteil.

Der Kerl taumelte benommen zurück, verlor dabei seine Waffe und brach zusammen.

Ein überraschtes Raunen ging durch die Reihen der Umherstehenden.

Ein klarer Sieg für Bingo, der sich nunmehr seinem Freund zuwandte. Mit in die Hüften gestemmten Händen spottete er: »Na, Falk? Spielst du noch immer mit dem Hauptmann?«

»Verd…«, fluchte dieser, als Falk seinen Angriff gekonnt parierte.

»Du hast recht, Bingo! Jetzt ist es genug!« Falk holte aus, und mit einem kräftigen Schwerthieb entwaffnete er seinen Gegner.

Dem Hauptmann entwich ein schmerzhaftes »Oh!«, ehe er zu Boden ging, wo er wehrlos liegen blieb.

Falk lächelte milde. Sein Gegner hatte tapfer und gut gekämpft, das erkannte er an. »Wollt Ihr den Kampf fortsetzen, oder soll es genug sein?«

Der Hauptmann schüttelte den Kopf. »Es … Ihr seid unschlagbar … Wenn ich Euch beleidigt habe … verzeiht mir!«

Die beiden Ritter hatten die Sache eindeutig für sich entschieden.

Und Falk war froh, dass der Hauptmann so einsichtig war. »Ist Euch klar, dass ich Euch hätte töten können?«

»Ja.« Seinem Gesichtsausdruck nach war es ihm tatsächlich bewusst. »Ihr habt es nicht getan.« Ein wenig schien er darüber verwundert zu sein. Er dachte kurz nach und fuhr dann fort: »Und genau deshalb glaube ich auch nicht mehr, dass Lucia di Fiumes Diener von Euch ermordet wurde.«

Nun, das war wenigstens etwas.

Falk lächelte und half dem Mann auf. Dieser ließ sich von einem der Männer seinen Umhang umlegen. Seine warnenden Worte dabei waren jedoch an Bingo gerichtet. »Ihr habt dem Vogt böse mitgespielt, Ritter Bingo. Er ist ein stolzer und nachtragender Mann. Ganz gleich, wie er sich in Zukunft Euch gegenüber verhält … Er ist von nun an Euer Todfeind.«

Das hat uns gerade noch gefehlt, dachte Falk.

»Danke für die Warnung, Hauptmann!«, erwiderte Bingo gelassen. Ihn schien ein weiterer Mann auf dieser imaginären Liste nicht zu stören.

Der Hauptmann sah auf den bewusstlosen Vogt nieder. »Es ist wohl besser, er sieht Euch nicht gleich, wenn er wieder zu sich kommt.«

Dem konnte Falk nur zustimmen.

Der Hauptmann wandte sich an seine Männer. »Bleibt beim Vogt und begleitet ihn zurück, wenn er erwacht! Ich reite mit den beiden Rittern voraus!«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«

Falk war froh, als man ihnen ihre Pferde brachte.

Zusammen mit dem Hauptmann ritten sie los. Endlich hatte Falk Zeit, in Ruhe und ausführlich von den Geschehnissen zu berichten.

Der Hauptmann hörte interessiert zu.

»Leider konnte ich letzte Nacht nicht mehr hören, Hauptmann«, beendete Falk irgendwann seinen Bericht.

»Hm. Merkwürdig. Sehr merkwürdig.« Er schien nachzudenken.

»Ja! Noch merkwürdiger finde ich es, dass der Diener Lucia di Fiumes mit einem Gedichtbändchen durch die Gegend reitet.« Falk hatte stundenlang darüber nachgegrübelt, doch er war noch immer nicht zu des Rätsels Lösung gekommen.

»Ob das der Gegenstand war, den der Diener dem Unbekannten geben wollte?«, mischte sich nunmehr auch Bingo ein und tat seine Gedanken zu dieser Sache kund.

»Hm!« Falk krauste die Stirn und schloss kurz nachdenklich die Augen. »Das könnte sein, Bingo! Und da er ihm das Büchlein nicht geben konnte, weil er es während des Handgemenges mit uns verloren hatte, gerieten sie in Streit!« Das musste es sein! Warum war er selbst nicht darauf gekommen? »Und dabei wurde der Diener getötet«, murmelte Falk.

Der Hauptmann sah ihn an. »Möglich.«

Falk nickte. Aber irgendetwas stimmte an seiner Theorie noch nicht so ganz. »Andererseits, wenn das Büchlein so wichtig für den Unbekannten ist, dann wäre er zurückgekommen, um es zu suchen.«

»Aber das ist er nicht.«

»Nein. Bingo und ich haben abwechselnd gewacht. Es hat sich niemand dem Hof genähert.«

»Weshalb zerbrecht Ihr Euch den Kopf darüber, Ihr Herren? Euch geht das Ganze doch nichts an.«

Falk lachte auf. »Das sagt Ihr!« Für Falk war die Sache noch lange nicht beendet. »Noch ist der Verdacht, dass wir den Diener erschlagen haben, nicht von uns genommen. Wenn wir herausbekommen könnten, was sich abgespielt hat, nachdem die beiden Männer geflüchtet sind …«

Der Hauptmann nickte. »Ich verstehe Euch.«

»Schade, dass der Vogt uns das Büchlein abgenommen hat.«

Bingo hatte anscheinend genug von dem Thema. »Übrigens … warum ist der Bauernhof verfallen?«, fragte er. »Als ich vor fünf Jahren …«

»Der Bauer stand mit dem Teufel im Bunde!«, unterbrach der Hauptmann ihn harsch. Seine Miene verfinsterte sich. »Er versuchte, den Vogt mit Hexerei umzubringen, da wurde er zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Seine Frau und seine Söhne haben nach der Hinrichtung das Land verlassen.«

Bingo wurde eine Spur blasser. Er hatte anscheinend mit vielem gerechnet, aber nicht mit solch einer schrecklichen Geschichte. »Das … das ist ja …« Ihm fehlten die Worte.