Sieben Kerle, sieben Storys – ein Finale

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Soulman

Kerstin ist ein Kniff eingefallen, der vielleicht funktionieren könnte. Mittlerweile schreibt sie ja Männer im Portal an. Sie schaut auf die Angaben zur Lieblingslektüre oder den favorisierten Film. Manchmal ist auch ein origineller Einstieg dabei. Einmal hat der Profilname sie motiviert: Hiob. Nicht dringend ein gefälliger Name. Aber Kerstin hat er berührt, wie jemandem ein todtrauriger, aber hochspannender Film gefällt. Außerdem sah Hiob gut aus, das Foto sah gut aus, der Mann auf dem Foto sah gut aus. Jünger als das angegebene Alter 52. Sie schrieb ihm:

„Hallo Fremder. Bei der Hiobsgeschichte sind mir die Klugscheißer auf den Geist gegangen, die sich immer wieder zu Wort melden. Die wussten schon von vorneherein, dass Hiobs Pech gottgewollt, also rechtens, gerecht war, dass das Unglück Sinn machte, ihm eine Lehre sein sollte.“

Ausführlicher zu schreiben, dafür war kein Platz.

Hiob antwortete, dass er religiös sei, was sie ihn auch gefragt hatte. Und ja, auch ihm gehe es so, dass er die Besserwisser in der Geschichte nicht möge.

Solch ein ambitionierter Mann war allerdings selten. Kennengelernt hatten sie sich nicht.

Kerstin nahm also ein Thema des Profils auf, schrieb und wenn eine Antwort kam, so reagierte sie, nach einer angemessenen Zeit, und stellte wiederum eine Frage. So wie eben Kommunikation fortschreitet.

Nun hatte sie eine neue Idee. Der letzte Mann, den sie kontaktiert hatte, sprach in seinem Profiltext oder auch bei der Lieblingslektüre von Kugelmenschen. Der Begriff war ihr fremd. Sie dachte dabei an Science-Fiction, an alte expressionistische Filme. Auf jeden Fall fragte sie als Einstieg, was sie auch hätte googeln können:

„Was sind Kugelmenschen?“

Nach ein paar Tagen kam eine Antwort:

„Sind aus der Mythologie. Die beiden Hälften der Kugel müssen zusammenpassen, zwei Menschen vereinen sich zu einer Kugel.“

Wieder ein paar Tage später, das selbstauferlegte Intervall von, na ja, halt ein paar Tagen, beachtend, bedankte sich Kerstin für die Info und wies darauf hin, dass sie dadurch eine Bildungslücke geschlossen habe. Sie wünschte ihm einen schönen Sonntag.

Während sie antwortete, beim Zweitkontakt stand funktional mehr Platz zur Verfügung, dachte sie noch: eigentlich müsste ich nun die Anschlusskommunikation in die Wege leiten, sprich eine weitere Frage stellen. Aber sie war an diesem Tag maul- und schreibfaul. Und beließ es dabei.

Nun rechnete sie auch nicht damit, von ihm, der halben Kugel, wieder etwas zu hören. Gleichzeitig, ganz unterschwellig, schlich sich das Gefühl ein, dass dies weniger entgegenkommende Verhalten vielleicht einen besonderen Reiz ausmache.

Und tatsächlich, ein paar Tage später kam wiederum eine Replik. Sein Interesse war geweckt.

Und diesen Kniff wollte sie nun weiter anwenden: Kontaktieren, im Falle einer Antwort reagieren, aber keine Frage mehr stellen. Übrigens, geantwortet hatte der halbe Kugelmensch:

„So schlimm ist das nicht, dass du das nicht wusstest. Nicht wirklich eine schwerwiegende Bildungslücke. Was treibst du sonst denn so? Liebe Grüße, Werner“

Nicht zu jedem passte die Vorgehensweise, auf wen sie passte, das hatte Kerstin bisher noch nicht definiert. Auf wen es nicht zutraf, wusste sie bereits: Soulman.

