Aus, Äpfel, Amen (2) Ria, de Kloa 1948 bis 1951

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Nach dem großen Fest

Es sind noch Osterferien und ich kann mich gut erholen. Tante Resi und Tante Kuni bleiben noch hier. Das Essen vom Feiertag reicht auch noch am nächsten Tag. Ich freue mich schon auf den Nachmittagskaffee und die Torte. Aber nein! Leider hat die Füllung der Torte, das Apfelkompott, nicht gehalten, ist sauer geworden und hat den Tortenboden aufgeweicht. Mama kann die restlichen Tortenstücke nur noch wegschmeißen! Dafür sind noch Rohrnudeln da, die sind auch gut.

Die übrigen Ferientage sind schnell vorbei. Mama frisiert meine schönen Stopsellocken aus und ich bekomme wieder meine Zöpfe. Alles, was noch vom Festessen da war, ist vertilgt. Ebenso mein Kuchen-Osterbätzl. Die Tanten reisen ab. Das Leben nimmt wieder seinen normalen Verlauf.

Meinen Heiligenschein lege ich wieder ab, denn ich merke, dass es sehr schwer ist, ein heiliges, gottgefälliges Leben zu führen. Da ist es schon angenehmer, einige Sünden zu begehen und diese am nächsten Beichttag zu bekennen.

Einen Sonntag später verkündet der Pfarrer den Termin zur Abgabe der Beichtzettel. Ich werde mit den Beichtzetteln von Mama und Papa und meinem sowie einer kleinen Geldspende in den Pfarrhof geschickt. Dort steht schon eine Schlange. Man wartet, bis man drankommt. Der Pfarrer sitzt am Schreibtisch. Er hat eine Liste mit namentlicher Aufzeichnung der Pfarrkinder. Jede Abgabe wird vermerkt und der Pfarrer nimmt auch die Geschenke entgegen. Bei den Bauern wird diese Pflicht meist in Form von Naturalien erledigt.

Ohne Beichte beginnt man eine schwere Sünde, daher ist die Kontrolle so wichtig.

Die Kommunionfotos

Zwei Wochen nach dem Weißen Sonntag fahre ich mit Tante in die Stadt, weil wir meine Fotos abholen wollen. Ich bin schon neugierig! Im Eingangsbereich bei Foto Scheuerer sind in Schaukästen die schönsten der Kommunionfotos ausgestellt.

Mehrere Leute stehen davor und äußern sich bewundernd über die schönen Aufnahmen. Die schauen bestimmt gerade das Bild von mir an! Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um endlich einen Blick auf mich werfen zu können. Aber die Leute vor mir begrenzen mein Blickfeld. Da sehe ich mich nicht.

Endlich weichen diese Langweiler. Ohne einen Blick auf die Schönste, die direkt hinter ihnen steht, zu werfen, machen sie Platz. Meine Augen durchlaufen die Reihen der Fotos. Ja, wo bin ich denn? Mir fallen fast die Augen aus dem Kopf, aber ich bin nicht dabei! Das gibt es doch nicht, das kann doch nicht wahr sein!

„Also, geh jetzt endlich! Du kennst die auf den Bildern ja doch net“, mahnt Tante.

Wir betreten den Laden und holen die Bilder ab. Na ja, so schön bin ich wirklich nicht darauf. Ich frage die Tante: „Wie schau ich denn auf dem Bild aus?“

Sie mustert mich mit ihren Goldplättchenaugen und meint: „Ja mei, du schaust halt aus, wiast halt ausschaust.“

Also, ein besonderer Fotograf ist der Scheuerer meiner Meinung nach nicht!


Aber einen kleinen Trost gibt es doch, denn auch von anderen Lentinger Kommunionkindern sind keine Fotos ausgestellt! Der Fotograf hat bestimmt was gegen Landkinder.

