Von Flammen & Verrat

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KAPITEL 3

Am nächsten Morgen um Punkt Neun betrat ich, begleitet von Nick und Malik, das Ratsgebäude im Herzen von Arcadia. Die Assassinen lauerten bereits in den Schatten und die Minister erwarteten uns. Da mein ganzes Auftreten, inklusive meiner Kleidung, bewertet werden würde und ich direkt von Anfang an ein Statement setzten wollte, trug ich eine leger sitzende, weiße Seidenhose und eine wunderschöne goldfarbene Tunika mit Perlenknöpfen. Meine Haare fielen mir glatt den Rücken hinab und auf meinem Kopf thronte das übliche Flügeldiadem.

Obwohl die Kleider aus Arcadia stammten, fühlte ich mich überraschend wohl in ihnen. Sie waren luftig und schick und ich hatte nicht das Gefühl, in einem mörderisch hochgeschlossenen Kleid zu ersticken.

Eine ganze Armee an Wachen erwartete uns im Inneren des Gebäudes und Malik erwiderte meinen fragenden Blick mit stoischer Miene. Er würde nicht nachgeben, so viel stand fest. Auch wenn er genau wusste, wer um uns herum in den Schatten lauerte.

Nick warf mir einen fragenden Blick zu. »Bereit?«

Ich nickte und gemeinsam betraten wir, gefolgt von Malik, den Ratssaal. Meine zweite Ratssitzung. Wer hätte noch vor ein paar Tagen ahnen können, dass wir so schnell wieder zusammenfinden würden, und vor allem, warum.

Mit so viel Selbstbewusstsein und Würde wie möglich schwebte ich in den Saal. Anstatt mich jedoch zu den Ministern auf die Empore zu gesellen, blieb ich unten, auf der Redeplattform, wie ich sie nannte, stehen. Das Mosaik zu meinen Füßen war wunderschön. Es zeigte einen Krieger, ähnlich gekleidet wie Malik, mit gigantischen, weißen Flügeln, der, das Schwert hoch erhoben, in Richtung Himmel flog.

Die glorreichen Engel. An der gesamten vergangenen Woche war jedoch wenig glorreich gewesen.

»Eure Hoheit«, begrüßte Laurenti mich mit schmierigem Grinsen und gelben, fliegenden Haaren, als er die kleine Wendeltreppe herunter geeilt kam.

»Bemüht Euch nicht, Minister. Ich stehe genau dort, wo ich stehen will.«

»Aber …«

»Setzt Euch, Minister«, wies Malik Laurenti in scharfem Ton an. Sichtlich irritiert von unserem Auftreten, zog der Minister sich auf die Empore zurück. Nicht jedoch, ohne mich oder das Diadem auf meinem Kopf, noch einmal abfällig zu mustern. Es war das erste Mal, dass wir uns seit dem kleinen Zwischenfall in seinem Haus wiedersahen und der Hass in seinen Augen loderte energischer denn je.

Showtime.

Langsam hob ich den Blick und sah in die Gesichter jener Männer, die womöglich den Tod eines ihrer eigenen Mitglieder verursacht hatten. Den Ministern, die mir bei der ersten Ratssitzung freundlich entgegengetreten waren, nickte ich höflich zu, ehe ich mich auf Laurenti konzentrierte.

Lucan?

Links von dir, hörte ich seine tiefe Stimme in meinem Kopf. Direkt unter Laurenti. Duncan und King sind auf der Empore. Alex hinter dir. Bowen rechts von euch und Kjiel, Víctor und Rio sind vor dem Gebäude.

Sag Duncan und King, dass sie Laurenti im Auge behalten sollen, wies ich ihn stumm an.

Ich konnte Lucan nicht sehen, ich sah keinen der Assassinen, dennoch spürte ich, wie sein Bewusstsein sanft gegen meines strich. Er war hier und unsere Verbindung war stark. Was immer passieren mochte, die bloße Anwesenheit der Krieger gab mir zusätzliche Kraft.

Nick verschränkte die Arme hinter dem Rücken und sah sich geduldig um. Er überließ mir die Führung, so, wie wir es besprochen hatten.

»Minister Meyer ist tot«, begann ich mit lauter, klarer Stimme.

