Sieben Kerle, sieben Storys – ein Finale

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Sieben Kerle, sieben Storys – ein Finale
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Kurt und der Nicht-Prinz

Manchmal wiederholt das Leben einen Film. Selten zwei Filme. Überaus rar ist die unmittelbare Verknüpfung der Realität mit virtuellen Welten. Oder?

Vor zwei Wochen hatte Kerstin sich im Dating-Portal angemeldet; heute fand das erste Treffen statt. Mit Kurt, 52, 1,67, geschieden. Auf dem Profilfoto stellte er sich sportlich dar – mit Rennrad, passendem Dress und Schutzhelm. Dadurch strahlte er Dynamik aus, ohne wirklich sichtbar und erkennbar zu sein. Was nicht nur Kurts Auftritt begünstigte, sondern auch Kerstin entgegenkam – ließ sie sich doch oft abschrecken von Männern auf Fotos, die ihr so gar nicht gefielen. Wobei sich tatsächlich die Frage ergab, was passte ihr nicht? Der Mann oder das Foto? Im wahren Leben war sie ja ab und an mit weniger attraktiven Männern zusammen gewesen, die zum Ausgleich eine gewinnende Art hatten. Sei es eine besondere Dynamik und Forschheit oder eine überzeugende Zugewandtheit. Allerdings fand Kerstin auch entschuldigende Worte für ihre Ablehnung im Portal: auf den ersten Blick hatte sie sich von den unattraktiven oder besser gesagt wenig gutaussehenden Männern im wahren Leben, um es mal so zu nennen, nie angezogen gefühlt – gewinnend fand sie diejenigen dennoch irgendwann.

Was den sportlichen Profilauftritt des Mannes anging: Irgendwann hörte sie später aus dem Mund einer Prominenten, die Kerstin hier nicht diffamieren will, zu der sie sich aber des Öfteren bereits derart geäußert hatte, dass sie nicht die allergeringste Sympathie für sie hege; was wohl noch einer Beschönigung gleichkam. Aus dem Munde dieser Besagten also hörte sie die Worte, dass Männer in Dating-Portalen zu neunzig Prozent sportlich aufträten. Ein Fakt, den Kerstin nach einer Weile auf der Plattform durchaus bestätigen konnte, nicht zu hundert Prozent, also die neunzig Prozent nicht zu hundert Prozent bestätigen konnte, doch gut die Hälfte waren es durchaus. Dem maß sie allerdings kein großes Gewicht bei. Im Munde der erwähnten prominenten Persönlichkeit hatte die Äußerung von dem sportiven Auftreten der Männer in Dating-Portalen jedoch einen Unterton, nein, nicht einen Unterton, sondern einen betonten Ton von schwanzlos, hirnlos, seelenlos.

Bei Kurt passte das sportliche Auftreten, wer hätte das gedacht, zu seinem forschen Verhalten: Kaum war Kerstin fünf Minuten im Portal, als Kurt nachfragte, ob sie sich mit ihm treffen wollte. Was, auch das wusste Kerstin in den Anfängen ihrer Portal-Präsenz noch nicht, auf den Plattformen eher selten war. Und wenn es vorkam, dass sich ein Mann einem, bildlich gesprochen, direkt an den Hals warf, so kam meist ein oder zwei Tage später von der Administration die Meldung, dass genau derjenige aus dem Portal entfernt worden sei, wegen ungebührlichen Auftretens.

Doch Kurts Forschheit war keiner bösen Absicht geschuldet.

Die Entschlossenheit gefiel Kerstin und stimmte sie gegenüber seinem Konterfei milde. Ein Mann, der weiß, was er will. Der weiß, was er hier in der gefilterten und aufbereiteten virtuellen Welt möchte. Daher gab sie ihm auch recht schnell ihre Handynummer. Zum Whatsappen. Das bereute Kerstin recht schnell. Nicht aus Sicherheitsgründen, sondern aus Gründen des guten Geschmacks.