Fronleichnam

So ganz vergessen sind wir Kommunionkinder aber noch nicht. An den hochheiligen Feiertagen dürfen wir dieses Jahr in unseren weißen Kleidern teilnehmen. Besonders wichtig für uns ist Fronleichnam mit dem Flurumgang. Einige Tage vorher schaue ich schon immer auf das Wetterhäusl. Immer kommt die Frau heraus und kündigt Sonnenschein an. Wirklich, das Wetter wird schön. Ich möchte nur wissen, wie die kleinen Holzfiguren vom Wetterhäusl immer wissen, wie das Wetter wird. Mama erklärt mir was, aber ich versteh es nicht. „Ja mei, des Weiberl und des Manderl, de wissen des halt“, meint sie lapidar.

Ja, es ist ein wunderbarer Fronleichnamstag. Wir werden nochmals ausgiebig bewundert. Die vier Altäre sind sehr schön hergerichtet, Blumenteppiche breiten sich davor aus. Überall sind Fahnen gehisst und schöne Tücher liegen über den Fensterbänken. Unter dem von vier Ehrenchristen getragenen Himmel schreitet der hochwürdige Herr Pfarrer mit der Monstranz in der Hand segnend durch die Fluren und Straßen. Unter feierlichem Glockengeläut ziehen wir nach dem Umgang in die Kirche ein und singen aus vollem Halse: „Großer Gott wir loben Dich!“ Und das tun wir auch immer und voller Dankbarkeit.

Die Maidult

Im Mai ist in der Stadt allerweil die Dult und natürlich wollen wir Kinder da hin. Beate und ich bengsen (nerven) so lange, bis Tante nachgibt und sich mit uns zur Dult aufmacht. Wir fahren sogar mit dem Zug in die Stadt. Als wir zur Taschenturmstraße kommen, hören wir schon die Drehorgelmusik. Wir werden ganz nervös und würden am liebsten laufen, damit wir ja noch rechtzeitig hinkommen. Tante ermahnt uns, wir müssten brav und sittsam an ihrer Seite bleiben. Sie will uns nicht aus den Augen verlieren. Beate und ich sind da weniger ängstlich, denn wir zwei würden auch alleine heim nach Lenting finden. Aber Tante hat das Geld und ohne Geld ist die schönste Dult nicht schön. Nur auf einer Bank auf dem Scherbelberg zu sitzen und auf das bunte Volksfesttreiben herunterzuschauen ist auch nicht unser Ziel.

So aber stellt sich Tante erst mal für eine Zuckerwatte an. Mit diesen fein gesponnenen Zuckerbauschen in der Hand geht es durch das Getümmel. Da kommt das Kinderkarussell mit den Pferdchen, den Autos, der Feuerwehr und den Postkutschen. Damit durfte ich als kleines Kind immer fahren. Das würde ich auch jetzt gerne wieder tun, denn das Karussell fährt langsam und da wird mir nicht schlecht.

„Des is doch nichts mehr für dich“, meint Tante.

Wir ziehen weiter zum Kettenkarussell. Im Gegensatz zu Beate bin ich gar nicht begeistert. Wenn ich schon sehe, wie schnell sich das Karussell dreht! Mir ist doch schon in dem kleinen Karussell im Kindergarten übel geworden. Aber Tante ist vom Genuss dieser Fahrt überzeugt und will uns daran teilhaben lassen. Als sie die Karten hat, werden wir einfach reingesetzt, die Ketten werden verschlossen, damit wir nicht herausfallen können. Jetzt bin ich mit meinem Elend ganz alleine in der Luft, Beate vor und Tante hinter mir. Sie sind für mich unerreichbar.

Zuerst dreht sich alles ganz langsam, doch dann gewinnen all die Sitze an Fahrt. Aufgrund der Fliehkraft hängen wir ganz schief auf den harten Brettern der Kettenstühle. Ich trau mich nicht mehr runter- und auch nicht mehr raufzuschauen. Oh mei, mir wird schlecht! Ich mache den Mund auf und schnaufe tief! Es hilft nichts! Ich presse die Lippen zusammen, aber das hilft auch nichts, mir wird immer schlechter! Und ich kann zu niemandem etwas sagen. Tante und Beate sind so weit weg von mir. Hört denn die Fliegerei überhaupt nimmer auf? Nein, die hört nicht auf. Ich glaube, die fahren gerade eine extralange Tour. Ich wage einen Blick hinunter und sehe all die Menschenköpfe unter mir. Alle haben ihre Sonntagskleider an. Wenn ich jetzt brechen muss! Die da unten erschlagen mich dann bestimmt!