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Hatte sie oder hatte Soulman zuerst den Kontakt aufgenommen? Kerstin saß gerade nicht vorm Computer, daher konnte sie die Frage nicht umgehend überprüfen und beantworten. Soulman ließ sporadisch von sich hören, meldete sich des Öfteren auch nur für einen Monat im System an. Er hatte außergewöhnlich freundlich mit ihr geredet, ohne anbiedernd, anzüglich oder plump zu sein. Deshalb ging Kerstin auch immer wieder darauf ein, wenn er sich meldete. Es war genau der Tonfall, wie ein Mann mit einer Frau reden sollte, fand Kerstin, auch wenn sich das bürgerlich und stereotyp anhört. Er machte ihr Komplimente wegen ihres Aussehens, war romantisch, wurde in seinen Äußerungen konkret. Zum Beispiel schrieb er einmal:

„Du siehst so lebendig aus.“

Oder ein anderes Mal:

„Ich würde gerne mit dir am See einen Rotwein trinken und schauen, wie die Sonne untergeht.“

Weiter:

„Heute war ich in deiner Stadt, habe nach dir Ausschau gehalten, habe dich aber nicht gesehen.“

Dass immer wieder Wochen verstrichen, bis Soulman auf ihre Nachricht antwortete, ließ Kerstin vermuten, dass er Probleme hatte. Finanzielle, familiäre, psychische. Möglicherweise der Alkohol.

Sein Foto – eine Aufnahme im Profil – zog Kerstin nicht an, schreckte sie aber auch nicht ab. Die Nase war markant, aber gut geformt, die Haare graumeliert, kurz geschnitten und nach hinten gebürstet; die Lippen sah man zwar kaum, konnte aber erkennen, dass sie ausgebildet waren. Was Kerstin weniger mochte.

So verging die Zeit. Kerstin und er waren immer kurz davor eine Verabredung zu treffen; klappte aber nie.

In der Zwischenzeit chattete sie mit einem Farbigen, ein Franzose aus Neuchâtel. Er war so begeistert von ihr, dass er gleich vorbeikommen wollte.

Das Nervige war, dass Kerstin sich oft verpflichtet fühlte, die Unterhaltung, den Chat, aufrechtzuerhalten, obwohl sie schon keine Lust mehr auf das Gespräch hatte. Weil es sie langweilte. Doch nach und nach fasste sie den Mut zu Ausflüchten, selbstverständlich welche, die den Gesprächspartner nicht kränkten: „Tut mir leid, hab keine Zeit mehr.“ „O weh, ich muss dringend mit dem Kochen beginnen.“ „Eben hat es geklingelt, meine Freundin wollte kommen.“

Auch Absagen erteilen, musste Kerstin lernen – oft schweren Herzens. Zugegeben, bei manchen, den Großkotzigen, genoss sie es, sie aus der sicheren Distanz loszuwerden. Bei den Netten, Bescheidenen, den vermutlich im Umgang Liebevollen war das sehr schwer.

So bekam sie von einem etwa Gleichaltrigen eine Einladung zum Kaffee. Er erzählte auch gleich, dass er einen Obsthof betreibe, gemeinsam mit seiner Tochter. Dass er sie sympathisch fände. – Aber das Foto von ihm: Es zeigte einen nicht sehr großen Mann von der Brust aufwärts, mit hellen Haaren, rötlichem Gesicht. Letzteres konnte auch an der schlechten Qualität des Fotos liegen. Der Mann war untersetzt, lächelte unbeholfen in die Kamera. Er hatte ein rundes Gesicht, sah von Grund auf solide aus. Ein Mann, der sie an ihren Vater oder die Generation ihrer Eltern erinnerte, obwohl er vermutlich jünger war als sie. Er war ein herzensguter Mensch. Das sah man. Und das brachte Kerstin in Verlegenheit. Sie überlegte, was sie schreiben sollte. Auf der einen Seite wäre sie froh, mal wieder ein Date zu haben, einen Mann zu treffen. Auf der anderen Seite hatte sie Angst davor, ihn zu enttäuschen. Nicht Angst, dass er heftig reagierte. Nein. Sie enttäuschte Menschen, gutmütige Menschen, ganz einfach ungern. Sie fühlte mit, hatte dabei mutmaßlich stärkere Gefühle als der Betreffende. Also würde sie die Einladung ablehnen, obwohl auch sie gerne, wie gesagt, einen netten Menschen getroffen hätte. Doch nach einem Treffen wäre seine Enttäuschung noch größer gewesen, vermutete sie. Kerstin hätte sich noch schlechter gefühlt – und sich gewunden bei einer Absage.

Sie formulierte so liebevoll wie möglich:

„Ich freue mich sehr über die freundliche Post von dir. Auch darüber, dass du mich gerne treffen möchtest. Doch sei mit bitte nicht böse, ich sehe da nicht so viele Gemeinsamkeiten. Dir und deiner Tochter wünsche ich für die Zukunft alles Liebe ...“

Zwei Tage später hatte sie Post von ihm. Sie wurde über Nachrichten im Portal ja immer per E-Mail unterrichtet. Vier Tage hatte sie nicht den Mut ins Portal zu gehen, um zu schauen, was er geschrieben hatte. Sie erwartete von Ablehnung über Beschimpfung bis zu Kränkung alles Negative, was ihr schlechtes Gewissen ihr eingab.