Denn sie erhielt von ihm stehenden Fußes und fortan jeden Morgen und jeden Abend einen ausgeschmückten Liebesgruß. Mann und Frau umarmen sich vor untergehender Sonne. Sinnsprüche aus der Reihe Liebe ist …, zum Beispiel Liebe ist Mut und Mut tut gut. Videos und Animationen, die Liebesszenen zeigten. Nein, keine pornografischen. – Zwei Äffchen, inniglich umarmt, Buchseiten in Herzform, die im Raum schwebten, zwei Schäfchen Arm in Arm am Sternenhimmel.

Wie auch immmer, sie verabredete sich mit Kurt.

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Nun also das Treffen. Kerstin rechnete davor mit dem Schlimmsten. Sie nahm daher eine große Einkaufstasche mit, falls Kurt weiche Gegenstände in Herzform mit sich führen sollte. Die konnte sie dann gleich in der Tasche verschwinden lassen.

Während Kerstin ihr Auto in einem Parkhaus abstellte – sie hatten sich in einer Nachbarstadt verabredet –, fühlte sie Unruhe in sich aufsteigen, ums Sonnengeflecht, in der Magengegend. Mein Gott, ermahnte sie sich, du hast doch gar keine Erwartungen, du wolltest ein erstes Date, wovor solltest du Angst haben? Tatsächlich hatte sie keinen Bammel vor Enttäuschung. Er gefiel ihr ja überhaupt nicht. Allein, dass er so forsch gewesen war, hatte ihr imponiert – was danach bei ihr an digitaler Post eingegangen war, hatte sie abtörnend gefunden. Doch was wäre, wenn er aufdringlich war, nicht im körperlichen Sinne, sondern wenn er emotional uneinsichtig war. Gesetzt der Fall sie würde sagen, es war nett, aber ich glaube, wir haben nicht so viele gemeinsame Interessen. Immer höflich bleiben! Und er dann konterte, dass sie sich doch noch gar nicht kennengelernt hätten. Oder sie sagte, nun eine deftige Lüge, dass sie emotional immer noch gebunden sei. „Aber wieso suchst du dann jemanden? Ich glaube, du willst es tief in deinem Innern, aber du traust es dir nicht zu.“ Mist. Jetzt gingen ihr die Argumente aus. – Fast schon wollte sie zum Auto zurückgehen. Da fiel Kerstin ein: Ich neige zu fantasievollen Übertreibungen.

Zur Abschwächung ihrer aufkeimenden Beklemmung zitierte sie ihre frühere Lehrerin: „Es wird nichts so heiß gegessen wie gekocht.“ Die Lehrerin hatte die, na ja, abgeflachte Weisheit zwar in einem anderen Zusammenhang eingesetzt – rebellische Schüler in einer rebellischen Zeit. Aber der Spruch war nicht auf eine Zielgruppe festgelegt. Zudem – das Angstgefühl abschwächend – fiel Kerstin ein künstlerisches Genre ein. Und zwar das bereits erwähnte erste Filmzitat: Billy Wilders ‚Some like it hot'. Eine amerikanische Filmkomödie, in der zwei Musiker sich als Frauen verkleiden – Joe/Josephine (Tony Curtis) und Jerry/Daphne (Jack Lemmon) –, um ein Engagement zu erhalten. Der Millionär Osgood Fielding (Jou E. Brown) verliebt sich in Daphne, die vermeintliche Frau.

Schlussszene: Daphne und Osgood Fielding sitzen in einem fahrenden Motorboot, auf der Flucht vor der Mafia. Osgood erzählt stolz, er habe seine Mutter über die bevorstehende Hochzeit mit Daphne informiert.