Endlich lässt die Geschwindigkeit nach und langsam kommt das Karussell zum Stehen, die Ketten werden geöffnet, wir dürfen raus! Beate möchte gleich noch mal fahren, aber ich hänge mich an Tantes Hand, torkle die Treppen hinunter und bin froh, dass ich nicht brechen muss.

Langsam erhole ich mich und wir eilen wichtig zur Geisterbahn. Das gefällt mir. Beate und ich sitzen auf einer Bank, Tante hinter uns. Langsam setzt sich die Bahn in Bewegung. Wir fahren in den finsteren Höllenschlund ein. Erst mal umgibt uns nur Dunkelheit. Beate schreit und krallt sich an mich. Sie hat Platzangst und Angst vor der Finsternis. Darunter leidet sie seit ihrer frühen Kindheit. Weil sie mal unfolgsam war, hat ihr ihre Mutti droben im Friedrich-Haus erst mal den Hintern versohlt, sie dann in den fensterlosen Keller gestoßen, die Falltüre geschlossen und sich auch noch daraufgestellt, damit Beate ja nicht herauskam. Natürlich war das nur kurz, aber seitdem kann sie diese Angst nicht mehr überwinden. Hier in der gefährlichen Geisterbahn kommt diese Phobie wieder besonders stark durch.

Vor uns hört man schon die gellenden Schreie der verlorenen Geisterbahnfahrer, die gerade von Hexen, Geistern, Tod und Teufeln aus den Sitzen gerissen werden. Wahrscheinlich werden die nie mehr auf der Erdoberfläche auftauchen. Das meint Beate, aber ich weiß es besser! Als jetzt auch noch diese furchtbaren Gestalten auf uns zugreifen, schreit Beate noch lauter. Ich überstehe die Fahrt gut und möchte gerne nochmals fahren, um meinen Mut zu zeigen.

„Na, na, des langt scho“, meint Tante.

Wir marschieren weiter über das Volksfest, schauen uns alles an und möchten dies und wollen das. „Da bräucht ich ja an Geldscheißer und den hob i net“, meint Tante. Ja, dann lass mas halt steh!

Aber vom Riesenrad bin ich ganz fasziniert, ich will gar nicht weitergehen. Tante meint, da stünden so viele Leute an, das könnten wir nicht mitmachen. Aber ich schaue so voller Sehnsucht zu den schön bemalten Gondeln, die ganz nach oben in den Himmel schweben und sich dann wieder langsam auf die Erde senken. Da gibt Tante nach. Sie setzt uns auf Holztreppen, wo wir auf alle Fälle sitzen bleiben müssen, bis sie wiederkommt. So kleine Kinder sind wir doch wirklich nicht mehr, aber wir folgen.

 

Es dauert, dauert und dauert, die Schlange vor der Kasse schiebt sich nur ganz langsam vorwärts. Endlich, nach einer Ewigkeit kommt meine so liebe Tante mit den Fahrkarten in der Hand zurück. Ach, so eine brave Tante hab nur ich! Erwartungsvoll eilen wir mit ihr auf den Eingang zu. Da dauert es wieder, bis wir einsteigen können. Tante kann schon gar nicht mehr stehen.

Endlich! Wir zeigen unsere Karten vor, die werden eingerissen, wir dürfen hinein und in einer der wunderschönen Gondeln Platz nehmen. Tante sitzt auf der einen, Beate und ich auf der anderen Seite. Die Gondel schaukelt leicht hin und her. Oh, wie schön ist das! Ich fühle mich prima!