»Er wurde ermordet … hingerichtet«, verbesserte ich mich und ließ die erste Bombe platzen. »Direkt am See der Balance. Vor unser aller Augen.«

Das erste Raunen ging durch die Menge und mein Blick glitt von Laurenti, der die Zähne zusammenbiss, bis sein Kiefer kurz vorm Zerbersten sein musste, zu den anderen Ministern, die während der letzten Ratssitzung wie brave Chihuahuas an Laurentis Rockzipfel gehangen hatten. Den Blick starr geradeaus gerichtet sahen sie nicht mich, sondern einen Punkt hinter meiner linken Schulter an.

»Hingerichtet, Eure Hoheit?« Einer der netten Minister wurde ein wenig blass um die aristokratische Nase. »Ihr meint doch sicherlich …gestorben?«

»Leider nein …« Aus den Augenwinkeln sah ich Nicks Lippen lautlos einen Namen formen »Minister Emres. Unser geschätzter Minister Meyer«, der Himmel möge sich auftun und mich strafen, »wurde hingerichtet. Mit einem uralten und seit Jahrhunderten illegalen Blutzauber.«

Und Raunen Nummer Zwei ging durch den Saal. Diesmal aber überraschte Laurenti mich, indem er aufstand und sich lässig an die Balustrade der Empore stützte.

»Das Verbrechen, das Ihr uns hier offenbart, Eure Hoheit, ist in der Tat ein Skandal.« Sein Tonfall machte deutlich: Wenn es denn stimmt.

»Malik?« Wie besprochen trat Malik vor und erläuterte den Ministern im Detail – in jedem grausamen, noch so kleinen Detail – was gestern Früh passiert war. Lediglich die Botschaft behielt er für sich.

Ich hatte mir von Anfang an gedacht, dass die Minister Nick oder Malik mehr Glauben schenken würden als mir, daher hatten wir uns vorab gemeinsam auf Malik geeinigt. Von unserer kleinen Gruppe war er mit Sicherheit das respektabelste Mitglied des königlichen Hofes, auch wenn ich es war, die das Diadem trug.

»Wie Ihr also seht, hat es unser Feind geschafft, sich unbemerkt Zutritt nach Arcadia zu verschaffen.«

»Das ist unmöglich!«, rief einer der Minister.

»Ist es das wirklich?« Mein Blick fand den von Laurenti und die boshaften Augen des Mannes funkelten beinahe vergnügt.

Er weiß, dass wir keine Beweise haben.

Der Mistkerl scheint das hier richtig zu genießen.

Aber ich wollte den Minister leiden sehen und ich wollte ihn aus der Fassung bringen, also traf ich eine impulsive Entscheidung und wich vom Plan ab.

»Wir vermuten, dass Minister Meyer hinter den Anschlägen am Tag meiner Initiation steckte.«

Nicks Kopf wirbelte herum.

»Lilly!«, zischte er leise, sichtlich überrascht.

Ein paar der Minister sprangen auf und tauschten aufgeregte Blicke miteinander. Chaos brach aus, aber ich blendete es aus und konzentrierte mich voll und ganz auf Laurenti. Wieso konnten wir keine Beweise finden? Und wieso verdammt nochmal reichte es nicht aus, dass er Laura und Jace gequält hatte? Aber nein, laut Nick, Malik und sogar Olli, brauchten wir handfeste Beweise für seine Gräueltaten oder noch besser, einen Verrat an Alliandoan – ihre Worte, nicht meine –, um den Minister auszuschalten. Leider gehörte die schlechte Behandlung von Unsterblichen nicht dazu. Schon gar nicht, wenn es sich um einen Mischling und einen Ghoul handelte. Es gab keinerlei Gesetze, die andere Unsterbliche in Alliandoan vor den Engeln schützten, auch etwas, was ich gedachte zu ändern, sobald ich Laurenti los war.

Mach weiter, Prinzessin. Duncan und King beobachten ein paar Minister gegenüber von Laurenti, die auf einmal ziemlich nervös aussehen.

»Wir haben von Anfang an nicht daran geglaubt, dass Dämonen hinter den Angriffen stecken und haben Nachforschungen angestellt. Und endlich ist uns ein Durchbruch gelungen.«

Der Saal verstummte und auch Laurenti erstarrte.

»Minister Meyers Hand wies zahlreiche Brandwunden auf. Ein paar der fähigsten Zauberer aus Dhanikans sowie Runak, der oberste Heiler Arcadias, untersuchen die Brandwunden just in diesem Moment.«

Eine dreiste Lüge, aber das würde außer uns und dem Mörder niemand wissen.