Daphne will es ihm ausreden: „I’m not a natural blond!“

Osgood: „It doesn’t matter.“

„I smoke. I smoke all the time.“

„I don’t care.“

„I lived together with an saxophone player for a month.“

„I forgive you.“

Daphne reißt sich die Perücke vom Kopf: „I am a man!“

„Nobody’s perfect.“

Das überlegte Kerstin auf dem Weg zum Date. Sie hatte außerdem bei ihrem Aufenthalt im Portal von den Betreibern erfahren – sie erhielt regelmäßig einschlägige Tipps –, dass es fünfundzwanzig Dates brauchte, bis der Richtige vor dem Museum, an der Theke im Bistro oder an der Wasserfontäne wartete. Sie räumte ein, dass die angelesene Zahl variierbar sei …

Heute allerdings wartet erst mal niemand am verabredeten Ort. In der Fußgängerzone, Ecke Drogeriemarkt. Dafür erhält sie einen Anruf: „Kerstin, ich bin es, Kurt. Komme erst in einer Viertelstunde.“

So was Ärgerliches. Kerstin spürt Groll in sich aufsteigen. Hatte sie das nötig? Dieser Schnösel, der ihr eh nicht gefiel. Dieser Banause. Er erdreistete sich, sie warten zu lassen. Und nochmal: Hatte sie das nötig? Sie, 56, ledig, attraktiv, intelligent und gebildet. Sie biss sich auf die Unterlippe. Und ging kurzentschlossen in den Drogeriemarkt. Von einer Einheitsduftwolke umhüllt, roch sie mal wieder an Wässerchen von Lauder, Dior und Sander. Eine halbe Stunde später trat sie vor die Tür. Und sah an der Ecke eine unverkennbar wartende Gestalt, ihr Date. Sie ging auf ihn zu.

„Hallo“

„Wo bleibst du denn?“

Ich war pünktlich.“

Er war, wie erwartet und auch angegeben, nicht sehr groß. Das störte Kerstin nicht.

„Wieso kommst du zu spät?“, fragte sie.

„Ich hatte mein Handy zu Hause liegen lassen und musste wieder zurückfahren. Hätte ich es nicht geholt, hätte ich dich nicht anrufen können."

Mmh, überdachte Kerstin die Logik der Aussage, dann hätte er sich auch nicht verspätet und hätte nicht anrufen müssen. Sie wollte mal nicht so sein und ließ die Sache auf sich beruhen.

„Und“, fiel sie nun mit der Tür ins Haus, „hattest du schon einige Verabredungen über das Online-Portal?"

„Ja, schon, aber bis jetzt ist noch nichts daraus geworden."

„Woran liegt es?“

„Die meisten Frauen wollen dann doch keine Beziehung.“

So hätte ich es wohl auch formuliert, überlegte Kerstin, wenn ich bisher erfolglos geblieben wäre. Oder in der Situation der Frau, um aus der Sache wieder rauszukommen. Vielleicht kann ich mir die Formulierung schon mal merken.

Sie gingen die Einkaufsmeile entlang, vorbei an Cafés, Schuhläden und dem Marktbrunnen. Er erzählte, nachdem sie ihn nach seinem Job gefragt hatte, dass er als Chauffeur für einen Unternehmer arbeite. Dabei müsse er auch zu ungewöhnlichen Zeiten zur Verfügung stehen.

„Was sind für dich ungewöhnliche Zeiten, frühmorgens oder abends?“

„Ja, auch. Aber es kann auch sein, dass ich ihn nachts in einem Lokal abhole.“

„Mein Gott, ist er denn zu geizig, ein Taxi zu bezahlen?“

„Nein, das nicht“, beschwichtigte Kurt mit einer beruhigenden, leicht abwehrenden Handbewegung. „Er gibt mir immer was extra dafür. Ich glaube, er redet dann noch gerne mit jemandem.“

„Dann bist du wohl so etwas wie ein seelsorgender Butler? …“

Kerstin stoppte ihren Redefluss. Hoffentlich hatte sie ihn jetzt nicht beleidigt. Aber nein, er machte den Eindruck, als habe er sich so etwas wohl selbst schon überlegt. Zudem, Kerstin erschütterte das immer wieder, lassen sich viele Menschen auch ungerührt beleidigen. Dabei hatte sie nicht den Eindruck, dass diejenigen sich ihr Getroffensein aus Stolz nur nicht anmerken ließen.