Dann überwand sie sich. Und ein großer Stein fiel ihr vom Herzen. Er hatte verständnisvoll reagiert und sich sogar noch für ihre Nachricht und ihre freundlichen Worte bedankt.

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Das war es nicht, was Kerstin durch den Kopf ging, als sie das lokale Einkaufszentrum durchquerte: Ihre Gedanken kreisten um das Abendessen. Fisch oder Hähnchen? Salat auf jeden Fall. Zucchini oder Kohlrabi? – Auf einmal hatte sie das Gefühl, dass jemand sie ansah. Sie drehte den Kopf langsam in diese Richtung. In einiger Entfernung, vielleicht zehn, fünfzehn Meter weit weg, erblickte sie einen Mann; weißes Hemd, dunkle Hose, graumeliertes Haar. Als er ihren Blick wahrnahm, drehte er den Kopf zur anderen Seite. O ja, schoss ihr durch den Kopf, das war Soulman. Was tun? Er hatte wohl gesehen oder geahnt, dass sie es war, sie erkannt, als sie ihn ansah – und hatte sich weggedreht. War er unsicher, ob sie es ist? Oder zu zurückhaltend, ängstlich, unlustig? Sollte sie ihn ansprechen? Kerstin überlegte.

Da kam ihr der Zufall zur Hilfe. Aus einer Gruppe von Jugendlichen, die sehr eilig unterwegs waren, rempelte ein Junge den Fremden von hinten an. Daher drehte er sich wieder um – in Kerstins Richtung. Nun kam er nicht umhin, sie anzuschauen. Kerstin lächelte ihn an. Er lächelte zurück. Kerstin blieb stehen. Und er kam auf sie zu.

„Jo?“, fragte er. Sie nannte sich Joanna im Portal.

„Soulman?“, erwiderte Kerstin.

Er sah kurz verlegen auf seine Schuhspitzen. Edle schwarze Slipper. Dann sah er, ohne den Kopf zu bewegen, nach oben.

„Schön dich zu treffen, Jo, war mir aber nicht ganz sicher, ob du es bist.“

„Kann ich verstehen“, unterstützte ihn Kerstin, „ich wusste auch nicht, ob ich dich ansprechen sollte.“

 

Sie fügte verbindlich hinzu: „Man muss ja immer so schnell entscheiden.“

„O ja“, pflichtete er ihr bei.

Kerstin fuhr fort: „Wie geht es dir?“

„Wieder besser, ich hatte eine Erkältung.“

Kerstin sagte ihren Standardsatz: „Ich habe selten eine Erkältung, meist nur, nachdem ich verreist war.“

Nicht sehr originell, dachte sie, doch diese Standards waren auch kleine Inseln, auf die man sich bei Gesprächen retten konnte. Überraschende Antworten gab es darauf nicht, von Soulman gar keine.

„Ja, jetzt hat es doch mal geklappt mit einem Treffen“, fuhr sie fort.

Er schaute wieder nach unten auf seine Schuhspitzen und blickte daraufhin nach oben.

„Mmh …“

„Wenn es dir gerade nicht passt, können wir was im Portal vereinbaren.“

„Nein, ich möchte dich gerne auf einen Kaffee einladen oder was anderes, was du magst.“

„Da sage ich nicht nein.“ Kerstin lächelte ihn an. „Hier gibt es eine angenehme Cafeteria.“

Sie fuhren mit der Rolltreppe ins obere Geschoss.

„Kaufst du denn oft hier ein?“, fragte Kerstin.

„Wenn ich hier am Ort bin, gehe ich meist mal durch. Auch wenn ich was Bestimmtes besorgen will. Beim Optiker bin ich Kunde. Der hat einmal im Jahr eine Aktion, deshalb bin ich auf ihn gekommen.“

„Ja, ich gehe auch zu ihm. Habe mir bei den Aktionen schon einige preiswerte Brillen besorgt. Die teuren kaufe ich aber auch dort.“

Die Cafeteria war fast leer, so hatten sie die freie Auswahl. Und suchten sich einen Platz am Fenster. Das Selbstbedienungsrestaurant war hell und freundlich, die hohen Fenster allerdings unansehnlich, verkratzt und teilweise blind.