»Gibt es schon Ergebnisse?«

Ich verneinte die Frage. »Bis jetzt nicht, aber sowohl der Magister der Gelehrten als auch Midas selbst haben uns ihre Hilfe angeboten.«

Kluger Schachzug, Prinzessin.

Es konnte nicht schaden, ein wenig Macht zu demonstrieren, und den Ministern meine Allianzen klarzumachen. Auch wenn ich Midas noch nie getroffen hatte und nicht einmal wusste, ob der oberste Zauberer Dhanikans hinter mir stand. Aber ein Mädchen durfte ja hoffen.

»Ihr habt einflussreiche Freunde vorzuweisen, Eure Hoheit.« Laurenti musterte mich von Kopf bis Fuß und ich unterdrückte den Ekel, der bei seinem Blick in mir aufzusteigen begann. »In so kurzer Zeit.«

»Wisst Ihr, Minister, wenn man dasselbe Ziel hat, bilden sich neue Freundschaften recht schnell.«

Zwei der netten Minister beugten sich neugierig vor. »Von welchem Ziel sprecht Ihr, Hoheit?«

»Einer vereinten Anderswelt«, antwortete ich ehrlich und wandte mich von Laurenti ab. »Von offenen Grenzen und Portalreisen, fairen Handelsverträgen und einem Ende der Sklaverei.«

Laurenti war so dreist, zu lachen.

»Ich sagte es schon einmal und ich sage es erneut. Das sind die idealistischen Ziele eines jungen Mädchens. Ihr mögt ein Diadem tragen, aber Ihr seid noch lange keine …«

»Vorsicht, Minister«, ermahnte ich ihn leise. »Oder wollt Ihr den Zwischenfall in Eurem Haus wiederholen?«

Die anderen Männer blickten nervös von mir zu Laurenti. Einige von ihnen schienen zu wissen, wovon ich sprach, andere sahen völlig ratlos aus.

»Und wie wollt Ihr das anstellen, hm? Eine vereinte Anderswelt, ohne Sklaven …«

»Wir nehmen uns die Probleme Stück für Stück vor, angefangen mit dem heutigen Tag.« Ich sah mich im Saal um und vergewisserte mich, dass ich die volle Aufmerksamkeit genoss. »Ab heute wird Alliandoan keinen Handel mehr mit Crinaee betreiben. König Narcos wurde bereits informiert und alle Verträge fristlos gekündigt.«

 

»Ihr habt was

Jetzt hast du ihn, rede weiter und mach ihn so richtig wütend, Prinzessin.

Nichts lieber als das …

»Es wird keinen sirovine Handel mehr mit Narcos geben, Minister Laurenti. Außerdem werden wir Crinaee nicht mehr mit Getreide beliefern oder ihnen bei Verhandlungen mit Fenodeere beratend zur Seite stehen.«

Das Gesicht des Ministers lief puterrot an. »Wie könnt Ihr es wagen? Das waren wichtige Verträge! Alliandoan ist auf Crinaee angewiesen …«

»Das sind wir nicht«, unterbrach Nick ihn gelassen. »Ebenso wenig ist Crinaee auf uns angewiesen. Bevor wir weiteren Handel betreiben, werden wir uns die Konditionen genauestens anschauen und uns überlegen, ob wir wahrhaftig mit einem Tyrann Handel betreiben wollen.«

»Zudem werden wir keinerlei Sklaven aus Anak oder Permata mehr ausliefern. An keines der anderen Königreiche. Nie wieder.« Dieser Punkt war mir besonders wichtig.

»Ihr wisst nicht, was Ihr tut!«, keuchte Laurenti. »Ihr zerstört damit unsere jahrelange Arbeit. Ganze Jahrzehnte! Das … das werde ich nicht zulassen. Ihr seid doch nichts weiter als ein …« Im letzten Moment fing er sich und brach ab. Im Saal war es vollkommen still geworden und nur das schwere Atmen des Ministers war zu hören.

»Ja, Minister? Ich bin was?«

Laurenti sah zur Seite. Seine Hände umklammerten das Geländer der Balustrade so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten, und aus der kurzen Entfernung meinte ich, eine Ader an seiner Schläfe pochen zu sehen.