 

„Hauptsache“, fuhr Kerstin milde fort, „es wird einigermaßen gut bezahlt und macht dir dazu auch Spaß.“

„Ja, doch. Ist aber nicht mein Beruf. Hätte schlimmer kommen können. Weil ich ja arbeitslos war.“

Bevor er weiterreden konnte, wies Kerstin auf ein Bistro.

„Magst du?“

Kurt nickte und sie traten ein.

Hier holten sich die Gäste am Buffet ihre Speisen und Getränke. Selbstbedienung also. Kerstin fand das gut. So gäbe es keine Diskussion ums Bezahlen. Wahrscheinlich hätte es die soundso nicht gegeben. Die wenigsten Männer fühlten sich aufgefordert für ihre Begleiterin zu bezahlen. Oder? Und wenn, wirkte es veraltet. Wie auch immer, es war kein Thema. Mit Kaffee und Kuchen versorgt, setzten die beiden sich an einen langen Tisch, an dem bereits einige Gäste saßen.

Gefragt hatte er sie bisher noch nichts. Ignoranz oder Schüchternheit? Womöglich Unbedarftheit. Kerstin tippte auf Letzteres. Sie betrachtete Kurt genauer, wo er ihr jetzt gegenübersaß. Sein Haar war hellbraun und schon etwas spärlich. Seine Gesichtshaut leicht gerötet und großporig, seine Nase rundlich gebogen. Er wirkte flauschig, schrumpelig flauschig, etwas wie ein schrumpeliges Küken. O weh, er hatte ein Goldkettchen um den Hals. Selbstverständlich hatten auch Männer ein Recht sich zu schmücken. Kerstin ließ daran nie einen Zweifel. Aber sie konnte sich nicht helfen: Sie mochte es nicht. Vielleicht ein Ring, aber das war eh nicht mehr modern. Außer dem Ehering. Die Ringe am Ohr sah man allerdings immer noch, neben den Tunneln bei ganz jungen Männern. Die Ringe im Ohr konnte Kerstin einfach nicht ertragen, außer bei Schwulen, da waren sie stimmig für sie. Und Goldkettchen, wie bei ihrem Gegenüber, auch nicht. Ertragen.

Genug Augenschein. Da Kurt immer noch keine Anstalten machte, sie etwas zu fragen, schloss Kerstin an das Gespräch von vorhin an.

„Was hast du denn für einen Beruf?“

Die Frage gefiel ihm und er antwortete prompt:

„Ich bin Maler und Lackierer.“

„Und da findest du keinen Job? Handwerker sind doch gefragte Leute.“

Kurt ging nicht auf die Frage ein.

„Ich habe selbständig gearbeitet. Und hatte viele spezielle Aufträge, im Denkmalschutz zum Beispiel. Da habe ich viel gelernt. Da muss man nämlich eine bestimmte Farbe, eine Bio-Farbe nehmen und die ist sehr teuer.“

Kurt machte ein sehr ernstes Gesicht bei seinen Erläuterungen. Die Angelegenheit war ihm wichtig. Aber der eigene Beruf ist ja auch eine bedeutsame Sache.

„Ich weiß auch“, fuhr er fort, „wie man einfach eine Tapete überstreicht. Da muss man die alte nicht abnehmen.“

Hier hätte Kerstin gerne nachgehakt, Handwerker hatte sie in ihrem Bekanntenkreis nicht so viele. Aber sie wollte die Situation nicht gleich schamlos ausnutzen.