Soulman fragte: „Soll ich dir was mitbringen?“

„Gerne, einen Kaffee, ohne alles.“

Während er die Getränke besorgte, dachte Kerstin, dass ihr das gefällt, das mit der Einladung. Gentlemanlike. Ist eine sehr kultivierte Geste. Einen kurzen Moment konnte sie innehalten, ihn aus der Ferne betrachten. Doch, ja, er war sympathisch. Angezogen war er auch nach ihrem Geschmack. Das rustikale weiße Baumwollhemd, die dunklen Hosen, die teuer wirkenden Schuhe. So gut kannte sie sich mit Herrenschuhen nicht aus. Auch die Haare waren ordentlich. O weh, Kerstin wunderte sich über sich selbst, worauf sie alles achtete. Sie musste lachen: Ordentliche Haare! Gleich fiel ihr wieder die Generation ihrer Eltern ein, insbesondere eine Tante, die so etwas hätte sagen können. Kerstin wusste aber genau, woran sie dabei gedacht hatte. Ein Arbeitskollege rannte oft wochenlang mit riesigen Wollknäueln im Nacken durch die Gegend, besser gesagt, durch die Flure des Betriebes. Kerstin musste wieder grinsen, als sie jetzt noch dachte – obwohl er verheiratet war. Wie kleingeistig sie doch sein konnte!

Schluss jetzt mit der Mannbeschau. Sie wusste, wo das letztlich herrührte. Sie war nicht hell begeistert, aber sie mochte Soulman, von den kurzen Momenten, in denen sie ihn nun kennengelernt hatte. Und bereits vorher aus dem Portal.

Da war er auch schon wieder, mit Kerstins Kaffee und mit seinem Cappuccino. Ihr eh schon spärlicher Redefluss kam nun nicht wieder in Gang. Beide nippten vorsichtig an ihren Getränken. Kerstin begab sich auf ein unverfängliches Feld.

„Wie lange bist du schon im Portal? Ich habe mitbekommen, du meldest dich öfter ab und dann wieder an.“

„Könnten jetzt zwei Jahre sein. Ich weiß es nicht mehr so genau. Ein Jahr nach meiner Scheidung habe ich begonnen.“

„Ich will dir nicht zu nahetreten, aber ich frage ganz einfach: Hängt dir denn die Scheidung, die Trennung immer noch in den Klamotten? Ich denke nur, weil du so unentschlossen wirkst, ich meine mit dem An- und Abmelden.“

„Ja. Ich vermute schon. Und ich weiß ja auch, dass man andere nicht mit seiner Vergangenheit belasten soll.“

Kerstin spürte, wie Soulman wieder einsilbiger wurde.

„Du meinst eine neue Frau nicht belasten? Ja, das sagt man. Wird wohl auch stimmen.“

„Auch andere, auch Bekannte.“

Er streckte sich etwas nach hinten. Nun hatte er scheinbar genug davon, ausgefragt zu werden.

„Ich bin schon längere Zeit von meinem Freund oder wie man heute sagt Partner, Lebensgefährten getrennt. Es belastet mich nicht mehr. Obwohl wir wohl alle von unseren Erlebnissen, der Summe unserer Erfahrungen geprägt werden.“ Kerstin dachte, was für ein Allgemeinplatz. Doch sie konnte den Satz nicht mehr zurücknehmen.

„Irgendwie habe ich zu dir gleich Vertrauen gehabt.“ Soulman bewegte sich wieder etwas auf sie zu, wurde offen und ernst zugleich.

„Deine Fotos, das, was du schreibst. Ich würde gerne ehrlich sein. Darf ich?“

Kerstin nickte.

Soulman begann zu erzählen. Wie seine Frau ihn vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Wie er ausgezogen war. Eines Abends seine Familie, seine Frau und die beiden Jungs, von weitem gesehen und sich ausgeschlossen gefühlt hatte. „Jeden Abend nach der Arbeit ging ich dann in die Kneipe, in die Rockhütte nebenan. Dort waren Männer wie ich, Verlorene, die sich sehnten … Sinke ich jetzt in deiner Achtung?“

Kerstin setzte zum Antworten an – da hörten sie aus dem Foyer einen Heidenlärm.

Kerstin drehte sich um. Soulman schaute in Richtung des Foyers. Da standen sich zwei Männer gegenüber, ein junger, so um die zwanzig, ein älterer, so um die fünfzig. Der Ältere könnte der Vater sein, vielleicht war er es auch. Aber ein Vater-Sohn-Gerangel in der Öffentlichkeit? Davon hatte Kerstin noch nie gehört.

„Ich habe es dir schon mal gesagt“, brüllte der Ältere.

„Ich lass mir von dir gar nichts sagen“, kam prompt die Antwort.