»Wisst Ihr Minister, vielleicht wäre es ab jetzt besser für alle, wenn man Euch sieht, aber nicht hört.«

Sein Kopf ruckte erneut herum und völlig fassungslos starrte er mich an. Es war wohl das erste Mal innerhalb der letzten Monate, dass ich den Minister sprachlos erlebte. Die Genugtuung, die ich empfand, als ich ihm seine eigenen Worte an den Kopf warf, war nicht mit Gold aufzuwiegen. Pure. Befriedigung.

Laurenti öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dann schaute er auf, aber seine Kumpels blickten ebenso ratlos drein, wie er. Ich machte mir genau diesen Moment zunutze, um die Ratssitzung zu beenden. Wir hatten keinerlei Beweise gegen den Minister, aber vielleicht hatten Duncan und King etwas Interessantes beobachtet und die Mitglieder des Rates, die mir gegenüber wohlgesonnener gestimmt waren, hatten nicht nur meine Entschlossenheit, sondern auch Laurentis unmögliches Verhalten beobachten können. Eventuell motivierte es sie dazu, ihre Loyalität ihm gegenüber zu überdenken. Also kein kompletter Reinfall …

Wir treffen uns im Palast.

Ich spürte einen leichten Windhauch, ganz zart und kaum wahrnehmbar, und die Assassinen waren verschwunden.

»Gehen wir«, wies ich Nick und Malik an, wandte mich von der noch immer erstarrten und sichtlich schockierten Menge ab und verließ schnellen Schrittes das Ratsgebäude.

Als wir auf die Straße vor dem Gebäude traten, zog ich die frische, blumige Luft Arcadias tief in meine Lungen und drehte mich dann zu meinem Bruder um.

»Na, los«, forderte ich ihn auf. »Sag es.«

Die Falte auf Nicks Stirn vertiefte sich. »Du hast dich nicht an den Plan gehalten.«

»Der Plan hat nicht funktioniert«, murmelte ich und sah Malik nicken.

»Du hast impulsiv, aber clever gehandelt, Lilly. Ich bin stolz auf dich.«

Überrascht schaute ich von Nick weg und hinauf in den strahlend blauen Himmel. Ich betrachtete die sieben Sonnen, die sich langsam immer höher schoben und sich dabei zu umkreisen schienen. Zur Mittagszeit würden sie direkt über dem See der Balance schweben, in einer Art Halbkreis, und uns alle daran erinnern, dass ihre Schönheit womöglich auch eine Warnung war.

»Habt ihr den Ausdruck in Laurentis Augen gesehen, als ich die Hand des Ministers erwähnt habe?«

»Er wusste ganz genau, dass die Hand fehlte.«

Ich gab ein zustimmendes Geräusch von mir und Malik fuhr fort.

»Crinaee zu erwähnen, war eine gute Idee. Ich habe schon gedacht, ich muss einschreiten und dich vor dem Minister retten.«

»Ich glaube, wir hätten eher den Minister vor Lilly retten müssen«, scherzte Nick. »Oder vor Lucan.«

»Wo sind die Assassinen jetzt?«

»Zurück im Palast.«

Nick warf mir einen fragenden Blick zu. Offenbar wollte er wissen, woher ich das so genau wusste.

»So hat Duncan es mir erzählt«, log ich, als wir uns in Bewegung setzten. Es war noch früh und die ersten Händler und Läden schienen gerade erst zu öffnen. In der Welt der Menschen wären die ersten Cafés bereits seit Stunden geöffnet. So auch das Himmel und Erde. Ich hätte bereits meinen zweiten Cappuccino mit Todd intus und würde Kaffee und Frühstück mit Susie servieren. Aber die ersten sechsundzwanzig Jahre meines Lebens kamen mir auf einmal wie ein Traum vor. Irgendwie unwirklich. Ratssitzungen, Mordermittlungen und lernen, wie man ein Königreich zu führen hatte, waren jetzt meine Realität. Eine Realität, an die ich mich in der Tat schnell gewöhnt hatte, weil sie mir gefiel. So gefährlich mein neues Leben auch manchmal sein mochte, ich wollte es gegen nichts auf der Welt eintauschen.

Als die ersten Engel anfingen, uns zu erkennen, beeilten wir uns, so schnell wie möglich in den Palast zu kommen. Ich würde an einem anderen Tag Hände schütteln, jetzt aber wollte ich wissen, ob Duncan und King irgendetwas Interessantes beobachtet hatten.

»Nochmal«, forderte Malik Duncan auf und die Augen des jungen Assassinen begannen gefährlich zu glitzern.