„Hier vor Ort hatte ich auch Kunden, kann ich dir gleich mal zeigen.“

Kurt war nicht mehr zu bremsen. Später führte er Kerstin auch zu dem denkmalgeschützten Haus – es lag auf ihrem Weg –, das er malerisch mitgestaltet hatte.

„Aber das mit den speziellen Aufträgen hat dir doch Spaß gemacht?“ Kerstin ließ nicht locker.

„Es ging dann nicht mehr so gut“, Kurt wurde etwas leiser. „Habe nicht so viel Geld im Moment.“

„Nein, nein, ich will dich nicht ausfragen.“ Kerstin spürte das Plumpe ihrer Fragen.

Doch sie hatte ein Fass aufgemacht. Kurt erzählte weiter aus seinem vergangenen Handwerkerleben. Auch von Strapazen bei der Aufbereitung von Innenräumen, wenn Eigentumswohnungen eines mehrstöckigen Mietshauses hergerichtet wurden.

„Jeder will was anderes. Vor allem die Frauen …“, er stockte, wurde kleinlaut. „… na ziemlich oft.“

Kerstin musste lächeln, scheinbar registrierte er doch noch ihre Anwesenheit. Bei seinen Ausschweifungen musste Kerstin an ‚Forrest Gump' denken, die Schelmenkomödie mit Tom Hanks. Insbesondere an den hawaiianischen Kriegskollegen, der sich ununterbrochen, stundenlang, tagelang über die vielseitigen Zubereitungsarten von Krabben ausließ. Der Leser bemerke: das zweite Filmzitat.

Kerstin erfuhr so einiges von Innenraumgestaltung, Farbqualitäten und anspruchsvollen Kunden. Was sie so treibe, hatte er nicht gefragt. Letztlich war ihr das recht. Nicht wegen Anonymität und Sicherheit. Eher weil sie sich ihm gegenüber zurückgenommen hätte, was ihre Ausbildung und ihren Beruf betraf: Alles nicht so wild mit Studium und so. Und darauf konnte sie verzichten.

So saßen sie eine Weile und unterhielten sich. Einen kurzen intensiven Blick warf er mal auf sie, einen männlich interessierten. Ob er sie gut fand, ob sie ihm vom Aussehen gefiel, konnte sie nicht feststellen. Sollte schon so sein, fand sie, indem sie sich und ihn verglich.

Kurz hatte Kurt erzählt, dass er bis vor einem Jahr eine Beziehung gehabt habe. Wobei er Beziehung mimisch so begleitete, als handele es sich um einen verborgenen Schatz, der nur ihm zugänglich gewesen sei. Nicht, dass eine Liebe kein verborgener Schatz sein kann, sogar sein sollte. Eher ein geborgener. Aber eine Beziehung? – Kerstin rieb sich an dem Wort. Immer. Weil so ungefähr und saftlos. Das sagte sie Kurt nicht.

„Was meinst du, sollen wir aufbrechen?“

Er hatte keine Einwände. So gingen sie gemeinsam zum Parkhaus. Kerstin wusste nicht so recht, wie sie ihn verabschieden sollte. Ein weiteres Treffen strebte sie nicht an. Sie wollte ihn aber nicht vor den Kopf stoßen oder, wie vor dem Treffen überlegt, keine Diskussionen führen. Letzteres fürchtete sie allerdings nicht mehr. Sie hatte hier das Blatt in der Hand.

„War nett dich zu treffen. Vielleicht können wir ja mal was zusammen machen. Auf eine Veranstaltung gehen.“ Kerstin hatte sich entschlossen höflich zu sein.

„Eine Bitte habe ich noch, Kurt.“ Das musste sein. „Die Bilder, die Videos, die du mir schickst, die mag ich nicht so gerne. Bist du so nett und lässt das bleiben? Ich steh da nicht so drauf.“

Worauf sie eigentlich nicht stand, hatte sie nicht gesagt. Kurt nickte.