„Lass dich hier im Geschäft nicht mehr blicken“, schnaubte der Alte noch mal.

Nein, also doch nicht, Vater und Sohn, dachte Kerstin. Der junge Mann wollte sich nicht so schnell wegschicken lassen. Er blitzte:

„Ich kann mich aufhalten, wo ich will.“

Der Alte versetzte ihm einen Stoß.

In dem Moment stand Soulman auf und lief in Richtung Foyer. Doch da war es schon geschehen. Der Ältere der Streithähne hatte bereits zugeschlagen. Der Junge taumelte und hielt sich am Geländer fest. Soulman lief schneller. Er stellte sich vor den Älteren und schrie: „Stopp“. Der war perplex – verlor an Rage und Energie. Man sah das am leichten Absinken der Fäuste. Er zog den Oberkörper nach hinten. Der Junge hatte sich in der Zwischenzeit wieder gefangen und tauchte hinter Soulman auf.

„Hey, misch dich nicht ein. Das ist was zwischen uns beiden.“

Und zu seinem Kontrahenten:

„Das machst du nicht mit mir, du Assi, du Schwuchtel.“

Soulman, der immer noch zwischen den beiden stand, holte geräuschvoll Luft, fast konnte Kerstin es hören, festigte seinen Stand und blähte den Brustkorb auf. Rundherum waren Leute stehen geblieben.

Einer rief: „Soll ich die Polizei holen?“

„Lass mal“, erwidert Soulman, „wir kriegen das in den Griff, nicht wahr?“ Er sah den jungen Mann an.

„Was glotzt du so? Ich habe keine Angst. Schon gar nicht vor dem da!“

Er schnippte den Kopf in Richtung des Älteren.

„Das weiß ich doch“, antwortete Soulman geduldig.

Nun kamen von hinten Kumpels des jungen Mannes und zogen ihn mit sich. Soulman stellte sich vor den Ladenbesitzer und redete ruhig auf ihn ein. Kerstin konnte nichts verstehen, aber auch der verzog sich.

Kerstin hatte fasziniert das Geschehen beobachtet. Die Polizei zu rufen, war ihr gar nicht in den Sinn gekommen. Als Soulman die Szene betreten hatte, löste sich die Spannung. Bei den Kontrahenten nicht sofort. Aber bei den Zuschauern. Klar, dass im Foyer ausreichend Menschen stehen geblieben waren. Wie üblich. Die einen wegen ihrer Sensationslust, die anderen um vielleicht wirklich noch etwas zu bewegen oder zu stoppen. Gott sei Dank hatte keiner eingegriffen, um vielleicht noch Schlimmeres zu bewirken. Man hatte Soulman, den Schlichter, gewähren lassen.

Der kam nun wie selbstverständlich an den Tisch zurück. Er griff nach seinem Kaffee, der jetzt bestimmt kalt war, und nippte daran.

„Wow“, sagte Kerstin, „denen hast du es aber gezeigt. Ich meine, du hast allen gezeigt, wie man einen Konflikt löst.“

Nun huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Eine Sekunde, kaum wahrnehmbar.

„War mal bei der Freiwilligen Feuerwehr. Dort hatte man einen Kurs über so was angeboten, also wie man eine gewalttätige Situation umlenkt.“

„Das hast du fantastisch gemacht. Ich glaube, ich hatte die ganze Zeit den Mund offenstehen.“

Jetzt musste Soulman lachen und die Haut um seine Augen kräuselte sich, als er sie ansah.

Kerstin wusste es nicht genau, hatte aber das Gefühl, als habe sich bei Soulman ein Schalter umgelegt.

Sie wandten sich anderen Themen zu.

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Love, Love, Love

Wow, er hatte gehalten, was Kerstin sich versprochen hatte. Es war ein wunderbarer Abend, wie sie ihn schon sehr lange nicht mehr erlebt hatte. Sie mit einem sechsundzwanzigjährigen Mann, Meister seines Liebesfachs im Hotel. War allerdings nicht die Suite, sondern nur ein bemerkenswertes Zimmer. Ein französisches Bett, Möbel aus edlem, dunklem Holz, kleiner Balkon, den sie ja nicht brauchten; Vorhänge aus einem kunstvoll kreierten Dekostoff in kräftigem Blau und dezentem Rot mit geometrischen Figuren. Tom, Kerstins Loverboy, saß nackt auf der Bettkante. Er schenkte beiden noch ein Glas Sekt aus.