»Die beiden Minister gegenüber von Laurenti, der Dicke und der mit den komischen Haaren«, er deutete eine Irokesen Frisur mit der Hand an, »die beiden haben sich während Lillys kleiner Rede am auffälligsten verhalten.«

»Und der Typ mit der Glatze links von ihnen«, fügte Alex hinzu. Es war ungewohnt, den Assassinen in unserem kleinen, elitären Kreis zu sehen, aber nicht unerwünscht. Ich mochte Alex. Er war ruhig und zuverlässig, aber seine Augen verrieten ihn. Hinter der neutralen, beherrschten Fassade lauerte ein Raubtier. Die Assassinen wurden nicht umsonst gefürchtet.

»Was machen wir jetzt mit diesem Wissen? Wir haben nichts gegen Laurenti in der Hand.«

»Nichts Konkretes, nein«, stimmte Lucan Cora zu, »aber wir haben Anhaltspunkte und wir wissen jetzt, wen wir überwachen und im Auge behalten müssen. Mit jeder einzelnen Reaktion«, Lucan sah zu mir, »oder Provokation, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er sich verrät.« Er und Malik tauschten einen einvernehmlichen Blick miteinander.

»Wir werden Laurenti und die anderen Minister rund um die Uhr überwachen. Irgendwann machen sie einen Fehler.«

»Irgendwann macht jeder einen Fehler«, fügte King hinzu und erhob sich. Seine massive Gestalt warf einen Schatten auf den Küchentisch und unsere Runde. Der Assassine schenkte mir ein strahlendes Lächeln. »Gute Rede, Mädchen. Du hast ihnen auf jeden Fall was zum Nachdenken mitgegeben.« Er lehnte sich vor und klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. »Wir ziehen uns jetzt zurück. Alex. Duncan.«

Die Krieger erhoben sich anstandslos und folgten Lucans Stellvertreter aus der Palastküche.

Ich schielte zu Lucan, aber er blieb, wo er war. Ein Bein lässig über das andere gelegt, saß er am anderen Ende des Tisches. Die Kapuze seiner schwarzen, asymmetrischen Tunika hing ihm im Nacken und ermöglichte mir so einen perfekten Blick in das schöne, aber harte Gesicht des Assassinen-Königs. Lucans schwarze Augen glitten unfokussiert durch den Raum und ich nutzte den Moment, um ihn ungeniert anzustarren. Die schwarzen Messer an seinem Gürtel waren gut sichtbar, ebenso der Anfang und das Ende seiner Tattoos an Hals und Arm. Eins seiner beiden Katana lag neben ihm auf dem Boden und obgleich seine Haltung für jeden gelassen wirken musste, spürte ich die Anspannung, die von ihm ausging. Als hätte er mich gehört, hob er ruckartig den Kopf und sah mich an. Es war sinnlos, so zu tun, als hätte ich ihn nicht beobachtet und mich an seinem Anblick erfreut, also versuchte ich es gar nicht erst.

Wieso bist du noch hier?

Wäre es dir lieber, ich würde gehen?

Mein Kopf wackelte kaum merklich hin und her. Die Andeutung eines Kopfschüttelns. Nein. Ich wollte Lucan hier haben. Dennoch fragte ich mich, warum er noch hier saß, während seine Männer sich bereits verabschiedet hatten. Vielleicht lag es an mir (bei dem Gedanken begann mein dummes Herz höher zu schlagen) oder aber es lag daran, dass Lucan hier nur seinen Job machte und die Schuld seiner Familie gegenüber meiner beglich.

Ich höre dich denken, Prinzessin.

Nick, Malik und die anderen waren noch immer am Diskutieren, aber ich hörte sie nicht.

Dann beantworte die Frage.

Für einen Moment war es still in meinem Kopf. Dann meinte ich, ihn leise grollen zu hören.

Ich bin hier, weil ich es so will.

Sein Blick war eindeutig. Niemand zwang Lucan Vale etwas zu tun, was er nicht wollte. Ich schluckte und wandte den Blick ab, bevor meine Emotionen mit mir durchgehen konnten.

Nach ein paar weiteren Minuten hatten wir uns darauf geeinigt, die Minister überwachen zu lassen und die Schutzzauber rund um den Palst zu verstärken. Das Training würde für den Moment pausieren und wir alle uns ein, zwei Tage frei nehmen, um das Geschehene zu verarbeiten.


KAPITEL 4

Olli stürmte durch die Tür und direkt auf mich zu. »Wir haben Nachricht von Scio erhalten«, erklärte er begeistert.