Sie verabschiedeten sich und Kerstin ging ins Parkhaus.

+++++++++++++

Geschafft, dachte sie auf der Heimfahrt. Mein erstes Date über das virtuelle Medium. Resümee? Es war so gewesen, wie sie es erwartet hatte. Natürlich nicht im Detail, aber sie hatte gewusst, dass Kurt ihr nicht so sehr gefallen würde. Eines war gut. Hatte sie anfänglich, vor dem Treffen, etwas Aufregung verspürt, so war die sofort nach Aufeinandertreffen verschwunden. Würde es anders laufen, bei einem nächsten Mal, so hatte sie es entweder mit einem weniger angenehmen Menschen zu tun. Oder aber: die Bombe schlug ein. Na ja, eben die Verliebtheit.

Abends kam dann keine Nachricht mehr von Kurt. Auch nicht die kommenden Tage. Erst eine Woche später, als Kerstin sich an ihren Computer zu Hause setzte. Sie checkte ihr Postfach: Nachrichten vom Portal, die ja zuerst als Hinweise per Mail verschickt wurden, gab es nicht. Auch sonst war nicht viel los in ihrem Mailverkehr. Kerstin wollte schon den PC herunterfahren. Da tauchte plötzlich vor ihrem Desktophintergrund ein kleiner Junge auf. Er schaute sie direkt an und begann mit ihr zu reden.

Er sei aus einer anderen Welt, man könne auch sagen von einem anderen Stern, habe aber um Himmels Willen nicht das Geringste mit dem kleinen Prinzen zu tun, stellte er sich vor. Nein, er sei kein Aristokrat, weder hier noch irgendwo, sondern durch und durch demokratisch. Er vermittele auch keine Lebensprinzipien oder kindliche Weisheiten. Na ja, Kerstin wisse bestimmt, wovon er rede ... Aber er habe Lösungen, zumindest einen Wünschekatalog im Gepäck. Und die Kompetenz, die Gesuche zu erfüllen. Das betreffe allerdings nur ihre Aufträge oder Ansinnen hinsichtlich adäquater Bilder und Filme. Seine Sprache verfiel mehr und mehr dem Bürokratischen, seine Stimme wurde dunkler und gewichtig.

„Sie waren mit den virtuellen Bildern von Zweisamkeit und Harmonie nicht einverstanden, die Ihnen von meinem Auftraggeber transferiert wurden. Was wäre Ihnen anstelle dessen genehm?“

Kerstin hatte sich gerade von dem unerwarteten Auftritt des kleinen Nicht-Prinzen erholt. Von der überirdischen Verbindung zu ihrem realistischen Treffen vor ein paar Tagen … und jetzt auch noch das. Die Frage aller Fragen. Die Frage zu den Bildern, noch schlimmer, die nach dem Gegenentwurf. Dem Gegenentwurf zu dem, was man ablehnte. Eiskalt erwischt!

„Nun ja“, begann Kerstin zaghaft. „Eben realistisch. Müssen ja nicht negativ sein oder süffisant.“

„Süffisant im Sinne von herablassend?“, fragte der Junge nach. Kerstin nickte. Hatte sie bis hierhin gedacht, dass er nur ihre Stimme wahrnehmen konnte, wie Alexa, wurde sie eines Besseren belehrt: Er hatte ihr Nicken gesehen.

„Und was sollen sie darstellen?“, hakte er wiederum nach … Ja, wer fragte hier eigentlich?, fragte sich wiederum Kerstin.

Sie hatte sich gefangen und begann Zeit zu schinden.

„Sag mir doch, bevor wir weiterreden, deinen Namen. Ich heiße übrigens Kerstin.“

Sie vermutete allerdings, dass der Junge das längst wusste.