Da setzt sich die Gondel in Bewegung und es geht aufwärts! Aber oh, oh, das kitzelt ganz unangenehm in meinem Bauch! Dieses Gefühl greift nach meinem Magen. Die Gondel bleibt mit einem Ruck stehen. Mir wird übel! Unter uns steigen Leute ein. Wieder ein Ruck und es geht weiter aufwärts. Wieder dieses blöde Gefühl in meinem Bauch! Mein Magen dreht sich um! Stück um Stück steigt die Gondel nach oben. Ich fühle mich immer schlechter. Ich will mir nichts anmerken lassen und reiße mich zusammen. Ich bekomme keine Luft mehr!

Tante und Beate unterhalten sich. Ich sage schon gar nichts mehr, sondern lehne mich zurück und bete, dass die Gondel nicht mehr weiter nach oben fährt, sondern Kurs auf den festen Boden nimmt.

Mein Gebet wird nicht erhört! Ganz im Gegenteil! Die Gondel schaukelt wieder ein Stück runter und dann wieder rauf! Der kalte Schweiß steht mir auf der Stirn und ich klammere mich an den Sitz.

Tante wirft endlich einen Blick auf mich. „Was hast denn? Ist dir schlecht?“

„Ja, a bisserl … I glaub, ich muass brechen“, sag ich leise.

„Ja, was solln wir denn iatz macha?“, schnauzt Tante.

Oh je, sie wird grantig!

„I mog (will) raus“, meine ich kleinlaut.

Beate stellt sich nun auch noch gegen mich und gibt ihren Senf dazu: „I mog oba net raus!“

Ich fange zu weinen an. Es würgt und hebt mich. „I wui raus!“, fordere ich mit letzter Kraft. Da gibt Tante dem Aufpasser unten ein Zeichen. Die Gondel fährt langsam zurück. Endlich, endlich sind wir unten.

Tante packt uns an den Händen und zieht uns mehr oder weniger heraus. Beate protestiert: „I bleib do, i konn a alloa fahrn!“

Aber bei der Tante ist es vorbei. Sie ist narrert (wütend), und das wie! „Da stell ich mich a volle Stund lang o, zoih (zahle) an Haufn Geld, weil sie unbedingt do fahrn wui, und dann wuis raus! Des langt mir jetzt! Iatz geh ma hoam. Denkt ja net, dass ich mit eich nochmals aufs Volksfest geh! Nia und nimmer!“

Und das End vom Lied? Tante ist total stinkert, Beate weint, mir ist immer noch schlecht und ich habe ein schlechtes Gewissen.

Was man alles essen kann!

In Lenting kommen immer neue Flüchtlinge, eigentlich Vertriebene, an. Damit dringen aber auch viele neue Dinge in mein Leben vor. Ich kann viele für mich interessante Erfahrungen sammeln! Da gibt es Sachen zum Essen, von denen ich vorher nie etwas gehört habe: Hutzelbrühe, Dillsoße, Hefeknödel, Sauerampfersalat, Maiskuchen, Krautsuppe und, und … Da sind Dinge dabei, die mir sehr gut schmecken. Dazu gehören die Zwetschgenknödel und der Mohnkuchen. Leider probiert Mama solche Dinge nie aus.

Als der Herr Dietz der Mama erzählt, dass er einen Salat oder eine Suppe aus Milleschockn (Löwenzahn) isst, da sagt Mama gar nichts mehr. Einmal treffen wir ihn, als er nicht nur Milleschockn, sondern auch Brennnesseln brockt.

„Haben Sie jetzt Hasen oder Ziewerl?“, fragt ihn Mama.

„Nein, daraus macht meine Frau einen Brennnesselsalat oder Brennnesselsuppe. Das ist sehr gesund. Sie müssen das mal probieren.“

Da verdreht Mama nur noch die Augen, packt mich an der Hand und wendet sich zum Gehen. „Brennnessel und Milleschockn essen! Geh, geh ma, Hosenfuadda brauch ma wirkle net. Da solln ma uns nacha ah no as Mai verbrenna! Na, na, na, do hert sich doch da Gmüshandel auf! (Komm, gehen wir, Hasenfutter brauchen wir wirklich nicht. Da sollen wir uns auch noch den Mund verbrennen. Nein, nein, da hört sich doch der Gemüsehandel auf.)