Ohne auf Nick zu achten, sprang ich auf und schnappte mir meine Tasse und ein Croissant.

»Gehen wir!«

Seit Tagen saßen wir nur rum und taten nichts. Okay, das war so nicht richtig, wir studierten Handelsverträge, schauten uns die Strukturen von Anak und Permata an, machten Notizen und planten … dennoch war der Palast nahezu geisterhaft ruhig. Und sowohl Olli als auch Alina und die Assassinen glänzten vermehrt durch Abwesenheit.

»Lilly?«

Nick musterte mich aufmerksam, aber die erwartete Standpauke blieb aus. Anscheinend hatte er es sich anders überlegt.

»Wir … sehen uns heute Abend.«

Grinsend nickte ich meinem Bruder zu. Er versuchte es wirklich.

»Was war das?«, fragte Olli, als wir den Gang in Richtung der Bibliothek hinuntereilten.

»Nick 2.0.«, erwiderte ich kauend.

»Nicht übel.« Er zögerte kurz.

»Und was höre ich da von Lucan und dir?«

Ah, verdammt. Es war eine Frage der Zeit gewesen, das wusste ich, aber dennoch …

»Was hast du denn gehört?«

Wenn Olli es bereits wusste, dann würde es nicht lange dauern, bis die Information auch meinen Bruder erreichte.

»Keine Sorge, Lilly. Ich habe Informationsquellen im Palast, von denen kann dein Bruder nur träumen, und sie sind mir gegenüber sehr loyal.«

Das wollte ich wirklich hoffen. Bis jetzt wussten lediglich die Assassinen, Alina und Cora von meinem Glück. Und auch sie hatten mir geschworen, kein Sterbenswörtchen über Lucans und meine … Situation zu verlieren.

In der Bibliothek angekommen, verschloss Olli die Tür und versiegelte sie mit einem Zauber. Verschwiegenheit lag auf einmal in der Luft und ich ahnte, zu welcher Magie mein Freund gegriffen hatte. Jeder, der an der Bibliothek vorbeiging, würde uns nicht nur nicht hören, sondern auch den starken Drang verspüren, woanders hinzugehen.

»Ich kann nicht sagen, dass es mich überrascht«, fuhr Olli fort und ließ sich auf eines der großen Sofas vorm Kamin fallen. »Ich meine, eigentlich ist es offensichtlich für jeden.«

»Für mich war es das nicht!«

»Doch war es.« Olli schüttelte sanft den Kopf. »Etwas nicht zu wissen oder etwas nicht wahrhaben zu wollen, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Vielleicht hast du es verdrängt oder dir eingeredet, dass es nicht sein kann, nicht sein darf, aber Lilly, diese Verbindung und Chemie, die ihr von Anfang an hattet? Nicht normal.«

Und schon wieder wurde ich als abnormal bezeichnet. Langsam wurde das hier zum Trend.

»Ich möchte nicht über Lucan sprechen«, antwortete ich schließlich stur, »erzähl mir von Scios Nachricht.«

»Nun denn.«

 

Für Olli war das Thema Lucan offensichtlich noch nicht abgeschlossen, aber er wusste auch, dass wir Wichtigeres zu tun hatten.

»Auf unsere Anfrage hin haben die Gelehrten die letzten Wochen nachgeforscht«, er warf mir einen Blick zu, »daher war ich so oft in Anak. Heute haben sie etwas gefunden.«

Ich rutschte ein wenig vor, zu neugierig, um still sitzen bleiben zu können.

»Die Gerüchte sind wahr.«

»Ich wusste es!«, rief ich und sprang auf. »Ich wusste es«, flüsterte ich erneut und wandte mich zu Olli um. »Wie finden wir sie?«

»Das ist die Herausforderung.«

»Wie meinst du das?«

»Wir können sie nicht finden. Die Gelehrten auch nicht, nicht ohne das vesti rammat. Das heilige Grimoire aus dem Palast in Thalos.«

Sprachlos sah ich Olli an. »Das ist ein Witz, oder?«

Mein Freund seufzte tief, ehe er zur Bar hinüberschlenderte und sich eine klare Flüssigkeit in eines der schweren Kristallgläser füllte. Bei meinen ersten Besuchen in Arcadia hatte ich aufgrund der gut bestückten Bar inmitten der Bibliothek die Nase gerümpft, mittlerweile aber wusste ich das Ding definitiv zu schätzen. Nicht jedoch nach meinem Totalausfall. Olli hob fragend eine Augenbraue, und ich schüttelte den Kopf. Dank meines letzten Barbesuchs mit Duncan würde ich wohl eine Zeit lang auf Alkohol verzichten. Die Tatsache, dass Olli so früh am Morgen zu Schnaps griff, machte mich nervös.