Sie hatte in ihrem Leben schon einige Liebhaber gehabt, mit nur wenigen Highlights, was die Kunstfertigkeit oder auch das Vorwissen anging. War sie länger mit jemandem zusammen, verliebt also, dann ergab sich die Freude an dem Liebesspiel von selbst. Auch war es selten beim ersten Mal ein vollkommener Genuss. Das geschah ja in der Regel nach einem Abend in der Kneipe, einer Party bei Freunden, im Urlaub oder einem Abendessen zu zweit mit einigen Gläschen Alkohol. Meist war sie also schon etwas neben der Spur. Nicht, dass sie nicht wusste, was sie tat. Sie fühlte nur nicht mehr so viel dabei, war körperlich zwar empfänglich, aber unempfindlicher. Einerseits gut, was das Öffnen für die Situation betraf, andererseits schlecht, was die Intensität anging. Meist war die Erinnerung, das Schweben und Schwelgen am darauffolgenden Tag das Beste daran.

Beim zweiten oder dritten Zusammenkommen erwies sich der gute Liebhaber. O ja, sie konnte sich noch an den Franzosen erinnern, den sie bei einem Urlaub in Südfrankreich kennengelernt hatte: Charles. Intensive Berührung, und zwar dort, wo es wirkte. Mit dem Mittelfinger in der Vagina hin und her zu hecheln, erzeugt wenig Wirkung, törnt nach dem fünften Mal ab … aber die richtige Stelle, die Klitoris vorsichtig, aber intensiv zu bearbeiten, sich langsam ranzutasten, um wieder zurückzufahren, das machte Lust auf mehr. Er besaß damals auch die Unverschämtheit, der Franzose, sie am After zu berühren, auch einzudringen. Was eher schmerzhaft war, aber ein Gefühl der Versautheit und gleichzeitig Vertrautheit erzeugte und die Gefühle überborden ließ. Und am nächsten Tag spürte man die Berührung immer noch, was wieder Lust erzeugte.

Tom hatte sie angefasst, wie sie es liebte, fest, aber mit Gefühl. Schon als er sie im Hotelzimmer in den Arm genommen hatte, nein, schon vorher. War natürlich peinlich die Situation. Zimmer öffnen, Stromschalter drücken, Licht einschalten. Dann wieder die großen Leuchten ausschalten. Da hatte sie alles bereut, wäre am liebsten abgehauen. Aber Tom erzählte von seiner letzten Übernachtung in einem Jugendhotel – passte ja vom Alter – mit fünf anderen in einem Zimmer. Stickig, warm, schnarchig und stinkig. Da konnte Kerstin auch was beitragen; ein Zimmer mit Kunststoffmatratzen an einem regnerischen, aber warmen Januartag in Brüssel: feucht und heiß – jedoch nicht auf die lüsterne Art und Weise. Wobei, ja, heiß und feucht stimmte momentan. Ihr Kopf war heiß, nur die Hände waren kalt. Umgedeutet: sie hatte kalte Füße.

Tom setzte sich in den Sessel, der in der Ecke gegenüber vom Bett stand. Er streckte alle Viere von sich: Sumsemann, der Maikäfer in Peterchens Mondfahrt. Mein Gott, was Kerstin alles einfiel. Je tiefer die Gefühlsspirale ging, umso tiefer scheinbar auch der Rückgriff. Nun blieben ihr zum Hinsetzen nur Stuhl oder Bett. Sie entschied sich für das Bett. Sie wollte nicht steif wirken, wenn sie es schon war.

 

Tom griff zum Telefon:

„Sekt oder was anderes?“

Kerstin überlegte, ob sie nicht lieber ein Bier hätte.

„Bestell doch auch zwei Bier. Flaschen am besten und ein großes Wasser. Vielleicht willst du ja auch was ganz anderes? Du musst nicht den üblichen Sekt trinken. Vielleicht lieber Rotwein?“

Das mit dem üblichen Sekt hatte sich Kerstin nicht verkneifen können. Obwohl sie sich geschworen hatte, ironische oder sarkastische Bemerkungen zu unterlassen. Auch sich selbst gegenüber.

So einen Redeschwall hatte er wohl nicht erwartet. Er reagierte schnell.

„Ich bestelle noch einen Roten, italienisch. Was das Bier angeht, wir können nachher auch noch in die Kneipe gehen und was trinken.“

Das waren goldene Worte für Kerstin. Sagte man das: goldene Worte. Oder hatte sie das gerade erfunden? Musste sie bei Gelegenheit mal googeln. Wie auch immer. Genau das hatte sie gebraucht: Nachher in die Kneipe. Dieser Satz hatte sie entspannt. Der Situation das Peinliche genommen. Nun fühlte sie sich auf sicherem Terrain. Fühlte sich auch zurückversetzt in ihre goldenen Jahre – schon wieder golden –, als sie mit Kumpels und Freundinnen in Kneipen unterwegs war, öfters auch mit dem ein oder anderen vögelte.