So notig san ma doch net.“

Die Währungsreform

Das Leben ist immer noch schwer. Überall herrscht Not. Zwar stirbt man im Dorf nicht gerade an Hunger, aber manchmal wissen die Familien wirklich nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Es ist nichts zu kaufen da! Beim Reischl in Lenting gibt es außer Brot nichts. In der Stadt sind die Schaufenster leer! Niemand hat was anzubieten. Die Geschäftsleute haben nichts mehr auf Lager. „Sie können ruhig nachschauen. Bei uns finden Sie kein Stäubchen mehr. Alle Vorräte, die wir hatten, sind schon längst veräußert.“ Natürlich bestehen wir nicht darauf, die Lager zu besichtigen. Es gibt keine Schuhe, keine Stoffe, keine Kohlen, keine Tafeln, keine Hefte, keine Stifte, keine Lebensmittel, keine Schokolade, einfach nichts! Nichts, nichts und nochmals nichts! Nichts bedeutet überhaupt nichts! Einfach Nullkommanichts!

Mama hat unten am Bach von einem Bauern ein kleines Gartenstück zur Pacht genommen. Papa hat von den Stammhamern Salat- und Tomatenpflanzerl erhalten. Die letzten Bohnenkerne steckt sie in die Erde und zieht Stangenbohnen heran. Auch Gurken und Gelbe Rüben sollen geerntet werden. Also, wenn man keine Beziehungen hat, dann ist man einfach „hergschenkt“.

Geld ist nichts mehr wert. Es heißt, wir würden neues Geld bekommen, und zwar schon in den nächsten Tagen.

Die Wuni Zenta kommt zu mir her. Sie muss nach Kösching in die Apotheke. Ich soll mit ihr gehen. Sie meint, sie habe genug Geld, dass wir auch noch ein Eis essen können. Mit der Aussicht auf ein Eis bin ich natürlich dabei.

Nach der Apotheke eilen wir zum Ampferl, wo es das Eis gibt. Wir stehen im Hof, Zenta verlangt am offenen Verkaufsfenster zweimal Eis. Wir bekommen es auch, aber die Zenta muss zwanzig Reichsmark dafür zahlen. Das Eis fällt ihr fast aus der Hand. „Ja, warum kost des so vui?“

„Weil morgen des Geld nimmer gilt.“

Trotzdem lassen wir uns das Eis gut schmecken.

Am nächsten Tag heißt es wirklich: Währungsreform, Kopfgeld und Deutsche Mark, DM genannt. Das Geld wird von den Familienvorständen abgeholt. Bei uns übernimmt Tante diese Aufgabe. Sie ist sich der Bedeutung voll bewusst und ist ganz nervös. Voller Eifer schwingt sie sich auf ihr Fahrrad, fährt den Pfarrberg hinunter der DM entgegen. Es pressiert ihr, denn es könnte ja sein, dass das Geld ausgeht und sie keines mehr bekommt. Da kommt sie mit dem Vorderrad auf dem steinigen Buckelweg ins Rutschen und schon haut es sie runter. Mit aufgeschlagenen Knien und abgeschürften Händen steht sie auf. Gott sei Dank hat das Rad keinen Achter. Sie kann weiterfahren.

Ramponiert, aber glücklich, mit dem wertvollen Geld in der Tasche, kommt sie heim. Erst mal verarztet Mama die Tante mit dem Rest Jod, den sie noch hat. Doch dann wendet sich aller Interesse dem neuen Zahlungsmittel zu. Ob und was man wohl dafür bekommen wird? Trotz ihrer Schmerzen fährt Tante am nächsten Tag in die Stadt. Sie will einfach mal schauen.

Sie kommt zurück und erzählt von dem Wunder.