„Efe, deutsch ausgesprochen und mit f geschrieben.“

Gekleidet war Efe in Rot und Beige, in einer Uniform mit goldenen Fransen an den Schulterklappen und mit Zierknöpfen an geflochtenen Bändern. Poppig! Der Junge mit dem fein geschnittenen Gesicht stand vor (besser auf?) ihrem unifarbenen Desktophintergrund mit den paar Apps. Fließend bewegte er sich in Einklang mit seinen Worten und unterstützte, was er sagte, mit ausladenden Gesten. Sein Alter? Kerstin schätzte, nach menschlichen Dimensionen, elf oder zwölf Jahre.

„Nun, welche Bilder würden mir gefallen?“, griff Kerstin den Gesprächsfaden wieder auf, langsam und zurückhaltend, um Zeit und Ideen zu gewinnen. „Vielleicht möchte ich gar keine Bilder – bei der virtuellen Bilderflut.“

„Selbstverständlich werde ich Ihnen auch diesen Wunsch erfüllen. Wie ich bereits ausgeführt habe, bin ich im Einsatz für den Mann, den Sie getroffen hatten. Er möchte wiedergutmachen, was er versäumt, besser gesagt, übertrieben hat. Nun gibt er Ihnen Gelegenheit, Ihre Wünsche zu äußern.“

Kerstin war geplättet. Fühlte sich auf der einen Seite überrumpelt, auf der anderen – wie war noch mal das Psycho-Wort – wertgeschätzt.

„Bilder einer Begrüßung auf dem Bahnhof, auf dem Flughafen würde mir gefallen. Ein Anruf während der Arbeitszeit, auf Video festgehalten. Ein gemeinsamer Code.“

Während Kerstin sprach, fiel ihr auf, dass das auch alles nur Bilder aus der Werbung, aus Filmen waren. Zumindest war ihr nicht das Händchenhalten am Krankenbett eingefallen. Das sprach eindeutig für sie.

Gab es überhaupt Bilder von Pärchen, die noch nicht abgegriffen waren? Tausendmal gesehen. Nun, wenigstens nicht zweihunderttausendmal, wie bei denen im Sonnenuntergang.

Sie hatte die Frage immer noch nicht abschließend beantwortet. Vielleicht sollte sie sagen, wie der Junge ja auch vorgeschlagen hatte: Keine.

„Bilder, die eine Landschaft, das Panorama einer Stadt – vielleicht Hamburg mit Hafen, München mit Marienkirche – oder ein Gebäude, etwa das Mannheimer Technoseum gleichzeitig aus zwei Perspektiven zeigen, die des Mannes und die der Frau.“

Kerstin holte kurz Luft. Wow, woher war denn diese Eingebung gekommen?

Auch Efe schluckte. Weitwinkel-Panorama-Aufnahmen waren ja bereits Standard, aber ein Panorama aus vier Augen?

Diese Gedanken interpretierte Kerstin zumindest in den verblüfften Gesichtsausdruck des kleinen Nicht-Prinzen.

„Damit habe ich mich bisher nicht beschäftigt“, Efe hatte sich wieder gefangen. „Aber ich schaue, was ich für Sie tun kann.“

„Das war nur so eine Idee von mir, weil mir nichts Besseres eingefallen ist“, sagte Kerstin kleinlaut.

„Mein Auftraggeber lässt mich eine weitere Wunscherfüllung übermitteln“, ignorierte er Kerstins Kommentar. Er sei nicht so gut im Reden, führte Efe aus, daher wolle er Kerstin gerne anders beeindrucken, und zwar mit dem, was er gut kann. „Vielleicht gibt es in ihrem Haus etwas zu renovieren?“

Kerstin fehlten die Worte.

„Damit möchte sich mein Auftraggeber entschuldigen, dass er so wenig Interesse durch Fragen zum Ausdruck gebracht hat.“

 

Ist es zu fassen? Nun gut, auf sie kamen vielversprechende Zeiten zu.