»Was heißt das jetzt für uns?«

»Das heißt«, erwiderte er und trank einen großen Schluck, »dass wir irgendwie nach Crinaee und in Narcos Palast in Thalos kommen müssen.« Er sah mich an. »Du, um genau zu sein, denn Narcos hat Crinaee für alles und jeden außer Sklaven und Händler geschlossen. Und das Auflösen unserer Handelsverträge hat ihn nicht unbedingt sanftmütiger gestimmt. Die Grenzen werden streng kontrolliert und Portalreisen sind nur unter Aufsicht erlaubt.«

Na, wunderbar.

»Wie bringe ich ihn dazu, mich einzuladen?«

»Narcos wird dich nicht einladen, Lilly. Zukünftige Königin hin oder her. Er hat zu viel Angst, dass du ihn von seinem ergaunerten Thron stößt.«

»Dann brauchen wir einen guten Grund für eine Einladung.« Oder eine Vorladung, dachte ich. Wenn das Auflösen unserer Verträge nicht gereicht hatte, mussten wir vielleicht zu drastischeren Maßnahmen greifen. Ich starrte in die Flammen des magischen Feuers. Drastischere Maßnahmen, einen besseren Grund … die goldgelbe Farbe der Flammen erinnerte mich an etwas. Oder eher jemanden.

»Drake.«

»Was ist mit Drake?«

»Vesteria hat vor ungefähr zehn Jahren alle seine Handelsabkommen geändert«, erklärte ich, obwohl ich mir recht sicher war, dass Olli das bereits wusste. »Narcos vertraut Drake, weil er den Prinzen ebenso machthungrig wie sich selbst glaubt. Wir müssen Drake dazu bringen, etwas zu ändern«, murmelte ich. »Er muss Narcos in meinem Namen so stark provozieren, dass dieser mich nach Crinaee einlädt.«

Oder vorlädt.

»Und wie willst du das schaffen?«

»Ich rede mit Drake, überzeuge ihn von unserer Sache.« Alleine.

Ich musste alleine mit dem Prinzen der Formwandler sprechen. Ohne Wachen und Eskorte. Vor allem aber ohne Lucan. Der Assassine würde toben vor Wut, wenn ich ihm meine Gründe für diese Reise erklärte. Das Letzte, was Lucan wollte, war ich, in der Nähe von Drake Careus. Und nach der netten kleinen Botschaft, die ich erhalten hatte, würden Malik und Nick mich auf keinen Fall alleine reisen lassen. Das war unter guten Umständen schon unmöglich, da die Nachforschungen zum Tod des Ministers jedoch ins Nichts liefen, waren alle noch ein wenig besorgter als ohnehin schon. Es sah wohl so aus, als ob ich Drake würde vertrauen müssen. Ambitioniert hin oder her, ich hatte ein gutes Herz in ihm erkannt und darauf würde ich mich verlassen. Immerhin verlangte ich von ihm ebenfalls, mir zu vertrauen, dann musste ich mit gutem Beispiel vorangehen und den ersten Schritt in dieser Beziehung machen.

»Wir müssen das geheim halten«, wandte ich mich an Olli und hörte ihn seufzen.

»Das wird nicht leicht werden. Jeder hier beobachtet dich mit Argusaugen.«

So wie er das Wort jeder betonte, wusste ich genau, wen er meinte.

»Dann müssen wir uns ein wenig mehr Mühe geben. Ich werde Alina einweihen, damit sie Nick ablenkt. Glaubst du, du kannst die Assassinen auf eine Mission locken?«

»Ich? Wohl eher nicht. Schon gar nicht auf eine, bei der Lucan mitgeht und dich alleine lässt.«

Ich ignorierte Ollis Sarkasmus.

»Denk dir etwas aus. Ich spreche in der Zeit mit Alina und wenn es gar nicht anders geht, holen wir Duncan ins Boot.«

Natürlich ging es nicht anders. Stöhnend hörte ich mir den mittlerweile sechsten Grund an, warum Duncan meinen Plan nicht nur für gefährlich, sondern auch für dumm hielt.