Nun war sie in dem Hotelzimmer als ganze Person angekommen. Vorbei war die Angst vor der neuen Situation, ihre Selbsteinschätzung als ältliche, naive, unnütze Tussi.

Tom hatte bestellt und drehte sich zu ihr um.

„Wie heißt du eigentlich richtig?“ Als sie sich im Portal kennenlernten, hatte er als Tom gesprochen, geschrieben. Nun zweifelte sie, ob er auch wirklich so hieß.

Sie hatte ihn das vorher nicht gefragt, sie hatte Angst gehabt vor der Vertrautheit, davor, dass sie in ihm etwas sah, was er nicht war.

„Tom.“

Ja, das gefiel ihr. Der Name und plötzlich auch die Situation. Sie war die Heldin, sie wagte, was viele Frauen nicht fertigbrachten. Sie war die Göttin. Tom stand auf und kam auf sie zu – um sie zu küssen. Den letzten halben Meter kam sie ihm entgegen und berührte mit den Lippen seinen Mund und öffnete die Lippen einen schmalen Spalt. Ja, sie konnte ihn gut riechen. Es war, wie es sein sollte. Sie legte ihre Hand in seinen Nacken und küsste ihn. Er fühlte sich warm und weich und fest an, so wie sie es sich gewünscht hatte. Es klopfte an der Zimmertür und ihre Körper trennten sich wieder.

Der Kellner schob einen Servierwagen herein, auf dem die Getränke und Gläser standen. Sekt in einem Kühler, Rotwein, eine Karaffe Wasser – daneben standen große Rotweinkelche und Sektgläser; in einer kleinen Vase eine einzelne Gerbera. Ebenfalls ein Schälchen mit gesalzenen Nüssen.

Kerstin nutzte die Unterbrechung und verzog sich ins Bad, klein mit grauen Fliesen und lachsfarbenen Banderolen, etwa zwanzig Zentimeter unterhalb der Decke. Es gab eine Dusche, keine Badewanne. Sie war sehr feucht geworden – ach, wie schön –, nachdem sie sich in die Situation eingelebt hatte. Nun befürchtete sie, unangenehm zu riechen. Sie setzte sich auf die Toilette.

Kann ja nicht schaden.

Dann sprang sie wieder auf. Kann sehr wohl schaden. Sie dachte an den Frauenarzt, der ihr geraten hatte, nie mit leerer Blase … und hinterher gleich auf die Toilette. Zur Vermeidung von Blasenentzündung.

Das Hinterher ist ihr momentan egal. Doch bei dem Gedanken an das vor ihr Liegende steigt in Kerstin eine Hitze auf, eine unangenehm trockene. Von der Toilette war sie wieder aufgestanden, ihren Slip ließ sie unten, fuhr mit der Hand zwischen ihre Beine und roch daran. Nee, nicht unangenehm, eher sexy. Das war so, seit sie die Wechseljahre hinter sich gebracht hatte. Ist nicht mehr so feucht, ihre Muschi, riecht aber auch nicht mehr so aufdringlich, nur wenn sie im Sommer arg schwitzte.

Trotz bestandener Geruchsprobe nimmt Kerstin ein Kleenex aus dem Metallspender neben dem Spiegel, hält es unter den Wasserhahn, der ohne Berührung reagiert, befeuchtet das Tuch und drückt es auf ihre Muschi. Sie rubbelt ein bisschen, wirft das Tuch weg und fährt nochmals mit einem Handtuch darüber. Nun ist alles kalt. O je, hoffentlich hatte sie keinen Fehler gemacht mit der Putzaktion. Die sie gut und gerne hätte unterlassen können.

Ihr Blick fällt in den Spiegel. Sie hatte rote Bäckchen bekommen. Schnell noch etwas kaltes Wasser. Die Hände waschen. So jetzt wieder raus auf die Bühne.

Der Erste-Kuss-Moment von vorhin war natürlich verflogen und die Bedenken krochen an ihren Darmwänden hoch.