Das Wunder der Währungsreform

Ja, über Nacht ist ein Wunder geschehen! Alle Schaufenster sind voll! Die Geschäftsleute haben ganz hinten in ihren Lagern und Kellern nach gründlicher Nachschau nun doch noch Ware gefunden, wo vorher einfach nichts mehr zu sehen und finden war. Sogar beim Reischl in Lenting bekommt man für das neue Geld was. Auf einmal gibt es Vierfruchtmarmelade, Essig, Öl, Bratheringe und, und …

Doch die Preise sind sehr hoch. Vieles ist für uns unerschwinglich. Das Leben bleibt also beschwerlich. Mama geht zwar äußerst sparsam mit dem Geld um, aber weit kommt sie damit trotzdem nicht.

Vorher hatten wir Geld, aber es gab nichts zu kaufen. Jetzt gibt es viel zu kaufen, aber wir haben kein Geld. Die Leute arbeiten und werkeln und schauen trotz aller Müh und Plag voller Zuversicht in die Zukunft.

Neue Sprachen, neue Wörter und Sprachwirrnisse in Lenting

Zweimal in der Woche haben wir Religionsunterricht. Den Katechismus mag ich nicht so gerne, weil man da lernen muss. Aber wenn der Herr Pfarrer die „Biblischen Geschichten“ aus dem Alten und dem Neuen Testament erzählt, bin ich immer ganz hingerissen. Natürlich schildert er auch den Turmbau von Babylon. Die Leute in Babylon hatten auf einmal ganz verschiedene Sprachen und konnten sich nicht mehr verstehen.

In Lenting wird zwar kein Turm gebaut, aber wenn sich die neuen Leute unterhalten, verstehe ich manchmal nichts oder nur einen Teil. Besonders wenn sie russisch, polnisch oder tschechisch miteinander reden (natürlich kann ich diese Sprachen auch nicht unterscheiden), bekomme ich gar nichts mit. Wo ich doch so neugierig bin und alles wissen will!

Auch wenn sie sich auf Deutsch unterhalten, haben sie ganz andere Wörter als wir Alt-Lentinger. Ich höre plötzlich von Deka, von Kilo, vom Fleischer, von Möhren und so weiter. Sie nennen den Odel Jauche, die Brotzeit Jause oder Vesper, die Pfannkuchen Palatschinken, Kren ist Meerrettich, Tagwerk Grund ist Morgen Land, Schwarzbeeren sind Blau- oder Heidelbeeren, a Drecklache ist eine Pfütze und, und, und …

Aber auch die Neu-Lentinger haben ihre Mühe, um unser schönes, gepflegtes Bairisch zu verstehen, auch wenn wir „Hochbairisch“ sprechen. Wenn wir reden, müssen sie schon die Ohren spitzen, denn da geht es um einen Haderlumpen, Bazi, Baderwaschl, um eine Watschn, Matz, Ratschn, es geht um Klapperl, Glupperl, es geht ums Wuzeln, Zuzeln und, und … Die Uhren gehen in Bayern schon immer anders, nämlich in Viertelstunden, halb eins, dreiviertel zwei … Ja, doch, wenn der Papa flucht, dann auf Russisch. Das hört sich ganz schlimm an. Aber langsam lernt man miteinander umzugehen. Amerikanisch hört man wenig. Wenn die Bayern schon Fremdwörter verwenden, dann französische oder jiddische. Wir haben einen Plafond, ein Portemonnaie, ein Trottoir, eine Chaiselongue. Es gibt Schicksen, wir haben Massel, toi, toi, toi, des ist koscher und, und, und … Am besten gefällt mir das Wort für Rosspollen. Rosspollen heißen Pferdeäpfel! Wenn ich das höre, muss ich immer lachen! Äpfel sind für mich immer etwas, was man essen kann. Jakobiäpfel, Bratäpfel, Lederäpfel, Straßenäpfel, aber Pferdeäpfel, na, na, da muss ich wieder lachen!

Dann noch diese Hausnamen, die ständig zu Verwechslungen führen. Der Hennamo wird als Herr Hühnermann angesprochen, aber er heißt Kipfelsberger. Der Herr oder die Frau Gockelbauer heißen Sterler und der Wagensimmer heißt Brandl. Darüber allein könnte man schon ein Buch schreiben.

Aber die modernen, immer aufgeschlossenen Lentinger nehmen alles mit Humor und werden auch mit dem babylonischen Problem fertig.