»Und siebtens«, zählte der Assassine auf, »selbst wenn alles klappt und du wieder hier bist. Was meinst du passiert, wenn Lucan Vesteria an deiner Aura erkennt? Wenn er Drake an dir riecht? Er wird durchdrehen. Das ist etwas, was du nicht vor ihm geheim halten kannst. Schon gar nicht jetzt, wo ihr wisst, wer ihr füreinander seid. Ihr habt eine Verbindung, Lilly. Er wird es spüren.«

»Er hat kein Recht, durchzudrehen, Duncan.« Das Spiel konnten auch zwei spielen.

»Hör mal«, ich setzte mich auf und griff nach den Händen meines Freundes, »das ist wirklich, wirklich wichtig, Duncan, du musst mir da vertrauen.«

»Aber … «

»Bitte«, fügte ich rasch hinzu, »du bist mein bester Freund!« Duncans Augen verengten sich zu gefährlich kleinen Schlitzen.

»Das ist nicht fair.«

»Aber es ist wahr.«

Einen Moment lang schwieg er und dann: »Verdammt, Lilly. Verdammt. Verdammt. Verdammt.«

»Heißt das ja

»Er wird uns beide umbringen, das ist dir klar, oder?«

Dann würde er seine komplette Familie ermorden, Gefährtin und Sohn, dachte ich, und zuckte augenblicklich leicht zusammen. Huch, wo war der Gedanke denn hergekommen?

»Wird er nicht«, beruhigte ich Duncan und ein Gefühl von Déjàvu überkam mich.

Um den Fallout Lucan Vale würde ich mich kümmern, wenn es so weit war.

»Hast du schon eine Idee, wie du es anstellen willst?«

»Ich glaube, ich weiß, womit ich die Assassinen weglocken kann. Zumindest Lucan. Die anderen werden sich im Trainingszentrum beschäftigen. Außer King«, murmelte er nachdenklich, »aber den wird er mitnehmen. Ebenso mich. Du bist also wirklich auf dich alleine gestellt.«

»Drake wird mir nichts anhaben, Duncan.«

»Ich hoffe von Herzen, dass du Recht hast, Prinzessin.«

Den sogenannten Argusaugen aus dem Weg zu gehen, war in der Tat leichter gewesen, als gedacht, denn nicht nur ich schien den Assassinen-König zu meiden. Auch Lucan machte einen möglichst großen Bogen um mich.

Wir blieben noch zwei weitere Tage in Arcadia, ehe unsere kleine Gruppe, minus Cora, die noch ein wenig bei Laura bleiben wollte, zurück nach Hause aufbrach.

Danach dauerte es zwei weitere, ereignislose Tage, bis sowohl Alina als auch Duncan mir ihr Go gaben. Wahrscheinlich war es Duncan nicht schwer gefallen, seinen Ziehvater zu einer Mission zu überreden, ebenso die anderen Assassinen. Trainiert hatten wir seit dem Zwischenfall in Arcadia jedenfalls nicht mehr und die nervöse Energie im Haus war mit Händen greifbar. Die Männer freuten sich wahrscheinlich sogar über einen Kampf. Seit unseres kurzen Gesprächs im Thronsaal waren Lucan und ich wirklich gut darin geworden, uns aus dem Weg zu gehen. Offensichtlich wollte keiner von uns über die letzten Tage sprechen und ich würde ganz sicher nicht den ersten Schritt machen. Also mieden wir uns. Es war kindisch, aber aktuell spielte es mir in die Karten, daher schwieg ich.

Einen weiteren Tag später war es soweit. Lucan und seine Männer waren soeben zu einer von Duncan initiierten Mission nach Permata aufgebrochen, und ich? Ich stand, in einen langen, schwarzen Mantel gekleidet, vor meinem Spiegel und wartete auf Ollis Go. Was genau hatte ich mir nochmal dabei gedacht? Mein Magen flatterte nervös. Es war das erste Mal, dass ich alleine durch ein Portal in eine andere Welt reisen würde. Natürlich kannte ich Vesteria mittlerweile. Immerhin war ich schon zweimal dort gewesen, das schien mein wild pochendes Herz jedoch nicht zu interessieren. Es klopfte leise an der Tür und Olli streckte seinen Kopf hindurch.

»Die Krieger sind weg. Alina ist mit Nick und Malik in Arcadia und alle denken sie, dass du und ich Bücher wälzen.«