Doch als Kerstin das Zimmer betritt, ist die Stimmung anheimelnd und erotisch, das Licht ist noch etwas heruntergedimmt, es läuft Musik: ‚Why worry' von Dire Straits. Amüsant – eine Art Wiegenlied, aber es entspannt. Tom hat die Sektgläser gefüllt und steht vom Bett auf, als sie hereinkommt. Er hat die Schuhe ausgezogen und das Hemd hängt über der Hose und ist aufgeknöpft. Kerstin ist geflasht von seinem guten Aussehen. Ja, sein Oberkörper ist perfekt, nein, kein Sixpack, aber ein flacher Bauch, seine Haltung ist aufrecht, er wirkt aber auch etwas verloren und schüchtern. Sollte das Absicht sein, fragte sich Kerstin. Er sieht sie an aus blauen Augen, sein schmales Gesicht mit gepflegten und weichen Zwei-Tagesbart-Stoppeln ist umrahmt von dunklen Haaren, auf dem Oberkopf länger, fast wie eine Tolle, an den Seiten kurz und mit Geheimratsecken. – Ein anderes Wort dafür hatte Kerstin noch nicht gehört. Sie beschreibt auch selten Menschen genauer.

Seine Nase ist gerade, lang, aber vollkommen harmonisch ins Gesicht eingebettet. Sein Mund etwas größer als schmal, auch hier fällt ihr nichts Besseres ein. Vor allem ist sein Mund fest und gespannt, mit einem zurückhaltenden Lächeln. Gott sei Dank, einen Makel hat er: seine Ohren stehen leicht ab. Kerstin atmet aus. Seine Ohren hindern sie jedoch nicht daran, an ihre hängenden Brüste und den Bauchspeck zu denken. Die Orangenhaut an den Oberschenkeln würde man bei dem Schimmerlicht und im Liegen nicht sehen.

Tom tritt auf sie zu, reicht ihr das Glas. Ein edles Champagnerglas mit einem sehr hohen Stiel, darin eine Erdbeere („Ich bin verrückt nach deinem Erdbeermund.“).

„Zum Wohl, Kerstin, schön, dass ich dich gefunden habe.“

Jetzt fließt Wärme durch ihren ganzen Körper, fast kommen ihr die Tränen. Sie stößt an sein Glas:

„Schön, dass wir hier sind.“

Er stellt sein Glas hinter sich auf den Servierwagen und nimmt ihr ihren Kelch ab.

„Machen wir doch einfach weiter, wo wir unterbrochen wurden.“

Er nimmt ihren Kopf in beide Hände und drückt ihr einen Kuss auf den Mund – freundschaftlich. Sie lehnt kurz den Kopf an seine Brust und drückt sich fest an ihn – anlehnend. Nun streicht er über ihr Haar und küsst sie lange, lange und intensiv, Zärtlichkeit schwingt mit, und immer mehr Begehren, ohne dass sein Kuss hart wird, nur fordernder. Kerstin streicht über seinen Rücken und wagt sich sogar an seinen Po vor. Er zieht ihr die Bluse aus, öffnet den Rock, der fällt runter. Nun zieht er das geöffnete Hemd aus, setzt sich auf den Bettrand und zieht sie mit sich. Kerstin landet mit geöffneten Schenkeln auf seinem Schoß. All ihre Bedenken sind verflogen, all ihre Ängste verflüchtigen sich. Er lässt sich nach hinten fallen, sie folgt ihm. Er streicht über ihre Schenkel, über ihren Po, küsst sie auf den Mund, auf den Hals, zwischendurch auf den Kopf, eine liebvolle Geste. Kerstin öffnet seine Hose, zurrt am Gürtel, zieht den Reißverschluss nach unten. Tom setzt sich kurz auf und streift die Hose ab, beide tragen nur noch die Unterwäsche. Sie liegen auf der Seite und Tom streicht ihr zärtlich übers Haar. Kerstin fährt ihm über die glatte Brust.

Sie bahnt sich einen Weg in seinen Slip und spürt seinen Penis. Zieht seinen Slip herunter, ganz langsam bis ganz nach unten an die Füße. Sie streift dabei an seinen Beinen entlang und lässt ihn ihre Brüste spüren, die noch im Büstenhalter stecken. Seinen erigierten Schwanz hat sie bereits begutachtet, als sie begonnen hatte, ihm den Slip herunterzuziehen. Groß, aber nicht zu groß, und was sie so sehr liebt an jedem männlichen Glied: fest und weich zugleich. Gibt es auf der Welt ein schöneres Objekt zum Ertasten? Sie kniet sich etwas hin und streckt ihren Po nach oben, das erregt sie und ihn hoffentlich auch. Als sie seinen Slip über die Füße gezogen hat, bewegt sich Kerstin wieder nach oben, schaut auf ihn herunter. Wie schön, wie stolz, wie liebevoll er ist.

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